IMPFPFLICHT - Universität Innsbruck

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IMPFPFLICHT
       Verfassungsrechtliche Überlegungen im Lichte
           ausgewählter Staatszielbestimmungen,
                 der Kompetenzverteilung
              und einschlägiger Grundrechte

                    Diplomarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades einer Mag. iur. rer. oec.
          an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der
            Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Eingereicht bei Univ.-Prof. Dr. Anna Gamper von Alexandra Osink

                    Innsbruck, im Juli 2020
Für Papa und Mama
Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die
vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und
Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen
entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magister-
/Master-/Diplomarbeit/Dissertation eingereicht.

__________________________________                __________________________________
               Datum                                           Unterschrift
Inhaltsverzeichnis

1.     Einleitung – Problemabriss ............................................................................................. 1
2.     Impfen ............................................................................................................................ 5
     2.1.    Allgemeine sowie medizinische Erläuterungen zum Impfen .................................... 5
       2.1.1.       Impfvorgang und Formen der Immunisierung ................................................... 5
       2.1.2.       Arten von Impfstoffen ....................................................................................... 5
       2.1.3.       Impfnebenwirkungen ........................................................................................ 6
       2.1.4.       Impfzwecke ...................................................................................................... 6
     2.2.    Aktuelle Impfsituation in Österreich – Impfplan ........................................................ 7
3.     Aktuelle Rechtslage zum Impfen in Österreich ............................................................... 8
     3.1.    Allgemein ................................................................................................................ 8
     3.2.    Medizinische Behandlung und ihre Einwilligung ...................................................... 9
     3.3.    Aufklärungs- und Dokumentationspflicht ................................................................10
4.     Bedeutung einer staatlichen Impfpflicht für Österreich ...................................................12
     4.1.    Allgemein ...............................................................................................................12
     4.2.    Sicherheit von Impfstoffen als Voraussetzung einer staatlichen Impfpflicht ............13
5.     Impfpflicht im Lichte von Staatszielbestimmungen.........................................................15
     5.1.    Allgemein ...............................................................................................................15
     5.2.    Impfpflicht und die umfassende Landesverteidigung gemäß Art 9a B-VG ..............16
       5.2.1.       Art 9a B-VG.....................................................................................................16
       5.2.2. Impfpflicht als Mittel der umfassenden Landesverteidigung im Lichte globaler
       Gesundheitsbedrohungen .............................................................................................18
       5.2.3. Impfpflicht als Mittel der umfassenden Landesverteidigung im Lichte eines
       möglichen Biowaffenangriffs ..........................................................................................19
     5.3.    Impfpflicht im Lichte weiterer Staatszielbestimmungen...........................................22
       5.3.1.       Art 14 Abs 5a B-VG .........................................................................................22
       5.3.2. Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den
       umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung
       und die Forschung.........................................................................................................24
6.     Impfpflicht im Lichte der „Verfassung“ der Europäischen Union.....................................27
7. Kompetenzrechtliche Überlegungen im Hinblick auf eine staatliche Impfpflicht nach der
Gesichtspunktetheorie ..........................................................................................................29
     7.1.    Gesichtspunkt der Gesundheit ...............................................................................29
       7.1.1.       Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG – Allgemein ...............................................................29
       7.1.2.       Kompetenztatbestand „Gesundheitswesen“ gemäß Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG ..30
       7.1.3.       Komplementäre Kompetenztatbestände gemäß Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG........32
     7.2.    Gesichtspunkt der zivilen Landesverteidigung ........................................................34
7.3. Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten im Bereich des
     Gesundheitswesens .........................................................................................................36
8.      Impfpflicht im Lichte einschlägiger Grundrechte ............................................................39
     8.1.     Art 8 EMRK Recht auf Achtung des Privatlebens ...................................................39
        8.1.1.       Allgemein ........................................................................................................39
        8.1.2.       Grundrechtlicher Schutzbereich und Eingriff ...................................................39
        8.1.3.       Rechtfertigung für den Grundrechtseingriff ......................................................41
        8.1.3.1.        Schutz der Gesundheit ................................................................................41
        8.1.3.2.        Wirtschaftliche Wohl des Landes .................................................................46
        8.1.3.3.        Schutz der Rechte und Freiheiten anderer ..................................................51
     8.2.     Art 2 EMRK Recht auf Leben .................................................................................54
        8.2.1.       Allgemein ........................................................................................................54
        8.2.2.       Besondere Grundrechtsträger .........................................................................54
        8.2.3.       Rechtfertigung einer staatlichen Impfpflicht .....................................................56
     8.3. Art 3 EMRK Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder
     Behandlung ......................................................................................................................60
        8.3.1.       Allgemein ........................................................................................................60
        8.3.2.       Grundrechtlicher Schutzbereich und Eingriff ...................................................60
     8.4.     Glaubens- und Gewissensfreiheit ...........................................................................63
        8.4.1.       Allgemein ........................................................................................................63
        8.4.2.       Grundrechtlicher Schutzbereich und Eingriff ...................................................65
        8.4.3.       Rechtfertigung für den Grundrechtseingriff ......................................................66
     8.5.     Elternrechtliche Aspekte aus grundrechtlicher Sicht ...............................................67
        8.5.1.       Elternrecht – Obsorge .....................................................................................67
        8.5.2.       Art 8 EMRK Recht auf Achtung des Familienlebens ........................................67
     8.6.     Kinderrechtliche Aspekte aus grundrechtlicher Sicht ..............................................68
        8.6.1.       Kinderrechtliche Rechtsquellen .......................................................................68
        8.6.2.       Art 1 BVG über die Rechte von Kindern – Kindeswohl ....................................69
        8.6.3.       Art 4 BVG über die Rechte von Kindern – Kindermeinung ..............................71
     8.7.     Charta der Grundrechte der Europäischen Union...................................................73
9.      Schlussbetrachtungen ...................................................................................................74
Literaturverzeichnis ..............................................................................................................77
1. Einleitung – Problemabriss

Anfang     des    Jahres    2019     veröffentlichte    die   Weltgesundheitsorganisation         (WHO)
Informationen über die zehn wesentlichsten globalen Gesundheitsbedrohungen. 1 Neben
Gefahren wie der Luftverschmutzung und dem HI-Virus findet man darin auch die
Impfmüdigkeit und Impfgegnerschaft, auf welche sinkende Impfraten zurückzuführen sind.
Eine Folge davon ist laut WHO der Anstieg von Masernfällen in den letzten Jahren um rund
30 Prozent. Die Gründe, aus denen Menschen auf Impfungen verzichten, sieht die WHO in
der Furcht vor möglichen Nebenwirkungen oder in der fehlenden Überzeugung, dass
Impfungen Krankheiten verhindern können.2

Die WHO gab damit gewissermaßen selbst den Anstoß für die darauf folgende, öffentlich
oftmals sehr kontrovers geführte Debatte über das Impfen.

Auch Österreich musste in jüngerer Vergangenheit mit zahlreichen Masernfällen umgehen.
Konkret veröffentlicht das Sozialministerium laufend auf seiner Homepage aktuelle Zahlen,
welche für das Jahr 2018 77 Masernerkrankungen dokumentierte, im Folgejahr 2019 wurden
151 Fälle gezählt.3 Um dem entgegenzuwirken, hat sich auch Österreich im Rahmen seiner
WHO-Mitgliedschaft das Ziel gesetzt, die Masern zu eliminieren.4 Um den dafür notwendigen
Gemeinschaftsschutz erreichen zu können, ist eine Durchimpfungsrate von 95 % mit zwei
Impfdosen notwendig. Dieses Ziel konnte in den Jahren 2017 und 2018 laut Daten des
Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz noch nicht
erreicht werden.5

In medialen Diskussionen argumentierten Impfgegner, dass Impfungen erhebliche Risiken für
Nebenwirkungen oder Folgeerkrankungen – darunter Autismus – herbeiführen würden. Auch
die Überzeugung, dass nicht geimpfte Kinder ebenso wenig erkranken würden wie Geimpfte,
bestärkt die Impfgegner in ihren Thesen.6

Auf der anderen Seite stehen die Impfbefürworter. Naturgemäß sprechen sich vor allem
Mediziner und Politiker für Impfungen aus. So setzte sich die ehemalige Gesundheits- und

1 Die Veröffentlichung erfolge am 15.01.2019 über die Social-Media-Plattform „Twitter“:
https://twitter.com/WHO/status/1085154206166716417?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ct
wterm%5E1085154206166716417&ref_url=https%3A%2F%2Fkurier.at%2Fgesund%2Fwho-liste-die-zehn-
groessten-bedrohungen-fuer-die-gesundheit%2F400380332 (abgerufen am 17.07.2020).
2 https://www.who.int/emergencies/ten-threats-to-global-health-in-2019 (abgerufen am 17.07.2020).
3
  https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Impfen/Masern---Elimination-und-
Durchimpfungsraten/Aktuelle-Situation.html (abgerufen am 18.08.2019, 18.05.2020 sowie 17.07.2020).
4 Vgl hierzu World Health Organization - Regional Office for Europe, European Vaccine Action Plan 2015-2020

(2014) 23.
5
  BMASGK, Kurzbericht Masern Evaluierung der Masern-Durchimpfungsraten mit einem dynamischen,
agentenbasierten Simulationsmodell (Juli 2019) 2, 4.
6 https://www.news.at/a/impfungen-argumente-impfgegner-8480386 (abgerufen am 17.07.2020).

                                                                                                         1
Sozialministerin Mag. Dr. Brigitte Zarfl für eine Steigerung der Durchimpfungsraten ein, die
unter anderem mittels eines elektronischen Impfpasses erreicht werden sollte.7 Aber auch die
aktuelle SPÖ-Vorsitzende und Medizinerin Dr. Pamela Rendi-Wagner sieht den Vorteil einer
hohen Impfquote darin, dass auch Menschen, die nicht geimpft werden können, geschützt
werden.8 Die Österreichische Ärztekammer betont auf ihrer Homepage, dass Impfungen die
wirksamsten Präventivmaßnahmen gegen Infektionskrankheiten seien.9

Die steigende Zahl der Masernfälle in Österreich in jüngster Zeit sowie die Einschätzung der
WHO, dass Impfmüdigkeit und Impfgegnerschaft zur globalen Gesundheitsbedrohung
avanciert seien, führte dazu, dass im Rahmen der öffentlichen Debatte zum Thema Impfen
immer öfter eine sogenannte „staatliche Impfpflicht“ gefordert wurde. Beim Brüsseler
Impfgipfel 2019 positionierte sich EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis klar dafür.10
Auch in Österreich sprach sich die Ärztekammer mit Beschluss mehrheitlich dafür aus.11

Ob es tatsächlich zukünftig zu einer staatlichen Impfpflicht in Österreich kommen wird, ist
aktuell    nicht   absehbar.       Diese   Arbeit   soll   dennoch      dazu    dienen,     verschiedene
verfassungsrechtliche Überlegungen im Hinblick auf eine mögliche staatliche Impfpflicht zu
diskutieren. Die entscheidenden zu klärenden Fragen dieser Arbeit sind daher, ob eine
mögliche staatliche Impfpflicht gemessen am geltenden österreichischen Verfassungsrecht
zulässig oder sogar geboten sein könnte.

Wenn auch diverse einzelne Infektionserkrankungen an verschiedenen Stellen als Beispiele
herangezogen werden, ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit, ganz allgemein eine potentielle
staatliche Impfpflicht – unabhängig von spezifischen Erkrankungen – zu thematisieren.

Die nächsten drei Kapitel dienen dazu, einen allgemeinen Themeneinstieg vom Impfen bis hin
zur eigentlichen Diskussionsthematik einer staatlichen Impfpflicht zu ermöglichen. Zum Ersten
werden allgemeine sowie medizinische Erläuterungen zum Impfen thematisiert. Dabei werden
der       Impfvorgang     selbst      sowie     Formen       der     Immunisierung,        Impfstoffarten,
Impfnebenwirkungen als auch Impfzwecke dargestellt. Darüber hinaus wird die aktuelle
Impfsituation in Österreich anhand des Österreichischen Impfplans erklärt. Zum Zweiten soll
ein Überblick über die aktuelle Rechtslage zum Thema Impfen in Österreich gegeben werden.

7
  https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2023213-Nicht-nur-Ja-oder-Nein-zur-
Impfpflicht.html (abgerufen am 17.07.2020).
8 https://www.diepresse.com/5571732/masern-wien-gegen-impfpflicht-und-sanktionen (abgerufen am 17.07.2020).
9 https://www.aerztekammer.at/impfen1 (abgerufen am 17.07.2020).
10 https://www.derstandard.at/story/2000108541996/eu-gesundheitskommissar-impfen-notfalls-zur-pflicht-machen

(abgerufen am 17.07.2020).
11 https://www.derstandard.at/story/2000101165504/aerztekammer-fordert-generelle-impfpflicht-in-oesterreich

(abgerufen am 17.07.2020).
                                                                                                          2
Da das Impfen eine medizinische Behandlung darstellt, werden an dieser Stelle auch die
Einwilligung zum Impfvorgang sowie Aufklärungs- und Dokumentationspflichten des Arztes
beschrieben. Zuletzt soll eine thematische Überleitung zu der eigentlich zu diskutierenden
staatlichen Impfpflicht hergestellt werden. Hierfür werden unter anderem die Fragen geklärt,
welchen Zweck eine staatliche Impfpflicht erfüllen soll und welche Voraussetzungen für ihre
Implementierung im Hinblick auf die Sicherheit von Impfstoffe gegeben sein müssen.

Zunächst werden die Staatszielbestimmungen Österreichs in Hinblick auf eine staatliche
Impfpflicht diskutiert. Dieses Kapitel bildet den ersten großen verfassungsrechtlichen Abschnitt
dieser Arbeit. Es gilt hier einerseits die Frage zu klären, ob es durch Staatszielbestimmungen
– insbesondere im Rahmen der umfassenden Landesverteidigung gemäß Art 9a B-VG – zu
einem verpflichteten verfassungsrechtlichen Auftrag an die Staatsorgane kommen könnte,
eine staatliche Impfpflicht einzuführen. Andererseits wird auch untersucht, inwiefern etwaige
weitere Staatszielbestimmungen für eine verfassungskonforme Auslegung heranzuziehen
sind. Staatszielbestimmungen haben vor allem interpretationsleitende Funktion und wirken
sich daher vornehmlich mittelbar durch Berücksichtigung im Gesetzgebungsprozess aus, in
welchem diese vor allem mit verfassungsrechtlich gewährten Rechten abzuwägen sein
werden.

Nach einer kurzen Übersicht einschlägiger Primärrechtsquellen in Hinblick auf eine staatliche
Impfpflicht der Europäischen Union folgt der zweite große verfassungsrechtliche Abschnitt
dieser Arbeit. Darin sollen die kompetenzrechtlichen Fragen zu einer staatlichen Impfpflicht
mit Hilfe der Gesichtspunktetheorie erläutert werden. An dieser Stelle wird auch die
Kompetenzrolle der Union zu einer staatlichen Impfpflicht diskutiert. Ziel ist es, den
Kompetenzträger – basierend auf welchem bestimmten Kompetenztatbestand – für eine
staatliche Impfpflicht zu ermitteln.

Der dritte und letzte große verfassungsrechtliche Abschnitt der vorliegenden Arbeit befasst
sich mit den einschlägigen Grundrechten, die von einer staatlichen Impfpflicht berührt sein
können. Es wird unter anderem untersucht, ob in diese spezifischen Grundrechte durch eine
staatliche Impfpflicht eingegriffen wird und ob, sofern dies zutrifft, der Eingriff im Rahmen von
Eingriffsvorbehalten der jeweiligen Grundrechtsbestimmungen gerechtfertigt werden kann.
Zudem soll die Frage geklärt werden, ob durch etwaige Grundrechte eine staatliche Impfpflicht
sogar geboten sein könnte.

Für eine staatliche Impfpflicht bleiben abseits der hier dargestellten verfassungsrechtlichen
Fragen auch politische Fragen zu klären, welche allerdings nicht Gegenstand dieser Arbeit
sind. Auf jene offen bleibenden politischen Fragen wird gegebenenfalls hingewiesen. Darüber

                                                                                               3
hinaus bleiben auch andere politische Fragen, die für eine staatliche Impfpflicht äußerst
relevant sind, in dieser Arbeit unbeantwortet: Zum Beispiel welche Personen welchen Alters
sollen von einer staatlichen Impfpflicht erfasst werden? Welche Impfungen sollen dieser Pflicht
unterworfen werden? Wie soll eine staatliche Impfpflicht durchgesetzt werden? Nicht zuletzt
stellt sich hier die Frage, wie und in welchen Umfang die Verletzung einer staatlichen
Impfpflicht sanktioniert werden soll.

Zur wissenschaftlichen Analyse der verfassungsrechtlichen Fragen hinsichtlich einer
staatlichen Impfpflicht wird vor allem einschlägige rechtswissenschaftliche Literatur
herangezogen. Darüber hinaus wird auch die Judikatur des VfGH und EGMR berücksichtigt.
Aufgrund des aktuellen Bezuges wird in dieser Arbeit auch auf die Covid-19-Pandemie
eingegangen. Diese Pandemie stellt für das Thema einer staatlichen Impfpflicht wohl einen
beispiellosen Anwendungsfall dar.

                                                                                             4
2. Impfen

2.1. Allgemeine sowie medizinische Erläuterungen zum Impfen

2.1.1. Impfvorgang und Formen der Immunisierung
Beim Impfen wird dem Menschen und Tieren gleichermaßen meist durch eine Spritze unter
die Haut der Impfstoff verabreicht. Es gibt aber auch sogenannte Schluckimpfungen, die vor
allem Kleinkindern oral verabreicht werden. In diesem Zusammenhang bezeichnet man
Impfen als „aktive Immunisierung“. Das bedeutet, dass der Körper mit toten oder
abgeschwächten Krankheitserregern12 in Kontakt gebracht wird, wodurch das körpereigene
Immunsystem entsprechende Antikörper zur Abwehr der Erreger und Infektionen produziert,
ohne dass man die Infektionserkrankung selbst erleiden muss. Dies bezeichnet man auch als
„Immunantwort“, welche in sogenannten „Gedächtniszellen“ gespeichert wird. Durch das
Immungedächtnis kann ein längerfristiger Schutz gegen diesen Krankheitserreger erreicht
werden.13

Im Vergleich dazu werden bei der „passiven Immunisierung“ die Antikörper selbst verabreicht,
da diese vom menschlichen Körper selbst nicht produziert werden können. Das stellt in der
Regel eine Notmaßnahme dar.14 Ein Beispiel dafür ist, wenn nach einem Tierbiss der Verdacht
auf Tollwut besteht.15

In weiterer Folge ist in dieser Arbeit immer von der aktiven Immunisierung die Rede, sofern
nichts anderes angeführt ist.

2.1.2. Arten von Impfstoffen
Man unterscheidet generell zwischen zwei Impfstofftypen. Die erste Gruppe der
„Lebendimpfstoffe“ besteht aus abgeschwächten Krankheitserregern, die sich aber noch
vermehren können. In ihrer Eigenschaft lösen sie beim Impfling also eine Infektion, aber keine
Infektionserkrankung aus. Zu diesen Impfstoffen zähen beispielsweise der Masern- oder
Varizellenimpfstoff. 16 Als Zweites gibt es die „Totimpfstoffe“. Diese Impfstoffe bestehen
ausschließlich aus abgetöteten bzw. inaktiven Krankheitserregern, welche sich nicht länger

12 Siehe näher unter 2.1.2.
13 Meyer/Zepp, Immunität und Schutzimpfungen, in Spiess et al (Hg), Impfkompendium9 (2018) 35 (35-43) sowie
https://de.wikipedia.org/wiki/Impfung (abgerufen am 17.07.2020).
14 Meyer und Zepp, Immunität 42.
15 https://de.wikipedia.org/wiki/Impfung (abgerufen am 17.07.2020).
16 Meyer und Zepp, Immunität 43.

                                                                                                         5
selbstständig vermehren können.17 Zu dieser Gruppe zählen beispielsweise Impfstoffe gegen
Diphtherie oder Hepatitis B.18

2.1.3. Impfnebenwirkungen
Impfungen können, wie alle medizinischen Maßnahmen, Nebenwirkungen nach sich ziehen. 19
Dabei ist zwischen Impfreaktionen und Impfkomplikationen zu unterscheiden.

Impfreaktionen gelten als normale Auseinandersetzung des menschlichen Körpers mit dem
Impfstoff    im    Zusammenhang          mit    der    gewünschten        Immunisierung.       Dazu     zählen
beispielsweise Rötungen und Schwellungen der Injektionsstelle, Gliederschmerzen oder
erhöhte Temperatur. In der Regel treten Impfreaktionen in den ersten 1-3 Tagen bei
Totimpfstoffen und bis maximal 4 Wochen nach der Impfung bei Lebendimpfstoffen auf.20

Impfkomplikationen reichen hingegen über das übliche Maß von Impfreaktionen hinaus und
sind geeignet, gesundheitliche Schäden nach sich zu ziehen.21 Dazu zählen Risiken, die einer
Impfung spezifisch anhaften, wie zum Beispiel Fieberkrämpfe, kurzzeitige schockähnliche
Zustände oder anaphylaktische Reaktionen. Da Impfungen in der Regel gut vertragen werden
– die Komplikationshäufigkeit bewegt sich im Promillebereich22 – treten Impfkomplikationen im
Allgemeinen außerordentlich selten auf und gelten daher in der medizinischen Fachliteratur
als ausgesprochene Rarität.23

2.1.4. Impfzwecke
Impfen zählt zu den wirksamsten medizinischen Präventionsmaßnahmen gegen ansteckende
Infektionskrankheiten24, die zu schweren Folgen – wie beispielsweise Hirnhautentzündungen
oder im schlimmsten Fall zum Tod – führen können. 25 Zum einen soll der Impfling selbst
geschützt werden. Zum anderen erreicht man durch hohe Durchimpfungsraten einen
sogenannten „Herdenschutz“ bzw. „Gemeinschaftsschutz“. Die direkte Ansteckung von
Mensch zu Mensch wird dadurch sehr unwahrscheinlich. Daher werden auch Menschen
geschützt, welche aufgrund ihrer Gesundheit, ihres Alters oder aufgrund anderer Faktoren

17
   Meyer und Zepp, , Immunität 43.
18 https://www.gesundheit.gv.at/leben/gesundheitsvorsorge/impfungen/impfstoffarten (abgerufen am 17.07.2020).
19 Vgl dazu 3.2. sowie Jesser-Huß, Impfen und Kindeswohl, in Aigner et al (Hg), Schutzimpfungen – Rechtliche,

ethische und medizinische Aspekte (2016) 127 (133).
20 Keller-Stanislawski, Impfkomplikationen und Impfschäden, in Spiess et al (Hg), Impfkompendium9 (2018) 69 (70);

https://www.netdoktor.at/therapie/impfung/impfkomplikation-5347 (abgerufen am 17.07.2020).
21 https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Impfsicherheit/sicherheit_impfungen_node.html

(abgerufen am 17.07.2020).
22 https://www.netdoktor.at/therapie/impfung/impfkomplikation-5347 (abgerufen am 17.07.2020).
23 Keller-Stanislawski, Impfkomplikationen 70; Jesser-Huß, Impfen 133;

https://www.netdoktor.at/therapie/impfung/impfkomplikation-5347 (abgerufen am 17.7.2020).
24 BMASGK, Impfplan Österreich 2020 (Jänner 2020) 6.
25 BMASGK, Die wichtigsten Informationen zum Thema Kinderimpfung (April 2019) 9.

                                                                                                               6
nicht geimpft werden können. Als globale Impferfolge kann man die Ausrottung der Pocken
sowie die Tatsache verzeichnen, dass die Kinderlähmung (Polio) nur noch äußerst selten
auftritt.26

2.2. Aktuelle Impfsituation in Österreich – Impfplan
Der österreichische Impfplan wird jährlich vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales,
Gesundheit und Konsumentenschutz aktualisiert und veröffentlicht. Dieser wird in enger
Zusammenarbeit mit dem mit Experten besetzten nationalen Impfgremium erstellt.27

Durch das bereits seit über 20 Jahren bestehende Kinderimpfprogramm können die am
meisten impfpräventablen Krankheiten des Österreichischen Impfplans im Kindes- und
Jugendalter für die Patienten kostenlos angeboten werden. Kostenträger sind das
Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, die
Bundesländer sowie die Sozialversicherungsträger. 28 Darüber hinaus findet man auch
empfehlenswerte        Impfungen,    die   nicht   kostenfrei   angeboten     werden     können,     im
Österreichischen Impfplan.29

Bei dem in Österreich aktuell vorliegenden Impfplan handelt es sich um Empfehlungen des
Bundesministeriums.30 Die darin vorgesehenen Impfungen sind rechtlich weder verbindlich
noch verpflichtend. Zudem gibt es von staatlicher Seite keine Durchsetzungs- bzw.
Sanktionsmöglichkeiten.31 Dementsprechend hält der VwGH in einem Erkenntnis fest, dass
der Österreichische Impfplan aufgrund seines Empfehlungscharakters keine normative
Wirkung entfaltet.32

Der Impfplan selbst wird rechtlich nicht explizit geregelt bzw. genau determiniert. Dennoch
kommt er in diversen Rechtsquellen begrifflich vor. So sieht beispielsweise die „Schulärzte-
Verordnung“ 33 vor, die aktuell empfohlenen Impfungen des Österreichischen Impfplans in
Umsetzung des kostenfreien Impfprogramms bei Schülerinnen und Schülern durchzuführen.

26 BMASGK, Informationen 9, 10.
27 BMASGK, Impfplan 5.
28 BMASGK, Impfplan 5.
29 https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Impfen/Impfplan-%C3%96sterreich.html (abgerufen am

17.07.2020).
30 BMASGK, Impfplan 5.
31 Vgl Kahl/Weber, Allgemeines Verwaltungsrecht5 (2015) 208.
32 VwGH 24.07.2013, 2010/11/0075.
33 Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend die

Übernahme von Aufgaben der Gesundheitsvorsorge für die schulbesuchende Jugend durch Schulärztinnen und
Schulärzte (BGBl II 388/2019 idgF).
                                                                                                      7
3. Aktuelle Rechtslage zum Impfen in Österreich

3.1. Allgemein
Gibt man im RIS (Rechtsinformationssystem des Bundes) den Suchbegriff „Impfung“ ein,
erhält man dazu unter der Rubrik „Bundesrecht“ über 70 Treffer. 34 Die dort gefundene
Bandbreite an Rechtsquellen reicht von Multilateralen Verträgen35 über Gesetze bis hin zu
Verordnungen.

Inhaltlich beschäftigen sich die meisten Regelungen nicht hauptsächlich mit Impfungen,
sondern berücksichtigen diese vielmehr als Randthemen mit.

   Als Beispiel kann hier auf Gesetzesebene das ASVG36 angeführt werden. Dieses regelt
   unter anderem die Pflichtversicherung, die Versicherungsträger oder die Leistungen der
   Krankenversicherung. Unter den letztgenannten Punkt fallen auch die „Sonstigen
   Maßnahmen zur Erhaltung der Volksgesundheit“ gemäß § 132 c. Darin wird beispielsweise
   die FSME-Impfung oder die Impfung gegen Influenza erwähnt.

   Ein anderes Beispiel ist das Arzneimittelgesetz. 37 Dieses regelt zusammengefasst die
   Herstellung, Prüfung, Zulassung und den Verkehr von Arzneimitteln. Gemäß § 1
   Arzneimittelgesetz gelten als Arzneimittel unter anderem auch Stoffe, die der Verhütung
   von Krankheiten dienen. Dementsprechend unterliegen Impfstoffe dem Arzneimittelgesetz.

   Auf der Ebene von Verordnungen zeigt sich ein ähnliches Bild. So regelt beispielsweise die
   Blutspendeverordnung38 allgemeine Zulassungserfordernisse für Spender, die Anamnese
   oder auch dauernde bzw. zeitlich begrenzte Ausschlussgründe. So sind Blutspender zum
   Beispiel im Falle einer Masern- oder Varizellenimpfung vier Wochen vom Blutspenden
   ausgeschlossen. Weitere Regelungen zum Thema Impfen im Rahmen von Verordnungen,
   findet man beispielsweise in der „Verordnung biologische Arbeitsstoffe“39 oder in der bereits
   erwähnten „Schulärzte-Verordnung“.

34https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Kundmachungsorgan=&Index=&Titel=&Geset

zesnummer=&VonArtikel=&BisArtikel=&VonParagraf=&BisParagraf=&VonAnlage=&BisAnlage=&Typ=&Kundmac
hungsnummer=&Unterzeichnungsdatum=&FassungVom=17.07.2020&VonInkrafttretedatum=&BisInkrafttretedatu
m=&VonAusserkrafttretedatum=&BisAusserkrafttretedatum=&NormabschnittnummerKombination=Und&ImRisSei
tVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=Impfung&Position=
1&SkipToDocumentPage=true (abgerufen am 17.07.2020).
35 Vgl bspw Zweiundzwanzigste Weltgesundheitsversammlung 25. Juli 1969 Internationale

Gesundheitsregelungen (BGBl 377/1971 idgF).
36 Bundesgesetz vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (BGBl 189/1955 idgF).
37 Bundesgesetz vom 2. März 1983 über die Herstellung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln (BGBl

185/1983 idgF).
38 Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales betreffend den Gesundheitsschutz von

Spendern und die Qualitätssicherung von Blut und Blutbestandteilen (BGBl II 100/1999 idgF).
39 Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über den Schutz der Arbeitnehmer/innen

gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe (BGBl II 237/1998 idgF).
                                                                                                           8
Viel wesentlicher gehen die folgenden zwei Rechtsquellen auf das Thema Impfen ein. Sie
werden daher auch explizit im Österreichischen Impfplan erwähnt.

                                          40
     Nach dem Impfschadengesetz                verpflichtet sich der Bund für Impfschäden im
     Zusammenhang mit den empfohlenen bzw. verordneten Impfungen Entschädigung zu
     leisten. Ein Impfschaden wird dann anerkannt, wenn er im nahen zeitlichen Zusammenhang
     mit   der   Impfung      steht     und     im    Zuge      des    Verwaltungsverfahrens    beim
     Sozialministeriumservice ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung als wahrscheinlich
     erkannt wird.41

     Daneben unterliegen viele Krankheiten, welche nach dem Österreichischen Impfplan
                                                         42
     empfohlen werden, dem Epidemiegesetz                     . Zum Beispiel muss aufgrund des
     Epidemiegesetzes im Falle eines Auftretens der Krankheiten Kinderlähmung oder Masern
     Anzeige bei der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde erstattet werden.43

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass eine Impfung eine medizinische Behandlung44 darstellt.
Sie unterliegt daher besonderen Aufklärungs- und Dokumentationspflichten45. Zur näheren
Erläuterung dienen die beiden nachfolgenden Kapitel.

3.2. Medizinische Behandlung und ihre Einwilligung
Eine medizinische Behandlung liegt vor, wenn diagnostische, therapeutische, rehabilitative,
krankheitsvorbeugende oder geburtshilfliche Maßnahmen durch einen Arzt oder auf dessen
Anordnung hin vorgenommen werden.46

Die Impfung als solches ist eine krankheitsvorbeugende Maßnahme und zählt daher gemäß §
252 Abs 1 ABGB zu den medizinischen Behandlungen.

Wesentlich für die Durchführung der medizinischen Behandlung bzw. Impfung ist, dass die
Person entscheidungsfähig ist, um selbst in die Behandlung einwilligen zu können. 47 Die
Entscheidungsfähigkeit wird beim volljährigen Menschen grundsätzlich vorausgesetzt und
bezeichnet die Fähigkeit, die Bedeutung und die Folgen des eigenen Handelns zu verstehen,

40 Bundesgesetz vom 3. Juli 1973 über die Entschädigung für Impfschäden (BGBl 371/1973 idgF).
41 BMASGK, Impfplan 132, 133.
42 Epidemiegesetz 1950 (BGBl 186/1950 idgF).
43 BMASGK, Impfplan 153, 154.
44 Siehe näher unter 3.2.
45 Siehe näher unter 3.3.
46 § 252 Abs 1 ABGB idgF.
47 Wiederum § 252 Abs 1 ABGB idgF.

                                                                                                   9
den eigenen Willen danach auszurichten und sich dementsprechend zu verhalten. 48 Unter
bestimmten Voraussetzungen für nicht (ausreichend) entscheidungsfähige Erwachsene
können aber auch beispielsweise nahestehende Vertrauenspersonen durch Unterstützung die
Entscheidungsfähigkeit hervorrufen49 oder die Entscheidung für den Patienten im Rahmen
einer Vollmacht treffen.50

Auch Kinder können die Einwilligung in medizinische Behandlungen nur selbst erteilen, sofern
sie entscheidungsfähig sind. Ist die Entscheidungsfähigkeit nicht gegeben, bedarf es der
Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters. 51 Das Kind muss im Einzelfall einsichts- und
urteilsfähig sein, das heißt, es muss die Tragweite seiner Entscheidung erfassen können.
Dieser Grundsatz gilt altersunabhängig, obwohl man bei mündigen Minderjährigen die
Entscheidungsfähigkeit grundsätzlich vermutet.52

3.3. Aufklärungs- und Dokumentationspflicht
Die Grundlage für eine medizinische Behandlung wie das Impfen ist immer der formfreie
Behandlungsvertrag zwischen Patient und Arzt.53 Seiner Rechtsnatur nach handelt es sich um
einen freien selbstständigen Dienstvertrag54, da er im Vergleich zu einem Werkvertrag keinen
                    55
Erfolg schuldet.         Mangels fehlender gesetzlicher Regelungen hat der OGH einige
Rechtssätze entwickelt, welche vor allem die ärztlichen Pflichten betreffen.

Zu diesen gehört unter anderem die Aufklärungspflicht, der beim Thema Impfen eine ganz
wesentliche Bedeutung zukommt. Im Österreichischen Impfplan wird deshalb explizit darauf
hingewiesen. 56 Die Aufklärung muss mögliche Gefahren oder schädliche Folgen einer
Behandlung bzw. die Risiken ihrer Unterlassung beinhalten, der Arzt muss außerdem die
Notwendigkeit einer Behandlung aufzeigen. Eine Aufklärung ist nicht nur dann notwendig,
wenn der Patient eine Einwilligung für eine bestimmte Behandlung erteilen muss, sondern
auch wenn er eine Entscheidungsgrundlage benötigt, ob er zum Beispiel eine bestimmte
Impfung verabreicht bekommen möchte oder nicht.57

48 § 24 Abs 2 ABGB idgF.
49 § 252 Abs 2 ABGB idgF.
50 § 253 Abs 1 ABGB idgF.
51 § 173 Abs 1 ABGB idgF.
52 Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht4 (2014) 33; Kletečka-Pulker et al, Grundzüge des Medizinrechts

(2019) 41 „Gesetzliche Zweifelsregel“.
53 Kletečka-Pulker et al, Grundzüge 27, 31.
54 RIS-Justiz RS0021339 (Vgl dazu OGH 23.05.1984, 1Ob550/84).
55 RIS-Justiz RS0021335.(Vgl dazu OGH 26.01.1995, 6Ob502/95); Kletečka-Pulker et al, Grundzüge 27.
56 BMASGK, Impfplan 116-118.
57 RIS-Justiz RS0026578 (Vgl dazu OGH 17.12.2003, 7Ob299/03a).

                                                                                                       10
Folgen der Verletzung bzw. Unterlassung der gehörigen Aufklärungspflicht können zu einer
strafrechtlichen Haftung (Vgl § 83ff und 110 StGB) oder, wie bei jeder Vertragsverletzung, zu
                                                                           58
einer zivilrechtlichen Haftung (Schadenersatzpflicht) führen.                   Die Beweislast für eine
                                                                                                     59
ordnungsgemäße         Aufklärung     liegt   ausschließlich     beim    behandelnden        Arzt.        Der
Dokumentationspflicht kommt unter anderem aus diesem Grund große Bedeutung zu.

Diese Dokumentationspflicht stellt die zweite wesentliche Pflicht des Arztes dar, die der
Österreichische Impfplan explizit anführt.60 Gemäß § 51 ÄrzteG61 ist durch den behandelnden
Arzt der Zustand der zu behandelnden Person, ihre Vorgeschichte sowie der Umfang der
beratenden, diagnostischen und therapeutischen Leistungen genau aufzuzeichnen. Dies ist
wohl nicht nur für eventuelle Schadenersatzansprüche wichtig, sondern auch, um bei etwaigen
Nebenwirkungen medizinisch richtig reagieren zu können.

Des Weiteren betreffen den Arzt im Fall von Nebenwirkungen durch Arzneimittel - das gilt auch
für Impfstoffe62 - laut § 75 g Arzneimittelgesetz besondere Meldepflichten gegenüber dem
Bundesamt für Sicherheit und Gesundheit (BASG).63

58 Kletečka-Pulker et al, Grundzüge 69, 70.
59 RIS-Justiz RS0108185 (Vgl dazu OGH 13.10.1999, 7Ob165/99m).
60 BMASGK, Impfplan 116-118.
61 Bundesgesetz über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (BGBl I 169/1998

idgF).
62 Siehe näher unter 3.1.
63 BMASGK, Impfplan 130, 131.

                                                                                                          11
4. Bedeutung einer staatlichen Impfpflicht für Österreich

4.1. Allgemein
Wie in den vorherigen Kapiteln schon klar erkennbar, wurde in Österreich bislang keine
                                                       64
staatlich angeordnete Impfpflicht umgesetzt.                Vielmehr setzt man zur Erhöhung der
Durchimpfungsraten aktuell auf andere Maßnahmen wie etwa auf Aufklärungskampagnen65,
                                               66
das kostenlose Kinderimpfprogramm                   und die Empfehlungen des österreichischen
            67
Impfplans.

Im Gegensatz zum Österreichischen Impfplan, dessen Empfehlungen rechtlich weder
verbindlich noch verpflichtend sind, ist eine staatliche Impfpflicht allerdings prinzipiell dazu
geeignet, eine Impfung bei Verweigerung mit entsprechenden Zwangsmitteln durchzusetzen.

Der Zweck, den eine staatliche Impfpflicht verfolgt, ist im Grunde derselbe, den Impfungen im
Allgemeinen verfolgen. Einerseits soll jeder Einzelne durch die Impfung selbst vor
ansteckenden Infektionskrankheiten geschützt werden, andererseits soll mittels hoher
Durchimpfungsraten auch ein Gemeinschaftsschutz erreicht und gewährleistet werden. Dieser
sorgt dafür, dass die direkte Ansteckung von Mensch zu Mensch sehr unwahrscheinlich wird.
Dieser Aspekt schützt auch Personen, die aufgrund ihrer Gesundheit, ihres Alters oder
aufgrund anderer medizinischer Faktoren nicht geimpft werden können.68 Darüber hinaus ist
der Gemeinschaftsschutz auch dazu geeignet, Epidemien wie auch Pandemien vorzubeugen
oder diese im Falle ihres Auftretens sogar zu beenden. So könnte beispielsweise ein Weg aus
der aktuell um sich greifenden Covid-19-Pandemie eine staatliche Impfpflicht sein, sofern und
                                                                           69
sobald es einen entsprechenden sicheren Impfstoff gibt.                         Letztlich können hohe
Durchimpfungsraten mit dem daraus resultierenden Gemeinschaftsschutz sogar dafür sorgen,
Infektionskrankheiten auszurotten. Ein Beispiel, bei der die Ausrottung einer Krankheit durch
ein rigoroses Impfregime bereits gelungen ist und letztendlich die Impfpflicht aufgehoben
werden konnte, sind die Pocken.70

Warum ein Gemeinschaftsschutz grundsätzlich so wichtig ist, lässt sich am Praxisbeispiel
Masern aufzeigen. Masern gelten als hoch infektiös. Grund dafür ist, dass statistisch gesehen

64 Vgl dazu 2.2. sowie 3.
65 https://www.tirol.gv.at/meldungen/meldung/artikel/erfolgreiche-impfaktion-und-impfkampagne/ (abgerufen am
17.07.2020); https://www.sn.at/panorama/oesterreich/oesterreich-startet-impfkampagne-4072738 (abgerufen am
17.07.2020).
66 BMASGK, Impfplan 5.
67 Siehe näher unter 2.2.
68 Siehe näher unter 2.1.4.
69 Siehe näher unter 4.2.
70 Siehe hierzu das Bundesgesetz vom 30. Juni 1948 über Schutzimpfungen gegen Pocken (BGBl 1948/34)

welches aufgrund der Pockenausrottung über 30 Jahre später wieder aufgehoben wurde mittels Bundesgesetz vom
15. Dezember 1980 mit dem das Bundesgesetz über Schutzimpfungen gegen Pocken aufgehoben wird (BGBl
1980/223).
                                                                                                         12
eine erkrankte Person, aufgrund der langen Inkubationszeit von circa 10 Tagen rund 18
weitere Personen ansteckt.71 Dies könnte durch eine vorhandene Herdenimmunität als direkte
Folge einer staatlichen Impfpflicht unterbunden werden.

4.2. Sicherheit von Impfstoffen als Voraussetzung einer staatlichen Impfpflicht
Im Hinblick auf mögliche Impfstoffe, die für eine staatliche Impfpflicht herangezogen werden
könnten, sind vor allem nachfolgende Fragen und Sachverhalte von Bedeutung: Erstens muss
grundsätzlich      ein     entsprechend        vorhandener        Impfstoff      gegen      die     jeweiligen
Infektionskrankheiten zur Verfügung stehen. Zweitens muss dieser für die Einführung einer
staatlichen Impfpflicht auch in Österreich zugelassen sein. Und Drittens muss es darüber
hinaus für die Implementierung einer staatlichen Impfpflicht Voraussetzung sein, dass diese
Impfstoffe sowie ihre Verabreichung frei von nennenswerten Nebenwirkungen und Risiken
sind. Die Rede ist hier von Impfkomplikationen.72 Das bedeutet, dass durch entsprechende
Herstellungs- und Zulassungsprozesse die Qualität und Sicherheit des Impfstoffes
nachgewiesen werden muss.73

An dieser Stelle ist in aller Kürze auf die Zulassung von Impfstoffen in Österreich einzugehen:
Da es sich bei Impfstoffe um Arzneimittel handelt, unterliegen diese wie bereits erwähnt dem
Arzneimittelgesetz.74 Zuständig für die Zulassung von Arzneimittel im Allgemeinen sowie auch
für Impfstoffe ist nach dem Arzneimittelgesetz das Bundesamt für Sicherheit im
Gesundheitswesen (BASG). Dieses überprüft im Rahmen des Zulassungsprozesses die
Wirksamkeit, die Unbedenklichkeit sowie die Qualität des Impfstoffes. Impfstoffe werden
demnach nur zugelassen, wenn diese weitestgehend als sichere Arzneimittel gelten. Anders
formuliert muss der vorliegende Nutzen (Verhinderung einer Krankheit) die Risiken (mögliche
Nebenwirkungen) übersteigen. Hierzu ist festzuhalten, dass moderne Impfstoffe aufgrund der
geltenden Anforderungen im Herstellungsprozess und der Kontrollen mittels umfassender
klinischer Studien grundsätzlich gut verträglich sind und unerwünschte Nebenwirkungen
äußerst selten auftreten. Im Hinblick auf neue Krankheitserreger wie beispielsweise das Sars-
CoV2-Virus ist es interessant, dass die Probandenzahl im Rahmen der klinischen Studien
zwischen 1.000 und 70.000 variieren kann. Die Probandenzahl ist dabei davon abhängig, ob

71 https://www.diepresse.com/5734194/brauchen-wir-eine-impfpflicht-in-osterreich (abgerufen am 17.07.2020);
https://www.addendum.org/impfen/impfpflicht/ (abgerufen am 17.07.2020).
72 Vgl hierzu näher 2.1.3.
73 Pfleiderer/Cichutek, Herstellung und Prüfung von Impfstoffen, in Spiess et al (Hg), Impfkompendium9 (2018) 44

(44-55);
74 Vgl hierzu 3.1.

                                                                                                            13
es sich um einen bereits weitgehend bekannten oder um einen pharmakologisch neuen
Impfstoff handelt.75

Daher ist für diese Arbeit davon auszugehen, dass Impfstoffe, welche in Österreich zugelassen
sind, als äußerst sicher gelten und, das ist für eine staatliche Impfpflicht besonders relevant,
keine nennenswerten Nebenwirkungen, sprich Impfkomplikationen76 auftreten.

75 https://www.basg.gv.at/fuer-unternehmen/zulassung-life-cycle (abgerufen am 17.07.2020);
https://www.basg.gv.at/konsumentinnen/wissenswertes-ueber-arzneimittel/arzneimittel/impfstoffe/faq-
impfstoffe#c7523 (abgerufen am 17.07.2020);
https://www.gesundheit.gv.at/leben/gesundheitsvorsorge/impfungen/impfstoff-zulassung (abgerufen am
17.07.2020); Vgl Pfleiderer/Cichutek, Herstellung 44-55.
76 Siehe näher unter 2.1.3.

                                                                                                      14
5. Impfpflicht im Lichte von Staatszielbestimmungen

5.1. Allgemein
Staatszielbestimmungen            werden       auch       als     an     die     Staatsorgane     gerichtete
                                               77
Verfassungsaufträge            bezeichnet.            Sie       dienen     der     Erfüllung     bestimmter
Gemeinwohlaufgaben, inklusive für diesen Zweck bestimmter Grundsätze, Zielvorgaben und
Handlungsspielräume. 78 In Gegensatz zu Grundrechten kann aber das Individuum kein
subjektiv durchsetzbares Recht aus Staatszielbestimmungen ableiten.79

Staatszielbestimmungen           sind    von        den     handelnden     Staatsorganen        verpflichtend
wahrzunehmen. Die Bestimmungen an sich geben den politischen Akteuren allerdings einen
gewissen Rahmen bzw. Spielregeln vor. 80 Einerseits gibt es Staatszielbestimmungen, die
Ausdruck konkreter Regeln sind, wie etwa das BVG Atomfreies Österreich 81 sind diese
meistens als Verbote formuliert. Auf der anderen Seite existieren recht abstrakt lautende
Staatszielbestimmungen, welche aufgrund geringerer Konkretisierung eher als Prinzipien zu
verstehen sind und damit als Optimierungsgebote wirken.82 Beispiel hierfür ist die umfassende
Landesverteidigung gemäß Art 9a B-VG83, aus ihr lässt sich beispielsweise kein bestimmtes
militärisches Ausrüstungsniveau entnehmen.84

Staatszielbestimmungen konstituieren, wie auch andere Normen im Verfassungsrang, einen
Teil des Maßstabs, den der Verfassungsgerichtshof bei der Prüfung von Gesetzen oder
                                                                                                            85
Verordnungen         anlegt,      um     deren        Verfassungskonformität         zu    überprüfen.
                                                                                                            86
Staatszielbestimmungen haben folglich eine Lenkungs- bzw. Legitimierungsfunktion.
Dennoch spielen sie, aufgrund der fehlenden Durchsetzungskraft, in der Judikatur des VfGH
eine untergeordnete Rolle und werden daher auch als „schwache Bestimmungen“
bezeichnet.87

Eine weit wichtigere Aufgabe von Staatszielbestimmungen in der verfassungsgerichtlichen
Praxis ist deren interpretationsleitende Funktion, insbesondere bei Auslegungsfragen88 bzw.
                                                                                      89
der    Interpretation     von      beispielsweise         Grundrechtsschranken.            So    kann      ein

77 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 (2019) 69.
78
   Berka, Verfassungsrecht7 (2018) 61.
79 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht 69.
80 Berka, Verfassungsrecht 61.
81 Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich (BGBl I 1999/149 idgF).
82 Bertel Maria, Staatszielbestimmungen Bedeutung und Funktion im österreichischen Verfassungsrecht, in

Breitenlechner et al (Hg), Sicherung von Stabilität und Nachhaltigkeit durch Recht (2015) 143, 144, 151.
83 Bundes-Verfassungsgesetz (BGBl 1/1930 idF BGBl I 106/2005).
84 Berka, Verfassungsrecht 62.
85 Bertel, Staatszielbestimmungen 148.
86 Bertel, Staatszielbestimmungen 157.
87 Bertel, Staatszielbestimmungen 148.
88 Bertel, Staatszielbestimmungen 149.
89 Berka, Verfassungsrecht 62.

                                                                                                           15
Grundrechtseingriff unter Wahrung eines rechtlich anerkannten Staatsziels gerechtfertigt
sein.90 Dementsprechend wirken sich Staatszielbestimmungen insbesondere mittelbar durch
                                                                         91
deren Berücksichtigung im Gesetzgebungsprozess aus.                           So kann es in diesem
Zusammenhang zu Abwägungsvorgängen zwischen verschiedener Interessen kommen.
Hierfür können Staatszielbestimmungen, Bauprinzipien oder etwa Grundrechte einmal mehr,
einmal weniger ins Gewicht fallen.92

In der Folge gilt es die Frage zu klären, ob es im Rahmen der geltenden
Staatszielbestimmungen zu einem verpflichteten verfassungsrechtlichen Auftrag an die
Staatsorgane kommen könnte, eine staatliche Impfpflicht einzuführen. Weiteres soll
untersucht werden, inwiefern etwaige Staatszielbestimmungen für eine verfassungskonforme
Auslegung einer solchen heranzuziehen sind.

5.2. Impfpflicht und die umfassende Landesverteidigung gemäß Art 9a B-VG

5.2.1. Art 9a B-VG
Im Artikel 9a B-VG bekennt sich Österreich zur umfassenden Landesverteidigung. Aufgabe ist
es, die Unabhängigkeit nach außen, die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes
sowie die Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität zu bewahren.
Dabei sollen auch die verfassungsrechtlichen Einrichtungen sowie die demokratischen
Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von außen geschützt werden. Inhaltlich
wird im Absatz 2 die umfassende Landesverteidigung auf vier Teilbereiche ausgedehnt,
nämlich die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung.
Darüber     hinaus    wird    die   Wehrpflicht     für   männliche      Staatsbürger,      der   mögliche
Freiwilligendienst für weibliche Staatsbürgerinnen als auch die Möglichkeit des Zivildienstes
festgehalten.93

Der Artikel 9a B-VG wurde 1975 neu in das Bundes-Verfassungsgesetz eingegliedert94, und
stellt   nicht   zuletzt   aufgrund     des     zugrundeliegenden        „Bekenntnisgedankens“          eine
Staatszielbestimmung dar.95 Gemeinsam mit der Anpassung des Art 79 B-VG bezüglich der
Aufgaben des Bundesheeres stellte dies eine umfangreiche Verfassungsänderung dar.96

90 Berka, Verfassungsrecht 62; Vgl dazu VfSlg 12.009/1989.
91 Bertel, Staatszielbestimmungen 149.
92 Berka, Verfassungsrecht 62; Bertel, Staatszielbestimmungen 151.
93 Bundes-Verfassungsgesetz (BGBl 1/1930 idF BGBl I 106/2005).
94 RV 1461 BlgNR 13. GP 7.
95 Neisser, Art 9a B-VG, in Kneihs/Lienbacher (Hg), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassung (2012) Rz 6.
96 Neisser, Art 9a B-VG Rz 5.

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Wie bereits erwähnt wird im Absatz 2 des Art 9a B-VG die umfassende Landesverteidigung in
vier gleichrangige Komponenten aufgegliedert: militärisch, geistig, zivil und wirtschaftlich.97 Im
Hinblick auf die Staatszielbestimmung bilden diese vier Teilbereiche die vorgegebene
programmatische Struktur, welche für die Staatsorgane verpflichtend zur Gestaltung der
umfassenden Landesverteidigung zu berücksichtigen sind.98

An dieser Stelle ist auf die mit der Verfassungsänderung zum Art 9a B-VG im Jahr 197599
einhergehende Entschließung des Nationalrates 100 hinzuweisen. Weitreichend bekannt als
„Verteidigungsdoktrin“, gibt sie im Detail Erklärungen für alle vier Teilbereiche wieder. Bei der
Entschließung handelt es sich um einen rechtlich unverbindlichen Wunsch des Nationalrates
über die Ausübung der Vollziehung. 101 Aus politischer Sicht ist diese Entschließung aber
dennoch eine wichtige Grundlage für zukünftige Entwicklungen der umfassenden
Landesverteidigung. Dementsprechend wird diese Entschließung von der Bundesregierung
1975 als Staatsaufgabe und Verwaltungsmaxime anerkannt.102

Während der militärische Bereich gesetzlich klar im Art 79 B-VG weiter geregelt wird, bleiben
die anderen Bereiche gesetzlich undefiniert.

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     Die militärische Landesverteidigung obliegt demnach allein dem Bundesheer.
     Beispielsweise hat dieses im Krisenfall der Ausweitung internationaler Spannungen auf
     Österreich zu begegnen, das Eindringen fremder Truppen zu verhindern und im
     Abwehrkampf die Grenzen zu verteidigen.104

     Ziel der geistigen Landesverteidigung ist die ständige Bewusstseinsschaffung für alle
     Teilbereiche der Landesverteidigung durch Informationstätigkeiten.105 Das österreichische
     Volk soll ein Verständnis dafür erlangen, dass man auch unter Opfern bereit und in der
     Lage ist, Österreich zu schützen und zu verteidigen.106

     Bei der zivilen Landesverteidigung geht es um Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der
     Funktionsfähigkeit wichtiger Organe sowie um den Schutz der Bevölkerung im
     Bedrohungsfall.107 Dementsprechend sind notwendige Schutzvorkehrungen zu treffen, die

97 Adamovich et al, Österreichisches Staatsrecht Band 1: Grundlagen 2 (2011) 140.
98 Neisser, Art 9a B-VG Rz 6.
99 BGBl 1/1930 idF BGBl 368/1975.
100 1643 BlgNR 13. GP 3-4.
101 Neisser, Art 9a B-VG Rz 8; Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht 213.
102 Neisser, Art 9a B-VG Rz 8.
103 Ulrich, Handbuch Wehrrecht (2008) 11.
104 Neisser, Art 9a B-VG Rz 10.
105 Ulrich, Handbuch 11.
106 Neisser, Art 9a B-VG Rz 11.
107 Ulrich, Handbuch 12.

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im   Falle   einer   Kriegseinwirkung     das    größtmögliche      Maß     an     Sicherheit   und
      Überlebenschancen gewährleisten.108

      Zuletzt soll die wirtschaftliche Landesverteidigung für die Aufrechterhaltung der
      Leistungsfähigkeit von Österreichs Wirtschaft im Krisenfall und für entsprechende
      Vorsorgemaßnahmen wie beispielsweise ausreichende Lebensmittelbevorratung oder
      Sicherstellung der Energieversorgung sorgen.109

Abschließend ist noch zu erwähnen, dass es nach Beschluss der aussagekräftigen
Verteidigungsdoktrin 1975 noch zu weiteren Doktrinen bzw. Entschließungen gekommen ist
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(Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin 2001 sowie 2013).                      Aufgrund des fehlenden
Normcharakters von Entschließungen gibt es keine Aufhebungsbestimmungen von älteren
Entschließungen. Daher bleibt das Verhältnis dieser Entschließungen zueinander unklar.111
So stützt sich die rechtswissenschaftliche Literatur, auch jene jüngerer Zeit, nach wie vor auf
die ursprüngliche Doktrin aus dem Jahr 1975, wenn es um die Erläuterungen der vier
Teilbereiche geht, weshalb auch in dieser Arbeit neuere Interpretationen der Teilbereiche
unterbleiben.

Im Folgenden soll diskutiert werden, unter welchen Gefahrtatbeständen eine staatliche
Impfpflicht als Verfassungsauftrag im Sinne der Staatszielbestimmung der umfassenden
Landesverteidigung gemäß 9a B-VG möglich und sogar empfehlenswert wäre.

5.2.2. Impfpflicht als Mittel der umfassenden Landesverteidigung im Lichte globaler
       Gesundheitsbedrohungen
Wie eingangs erläutert, statuierte die WHO die Impfmüdigkeit bzw. -gegnerschaft als globale
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Gesundheitsbedrohung.              Daraus lassen sich ernstliche Bedrohungsszenarien wie
beispielsweise Epidemien bzw. Pandemien oder das Wiederaufleben von bereits
ausgerotteten schweren Infektionserkrankungen ableiten, 113 gegen die sich Österreich zu
„verteidigen“ bzw. zu schützen hat.114

Voraussetzung für eine umfassende Landesverteidigung ist, dass es sich um Gefahren von
außerhalb des Staatsgebietes handeln muss bzw. müssen staatsinnere Vorgänge in diesem
Kontext wenigstens im Zusammenhang mit äußeren Gefahren stehen.115 Entsprechend der
Terminologie der WHO, wonach es sich bei Impfmüdigkeit bzw. -gegnerschaft um eine

108 Neisser, Art 9a B-VG Rz 12.
109 Ulrich, Handbuch 12.
110 E114-NR BlgNR 21 sowie GP sowie 2524 BlgNR 24. GP.
111 Adamovich et al, Staatsrecht 233.
112 Siehe näher unter 1.
113 Vgl BMASGK, Informationen 9.
114 Siehe näher unter 5.2.1.
115 RV 1461 BlgNR 13. GP 5 sowie Pernthaler, Umfassende Landesverteidigung (1970) 1-4.

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