Hybride bürgergenossenschaften - Kommunen innovativ
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Thomas Klie hybride bürgergenossenschaften Perspektive für zukunftsweisende Daseinsvorsorge im ländlichen Raum? Kurzfassung Hybride Bürgergenossenschaften bieten sich insbesondere in kleinen Gemeinen, aber auch interkommunal als gemein- wirtschaftlich getragene und initiier- te Beiträge zur Daseinsvorsorge an. Sie können sich auf unterschiedliche Felder der Daseinsvorsorge beziehen, leben von kommunalpolitischer Unter- stützung und einem zivilgesellschaft- lichen, aber auch unternehmerischen Engagement der Bürger*innen vor Ort. aus: Abt, Jan / Blecken, Lutke / Bock, Stephanie / Diringer, Julia / Fahrenkrug, Katrin (Hrsg.): Kommunen innovativ – Lösungen für Städte und Regionen im demografischen Wandel. Ergebnisse der BMBF-Fördermaßnahme. Berlin 2021.
Klie: Hybride Bürgergenossenschaften Herausforderung Daseinsvorsorge tischen Auswirkungen verfolgte Privatisie- Wie sind die Herausforderungen für die rung um die Option der gemeinwirtschaft- Sicherung der Daseinsvorsorge, bedingt lichen Organisation öffentlicher Aufgaben. durch den demografischen und sozialen Wandel, auf der kommunalen Ebene zu Projekt „Kommunale Daseinsvorsorge stemmen? Durch mehr digitale Lösungen? und Bürgergenossenschaften“ (KoDa eG) Mehr Public Private Partnerships? Mehr Die in dem Projekt „KoDa eG“ auf den Ehrenamt? Wir halten gemeinwirtschaft- Prüfstand gestellten hybriden Bürgerge- liche Strategien für besonders interessant nossenschaften sind eine neuartige Form und zukunftsweisend. Nach Corona wird von Genossenschaften, da sie nicht nur dies erst recht gelten. Darum haben wir eine Aufgabe aufgreifen, sondern eine in den letzten Jahren im Rahmen des potenzielle Vielfalt von Daseinsvorsor- BMBF-geförderten Projektes „Kommunale geaufgaben unter ihrem Dach vereinen. Daseinsvorsorge und Bürgergenossen- Bürgergenossenschaften bieten neue schaften“ (KoDa eG) in sechs kleinen Kom- lokalwirtschaftliche Aktivitäts-, Beschäfti- munen Erfahrungen mit hybriden Bürger- gungs- und Verdienstformate, können der genossenschaften gesammelt, die Aufgaben lokalen Wertschöpfung und dem lokalen sozialer, kultureller, aber auch wirtschaftli- Werteerhalt dienen. Eine ressourcenorien- cher Zwecke der Daseinsvorsorge gestalten tierte Nutzung und der Erhalt vorhandener und übernehmen sollten. Daseinsvorsorge Infrastruktureinrichtungen kann durch heißt nicht nur Straßenbau, Ver- und Ent- Bürgergenossenschaften ebenso befördert sorgung sowie ÖPNV. Daseinsvorsorge werden, wie sie ihre Attraktivität über Er- heißt auch: Bedingungen guten Lebens für tragsrückflüsse und Anlageformen für die alle Bürger*innen vor Ort gewährleisten. Mitglieder erhalten. Soviel zur konzeptio- Wie die Kommunen die ihnen verfassungs- nellen und ideologischen Ausgangslage. rechtlich zugeordneten Aufgaben der Selbstverwaltung in der Daseinsvorsorge Arbeitsthesen im Projekt „KoDa eG“ gestalten, ist und bleibt ihre Angelegenheit. für Chancen von und Voraussetzungen Das Ob und das Wie der Gestaltung von Da- für Bürgergenossenschaften seinsvorsorgeaufgaben sind kommunalen und demokratischen Aushandlungsprozes- In den sechs Modellgemeinden im Projekt sen übertragen. Was als notwendig, was als „KoDa eG“ konnte in sehr unterschied- nützlich und was als zusätzliche Aufgabe licher Weise die Resonanzfähigkeit des der Daseinsvorsorge verstanden wird (vgl. Konzeptes „hybrider Bürgergenossen- Schmidt 2018), ist letztlich dem kommu- schaften“ und seine Umsetzung zum nalen und kommunalpolitischen Diskurs Gegenstand von Beratungs- und Betei- überlassen. Für die einen ist das Schwimm- ligungsprozessen und der wissenschaft- bad unverzichtbar, für die anderen der lichen Begleitforschung gemacht wer- Wanderweg. Wieder andere Kommunen den. Nachfolgende Arbeitsthesen lassen setzen auf das kommunale Pflegeheim, andere auf wohnortnahe Wohngruppen. Das Projekt Handlungsbedarf ist allenthalben gegeben. „KoDa eG – Wie Bürgergenossenschaften Leistungen der Jedoch fehlen vielerorts die Institutionen Daseinsvorsorge zukunftsfähig tragen können“ ist ein und Angebote, um die existentiellen Bedar- Vorhaben der BMBF-Fördermaßnahme „Kommunen fe der Bürger*innen zu decken. Als unzu- innovativ“. reichend erlebte Angebote des öffentlichen Nahverkehrs und der örtlichen Mobilität „KoDa eG“ gründet Bürgergenossenschaften für soziale, gehören ebenso auf die Liste der Desiderate kulturelle und wirtschaftliche Dienstleistungen der Da- der Daseinsvorsorge wie zum Teil nach- seinsvorsorge in Kommunen. Vier Gemeinden erproben hinkende Infrastrukturentwicklungen im gemeinsam mit Sozialwissenschaftlern, wie genossen- Bereich der Digitalisierung. Die Perspektive schaftliche Modelle die Daseinsvorsorge tragen können. Bürgergenossenschaft ergänzt die hoheit- weitere Informationen zum Projekt: lich organisierte Daseinsvorsorge und die » www.kommunen-innovativ.de/koda-eg in den letzten Jahrzehnten mit problema-
Klie: Hybride Bürgergenossenschaften Chancen von, aber auch Voraussetzungen im hohen Maße proaktiver Unternehmer- für Bürgergenossenschaften erkennen: stammtisch eingerichtet. In Schuttertal -- Hybride Bürgergenossenschaften sind ist es nicht gelungen, eine bestehende auf die Offenheit für gemeinwirtschaft- monothematische Bürgergenossen- liche Strategien von Bürger*innen und schaft, die einen Dorfladen betreibt, für Verwaltung angewiesen. Sie setzen Of- weitere Aufgaben zu öffnen. Dafür wird fenheit, nach Möglichkeit Erfahrung und in einem Bürgerbeteiligungsprozess die gemeinwirtschaftliche Haltungen voraus. Gründung einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft weiterverfolgt. In -- Hybride Bürgergenossenschaften be- Posterstein in Thüringen kam es ebenfalls nötigen eine gemeinwirtschaftliche nicht zu einer Genossenschaftsgründung. Mentalität. Diese muss eingeübt so- Dort konnten aber durch den Bürgerbe- wie mit Beteiligungs- und Bildungs- teiligungsprozess sowohl neue Allianzen prozessen verbunden werden. geschlossen, als auch eine bis dato nicht -- Bürgergenossenschaften stellen kein für möglich gehaltene Dynamik bürger- Allheilmittel dar. Aber eine breite schaftlicher Initiativen entfaltet werden. und auf alle wesentlichen Bereiche der Daseinsvorsorge ausgerichtete Lessons learned: Kommunalpolitik wird in der Zukunft Hybride Bürgergenossenschaften auf sie nicht verzichten können. Am Ende des Projektes steht die Ein- -- Hybride Bürgergenossenschaften sicht: Bürgergenossenschaften sind eine bieten vielfältige Konversionsanrei- Idee mit Resonanz und Rückenwind, die ze für bestehende Initiativen, Ver- allerdings noch das Fliegen lernen muss. eine oder Genossenschaften. Für Kommunen, die sich der gemeinwirt- -- Bürgergenossenschaften legen den Fokus schaftlichen Option hybrider Bürger- auf die gemeinwirtschaftlichen Wur- genossenschaften öffnen wollen, wurden zeln der Daseinsvorsorge. Sie stellen wesentliche Lernerfahrungen kondensiert: eine tragfähige, traditionsreiche Alter- native zur Dienstleistungsorientierung Am Anfang und im Mittelpunkt stehen die des neuen Steuerungsmodells dar. Interessen und Bedarfe der Bürger*innen -- Hybride Bürgergenossenschaften sind in Fragen der Daseinsvorsorge keine Idealvereine. Sie verfolgen einen Nicht die Gründung einer Genossenschaft gemeinwirtschaftlichen Zweck und darf im Vordergrund stehen. Anzusetzen funktionieren nur mit einem tragfähigen ist an den unmittelbar erlebten Bedürfnis- Geschäftsmodell (vgl. Klie u.a. 2018). und Bedarfslagen der örtlichen Bevölke- rung. Insofern gehört an den Anfang immer Die sechs beteiligten Gemeinden wiesen eine prozesssystematische Analysen- und eine sehr unterschiedliche Erfolgsbilanz Bedarfsermittlung unter Beteiligung der aus. In Neuweiler im Schwarzwald konnte Bürger*innen. Ob Bürgergenossenschaf- eine hybride Bürgergenossenschaft gegrün- ten oder eine andere Form eine Antwort det werden, die sich im Wesentlichen auf auf die identifizierten und zum Teil ge- Fragen der Sorge und Pflege fokussiert. In weckten Bedarfe sind, muss offen bleiben. der Stadt Offenburg wurde ein Programm zur Initiativenförderung entwickelt und Bürgergenossenschaft gegen die aufgelegt, das (auch) auf die Gründung von Kommune geht (auf Dauer) nicht Bürgergenossenschaften gerichtet ist. In Sollen Bürgergenossenschaften einen Bei- Oberried bei Freiburg wurde die Weiter- trag zur Daseinsvorsorge leisten, brauchen entwicklung einer Wohnungsbaugenos- sie langfristig die Unterstützung der Kom- senschaft zu einer Bürgergenossenschaft munen. Sie können von Bürger*innen oder betrieben. In Oberreichenbach zeigte sich von Unternehmer*innen initiiert werden. das Modell der Bürgergenossenschaften Zivilgesellschaftliche Initiativen wirken als nicht anschlussfähig. Es wurden jedoch vielfältig als Ideengeber und Innovations- Fragen der Alltagsversorgung durch ein kraft. Schließlich braucht es aber die Kom- Marktplatzkonzept aufgegriffen und ein
Klie: Hybride Bürgergenossenschaften munen: Sie genießen in der Bevölkerung in Bürgergenossenschaften sind Unikate, die der Regel ein hohes Ansehen und Vertrau- eine fachlich erfahrene, flexible und motivie- en. Sie können Ressourcen zur Verfügung rende Begleitung von der Ideenfindung bis stellen. Sie binden möglicherweise Einzel- zur Genossenschaftsgründung benötigen initiativen zurück in demokratische Struk- Ohne Coaching, das hat „KoDa eG“ deutlich turen und wirken Partikularinteressen und gemacht, lassen sich Strategien gemein- Ausgrenzungstendenzen vor Ort entgegen. wirtschaftlicher Beantwortung von Auf- gaben der Daseinsvorsorge in Form von Es braucht ein oder mehrere Zugpferde, Bürgergenossenschaften nicht etablieren. die die mit Bürgergenossenschaften ver- Zunächst bedarf es einer Prüfung, ob die in bundenen Ziele verfolgen, eine Bürgergenos- der Bürgerschaft verfolgten Ziele, aber auch senschaft initiieren und voranbringen die zum Engagement bereiten Bürger*in- In allen Kommunen hat sich gezeigt: nen mit der Rechtsform einer Genossen- Bürgergenossenschaften brauchen „Raiff- schaft erreicht werden können. Wie bei den eisen“, Personen, die für die Idee brennen. sogenannten Seniorengenossenschaften Gemeinwirtschaftliche Initiativen sind eignen sich etwa Nachbarschaftshilfe- immer (auch) an Personen gebunden, die organisationen nicht für die Rechtsform sich mit der Idee identifizieren. Dabei sind der eingetragenen Genossenschaften. Hier (unternehmerische) Risikobereitschaft und braucht es die Möglichkeit, steuer- und wirtschaftliche Kompetenz unverzichtbar. sozialversicherungsrechtliche Privilegie- Insofern sind die Promotoren und Pioniere rung in Anspruch zu nehmen, etwa über von Bürgergenossenschaften nicht (unbe- die Übungsleiterpauschale. Auch bieten dingt) diejenigen, die in Vereinen aktiv sind Organisationen der Nachbarschaftshilfe und die Ziele von Idealvereinen verfolgen. keine Grundlage für ein Geschäftsmodell, das eine Genossenschaft tragen könnte. Bürgergenossenschaften brauchen Unter- Gemeinsam und mithilfe des Coachings gilt nehmergeist und eine unternehmerische es zu klären, welche unterschiedlichen Auf- Haltung im Sinne des Gemeinwesens gaben der Daseinsvorsorge in einer Bürger- Nicht die gute Idee und gute Sache allein genossenschaft verbunden werden können, zählen. Es braucht auch unternehmerische etwa Energieproduktion und -versorgung, Intelligenz. In den Beratungsprozessen hat Mobilität und Alltagsversorgung. Ebenso sich gezeigt: Eine Genossenschaft lebt in können sie bereits vorhandene Ideen und ihrer Gründung, aber insbesondere auch in Diskussionen vor Ort zusammenführen ihrem Betrieb von Fach- und Sachkompe- und Konzepte wirtschaftlich tragfähiger tenzen der Verantwortungsträger. Nicht die Bürgergenossenschaften entwickeln helfen. Identifikation mit den Zielen allein ver- spricht den Erfolg der Wahrnehmung von Hybride Bürgergenossenschaften werden zentralen Rollen in der Genossenschaft. als geeignete Konzeption und Rechtsform Hier sind – und das kann Genossenschaften (an)erkannt, um Themen der Daseinsvor- gerade für Personen mit unternehmeri- sorge unter einem Dach zu vereinen scher Erfahrung attraktiv machen – wirt- Das Projekt „KoDa eG“ hat hybride Bürger- schaftliche, juristische, steuerrechtliche genossenschaften als neue Idee im Genos- und administrative Kompetenz neben der senschafts- und Daseinsvorsorgediskurs Sachkompetenz bezogen auf die verfolg- platziert. Es stieß auf große Resonanz: Vor ten Aufgabenbereiche gefordert. Dabei ist Ort bei den Bürgermeistern, auf Landes- insbesondere die Gründungsphase davon ebene in unterschiedlichen Ressorts. Hier- geprägt, die gemeinwirtschaftliche Orien- zu hat auch eine Veranstaltungsreihe zu tierung, die den Unterschied zu klassischen Bürgergenossenschaften mit insgesamt vier Unternehmen, aber auch zu Idealvereinen Ressorts in Baden-Württemberg beigetra- ausmacht, zu erkennen und zu lernen. gen. Die sektorenübergreifende Anlage von Bürgergenossenschaften von Gesundheit über Mobilität bis zur Energieversorgung wurde als hochattraktiv erkannt. Das Projekt „KoDa eG“ hat bundesweit, aber
Klie: Hybride Bürgergenossenschaften auch in Österreich, Resonanzen erzeugt Zum Weiterlesen und etwa zu Gründungen von hybriden Klie, Thomas / Wernicke, Florian / Lis- Bürgergenossenschaften geführt. Das Pro- sek, Katarina (2018): Daseinsvorsorge jekt hat allerdings auch deutlich gemacht: neu gedacht: Bürgergenossenschaften Es müssen die Rahmenbedingungen in - gemeinwohlorientiert, demokratisch, juristischer Hinsicht und in der Beratung zukunftssicher, in: Genograph. Journal verbessert werden, damit Bürgergenossen- für die Genossenschaften in Baden-Würt- schaften in der Breite eine Chance erhalten. temberg. Heft 10. Seite 53-54. Online Eine Fortsetzung des Projektes wurde leider verfügbar unter: https://www.wir-le- nicht möglich. Hier sollten interkommu- ben-genossenschaft.de/de/Daseinsvorsor- nale Initiativen und Genossenschaftsmo- ge-neu-gedacht-Buergergenossenschaf- delle – insbesondere in strukturschwachen ten-6401.htm (zuletzt geprüft 22.02.2021). Gebieten – erprobt werden. Viele inter- Baden-Württembergischer Genossen- kommunale Zusammenschlüsse wollten schaftsverband e.V. (2015): Der Ba- mitmachen. Das zeigt: das Konzept ver- den-Württembergische Genossenschafts- fängt, braucht aber weiter „Promotion“. verband (BWGV). Online verfügbar unter: https://www.wir-leben-genossenschaft. de/ (zuletzt geprüft 22.02.2021). Reifschneider, Annika (2020): „Ge- nossenschaftlich getragene Quar- tiersentwicklung“ – Roadshow zum Projektstart. Online verfügbar unter: https://www.wir-leben-genossen- schaft.de/de/Genossenschaftlich-ge- tragene-Quartiersentwicklung-Road- show-zum-Projektstart-9039.htm (zuletzt geprüft 22.02.2020). Der Autor Prof. Dr. habil. Thomas Klie; Leiter Zentrum für zivilgesellschaftliche Ent- wicklung Freiburg/Berlin; Arbeits- schwerpunkte: demografische Wand- lungsprozesse, digitale Transformation, Gesundheitswesen und Langzeitpflege. Literatur »» Klie, Thomas / Wernicke, Florian / Lissek, Katarina (2018): Daseinsvorsorge neu gedacht: Bürgerge- nossenschaften - gemeinwohlorientiert, demo- kratisch, zukunftssicher, in: Genograph. Journal für die Genossenschaften in Baden-Württemberg. Heft 10. Seite 53-54. Online verfügbar unter: https://www.wir-leben-genossenschaft.de/de/ Daseinsvorsorge-neu-gedacht-Buergergenossen- schaften-6401.htm (zuletzt geprüft 22.02.2021). »» Schmidt, Thorsten Ingo (2018): Daseinsvor- sorge aus rechtswissenschaftlicher Perspek- tive, in: Klie, Thomas / Klie, Anna Wiebke (Hrsg.): Engagement und Zivilgesellschaft. Expertisen und Debatten zum Zweiten Enga- gementbericht. Wiesbaden. Seite 269-338.
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