Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management

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Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
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Fachzeitschrift für Verbands- und
Nonprofit-Management

Hybride Organisationen

 Identität hybrider Organisationen
 Typologie sozialer Geschäftsmodelle
 Vorteile der hybriden Struktur
 Hybride Strukturen aus Sicht der Beratung
 L’hybridité : Nouvelle mode ou transformation radicale ?
 Hybride Mitarbeitersteuerung – Führen und Organisieren
 kombiniert

Weitere Themen:
 Führen im Ausnahmezustand: Handlungsfähig in Krisen
 Generation Y – Chance und Herausforderung zugleich
Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
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Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
Editorial

Editorial

Liebe Förderer, liebe Leserinnen und Leser

Das Titelbild dieser Ausgabe zeigt einen Zebroid, eine    schöpfung unterscheiden lassen. Durch das Konzept
Kreuzung zwischen Zebra und Pferd, also ein Hybrid        können Zielkonflikte, die aufgrund der Hybridität in
der Tierwelt.                                             Sozialunternehmen entstehen, frühzeitig erkannt und
     Der Begriff Hybridität bezeichnet die Mischform      angegangen werden. Dass sich hybride Strukturen
zweier vorher getrennter Systeme. Dabei ist die Über-     auch in Sportvereinen durchaus lohnen, erklärt Bern-
schneidung das zentrale Element. Teilweise werden         hard Heusler am Beispiel des FC Basel 1889. Hybridi-
antagonistische Logiken, Systeme oder Denkweisen          tät wird sich nicht nur in der Automobilindustrie als
zu neuen Handlungs- oder Denkmustern oder Orga-           zukunftstaugliche Technik erweisen, lautet die These
nisationsformen zusammengesetzt. Aus zwei ur-             von David Wahli und Charles Giroud. Sie zeigen im
sprünglich gegensätzlichen Polen wird eine neue Ein-      Praxisbeitrag auf, dass hybride Strukturen zu mehr
heit. Die präsentesten Beispiele für Hybridität sind      Flexibilität führen und so der steigenden Komplexität
sicherlich die Hybridautos, die komplementär von ei-      die Stirn bieten können. Doch nicht nur soziale Unter-
nem Elektromotor und einem Verbrennungsmotor an-          nehmen profitieren von hybriden Strukturen. Auch
getrieben werden. So kann mehr Leistung bei geringe-      die traditionellen Sektoren, Wirtschaft, Staat und der
rem Energiebedarf erreicht werden. Hybridität scheint     Dritte Sektor können sich mit ihrer Hilfe fit für die Zu-
eine Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft        kunft machen, wie Michaël Gonin argumentiert.
zu sein.                                                      In diesem Sinne leite ich meine Zeit als Redaktorin
     Auch in der Welt der Nonprofit-Organisationen ist    des VMs ein und möchte das Magazin fit für die Zu-
zunehmend Hybridität gefragt, beispielsweise bei          kunft machen. An dieser Stelle danke ich meinem Vor-
dem Prinzip Social Entrepreneurship – Soziales Unter-     gänger, Remo Aeschbacher, für seine ausgezeichnete
nehmertum. Sozialunternehmen agieren im Span-             Arbeit und spreche ihm meine Hochachtung aus.
nungsfeld von Markt und Zivilgesellschaft und verfol-     Dank seiner wertvollen Erfahrung und guten Einar-
gen dabei sowohl wirtschaftliche als auch soziale         beitung bin ich mir sicher, auch zukünftig das VM mit
Ziele.                                                    wissenschaftlich fundierten und für die Praxis rele-
     Beginnend mit dem Beitrag von Joy Rosenow-           vanten Artikeln gestalten zu können. Auch in Zukunft
Gerhard und Andreas Schröer wird in der aktuellen         wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre!
Ausgabe des VMs ein Modell integrierter hybrider
Identität vorgestellt und mit zwei Anwendungsbei-
spielen illustriert. Der Beitrag von Karin Kreutzer und
Elisabeth Niendorf entwickelt anhand von Beispielen
aus verschiedenen Ländern eine Typologie von drei
verschiedenen sozialen Geschäftsmodellen und zeigt,
dass sich soziale Unternehmen am Grad der Beteili-
gung der Leistungsempfänger und der Ressourcenzu-         Luisa Wagenhöfer
teilung zu ihrer ökonomischen und sozialen Wert-          Redaktion VM

Verbands-Management 3/2017                                                                                            3
Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
Inhalt

    Joy Rosenow-Gerhard und Andreas Schröer                      Karin Kreutzer und Elisabeth Niendorf
    Identität hybrider Organisationen –                          Soziale Geschäftsmodelle –
    Zwei Fallbeispiele                                           eine Typologie
    Nonprofit-Organisationen (NPO) stehen in einem               In diesem Beitrag entwickeln die Autoren einen kon-
    starken Spannungsfeld zwischen mehreren Polen.               zeptionellen Rahmen für die Unterscheidung von sozi-
    Dies zeigt sich auch in ihrer Identität. Jeder Pol, z. B.    alen Geschäftsmodellen entsprechend ihres Integrati-
    Zivilgesellschaft oder Markt, unterliegt je seiner eige-     onsgrades und darauf aufbauend eine Typologie für
    nen Logik. Die Autoren greifen ein Modell integrier-         Sozialunternehmen. Anhand von zahlreichen Beispie-
    ter hybrider Identität auf und zeigen anhand von Be-         len aus verschiedenen Ländern und Sektoren zeigen sie,
    obachtungskriterien zwei Anwendungsbeispiele der             dass sich soziale Geschäftsmodelle in zwei Parametern
    Analyse organisationaler Identität.                          unterscheiden: Einbindung und Ressourcenallokation.

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    Bernhard Heusler                                             David Wahli und Charles Giroud
    «In der hybriden Struktur liegen                             Hybride Strukturen aus Sicht
    sehr viele Vorteile»                                         der Beratung
    Im Jahr 2006 wurde die FC Basel AG gegründet. Seit-          Immer mehr Organisationen befinden sich heute mit
    dem ist die erste Mannschaft des FC Basel 1893 in der        ihren Aktivitäten im Spannungsfeld zwischen non-
    Aktiengesellschaft (AG) ausgegliedert, während der           profit und for-profit. Diese Herausforderung bringt
    Frauenfussball und die Nachwuchsförderung in der             Auswirkungen auf die Strukturen mit sich. Es kann
    Verantwortung des Vereins liegen. Das führt zu ver-          daher davon ausgegangen werden, dass die Struktu-
    schiedenen Herausforderungen für das Neben- und              ren von hybriden Elementen geprägt werden. Diese
    Miteinander der beiden Organisationsformen unter             hybriden Strukturen führen zu Spannungen, die posi-
    dem Dach des FC Basel 1893, wie Bernhard Heusler im          tive und negative Auswirkungen für die Organisati-
    Interview darlegt.                                           on, ihre Auftraggeber und Kunden haben.

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    Michaël Gonin                                                Markus Gmür
    L’hybridité: Nouvelle mode                                   Hybride Mitarbeitersteuerung –
    ou transformation radicale ?                                 Führen und Organisieren kombiniert
    Si le 20ᵉ siècle a été le siècle de la spécialisation, ces   Aus der Kombination von Führen und Organisieren
    dernières années semblent être marquées par le retour        ergibt sich ein hybrides Steuerungsverständnis. Der
    de l’hybridité et de la pluridisciplinarité. Que ce soit     Beitrag zeigt, ausgehend von einem Aufgabenspekt-
    au niveau technique, économique ou social, la com-           rum der Steuerungsaktivitäten, wie sich Führen und
    plexité des enjeux actuels exige des approches holis-        Organisieren unterscheiden, wie beide Ansätze zu-
    tiques qu’une séparation stricte des sphères d’activité      sammenwirken und wie die Verbandsleitung zu ei-
    ne permet pas.                                               nem Effizienzoptimum gelangt. Es kommt darauf an,
                                                                 die richtige Kombination von führenden und organi-
                                                                 sierenden Impulsen zu finden.

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Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
Inhalt

  Ruth Simsa und Martin Gössler                               Hans Lichtsteiner
  Führen im Ausnahmezustand:                                  Generation Y – Chance und
  Handlungsfähig in Krisen                                    Herausforderung zugleich
  Viele NPO setzen in ihrer Tätigkeit an Situationen der      Als Generation Y werden Personen bezeichnet, die im
  Ungewissheit oder in Krisen an, sie sind oft Meister im     Zeitraum von 1980 bis 1999 geboren wurden. Diese
  Umgang damit. Trotzdem gibt es Situationen, die beson-      Generation ist weder besser noch schlechter als ihre
  ders herausfordernd sind – in denen zum Teil auch an-       Eltern, sondern primär einfach anders. Für NPO gilt,
  dere Regeln gelten. Manche der üblichen Empfehlungen        die Bedürfnisse und Erwartungen der Generation Y
  für gute Führung sind in einer solchen Situation nicht      ernst zu nehmen und diese in ihrer Unternehmens-
  hilfreich, sondern erzeugen eher ein schlechtes Gewis-      kultur mit zu berücksichtigen, wollen sie auch künf-
  sen bei Führungskräften, im Sinn von «ich sollte doch…      tig als attraktiver Arbeitgeber gelten.
  – schaffe es aber nicht». Krisen haben ihre eigene Logik.

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                                                               Impressum
                                                               Redaktion:     L. Wagenhöfer & R. Aeschbacher
                                                                              (redaktion@vmi.ch)
                                                               Layout:        L. Wagenhöfer & R. Aeschbacher
                                                                              Paulusdruckerei Freiburg/CH
                                                               Herausgeber: Verbandsmanagement Institut (VMI)
                                                                            Universität Freiburg/CH
                                                               Fotomaterial: Thema «Hybride Tiere»:
                                                                             iStockphoto.com
                                                               Adresse:       Verbandsmanagement Institut,
                                                                              Bd de Pérolles 90, CH-1700 Freiburg
                                                                              Tel. +41 (0)26 300 84 00
                                                                              Fax +41 (0)26 300 97 55
                                                               Internet:      www.vmi.ch, info@vmi.ch
                                                               Jahrgang:      43. Jahrgang
                                                               ISBN:          3-909437-50-8
                                                               ISSN:          1424-9189

  Buchbesprechung                                    55
                                                               Das VM erscheint dreimal jährlich in den Monaten April,
  Vorträge, Publikationen und Neuigkeiten            56       August und November. Abdruck und Vervielfältigung
                                                               von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in Ab-
  Agenda                                             62       schnitten, nur mit Genehmigung des Herausgebers.

Verbands-Management 3/2017                                                                                               5
Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
Schwerpunkt: Hybride Organisationen

    Forschungsbeitrag

    Identität hybrider Organisati-
    onen – Zwei Fallbeispiele
    Joy Rosenow-Gerhard und Andreas Schröer

    Nonprofit-Organisationen (NPO) stehen in einem              Zur Unterscheidung hybrider Organisa-
    starken Spannungsfeld zwischen mehreren Polen.              tionen anhand ihrer Identität
    Dies zeigt sich auch in ihrer Identität. Jeder Pol, z. B.   Es lassen sich vier grosse Forschungsstränge zu For-
    Zivilgesellschaft oder Markt, unterliegt je seiner ei-      men hybrider Organisationen aufzeigen:4
    genen Logik. Die Autoren greifen ein Modell integ-          • Enterprising Nonprofits: Viele NPO haben eigene
    rierter hybrider Identität auf und zeigen anhand von          Einkommen generierende Strukturen geschaffen,
    Beobachtungskriterien zwei Anwendungsbeispiele                die nicht zwangsläufig mit ihrer sozialen Mission
    der Analyse organisationaler Identität. Anhand von            verbunden sind, jedoch für die Organisation eine
    «Dialog im Dunkeln» und «Mission Leben» werden                überlebenssichernde Finanzierung bieten.
    dabei auch die Dynamiken deutlich, denen die NPO            • Socially Responsible Businesses / Corporate Social Res-
    in ihrer Entwicklung unterworfen waren.                       ponsibility: Hierzu zählen profitorientierte Unter-
                                                                  nehmen, die soziale Bedürfnisse in ihrem Umfeld
    NPO agieren heute verstärkt marktorientiert. Das liegt        wahrnehmen und sich in Aktivitäten einbringen,
    u. a. an veränderten staatlichen Finanzierungsmodali-         von denen eine Community, ihre Stakeholder oder
    täten für soziale Dienst- und Gesundheitsleistungen.          die Öffentlichkeit profitieren.
    Das Spannungsfeld zwischen sozialer Mission und             • Social Entrepreneurship / Social Innovation: Soziale
    marktorientierten Geschäftsstrategien ist wohl be-            Unternehmen, die eine soziale Mission mit Busi-
    kannt. Daher wächst das öffentliche und fachliche In-         nessabsichten erfüllen, werden seit den 1990er Jah-
    teresse an Organisationen, die sich an der Schnittstelle      ren diskutiert. Sozialunternehmen fokussieren auf
    zwischen (mind.) zwei Sektoren bewegen, diese wer-            eine bestimmte Adressatengruppe als Kunden, z. B.
    den als «hybride Organisationen» bezeichnet.1 Hybri-          bedürftige Menschen. Soziale Innovationen lösen
    dität ist kein neues Phänomen; die theoretische Dis-          gesellschaftliche Probleme auf eine neue Art. Oft
    kussion reicht bis in die 1950er Jahre zurück und             steht hier die Gründerfigur des Sozialunterneh-
    wurde sowohl im Nonprofit- als auch profitorientier-          mers⁵ im Vordergrund.
    ten Bereich geführt.2 Zur genaueren Differenzierung         • Hybride Organisationen im Nonprofit-Sektor sind
    hybrider Organisationen besteht derzeit jedoch eine           durch die Kopräsenz differenter Logiken gekenn-
    Forschungslücke. Erklärbar ist diese v. a. durch die          zeichnet, da Hybridität ein konstitutives Merkmal
    grosse Heterogenität der Organisationstypen und der           ist. Dadurch entsteht ein Spannungsfeld, das als Di-
    Komplexität des Feldes,3 welche Generalisierungen er-         lemma oder Vielfalt untersucht werden kann. Nach
    schweren. Die aktuelle Forschung geht von einem «so-          Evers (2012) ist Hybridität erreicht, wenn Logiken
    wohl als auch»-Ansatz aus: Hybride gehören sowohl             anderer Sektoren einen signifikanten Einfluss auf
    zum Markt als auch zur Zivilgesellschaft, wobei die           die Identität des Ursprungssektors der Organisati-
    Qualität dieser Beziehungen unterbestimmt bleibt. Ei-         on haben. Aber wann ist der Einfluss signifikant?
    nen Vorschlag zum Modus der Integration von Markt-            Hier lohnt der Blick auf das Konzept der «organisa-
    und Zivilgesellschaft durch hybride Organisationen            tionalen Identität». Albert und Whetten definieren
    haben Jäger und Schröer (2014) vorgelegt (s. u.); des-        organisationale Identität als die Eigenschaften einer
    sen konkrete Anwendung wird Ihnen in diesem Arti-             Organisation, die ihre Mitglieder als vordergründig
    kel an zwei Fallbeispielen gezeigt, dem «Dialog im            zentralen, unverwechselbaren und dauerhaften
    Dunkeln» und der «Mission Leben».                             Charakter beschreiben und welche ausserdem de-

6                                                                                   Verbands-Management 3/2017
Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
Schwerpunkt: Hybride Organisationen

                                                                    Felder hybrider organisationaler Identität
                                                                                                                Zivilgesellschaftliche
                                                   Marktliche Identität             Hybride Identität
                                                                                                                       Identität
                         Identifikation der   Mitglieder wollen eine           Mitglieder wollen eine          Mitglieder wollen zu
                        Individuen mit der    Funktion erfüllen, die im        sinnvolle Arbeit ausführen      einem übergeordneten
Identitätsdimensionen

                           Organisation       Eigeninteresse handelt                                           kollektiven Ziel beitragen
   Organisationale

                        Strukturen, die das   Marktliche Strukturen,           Strukturen sind abhängig        Strukturen sind
                         organisationale      als rationale Netzwerke,         davon, wie wertvoll             eingebettet in soziale
                        Geschehen beein-      die zur Zielerreichung genutzt   gemeinschaftliche Solidari-     Netzwerke
                              flussen         werden                           tät für die Gesellschaft ist
                                              Praktiken der Mobilisierung/     Praktiken des Austauschs        Praktiken der Akteure,
                          Praktiken der       Akquisition von Ressourcen       von Solidarität und             dem Gemeinwohl
                         Führungskräfte       (Ehrenamtliche, Sponsoren,       finanziellen/nicht-finanziel-   zu dienen
                                              Spenden usw.)                    len Ressourcen

Tabelle: Entstehungsgründe und Spannungsfelder der Hybridisierung4

        ren Identifikation mit dieser Organisation beein-                      tität aus, die die Zivilgesellschaft und die Märkte
        flussen.6 Die Forschungslandschaft kann grob in                        systematisch integriert, sie ersetzen die kommunale
        drei Ströme kategorisiert werden. Während indivi-                      Solidarität mit finanziellen und nicht-finanziellen
        duelle Ansätze z. B. die Identifikation von Organi-                    Ressourcen, kalkulieren den Marktwert der Solida-
        sationsmitgliedern mit den diversen Identitäten                        rität der Gemeinschaft und tauschen diese Solidari-
        untersuchen, analysieren andere Studien wie Ma-                        tät gegen finanzielle und nicht-finanzielle Ressour-
        nager (in)direkt Einfluss nehmen. Aus strukturalis-                    cen ein. Mit anderen Worten: Sie schaffen eine
        tischer Perspektive ist Identität eine zielgerichtete                  funktionale Solidarität.10
        stabile Struktur, welche organisationale Events und
        Managementpraxis beeinflusst. Studien untersu-                       Anhand welcher Kriterien kann nun die Identität hyb-
        chen z. B. kulturelle Werte, organisationale Ge-                     rider Organisationen untersucht werden um zu einer
        schichten oder den Gebrauch von Sprache. Praxis-                     systematischen Unterscheidung zu gelangen? Jäger
        theoretisch fundierte Ansätze betrachten Identität                   und Schröer (2014) benennen die folgenden Kriterien
        als diskursive Praxis u. a. zur «Herstellung von                     anhand dreier Identitätsdimensionen (vgl. Tabelle).
        Welt»7, welche die Struktur erneut durch Handlung                        Im Folgenden zeigen wir zwei Fallbeispiele zur
        reproduziert und damit verfestigt8. Pratt und Fore-                  Veranschaulichung.
        man (2000) argumentieren, dass Organisationen mit
        mehreren Identitäten unterschiedliche Verständnis-                   Analyse «Dialog im Dunkeln»
        se davon besitzen, was für sie zentral, unverwech-                   Andreas Heinecke gründete 1989 eine Ausstellung mit
        selbar und dauerhaft ist.9 Im Fall multipler Identitä-               dem Namen «Dialog im Dunkeln» (DID), nachdem er
        ten bleiben diese unverbunden nebeneinander                          durch einen blinden Kollegen einige Jahre zuvor mit
        stehen. Mit Jäger und Schröer (2014) definieren wir                  seinen eigenen Vorurteilen gegenüber blinden Men-
        eine Organisation als hybrid, wenn alle Identitätsdi-                schen konfrontiert worden war. Bereits die erste Aus-
        mensionen (Identität der Organisationsmitglieder,                    stellung war ein voller Erfolg, und im Laufe einer be-
        -strukturen, Praktiken) ihren Ursprung in unter-                     wegten Unternehmensgeschichte sind bis heute
        schiedlichen Umwelten haben (Zivilgesellschaften,                    zahlreiche Ausstellungen in völliger Dunkelheit in
        Märkte), welche die organisationale Verfasstheit                     32 Ländern erlebbar gewesen bzw. weiterhin in elf
        und ihre Kultur und somit auch den Kern signifi-                     dauerhaften Ausstellung zu sehen. Das Besondere: In
        kant beeinflussen. Sie gehen davon aus, dass Hybri-                  den Ausstellungen sind blinde Menschen als Muse-
        de systematisch ihre Identitäten integrieren. Dies                   umsführer beschäftigt. Blinde sind Experten, und oft
        führt zu folgender Definition: Hybride Organisatio-                  verhilft ihnen diese Tätigkeit zu einem Übergang in
        nen zeichnen sich durch eine organisatorische Iden-                  den ersten Arbeitsmarkt. Bis heute haben rund 8 Mio.

Verbands-Management 3/2017                                                                                                                  7
Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
Schwerpunkt: Hybride Organisationen

    Besucher den Perspektivenwechsel zwischen Blinden         auch der positive Einfluss auf die Guides und die Soli-
    und Sehenden erlebt. Das Social-Franchise-Unterneh-       darität der Besucher ist belegbar: Während die Guides
    men ist mit zahlreichen Awards ausgezeichnet wor-         neben einer besseren sozialen Inklusion und ökonomi-
    den. 2014 wurde das Grundkonzept übertragen auf           schen Lage auch eine positive Einstellung und Kom-
    den «Dialog im Stillen», der Einblicke in die Sprach-     petenzerweiterung benannten, gaben 80 % der befrag-
    kultur gehörloser Menschen ermöglicht, sowie den          ten Besucher noch fünf Jahre nach ihrem Besuch an,
    «Dialog mit der Zeit», eine Ausstellung, die sich mit     nun mehr über Blindheit zu wissen. 58 % gaben an,
    dem Altern beschäftigt.11 Darüber hinaus wurde die        dass sich ihre Einstellung gegenüber Sehbehinderun-
    Produktpalette mit Businessworkshops erweitert, z. B.     gen geändert habe.13
    zu Teamentwicklung oder Kommunikation. 201612
    waren in 32 Ausstellungen und 10 Workshopcentern          Marktliche Identität
    weltweit 702 hör- und sehbehinderte bzw. ältere Mit-      Auf Ebene der Mitarbeitenden hat der DID eine
    arbeiter beschäftigt, die mehr als 860 000 Besuchern      marktliche Lücke gefüllt, denn nur 30 % der rund
    die Ausstellungen und Workshops ermöglichten.             500 000 sehbehinderten oder blinden Menschen hatte
        Die Abbildung zeigt sowohl die Orientierung im        in den 1990er Jahren eine Anstellung. Das Unterneh-
    Hinblick auf eine marktliche bzw. zivilgesellschaftli-    men ist enorm gewachsen: Von zwei Ausstellungen
    che Identität, sowie die Verortung und Veränderung        in 1988 hin zu allein 17 in 1995. Bereits zwei Jahre
    der im Folgenden erläuterten Beispiele.                   nach der NPO-Gründung 1996 erhielt Heinecke den
                                                              ersten von vielen renommierten Awards. Auf der
    Zivilgesellschaftliche Identität                          Ebene der Praktiken ist insbesondere der Finanzie-
    Heinecke wollte in den 1980er Jahren gesellschaftli-      rungsmix interessant: Eintrittsgelder, private und
    chen Wandel anstossen, hin zu einer positiveren Hal-      Unternehmensspenden, Investoren, Verbände, staat-
    tung gegenüber Menschen, die anders sind, indem           liche Hilfen oder lokale Förderstrukturen (z. B. zur
    ihre Stärken und Kompetenzen hervorgehoben wer-           Schaffung von Arbeitsplätzen für erwerbstätige Men-
    den. Die Strukturen sind bereits von Beginn an in sozi-   schen mit Behinderung in der Region) ergänzen sich.
    ale Netzwerke aus Nonprofit, Kunst und Wirtschafts-       Die Variabilität der Ausstellungen ist attraktiv für
    welt eingebettet gewesen. Nicht nur Heineckes eigene      Aussteller und Förderer, sodass DID z. B. in lokalen
    Solidarität gegenüber Blinden wurde geweckt, denn         Corporate Social Responsibility-Kampagnen (CSR)

                                                                        Marktliche Identität

                                                              schwach                            stark

                                                                          Mission Leben

                                    stark             a) Enterprising Nonprofit         d) Hybrid Organization

          Zivilgesell-
          schaftliche
           Identität

                                  schwach               c) Social Innovation                    b) CSR

    Abbildung: Entstehungsgründe und Spannungsfelder der Hybridisierung4

8                                                                                 Verbands-Management 3/2017
Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
Schwerpunkt: Hybride Organisationen

gefördert wurde oder Partnerunternehmen ihre Bera-          Zurück-geworfen-sein auf die eigene Orientierungslo-
tungsleistung pro bono zur Verfügung stellten.              sigkeit, und der Druck, sich jemand völlig Fremdem
                                                            anzuvertrauen, weckt eine enorme Solidarität bei den
Hybride Identität                                           Besuchern.
Zwischen den Polen Zivilgesellschaft und Markt hat               Heinecke kreierte eine Hybridstrategie und fand
die Dialog-Familie eine hybride integrierte Identität       unterschiedliche Partnerschaftsformate mit For-Profit-
mit einem hohen Mass an funktionaler Solidarität ge-        Unternehmen: Die Zusammenarbeit mit einem der
schaffen. Heinecke hat mit dem DID eine für ihn sinn-       grössten Messeveranstalter in den USA erleichterte für
volle Arbeit angestossen. Er selbst, promovierter His-      einige Jahre Produktion, Vermarktung und Logistik
toriker mit Ausbildung zum Journalist, war beruflich        neuer Ausstellungen. In Zusammenarbeit mit einem
auch zuvor im sozialen Kontext bei einer klassischen        internationalen Zeitarbeitskonzern wurden Menschen
NPO tätig. Bei seinen eigenen Unternehmen trieben           vor Ort rekrutiert und trainiert sowie (bei befristeten
ihn zwei Ziele an: Die Veränderung der gesellschaftli-      Ausstellungen) in der anschliessenden Jobsuche un-
chen Perspektive auf Behinderung und Anderssein und         terstützt. In Zusammenarbeit mit einem grossen inter-
die (messbare) Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Hyb-       nationalen Investmentkonzern werden gemeinsam
ridität zeigt sich hier also auch in der Gründerperson.     Trainingscenter betrieben, die die Dunkelheit bzw.
     Blindheit wird zum Einstellungskriterium für Mu-       Stille für Führungskräfteseminare nutzen.
seumsguides. Ihre Behinderung ist nicht länger Grund             Schon früh war das Potenzial dieses Sozialunter-
für Diskriminierung, aus dem Defizit wird ein Vorteil.      nehmens sichtbar, sodass einige grundlegende Ent-
Solidarität ist ein konstitutiver Bestandteil des dritten   scheidungen dazu führten, das Produkt Ausstellung
Sektors und wirkt im Fall des Dialogs auf zwei Ebenen:      zu «dematerialisieren» und das Konzept als solches an
Solidarität manifestiert sich in Organisationen über ge-    globale Franchisenehmer zu verkaufen, die dasselbe
meinsame Erinnerungen und Überzeugungen – sowohl            Ziel der sozialen Inklusion verfolgen. Social Franchi-
bei Mitarbeitern des DID als auch bei Besuchern.            sing wurde zum Hauptgeschäftsmodell. Das überge-
     Auf Ebene der Struktur ist die Veränderung der         ordnete Unternehmen Dialogue Social Enterprise un-
Rechtsform auffällig: Begonnen hat Heinecke die Aus-        terstützt seine Franchisenehmer im Aufbau und
stellungsprojekte in Teilzeit, bevor er 1995 ein Unter-     kontrolliert diese im Folgenden, um den hohen Quali-
nehmen gegründet hat. Seit 2000 wurde DID als ge-           tätsstandard der Marke und die Einhaltung des Code
meinnützige NPO betrieben. Aufgrund des hohen               of Conduct sicherzustellen.
bürokratischen Aufwands feilte Heinecke an einem                 Im DID ist von Anfang an neben der starken zivil-
Konzept aus NPO und For-Profit-Organisation, indem          gesellschaftlichen Orientierung gleichermassen durch
er in den diversen GmbHs beteiligt war, die z. B. die       viele unternehmerische Entscheidungen die marktli-
Permanentausstellungen managen. Beratung und                che Orientierung sichtbar.
Business-Workshops liefen weiter über die eigene Ein-
Personen-GmbH, und der Verein DID vertrat weiter-           Analyse «Mission Leben»
hin die gemeinnützigen Aspekte der Dialog-Familie.          Die Mission Leben gGmbH ist als diakonisches Dienst-
Weil ihm dieses Konstrukt zu eng wurde, gründete er         leistungsunternehmen mit ca. 1800 hauptamtlichen
mit Vertrauten Dialogue Social Enterprise in 2008, das      Mitarbeitern und ca. 500 Ehrenamtlichen in 40 Ein-
auch heute Franchisegeber ist. Hier zeigt sich das Zwi-     richtungen an 19 Standorten tätig und betreut etwa
schenstadium der Hybriden bzw. deren hohe Fluidität.        6000 Menschen. Die Angebote umfassen Wohnen und
     Auf Ebene der Praktiken ist die Einbindung in den      Pflege im Alter und ambulante Betreuung von Senio-
Arbeitsmarkt und der «Verkauf von Solidarität» mass-        ren, Soziale Arbeit mit Hilfen für Menschen in sozialen
geblich. Blinde Menschen sammeln als Museumsgui-            Notlagen, Kinder- und Jugendhilfe sowie Hilfe für
de Arbeitsmarkterfahrung. Übergänge in andere Tä-           Menschen mit Behinderung und Berufliche Bildung in
tigkeitsfelder werden unterstützt, z. B. als Trainer in     einer Schule für Alten- und Heilerziehungspflege.
Workshops, Beratung oder im Management. Der Aus-                 Die Mission Leben geht als ehemaliger Hessischer
stellungsbesuch führt für Sehende zu einem massiven         Landesverein für Innere Mission auf Einrichtungen

Verbands-Management 3/2017                                                                                            9
Hybride Organisationen - Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
Schwerpunkt: Hybride Organisationen

     zurück, die bereits 1849 gegründet wurden. Der heuti-      hauptamtliche Mitarbeitende in Sozial- und Gesund-
     ge Sprecher der Geschäftsführung, Dr. Klaus Bartl          heitsberufen überwiegen, der Sprecher der Geschäfts-
     kam im Jahr 2002 als Vorsitzender des Vorstands in         führung Pfarrer ist und die Mitarbeitenden, insbeson-
     das Unternehmen und begann einen Umstrukturie-             dere aber leitende, Mitglied einer Kirche der
     rungsprozess eines gemeinnützigen Trägervereins in         Arbeitsgemeinschaft Christliche Kirchen sind. Struk-
     ein auf dem Sozialmarkt agierendes Sozialunterneh-         turbildend wirkt der gemeinnützige Auftrag der Or-
     men mit einer klaren Unternehmensstruktur, einer           ganisation: «Wir handeln im christlichen Auftrag als
     Stärkung des Managements und einem veränderten             ein diakonisches Unternehmen. Unser Handeln gilt
     Unternehmensziel.                                          Menschen in schwierigen Lebenslagen und orientiert
          Die verschiedenen Geschäftsbereiche der Mission       sich an deren Bedürfnissen. Wir fördern Selbstbestim-
     Leben haben je andere Finanzierungsstrukturen. Der         mung, stiften Beziehungen und leisten Beistand. Wir
     grösste Bereich, die stationäre Altenhilfe, refinanziert   arbeiten wirksam und wahrhaftig.»15 Auch die Leitsät-
     sich aus Mitteln der Pflegeversicherung, geregelt nach     ze des, als gemeinnützig anerkannten, Unternehmens
     den staatliche Vorgaben von Versicherungsleistungen        reflektieren die Ausrichtung an gesellschaftlicher Soli-
     und -kosten im Elften Sozialgesetzbuch. Dabei über-        darität und Hilfeleistung.
     nimmt die Pflegekasse die Absicherung einer Grund-
     leistung für einen fixen, gesetzlich geregelten Beitrag.   Marktliche Identität
     Die Pflegekasse zahlt diese Grundleistung direkt an        Allerdings führen die Refinanzierungsbedingungen,
     das Heim, die jedoch nicht komplett kostendeckend          der Anbieterwettbewerb um Kunden und Fachkräfte
     ist, sodass der Versicherte zusätzlich einen Eigenbei-     und die Notwendigkeiten ein grösseres Sozialunter-
     trag an das Heim leisten muss. Die Gesamtvergütung         nehmen zu steuern auch zu einer Ausrichtung am
     des Heimes für einen Pflegebedürftigen richtet sich        Markt. Dies zeigt sich auf Mitarbeiterebene in der Re-
     jedoch nach den Pflegesätzen, die individuell zwi-         krutierung von Angestellten im mittleren Manage-
     schen Pflegekassen und Heimen verhandelt werden.           ment aus der freien Wirtschaft. Die Aufbauorganisati-
     Das Finanzierungsbeispiel zeigt einerseits die Abhän-      on wurde einer Konzernstruktur angepasst, in den
     gigkeit der Finanzierung von staatlichen Regelungen        Einrichtungen wurden Leistungsbereiche mit eigenem
     und andererseits die Notwendigkeit, als Anbieter im        Management unterstellt, und die zentrale Verwaltung
     Wettbewerb zu agieren, der jedoch auf einem Quasi-         des Gesamtkonzerns wurde gestärkt. Auf Ebene der
     markt stattfindet, in den der Staat regulierend ein-       Praktiken wurde die Veröffentlichung eines jährlichen
     greift. Diese Refinanzierungsstruktur führt dazu, dass     Geschäftsberichtes beschlossen, ein strategischer Pla-
     sich soziale Dienstleister in ihrer Leistungserbringung    nungsprozesses implementiert und an die operative
     überwiegend an staatlichen Finanzierungsmöglich-           Planung rückgebunden, sowie Projekt-, Qualitäts- und
     keiten und weniger an konkreten Bedarfen im Ge-            Personalentwicklungspraktiken eingeführt.
     meinwesen orientieren. Dies widerspricht aus Sicht
     der Geschäftsführung jedoch dem ursprünglichen             Hybride Identität
     Auftrag eines diakonischen Trägers dort zu helfen, wo      Die Integration von zivilgesellschaftlicher und marktli-
     Not herrscht (und nicht dort, wo finanziert wird). Um      cher Identität offenbaren zunächst zentrale Akteure. So
     sich diesem ursprünglichen Auftrag wieder zu nähern,       ist der Sprecher der Geschäftsführung zwar Pfarrer, hat
     gründete die Mission Leben zunächst in Kooperation         aber einige Jahre Berufserfahrung in einer international
     mit der Ev. Hochschule Darmstadt ein Intraperneur-         agierenden Unternehmensberatung. Diakonischer Auf-
     ship-Labor, um Bedarfe im Gemeinwesen zu identifi-         trag und wirtschaftliches Handeln sollen in Einklang
     zieren und Geschäftsmodelle für neue Dienstleis-           gebracht werden, um möglichst wirksam, wirtschaft-
     tungsangebote zu entwickeln.14                             lich erfolgreich und ressourcenschonend die zivilge-
                                                                sellschaftlichen Unternehmensziele zu erreichen. Auf
     Zivilgesellschaftliche Identität                           der strukturellen Ebene soll durch die Einrichtung eines
     Als diakonisches Unternehmen hat die Mission Leben         Innovationslabors (LaDU, INTRALAB)16 die Entwick-
     zunächst eine zivilgesellschaftliche Identität, in der     lung von markt- und tragfähigen Geschäftsmodellen

10                                                                                  Verbands-Management 3/2017
Schwerpunkt: Hybride Organisationen

für sozial innovative Dienstleistungen ermöglicht           gen in den Sektoren und im anderen Fall (Dialog) auf-
werden, die durch Mitarbeiter des Unternehmens er-          grund unternehmerischen Handelns. Die Hybridität
arbeitet werden. Hier sollen also Bedarfsorientierung       der organisationalen Identität zeigt demnach sowohl
(diakonischer Auftrag) und unternehmerisches Han-           die Wechselwirkung mit der Umwelt als auch die Not-
deln explizit integriert werden.                            wendigkeit für organisationales Lernen. Sicherlich be-
     Die Mission Leben ist wie viele andere gemeinnüt-      darf es hier sehr differenzierter Handlungsempfeh-
zige soziale Dienstleistungsorganisationen zunächst         lungen für das Management, je nach unterschiedlicher
eine «Enterprising Nonprofit Organisation» (vgl. Abb.)      Ausgestaltung der Hybridität. Aus unserer Sicht führt
mit starker Bindung an ihren zivilgesellschaftlichen        der Weg dorthin über eine praxeologische Forschung,
Identitätskern (diakonischen Auftrag, Anbindung an          denn hier können sowohl Individuen als auch institu-
grossen Wohlfahrtsverband Diakonie Hessen) und              tionelle Umwelten konsequent einbezogen werden,
schwächer ausgeprägter marktlicher Identität. Aller-        um das Phänomen Führung in hybriden Organisatio-
dings interpretiert die Geschäftsführung das Agieren        nen zu untersuchen.
auf staatlich regulierten Märkten mit einer staatlich ge-
regelten Refinanzierung als limitierend, gerade auch in     Fussnoten
Hinblick auf ihre Möglichkeit neue, bedarfsgerechte         1
                                                                 Evers, 2012.
soziale Dienstleistungen, also innovative Formen funk-      2
                                                                 Folgenden wenn nicht anders angegeben: Jäger & Schröer, 2014.
tionaler Solidarität zu entwickeln. Daraufhin be-           3
                                                                 Anheier, 2005, S. 229.
schliesst das Management eine Stärkung der organisa-        4
                                                                 Jäger & Schröer, 2014.
tionalen Innovationskraft und eine Betonung                 5
                                                                 Selbstverständlich gelten im Folgenden beide Geschlechter glei-
unternehmerischen Handelns durch die Einrichtung                 chermassen.
eines Innovationslabors, das sich primär an Intrapre-       6
                                                                 Albert & Whetten, 1985.
neure richtet. Die Einrichtung des Labors trägt zu einer    7
                                                                 Weick, 1980.
hybriden organisationalen Identität bei, in dem sozial-     8
                                                                 Giddens, 1984.
unternehmerische Individuen gestärkt werden, aber
                                                            9
                                                                 Pratt & Foreman, 2000.
auch Strukturen etabliert und Praktiken institutionali-
                                                            10
                                                                 Eig. Übers. n. Jäger & Schröer, 2014, S. 1285.
siert werden, die innovative Modelle funktionaler Soli-
darität ermöglichen: Geschäftsmodelle für sozialunter-
                                                            11
                                                                 http://www.dialogue-se.com/ (26.09.2017); Schröer 2015.

nehmerische Dienstleistungen.
                                                            12
                                                                 Zahlen bezogen auf Gesamtunternehmen Dialogue Social Enter-
                                                                 prise.
                                                            13
                                                                 Schröer, 2015, S. 150f.
Fazit
                                                            14
                                                                 Schröer & Händel, 2016.
Die beiden Beispiele zeigen die Dynamik der Entwick-
lung: Die Hybridität ist fluide; die Ausgestaltung hyb-
                                                            15
                                                                 Mission Leben, 2017.

rider Identität verändert sich im einen Fall (Diakonie)     16
                                                                 Siehe auch https://intra-lab.de/ladu/ (besucht am 27.09.2017)

aufgrund der unterschiedlichen Umweltanforderun-            17
                                                                 Schröer & Jäger, 2016.

Verbands-Management 3/2017                                                                                                         11
Schwerpunkt: Hybride Organisationen

                                                                            Mission Leben (2017). Jahresbericht 2016/2017. URL: https://www.
     Literatur                                                              mission-leben.de/fileadmin/redaktion/public/pdf/Jahresberich-
     Anheier, H.K. (2005). Nonprofit organizations. Theory, management,     te/ML_Jahresbericht_2016_scr.pdf (28.09.2017).
     policy. London: Routledge.
                                                                            Pratt, M. G. & Foreman, P. O. (2000). Classifying managerial res-
     Evers, A. (2012). Hybridisation in German public services. A con-      ponses to multiple organizational identities. Academy of Manage-
     tested field of innovation. In: Zimmer, A. (Hrsg.), Civil Societies    ment Journal, 25(1), S. 18-42.
     Compared: Germany and The Netherlands (S. 197-216). Baden-Ba-
                                                                            Schröer, A. (2015). Dialogue in the Dark. Mainstreaming Blind
     den: Nomos.
                                                                            People in Germany. In: Cnaan, A. & Vinokur-Kaplan, D. (Hrsg.),
     Giddens, A. (1984). The construction of society. Berkeley: Universi-   Cases of Innovative Nonprofit (S.141-153). Los Angeles: Sage.
     ty of California Press.
                                                                            Schröer, A. & Jäger, U. (2015). Beyond Balancing? A Research
     Jäger, U. & Schröer, A. (2014). Integrated organizational identity:    Agenda on Leadership in Hybrid Organizations. International
     A definition of hybrid organizations and a research agenda. VO-        Studies of Management & Organization, 45(3), S. 259-281.
     LUNTAS: International Journal of Voluntary and Nonprofit Organi-
                                                                            Weick, K.E. (1980). The social psychology of organizing. Boston:
     zations, 25(5), S. 1281-1306.
                                                                            Mcgraw-Hill.

     Die Autoren

                                 Joy Rosenow / joy.rosenow-gerhard@uni-trier.de
                                 Joy Rosenow-Gerhard ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Trier. Nach
                                 Berufserfahrung in Strategie- und Managementberatung war sie wissenschaftliche Mitar-
                                 beiterin an der Universität Marburg. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Organisati-
                                 onsberatung und Führungsforschung.

                                 Andreas Schröer / schroeer@uni-trier.de
                                 Andreas Schröer ist Professor für Organisationspädagogik an der Universität Trier. Zuvor
                                 war er u. a. Professor für Nonprofit-Management an der Ev. Hochschule Darmstadt und
                                 Direktor des Instituts für Zukunftsfragen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft in Darm-
                                 stadt. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in den Bereichen Social Intrapreneurship, Inno-
                                 vationslabore und Leadership in organisationalen Lernprozessen. Er ist Mitinitiator des
                                 Labors für Diakonisches Unternehmertum und wissenschaftlicher Partner des INTRALAB.

                 NonproCons
                 Neue Wege
                 für Nonprofit-Organisationen
                 Wir sind für alle Nonprofit-Organisationen ein kompetenter und vertrauensvoller Partner in den
                 zentralen Fragen des Managements einer Organisation – von der Gründung bis zur Liquidation
                 und von der Strategie bis zum Reglement. Unsere Schwerpunkte im NPO-Management:

                 • Gründung und Restrukturierung von Stiftungen und Vereinen
                 • Leitbild- und Strategieentwicklung (Strategische Planung)
                 • Ausarbeitung von Stiftungs- und Vereinsstrukturen sowie von
                   Geschäftsreglementen, Prozessorganisation
                 • Führen von Sekretariaten von Stiftungen und Vereinen, inkl.
                                                                                                                                                krauss & wintterlin

                   Rechnungsführung
                 • Liquidationen
                 • Moderation von Sitzungen und Versammlungen

                 Stiftungs- und Vereinsmanagement                                                            NonproCons AG
                 Fundraising                                                                                 Rittergasse 35 • 4051 Basel
12                                                                                                           Telefon +41 613/2017
                                                                                                   Verbands-Management      278 93 93
                 NPO-Finanzmanagement
                                                                                                                   www.nonprocons.ch
Schwerpunkt: Hybride Organisationen

Forschungsbeitrag

Soziale Geschäftsmodelle –
eine Typologie
Karin Kreutzer und Elisabeth Niendorf

In diesem Beitrag entwickeln wir einen konzeptio-          tenzial für mögliche Konflikte und organisationale
nellen Rahmen für die Unterscheidung von sozialen          Spannungen⁵, die eine Organisation lähmen⁶ und da-
Geschäftsmodellen entsprechend ihres Integrations-         mit das Ergebnis und die Performanz der Unterneh-
grades und darauf aufbauend eine Typologie für So-         mung negativ beeinflussen können⁷.
zialunternehmen. Wir unterscheiden zwischen inte-              Battilana und Lee (2014) gehen davon aus, dass
grierten, teilweise-integrierten und differenzierten       der Grad möglicher Spannungen vom Integrations-
sozialen Geschäftsmodellen. Anhand von zahlrei-            grad eines sozialen Geschäftsmodells beeinflusst wird.
chen Beispielen aus verschiedenen Ländern und              Die Autoren definieren den Integrationsgrad eines so-
Sektoren zeigen wir, dass sich soziale Geschäftsmo-        zialen Geschäftsmodells als das «Ausmass zu dem er-
delle in zwei Parametern unterscheiden: dem Grad           werbswirtschaftliche und soziale Ziele durch ein ge-
der Beteiligung der Leistungsempfänger und der             meinsames oder durch separate Aktivitäten-Bündel
Ressourcenzuteilung zu ihrer ökonomischen und so-          erreicht werden»⁸. Die Autoren argumentieren, dass
zialen Wertschöpfung.                                      ein hoher Integrationsgrad sich positiv auf reibungslo-
                                                           se Prozesse und Geschäftsabläufe auswirkt. Bisher
In den letzten Jahren haben Sozialunternehmen so-          wurde der Integrationsgrad sozialer Geschäftsmodel-
wohl in der öffentlichen Debatte, als auch in der wis-     le nur unzureichend erforscht⁹. Bisher wissen wir
senschaftlichen Auseinandersetzung an Bedeutung            nicht, wie die Integration von sozialen und wirtschaft-
gewonnen¹. Einige dieser Organisationen verfolgen          lichen Praktiken erreicht wird¹⁰ und wie integrierte
soziale und wirtschaftliche Aktivitäten gleicherma-        Modelle genau aussehen. Was sind Kriterien für die
ssen – als ein Sozialunternehmen. Sozialunternehmen        Unterscheidung von integrierten und differenzierten
tragen sich typischerweise finanziell selbst; sie errei-   Geschäftsmodellen?
chen ihre sozialen Zielsetzungen ohne auf Spenden              Wir widmen uns der Konzeptualisierung von in-
oder Finanzierungsbeiträge der öffentlichen Hand an-       tegrierten versus differenzierten sozialen Geschäfts-
gewiesen zu sein². Einige dieser Unternehmen haben         modellen und leiten theoretisch ab, wie der Integrati-
Menschen am unteren Ende der Einkommenspyrami-             onsgrad die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von
de in Schwellenländern als Zielgruppe, der sogenann-       organisationalen Spannungen und Widersprüchen in
ten ‚Base of the Pyramid‘ (BOP)³ ; andere operieren in     sozialen Geschäftsmodellen beeinflusst. Wir führen il-
industrialisierten Ländern. Ein bekanntes Beispiel ist     lustrative Beispiele für unsere Konzeptualisierung an
die Grameen Bank, die Mikrofinanzinstitution, für die      und wenden diese für eine weltweite Auswahl von
der Gründer Muhammad Yunus aus Bangladesch                 70 sozialen Geschäftsmodellen an, die sich finanziell
2006 den Friedensnobelpreis gewonnen hat.                  selbst tragen. Unsere Arbeit bereichert die Social Ent-
     Die bestehende Literatur hat auf mögliche Kon-        repreneurship-Literatur um ein Konzept zum Bestim-
flikte und Spannungen hingewiesen, die wegen der           men des Integrationsgrades von sozialen Geschäfts-
Hybridität von Sozialunternehmen auftreten können⁴.        modellen basierend auf zwei Parametern: zum einen
Da es kein einfaches Entscheidungskriterium für Sozi-      der Grad der Einbeziehung der Begünstigten in die
alunternehmen im Hinblick auf die Ressourcenalloka-        Wertschöpfung und zum anderen die Ressourcenallo-
tion gibt, und sowohl die Angestellten als auch die        kation für die erwerbswirtschaftliche Wertschöpfung
Investoren verschiedene Hintergründe (sozialorien-         und die soziale Wertschaffung. Das vorgeschlagene
tiert versus gewinnorientiert) haben, besteht viel Po-     Konzept kann Praktikern helfen, das eigene Geschäfts-

Verbands-Management 3/2017                                                                                           13
Schwerpunkt: Hybride Organisationen

     modell zu reflektieren, mögliche Zielkonflikte frühzei-    Der Einbindungsgrad der Leistungsempfänger ist not-
     tig mitzudenken und diesen möglicherweise strate-          wendig für die Bestimmung des Integrationsgrades
     gisch zu begegnen.                                         von sozialen Geschäftsmodellen, aber nicht hinrei-
                                                                chend für alle Arten von Sozialunternehmen. Insbe-
     Typologie sozialer Geschäftsmodelle                        sondere im Hinblick auf soziale Geschäftsmodelle, bei
     basierend auf deren Integrationsgrad                       denen der Leistungsempfänger als Arbeitnehmer in
     Die betriebswirtschaftliche Literatur zu Geschäftsmo-      Prozesse der Wertschöpfung eingebunden ist, ist ein
     dellen ist in den letzten Jahren stark angewachsen¹¹       weiterer Parameter notwendig.
     und definiert ein Geschäftsmodell als zusammenhän-              Zweitens schlagen wir die Ressourcenallokation
     gende Aktivitäten, die sozialen und/oder ökonomi-          für soziale und erwerbswirtschaftliche Wertschöpfung
     schen Mehrwert schaffen und auf einen bestimmten           als weiteren Parameter vor. Die verschiedenen Arten
     Bedarf gerichtet sind¹². Laut Teece (2010), beschreibt     von Ressourcen werden entsprechend der Theorie des
     ein Geschäftsmodell die Art und Weise mit der ein Un-      Resource Based Views, grob eingeteilt in physisches,
     ternehmen «Werte für den Kunden schafft, den Kun-          humanes und organisatorisches Kapital16 17. Der Ein-
     den dazu bringt für diese Werte zu bezahlen und diese      fachheit halber konzentrieren wir uns in unserer Her-
     Bezahlung in Gewinne verwandelt»¹³. Für Abdelka-           leitung auf finanzielle und personelle Ressourcen
     fi (2012) ist das Geschäftsmodell die Ebene zwischen       (Humankapital), wobei die personellen Ressourcen
     Strategie und Geschäftstätigkeit, wobei sich die Ge-       sowohl die eingesetzte Zeit als auch das Qualifizie-
     schäftstätigkeit auf die täglichen Arbeitsprozesse be-     rungsniveau des Personals einschliessen. Die Allokati-
     zieht und das Geschäftsmodell eine Abstraktion des-        onsentscheidungen von finanziellen und personellen
     sen ist.                                                   Ressourcen dienen als Indikator für den Integrations-
          Soziale Geschäftsmodelle werden in der Literatur      grad eines sozialen Geschäftsmodells. Wir unterschei-
     als solche beschrieben, die eine einheitliche Strategie    den zwischen drei Szenarien:
     verfolgen um gleichzeitig zur sozialen und erwerbs-        1. Ressourcen, die für die soziale Wertschöpfung (SWS)
     wirtschaftlichen Wertschöpfung der Unternehmung               und die erwerbswirtschaftliche Wertschöpfung (EWS)
     beizutragen¹⁴, was auch als gemischte Wertschöpfung           eingesetzt werden, sind identisch.
     bezeichnet wird¹⁵. Folglich verbinden soziale Ge-          2. Ressourcen, die für die SWS und die EWS einge-
     schäftsmodelle die Aktivitäten zur Erreichung sozialer        setzt werden, unterscheiden sich, überlappen aber
     und erwerbswirtschaftlicher Ziele miteinander.                teilweise.
          Abgeleitet aus der Management Literatur zu Ge-        3. Für die SWS und EWS werden jeweils separate Res-
     schäftsmodellen, fokussieren wir auf die Analyseebe-          sourcen eingesetzt (siehe Abbildung).
     ne der Organisation und schlagen zwei Parameter für
     die Bestimmung des Integrationsgrades von sozialen         Wir gehen davon aus, dass der Integrationsgrad eines
     Geschäftsmodellen vor: der Einbindungsgrad der             sozialen Geschäftsmodells umso höher ist, je mehr die
     Leistungsempfänger sowie die Ressourcenallokation          eingesetzten Ressourcen überlappen. Wir bezeichnen
     für die soziale und die erwerbswirtschaftliche Wert-       soziale Geschäftsmodelle, bei denen die finanziellen
     schöpfung.                                                 und personellen Ressourcen gleichzeitig zur sozialen
          Erstens, angelehnt an Ebrahim et al. (2014) und       und erwerbswirtschaftlichen Wertschöpfung beitra-
     Fosfuri et al. (2016), unterscheiden wir für die Bestim-   gen, als integriert. Soziale Geschäftsmodelle, bei denen
     mung des Einbindungsgrades der Leistungsempfän-            finanzielle und personelle Ressourcen separat zur
     ger folgende Art der Einbindung:                           SWS und EWS beitragen, bezeichnen wir als differen-
     1. Leistungsempfänger als Kunden;                          ziert. In manchen sozialen Geschäftsmodellen finden
     2. Leistungsempfänger, die als Arbeitnehmer in die         wir beides, sowohl Ressourcen, die gleichzeitig für die
         Wertschöpfung eingebunden sind;                        SWS und die EWS eingesetzt werden, als auch Res-
     3. Leistungsempfänger als Zulieferer;                      sourcen, die entweder zur SWS oder zur EWS beitra-
     4. Leistungsempfänger, die nicht in die Wertschöp-         gen. Diese Art von sozialen Geschäftsmodellen be-
         fung eingebunden sind.                                 zeichnen wir als teilweise integriert.

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Schwerpunkt: Hybride Organisationen

                                                                                    Die Literatur geht davon aus, dass Sozialunternehmen,
 1. Integriertes soziales Geschäftsmodell
                                                                                    deren Kernaktivitäten sehr stark integriert sind, erfolg-
   Erwerbswirtschaftliche                                                           reicher ihre sozialen und erwerbswirtschaftlichen Ziele
                                                     Soziale Wertschöpfung
   Wertschöpfung (z.B.                               (z.B. Kreditzugang schaffen)   gleichzeitig erreichen, als solche, deren soziale und er-
   Einnahmen generieren)
                                                                                    werbswirtschaftliche Aktivitäten voneinander getrennt
                                                                                    sind18. Darüber hinaus wird angenommen, dass in inte-
                                    Ressourcenpool
                                                                                    grierten sozialen Geschäftsmodellen weniger Konflikte
                              (finanzielle und personelle                           und organisatorische Spannungen auftreten. Eine Be-
                                      Ressourcen)
                                                                                    gründung liefert das Konzept der Legitimität aus der
                                                                                    Neoinstitutionalistischen Organisationstheorie. Laut
                    Ressource A                     Ressource B
                                                                                    Meyer und Höllerer (2014) wird eine Organisation als
                                                                                    legitim betrachtet, «wenn ihre Aktivitäten innerhalb ge-
                                    Ressource C
                                                                                    sellschaftlicher Normen, Werte, Vorstellungen und Fest-
                                                                                    legungen als wünschenswert, richtig und angemessen
                                                                                    erscheinen»19. Davon ausgehend erscheinen Konflikte
                                                                                    und Spannungen wahrscheinlicher in Organisationen,
                                                                                    die verschiedene institutionelle Logiken vereinen20. Mit
 2. Teilweise integriertes soziales Geschäftsmodell
                                                                                    institutionellen Logiken sind bestimmte Denkweisen,
   Erwerbswirtschaftliche                            Soziale Wertschöpfung
                                                                                    Weltansichten und Glaubenssichten gemeint, die im
   Wertschöpfung (z.B.
   Einnahmen generieren)
                                                     (z.B. Kreditzugang schaffen)
                                                                                    Umfeld einer Organisation einen Referenzrahmen für
                                                                                    Entscheidungen und Praktiken bilden, wie z. B. eine
                                                                                    marktwirtschaftliche oder eine wohlfahrtsorientierte
                                    Ressourcenpool
                              (finanzielle und personelle
                                                                                    Logik21. Wenn Akteure mit verschiedenen und abwei-
                                      Ressourcen)                                   chenden Identitäten in einer Organisation vorkommen,
                                                                                    können unterschiedliche Ressourcen als Kernkompe-
                    Ressource A                     Ressource B
                                                                                    tenzen bezeichnet und strategische Entscheidungen
                                                                                    kontrovers diskutiert werden. Die Ursache für proble-
                                    Ressource C
                                                                                    matische Entscheidungsfindungen bzgl. strategischer
                                                                                    Fragestellungen können Identitätskonflikte sein22. Ver-
                                                                                    steht sich die Organisation in erster Linie als sozialorien-
                                                                                    tierte oder als gewinnorientierte Unternehmung? Sozi-
                                                                                    alunternehmen, die vornehmlich mit Ansprüchen einer
 3. Differenziertes soziales Geschäftsmodell                                        Stakeholder Gruppe befasst sind (z. B. Leistungsemp-
                                                                                    fänger sind gleichzeitig Kunden), tragen weniger Kon-
   Erwerbswirtschaftliche                           Soziale Wertschöpfung
   Wertschöpfung (z.B.                              (z.B. Kreditzugang schaffen)    fliktpotenzial in sich, als solche, die auf die Ansprüche
   Einnahmen generieren)
                                                                                    verschiedener Stakeholdergruppen eingehen. Vor die-
                                                                                    sem Hintergrund gehen wir davon aus, dass in sozialen
                                    Ressourcenpool                                  Geschäftsmodellen mit einem hohen Einbindungsgrad
                              (finanzielle und personelle
                                      Ressourcen)                                   der Leistungsempfänger (z. B. Leistungsempfänger sind
                                                                                    gleichzeitig Kunden) das Potenzial für Spannungen und
                    Ressource A                     Ressource B                     Konflikte niedriger ist, da solche Organisationen in ers-
                                                                                    ter Linie auf eine Anspruchsgruppe eingehen. Für diffe-
                                                                                    renzierte soziale Geschäftsmodelle stellt sich die Situati-
                                    Ressource C
                                                                                    on ähnlich dar, da sie sich auf eine Art der Wertschöpfung
                                                                                    (meist auf die erwerbswirtschaftliche) konzentrieren
                                                                                    und damit überwiegend auf eine Anspruchsgruppe
Abbildung: Drei Szenarien für die Ressourcenallokation                              (z. B. Kunden) eingehen. Im Gegensatz dazu sehen sich

Verbands-Management 3/2017                                                                                                                         15
Schwerpunkt: Hybride Organisationen

     teilweise integrierte soziale Geschäftsmodelle, bei denen     personellen Ressourcen, die investiert werden, tra-
     die soziale und die erwerbswirtschaftliche Wertschöp-         gen gleichzeitig zur sozialen und zur erwerbswirt-
     fung, zumindest teilweise, getrennt ist, mehr als einer       schaftlichen Wertschöpfung bei. Das Potenzial für
     Anspruchsgruppe gegenüber und damit mit dem soge-             Spannungen und Konflikte ist damit gering.
     nannten «Service Paradox» konfrontiert, d. h. in dem die    • Teilweise integrierte Geschäftsmodelle zeichnen
     Ansprüche des sozialen Sektors (Leistungsempfänger)           sich dadurch aus, dass nicht alle Kernaktivitäten
     erfüllt werden, können die Ansprüche des Marktes              gleichermassen zur sozialen und erwerbswirtschaft-
     (Kunden) nicht ausreichend erfüllt werden23.                  lichen Wertschöpfung beitragen. Während das für
                                                                   einige Kernaktivitäten der Fall sein mag, gibt es in
     Beispiele für Typen sozialer Geschäfts-                       diesem Geschäftsmodell jedoch auch Kernaktivitä-
     modelle in der Praxis                                         ten, die ausschliesslich entweder zur sozialen oder
     Im Folgenden wenden wir das beschriebene Konzept              zur erwerbswirtschaftlichen Wertschöpfung beitra-
     für verschiedene, sich finanziell selbst tragende, sozia-     gen. Ein Beispiel für ein teilweise integriertes sozia-
     le Geschäftsmodelle an, um die Unterschiede zwi-              les Geschäftsmodell ist das Schweizerische Sozialun-
     schen integrierten, teilweise integrierten und differen-      ternehmen Jobfactory, das eine Reihe von Produkten
     zierten Geschäftsmodellen zu verdeutlichen. Darüber           und Dienstleistungen wie zum Beispiel IT-Dienst-
     hinaus wenden wir das beschriebene Konzept für                leistungen, Malerarbeiten, Coiffeurdienstleistungen
     70 Sozialunternehmen aus der ganzen Welt an, die              oder Gebäudewartung anbietet und ein Mode- und
     entsprechend anhand der diskutierten zwei Parameter           Musikfachgeschäft betreibt. Jobfactory bietet Beschäf-
     eingeteilt wurden (siehe Annex).                              tigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten für mar-
                                                                   ginalisierte Bevölkerungsteile, die Schwierigkeiten
     • Integrierte Geschäftsmodelle: Im Falle von integ-           haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Es werden
       rierten Geschäftsmodellen tragen die Kernaktivitä-          120 junge Menschen beschäftigt und 250 junge Er-
       ten gleichzeitig zur sozialen und zur erwerbswirt-          wachsene dahingehend qualifiziert, dass sie mit ei-
       schaftlichen Wertschöpfung bei. Dies ist der Fall für       ner Berufsausbildung beginnen können. Während
       soziale Geschäftsmodelle, in denen die Leistungs-           die Ressourcenallokation für bestimmte Kernaktivi-
       empfänger auch die Kunden des Produktes oder der            täten überlappend sowohl zur sozialen als auch zur
       Dienstleistung sind, da hier die Leistungserbringung        erwerbswirtschaftlichen Wertschöpfung beiträgt,
       gleichzeitig Einnahmen generiert. Der Grossteil der         gibt es andere Kernaktivitäten, die ausschliesslich
       finanziellen und personellen Ressourcen wird für            der sozialen Wertschöpfung dienen. Junge Erwach-
       eine kombinierte soziale und erwerbswirtschaftli-           sene erhalten Hilfestellungen für das Erstellen von
       che Wertschöpfung eingesetzt. Ein Beispiel für ein          Bewerbungsdokumenten und das Vorbereiten von
       integriertes soziales Geschäftsmodell, in dem die           Jobinterviews, da es das erklärte Ziel von Jobfactory
       Leistungsempfänger auch die Kunden sind, ist das            ist, marginalisierten Jugendlichen einen Zugang
       britische Sozialunternehmen Unforgettable. Das So-          zum Arbeitsmarkt zu gewähren. Die Ressourcen, die
       zialunternehmen wurde 2015 gegründet, hat derzeit           für dieses Training eingesetzt werden, dienen aus-
       zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ver-              schliesslich der sozialen Wertschöpfung.
       kauft online mehr als 2000 Produkte für Menschen            Während die Kunden Produkte und Dienstleistun-
       mit Demenz. Der Markt für solche Produkte ist               gen der bestmöglichen Qualität zu einem möglichst
       gross, da weltweit mehr als 44 Millionen Menschen           niedrigen Preis wünschen, brauchen die Angestell-
       an Demenz leiden. Das Unternehmen wurde ge-                 ten (Leistungsempfänger) Arbeitsschritte, die sorg-
       gründet, um die Lebenssituation von Menschen mit            fältig geplant sind und die es ihnen ermöglichen,
       Demenz zu verbessern. Unforgettable bietet innova-          ihr volles Potenzial am Arbeitsplatz zu entfalten. In
       tive Produkte für tägliche Herausforderungen, die           teilweise integrierten Geschäftsmodellen ist das
       die Krankheit mit sich bringt, z. B. in Bezug auf die       Konfliktpotenzial höher, da es eine Vielzahl von
       Einhaltung von Essens- und Schlafzeiten, Hygiene            teils abweichenden Interessen von Leistungsemp-
       und das Ankleiden. Nahezu alle finanziellen und             fängern, Kunden und Mitarbeitern gibt.

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