BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG

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BULLETIN
                                  DER
                            BUNDESREGIERUNG
                              Nr. 80-4 vom 8. Juni 2021

Rede des Bundesministers des Auswärtigen,
Heiko Maas,

zur Eröffnung der 19. Botschafterkonferenz
am 7. Juni 2021 als Videobotschaft:

Wir sind jetzt dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl. Und je näher dieser Termin
rückt, desto häufiger werde ich gefragt, und zwar im Inland wie im Ausland: Wie geht
es weiter, politisch, in Deutschland?

Ich bin mir ziemlich sicher, viele von Ihnen kennen diese Frage auch aus Ihren Gast­
ländern. Nicht selten schwingt eine gewisse Sorge mit, Deutschland könne erst einmal
mit sich selbst beschäftigt sein, so wie wir das sechs Monate nach der letzten Bundes­
tagswahl erlebt haben, und das in Zeiten, in denen die Welt sich neu finden und ein
ganzes Stück weit auch neu erfinden muss.

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gerade jetzt heute hier treffen und die Gelegenheit
nutzen, von hieraus zwei Botschaften zu senden. Erstens: Trotz aller berechtigten Aus­
einandersetzungen um den künftigen Kurs, der außenpolitische Grundkonsens der
Bundesrepublik – dieses Viereck aus europäischer Integration, multilateraler Verant­
wortung, Verlässlichkeit im Bündnis und internationaler Solidarität – steht nicht zur Dis­
position. Und zweitens: Deutschlands Diplomatinnen und Diplomaten stehen mit Am­
bition und mit Realismus für genau diesen Grundkonsens, auch in Zukunft.

Diese Zeit wird eine ganz entscheidende sein, denn trotz des weltweiten Lockdowns
der vergangenen Monate kann – wenn man sich auf der Welt umschaut – ja von Still­
stand keine Rede sein. Die Frage ist nur: Wohin bewegt sich die Welt und ist es immer
in die richtige Richtung?
Bulletin Nr. 80-4 vom 8. Juni 2021 / BMAA – zur Eröffnung der Botschafterkonferenz, Videobotschaft

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Geopolitisierung, De-Globalisierung, Re-Nationalisierung, aber auch Quantensprünge
bei Digitalisierung und Technologisierung – das sind nur einige der Entwicklungen,
über die wir sprechen wollen heute und in den nächsten Tagen.

Doch bevor ich dazu komme, möchte ich zunächst einen Schritt zurückgehen, genauer
gesagt zum 14. Juni 2019. Damit bin ich bei Dir, liebe Ine Marie Eriksen Søreide, und
bei meinem damaligen Besuch in Oslo, als Ihr Euer Weißbuch in Sachen Multilatera­
lismus vorgestellt habt und ich die Ehre hatte, daran mitzuwirken.

Of course, no one at the time could have predicted the pandemic. But what we are
seeing today, makes your assessment back then sound even more visionary. You cal­
led upon us, as Europeans, to do more to defend our liberal values against authorita­
rian influences. To mitigate the side effects that our societies are feeling due to globa­
lisation and the digital transformation. And to look for new ways to uphold global order.
Far-sighted in your analysis and fearless in your approach – that is how I got to know
you.

However, it wasn’t until yesterday that I learned that these qualities are not only hall­
marks of your service as Norway’s minister of defence and first female foreign minister.
But that you keep sharpening those strategic and tactical skills even in your free time
– as a skydiver and by taking flying lessons.

So, thank you, Ambassador Grannas, for letting me in on that secret, and I hope I didn’t
give it away now. And thank you very much, dear Ine, for your friendship – and for
joining us today.

Die Chancen und Herausforderungen, mit denen der Zeitraffer Corona uns konfron­
tiert, mögen nicht neu sein. Neu ist aber die Dringlichkeit, mit der wir uns ihnen stellen
müssen. Beginnen möchte ich mit den Chancen, weil ich in den letzten Monaten auch
oft allzu oft den Eindruck hatte, dass man immer mit den Risiken begonnen hat. Bei
unserer letzten Botschafterkonferenz vor einem Jahr hätte wohl kaum einer von uns
darauf gewettet, dass wir der Pandemie wenige Monate später gleich mit mehreren
Impfstoffen beikommen könnten.
Bulletin Nr. 80-4 vom 8. Juni 2021 / BMAA – zur Eröffnung der Botschafterkonferenz, Videobotschaft

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Die Impfplattform Covax, deren zweitgrößter Unterstützer wir übrigens sind, hat bis­
lang rund 80 Millionen Impfdosen an zwei Drittel der Länder weltweit ausgeliefert. Die
Europäische Union allein exportiert mehr Impfstoff als alle anderen Industriestaaten
zusammen. Und ich bin Ihnen dankbar, wie sehr Sie dieses Engagement in Ihren Gast­
ländern öffentlich flankieren.

Aber klar ist auch, dass wir noch mehr tun müssen – etwa beim Ausbau der Produktion
vor allen Dingen in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Vor allem sollten wir uns
sehr bald darauf verständigen, überschüssige Impfdosen, die es ja spätestens im drit­
ten Quartal auch in Deutschland und in vielen anderen Ländern in Europa geben wird,
so schnell es geht über Covax an die Länder abzugeben, deren Impfprogramme noch
weit zurückliegen. Von diesen Ländern gibt es leider viel zu viele.

Es geht darum, das Versprechen einzulösen, das wir zusammen mit mehr als 60 an­
deren Staaten im Rahmen der „Allianz für den Multilateralismus“ letztes Jahr gegeben
haben, dass Impfungen ein „global public good“ sind. Damit tun wir nicht nur einen
entscheidenden Schritt aus der Krise. Wir sorgen zugleich dafür, dass der Multilatera­
lismus und nicht etwa Abschottung und Impfnationalismus zum Gewinner dieser Pan­
demie wird. Dieser Kampf ist noch lange nicht gewonnen.

Damit rückt auch unser nächstes Ziel in Reichweite: ein globaler Pandemievertrag.
Denn aus der Krise zu lernen, heißt vor allem, sich besser aufzustellen für die nächste
Gesundheitskrise, die ganz sicherlich kommen wird.

Eine bessere Aufstellung haben wir auch uns selbst verordnet. Das ist das Ziel unseres
Weißbuchs Multilateralismus, das wir, liebe Ine, noch heute Nachmittag gemeinsam
bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik vorstellen werden. Es führt erst­
mals alle Instrumente internationalen Handelns innerhalb der Bundesregierung zu­
sammen – und das ist auch überfällig. Vor allem aber verdeutlicht es, wie und wo
internationale Kooperation Wirkung entfaltet auf das Leben der Bürgerinnen und Bür­
ger in unserem Land. Das sichert Rückhalt für unsere Arbeit – Rückhalt, den wir brau­
chen werden, gerade wenn die öffentlichen Mittel absehbar knapper werden, und das
wird in den kommenden Jahren der Fall sein.
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Eine weitere Chance liegt natürlich in der Rückkehr der Vereinigten Staaten in die in­
ternationale Zusammenarbeit. Das haben wir erst vergangene Woche bei unserem
Nato-Außenministertreffen noch einmal gesehen. Die ganze Atmosphäre ist eine völlig
andere, zum Glück.

Wir Europäer haben auf Joe Bidens „America is Back“ geantwortet mit: „OK, we are
still here.“ Es ist kein Geheimnis, dass die Stabilität internationaler Ordnung und der
Fortbestand manch internationaler Organisation selbst auf dem Spiel standen in den
letzten Jahren. Wir haben uns politisch, konzeptionell und finanziell in diesen Jahren
dagegen gestemmt. Inzwischen zeigt das erste Früchte und auch, wie wichtig es ist,
was wir getan haben.

Dass wir in Wien nun auf der Zielgeraden sind in den Verhandlungen über die Wieder­
herstellung des Nuklearabkommens, ist natürlich auch ein Ergebnis europäischer Hart­
näckigkeit und Zuverlässigkeit. Wir hoffen, dass der Iran nun schnell den nötigen poli­
tischen Willen aufbringt, um diese Verhandlungen über die Ziellinie zu tragen.

Auch in den Krisen in unserer Nachbarschaft übernehmen wir Europäer mehr Verant­
wortung entgegen all dem, was öffentlich diskutiert wird. Ich denke dabei zum Beispiel
an unser umfassendes Engagement im Sahel, gerade auch in schwierigen und
schwieriger werdenden Zeiten. Aber auch an unseren diplomatischen Einsatz in Li­
byen, der nicht nur als Blaupause dienen kann für ein zunehmend europäisches Kri­
senmanagement, sondern auch für eine bessere euro-atlantische Lastenteilung.

Gleiches gilt mit Blick auf die sechs Länder des westlichen Balkans, deren Vertreter
wir morgen im Rahmen des Berliner Prozesses zusammenbringen. Auch hier muss
Europa führen, denn mit dem Beitrittsprozess sind wir es, die den stärksten Hebel ha­
ben, um viele der Probleme, die es auf dem westlichen Balkan gibt, in die richtige
Richtung zu lenken.

Doch auch jenseits der Außen- und Sicherheitspolitik müssen wir in transatlantische
Aufgabenteilung und Abstimmung investieren, gerade jetzt, um weitere Säulen einzu­
ziehen, die diese Partnerschaft auch in Zukunft tragen. Dazu zählt eine engere Zu­
sammenarbeit bei Handel und Technologie, wo wir dabei sind, die Zeit gegenseitiger
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Zölle und Sanktionen endlich zu überwinden. Wir sollten gemeinsam überlegen, wie
wir unsere Ansprüche an Freiheit und Sicherheit durchsetzen können und das vor allen
Dingen auch im digitalen Zeitalter. Aber auch wie wir freien Handel besser verbinden
mit dem Schutz von Arbeitsplätzen, Umwelt- und Sozialstandards, die den Menschen
auf beiden Seiten des Atlantiks nützen.

Eine weitere Säule ist der Klimaschutz. Die Klimakonferenz in Glasgow ist zum Erfolg
nahezu verdammt – darin bin ich mir mit John Kerry sehr einig gewesen, als er vor
einigen Wochen zu Besuch hier in Berlin gewesen ist. Und es ist auch gut, dass es
noch im Juni einen Neustart der Transatlantischen Klimabrücke geben wird. Denn wir
brauchen vor Glasgow zwingend einen transatlantischen Schulterschluss bei erneuer­
baren Energien, in Finanzierungsfragen, aber auch bei so schwierigen Themen wie
dem Emissionshandel und der CO2-Bepreisung.

Und schließlich müssen wir unser Wertefundament festigen und damit die Resilienz
unserer liberalen Demokratien. Vieles von dem, was wir in den letzten Jahren dazu an
Vorarbeit geleistet haben – im Kampf gegen Desinformation oder zum Schutz der Me­
dienfreiheit etwa –, das können wir nun mit Rückenwind statt mit Gegenwind weiter­
betreiben, und zwar endlich auch wieder aus Washington. Und darin liegt auch unser
Angebot mit Blick auf den „Summit for Democracy“, den Präsident Biden plant. Dabei
sind wir uns mit Washington einig: Ein engerer Schulterschluss mit anderen Demokra­
tien – in Lateinamerika, Afrika und Asien – bedeutet keine neue Zweiteilung der Welt.
Wir wollen keinen Kalten Krieg reloaded.

Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, wenn andere die Systemfrage stellen. Denken
wir nur an die zum Systemwettbewerb hochstilisierte Masken- und Impfstoffdiplomatie.
An Moskaus hybride Methoden der Einmischung. Oder an Pekings immer rigorosere
Art, ökonomische Abhängigkeiten in politische Gefolgschaft umzumünzen. Diese Art
der ideologischen Blockbildung werden Deutschland und Europa nur überwinden aus
einer Position eigener Stärke – und sicherlich nicht aus einer der politischen Äquidis­
tanz.
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Was das praktisch bedeutet, lässt sich am besten mit Blick auf unsere eigene verän­
derte Asienpolitik erläutern. Dabei stehen drei grundlegende Prinzipien im Mittelpunkt:
Differenzierung, Diversifizierung und Europäisierung. Differenzierung bedeutet, zum
einen, Asienpolitik nicht nur mit China gleichzusetzen. Und zum anderen, die Region
nicht primär nur durch die Brille guter Wirtschaftsbeziehungen zu sehen.

Natürlich haben wir daran ein großes Interesse – im Übrigen auf beiden Seiten. Und
auch beim Klimaschutz, bei der Agenda 2030 oder bei der Reform internationaler Or­
ganisationen wie der Welthandelsorganisation kommen wir ohne China nicht wirklich
voran. Doch dort, wo China immer offener gegen internationales Recht verstößt, Men­
schenrechte verletzt oder unser demokratisches System herausfordert, da müssen
auch wir stärker gegenhalten als wir das in der Vergangenheit getan haben. Und Ein­
schüchterungen und Drohungen werden uns davon nicht abhalten.

Ein Schlüssel dafür liegt in der Diversifizierung. Dafür stehen unsere neuen Indo-Pa­
zifik-Leitlinien. Es geht nicht darum, China einzuhegen – das wäre auch absurd –, son­
dern es geht ganz wesentlich darum, uns selber zu stärken, zum Beispiel durch eine
engere Zusammenarbeit mit Partnern wie Japan, Indien, Südkorea und Australien so­
wie den ASEAN-Staaten.

Der zweite Hebel ist eben die Europäisierung dieser Politik entlang der Linie: Koope­
ration wo möglich, aber klare Haltung, wo nötig. Dazu braucht es nicht nur größere
europäische Geschlossenheit, wie wir sie etwa bei den Sanktionen im Menschen­
rechtsbereich gerade in den letzten Monaten gezeigt haben, sondern zugleich mehr
konkrete Kooperationsangebote, wie zum Beispiel die europäische Konnektivitätspart­
nerschaft mit Japan und Indien.

Hand in Hand gehen muss dies auch mit einer Stärkung dessen, was wir einmal „Tech-
Diplomacy“ genannt haben. Denn was wir im Auswärtigen Amt in den letzten Monaten
im Kleinen erlebt haben – einen Schub hin zu mehr Flexibilisierung, Digitalisierung und
Technologisierung –, das ist im Großen dabei, das weltweite Machtgefüge ganz grund­
sätzlich zu verändern. Kurz gesagt: Technologie ist die Machtressource unseres Jahr­
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hunderts. Deshalb müssen wir mithalten können im globalen Wettbewerb um Schlüs­
seltechnologien wie Halbleiter, Quantencomputer, 5G oder künstliche Intelligenz. Wie
das konkret aussehen kann – darüber werden wir morgen beim Wirtschaftstag mitei­
nander sprechen.

Heute vielleicht nur so viel dazu: Zum einen wird es darum gehen, digitale Trends von
Tokio bis San Francisco früher zu erkennen und daraus Ideen für neue Technologie­
partnerschaften zu entwickeln. Zum anderen brauchen wir neue ethische und auch
völkerrechtliche Standards, die die Risiken neuer Technologien im Frieden wie im
Krieg einzuhegen vermögen.

Wir müssen auch selbst innovativer werden und unsere Ideen besser schützen – daran
arbeiten wir ja zusammen in der EU. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für
Risikokapital, aber eben auch eine bessere Investitions- und Exportkontrolle bei
Schlüsseltechnologien. Und um die Quadratur des Kreises perfekt zu machen, dürfen
wir dadurch nicht ungewollt den freien Welthandel zum großen Verlierer dieser Pan­
demie werden lassen.

Damit das gelingt, müssen wir „frei“ künftig konsequent ergänzen durch „sozial“ und
„ökologisch“. Nur dann wird es hier in Europa weiterhin Rückhalt geben für globale
Vernetzung, vor allen Dingen auch wirtschaftlich. Und nur so werden wir unsere hohen
Lebens-, Umwelt- und Sozialstandards wahren, anstatt sie durch Abschottung aufs
Spiel zu setzen.

Den Grundstein dafür haben wir mit dem Europäischen Wiederaufbauprogramm ge­
legt, das neue Standards gesetzt hat in Sachen nachhaltiges Wachstum, aber eben
auch in Sachen europäischer Solidarität. Weil wir Solidarität im Innern und Souveräni­
tät nach außen immer als zwei Seiten derselben Medaille verstanden haben, müssen
wir nach den Krisen im Innern nun auch weiter vorankommen bei der außenpolitischen
Handlungsfähigkeit Europas.

Wir können uns nicht länger in Geiselhaft nehmen lassen von denjenigen, die die eu­
ropäische Außenpolitik durch ihre Vetos lähmen. Wer das tut, spielt über kurz oder
lang mit dem Zusammenhalt Europas. Deshalb muss man auch ganz offen sagen: Das
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Veto muss weg – auch wenn das bedeutet, dass man selbst einmal überstimmt werden
kann.

Ich bin und bleibe auch zuversichtlich, dass das Thema „Mehrheitsentscheidungen“
ein zentraler Punkt sein wird in den Diskussionen bei der „Konferenz zur Zukunft Eu­
ropas“. Um diese Debatten umzumünzen, in echte Fortschritte für die Bürgerinnen und
Bürger Europas, braucht es eben zweierlei, nämlich das, was ich anfangs schon er­
wähnt habe: Ambition, aber auch Realismus. Ambition, den eingeschlagenen Weg hin
zu einem souveränen Europa konsequent weiterzugehen. Und zugleich den Realis­
mus zu erkennen, dass uns weder ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten
noch ein europäischer Hurra-Föderalismus weiterführen, weil sie eben nicht an­
schluss- und mehrheitsfähig sind bei unseren Partnern.

Ich glaube, dass der eigentliche Spaltpilz innerhalb der Europäischen Union nicht die
Migrationsfrage ist. Sie ist eine außerordentlich schwierige und die Zusammenarbeit
zwischen den Europäischen Regierungen belastende. Aber die strukturelle Gefähr­
dung besteht meiner Ansicht nach in einem Europa der zwei Geschwindigkeiten, in
einem Kerneuropa und dem Rest, das vor allen Dingen von unseren Partnern in Mittel-
und Osteuropa als ein Europa erster und zweiter Klasse wahrgenommen wird.

Wenn das eintritt, werden wir die, mit denen wir heute schon Probleme haben in Mittel-
und Osteuropa, endgültig verlieren – und so weit darf es nicht kommen. Arbeiten wir
stattdessen lieber weiter daran, die Defizite Europas, und zwar im Hier und Jetzt, zu
beseitigen. Das heißt, die erwähnte Vielstimmigkeit in der Außenpolitik, unsere Schwä­
chen in der Krisenbewältigung, die wir in den letzten Monaten sehr deutlich gesehen
haben, aber natürlich auch die Defizite beim Rechtsstaat innerhalb unserer Union. Das
wäre auch die beste Versicherung gegen die Nationalisten und Populisten, die schon
bei der Wahl in Frankreich im nächsten Jahr einen neuen Anlauf nehmen werden, um
das vereinte Europa zu schleifen.

Ambition und Realismus miteinander zu verbinden – man könnte auch sagen: Maß
und Mitte zu halten –, dieser Weg ist deutlich schwieriger geworden in den letzten
Jahren. Aber es ist unser Weg, und es muss auch unser Weg bleiben. Denn nur so
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wird es gelingen, Europa mutig weiterzuentwickeln, ohne Europa zu spalten. Nur so
lassen sich unsere Partnerschaften und Allianzen festigen, ohne der Lagerbildung in
der Welt weiter Vorschub zu leisten. Nur so können wir uns härten gegen schädliche
Einflüsse von außen, ohne unsere eigene Weltoffenheit aufs Spiel zu setzen. Und nur
so wird uns der technologische, ökologische und soziale Umbau gelingen, das viel
zitierte „building back better“, ohne den Rest der Welt auf diesem Weg zurückzulassen.

Wenn ich jemandem diesen diplomatischen Balanceakt zutraue, dann sind Sie es. Und
ich spreche aus meiner Erfahrung, die ich gesammelt habe, in den letzten Jahren hier
als Außenminister. Die Bedingungen in vielen Ihrer Gastländer waren dabei alles an­
dere als einfach in den letzten Monaten. Und ich bin Ihnen deshalb zutiefst dankbar,
wie professionell, kollegial und menschlich Sie Ihre Teams durch diese Krise geführt
haben.

Wir haben hier versucht, Sie dabei so gut es geht zu unterstützen – zum Beispiel durch
Sonderkontingente an Impfstoff, ein Thema, das Sie alle an den Auslandsvertretungen
in den letzten Monaten ganz maßgeblich beschäftigt hat.

Und so bleibt bei mir neben Dankbarkeit auch die Erkenntnis, dass diese Krise unser
„Team AA“ noch enger zusammengeschweißt hat. Ich finde, das ist unser vielleicht
wichtigstes Rüstzeug auf dem Weg aus der Krise und in die Zukunft.

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