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Beeinflussung der Schilddrüsenfunktion durch Medikamente Wolf P, Winhofer Y, Krebs M Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel - Austrian Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism 2014; 7 (2), 58-63 Homepage: www.kup.at/klinendokrinologie Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche Austrian Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism Metabolism
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Schilddrüse und Medikamente Beeinflussung der Schilddrüsenfunktion durch Medikamente P. Wolf, Y. Winhofer, M. Krebs Kurzfassung: Die Funktion der Schilddrüse un- Neben Lithium wird auch auf die Wechselwir- interference, some of them with relevant conse- terliegt einem strengen Regelkreis, der zahlrei- kung anderer Psychopharmaka eingegangen so- quences for the patients. che Angriffspunkte für unerwünschte Wechsel- wie der Einfluss von Wirkstoffklassen wie Gal- Whereas the effects of amiodarone or lithium wirkungen mit verschiedenen Medikamenten und lensäurebinder, Antazida und Phosphatbinder auf have been recognized for a long time, novel treat- Wirkstoffklassen bietet, teilweise mit klinisch re- die Resorption von Levothyroxin bei bestehender ment strategies including tyrosine kinase inhibi- levanten Folgen. In dieser Übersichtsarbeit sollen Schilddrüsenhormonsubstitutionstherapie näher tors or monoclonal autoantibodies have recently daher einerseits die häufigsten Medikamenten- beschrieben. been reported to interfere with thyroid function. wirkungen auf die Schilddrüsenfunktion beschrie- Das Ziel dieser Arbeit ist es daher, einen für Besides lithium, side effects of other psycho- ben sowie andererseits auch auf die Folgen ei- den praktisch tätigen Arzt tauglichen Überblick tropic drugs will be discussed, as well as poten- ner gestörten Resorption bei bereits bestehender über Medikamentenwirkungen auf die Schilddrü- tially malabsorptive effects induced by bile acid Schilddrüsenhormonsubstitutionstherapie hinge- se zu schaffen. sequestrants, antacids, and phosphate binders. wiesen werden. This review aims to provide an overview of Während diese Wechselwirkungen beispiels- Schlüsselwörter: Schilddrüse, amiodaronindu- several drugs reported in the literature to inter- weise für Amiodaron oder Lithium schon lan- zierte Hypothyreose, amiodaroninduzierte Thy- fere with thyroid function. J Klin Endokrinol ge bekannt sind, kommt es vor allem durch die reotoxikose, Thyroxinresorption, Lithium, Medi- Stoffw 2014; 7 (2): 58–63. Entwicklung neuer immunmodulierender Wirk- kamentennebenwirkungen stoffklassen, wie Tyrosinkinaseinhibitoren und Key words: thyroid, interfering drugs, levothyro- monoklonaler Autoantikörper, zu gehäuften Beob- Abstract: Drugs Interfering with Thyroid xine absorption, amiodarone-induced hypothyroi- achtungen von Schilddrüsenfunktionsbeeinträch- Function. The complex regulation of thyroid dism, amiodarone-induced thyreotoxicose, immu- tigungen. function offers many ways for pharmacological ne modulators, lithium Einleitung Amiodaron Die Funktion der Schilddrüse sowie ihrer hypothalamo-hypo- Amiodaron, ein Klasse-III-Antiarrhythmikum, ist ein häu- physär-peripheren Hormonachse obliegt einem strengen Re- fig eingesetztes Medikament zur Behandlung verschiedener gelkreis, der maßgeblich durch die autoregulatorische Wir- Herzrhythmusstörungen. Bei 15–20 % der Patienten entwi- kung der „freien“, nicht an ein Transportprotein gebundenen ckeln sich jedoch als Folge der Behandlung Funktionsstörun- Schilddrüsenhormone L-Thyroxin (T4) und Trijodthyronin gen der Schilddrüse [2]. Die Angriffspunkte einer möglichen (T3) kontrolliert wird. Im Rahmen des mehrstufigen Synthe- Beeinträchtigung der Schilddrüsenfunktion sind vielfältig, seprozesses gibt es zahlreiche Angriffspunkte für Medikamen- wobei es sowohl zu einer amiodaroninduzierten Hypothyreose te auf die Schilddrüsenfunktion [1]. Während diese beispiels- (AIH) als auch zu einer amiodaroninduzierten Hyperthyreose weise von Thyreostatika gezielt als Therapieansatz genutzt (AIT) kommen kann [3, 4]. werden, führen auch unbeabsichtigte unspezifische Neben- wirkungen anderer Pharmaka zu klinisch relevanten Schild- Die AIH wird mit einer Häufigkeit von 5–15 % etwas öfter drüsenfunktionsveränderungen, auf welche im folgenden Bei- beobachtet. Die Ursachen sind multifaktoriell. Ein häufig be- trag näher eingegangen werden soll. obachteter leichter Anstieg der TSH-Konzentration kurzzei- tig nach Therapiebeginn lässt sich durch die strukturelle Ähn- In dieser Übersichtsarbeit sollen daher einerseits klinisch re- lichkeit von Amiodaron zu den Hormonen der Schilddrüse er- levante Medikamentennebenwirkungen auf die Schilddrüsen- klären, was einen antagonistischen Effekt am Schilddrüsen- funktion beschrieben werden sowie andererseits auch auf die hormonrezeptor auslöst. Dieser wird zusätzlich durch die Folgen möglicher Wechselwirkungen und Interaktionen ver- Abschwächung der Typ-I 5’-Dejodinase-Aktivität mit in der schiedener Medikamente bei bereits bestehender Schilddrü- Folge gehemmter Umwandlung von T4 zu T3 und damit er- senhormonsubstitutionstherapie hingewiesen werden. niedrigten Konzentrationen von T3 bei Konzentrationsanstie- gen von T4 und reversem T3 verstärkt [5]. Diese zu erwarten- den Veränderungen der Schilddrüsenfunktionsparameter zu Therapiebeginn bedürfen in der Regel keiner Behandlung und sind klinisch nicht relevant [4]. Eingelangt am 2. Jänner 2014; angenommen am 12. Jänner 2014; Pre-Publishing Online am 29. Jänner 2014 Einer therapiebedürftigen AIH liegt wahrscheinlich eine Be- Aus der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Universitätsklinik einträchtigung der Überbrückung des durch die hohe Jodbe- für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien lastung ausgelösten Wolff-Chaikoff-Effekts zugrunde, die Korrespondenzadresse: Ao. Univ.-Prof. Dr. med. Michael Krebs, Klinische Abtei- lung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Universitätsklinik für Innere Medizin III, vor allem bei Frauen in jodreichen Gebieten mit vorhande- Medizinische Universität Wien, A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18–20; nen Schilddrüsenautoantikörpern auftritt. Jede 200-mg-Ta- E-Mail: michael.krebs@meduniwien.ac.at blette Amiodaron enthält 74,4 g Jodid, wovon ungefähr 10 % 58 J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2014; 7 (2) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Schilddrüse und Medikamente pro Tag freigesetzt und verstoffwechselt werden. Bei einem Tabelle 1: Pathogenese, Diagnose und Therapie der amio- täglich nötigen Jodbedarf von 150 µg überschreitet die auf- daroninduzierten Thyreotoxikose Typ 1 und 2. genommene Dosis somit den vorgeschlagenen Bedarf um die 30–100-fache Menge. Was außerdem eine Abschätzung der AIT 1 AIT 2 möglichen Auswirkungen von Amiodaron auf die Schilddrüse Pathogenese Gesteigerte Hor- Gesteigerte Hor- selbst nach Absetzen schwierig macht, ist die durch die Lipo- monsynthese auf- monfreisetzung grund hoher Jod- aufgrund destrukti- philie des Medikaments und das dadurch große Verteilungs- belastung ver Effekte volumen sehr lange Halbwertszeit von 40–60 Tagen [2, 4]. Vorbestehende Ja Nein Pathologie Eine manifeste oder schwerere latente AIH (TSH > 10 mU/l) sollte mit Levothyroxin behandelt werden, wobei aufgrund Ultraschall Knotige Verände- Meistens unauf- der antagonistischen Effekte von Amiodaron auf den Schild- rungen fällig drüsenhormonstoffwechsel meistens eine höhere Dosis zur Vaskularisierung Gesteigert Normal Normalisierung der TSH-Werte notwendig ist. Vonseiten der Therapie Thiamazol Glukokortikoide Schilddrüse besteht somit kein Grund zur Beendigung der Amiodaron-Behandlung. Falls ein Absetzen von Amioda- ron aus kardiologischer Sicht indiziert ist, lässt sich 3–4 Mo- te führt und daher nicht generell empfohlen werden kann [11]. nate nach Therapieende in mehr als der Hälfte der Patienten Vor allem bei initial hohen Konzentrationen von freiem T4 eine spontane Remission der Schilddrüsenfunktion beobach- und einem großen Schilddrüsenvolumen bleiben 15–20 % der ten. Vor allem bei Patienten mit bereits vor Therapiebeginn Patienten selbst 3 Monate nach Beginn der Glukokortikoid- bestimmbaren Schilddrüsenantikörpern kann eine permanente therapie hyperthyreot [12]. Bei diesen therapieresistenten For- Levothyroxin-Substitution nötig sein [6]. men der AIT sowie bei akuter Verschlechterung der kardia- len Grunderkrankung steht als Ultima Ratio die Thyroidekto- Die AIT wird mit 2–12 % etwas seltener beobachtet, wobei mie zur Verfügung [13]. Falls eine Differenzierung zwischen Männer in jodarmen Gebieten häufiger betroffen sind. Die Typ-1- und Typ-2-AIT nicht möglich ist, wird in der Praxis AIT entwickelt sich in der Regel einige Monate nach Beginn auch eine Kombinationstherapie aus Thyreostatikum und Glu- der Therapie, wobei es durch die lange Halbwertszeit selbst kokortikoid gewählt. mehrere Monate nach dem Absetzen von Amiodaron zu ei- ner AIT kommen kann [7]. Prinzipiell können 2 Formen der AIT unterschieden werden (Tab. 1). Als Ursache der Schild- Psychopharmaka drüsenüberfunktion bei der Typ-1-AIT wird die hohe Jodbe- lastung bei bereits vorbestehender Schilddrüsenerkrankung Der Zusammenhang zwischen Schilddrüse und psychiatri- (meist latente Autonomie) angenommen, während die Typ- schen Erkrankungen ist deshalb so bedeutend, da zwischen ei- 2-AIT durch direkte destruktive Effekte von Amiodaron aus- ner gestörten Schilddrüsenfunktion und einer beeinträchtigten gelöst wird [4]. Bei Auftreten der Erkrankung früh nach Be- geistigen Gesundheit ein Zusammenhang bestehen kann. So ginn der Amiodaron-Behandlung, veränderter Schilddrüsen- kann sowohl die Hypo- als auch die Hyperthyreose mit psy- morphologie (Knoten), erhöhter Technetium-Speicherung (in chiatrischen Symptomen wie Depression, Gereiztheit, Ängst- einem Knoten) in der Szintigraphie, sowie einer durch Farb- lichkeit und sogar Psychosen einhergehen. Psychiatrische Dopplersonographie festgestellten gesteigerten Vaskularisie- Krankheitsbilder können ihrerseits wiederum durch eine ge- rung ist von einer Typ-1-AIT auszugehen [6, 8]. In der Pra- störte Schilddrüsenfunktion verstärkt werden. xis ist eine sichere Diagnosestellung allerdings nicht immer möglich, da die durch Amiodaron bedingten hohen Joddosen Auch im Rahmen der medikamentösen Therapie einer psychia- die Radionuklidaufnahme und in der Folge die Interpretation trischen Erkrankung kann es zu Veränderungen der Schilddrü- der Szintigraphie erschweren. Das zusätzliche Auftreten von senfunktion kommen, was sich wiederum rückwirkend auch Mischformen erschwert eine genaue Differenzierung [4, 6]. auf den Schweregrad neuropsychiatrischer Symptome auswir- ken kann [14]. Die Therapie der Typ-1-AIT beruht auf einer Hemmung der exzessiven Schilddrüsenhormonsynthese durch Thyreostatika. Lithium Aufgrund der hohen Jodsättigung der Schilddrüse ist die Wir- Am besten beschrieben wurde der Zusammenhang zwischen kung oft abgeschwächt, was eine höhere Dosis (z. B. 40–60 einer Therapie mit Psychopharmaka und einer darauffolgen- mg Thiamazol) oder eine Kombination mit Natriumperchlorat den Störung der Schilddrüsenhormonregulation für Lithium, nötig macht [6, 9]. Da aufgrund der vorbestehenden Schild- das sich schon seit Jahren für die Behandlung einer bipola- drüsenerkrankung (meist funktionelle Autonomie) nicht mit ren Störung als eine der wirksamsten Therapieoptionen erwie- einer spontanen Heilung gerechnet werden kann, sollte eine sen hat. definitive Sanierung geplant werden. Dafür kommt eine Ope- ration oder – falls aus kardiologischer Sicht vertretbar – eine In bis zu 20 % der Patienten entwickelt sich unter Lithium- Radiojodtherapie nach längerem Absetzen von Amiodaron in- Therapie allerdings eine manifeste Hypothyreose [15]. Lithi- frage. Die Therapie der Wahl der Typ-2-AIT sind Glukokorti- um wird aktiv in die Schilddrüsenfollikelzellen transportiert koide (z. B. 25–50 mg Prednisolon) [6, 10–12], wobei eine aus und erreicht dort das 3–4-Fache der Plasmakonzentration. kardiologischer Sicht meistens nicht sinnvolle Beendigung der Weiters ist die Freisetzung von Jod aus der Schilddrüse einge- Amiodaron-Therapie nicht zu einer verbesserten Heilungsra- schränkt, was zu einer Jodüberladung mit Folgen ähnlich dem J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2014; 7 (2) 59
Schilddrüse und Medikamente Wolff-Chaikoff-Effekt führen könnte [4]. Auch direkt inhibi- Konzentration gleich bleibt. In der Literatur werden sowohl torische Effekte von Lithium auf die Schilddrüsenhormonfrei- erhöhte als auch verminderte Konzentrationen an T4, T3, fT3 setzung in euthyreoten und hyperthyreoten Patienten wurden und fT4 erwähnt, ohne jedoch tatsächlich eine klinische Aus- beschrieben [16]. wirkung auf die Schilddrüsenfunktion zu haben [19]. Die durchaus potente hemmende Wirkung von Lithium auf Zusammenfassend werden sowohl unter antidepressiver als den Schilddrüsenhormonstoffwechsel wurde sogar in klini- auch unter antipsychotischer Therapie regelmäßig Verände- schen Studien zur Behandlung einer Thyreotoxikose getestet, rungen der Schilddrüsenfunktionsparameter beobachtet, wo- wobei im Vergleich zu Thiamazol keine bessere Wirksamkeit bei die Kenntnis über eine laufende Einnahme dieser Medi- festgestellt werden konnte [17, 18]. kamente für die richtige Interpretation der Laborbefunde un- erlässlich ist. Vorsicht und regelmäßige endokrinologische Auch einige Fälle von neu auftretender Schilddrüsenüber- Kontrollen scheinen nur bei bereits vorbestehender oder bei funktion im Zusammenhang mit Lithium-Therapie wurden bekannter Neigung zu Schilddrüsenfunktionsstörungen nötig beschrieben [15], der ursächliche Mechanismus ist jedoch un- zu sein [19]. klar. Sowohl die Verstärkung der Symptome eines vor The- rapiebeginn bestehenden latenten Morbus Basedow als auch eine destruktive Schilddrüsenentzündung wurden als mögli- Antineoplastische Medikamente/ che Ursachen genannt [4]. Letztere scheint allerdings die weit- Immunmodulatoren aus wahrscheinlichere Grundlage einer – seltenen – Schild- drüsenüberfunktion bei Lithium-Therapie zu sein [15]. Tyrosinkinasehemmer Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) haben sich als vielverspre- Die Therapie einer durch Lithium induzierten Hypothyreo- chende Chemotherapieoption bei verschiedenen Arten von se unterscheidet sich nicht von der einer primären Schilddrü- Malignomen erwiesen. Eine Beeinträchtigung der Schilddrü- senunterfunktion. Aufgrund der Gefahr einer Verstärkung der senfunktion erfolgt sowohl bei primär euthyreoten Patien- depressiven Symptome der bipolaren Störung wird allerdings ten, bei denen vor allem die TKIs Imatinib und Sunatinib mit bereits bei latenter Hypothyreose eine L-Thyroxin-Substituti- gehäuftem Auftreten einer Hypothyreose assoziiert sind, als on angeraten. Ein Absetzen der Lithium-Therapie ist aus en- auch bei Patienten mit bestehender Schilddrüsenhormonsub- dokrinologischer Sicht in der Regel nicht nötig [4]. stitution, bei denen in der Regel eine Erhöhung (Verdoppe- lung) der L-Thyroxin-Dosis erforderlich ist. Atypische Neuroleptika Atypische Neuroleptika können sowohl zentral über eine Während die Notwendigkeit der Dosisanpassung vermutlich Dopaminrezeptorblockade als auch über periphere Mecha- aufgrund des verstärkten T4-Abbaus in der Leber verursacht nismen, wie eine Beeinträchtigung des Abbaus in der Leber ist, sind die Auslöser der Schilddrüsenunterfunktion bei pri- oder der Dejodinaseaktivität, interferieren. Das wurde beson- mär euthyreoten Patienten noch nicht vollständig geklärt [4]. ders bei den Wirkstoffen Quetiapin und Clozapin beobachtet. So zeigte sich in klinischen Studien 6 Wochen nach Thera- In Fallberichten wurde beobachtet, dass die Hypothyreo- piebeginn mit Quetiapin bei Schizophrenie ein signifikanter se unter Sunitinib-Therapie mit einer verminderten Vasku- Abfall der T4-Konzentration, während es unter Therapie mit larisierung und einem dadurch reduzierten Blutfluss in der Clozapin zu einer verminderten TRH-induzierten TSH-Sekre- Schilddrüse einhergeht [22]. Als Erklärung könnte die direk- tion kommt. Die Wechselwirkungen bei beiden Wirkstoffen te Hemmung zentraler Signalwege der Angiogenese dienen. sind allerdings als mild einzustufen, sodass es meist nicht zu Speziell Sunitinib hemmt die die Vaskularisation fördernden klinisch relevanten Auswirkungen auf die Schilddrüsenfunk- Rezeptoren vascular endothelial growth factor receptor 1 & 2 tion kommt [19, 20]. (VEGFR 1 & 2), sowie den platelet-derived growth factor re- ceptor (PDGFR) wesentlich stärker als andere TKIs. Die da- Carbamazepin durch reduzierte Gefäßneubildung vermindert den Blutfluss Bei Therapie mit dem Antiepileptikum Carbamazepin wurde und führt zu einer Ischämie der Schilddrüse, was wiederum eine Abnahme der peripheren Schilddrüsenhormonkonzentra- zur Apoptose und einer destruktiven Schilddrüsenentzündung tion beobachtet. Als Ursache wird eine durch Carbamazepin führt, selten mit den anfänglichen Zeichen der destruktiven verstärkte Cytochrom-P450-Induktion und ein infolgedessen Hyperthyreose, gefolgt von einer Schilddrüsenunterfunktion gesteigerter Abbau von T3 und T4 in der Leber angenommen und Atrophie [23]. [19]. Während dieser Effekt bei primär euthyreoten Patienten kompensiert werden kann, scheint dies bei Patienten mit be- Obwohl bis jetzt, wie bereits erwähnt, nicht bei allen TKIs reits gestörter Schilddrüsenfunktion nur abgeschwächt mög- Schilddrüsenfunktionsstörungen beschrieben wurden, ist eine lich zu sein, was teilweise eine Erhöhung der substituierten engmaschige Kontrolle der Schilddrüsenfunktionsparameter L- Thyroxin-Dosis notwendig macht [21]. bei allen Patienten zu empfehlen. Bei Auftreten einer Hypo- thyreose im Rahmen der TKI-Therapie ist eine Substitution Antidepressiva mit Levothyroxin ausreichend [4]. Auch bei Einnahme antidepressiver Medikamente werden Veränderungen der Schilddrüsenfunktionsparameter beobach- Interferon- tet. Diese sind jedoch unspezifisch und betreffen in der Regel Die therapeutische Anwendung von Interferon-alpha nur die peripheren Schilddrüsenhormone, während die TSH- (INF-) hat sich wegen der antiviralen, immunmodulatori- 60 J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2014; 7 (2)
Schilddrüse und Medikamente schen, antiangiogenen und antiprolife- Tabelle 2: Auswirkungen von Interferon-Alpha auf die Schilddrüsenfunktion. rativen Eigenschaften bei zahlreichen Mod. nach [25]. malignen wie auch nichtmalignen Er- krankungen etabliert. Am häufigsten Pathogenese Klinik wird INF- zur Behandlung von aku- Autoimmune Genese Zytotoxische T-Zellen Morbus Basedow ter und chronischer Hepatitis C einge- MHC1-Antigenexpression Hashimoto-Thyroiditis setzt. Bereits seit Mitte der 1980er-Jah- auf Thyreozyten Schilddrüsen-Antikörper Lymphozyten, Makrophagen, ohne Klinik re wurde ein gehäuftes Auftreten von NK-Zellen, Monozyten Schilddrüsenfunktionsstörungen unter IL-6-Aktivität INF--Therapie beschrieben und un- Regulatorische T-Zellen tersucht [24]. Nichtautoimmune Genese Jodisation Destruktive Thyroiditis T4-Freisetzung Hypothyreose Bei bis zu 40 % der Patienten mit He- Genexpression von TG, TPO und Na-Iodid-Symporter patitis C kommt es unter Therapie mit INF- zur Bildung von Schilddrüsen- autoantikörpern, bei bis zu 15 % werden klinisch relevante Anti-Cytotoxic-T-Lymphocyte-Antigen-4-Recep- Schilddrüsenfunktionsstörungen beobachtet, die wiederum tor-Antikörper je nach Pathogenese und Vorhandensein von Autoantikör- Während die Aktivierung des Immunsystems und die immun- pern auf eine autoimmune oder nicht autoimmune Ursache modulatorische Wirkung von INF- relativ unselektiv sind, zurückgeführt werden können [25]. Die verschiedenen For- zielen neuere Wirkstoffklassen, wie zum Beispiel die An- men der durch INF- induzierten Schilddrüsenfunktionsstö- ti-Cytotoxic-T-Lymphocyte-Antigen-4-Receptor-Antikörper rungen und möglichen Mechanismen sind in Tabelle 2 auf- (CTLA4-AK; Ipilimumab, Tremelimumab), auf spezifische gelistet. immunologische Zwischenschritte, um die körpereigene Tu- morabwehr zu verstärken [27]. Diese Induktion von Autoim- Generell sollte vor Beginn einer Therapie mit INF- der munität ist allerdings auch von unerwünschten endokrinen TSH-Wert bestimmt werden, um bereits vorab keine Schild- Nebenwirkungen begleitet, wie einer Hypophysitis oder – et- drüsenfunktionsstörung zu übersehen, deren Symptome was seltener – auch von Schilddrüsenfunktionsstörungen. möglicherweise durch die der Hepatitis C überlagert wer- den könnten. Weiters sollten Schilddrüsenautoantikörper be- Die Häufigkeit des Auftretens einer Hypophysitis variiert in stimmt werden [25]. Bei Vorhandensein von Antikörpern Studien von 0–17 % und scheint vor allem dosisabhängig zu bereits vor Therapiebeginn ist das Risiko für eine Schild- sein. Die gleichzeitige Behandlung mit CTLA4-AK und zyto- drüsenfunktionsstörung um ein Vielfaches erhöht [26]. Die toxischer Chemotherapie sowie mit CTLA4-AK und Radio- TSH-Konzentration sollte im Therapieverlauf alle 3 Monate therapie scheint das Auftreten einer Hypophysitis zu verhin- bzw. bei bestimmbaren Autoantikörpern alle 2 Monate kon- dern. Durch die Entzündung kommt es zu einer in der Mag- trolliert werden [25]. netresonanztomographie sichtbaren Vergrößerung der Hy- pophyse von 60–100 % mit variablen Veränderungen der Während sich eine im Rahmen der Therapie mit INF- neu Konzentrationen von ACTH, TSH, GH, Prolaktin, LH und aufgetretene Hypothyreose mit Levothyroxin-Supplemen- FSH. tierung relativ einfach und meist gut behandeln lässt, gibt es für die INF--induzierte Hyperthyreose bei Patienten mit Le- Bereits wenige Tage nach Absetzen der CTLA4-AK und dem bererkrankungen keine optimale medikamentöse Therapieop- Beginn einer Glukokortikoidtherapie sowie gegebenenfalls tion. Betablocker können zur symptomatischen Behandlung zusätzlich L-Thyroxin und Geschlechtshormonsupplementie- eingesetzt werden. Mittels Schilddrüsenszintigraphie sollte rung bessern sich bei den meisten Patienten die Symptome zwischen einer Destruktionshyperthyreose (verminderte Tra- deutlich. Allerdings kommt es bei < 50 % der Patienten zu ei- cerspeicherung in der Schilddrüse im Rahmen einer INF-in- ner vollständigen Ausheilung der Hypophysenfunktion mit le- duzierten Thyroiditis) und einer Produktionshyperthyreose benslangem Bedarf an Supplementierung mit Hydrokortison (gesteigerte Speicherung bei INF-induziertem M. Basedow) [28]. unterschieden werden. Schilddrüsenfunktionsstörungen wurden mit 0–4 % selte- Während eine Destruktionshyperthyreose bei Thyroiditis ner beobachtet, wobei hauptsächlich von Hypothyreose und generell selbstlimitierend verläuft und in eine Hypothyre- transienter Hyperthyreose berichtet wird. Die meisten der be- ose übergehen kann, sollte bei M. Basedow und bestehen- schriebenen Fälle waren subklinisch. Bei manifester Hypothy- der Lebererkrankung eine definitive Therapie der Schilddrü- reose ist eine Behandlung mit L-Thyroxin notwendig [28]. senüberfunktion mittels Radioiodtherapie oder einer Thy- reoidektomie in Betracht gezogen werden, da aufgrund der Alemtuzumab potenziell leberschädigenden Wirkung Thyreostatika mög- Der monoklonale Autoantikörper Alemtuzumab, beispielswei- lichst kurz und niedrig dosiert verschrieben werden sollen se bei der Behandlung von multipler Sklerose eingesetzt, wur- [4]. Die hohe Rezidivwahrscheinlichkeit während eines neu- de wiederum mit einem gehäuften Auftreten von Morbus Ba- en INF--Therapiezyklus sowie die niedrige Remissionsra- sedow in Verbindung gebracht. Der zugrunde liegende Me- te nach Beendigung der INF--Therapie unterstützen diese chanismus ist allerdings unklar, vor allem da der Einsatz von Vorgangsweise [25]. Alemtuzumab bei anderen Krankheitsbildern, wie rheumati- J KLIN ENDOKRINOL STOFFW 2014; 7 (2) 61
Schilddrüse und Medikamente scher Arthritis oder chronisch lymphatischer Leukämie, kein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Morbus Basedow Relevanz für die Praxis zeigte [4]. Veränderungen von Schilddrüsenfunktionsparametern aufgrund von Wechselwirkungen mit verschiedenen Me- Gestörte Levothyroxinresorption dikamenten und Wirkstoffklassen stellen im klinischen Alltag ein häufig zu beobachtendes Phänomen dar. Eine Die Resorption von L-Thyroxin ist am besten bei Einnahme ausführliche Medikamentenanamnese ist folglich bei ei- 60 Minuten vor dem Frühstück auf nüchternen Magen bzw. ner neu aufgetretenen Schilddrüsenfunktionsstörung uner- vor dem Schlafengehen 4 Stunden nach der letzten Mahlzeit lässlich und möglicherweise entscheidend für die adäqua- und kann von zahlreichen Medikamenten beeinträchtigt wer- te Behandlung der Patienten. den [29]. Gallensäurebinder Interessenkonflikt Die Gallensäurebinder Cholestyramin sowie auch das neuere Colesevelam reduzieren die L-Thyroxin-Absorption und kön- Die Autoren verneinen einen Interessenkonflikt. nen damit auch den entero-hepatischen Kreislauf dieses Hor- mons unterbrechen. Ersteres wurde in Fallberichten schon zur Therapie einer Hyperthyreose nach überdosierter Schilddrü- senhormoneinnahme eingesetzt [30]. Studien mit markier- Literatur: 15. Lazarus JH. Lithium and thyroid. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2009; 23: tem I131-Thyroxin zeigten eine Verdoppelung der I131-Thyro- 1. Kaserer K, Kraupp M, Willhelm M, et al. 723–33. Schilddrüse. In: Bischof M, Kraupp M, Luger xin-Ausscheidung über den Stuhl und eine infolgedessen re- A (Hrsg). MCW Block 10 – Endokrinologie und 16. Spaulding SW, Burrow GN, Bermudez F, et al. The inhibitory effect of lithium on thyroid duzierte Ausscheidung im Harn unter Therapie mit Gallensäu- Stoffwechsel. 2. Aufl. 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