Heimatkundliche Blätter - Neustadt an der Donau

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Heimatkundliche Blätter - Neustadt an der Donau
Heimatkundliche Blätter
                                         Nr.4/2021

                              Die Ochsenstraße

              „Cowboys“ auf Ochsentrieb durch Niederbayern

                                                                                 Abb. 1)
                                                                                 Mastochsenherde
                                                                                 auf Trieb

Die Stadt Neustadt a.d.D. lag an der sogenannten Ochsenstraße. Zwischen 1350 und
1850 trieben teils berittene Viehtreiber fast ein halbes Jahrtausend jährlich bis zu
200.000 Mastochsen aus den Tiefebenen Ungarns und Transsilvaniens nach Süd-
deutschland Hier spielten sich vermutlich Szenen ab, wie wir sie aus den amerikani-
schen Wildwestfilmen kennen, nur eben schon einige hundert Jahre früher.

 Steppen-Ochsen aus Ungarn sichern        verzehrten in acht Tagen neben etlichen
         Fleischversorgung                Zicklein, Federvieh, Hirschen, Schweine,
                                          Gänse, Fische und Krebse auch 20 Ochsen
Der Fleischbedarf der angewachsenen bay- und 46 gemästete Kälber.(2)
rischen Städte war enorm. Ende des 16.
Jahrhunderts betrug der Fleischkonsum der
süddeutschen Stadtbevölkerung etwa 50 Ki-
logramm.(1) Diese Fleischnachfrage der
Bürger in den reichen Städten konnte kaum
mehr befriedigt werden.
Als kleines Beispiel sei die Hochzeit des
Zinkbläsers Baruch mit der Tochter des Bä-
ckers Veit Gundlinger in Augsburg im Jahre
1493 angeführt: Die 720 geladenen Gäste         Abb. 2) Ochsenaufteilung in der Jakobervorstadt
                                                   von Ausburg, Kupferstich aus dem 17. Jh.
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Da die rückständige heimische Agrar- und
Viehwirtschaft nicht in der Lage war, diese
Bedürfnisse der reichen Städter zu erfüllen,
mussten andere Beschaffungsquellen er-
schlossen werden und diese lagen im fer-
nen Ungarnland.
Hauptziele des Ochsentriebes nach Bayern
waren vor allem die bedeutenden Han-
delszentren Augsburg, Regensburg und
Nürnberg.                                           Abb. 3) Größenvergleich mit den heimischen Rindern
                                                     des Mittelalters: Widerristhöhe 150 cm zu 110 cm

Die besonderen Vorzüge des ungari-
                                                Kilometer langen Triebwege zu bewältigen,
       schen Steppenrindes
                                                ohne dabei allzu viel an Gewichtsmasse zu
                                                verlieren.
                                                Die so bezeichneten „Ungarochsen“ brach-
                                                ten ein Lebendgewicht von 350 - 500 kg auf
                                                die Waage. So ein Mastochse mit fünf Dop-
                                                pelzentnern lieferte etwa 280 kg Fleisch
                                                und ließ sich nahezu restlos verwerten:
                                                Fleisch, Kutteln, Fett und Blut für den Ver-
                                                zehr, die struppigen Haare für Filz, die Haut
                                                zur Lederverarbeitung, der Talg für Seife,
    Abb. 4) Ochsenhirte mit Herde auf der Weide Kerzen und Wagenschmiere, Magen und
                                                die Därme zu Wursthäuten, der Darminhalt
                                                als Brennstoff und Dünger, die Knochen für
Das weiß-graue, knöchrige und großwüchsi- den Leim, aus den Hörnern fertigte man
ge Rind mit seinen typisch langen Hörnern Kämme. (3)
wurde bereits im 14. Jahrhundert in den
ungarischen Puszten gezüchtet. Die unbe-                   Die OxenConnection
wohnten steppenartigen riesigen Weideflä-
chen ermöglichten die Zucht einer äußerst Der Ochsenhandel war ein Bombenge-
robusten Rinderrasse, die in der Lage war, schäft. Dieses internationale Geschäft erfor-
die weiten Strecken der mehrere hundert derte Spürsinn, Risikobereitschaft und Wa-
                                                gemut für die beteiligten Kaufleute, Metz-
                                                ger und Geldgeber. Die Ochsenhändler
                                                mussten sehr kapitalkräftig sein, häufig
                                                streckten auch Städte größere Summen vor
                                                oder Geldinstitute finanzierten diesen
                                                Fleischimport. Tuchhändler-Clans, die die-
                                                sen Handel, oft verbunden mit Tauschhan-
                                                del, ebenso finanzierten, besaßen schon
                                                seit Generationen die notwendigen interna-
                                                tionalen Beziehungen, um die notwendige
           Abb. 5) Das ungarische Steppen-
             rind, auch Graurind genannt
                                                Logistik für diesen Fernhandel zu schaffen.
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Abb. 6) Die Kreisläufe
                                                                            des transkontinenta-
                                                                            len Tuch- und Och-
                                                                            senhandels im Spät-
                                                                            mittelalter

Im modernen Sprachgebrauch einfach eine        händler, der Metzger und der ungarischen
echte Connection mit vielen Beteiligten, die   Viehzüchter, die hier ihre An- und Verkäufe
knallhart am größtmöglichen Profit interes-    tätigten.
siert waren. (4)                               Aus dem 16. und 17. Jahrhundert liegen uns
                                               über diese Handelsgeschäfte folgende Zah-
                                               len vor: (5)
        Wien - das Zentrum des                        1525:       16.000
           Ochsenhandels                              1536        30.000
Bereits 1503 findet der Wiener Ochsen-                1549/51     62.000
gries, vor den Toren der Stadt gelegen, ur-           1552/58     52.000
kundliche Erwähnung. Dies war der Haupt-              1592:       57.000
umschlagsplatz der Mastrinder aus Ungarn              1629:       52.500
und wichtigster Treffpunkt der Ochsen-                1650:       43.000

                                                                            Abb. 7) Historische Darstel-
                                                                            lung eines Ochsenmarktes
                                                                            um 1750
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Im 18. Jahrhundert wurde der Standort des
Marktes mehrfach verlegt. Der Handel er-
folgte auf freiem Feld ungeschützt vor Re-
gen und Sonne. Oft standen die Händler
und Züchter knietief in Kot und Schlamm
oder waren der sengenden Hitze ausge-
setzt. (6)
Wien blieb bis ins 19. Jahrhundert der
Hauptumschlagplatz des ungarischen Grau-
rindes. Gegen Ende des Jahrhunderts über-
nahm die Eisenbahn den Ochsentransport.

Die Puszta-Cowboys auf dem Ochsen-                     Abb. 7) „Ungarischer Cowboy“ um 1850, Maler unbekannt

          trail nach Westen
                                                      gegen die Türken und sie tauschten gerne
Raubeinig und mutig waren diese frühen                ihr Kriegshandwerk als Söldner gegen die
Cowboys, die den Ochsentrieb begleiteten.             Dienste als „Cowboy“.(7) Anführer des Och-
Wahrscheinlich waren es anfangs analpha-              sentrecks war der „Ochsenkapitän“, oft ein
betische ungarische Viehtreiber. Haiducken            ungarischer Kleinadeliger, der als gewese-
nannte man diese berittenen und bewaffne-             ner Söldnerführer mit ausreichend Welter-
ten Männer. Ochsentreiber kamen aber                  fahrung und Kampferprobung die Voraus-
auch aus den Verbraucherzentren. Beiden               setzungen für dieses harte Geschäft mit-
Gruppen gemein war die Kampferfahrung                 brachte.(8)

 Abb. 8) Ungarischer Haiducke, Kupferstich von 1703                Abb. 9) Ungarischer Haiducke
            (Christoph Weigel der Ältere)
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Abb. 10) Ochsen-
                                                                                    treiber mit Ochse
                                                                                    um 1824 von Jo-
                                                                                    hann Adam Klein

Wie lange die Cowboys aus der Puszta auf      Rindfleisch kam nun meist aus dem Um-
bayerischen Ochsenstraßen eingesetzt wa-      land.
ren und ab wann einheimische Treiber          Aus Zeitungen des 19. Jahrhunderts kennen
schließlich den Viehtrieb von den österrei-   wir nur wenige Berichte über Ochsentrei-
chischen Märkten nach Bayern übernah-         ber. Diese lassen auf kleine Ochsenherden
men, bedarf weiterer Forschung.               und auf kürzere Treibstrecken schließen.
Angenommen wird, dass für eine 200 Och-
sen starke Herde ein Ochsenkapitän mit
drei oder vier Treibern auf die strapaziöse
Reise ging. Bei manchen Trieben begleitete,
wie wir es aus den Wildwestfilmen kennen,
ein Koch mit einem Planwagen den Ochsen-
treck. (9)
Die Größe der Herde, die Schwierigkeiten
der Strecke und die Wegbeschaffenheit be-
stimmten die Anzahl der notwendigen Trei-
ber und sonstige Begleitern. Häufig wurden
weitere Knechte für eine Teilstrecke des
Triebes als eine Art „Zeitarbeiter“ einge-
stellt. (10)
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts dürfte die
                                                  Abb. 11) Gewandausstattung und Utensilien des
Zeit der großen Ochsentrecks bereits vor-         verstorbenen niederbayerischen Ochsentreibers
                                                   Joseph Hinterberger aus Landau im Jahre 1861
über gewesen sein.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts besann
                                              Auch die Rolle der jüdischen Viehhändler
man sich auf die heimische Viehzucht, die
                                              und deren Triebwege sind weitgehend un-
Essgewohnheiten veränderten sich und das
                                              erforscht.
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Abb. 12) Die Ochsenstraße über                       Abb. 13) Ochsentreiber und Mastochsen vor den Toren Neu-
          Neustadt a.d.D. nach Augsburg                        stadts ( Bildmontage Wening-Stich mit Ochsentrieb-Radierung)

Die Ochsentriebwege nach Bayern                                gen Ochsenherden behinderten die Fuhr-
                                                               werke und beschädigten und verschmutz-
Wie wir bereits wissen, trieben die ungari-
                                                               ten diese Handelswege. So wird beispiels-
schen Züchter ihre vierbeinige Ware nach
                                                               weise 1663 die Straße von Abensberg nach
Wien. Die Stadt war der zentrale Knoten-
                                                               Ingolstadt als grundlos beschrieben, „weil
und Ausgangspunkt des Ochsenhandels.
                                                               da auch der Ochsentrieb darüber geht“.
Ab Schärding teilte sich der Weg in zwei                       (13)
Hauptrouten, die sich jedoch je nach Ziel
                                                               Die Bedürfnisse der Vierbeiner musste bei
wiederum mehrmals teilten. Diese sind auf
                                                               der Routenwahl ebenso beachtet werden:
der Karte dargestellt. An der Überquerung
                                                               wo gab es genügend Wasser zur Tränke, wo
der Isar lag die Maut von Niederpöring,
                                                               lagen ausreichende Weidegründe, wo konn-
heute Landkreis Deggendorf. Aus Mautrech-
                                                               te man gefahrlos den Fluss queren, wo
nungen von 1588 wissen wir, dass dort
                                                               mussten die Herden Engstellen wie Tore,
15.744 ungarische Ochsen je nach Herden-
                                                               Brücken oder Mautstellen passieren?(14)
größe vermautet wurden. Es gab feste
Mautbeträge für 50, 100, 150 und 200 Tie-                      In Schrobenhausen ging die Angst vor einer
ren, wobei der durchschnittliche Mautsatz                      Viehseuche um. In einem Ratsprotokoll von
pro Tier mit 1,48 Pfenning berechnet wur-                      1747 heißt es: Ungarische Ochsen waren
de.(11) In diesen alten Unterlagen werden                      „gestern in der früh um 2 Uhr“ durch den
44 Metzger bzw. Händler aufgeführt.                            Schrobenhausener Burgfried getrieben wor-
Unsere heimatliche Ochsenstraße verlief                        den, haben auf dem Kellerberger Feld „die
von Straubing über Schierling, Langquaid                       Weide“ genossen und sind einige Stunden
und Abensberg nach Neustadt und von dort                       liegen geblieben. Damit nicht wieder ein
über Geisenfeld, Schrobenhausen, Aichach                       Schaden wie 1745 geschehe, beschließt der
und Friedberg zum Zielort Augsburg.(12)
 Der Viehtrieb war nicht einfach, da auf die
bäuerlich bestellten Flächen Rücksicht ge-
nommen werden musste. Auch Straßen, die
dem Handels- und Reiseverkehr dienten,
sollten gemieden werden. Die schwerfälli-
                 Abb. 14) Ochsen lagern vor Schrobenhausen,
                         Kupferstich v. Michael Wening, 1701
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Abb. 15) Erholung von der den
            Strapazen, Radierung von
             Johann Adam Klein, 1813

Rat, die Äcker, auf denen die Ochsen ge-
standen haben, umzuackern und dass das
„hiesige“ Vieh einige Zeit nicht mehr dort-
hin soll. Wenn aber wieder „derlei Ochsen“
ankommen, müssten die auf der Straße
verbleiben und an einen „abseitigen Ort“
nächtigen.(15)
Auch Witterungseinflüsse, Dürre und Über-
schwemmungen beeinflussten die Wahl
der Triebwege. Pro Tag legte eine Herde
manchmal bis zu 40 Kilometer zurück und
doch dauerte ein Trieb von Wien nach
Augsburg mit Ruhetagen vermutlich einige
Wochen. Am Zielort angekommen, durften
sich die Ochsen auf speziellen Weiden von
den Strapazen erholen, um dann endlich
ihrer finalen Bestimmung in den Schlächte-
reien zugeführt zu werden.

                                                       Abb. 16) Finale: Ochse und Metzger
Fazit
   Fast über ein halbes Jahrtausend
                                                 Dieser transkontinentale Ochsentrieb
    wurden ungarische Mastochsen auf
                                                  kann ohne Übertreibung mit den Rin-
    den sogenannten Ochsenstraßen zu
                                                  dertrecks Amerikas verglichen wer-
    den bayerischen Verbraucherzentren
                                                  den und verdient auch in unserer Re-
    getrieben.
                                                  gion beachtende Würdigung.
   Der historische Ochsentrieb aus den
                                                 Die Stadt an Neustadt a.d.D. lag an
    ungarischen Tiefebenen über Wien
                                                  einem Haupttriebweg dieses Ochsen-
    nach Bayern ist von länderübergrei-
                                                  handels.
    fender und auch regionaler Bedeu-
    tung.
Heimatkundliche Blätter - Neustadt an der Donau
Es bedarf jedoch noch viel Fleißarbeit der
Forschung, um auch lokale Bezüge und Er-
eignisse zu ermitteln.
Mittlerweile gibt es jedoch eine stattliche
Anzahl von LEADER-Projekten der EU, die die
Bedeutung bereits herausstellten und auch
touristisch erfahrbar umsetzten.
Die Stadt Neustadt plant um den Stadtwall
einen „Geschichtsweg“, der bereits mit der
LEADER-Geschäftsstelle Kelheim in Planung
ist. Dabei soll auch die historische Ochsen-
straße wieder ins Blickfeld rücken.

Neustadt, 10.04.2021
Eduard Albrecht, Stadtheimatpfleger

    Literatur- und Quellennachweis:

    (1)     H.-H. Vangerow, Die ungarischen Ochsenherden als Basis der süddeutschen Fleischversorgung – Aus der Mautrechnung von Niederpö-
            ring vom Jahr 1588, S.90
    (2)     Alwin Schultz, Deutsches Leben im 14. Und 15. Jahrhundert, S. 195
    (3)     H.-H. Vangerow, Die ungarischen Ochsenherden als Basis … S.90
    (4)     Vergl. Gudrun Malcher, Die OxenConnection
    (5)     Hist. Jahrbuch der Stadt Linz 1986, H.-H. Vangerow, Die Fleischversorgung Süddeutschlands … S.71
    (6)     Der europäische Oxenweg damals und heute, S. 71
    (7)     ebenda, S. 30
    (8)     ebenda, S. 30
    (9)     ebenda, S. 30
    (10)    ebenda, S.30
    (11)    H.-H. Vangerow, Die ungarischen Ochsenherden als Basis … S.109
    (12)    ebenda, S. 97
    (13)    BayHStA, GL-Faszikel 58/98, nach Angabe von Joh. Auer
    (14)     Gudrun Malcher, Der internationale Ochsenhandel der Reichsstadt Regensburg vom Mittelalter bis zur Neuzeit, S. 131
    (15)    Stadtarchiv Schrobenhausen, Ratsprotokoll 1747
    (16)

    Bildnachweis:

    Abb. 1) PIván Balassa–Gyula Ortutay, Ungarische Volkskunde, Abb.45 Foto: Rudolf Balogh
    Abb. 2) Augsburger Allgemeine, Staats- und Stadtbibliothek
    Abb. 3) eigenene Grafik
    Abb. 4) Postkarte um 1915, Bilder-Slg. Albrecht
    Abb. 5, 8, 9, 17) Wikimedia Commons,
    Abb. 6) eigene Grafik nach Wolfgang von Stromer, Wildwest in Europa, S.43
    Abb. 7) Chairish, Verwendung nach „fair use“
    Abb. 10) © Kunsthalle Hamburg / bpk, Foto Christoph Irrgang
    Abb. 11) BSB-Digipress, Königl.-bayer. Kreis-Amtsblatt der Oberpfalz und von Regensburg, Mai 1861
    Abb. 12) aus Der europäische Oxenweg damals und heute, S. 108
    Abb. 13) Bildmontage, eigene Bearbeitung
    Abb. 14) Stadtarchiv Schrobenhausen
    Abb. 15) Antiquariat Bernd Braun in 77723 Gengenbach
    Abb. 16) Wikimedia Commons, Stadtbibliothek Nürnberg
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