IMPFPFLICHT - Universität Innsbruck
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IMPFPFLICHT Verfassungsrechtliche Überlegungen im Lichte ausgewählter Staatszielbestimmungen, der Kompetenzverteilung und einschlägiger Grundrechte Diplomarbeit Zur Erlangung des akademischen Grades einer Mag. iur. rer. oec. an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Eingereicht bei Univ.-Prof. Dr. Anna Gamper von Alexandra Osink Innsbruck, im Juli 2020
Für Papa und Mama
Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre hiermit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht. Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magister- /Master-/Diplomarbeit/Dissertation eingereicht. __________________________________ __________________________________ Datum Unterschrift
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung – Problemabriss ............................................................................................. 1 2. Impfen ............................................................................................................................ 5 2.1. Allgemeine sowie medizinische Erläuterungen zum Impfen .................................... 5 2.1.1. Impfvorgang und Formen der Immunisierung ................................................... 5 2.1.2. Arten von Impfstoffen ....................................................................................... 5 2.1.3. Impfnebenwirkungen ........................................................................................ 6 2.1.4. Impfzwecke ...................................................................................................... 6 2.2. Aktuelle Impfsituation in Österreich – Impfplan ........................................................ 7 3. Aktuelle Rechtslage zum Impfen in Österreich ............................................................... 8 3.1. Allgemein ................................................................................................................ 8 3.2. Medizinische Behandlung und ihre Einwilligung ...................................................... 9 3.3. Aufklärungs- und Dokumentationspflicht ................................................................10 4. Bedeutung einer staatlichen Impfpflicht für Österreich ...................................................12 4.1. Allgemein ...............................................................................................................12 4.2. Sicherheit von Impfstoffen als Voraussetzung einer staatlichen Impfpflicht ............13 5. Impfpflicht im Lichte von Staatszielbestimmungen.........................................................15 5.1. Allgemein ...............................................................................................................15 5.2. Impfpflicht und die umfassende Landesverteidigung gemäß Art 9a B-VG ..............16 5.2.1. Art 9a B-VG.....................................................................................................16 5.2.2. Impfpflicht als Mittel der umfassenden Landesverteidigung im Lichte globaler Gesundheitsbedrohungen .............................................................................................18 5.2.3. Impfpflicht als Mittel der umfassenden Landesverteidigung im Lichte eines möglichen Biowaffenangriffs ..........................................................................................19 5.3. Impfpflicht im Lichte weiterer Staatszielbestimmungen...........................................22 5.3.1. Art 14 Abs 5a B-VG .........................................................................................22 5.3.2. Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung.........................................................................................................24 6. Impfpflicht im Lichte der „Verfassung“ der Europäischen Union.....................................27 7. Kompetenzrechtliche Überlegungen im Hinblick auf eine staatliche Impfpflicht nach der Gesichtspunktetheorie ..........................................................................................................29 7.1. Gesichtspunkt der Gesundheit ...............................................................................29 7.1.1. Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG – Allgemein ...............................................................29 7.1.2. Kompetenztatbestand „Gesundheitswesen“ gemäß Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG ..30 7.1.3. Komplementäre Kompetenztatbestände gemäß Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG........32 7.2. Gesichtspunkt der zivilen Landesverteidigung ........................................................34
7.3. Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten im Bereich des Gesundheitswesens .........................................................................................................36 8. Impfpflicht im Lichte einschlägiger Grundrechte ............................................................39 8.1. Art 8 EMRK Recht auf Achtung des Privatlebens ...................................................39 8.1.1. Allgemein ........................................................................................................39 8.1.2. Grundrechtlicher Schutzbereich und Eingriff ...................................................39 8.1.3. Rechtfertigung für den Grundrechtseingriff ......................................................41 8.1.3.1. Schutz der Gesundheit ................................................................................41 8.1.3.2. Wirtschaftliche Wohl des Landes .................................................................46 8.1.3.3. Schutz der Rechte und Freiheiten anderer ..................................................51 8.2. Art 2 EMRK Recht auf Leben .................................................................................54 8.2.1. Allgemein ........................................................................................................54 8.2.2. Besondere Grundrechtsträger .........................................................................54 8.2.3. Rechtfertigung einer staatlichen Impfpflicht .....................................................56 8.3. Art 3 EMRK Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ......................................................................................................................60 8.3.1. Allgemein ........................................................................................................60 8.3.2. Grundrechtlicher Schutzbereich und Eingriff ...................................................60 8.4. Glaubens- und Gewissensfreiheit ...........................................................................63 8.4.1. Allgemein ........................................................................................................63 8.4.2. Grundrechtlicher Schutzbereich und Eingriff ...................................................65 8.4.3. Rechtfertigung für den Grundrechtseingriff ......................................................66 8.5. Elternrechtliche Aspekte aus grundrechtlicher Sicht ...............................................67 8.5.1. Elternrecht – Obsorge .....................................................................................67 8.5.2. Art 8 EMRK Recht auf Achtung des Familienlebens ........................................67 8.6. Kinderrechtliche Aspekte aus grundrechtlicher Sicht ..............................................68 8.6.1. Kinderrechtliche Rechtsquellen .......................................................................68 8.6.2. Art 1 BVG über die Rechte von Kindern – Kindeswohl ....................................69 8.6.3. Art 4 BVG über die Rechte von Kindern – Kindermeinung ..............................71 8.7. Charta der Grundrechte der Europäischen Union...................................................73 9. Schlussbetrachtungen ...................................................................................................74 Literaturverzeichnis ..............................................................................................................77
1. Einleitung – Problemabriss Anfang des Jahres 2019 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Informationen über die zehn wesentlichsten globalen Gesundheitsbedrohungen. 1 Neben Gefahren wie der Luftverschmutzung und dem HI-Virus findet man darin auch die Impfmüdigkeit und Impfgegnerschaft, auf welche sinkende Impfraten zurückzuführen sind. Eine Folge davon ist laut WHO der Anstieg von Masernfällen in den letzten Jahren um rund 30 Prozent. Die Gründe, aus denen Menschen auf Impfungen verzichten, sieht die WHO in der Furcht vor möglichen Nebenwirkungen oder in der fehlenden Überzeugung, dass Impfungen Krankheiten verhindern können.2 Die WHO gab damit gewissermaßen selbst den Anstoß für die darauf folgende, öffentlich oftmals sehr kontrovers geführte Debatte über das Impfen. Auch Österreich musste in jüngerer Vergangenheit mit zahlreichen Masernfällen umgehen. Konkret veröffentlicht das Sozialministerium laufend auf seiner Homepage aktuelle Zahlen, welche für das Jahr 2018 77 Masernerkrankungen dokumentierte, im Folgejahr 2019 wurden 151 Fälle gezählt.3 Um dem entgegenzuwirken, hat sich auch Österreich im Rahmen seiner WHO-Mitgliedschaft das Ziel gesetzt, die Masern zu eliminieren.4 Um den dafür notwendigen Gemeinschaftsschutz erreichen zu können, ist eine Durchimpfungsrate von 95 % mit zwei Impfdosen notwendig. Dieses Ziel konnte in den Jahren 2017 und 2018 laut Daten des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz noch nicht erreicht werden.5 In medialen Diskussionen argumentierten Impfgegner, dass Impfungen erhebliche Risiken für Nebenwirkungen oder Folgeerkrankungen – darunter Autismus – herbeiführen würden. Auch die Überzeugung, dass nicht geimpfte Kinder ebenso wenig erkranken würden wie Geimpfte, bestärkt die Impfgegner in ihren Thesen.6 Auf der anderen Seite stehen die Impfbefürworter. Naturgemäß sprechen sich vor allem Mediziner und Politiker für Impfungen aus. So setzte sich die ehemalige Gesundheits- und 1 Die Veröffentlichung erfolge am 15.01.2019 über die Social-Media-Plattform „Twitter“: https://twitter.com/WHO/status/1085154206166716417?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ct wterm%5E1085154206166716417&ref_url=https%3A%2F%2Fkurier.at%2Fgesund%2Fwho-liste-die-zehn- groessten-bedrohungen-fuer-die-gesundheit%2F400380332 (abgerufen am 17.07.2020). 2 https://www.who.int/emergencies/ten-threats-to-global-health-in-2019 (abgerufen am 17.07.2020). 3 https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Impfen/Masern---Elimination-und- Durchimpfungsraten/Aktuelle-Situation.html (abgerufen am 18.08.2019, 18.05.2020 sowie 17.07.2020). 4 Vgl hierzu World Health Organization - Regional Office for Europe, European Vaccine Action Plan 2015-2020 (2014) 23. 5 BMASGK, Kurzbericht Masern Evaluierung der Masern-Durchimpfungsraten mit einem dynamischen, agentenbasierten Simulationsmodell (Juli 2019) 2, 4. 6 https://www.news.at/a/impfungen-argumente-impfgegner-8480386 (abgerufen am 17.07.2020). 1
Sozialministerin Mag. Dr. Brigitte Zarfl für eine Steigerung der Durchimpfungsraten ein, die unter anderem mittels eines elektronischen Impfpasses erreicht werden sollte.7 Aber auch die aktuelle SPÖ-Vorsitzende und Medizinerin Dr. Pamela Rendi-Wagner sieht den Vorteil einer hohen Impfquote darin, dass auch Menschen, die nicht geimpft werden können, geschützt werden.8 Die Österreichische Ärztekammer betont auf ihrer Homepage, dass Impfungen die wirksamsten Präventivmaßnahmen gegen Infektionskrankheiten seien.9 Die steigende Zahl der Masernfälle in Österreich in jüngster Zeit sowie die Einschätzung der WHO, dass Impfmüdigkeit und Impfgegnerschaft zur globalen Gesundheitsbedrohung avanciert seien, führte dazu, dass im Rahmen der öffentlichen Debatte zum Thema Impfen immer öfter eine sogenannte „staatliche Impfpflicht“ gefordert wurde. Beim Brüsseler Impfgipfel 2019 positionierte sich EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis klar dafür.10 Auch in Österreich sprach sich die Ärztekammer mit Beschluss mehrheitlich dafür aus.11 Ob es tatsächlich zukünftig zu einer staatlichen Impfpflicht in Österreich kommen wird, ist aktuell nicht absehbar. Diese Arbeit soll dennoch dazu dienen, verschiedene verfassungsrechtliche Überlegungen im Hinblick auf eine mögliche staatliche Impfpflicht zu diskutieren. Die entscheidenden zu klärenden Fragen dieser Arbeit sind daher, ob eine mögliche staatliche Impfpflicht gemessen am geltenden österreichischen Verfassungsrecht zulässig oder sogar geboten sein könnte. Wenn auch diverse einzelne Infektionserkrankungen an verschiedenen Stellen als Beispiele herangezogen werden, ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit, ganz allgemein eine potentielle staatliche Impfpflicht – unabhängig von spezifischen Erkrankungen – zu thematisieren. Die nächsten drei Kapitel dienen dazu, einen allgemeinen Themeneinstieg vom Impfen bis hin zur eigentlichen Diskussionsthematik einer staatlichen Impfpflicht zu ermöglichen. Zum Ersten werden allgemeine sowie medizinische Erläuterungen zum Impfen thematisiert. Dabei werden der Impfvorgang selbst sowie Formen der Immunisierung, Impfstoffarten, Impfnebenwirkungen als auch Impfzwecke dargestellt. Darüber hinaus wird die aktuelle Impfsituation in Österreich anhand des Österreichischen Impfplans erklärt. Zum Zweiten soll ein Überblick über die aktuelle Rechtslage zum Thema Impfen in Österreich gegeben werden. 7 https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2023213-Nicht-nur-Ja-oder-Nein-zur- Impfpflicht.html (abgerufen am 17.07.2020). 8 https://www.diepresse.com/5571732/masern-wien-gegen-impfpflicht-und-sanktionen (abgerufen am 17.07.2020). 9 https://www.aerztekammer.at/impfen1 (abgerufen am 17.07.2020). 10 https://www.derstandard.at/story/2000108541996/eu-gesundheitskommissar-impfen-notfalls-zur-pflicht-machen (abgerufen am 17.07.2020). 11 https://www.derstandard.at/story/2000101165504/aerztekammer-fordert-generelle-impfpflicht-in-oesterreich (abgerufen am 17.07.2020). 2
Da das Impfen eine medizinische Behandlung darstellt, werden an dieser Stelle auch die Einwilligung zum Impfvorgang sowie Aufklärungs- und Dokumentationspflichten des Arztes beschrieben. Zuletzt soll eine thematische Überleitung zu der eigentlich zu diskutierenden staatlichen Impfpflicht hergestellt werden. Hierfür werden unter anderem die Fragen geklärt, welchen Zweck eine staatliche Impfpflicht erfüllen soll und welche Voraussetzungen für ihre Implementierung im Hinblick auf die Sicherheit von Impfstoffe gegeben sein müssen. Zunächst werden die Staatszielbestimmungen Österreichs in Hinblick auf eine staatliche Impfpflicht diskutiert. Dieses Kapitel bildet den ersten großen verfassungsrechtlichen Abschnitt dieser Arbeit. Es gilt hier einerseits die Frage zu klären, ob es durch Staatszielbestimmungen – insbesondere im Rahmen der umfassenden Landesverteidigung gemäß Art 9a B-VG – zu einem verpflichteten verfassungsrechtlichen Auftrag an die Staatsorgane kommen könnte, eine staatliche Impfpflicht einzuführen. Andererseits wird auch untersucht, inwiefern etwaige weitere Staatszielbestimmungen für eine verfassungskonforme Auslegung heranzuziehen sind. Staatszielbestimmungen haben vor allem interpretationsleitende Funktion und wirken sich daher vornehmlich mittelbar durch Berücksichtigung im Gesetzgebungsprozess aus, in welchem diese vor allem mit verfassungsrechtlich gewährten Rechten abzuwägen sein werden. Nach einer kurzen Übersicht einschlägiger Primärrechtsquellen in Hinblick auf eine staatliche Impfpflicht der Europäischen Union folgt der zweite große verfassungsrechtliche Abschnitt dieser Arbeit. Darin sollen die kompetenzrechtlichen Fragen zu einer staatlichen Impfpflicht mit Hilfe der Gesichtspunktetheorie erläutert werden. An dieser Stelle wird auch die Kompetenzrolle der Union zu einer staatlichen Impfpflicht diskutiert. Ziel ist es, den Kompetenzträger – basierend auf welchem bestimmten Kompetenztatbestand – für eine staatliche Impfpflicht zu ermitteln. Der dritte und letzte große verfassungsrechtliche Abschnitt der vorliegenden Arbeit befasst sich mit den einschlägigen Grundrechten, die von einer staatlichen Impfpflicht berührt sein können. Es wird unter anderem untersucht, ob in diese spezifischen Grundrechte durch eine staatliche Impfpflicht eingegriffen wird und ob, sofern dies zutrifft, der Eingriff im Rahmen von Eingriffsvorbehalten der jeweiligen Grundrechtsbestimmungen gerechtfertigt werden kann. Zudem soll die Frage geklärt werden, ob durch etwaige Grundrechte eine staatliche Impfpflicht sogar geboten sein könnte. Für eine staatliche Impfpflicht bleiben abseits der hier dargestellten verfassungsrechtlichen Fragen auch politische Fragen zu klären, welche allerdings nicht Gegenstand dieser Arbeit sind. Auf jene offen bleibenden politischen Fragen wird gegebenenfalls hingewiesen. Darüber 3
hinaus bleiben auch andere politische Fragen, die für eine staatliche Impfpflicht äußerst relevant sind, in dieser Arbeit unbeantwortet: Zum Beispiel welche Personen welchen Alters sollen von einer staatlichen Impfpflicht erfasst werden? Welche Impfungen sollen dieser Pflicht unterworfen werden? Wie soll eine staatliche Impfpflicht durchgesetzt werden? Nicht zuletzt stellt sich hier die Frage, wie und in welchen Umfang die Verletzung einer staatlichen Impfpflicht sanktioniert werden soll. Zur wissenschaftlichen Analyse der verfassungsrechtlichen Fragen hinsichtlich einer staatlichen Impfpflicht wird vor allem einschlägige rechtswissenschaftliche Literatur herangezogen. Darüber hinaus wird auch die Judikatur des VfGH und EGMR berücksichtigt. Aufgrund des aktuellen Bezuges wird in dieser Arbeit auch auf die Covid-19-Pandemie eingegangen. Diese Pandemie stellt für das Thema einer staatlichen Impfpflicht wohl einen beispiellosen Anwendungsfall dar. 4
2. Impfen 2.1. Allgemeine sowie medizinische Erläuterungen zum Impfen 2.1.1. Impfvorgang und Formen der Immunisierung Beim Impfen wird dem Menschen und Tieren gleichermaßen meist durch eine Spritze unter die Haut der Impfstoff verabreicht. Es gibt aber auch sogenannte Schluckimpfungen, die vor allem Kleinkindern oral verabreicht werden. In diesem Zusammenhang bezeichnet man Impfen als „aktive Immunisierung“. Das bedeutet, dass der Körper mit toten oder abgeschwächten Krankheitserregern12 in Kontakt gebracht wird, wodurch das körpereigene Immunsystem entsprechende Antikörper zur Abwehr der Erreger und Infektionen produziert, ohne dass man die Infektionserkrankung selbst erleiden muss. Dies bezeichnet man auch als „Immunantwort“, welche in sogenannten „Gedächtniszellen“ gespeichert wird. Durch das Immungedächtnis kann ein längerfristiger Schutz gegen diesen Krankheitserreger erreicht werden.13 Im Vergleich dazu werden bei der „passiven Immunisierung“ die Antikörper selbst verabreicht, da diese vom menschlichen Körper selbst nicht produziert werden können. Das stellt in der Regel eine Notmaßnahme dar.14 Ein Beispiel dafür ist, wenn nach einem Tierbiss der Verdacht auf Tollwut besteht.15 In weiterer Folge ist in dieser Arbeit immer von der aktiven Immunisierung die Rede, sofern nichts anderes angeführt ist. 2.1.2. Arten von Impfstoffen Man unterscheidet generell zwischen zwei Impfstofftypen. Die erste Gruppe der „Lebendimpfstoffe“ besteht aus abgeschwächten Krankheitserregern, die sich aber noch vermehren können. In ihrer Eigenschaft lösen sie beim Impfling also eine Infektion, aber keine Infektionserkrankung aus. Zu diesen Impfstoffen zähen beispielsweise der Masern- oder Varizellenimpfstoff. 16 Als Zweites gibt es die „Totimpfstoffe“. Diese Impfstoffe bestehen ausschließlich aus abgetöteten bzw. inaktiven Krankheitserregern, welche sich nicht länger 12 Siehe näher unter 2.1.2. 13 Meyer/Zepp, Immunität und Schutzimpfungen, in Spiess et al (Hg), Impfkompendium9 (2018) 35 (35-43) sowie https://de.wikipedia.org/wiki/Impfung (abgerufen am 17.07.2020). 14 Meyer und Zepp, Immunität 42. 15 https://de.wikipedia.org/wiki/Impfung (abgerufen am 17.07.2020). 16 Meyer und Zepp, Immunität 43. 5
selbstständig vermehren können.17 Zu dieser Gruppe zählen beispielsweise Impfstoffe gegen Diphtherie oder Hepatitis B.18 2.1.3. Impfnebenwirkungen Impfungen können, wie alle medizinischen Maßnahmen, Nebenwirkungen nach sich ziehen. 19 Dabei ist zwischen Impfreaktionen und Impfkomplikationen zu unterscheiden. Impfreaktionen gelten als normale Auseinandersetzung des menschlichen Körpers mit dem Impfstoff im Zusammenhang mit der gewünschten Immunisierung. Dazu zählen beispielsweise Rötungen und Schwellungen der Injektionsstelle, Gliederschmerzen oder erhöhte Temperatur. In der Regel treten Impfreaktionen in den ersten 1-3 Tagen bei Totimpfstoffen und bis maximal 4 Wochen nach der Impfung bei Lebendimpfstoffen auf.20 Impfkomplikationen reichen hingegen über das übliche Maß von Impfreaktionen hinaus und sind geeignet, gesundheitliche Schäden nach sich zu ziehen.21 Dazu zählen Risiken, die einer Impfung spezifisch anhaften, wie zum Beispiel Fieberkrämpfe, kurzzeitige schockähnliche Zustände oder anaphylaktische Reaktionen. Da Impfungen in der Regel gut vertragen werden – die Komplikationshäufigkeit bewegt sich im Promillebereich22 – treten Impfkomplikationen im Allgemeinen außerordentlich selten auf und gelten daher in der medizinischen Fachliteratur als ausgesprochene Rarität.23 2.1.4. Impfzwecke Impfen zählt zu den wirksamsten medizinischen Präventionsmaßnahmen gegen ansteckende Infektionskrankheiten24, die zu schweren Folgen – wie beispielsweise Hirnhautentzündungen oder im schlimmsten Fall zum Tod – führen können. 25 Zum einen soll der Impfling selbst geschützt werden. Zum anderen erreicht man durch hohe Durchimpfungsraten einen sogenannten „Herdenschutz“ bzw. „Gemeinschaftsschutz“. Die direkte Ansteckung von Mensch zu Mensch wird dadurch sehr unwahrscheinlich. Daher werden auch Menschen geschützt, welche aufgrund ihrer Gesundheit, ihres Alters oder aufgrund anderer Faktoren 17 Meyer und Zepp, , Immunität 43. 18 https://www.gesundheit.gv.at/leben/gesundheitsvorsorge/impfungen/impfstoffarten (abgerufen am 17.07.2020). 19 Vgl dazu 3.2. sowie Jesser-Huß, Impfen und Kindeswohl, in Aigner et al (Hg), Schutzimpfungen – Rechtliche, ethische und medizinische Aspekte (2016) 127 (133). 20 Keller-Stanislawski, Impfkomplikationen und Impfschäden, in Spiess et al (Hg), Impfkompendium9 (2018) 69 (70); https://www.netdoktor.at/therapie/impfung/impfkomplikation-5347 (abgerufen am 17.07.2020). 21 https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Impfsicherheit/sicherheit_impfungen_node.html (abgerufen am 17.07.2020). 22 https://www.netdoktor.at/therapie/impfung/impfkomplikation-5347 (abgerufen am 17.07.2020). 23 Keller-Stanislawski, Impfkomplikationen 70; Jesser-Huß, Impfen 133; https://www.netdoktor.at/therapie/impfung/impfkomplikation-5347 (abgerufen am 17.7.2020). 24 BMASGK, Impfplan Österreich 2020 (Jänner 2020) 6. 25 BMASGK, Die wichtigsten Informationen zum Thema Kinderimpfung (April 2019) 9. 6
nicht geimpft werden können. Als globale Impferfolge kann man die Ausrottung der Pocken sowie die Tatsache verzeichnen, dass die Kinderlähmung (Polio) nur noch äußerst selten auftritt.26 2.2. Aktuelle Impfsituation in Österreich – Impfplan Der österreichische Impfplan wird jährlich vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz aktualisiert und veröffentlicht. Dieser wird in enger Zusammenarbeit mit dem mit Experten besetzten nationalen Impfgremium erstellt.27 Durch das bereits seit über 20 Jahren bestehende Kinderimpfprogramm können die am meisten impfpräventablen Krankheiten des Österreichischen Impfplans im Kindes- und Jugendalter für die Patienten kostenlos angeboten werden. Kostenträger sind das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, die Bundesländer sowie die Sozialversicherungsträger. 28 Darüber hinaus findet man auch empfehlenswerte Impfungen, die nicht kostenfrei angeboten werden können, im Österreichischen Impfplan.29 Bei dem in Österreich aktuell vorliegenden Impfplan handelt es sich um Empfehlungen des Bundesministeriums.30 Die darin vorgesehenen Impfungen sind rechtlich weder verbindlich noch verpflichtend. Zudem gibt es von staatlicher Seite keine Durchsetzungs- bzw. Sanktionsmöglichkeiten.31 Dementsprechend hält der VwGH in einem Erkenntnis fest, dass der Österreichische Impfplan aufgrund seines Empfehlungscharakters keine normative Wirkung entfaltet.32 Der Impfplan selbst wird rechtlich nicht explizit geregelt bzw. genau determiniert. Dennoch kommt er in diversen Rechtsquellen begrifflich vor. So sieht beispielsweise die „Schulärzte- Verordnung“ 33 vor, die aktuell empfohlenen Impfungen des Österreichischen Impfplans in Umsetzung des kostenfreien Impfprogramms bei Schülerinnen und Schülern durchzuführen. 26 BMASGK, Informationen 9, 10. 27 BMASGK, Impfplan 5. 28 BMASGK, Impfplan 5. 29 https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Impfen/Impfplan-%C3%96sterreich.html (abgerufen am 17.07.2020). 30 BMASGK, Impfplan 5. 31 Vgl Kahl/Weber, Allgemeines Verwaltungsrecht5 (2015) 208. 32 VwGH 24.07.2013, 2010/11/0075. 33 Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend die Übernahme von Aufgaben der Gesundheitsvorsorge für die schulbesuchende Jugend durch Schulärztinnen und Schulärzte (BGBl II 388/2019 idgF). 7
3. Aktuelle Rechtslage zum Impfen in Österreich 3.1. Allgemein Gibt man im RIS (Rechtsinformationssystem des Bundes) den Suchbegriff „Impfung“ ein, erhält man dazu unter der Rubrik „Bundesrecht“ über 70 Treffer. 34 Die dort gefundene Bandbreite an Rechtsquellen reicht von Multilateralen Verträgen35 über Gesetze bis hin zu Verordnungen. Inhaltlich beschäftigen sich die meisten Regelungen nicht hauptsächlich mit Impfungen, sondern berücksichtigen diese vielmehr als Randthemen mit. Als Beispiel kann hier auf Gesetzesebene das ASVG36 angeführt werden. Dieses regelt unter anderem die Pflichtversicherung, die Versicherungsträger oder die Leistungen der Krankenversicherung. Unter den letztgenannten Punkt fallen auch die „Sonstigen Maßnahmen zur Erhaltung der Volksgesundheit“ gemäß § 132 c. Darin wird beispielsweise die FSME-Impfung oder die Impfung gegen Influenza erwähnt. Ein anderes Beispiel ist das Arzneimittelgesetz. 37 Dieses regelt zusammengefasst die Herstellung, Prüfung, Zulassung und den Verkehr von Arzneimitteln. Gemäß § 1 Arzneimittelgesetz gelten als Arzneimittel unter anderem auch Stoffe, die der Verhütung von Krankheiten dienen. Dementsprechend unterliegen Impfstoffe dem Arzneimittelgesetz. Auf der Ebene von Verordnungen zeigt sich ein ähnliches Bild. So regelt beispielsweise die Blutspendeverordnung38 allgemeine Zulassungserfordernisse für Spender, die Anamnese oder auch dauernde bzw. zeitlich begrenzte Ausschlussgründe. So sind Blutspender zum Beispiel im Falle einer Masern- oder Varizellenimpfung vier Wochen vom Blutspenden ausgeschlossen. Weitere Regelungen zum Thema Impfen im Rahmen von Verordnungen, findet man beispielsweise in der „Verordnung biologische Arbeitsstoffe“39 oder in der bereits erwähnten „Schulärzte-Verordnung“. 34https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Kundmachungsorgan=&Index=&Titel=&Geset zesnummer=&VonArtikel=&BisArtikel=&VonParagraf=&BisParagraf=&VonAnlage=&BisAnlage=&Typ=&Kundmac hungsnummer=&Unterzeichnungsdatum=&FassungVom=17.07.2020&VonInkrafttretedatum=&BisInkrafttretedatu m=&VonAusserkrafttretedatum=&BisAusserkrafttretedatum=&NormabschnittnummerKombination=Und&ImRisSei tVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=Impfung&Position= 1&SkipToDocumentPage=true (abgerufen am 17.07.2020). 35 Vgl bspw Zweiundzwanzigste Weltgesundheitsversammlung 25. Juli 1969 Internationale Gesundheitsregelungen (BGBl 377/1971 idgF). 36 Bundesgesetz vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (BGBl 189/1955 idgF). 37 Bundesgesetz vom 2. März 1983 über die Herstellung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln (BGBl 185/1983 idgF). 38 Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales betreffend den Gesundheitsschutz von Spendern und die Qualitätssicherung von Blut und Blutbestandteilen (BGBl II 100/1999 idgF). 39 Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über den Schutz der Arbeitnehmer/innen gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe (BGBl II 237/1998 idgF). 8
Viel wesentlicher gehen die folgenden zwei Rechtsquellen auf das Thema Impfen ein. Sie werden daher auch explizit im Österreichischen Impfplan erwähnt. 40 Nach dem Impfschadengesetz verpflichtet sich der Bund für Impfschäden im Zusammenhang mit den empfohlenen bzw. verordneten Impfungen Entschädigung zu leisten. Ein Impfschaden wird dann anerkannt, wenn er im nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung steht und im Zuge des Verwaltungsverfahrens beim Sozialministeriumservice ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung als wahrscheinlich erkannt wird.41 Daneben unterliegen viele Krankheiten, welche nach dem Österreichischen Impfplan 42 empfohlen werden, dem Epidemiegesetz . Zum Beispiel muss aufgrund des Epidemiegesetzes im Falle eines Auftretens der Krankheiten Kinderlähmung oder Masern Anzeige bei der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde erstattet werden.43 Darüber hinaus ist festzuhalten, dass eine Impfung eine medizinische Behandlung44 darstellt. Sie unterliegt daher besonderen Aufklärungs- und Dokumentationspflichten45. Zur näheren Erläuterung dienen die beiden nachfolgenden Kapitel. 3.2. Medizinische Behandlung und ihre Einwilligung Eine medizinische Behandlung liegt vor, wenn diagnostische, therapeutische, rehabilitative, krankheitsvorbeugende oder geburtshilfliche Maßnahmen durch einen Arzt oder auf dessen Anordnung hin vorgenommen werden.46 Die Impfung als solches ist eine krankheitsvorbeugende Maßnahme und zählt daher gemäß § 252 Abs 1 ABGB zu den medizinischen Behandlungen. Wesentlich für die Durchführung der medizinischen Behandlung bzw. Impfung ist, dass die Person entscheidungsfähig ist, um selbst in die Behandlung einwilligen zu können. 47 Die Entscheidungsfähigkeit wird beim volljährigen Menschen grundsätzlich vorausgesetzt und bezeichnet die Fähigkeit, die Bedeutung und die Folgen des eigenen Handelns zu verstehen, 40 Bundesgesetz vom 3. Juli 1973 über die Entschädigung für Impfschäden (BGBl 371/1973 idgF). 41 BMASGK, Impfplan 132, 133. 42 Epidemiegesetz 1950 (BGBl 186/1950 idgF). 43 BMASGK, Impfplan 153, 154. 44 Siehe näher unter 3.2. 45 Siehe näher unter 3.3. 46 § 252 Abs 1 ABGB idgF. 47 Wiederum § 252 Abs 1 ABGB idgF. 9
den eigenen Willen danach auszurichten und sich dementsprechend zu verhalten. 48 Unter bestimmten Voraussetzungen für nicht (ausreichend) entscheidungsfähige Erwachsene können aber auch beispielsweise nahestehende Vertrauenspersonen durch Unterstützung die Entscheidungsfähigkeit hervorrufen49 oder die Entscheidung für den Patienten im Rahmen einer Vollmacht treffen.50 Auch Kinder können die Einwilligung in medizinische Behandlungen nur selbst erteilen, sofern sie entscheidungsfähig sind. Ist die Entscheidungsfähigkeit nicht gegeben, bedarf es der Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters. 51 Das Kind muss im Einzelfall einsichts- und urteilsfähig sein, das heißt, es muss die Tragweite seiner Entscheidung erfassen können. Dieser Grundsatz gilt altersunabhängig, obwohl man bei mündigen Minderjährigen die Entscheidungsfähigkeit grundsätzlich vermutet.52 3.3. Aufklärungs- und Dokumentationspflicht Die Grundlage für eine medizinische Behandlung wie das Impfen ist immer der formfreie Behandlungsvertrag zwischen Patient und Arzt.53 Seiner Rechtsnatur nach handelt es sich um einen freien selbstständigen Dienstvertrag54, da er im Vergleich zu einem Werkvertrag keinen 55 Erfolg schuldet. Mangels fehlender gesetzlicher Regelungen hat der OGH einige Rechtssätze entwickelt, welche vor allem die ärztlichen Pflichten betreffen. Zu diesen gehört unter anderem die Aufklärungspflicht, der beim Thema Impfen eine ganz wesentliche Bedeutung zukommt. Im Österreichischen Impfplan wird deshalb explizit darauf hingewiesen. 56 Die Aufklärung muss mögliche Gefahren oder schädliche Folgen einer Behandlung bzw. die Risiken ihrer Unterlassung beinhalten, der Arzt muss außerdem die Notwendigkeit einer Behandlung aufzeigen. Eine Aufklärung ist nicht nur dann notwendig, wenn der Patient eine Einwilligung für eine bestimmte Behandlung erteilen muss, sondern auch wenn er eine Entscheidungsgrundlage benötigt, ob er zum Beispiel eine bestimmte Impfung verabreicht bekommen möchte oder nicht.57 48 § 24 Abs 2 ABGB idgF. 49 § 252 Abs 2 ABGB idgF. 50 § 253 Abs 1 ABGB idgF. 51 § 173 Abs 1 ABGB idgF. 52 Perner/Spitzer/Kodek, Bürgerliches Recht4 (2014) 33; Kletečka-Pulker et al, Grundzüge des Medizinrechts (2019) 41 „Gesetzliche Zweifelsregel“. 53 Kletečka-Pulker et al, Grundzüge 27, 31. 54 RIS-Justiz RS0021339 (Vgl dazu OGH 23.05.1984, 1Ob550/84). 55 RIS-Justiz RS0021335.(Vgl dazu OGH 26.01.1995, 6Ob502/95); Kletečka-Pulker et al, Grundzüge 27. 56 BMASGK, Impfplan 116-118. 57 RIS-Justiz RS0026578 (Vgl dazu OGH 17.12.2003, 7Ob299/03a). 10
Folgen der Verletzung bzw. Unterlassung der gehörigen Aufklärungspflicht können zu einer strafrechtlichen Haftung (Vgl § 83ff und 110 StGB) oder, wie bei jeder Vertragsverletzung, zu 58 einer zivilrechtlichen Haftung (Schadenersatzpflicht) führen. Die Beweislast für eine 59 ordnungsgemäße Aufklärung liegt ausschließlich beim behandelnden Arzt. Der Dokumentationspflicht kommt unter anderem aus diesem Grund große Bedeutung zu. Diese Dokumentationspflicht stellt die zweite wesentliche Pflicht des Arztes dar, die der Österreichische Impfplan explizit anführt.60 Gemäß § 51 ÄrzteG61 ist durch den behandelnden Arzt der Zustand der zu behandelnden Person, ihre Vorgeschichte sowie der Umfang der beratenden, diagnostischen und therapeutischen Leistungen genau aufzuzeichnen. Dies ist wohl nicht nur für eventuelle Schadenersatzansprüche wichtig, sondern auch, um bei etwaigen Nebenwirkungen medizinisch richtig reagieren zu können. Des Weiteren betreffen den Arzt im Fall von Nebenwirkungen durch Arzneimittel - das gilt auch für Impfstoffe62 - laut § 75 g Arzneimittelgesetz besondere Meldepflichten gegenüber dem Bundesamt für Sicherheit und Gesundheit (BASG).63 58 Kletečka-Pulker et al, Grundzüge 69, 70. 59 RIS-Justiz RS0108185 (Vgl dazu OGH 13.10.1999, 7Ob165/99m). 60 BMASGK, Impfplan 116-118. 61 Bundesgesetz über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (BGBl I 169/1998 idgF). 62 Siehe näher unter 3.1. 63 BMASGK, Impfplan 130, 131. 11
4. Bedeutung einer staatlichen Impfpflicht für Österreich 4.1. Allgemein Wie in den vorherigen Kapiteln schon klar erkennbar, wurde in Österreich bislang keine 64 staatlich angeordnete Impfpflicht umgesetzt. Vielmehr setzt man zur Erhöhung der Durchimpfungsraten aktuell auf andere Maßnahmen wie etwa auf Aufklärungskampagnen65, 66 das kostenlose Kinderimpfprogramm und die Empfehlungen des österreichischen 67 Impfplans. Im Gegensatz zum Österreichischen Impfplan, dessen Empfehlungen rechtlich weder verbindlich noch verpflichtend sind, ist eine staatliche Impfpflicht allerdings prinzipiell dazu geeignet, eine Impfung bei Verweigerung mit entsprechenden Zwangsmitteln durchzusetzen. Der Zweck, den eine staatliche Impfpflicht verfolgt, ist im Grunde derselbe, den Impfungen im Allgemeinen verfolgen. Einerseits soll jeder Einzelne durch die Impfung selbst vor ansteckenden Infektionskrankheiten geschützt werden, andererseits soll mittels hoher Durchimpfungsraten auch ein Gemeinschaftsschutz erreicht und gewährleistet werden. Dieser sorgt dafür, dass die direkte Ansteckung von Mensch zu Mensch sehr unwahrscheinlich wird. Dieser Aspekt schützt auch Personen, die aufgrund ihrer Gesundheit, ihres Alters oder aufgrund anderer medizinischer Faktoren nicht geimpft werden können.68 Darüber hinaus ist der Gemeinschaftsschutz auch dazu geeignet, Epidemien wie auch Pandemien vorzubeugen oder diese im Falle ihres Auftretens sogar zu beenden. So könnte beispielsweise ein Weg aus der aktuell um sich greifenden Covid-19-Pandemie eine staatliche Impfpflicht sein, sofern und 69 sobald es einen entsprechenden sicheren Impfstoff gibt. Letztlich können hohe Durchimpfungsraten mit dem daraus resultierenden Gemeinschaftsschutz sogar dafür sorgen, Infektionskrankheiten auszurotten. Ein Beispiel, bei der die Ausrottung einer Krankheit durch ein rigoroses Impfregime bereits gelungen ist und letztendlich die Impfpflicht aufgehoben werden konnte, sind die Pocken.70 Warum ein Gemeinschaftsschutz grundsätzlich so wichtig ist, lässt sich am Praxisbeispiel Masern aufzeigen. Masern gelten als hoch infektiös. Grund dafür ist, dass statistisch gesehen 64 Vgl dazu 2.2. sowie 3. 65 https://www.tirol.gv.at/meldungen/meldung/artikel/erfolgreiche-impfaktion-und-impfkampagne/ (abgerufen am 17.07.2020); https://www.sn.at/panorama/oesterreich/oesterreich-startet-impfkampagne-4072738 (abgerufen am 17.07.2020). 66 BMASGK, Impfplan 5. 67 Siehe näher unter 2.2. 68 Siehe näher unter 2.1.4. 69 Siehe näher unter 4.2. 70 Siehe hierzu das Bundesgesetz vom 30. Juni 1948 über Schutzimpfungen gegen Pocken (BGBl 1948/34) welches aufgrund der Pockenausrottung über 30 Jahre später wieder aufgehoben wurde mittels Bundesgesetz vom 15. Dezember 1980 mit dem das Bundesgesetz über Schutzimpfungen gegen Pocken aufgehoben wird (BGBl 1980/223). 12
eine erkrankte Person, aufgrund der langen Inkubationszeit von circa 10 Tagen rund 18 weitere Personen ansteckt.71 Dies könnte durch eine vorhandene Herdenimmunität als direkte Folge einer staatlichen Impfpflicht unterbunden werden. 4.2. Sicherheit von Impfstoffen als Voraussetzung einer staatlichen Impfpflicht Im Hinblick auf mögliche Impfstoffe, die für eine staatliche Impfpflicht herangezogen werden könnten, sind vor allem nachfolgende Fragen und Sachverhalte von Bedeutung: Erstens muss grundsätzlich ein entsprechend vorhandener Impfstoff gegen die jeweiligen Infektionskrankheiten zur Verfügung stehen. Zweitens muss dieser für die Einführung einer staatlichen Impfpflicht auch in Österreich zugelassen sein. Und Drittens muss es darüber hinaus für die Implementierung einer staatlichen Impfpflicht Voraussetzung sein, dass diese Impfstoffe sowie ihre Verabreichung frei von nennenswerten Nebenwirkungen und Risiken sind. Die Rede ist hier von Impfkomplikationen.72 Das bedeutet, dass durch entsprechende Herstellungs- und Zulassungsprozesse die Qualität und Sicherheit des Impfstoffes nachgewiesen werden muss.73 An dieser Stelle ist in aller Kürze auf die Zulassung von Impfstoffen in Österreich einzugehen: Da es sich bei Impfstoffe um Arzneimittel handelt, unterliegen diese wie bereits erwähnt dem Arzneimittelgesetz.74 Zuständig für die Zulassung von Arzneimittel im Allgemeinen sowie auch für Impfstoffe ist nach dem Arzneimittelgesetz das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG). Dieses überprüft im Rahmen des Zulassungsprozesses die Wirksamkeit, die Unbedenklichkeit sowie die Qualität des Impfstoffes. Impfstoffe werden demnach nur zugelassen, wenn diese weitestgehend als sichere Arzneimittel gelten. Anders formuliert muss der vorliegende Nutzen (Verhinderung einer Krankheit) die Risiken (mögliche Nebenwirkungen) übersteigen. Hierzu ist festzuhalten, dass moderne Impfstoffe aufgrund der geltenden Anforderungen im Herstellungsprozess und der Kontrollen mittels umfassender klinischer Studien grundsätzlich gut verträglich sind und unerwünschte Nebenwirkungen äußerst selten auftreten. Im Hinblick auf neue Krankheitserreger wie beispielsweise das Sars- CoV2-Virus ist es interessant, dass die Probandenzahl im Rahmen der klinischen Studien zwischen 1.000 und 70.000 variieren kann. Die Probandenzahl ist dabei davon abhängig, ob 71 https://www.diepresse.com/5734194/brauchen-wir-eine-impfpflicht-in-osterreich (abgerufen am 17.07.2020); https://www.addendum.org/impfen/impfpflicht/ (abgerufen am 17.07.2020). 72 Vgl hierzu näher 2.1.3. 73 Pfleiderer/Cichutek, Herstellung und Prüfung von Impfstoffen, in Spiess et al (Hg), Impfkompendium9 (2018) 44 (44-55); 74 Vgl hierzu 3.1. 13
es sich um einen bereits weitgehend bekannten oder um einen pharmakologisch neuen Impfstoff handelt.75 Daher ist für diese Arbeit davon auszugehen, dass Impfstoffe, welche in Österreich zugelassen sind, als äußerst sicher gelten und, das ist für eine staatliche Impfpflicht besonders relevant, keine nennenswerten Nebenwirkungen, sprich Impfkomplikationen76 auftreten. 75 https://www.basg.gv.at/fuer-unternehmen/zulassung-life-cycle (abgerufen am 17.07.2020); https://www.basg.gv.at/konsumentinnen/wissenswertes-ueber-arzneimittel/arzneimittel/impfstoffe/faq- impfstoffe#c7523 (abgerufen am 17.07.2020); https://www.gesundheit.gv.at/leben/gesundheitsvorsorge/impfungen/impfstoff-zulassung (abgerufen am 17.07.2020); Vgl Pfleiderer/Cichutek, Herstellung 44-55. 76 Siehe näher unter 2.1.3. 14
5. Impfpflicht im Lichte von Staatszielbestimmungen 5.1. Allgemein Staatszielbestimmungen werden auch als an die Staatsorgane gerichtete 77 Verfassungsaufträge bezeichnet. Sie dienen der Erfüllung bestimmter Gemeinwohlaufgaben, inklusive für diesen Zweck bestimmter Grundsätze, Zielvorgaben und Handlungsspielräume. 78 In Gegensatz zu Grundrechten kann aber das Individuum kein subjektiv durchsetzbares Recht aus Staatszielbestimmungen ableiten.79 Staatszielbestimmungen sind von den handelnden Staatsorganen verpflichtend wahrzunehmen. Die Bestimmungen an sich geben den politischen Akteuren allerdings einen gewissen Rahmen bzw. Spielregeln vor. 80 Einerseits gibt es Staatszielbestimmungen, die Ausdruck konkreter Regeln sind, wie etwa das BVG Atomfreies Österreich 81 sind diese meistens als Verbote formuliert. Auf der anderen Seite existieren recht abstrakt lautende Staatszielbestimmungen, welche aufgrund geringerer Konkretisierung eher als Prinzipien zu verstehen sind und damit als Optimierungsgebote wirken.82 Beispiel hierfür ist die umfassende Landesverteidigung gemäß Art 9a B-VG83, aus ihr lässt sich beispielsweise kein bestimmtes militärisches Ausrüstungsniveau entnehmen.84 Staatszielbestimmungen konstituieren, wie auch andere Normen im Verfassungsrang, einen Teil des Maßstabs, den der Verfassungsgerichtshof bei der Prüfung von Gesetzen oder 85 Verordnungen anlegt, um deren Verfassungskonformität zu überprüfen. 86 Staatszielbestimmungen haben folglich eine Lenkungs- bzw. Legitimierungsfunktion. Dennoch spielen sie, aufgrund der fehlenden Durchsetzungskraft, in der Judikatur des VfGH eine untergeordnete Rolle und werden daher auch als „schwache Bestimmungen“ bezeichnet.87 Eine weit wichtigere Aufgabe von Staatszielbestimmungen in der verfassungsgerichtlichen Praxis ist deren interpretationsleitende Funktion, insbesondere bei Auslegungsfragen88 bzw. 89 der Interpretation von beispielsweise Grundrechtsschranken. So kann ein 77 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 (2019) 69. 78 Berka, Verfassungsrecht7 (2018) 61. 79 Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht 69. 80 Berka, Verfassungsrecht 61. 81 Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich (BGBl I 1999/149 idgF). 82 Bertel Maria, Staatszielbestimmungen Bedeutung und Funktion im österreichischen Verfassungsrecht, in Breitenlechner et al (Hg), Sicherung von Stabilität und Nachhaltigkeit durch Recht (2015) 143, 144, 151. 83 Bundes-Verfassungsgesetz (BGBl 1/1930 idF BGBl I 106/2005). 84 Berka, Verfassungsrecht 62. 85 Bertel, Staatszielbestimmungen 148. 86 Bertel, Staatszielbestimmungen 157. 87 Bertel, Staatszielbestimmungen 148. 88 Bertel, Staatszielbestimmungen 149. 89 Berka, Verfassungsrecht 62. 15
Grundrechtseingriff unter Wahrung eines rechtlich anerkannten Staatsziels gerechtfertigt sein.90 Dementsprechend wirken sich Staatszielbestimmungen insbesondere mittelbar durch 91 deren Berücksichtigung im Gesetzgebungsprozess aus. So kann es in diesem Zusammenhang zu Abwägungsvorgängen zwischen verschiedener Interessen kommen. Hierfür können Staatszielbestimmungen, Bauprinzipien oder etwa Grundrechte einmal mehr, einmal weniger ins Gewicht fallen.92 In der Folge gilt es die Frage zu klären, ob es im Rahmen der geltenden Staatszielbestimmungen zu einem verpflichteten verfassungsrechtlichen Auftrag an die Staatsorgane kommen könnte, eine staatliche Impfpflicht einzuführen. Weiteres soll untersucht werden, inwiefern etwaige Staatszielbestimmungen für eine verfassungskonforme Auslegung einer solchen heranzuziehen sind. 5.2. Impfpflicht und die umfassende Landesverteidigung gemäß Art 9a B-VG 5.2.1. Art 9a B-VG Im Artikel 9a B-VG bekennt sich Österreich zur umfassenden Landesverteidigung. Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen, die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes sowie die Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität zu bewahren. Dabei sollen auch die verfassungsrechtlichen Einrichtungen sowie die demokratischen Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von außen geschützt werden. Inhaltlich wird im Absatz 2 die umfassende Landesverteidigung auf vier Teilbereiche ausgedehnt, nämlich die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung. Darüber hinaus wird die Wehrpflicht für männliche Staatsbürger, der mögliche Freiwilligendienst für weibliche Staatsbürgerinnen als auch die Möglichkeit des Zivildienstes festgehalten.93 Der Artikel 9a B-VG wurde 1975 neu in das Bundes-Verfassungsgesetz eingegliedert94, und stellt nicht zuletzt aufgrund des zugrundeliegenden „Bekenntnisgedankens“ eine Staatszielbestimmung dar.95 Gemeinsam mit der Anpassung des Art 79 B-VG bezüglich der Aufgaben des Bundesheeres stellte dies eine umfangreiche Verfassungsänderung dar.96 90 Berka, Verfassungsrecht 62; Vgl dazu VfSlg 12.009/1989. 91 Bertel, Staatszielbestimmungen 149. 92 Berka, Verfassungsrecht 62; Bertel, Staatszielbestimmungen 151. 93 Bundes-Verfassungsgesetz (BGBl 1/1930 idF BGBl I 106/2005). 94 RV 1461 BlgNR 13. GP 7. 95 Neisser, Art 9a B-VG, in Kneihs/Lienbacher (Hg), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassung (2012) Rz 6. 96 Neisser, Art 9a B-VG Rz 5. 16
Wie bereits erwähnt wird im Absatz 2 des Art 9a B-VG die umfassende Landesverteidigung in vier gleichrangige Komponenten aufgegliedert: militärisch, geistig, zivil und wirtschaftlich.97 Im Hinblick auf die Staatszielbestimmung bilden diese vier Teilbereiche die vorgegebene programmatische Struktur, welche für die Staatsorgane verpflichtend zur Gestaltung der umfassenden Landesverteidigung zu berücksichtigen sind.98 An dieser Stelle ist auf die mit der Verfassungsänderung zum Art 9a B-VG im Jahr 197599 einhergehende Entschließung des Nationalrates 100 hinzuweisen. Weitreichend bekannt als „Verteidigungsdoktrin“, gibt sie im Detail Erklärungen für alle vier Teilbereiche wieder. Bei der Entschließung handelt es sich um einen rechtlich unverbindlichen Wunsch des Nationalrates über die Ausübung der Vollziehung. 101 Aus politischer Sicht ist diese Entschließung aber dennoch eine wichtige Grundlage für zukünftige Entwicklungen der umfassenden Landesverteidigung. Dementsprechend wird diese Entschließung von der Bundesregierung 1975 als Staatsaufgabe und Verwaltungsmaxime anerkannt.102 Während der militärische Bereich gesetzlich klar im Art 79 B-VG weiter geregelt wird, bleiben die anderen Bereiche gesetzlich undefiniert. 103 Die militärische Landesverteidigung obliegt demnach allein dem Bundesheer. Beispielsweise hat dieses im Krisenfall der Ausweitung internationaler Spannungen auf Österreich zu begegnen, das Eindringen fremder Truppen zu verhindern und im Abwehrkampf die Grenzen zu verteidigen.104 Ziel der geistigen Landesverteidigung ist die ständige Bewusstseinsschaffung für alle Teilbereiche der Landesverteidigung durch Informationstätigkeiten.105 Das österreichische Volk soll ein Verständnis dafür erlangen, dass man auch unter Opfern bereit und in der Lage ist, Österreich zu schützen und zu verteidigen.106 Bei der zivilen Landesverteidigung geht es um Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit wichtiger Organe sowie um den Schutz der Bevölkerung im Bedrohungsfall.107 Dementsprechend sind notwendige Schutzvorkehrungen zu treffen, die 97 Adamovich et al, Österreichisches Staatsrecht Band 1: Grundlagen 2 (2011) 140. 98 Neisser, Art 9a B-VG Rz 6. 99 BGBl 1/1930 idF BGBl 368/1975. 100 1643 BlgNR 13. GP 3-4. 101 Neisser, Art 9a B-VG Rz 8; Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht 213. 102 Neisser, Art 9a B-VG Rz 8. 103 Ulrich, Handbuch Wehrrecht (2008) 11. 104 Neisser, Art 9a B-VG Rz 10. 105 Ulrich, Handbuch 11. 106 Neisser, Art 9a B-VG Rz 11. 107 Ulrich, Handbuch 12. 17
im Falle einer Kriegseinwirkung das größtmögliche Maß an Sicherheit und Überlebenschancen gewährleisten.108 Zuletzt soll die wirtschaftliche Landesverteidigung für die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit von Österreichs Wirtschaft im Krisenfall und für entsprechende Vorsorgemaßnahmen wie beispielsweise ausreichende Lebensmittelbevorratung oder Sicherstellung der Energieversorgung sorgen.109 Abschließend ist noch zu erwähnen, dass es nach Beschluss der aussagekräftigen Verteidigungsdoktrin 1975 noch zu weiteren Doktrinen bzw. Entschließungen gekommen ist 110 (Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin 2001 sowie 2013). Aufgrund des fehlenden Normcharakters von Entschließungen gibt es keine Aufhebungsbestimmungen von älteren Entschließungen. Daher bleibt das Verhältnis dieser Entschließungen zueinander unklar.111 So stützt sich die rechtswissenschaftliche Literatur, auch jene jüngerer Zeit, nach wie vor auf die ursprüngliche Doktrin aus dem Jahr 1975, wenn es um die Erläuterungen der vier Teilbereiche geht, weshalb auch in dieser Arbeit neuere Interpretationen der Teilbereiche unterbleiben. Im Folgenden soll diskutiert werden, unter welchen Gefahrtatbeständen eine staatliche Impfpflicht als Verfassungsauftrag im Sinne der Staatszielbestimmung der umfassenden Landesverteidigung gemäß 9a B-VG möglich und sogar empfehlenswert wäre. 5.2.2. Impfpflicht als Mittel der umfassenden Landesverteidigung im Lichte globaler Gesundheitsbedrohungen Wie eingangs erläutert, statuierte die WHO die Impfmüdigkeit bzw. -gegnerschaft als globale 112 Gesundheitsbedrohung. Daraus lassen sich ernstliche Bedrohungsszenarien wie beispielsweise Epidemien bzw. Pandemien oder das Wiederaufleben von bereits ausgerotteten schweren Infektionserkrankungen ableiten, 113 gegen die sich Österreich zu „verteidigen“ bzw. zu schützen hat.114 Voraussetzung für eine umfassende Landesverteidigung ist, dass es sich um Gefahren von außerhalb des Staatsgebietes handeln muss bzw. müssen staatsinnere Vorgänge in diesem Kontext wenigstens im Zusammenhang mit äußeren Gefahren stehen.115 Entsprechend der Terminologie der WHO, wonach es sich bei Impfmüdigkeit bzw. -gegnerschaft um eine 108 Neisser, Art 9a B-VG Rz 12. 109 Ulrich, Handbuch 12. 110 E114-NR BlgNR 21 sowie GP sowie 2524 BlgNR 24. GP. 111 Adamovich et al, Staatsrecht 233. 112 Siehe näher unter 1. 113 Vgl BMASGK, Informationen 9. 114 Siehe näher unter 5.2.1. 115 RV 1461 BlgNR 13. GP 5 sowie Pernthaler, Umfassende Landesverteidigung (1970) 1-4. 18
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