Heuschnupfen und Corona gleichzeitig: Was Pollenallergiker jetzt wissen müssen

 
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Heuschnupfen und Corona gleichzeitig: Was Pollenallergiker jetzt wissen müssen
Tagesanzeiger, 5.4.2021

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Heuschnupfen und Corona
gleichzeitig: Was Pollenallergiker
jetzt wissen müssen
Wie unterscheidet man die Symptome? Schützen
Masken auch vor Pollen? Ist die Impfung für Allergiker
unbedenklich? Wir beantworten die wichtigsten Fragen
in unserer Übersicht.
Yannick Wiget, Patrick Vögeli
Aktualisiert am 30. März 2021
Der Hals kratzt, die Nase läuft. Man fühlt sich schlapp und muss ständig
niesen. Ist das nur Heuschnupfen oder etwa doch eine Corona-Infektion?
Diese Frage stellen sich momentan viele Schweizerinnen und Schweizer,
denn mehr als 20 Prozent der Bevölkerung haben eine Pollenallergie – und
die erste heftige Phase der Heuschnupfen-Saison steht kurz bevor. Wir
zeigen, was Allergiker jetzt wissen müssen:

Wann ist der Höhepunkt der Heuschnupfen-Saison?
Die Saison dauert fast das ganze Jahr. Aus der Vielzahl der in der Luft
enthaltenen Pollen sind allerdings nur einige von Bedeutung: Hasel und
Erle Anfang Jahr, Esche und Birke im Frühling, Gräser im Frühsommer
und Sommer sowie Beifuss im Spätsommer. Diese Pflanzen sind für über 90
Prozent der Allergien verantwortlich. Die meisten Betroffenen reagieren
nicht nur auf eine Pollenart, sondern auch auf solche von verwandten
Pflanzen.

Wann die Pollen fliegen

Messungen von Januar bis September, 2001-2020. Von Oktober bis Dezember ist die
Pollenfalle ausser Betrieb.
Heuschnupfen und Corona gleichzeitig: Was Pollenallergiker jetzt wissen müssen
Im Tessin, wo es wärmer ist, fliegen die Pollen meist etwas früher als auf
der Alpennordseite. Dieses Jahr blühte die Hasel in Locarno und Lugano
schon um den 11. Januar. Im Mittelland war dies vielerorts erst Anfang
Februar der Fall, wie die Pollenmessungen des Allergiezentrums Schweiz
zeigen. Dieser Saisonstart liege etwa im Mittel, sagt Regula Gehrig,
Phänologin bei Meteo Schweiz. «Wegen des warmen und trockenen Wetters
im Februar gab es aber aussergewöhnlich viele Tage mit starker
Haselpollenbelastung.»

Die erste wirklich heftige Phase der Heuschnupfen-Saison steht unmittelbar
bevor: Birkenpollen sorgen neben Gräsern am häufigsten für starke
Heuschnupfen und Corona gleichzeitig: Was Pollenallergiker jetzt wissen müssen
allergische Reaktionen. Je nach Standort beginnen sie Ende März oder
Anfang April durch die Luft zu fliegen. Ein genaues Datum zu bestimmen,
ist schwierig, weil der Pollenflug vom Wetter abhängig ist und sich auch von
Jahr zu Jahr ändert. «Bäume haben teilweise einen Zweijahres-Rhythmus»,
erklärt Gehrig, «es ist gut möglich, dass diese Saison schwächer ausfällt als
die letzte, die sehr stark war.»

Beeinflusst der Pollenflug die Corona-Verbreitung?
Ja, bei einer hohen Pollenkonzentration in der Luft steigt die Gefahr einer
Ansteckung mit Sars-CoV-2. Das hat kürzlich ein internationales Team
unter Leitung der Technischen Universität München herausgefunden. Die
154 Forschenden analysierten für die breit angelegte Studie im letzten
Frühjahr Daten von 130 Messstationen in 31 Ländern auf fünf
verschiedenen Kontinenten. Dort, wo der Pollenflug stark war, stiegen auch
die Infektionszahlen.

Je höher die Pollenkonzentration, desto mehr Corona-
Infektionen

                                                                   Die
Heuschnupfen und Corona gleichzeitig: Was Pollenallergiker jetzt wissen müssen
Forscher berücksichtigten auch demografische Faktoren und
Umweltbedingungen, darunter Temperatur, Luftfeuchtigkeit,
Bevölkerungsdichte und die Wirkung von Lockdowns. In untersuchten
Gebieten mit Lockdown-Regeln halbierte sich die Zahl der Corona-
Ansteckungen im Schnitt bei vergleichbarer Pollenkonzentration in der
Luft. Die täglichen Infektionsraten korrelierten aber überall mit der
Pollenzahl.

Die Erklärung laut den Forschern: Wenn Pollen fliegen, reagiert die
Körperabwehr in abgeschwächter Form auf Viren der Atemwege. Der
Körper produziert dann weniger sogenannter Interferone, Proteine mit
antiviraler Wirkung. Das beeinflusst auch die Entzündungsreaktion und
kann das Risiko von Atemwegserkrankungen erhöhen – unabhängig davon,
ob Betroffene an Allergien gegenüber diesen Pollen leiden oder nicht.

Wie unterscheidet man Heuschnupfen und Corona?
Die Symptome von Covid-19 und einer Pollenallergie ähneln sich teilweise.
«Müdigkeit und ein allgemeines Unwohlsein können bei beiden auftreten
und sind kein eindeutiges Anzeichen», sagt Sereina de Zordo vom
Allergiezentrum Schweiz. Auch Schnupfen könne in beiden Fällen
vorkommen, sei aber häufiger eine allergische Reaktion. Durch die laufende
oder verstopfte Nase ist es auch möglich, dass man schlechter riecht. Ein
plötzlicher Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns deutet jedoch klar
auf Covid-19 hin.

Bei einer Corona-Infektion ist zudem die Temperatur häufig erhöht. Eine
Pollenallergie verursacht hingegen kein Fieber, auch wenn der
Heuschnupfen auf Englisch «hay fever» heisst. Betroffene fühlen sich nicht
wirklich krank. «Ein klassisches Symptom einer Pollenallergie ist dafür der
Juckreiz im Gaumen, in den Ohren und der Nase», sagt de Zordo. «Es
treten auch häufig Niesattacken auf. Die Augen sind gerötet und beissen.
Das alles ist untypisch für Covid-19.»
Pollenallergie oder Covid-19?

Diese Übersicht kann helfen, Symptome von Heuschnupfen und einer Corona-Infektion
zu unterscheiden.
Wichtig ist die Unterscheidung zwischen gewöhnlichem Heuschnupfen und
allergischem Asthma. Dieses kann sich bei ungefähr einem Drittel der
Betroffenen entwickeln, wenn die Pollenallergie nicht richtig behandelt
wird. Dann weiten sich die Beschwerden von den oberen (Nasen-Rachen-
Raum) auf die unteren Atemwege (Bronchien, Lungen) aus: ein
sogenannter Etagenwechsel. Es kommt zu Hustenanfällen, einem
Engegefühl in der Brust oder sogar zu Atemnot, wie sie auch bei Covid-19
häufig auftritt.

Permanenter, trockener Reizhusten trete eigentlich nur bei allergischem
Asthma auf, sagt de Zordo, auch wenn manche Heuschnupfen-Geplagte
wegen des Kratzens im Hals ab und zu husten müssten. Im Unterschied zu
Covid-19 seien die Symptome nicht anhaltend, sondern würden eher in
Schüben kommen. «Wer aber unsicher ist, soll sich besser testen lassen und
eine Ärztin oder einen Arzt konsultieren.»

Gehören Allergiker zur Corona-Risikogruppe?
Wer Heuschnupfen oder saisonales Asthma hat, der gehört laut dem
Bundesamt für Gesundheit (BAG) nicht zur Risikogruppe. Sereina de Zordo
vom Allergiezentrum Schweiz teilt diese Einschätzung, weist aber auf
schweres Asthma als Ausnahme hin. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung
ist davon betroffen: Schätzungsweise 6000 Menschen leiden das ganze Jahr
unter schwerem Asthma.

Sie zählen laut dem BAG zur Risikogruppe, genauso wie ältere Menschen
(weil die Gefahr für einen schweren Verlauf mit zunehmendem Alter steigt),
schwangere Frauen und Erwachsene mit einer der folgenden
Vorerkrankung:

  •   Bluthochdruck
  •   Diabetes
  •   Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  •   Erkrankungen und Therapien, die das Immunsystem schwächen
  •   Krebs
  •   Schweres Übergewicht (Adipositas dritten Grades, BMI über 40)
  •   Leberzirrhose
•   Chronische Nierenerkrankung
   •   Chronische Lungen- und Atemwegserkrankungen (z.B. schweres
       Asthma)

Personen mit allergischem Asthma oder einfach gewöhnlichem
Heuschnupfen sind nicht besonders gefährdet. Gemäss
dem Allergiezentrum ist kein Zusammenhang bekannt zwischen einer
bestehenden Allergie und dem Auftreten oder Schweregrad einer Covid-
Erkrankung. Zudem gibt es derzeit keine Hinweise, dass die Einnahme von
Medikamenten gegen Allergien und Asthma (Antihistaminika,
Kortisonpräparate) das Risiko erhöht.

Schützen Masken auch vor Pollen?
Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor einem Jahr gehören Masken
zum Alltag in der Schweiz. Sie schützen vor Sars-CoV-2, Grippeviren – aber
auch vor Pollen. Das bestätigte kürzlich Arthur Helbling, Leiter der
Allergologisch-Immunologischen Poliklinik am Inselspital Bern, gegenüber
dem Allergiezentrum: «Masken sind selbst für die kleinsten Pollen nicht
durchlässig.»

Pollenkörner sind zwar nach Form und Oberflächenstruktur sehr
vielgestaltig, aber in der Regel zwischen 10 und 100 Mikrometer gross und
können so die Textilschichten von Masken nicht durchdringen. Die
medizinische oder chirurgische Maske, die man auf der Strasse oft sieht
(meist hellblau), filtert Partikel ab einem Durchmesser von 3 Mikrometern.
Geprüfte Textilmasken, welche die Anforderungen der Schweizer Covid-
Taskforce erfüllen, halten Partikel bis zu 1 Mikrometer ab und
Atemschutzmasken sogar solche mit einem Durchmesser von 0,3
Mikrometern.

Masken filtern viel kleinere Partikel als Pollen

Durchmesser der gefilterten Partikel in Mikrometern (μm) im Vergleich
Alle geprüften Masken fangen also Blütenpollen ab. «Diese erreichen die
Schleimhäute nicht mehr. In den meisten Fällen werden dadurch
Symptome wie eine laufende Nase, Juckreiz im Mund oder Niesen deutlich
gemildert», sagt Helbling. «Masken zu tragen, kann das Virus und die
Pollen gleichermassen von den Atemwegen fernhalten», bestätigt auch
Claudia Traidl-Hoffmann, Professorin für Umweltmedizin an
der Technischen Universität München.

Keine Hilfe sind Masken natürlich gegen juckende oder gerötete Augen.
Hier helfen nur Tropfen zur Linderung. Auch das Niesen kann zum Problem
werden. Denn wenn eine Maske feucht wird, bietet sie kaum mehr Schutz,
weder vor Pollen noch vor Viren. Wer trotz Maske häufig niesen muss,
sollte diese regelmässig wechseln, wenn nötig mehrmals am Tag.

Ist die Covid-Impfung für Allergiker unbedenklich?
Ja, die Impfung ist laut dem Allergiezentrum bei fast allen Allergien
problemlos möglich – auch bei Heuschnupfen und saisonalem Asthma.
Eine vorgängige Abklärung brauchen Personen, die mal mit schweren
allergischen Symptomen, zum Beispiel einem Kollaps, auf einen
unbekannten Auslöser reagiert haben. Ebenfalls Vorsicht geboten ist bei
chronischem Nesselfieber, einer Mastozytose, einem
Mastzellaktivierungssyndrom oder wenn die Serum-Werte des Botenstoffs
Tryptase erhöht sind. Betroffene dieser seltenen Erkrankungen wissen aber
in den meisten Fällen darüber Bescheid.

Wie bei allen Medikamenten und Impfungen, beispielsweise gegen die
Grippe, können auch bei den Covid-Impfungen Nebenwirkungen auftreten,
wie die Arzneimittelbehörde Swissmedic schreibt: beispielsweise
Schmerzen an der Injektionsstelle, Kopf- und Muskelschmerzen oder
Schüttelfrost. In ganz seltenen Fällen ist es mit den beiden Vakzinen, die
auch in der Schweiz zum Einsatz kommen, bisher zu einer anaphylaktischen
beziehungsweise starken allergischen Reaktion gekommen: Bei
Pfizer/Biontech gab es 1,1 solche Fälle pro 100'000 Impfungen, bei
Moderna 0,25 Fälle pro 100'000.

   «Heuschnupfen und Asthma stellen
  kein Hindernis für die Impfung dar.»
Arzneimittelbehörde Swissmedic

Sollten auch in der Schweiz solche Einzelfälle auftreten, wären die
Impfzentren dafür gut gerüstet: Adrenalin, Antihistaminika, Kortison und
Sprays gegen Atemnot gehören zur Grundausrüstung. Zudem steht jede
Person nach der Injektion während 15 Minuten unter Beobachtung, um
schwere allergische Reaktionen, die praktisch immer sofort auftreten, gut
behandeln zu können.

Um Komplikationen zu verhindern, dürfen sich Personen mit einer
bekannten Allergie auf einen Bestandteil eines Covid-Vakzins nicht impfen
lassen. Heuschnupfen und Asthma würden aber keine Kontraindikation für
die Impfung darstellen, macht Swissmedic ebenfalls deutlich.
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