Im Reich der Tiere - Antoine F. Goetschel

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Im Reich der Tiere - Antoine F. Goetschel
Im Reich
der Tiere
Brauchen Tiere einen
Rechtsbeistand? Die Frage
bringt Bauern und Tierschützer
gegeneinander auf. Besuch
bei einem Zoodirektor, einem
Landwirt und dem einzigen
Tieranwalt der Schweiz.
Von Andreas Kunz und
Herbert Zimmermann (Fotos)

Ob am Telefon, beim zufälligen Treffen an einer
Podiumsdiskussion oder nach dem Gespräch
in seinem Büro – man bringt ihn kaum los.
Antoine F. Goetschel, 51, kämpft für den Schutz
der Tiere, er redet und redet, wartet auf die
nächste Frage, faltet die Hände, lächelt – und
zitiert dann wieder Albert Schweitzer, Montes­
quieu, Karl Barth und nicht zuletzt sich selbst.
   Dutzende von Büchern und Aufsätzen hat
Goetschel zum Thema schon publiziert. Zwar
sei er «weder ein Tiernarr noch ein Fanatiker»,
und fast entschuldigend erzählt er, dass er seit
über zwanzig Jahren kein Fleisch esse und als
Kind zwei Meerschweinchen besessen habe.
Doch was ihn vor allem ausmache, sei «ein aus­
geprägtes Gerechtigkeitsempfinden». Und
wie andere Minderheiten brauchten auch die
Tiere einen Exponenten, der juristisch beschla­
gen sei und wisse, wie das politische Spiel läuft.
   Goetschel meint damit sich selbst und seine
Rolle als Tieranwalt für den Kanton Zürich. Er
ist der einzige der ganzen Schweiz. 83 Prozent
der Zürcher Wähler hatten 1991 die Einführung        Leibhaftiger Franz von Assisi: Tieranwalt Goetschel.
dieses Amts befürwortet. Seit 2007 ist Goet­
schel am Werk und hat bisher über 350 Fälle          Für Goetschel ist das jedoch nicht genug.             fen. Für die übrigen Delikte lag die durch­
bearbeitet. Jetzt will der Schweizer Tierschutz      «Leider werden Tierschutzvergehen von vielen          schnittliche Bussenhöhe bei 439 Franken – der
mit einer Initiative alle Kantone dazu verpflich­    Untersuchungsbehörden heute noch kaum                 Strafrahmen würde bis zu 20 000 Franken rei­
ten, das Zürcher Modell zu übernehmen.               verfolgt und höchstens mit milden Bussen be­          chen. «Das zeigt, dass Tiere zwar rechtlich
   Das Anliegen, das am 7. März zur Abstim­          straft», sagt er. Als Beispiel nennt er einen Tier­   nicht mehr als Sachen gelten, in Strafverfahren
mung kommt, hat gute Chancen, denn die               quäler, der 2008 im Kanton Baselland drei Käl­        aber nach wie vor als solche behandelt wer­
Schweizer sind wahrscheinlich das tierlie­           ber schwer misshandelte, zwei davon starben           den», sagt Goetschel.
bendste Volk der Welt. Es gibt kein Land, das        an inneren Verletzungen. Obwohl das Tier­
ein strengeres Tierschutzgesetz kennt. Seit          schutzgesetz eine Höchststrafe von drei Jah­          Soja für Katzen
2003 gelten Hunde, Vögel oder Kühe rechtlich         ren Gefängnis vorsehe, habe der Täter bloss           Brauchen Tiere einen Rechtsbeistand, der vor
nicht mehr als Sachen, was bedeutet, dass            eine Busse von 1500 Franken erhalten. Ein             Gericht härtere Urteile oder Beweismittel
ihnen ein besonderer Schutz zukommt. 2008            Tieranwalt hätte ein härteres Urteil mit hö­          beantragen, eine Einstellungsverfügung oder
trat ein neues Gesetz in Kraft, mit dem die          herer Abschreckungswirkung durchsetzen                einen Freispruch anfechten kann? Oder ist die
Haltung von Landwirtschafts- und Heimtie­            können, sagt Goetschel. «Jeder Tierquäler hat         Initiative bloss ein bürokratisches Regelwerk
ren weiter verbessert worden ist. Beispiels­         Anspruch auf einen Anwalt, den geschädigten           und ein besonders abstruses Beispiel für die
weise dürfen Meerschweinchen oder Wellen­            Tieren ist dieses Recht jedoch verwehrt.»             Vermenschlichung von Tieren?
sittiche nicht mehr alleine gehalten werden.           Gemäss Goetschel werden Tierquälereien                Alex Rübel, Direktor des Zoos Zürich, kennt
Die Kantone wurden verpflichtet, Tierschutz­         immer noch als Kavaliersdelikte behandelt.            Goetschel bestens, die beiden waren als Kinder
fachstellen einzurichten und vorsätzliche Ge­        Tatsächlich gab es im Jahr 2008 zwar 318 Straf­       zusammen in der Pfadi: Goetschel als «Sun­
setzesverstösse konsequent zu ahnden.                verfahren, aber nur gerade vier Freiheitsstra­        ny», Rübel hiess «Chüngel». Er weiss genau,

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                                                                                                                                               Bild: 13photo.ch
Im Reich der Tiere - Antoine F. Goetschel
würden. Der Tieranwalt ist an einer Podiums­
                                                                                                    diskussion im «Zentrum Karl der Grosse» in
                                                                                                    Zürich erschienen. Er ist zwar bloss Zuschauer
                                                                                                    und sitzt in der zweiten Reihe. Trotzdem
                                                                                                    kommt er immer wieder zu Wort, zückt Unter­
                                                                                                    lagen und beantwortet Fragen aus dem Publi­
                                                                                                    kum. Auf der Seite der Gegner sitzt der Zuger
                                                                                                    SVP-Nationalrat Marcel Scherer, Schweine­
                                                                                                    züchter seit dreissig Jahren. Er sagt: «Die Initi­
                                                                                                    ative offenbart im Namen schon, für wen sie
                                                                                                    wirklich ist: für die Anwälte und nicht für die
                                                                                                    Tiere.» Dann streiten die Kontrahenten über
                                                                                                    die Schwere und die Bestrafung einzelner Fäl­
                                                                                                    le. Sind die 200 Franken genug, die ein Mann
                                                                                                    im Kanton Zug als Strafe erhielt, nachdem er
                                                                                                    einen Hund mit einem Holzknüppel erschla­
                                                                                                    gen hatte? Warum erhielt der Bauer im Kanton
                                                                                                    Freiburg, der seine Katze am Fell gepackt und
                                                                                                    im Wassertrog ersäuft hatte, einen Freispruch?
                                                                                                    Und wie konnte es passieren, dass im Wallis
«Alle glücklich und froh»: Bauer und CVP-Nationalrat Büchler.                                       zwei Hobbyhirten fünfzehn Schafe über Nacht
                                                                                                    auf einer Alp liessen, so dass am nächsten Mor­
                                                                                                    gen alle erfroren waren? Zwar wurden die
                                                                                                    beiden zu je 600 Franken Busse verurteilt, in
                                                                                                    zweiter Instanz aber wegen eines Verfahrens­
                                                                                                    fehlers freigesprochen. Hätte das ein Tieran­
                                                                                                    walt verhindern können?

                                                                                                    «Der Tieranwalt ist für die Füchse»
                                                                                                    Im Restaurant neben dem Saal sitzt Köbi Büch­
                                                                                                    ler, CVP-Nationalrat und Bauer aus dem sankt-
                                                                                                    gallischen Linthgebiet. Er bestellt eine heisse
                                                                                                    Schokolade, breitet seine Dokumente aus und
                                                                                                    zeigt einen selbstgeschriebenen Leserbrief:
                                                                                                    «Der Tieranwalt ist für die Füchse.» Büchler
                                                                                                    zählt auf: «Zum Tierschutzgesetz gibt es eine
                                                                                                    158 Seiten starke Tierschutzverordnung. Es
                                                                                                    gibt Regeln für Zierfische und deren Aquarien.
                                                                                                    Hundehalter müssen Theorie- und Praxis­
                                                                                                    kurse besuchen und ebenso wie Hobbyfischer
                                                                                                    einen Sachkundeausweis erlangen. Es ist wirk­
                                                                                                    lich alles geregelt. Wozu braucht es also noch
Tiere haben ein Bewusstsein: Zoodirektor Rübel.                                                     einen Tieranwalt?»
                                                                                                       Den Bauernhof mit dreissig Kühen auf
wohin eine übermässige Tierliebe führen           anderswo». Es zeichne eine Kultur schliesslich    zwanzig Hektaren hat er mittlerweile seinem
kann, und hört ständig die Frage: Warum ist       aus, wie sie mit Tieren umgehe. Ein «ärger­       Sohne weitergegeben. Viermal pro Jahr komme
der Tiger allein im Gehege? Ist er nicht ein­     liches Modewort» ist für ihn allerdings der Be­   der Kontrolleur unangemeldet zu Besuch! «Da
sam? Dabei lebten Tiger auch in der freien        griff «artgerecht», mit dem viele Tierschützer    gibt es kein Pardon», sagt Büchler. Er sei ver­
Wildbahn zu 99 Prozent als Einzelgänger, sagt     ihre Forderungen begründeten. «Artgerecht         pflichtet, alles aufzulisten, Medikamente,
Rübel. Oder er erzählt von einer Tierschütze­     würde bedeuten, dass wir Katzen nicht mehr        Wartefristen für die Milchgewinnung; er
rin der Organisation Animal Peace, die ihren      kastrieren dürfen oder der Löwe im Zoo einem      führe ein Weidejournal und berechne selbst
Katzen Soja verfütterte. «Die Vermenschlichung    aufgeschreckten Zebra hinterherjagt.»             die Düngerbildung seiner Kühe mit einem
führt dazu, dass man vom Menschen aus denkt          Für Rübel geschehen die meisten Quälereien     «Computerprogramm, das so kompliziert ist
und nicht vom Tier aus», sagt Rübel. Dabei sei    nicht aus bösem Willen, sondern aus purem         wie die Steuerrechnung». Bis zu einem Fünf­
der Mensch selber nichts anderes als ein Säuge­   Unwissen, aus nachlässigem und fahrlässigem       tel seiner Arbeitszeit müsse ein Bauer heute
tier, und je weiter eine Tierart von uns weg      Verhalten. Wichtiger als neue Gesetze sind für    schon für administrative Arbeiten aufbringen.
sei, umso mehr unterscheide sich ihre Lebens­     ihn denn auch ein verschärftes Bewusstsein        «Entweder hat man eine gute Frau, oder es
weise von der unsrigen. «Wenn man ein Tier        und eine professionelle Beratung von Tier­        braucht dazu ein Sekretariat», sagt Büchler.
wirklich schützen will, muss man es kennen        ärzten und -händlern. «Würden die bestehen­          Es sei im «ureigenen Interesse der Bauern»,
und Rücksicht auf seine Bedürfnisse nehmen.»      den Gesetze richtig angewendet, brauchte es       dass es den Tieren gutgehe. Und zwar nicht,
  Für den Zoodirektor ist es erwiesen, dass       keinen Tieranwalt», sagt Rübel.                   weil bei einem Verstoss die Direktzahlungen
Tiere ein Bewusstsein haben und Schmerzen            Es ist eine Antwort, die auch Goetschel un­    gekürzt werden. Eine kranke Kuh bringe keine
empfinden. Er ist darum froh, dass in der         terschreiben würde. Bloss findet er, dass die     Milchleistung, und seit sein Sohn und viele
Schweiz «ein höherer Standard herrscht als        Gesetze ohne ihn nicht richtig angewendet         ››› Fortsetzung auf Seite 43

Weltwoche Nr. 7.10                                                                                                                                 41
Bilder: 13photo.ch
Im Reich der Tiere - Antoine F. Goetschel
Artenschutz                                                                                           Allein in China leben 5000 Tiger in Gefan­
                                                                                                           genschaft. Sie werden in Rudeln gehalten,
     Esst Tiger!                                                                                           müssen durch brennende Reifen springen
                                                                                                           und zum Vergnügen der Besucher Kühe
     Die grösste Raubkatze der Welt ist bald ausgestorben. Nur eine                                        jagen. Da sie an den Menschen gewöhnt
     neue Strategie, könnte sie noch retten. Von Kai Michel                                                sind, kann man sie nicht auswildern. In der
                                                                                                           Hoffnung, dass der Handel bald wieder
                                                                                                           legalisiert wird, horten die Farmen Tonnen
                                                                                                           von Tigerkadavern. Mehr oder minder of­
                                                                                                           fen verkaufen sie auch tiger bone wine, ein
                                                                                                           Wundermittel, das so ziemlich gegen alles
                                                                                                           helfen soll. Gut 200 Dollar kostet eine Fla­
                                                                                                           sche. Die Behörden schauen weg.
                                                                                                              Erlaubte man den Tigerhandel wieder,
                                                                                                           befürchten Organisationen wie der WWF,
                                                                                                           steige auch die Nachfrage nach Tigerarz­
                                                                                                           neien erneut. Dann wäre es ein Leichtes,
                                                                                                           billig gewilderte Tiger in den Markt einzu­
                                                                                                           schleusen. Ausserdem wirke das Verbot
                                                                                                           doch: Eine Studie habe gezeigt, dass es von
                                                                                                           93 Prozent der Chinesen akzeptiert werde.
                                                                                                              Bloss, kontern die Befürworter einer
                                                                                                           marktorientierten Lösung, habe dieselbe
                                                                                                           Umfrage ergeben, dass 43 Prozent der Chi­
                                                                                                           nesen noch Tigerprodukte benutzen. Die
                                                                                                           Dunkelziffer dürfte viel höher liegen. Alle
                                                                                                           Versuche, die Chinesen umzuerziehen,
                                                                                                           zeugten von westlicher Arroganz, sagt
     Heil- und Potenzmittel: Tiger in Gefangenschaft.                                                      Stossel, die Tigermedizin wurzle tief in der
                                                                                                           chinesischen Kultur. Wichtiger sei doch:
     Der TV-Beitrag zum Thema Artenschutz               nächsten Jahr des Tigers, 2022, keine freien       Überall dort, wo man Tiere nutze, bewahre
     erregte die Gemüter. Man solle den Verant­         Tiere mehr geben wird.                             man sie vor dem Aussterben. So habe man
     wortlichen sofort feuern, forderten die              Schon vor drei Jahren argumentierte Barun        die Bisons in den USA gerettet, mit kont­
     Zuschauer. «Es könnte sein, dass Tiger bald        Mitra, Direktor des indischen Liberty Insti­       rolliertem Elfenbeinhandel mache man in
     aussterben», hatte ABC-Journalist John             tute, es sei gerade der staatliche, mit Verboten   Afrika gute Erfahrungen, und in Südafrika
     Stossel seine Moderation begonnen. Vor             operierende Tierschutz, der Tiger zu einem         dürften Trophäenjäger für viel, dem Tier­
     einem Jahrhundert habe es noch 100 000             für Wilderer so lukrativen Produkt gemacht         schutz zugutekommendes Geld einzelne
     Exemplare in freier Wildbahn gegeben; ak­          habe. Schätzungen gehen davon aus, dass ein        Nashörner abschiessen. Die Menschen vor
     tuelle Schätzungen gingen von nur noch             gewilderter Tiger mindestens 70 000 Dollar         Ort müssen einen konkreten Nutzen haben,
     3200 Tieren aus. «Wie können wir sie ret­          bringt. «Das passiert, wenn Regulierungen          dann schützen sie die Tiere.
     ten?», fragte Stossel. «Hier ist eine Idee:        das Gesetz von Angebot und Nachfrage unter­           Die lokalen Institutionen seien in der
     Wir sollten sie essen.»                            graben», sagt Mitra. Deshalb kommen jetzt          Regel viel zu korruptionsanfällig, um einen
       Die von Stossel ketzerisch zugespitzte           auch die kanadischen Umweltökonomen Cor­           wirksamen Schutz durchzusetzen, sagen
     These basiert auf den Ideen Terry Ander­           nelis van Kooten und Brant Abbott zu dem           die Umweltökonomen van Kooten und
     sons, der das Property and Environment             Schluss, dass nur die kommerzielle Zucht die       Abbott. Deshalb müsse man die Lebensräu­
     Research Center leitet. «Um Tiger zu ret­          wilden Tiger retten könnte. Sie rechneten ent­     me aufwerten, zugleich aber einen kontrol­
     ten», sagt Anderson, «müssen wir sie zu            sprechende Modellszenarien durch.                  lierten Handel durch lizenzierte Farmen
     einem vermarktbaren Produkt machen.»                 Zerstörung von Lebensraum, fehlende Beu­         zulassen. Diese müssten Tierschutzstan­
     Bleibe man bei der bisherigen Praxis, die          tetiere und Wilderei brachten die Raubkatzen       dards befolgen und überwacht werden, da­
     das Töten und den Handel mit Tigern ver­           an den Rand des Aussterbens. Vor allem             mit sie nicht zu Orten für den Umschlag
     bietet, seien die Grosskatzen zum Unter­           die traditionelle chinesische Medizin trägt        gewilderter Ware werden. So liesse sich die
     gang verurteilt.                                   grosse Verantwortung dafür. Knochen, Kral­         Nachfrage durch die traditionelle Medizin
       Während am vergangenen Sonntag in                len, Penisse – kaum ein Körperteil, das nicht      befriedigen. Wenn flankierend stärkere
     China das Jahr des Tigers gefeiert wurde,          zum Heil- oder Potenzmittel verarbeitet wird.      Massnahmen gegen Wilderei ergriffen
     durchstreifen keine fünfzig Tiger mehr das         Im September will eine internationale Tagung       werden, sinke der Schwarzmarktpreis. Da
     Reich der Mitte auf freien Tatzen. Obwohl          in Wladiwostok unter dem Vorsitz Wladimir          aber zugleich das Risiko für den Jäger stei­
     seit über dreissig Jahren der Handel mit           Putins alle Tigerstaaten auf gemeinsame            ge, lohne die Wilderei nicht mehr.
     Tigerprodukten international geächtet ist          Schutzziele wie Habitatsverbesserungen ver­           Doch die Bereitschaft, solche Lösungsan­
     und China seit 1993 auch den Binnenhan­            pflichten. Die Legalisierung des Handels wird      sätze umzusetzen, ist gering. Moderator
     del verbietet, haben sich die Tigerzahlen          dann aber nicht auf dem Programm stehen. Im        John Stossel mag deshalb nicht an ein
     weltweit allein in den letzten zehn Jahren         Gegenteil: Vertreter der Weltbank fordern,         Happy End glauben: «Man kann ja nicht
     halbiert. Es ist zu befürchten, dass es zum        existierende Tigerfarmen zu schliessen.            einmal darüber diskutieren.»

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                                                                                                                                Bild: Christine Schneider (Corbis, RDB)
Im Reich der Tiere - Antoine F. Goetschel
››› Fortsetzung von Seite 41                        Eine schlechte Laune ist jedoch das Letzte, was     sagt Goetschel. Etwa so: Komme es zu einer
                                                    man «Sunny» Goetschel vorwerfen könnte.             Anzeige gegen eine Frau, die ihren Hund so
seiner Kollegen die Kühe nicht mehr im Stall        Der Tieranwalt steht in der Bibliothek neben        lange an der prallen Sonne im Auto vergass, bis
anbinden würden, seien sie auch viel «stie­         seinem Büro im Zürcher Seefeld. Stolz erzählt       er starb, schreibe der Tieranwalt eine Stellung­
riger» geworden, sind also paarungsbereiter         er von den rund achttausend Büchern über            nahme und empfehle der Staatsanwaltschaft
und bringen mehr Kälber zur Welt. «Meine            Tierschutz und -ethik, auf die er und die Mit­      eine Busse von 45 Tagessätzen und 500 Fran­
Kühe fühlen sich pudelwohl. Sie können              arbeiter der von ihm gegründeten Stiftung           ken. «Das wird dann schnell und einfach
essen, schlafen, spazieren, sich von der Bürste     «Tier im Recht» Zugriff haben. Er spricht wie­      durchgewinkt», sagt Goetschel.
kratzen lassen und herumtollen, wann immer          der vom «Erbe der Humanität» und von der
sie wollen», sagt Büchler. Selbst im Winter         «Verpflichtung einer aufgeklärten Gesellschaft».    Der selbstloseste Tierfreund der Welt
seien sie dreimal pro Woche für mehrere Stun­       Man kommt kaum dazu, Fragen zu stellen,             Er sei nicht an einer Aufblähung der Verfahren
den im Freien, und «der Erste, der dabei friert,    und zwangsläufig muss man schmunzeln.               interessiert und bezahle mit den 80 000 Fran­
ist der Bauer».                                     Goetschel lächelt zurück, unterbricht kurz          ken hauptsächlich eine juristische Mitarbeite­
   Erinnert man sich allerdings, wie sich die       und zitiert Mahatma Gandhi: «Die Grösse und         rin, sagt der Tieranwalt. Für das eigene 30-Pro­
Bauern damals gegen die neuen Gesetze und           den moralischen Fortschritt einer Nation kann       zent-Pensum beziehe er bloss den Stundenlohn
verordneten Laufställe gewehrt haben, könnte        man daran messen, wie sie die Tiere behan­          eines amtlichen Verteidigers von 200 Franken.
man den Eindruck bekommen, dass man sie             delt . . .» – Herr Goetschel, verursachen Sie als   Seine restliche Anwaltstätigkeit könne er hin­
zu ihrem Glück zwingen musste. «Die Anpas­          Tieranwalt nicht bloss mehr Bürokratie? «Die        gegen mit Ansätzen zwischen 350 und 400
sungen waren aber sehr teuer», sagt Büchler,        Bürokratiekeule!», ruft er theatralisch und setzt   Franken verrechnen.
«und heute ist die Grenze erreicht.» Er erzählt     sich endlich hin. «Der Zweck des Tieranwalts          «Ist es nicht erstaunlich, dass es im Kanton
von den hohen Stallbaukosten, die mit jedem         ist es, bestehende Gesetze strafrechtlich zur       Zürich 2008 zu rund 190 Strafverfahren
neuen Tierschutzgesetz weiter steigen. Und er       Anwendung zu bringen. Ist es nicht viel büro­       gekommen ist und in den Kantonen Wallis,
ärgert sich über die Doppelmoral von Leuten,        kratischer, ein Gesetz zu machen, wenn man          Glarus und Tessin bloss zu drei?», fragt Goet­
die stets nach strengeren Vorschriften schrien,                                                         schel. «Was würde eine Annahme der Initiati­
im Laden dann aber Fleisch und Eier aus einer       «Hat man in der Wirtschaftskrise                    ve in diesen Kantonen wohl auslösen?» – Aber
EU-Tierfabrik kauften.                                                                                  wie will er garantieren, dass ein Tieranwalt
   Büchler redet abgeklärt und bestimmt. «Hat
                                                    nichts Besseres zu tun, als neue                    nicht zu einem Fanatiker wird, der Bauern
die Schweiz während einer Wirtschaftskrise          Gesetze zu machen?»                                 und Gerichte unnötig beschäftigt? «Fanatiker
wirklich nichts Besseres zu tun, als neue Gesetze                                                       sind kontraproduktiv», sagt Goetschel. Einen
zu machen?» Es bestehe heute schon für alle         weiss, dass es nicht angewendet wird?», fragt       schlechten Tieranwalt könne man alle vier Jah­
Kantone die Möglichkeit, einen Tieranwalt ein­      er und folgert: «Wer für Law and Order ist,         re wieder abwählen.
zusetzen; es brauche dafür nicht den Bund, der      muss auch für den Tieranwalt sein.»                   Er könnte noch lange reden, wartet ständig
allen Vorschriften macht. Die Initiative würde        Und dann macht er einen Vergleich: «Jeder         auf die nächste Frage und ist fast enttäuscht, als
nur unnötig in die Autonomie der Kantone ein­       Steuerzahler zahlt jährlich 400 Franken an          man sich wieder verabschiedet. Restlos über­
greifen und zu mehr Bürokratie und höheren          Direktzahlungen für die Bauern. Im Kanton           zeugt davon, dass man im Land der strengsten
Kosten führen. Die bestehenden Gesetze, das         Zürich zahlt jeder Einwohner acht Rappen            Tierschutzgesetze auch noch einen Tieranwalt
Geld und der Papierkrieg, den sie befürchten,       für den Tieranwalt. Ist das wirklich zu viel?»      braucht, ist man zwar auch nach einer Stunde
sind die wichtigsten Argumente der Initiativ-       80 000 Franken würde sein Amt den Steuer­           in seinem Büro nicht. Aber es überkommt einen
Gegner. Büchler trinkt den letzten Schluck sei­     zahler nämlich nur kosten, die Verfahrenskos­       das Gefühl, man spreche mit dem selbst­losesten
ner Schokolade und sagt: «Wenn es alle Men­         ten der Behörden natürlich nicht eingerech­         Tierfreund der Welt, dem leibhaftigen Franz
schen auf der Welt so gut hätten wie unsere         net, aber diese seien «lapidar». «Die Strafe        von Assisi. Goetschel lächelt wieder, lehnt sich
Tiere, wären wir alle glücklich und froh.»          sollte schnell, angemessen und richtig sein»,       zurück und faltet die Hände.                   g

2 OSCAR ® NOMINIERUNGEN

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Im Reich der Tiere - Antoine F. Goetschel
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