In Sport, Spiel und Bewegung
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Vermittlungskompetenz in Sport, Spiel und Bewegung: Sportartspezifische Perspektiven Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Details sind im Internet über abrufbar. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden. © 2020 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen Auckland, Beirut, Dubai, Hägendorf, Hongkong, Indianapolis, Kairo, Kapstadt, Manila, Maidenhead, Neu-Delhi, Singapur, Sydney, Teheran, Wien Member of the World Sport Publishers’ Association (WSPA) 9783840313813 E-Mail: verlag@m-m-sports.com www.dersportverlag.de
Inhalt Vorwort ................................................................................................................................................................................................... 8 Tobias Vogt I Theoretische Einordnung ................................................................................................................. 11 1 Zur Vermittlungskompetenz in Sport, Spiel und Bewegung ......................... 12 Tobias Vogt 2 Zielgruppenspezifische Vermittlung: Inhalte, Methoden und Modelle ............................................................................................................... 29 Tobias Vogt & Daniel Klein II Vermittlungskompetenz in den Sportarten .......................................... 51 Volleyball 3 Das Spielgemäße Konzept in der Volleyballvermittlung: Zeitgemäß interpretiert – immer noch aktuell .................................................................. 52 Jimmy Czimek & Simon Timmer 4 Engagement durch Motivation – Möglichkeiten der Motivationsförderung im Volleyballunterricht an der Schule ................... 60 Simon Timmer & Jimmy Czimek Turnen 5 Effizient, ästhetisch, sicher: Biomechanisches Grundverständnis als Fundament turnerischer Bewegungsvermittlung .............................................. 70 Jonas Rohleder, Maria Becker & Ilona Gerling 6 Vermittlungswege im Gerätturnen: Förderung von Lernprozessen durch zielgruppenadäquaten Methodeneinsatz ............................................................. 93 Maria Becker, Ilona Gerling & Jonas Rohleder 5 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 5 22.09.20 12:38
7 „Teamsport“ Turnen: Gegenseitiges Helfen und Sichern zur Förderung sozialer Kompetenzen ........................................................................................... 106 Ilona Gerling, Jonas Rohleder & Maria Becker Schwimmen 8 Vermittlungsinhalte einer umfassenden schwimmerischen Grundbildung .......................................................................................................... 129 Ilka Staub & Inga Fokken 9 Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts – wirkungsvoll und motivierend Schwimmen lehren ................................................. 149 Luis Ohlendorf & Ilka Staub 10 Das Show-Room-Prinzip mit und ohne Videofeedback – individualisierte Schwimmtechnikvermittlung im Schul-, Breiten- und Leistungssport ....................................................................................... 171 Lucas Abel, Andreas Bieder & Ilka Staub Badminton 11 Vermittlung des Badmintonspiels am Beispiel des Racketspeedmodells in Schule und Verein ............................................................. 189 Daniel Hoffmann 12 Fehlerkorrekturen im Badminton aus funktionaler Perspektive ..................................................................................................................... 199 Daniel Hoffmann Tennis 13 Eine kompetenzorientierte Einordnung zur Tennisvermittlung im Sportunterricht ............................................................................. 207 Philipp Born & Ralph Grambow 6 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 6 22.09.20 12:38
Inhalt 14 Moderne spiel- und wettkampforientierte Vermittlungskompetenz im Tennis ..................................................................................................... 218 Philipp Born & Dominik Meffert Fußball 15 Spielorientierte Vermittlung technisch-taktischer Aspekte im Sportspiel Fußball ............................................................................................................................................. 228 Martin Jedrusiak-Jung & Jörg Jakobs 16 Ein Leitfaden für eine Lehrprobe zur Planung, Durchführung und Analyse im mannschaftstaktischen Rahmen am Beispiel Fußball ................................................................................................................................................... 238 Gerd Merheim & Hans-Jürgen Tritschoks Kampfsport 17 Vermittlungsmethoden: Kämpfen im Schulsport im Spannungsfeld zwischen Tradition und Nichtlinearität ....................... 245 Susen Werner, Swen Körner & Mario S. Staller 18 Begrenzen für mehr Freiheit: Der Constraints-Led-Approach als trainingspädagogische Perspektive auf das Design von Lehr-Lern-Settings in- und außerhalb des Sports ........................................ 276 Swen Körner & Mario S. Staller Autorenschaft ...................................................................................................................................................................... 300 Index .................................................................................................................................................................................................. 306 Bildnachweis ........................................................................................................................................................................... 320 7 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 7 22.09.20 12:38
9 Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts – wirkungsvoll und motivierend Schwimmen lehren Luis Ohlendorf & Ilka Staub Schwimmenlernen als anfänglicher und zentraler Auseinandersetzungsprozess mit dem Element Wasser sollte freudvoll und motivierend gestaltet werden, denn Sicherheit im und Freude am Wasser lassen sich nicht erzwingen, sondern entwickeln sich in den Ler- nenden, wenn die Lernumgebung richtig gestaltet ist (Rheker, 2010). Schwimmunterricht nach dem hier dargestellten Verständnis schafft daher eine Lernum- gebung, in der die Schüler selbstbestimmt vielfältige Erfahrungen sammeln und ihren individuellen Lernweg gehen können. Die Befriedigung des psychologischen Grundbe- dürfnisses nach Selbstbestimmung gilt als wichtige Voraussetzung für intrinsisch moti- viertes Handeln . Intrinsische Motivation ist jedoch nicht nur ein starker und nachhaltiger Antrieb für den Lernprozess, sondern beeinflusst die Qualität des motorischen Lernens auch direkt positiv (Wulf & Lewthwaite, 2016). Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse stellt das folgende Kapitel den geöffneten Schwimmunterricht als methodischen Ansatz des Anfängerschwimmunterrichts dar, in dem Schüler selbstbestimmt Schwimmen lernen. Es werden Möglichkeiten zur Unter- richtsgestaltung begründet dargestellt und anhand von Beispielen aus der Unterrichts- praxis verdeutlicht. Die so entstehenden Handlungsempfehlungen beschreiben einen Unterrichtsrahmen, aufbauend auf einer umfassenden schwimmerischen Grundbildung (s. Kap. 8). 149 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 149 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub 9.1 Zum Verständnis von geöffnetem Schwimmunterricht Geöffneter Schwimmunterricht ist ein Unterricht, der Rahmenbedingungen für intrin- sisch motiviertes Verhalten im Wasser schafft und so optimales und nachhaltiges Lernen fördern soll. Der Begriff geöffnet wird verwendet, um zu verdeutlichen, dass die Rahmen- bedingungen auf das selbstbestimmte Handeln der Lernenden ausgerichtet sind. Das fordert Organisationsformen und Strukturen, die Freiheit und individuelle Gestaltung zulassen und somit als offen(er) bezeichnet werden. Theoretischer Exkurs Das Motivationsspektrum der Selbstbestimmungstheorie nach Ryan und Deci (2017) Tab. 9.1.: Das Motivationsspektrum der Selbstbestimmungstheorie in Anlehnung an Ryan und Deci (2017) Extrinsisch/ Autonomiegrad Regulation Grund des Verhaltens intrinsisch Selbstbestimmt/ Intrinsisch Intrinsische Interesse autonom Motivation Freude Den Werten entsprechend Extrinsisch Integrierte Sinn und Notwendigkeit von Hand- Regulation lungen wurden erkannt (identifiziert) und werden in das eigene Wertesys- tem integriert. Identifizierte Handlungsgründe werden als sinn- Regulation voll und/oder notwendig wahrge- nommen. Introjizierte Schuld Regulation Scham Angst vor Ablehnung Ego Externe Belohnung Fremdbestimmt/ Regulation Bestrafung kontrolliert 150 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 150 22.09.20 12:38
Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts Begründet ist dieses Konzept auf der Selbstbestimmungstheorie von Ryan und Deci (2017), die das Bedürfnis nach Selbstbestimmung als Grundlage für intrinsisch motivier- tes Verhalten erklärt. Je mehr sich eine Person als Verursacher der eigenen Handlungen und Erfahrungen erlebt, desto mehr können diese Handlungen und Erfahrungen als wert- voll und in Übereinstimmung mit den eigenen Werten und Interessen wahrgenommen werden und sind intrinsisch motiviert. Extrinsisch motiviertes Verhalten, hervorgerufen durch z. B. Belohnungs- oder Bestra- fungssysteme, zeichnet sich durch ein hohes Maß an Fremdbestimmung aus und gilt als weniger nachhaltig (Deci, Koestner & Ryan, 1999). In Bezug auf das motorische Lernen stellen Wulf und Lewthwaite (2016) fest, dass die Unterstützung des Bedürfnisses nach Selbstbestimmung das motorische Lernen verbessert und fordern dazu auf, motorische Lernprozesse so zu gestalten, dass über Wahlmöglichkeiten und eine autonomieunter- stützende Sprache das selbstbestimmte Handeln und die Motivation der Lernenden ge- fördert wird. Für die Unterrichtspraxis des Anfängerschwimmens ergeben sich hieraus Möglichkeiten der praktischen Gestaltung, die im Folgenden in Form von Handlungs- empfehlungen dargestellt werden. Theoretischer Exkurs Die OPTIMAL-Theorie nach Wulf und Lewthwaite (2016) Die OPTIMAL-Theorie (Optimizing Performance through Intrinsic Motivation and Attention for Learning) ist eine Theorie des motorischen Lernens, die den Einfluss der Motivation auf motorische Lernprozesse erklärt. Es werden zwei Voraussetzun- gen postuliert, die sich positiv auf die Motivation und motorische Lernprozesse auswirken: 1) Eine positive Erwartungshaltung an die Ergebnisse einer Handlung (z. B. einer motorischen Übung („Enhanced Expectancies“) wir handeln, wenn wir daran glauben, positive (Lern-)Ergebnisse zu erzielen. 151 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 151 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub Diese positive Erwartungshaltung lässt sich u. a. durch folgende Faktoren be- einflussen: positives Feedback; die wahrgenommene Aufgabenschwierigkeit; die Vorstellung über die eigenen Fähigkeiten (Selbstkonzept). 2) Selbstbestimmtes Handeln, also das Gefühl, die Ergebnisse einer Handlung selber herbeigeführt zu haben („Autonomy“) wir handeln, wenn wir daran glauben, positive (Lern-)Ergebnisse zu erzielen und das Gefühl haben, diese Er- gebnisse selbst herbeigeführt zu haben. Das Gefühl, selbstbestimmt zu handeln, lässt sich durch folgende Faktoren be- einflussen: Kontrolle über die Lernbedingungen durch die Lernenden; Kommunikation der Lehrperson. Schlussfolgerung: Eine positive Erwartungshaltung gegenüber Ergebnissen einer (motorischen) Hand- lung sowie selbstbestimmtes Handeln sind zwei wichtige Voraussetzungen für ge- steigerte Motivation, diese Handlung auszuführen. Die Verbindung zwischen den Zielen der Handlung und der Handlung selbst wird gestärkt, was zu verbesserter motorischer Leistungs- und Lernfähigkeit führt („coupling of goals to action“). 152 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 152 22.09.20 12:38
Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts 9.2 Allgemeine Unterrichtsstruktur Für die Planung von geöffnetem Anfängerschwimmunterricht lässt sich der Unterricht grundsätzlich in drei organisatorische Einheiten unterteilen. 1. Gemeinsame Rituale: Der Unterricht beginnt und endet mit der ganzen Gruppe mit wiederkehrenden Ritualen. 2. Übungsphasen (in Kleingruppen): Für einen begrenzten Zeitraum von nicht mehr als 15 Minuten wird gezielt für bestimmte Teillernziele geübt. Hier bietet sich eine Unterteilung der Gruppe in leistungshomogenere Kleingruppen an, ist aber nicht zwingend erforderlich. 3. Offene Phase in einer Lernlandschaft: Eine gut vorbereitete Lernlandschaft mit viel- fältigen Möglichkeiten, sich im Wasser auszuprobieren, hat einen hohen Aufforde- rungscharakter und schafft für jedes Kind individuelle Lern- und Explorationszugän- ge (Abb. 9.8). Die Wassertiefe für den hier vorgestellten Unterricht beträgt ca. 75-80 cm, sodass die Kinder stehen können. Grundsätzlich lassen sich die folgenden Empfehlungen auch im für Kinder nicht stehtiefen Wasser umsetzen, erfordern dann allerdings eine engere Be- treuung und Variation einiger Organisationsformen. 9.3 Einen klaren Rahmen für selbstbestimmtes Handeln schaffen Begründung Die Begriffe Autonomie und Selbstbestimmung im Lernkontext führen leicht zu der An- nahme, Autonomieunterstützung im Unterricht bedeutet, die Schüler könnten völlig frei machen, was sie wollen. Im Anfängerschwimmen würde das bedeuten, dass die Lehrkraft die Schüler dauerhaft frei spielen ließe und sich lediglich um die Aufsicht kümmert und Material bereitstellt. Auch wenn solche Phasen durchaus ihre Berechtigung haben, sind sie nicht dauerhaft und ausschließlich mit einem zielgerichteten Schwimmenlernen zu vereinbaren (Wilke & 153 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 153 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub Daniel, 2007). Diese Arrangements fördern auch nicht zwingend das Gefühl der Selbst- bestimmung der Lernenden. Eine klare Struktur und präzise Aufgabenstellungen sowie Zielformulierungen in den Übungsphasen ermöglichen es den Schülern, den Lernfort- schritt auf ihre eigenen Leistungen zurückzuführen und den Übungsprozess zu interna- lisieren (Tab. 9.1). Umsetzung Ritualisierte Stundenbeginne und Abschlüsse. Transparente Phasierung, sodass der Unterschied zwischen Übungsphasen und offenen Spielphasen klar erkennbar ist. Klar formulierte Teillernziele in der Übungsphase, die es den Schülern ermöglicht, die Sinnhaftigkeit des Übens zu verstehen. Eindeutige und verständliche Bewegungsanweisungen. Praxisbeispiel Anfangsritual Als Anfangsritual lässt sich folgender Kinderreim gut nutzen: Ene mene miste, Es rappelt in der Kiste, Ene mene meg, Und wir sind weg! Die Schüler stehen mit der Lehrkraft im Kreis in der Mitte des Beckens und tauchen nach dem Aufsagen so gut sie können unter. Je nach Könnensstand kann das Un- tertauchen mit kleinen Zusatzaufgaben verbunden werden: Untertauchen mit Blubbern; Augenzwinkern nach dem Tauchen, um das Wasser ohne Hilfe der Hände aus den Augen zu bekommen; sich auf den Boden setzen oder legen. 154 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 154 22.09.20 12:38
Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts Teillernziel Gleiten Der Sinn des widerstandsarmen Gleitens wird vielen Schülern deutlich, wenn sie, wie in Abb. 9.2 und 9.6 dargestellt, die Möglichkeit bekommen, ihre zurückgelegte Strecke zu messen und verschiedene Positionen zu erproben. Korrekturmaßnahmen an der Gleitposition schaffen eine direkte und sichtbare Verbesserung und lassen den Sinn der Übung deutlich werden. Abb. 9.1: Der Start erfolgt in einer widerstandsarmen Gleitposition vom Beckenrand. 155 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 155 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub Abb. 9.2: Durch die Markierungen am Beckenrand erhalten die Kinder eine direkte Rückmel- dung über die von ihnen erreichte Weite. 156 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 156 22.09.20 12:38
Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts 9.4 Wahlmöglichkeiten lassen – in Übungsphasen Begründung Es ist mehrfach belegt, dass sich das motorische Lernen verbessert, sobald den Schü- lern die Kontrolle über die Lernbedingungen gegeben wird (Sanli, Patterson, Bray & Lee, 2012). Einflussnahme führt zur verbesserten Informationsverarbeitung und zur besseren Anwendung individueller Lernstrategien (Bund, 2004). Zusätzlich ist die Einflussnahme ein entscheidender Mechanismus zur Befriedigung des Grundbedürfnisses nach Selbst- bestimmung und der damit einhergehenden Förderung der intrinsischen Motivation (Deci & Ryan, 2008; Wulf & Lewthwaite, 2016). Über verschiedene Wahlmöglichkeiten im Laufe des Übungsbetriebs der Unterrichtsstun- de bekommen die Schüler die Möglichkeit, Selbstkontrolle auszuüben (Abb. 9.3). Auch wenn diese Wahlmöglichkeiten mit dem eigentlichen Übungsgegenstand nichts zu tun haben und ihn scheinbar nicht beeinflussen, bleibt der positive Effekt auf die Motivation und darüber auf das motorische Lernen erhalten (Wulf & Lewthwaite, 2016). Umsetzung Wahlmöglichkeiten entstehen durch den Einsatz unterschiedlicher Wege durch das Becken, die verschiedene Aufgaben beinhalten und sich an den Stufen der schwimmerischen Grundbildung (s. Kap. 8) orientieren; Materialien, wie z. B. verschiedenfarbige Tauchringe, Bälle oder Bausteine (Abb. 9.7); Bewegungsaufgaben, wie z. B. Gleiten in Bauch- oder Rückenlage mit verschiede- nen Armpositionen (Abb. 9.6). 157 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 157 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub Praxisbeispiel Organisationsform eines Übungsbetriebs Im Gegensatz zur offenen Bewegungslandschaft ist der Übungsbetrieb oft stark reg- lementiert. Das dargestellte Beispiel zeigt einen exemplarischen Aufbau, der unter- schiedliche Wege, Materialien und Bewegungsaufgaben gut miteinander verbindet und eine individuelle Impulsgebung zulässt. 1) Start, hier können von der Lehrkraft verschiedene Bewegungsaufgaben gestellt werden (s. Kap. 8, Abb. 8.2). 2) Die Schüler dürfen sich für einen der beiden Rückwege entscheiden. 3) Gleitstation zur Erprobung verschiedener Gleitpositionen (s. Abb. 9.6) 4) Sprungstation mit der Möglichkeit, verschiedene Sprünge durchzuführen (s. Abb. 9.5). 5) Untertauchen, unter Wasser ausatmen und in einem Reifen auftauchen und Luft holen. So lässt sich das rhythmische Atmen erfahren. 6) Tauchstation mit verschiedenen Tauchgegenständen, die Tauchtiefe lässt sich z. B. durch den Einsatz der Leitersprossen variieren (s. Abb. 9.7). Eine alternative Form des Übungsbetriebs mit Schwerpunkt auf einer individualisier- ten und strukturierten Rückmeldung wird in Kapitel 10.4 beschrieben. Abb. 9.3: Gestaltungsmöglichkeit eines Übungsbetriebs mit verschiedenen Wahlmöglich- keiten 158 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 158 22.09.20 12:38
Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts 9.5 Implizite Lernphasen ermöglichen – in offenen Bewegungslandschaften Begründung Intrinsisch motiviertes Handeln drückt sich bei Kindern oft als Spiel aus (Meinel, Schna- bel & Krug, 2015). Während des freien Spiels verfolgen die Schüler unbewusst bestimmte Lernziele, dennoch machen sie eine Vielzahl an Erfahrungen und schaffen sich einen eigenen Zugang zum Bewegungsraum Wasser. Völlig selbstbestimmt tauchen sie unter, stoßen sich ab, öffnen vielleicht unter Wasser die Augen und fühlen sich zunehmend sicher im Umgang mit dem Element Wasser. Freien Spielphasen sollte daher in jeder Un- terrichtsstunde eine gewisse Zeit eingeräumt werden. Anregend gestaltete Bewegungs- landschaften, die dazu auffordern, sich mit dem Wasser vielfältig auseinanderzusetzen, bieten hier ideale Voraussetzungen. Diese Bewegungslandschaften bedürfen einer vorausschauenden Planung und sollten nicht dem Trugschluss zum Opfer fallen, dass Offenheit und Planung gegensätzlich zu verstehen sind (Zimmer, 2003). Umsetzung Das Schaffen von Lernlandschaften mit unterschiedlichen Stationen ist eine gute Möglichkeit, das freie Spiel anzuregen und für alle Lernenden Zugänge zu schaf- fen (Abb. 9.8). Die verschiedenen Stationen können sich an den vorgestellten Lerngelegenheiten der schwimmerischen Grundbildung (s. Kap. 8) orientieren. 159 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 159 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub Praxisbeispiel Offene Lernlandschaft Eine offene Lernlandschaft (Abb. 9.8) mit den folgenden Stationen: 1) Schwimmstation: Ein Teil des Beckens wird für Schüler, die bereits erste Schwimmversuche oder andere Formen der Fortbewegung selbstständig durch- führen möchten, zur Verfügung gestellt. Abb. 9.4: Die Möglichkeiten der Fortbewegung können von den Kindern frei gewählt wer- den. Dabei steht die Lehrkraft für Anregungen und Beobachtungen zur Verfügung. 160 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 160 22.09.20 12:38
Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts 2) Sprungstation: Von einer Matte oder einem kleinen Podest können verschiede- ne Sprungmöglichkeiten und -aufgaben ausprobiert werden. Springen ist eine attraktive Beschäftigung, die einen spielerischen Zugang zum Wasser oft gut gewährleistet. Abb. 9.5: Die Lehrkraft sorgt an der Sprungstation für die Einhaltung der Sicherheits- und Verhaltensregeln. 161 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 161 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub 3) Gleiten: Drei Hütchen markieren verschiedene Streckenlängen. Die Schüler dür- fen Gleitpositionen erproben und ihre eigene Strecke messen. Abb. 9.6: Das Experimentieren mit verschiedenen Gleitpositionen führt zu Unterschieden in der erreichten Weite und macht den Widerstand des Wassers direkt erfahrbar. 162 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 162 22.09.20 12:38
Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts 4) Tauchen: Ein Teil des Beckens wird für verschiedene Tauchspiele und Übungen zur Verfügung gestellt. Tauchringe, andere Gegenstände und Reifen zum Durch- tauchen schaffen vielfältige Anreize. Abb. 9.7: Möglichkeiten zur Gestaltung einer Tauchstation (auch in Becken mit größerer Wassertiefe realisierbar) Abb. 9.8: Aufbau einer offenen Lernlandschaft mit vier Stationen 163 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 163 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub 9.6 Autonomieunterstützend sprechen und Feedback geben Begründung Im Schwimmunterricht in der Schule und im Verein spielt die Art und Weise, wie die Leh- renden mit den Schülern umgehen, eine große Rolle. Es ist ihre Aufgabe, ein Lernumfeld zu schaffen, in dem die Schüler gerne und motiviert lernen. Wird unterstützende Sprache verwendet, die Perspektive der Lernenden eingenommen und Anweisungen gut begründet, kann von autonomieunterstützender Unterrichtsfüh- rung gesprochen werden (Reeve, 2016). Diese wirkt sich positiv auf die Motivation und damit auf das motorische Lernen aus (Chang, Chen, Tu & Chi, 2016; Shen, McCaughtry, Martin & Fahlman, 2009; Wulf & Lewthwaite, 2016). Umsetzung Verzicht auf kontrollierende Formulierungen wie: „Du musst“ oder: „Ich möchte, dass du . . .“; Einsatz von autonomieunterstützender Sprache wie: „Probiere doch mal . . .“ oder: „Du kannst es auch so versuchen“; sachliches und gut begründetes Feedback (s. Kap. 10.1). 164 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 164 22.09.20 12:38
Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts Praxisbeispiel Korrektur zur Kopfsteuerung Bei Schülern, die in Rückenlage ihren Kopf stark zur Brust gebeugt haben, sinken die Beine oft stark ab, sodass ein effizientes Gleiten oder Schwimmen auf dem Rü- cken nicht möglich ist. Ein Feedback und ein Korrekturvorschlag im Sinne der Auto- nomieunterstützung könnte lauten: „Wenn dein Kopf so stark zur Brust geneigt ist, sinken deine Beine ab und das Schwimmen wird viel anstrengender. Probiere doch mal, etwas weiter nach oben/ hinten zu schauen und teste, ob du so besser auf dem Wasser liegst.“ Zusätzlich dazu können Gegensatzerfahrungen mit verschiedenen Kopfhaltungen dazu führen, dass die Lernenden die Wirkungsweise der Kopfsteuerung besser ver- stehen und die Übungen so internalisieren können. 9.7 Individuelles Lerntempo zulassen Begründung Ein wichtiger Bestandteil von autonomieunterstützendem Unterricht ist, dass jeder Schü- ler nach seinem individuellen Tempo lernen kann (Reeve, 2016). Im Anfängerschwim- men unterscheiden sich die Fertigkeiten der Lernenden unter Umständen stark. Dieser Heterogenität der Lerngruppen gerecht zu werden, ist eine Herausforderung. Die uner- fahrenen Schüler dürfen nicht überfordert und die fortgeschrittenen nicht unterfordert werden, um den Lernfortschritt jedes Einzelnen sicherzustellen. Das ist nur zu gewährleisten, wenn die Lehrkräfte in der Lage sind, differenziert Aufga- ben zu stellen und das individuelle Lerntempo der Lernenden zu berücksichtigen. Ein geöffneter Schwimmunterricht, wie hier dargestellt, bietet gute Möglichkeiten, jedem Kind die nötigen Herausforderungen zu ermöglichen und gleichzeitig den Freiraum für eigenständige Lernprozesse in unterschiedlichen Lerntempi zuzulassen. 165 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 165 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub Umsetzung Strukturen schaffen, die Eins-zu-eins-Situationen von Lehrkräften zu Schülern er- möglichen. So wird individuelle Diagnostik und Feedback möglich. Für wichtige Teillernziele, wie das Untertauchen, in allen Unterrichtssituationen Anreize schaffen. Freiräume für implizites Lernen und exploratives Verhalten ermöglichen. Praxisbeispiel Untertauchen als zentrales Lernziel der schwimmerischen Grundbildung Untertauchen gilt als das „Tor zum Schwimmen“ (Wilke, 1997, S. 16), es nimmt also in Bezug auf das Schwimmenlernen eine Schlüsselrolle ein (s. Kap. 8.2). Für Schwimmanfänger kann dieser wichtige Schritt aber eine große Hürde sein. Umso wichtiger ist es, dass sie im Unterricht immer wieder ohne Zwang mit dem Tauchen konfrontiert werden. Aufgabe der Lehrenden ist es, eine Lernumgebung zu schaffen, in der Schüler immer wieder mit dem Tauchen in einer Weise konfrontiert werden, die sie dessen Wert erkennen lässt, sodass sie selbst tauchen wollen, denn dann haben sie das Tauchen internalisiert. Im optimalen Fall ist das Tauchen Bestandteil jeder Phase und jedes Spiels. Die Lernenden werden jedoch nicht gezwungen, zu tauchen und können auch so am Unterricht teilnehmen. Exemplarisch steht hierfür das Anfangsritual (s. Kap. 9.3). Dort dürfen die Schüler selbst entscheiden, ob und wie weit sie untertauchen. Es ist also jedem Kind mög- lich, zu Beginn der Stunde neu zu erleben, wozu es bereits in der Lage ist und was ihm noch schwerfällt. Im Verlauf der Stunde erleben die unerfahrenen Schüler an- dere Kinder, die durch das Tauchen den Bewegungsraum Wasser vielfältiger nutzen und erkennen so schrittweise seinen Wert. 166 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 166 22.09.20 12:38
Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts In der Übungsphase werden für Schüler, die noch nicht tauchen können, Lerngele- genheiten geschaffen, die sie bestmöglich darauf vorbereiten (s. Kap. 8.2). Während des freien Spiels mit den Mitschülern kommt es oft zu Situationen, in denen ganz nebenbei Wasser ins Gesicht gelangt und untergetaucht wird (Abb. 9.4 und 9.5). So kann jeder Lernende sein eigenes Lerntempo und seinen eigenen Lernweg wählen, ohne von den Lehrenden unter Druck gesetzt zu werden. Lernkasten Geöffneter Anfängerschwimmunterricht bildet einen Rahmen, in dem Schüler selbstbestimmt das Schwimmen lernen können. Er fördert so die intrinsische Motivation und schafft Voraussetzungen für eine individuelle, vielseitige und effektive schwimmerische Grundbildung. Das psychologische Grundbedürfnis der Selbstbestimmung und das daraus re- sultierende Motivationsspektrum ist in der Selbstbestimmungstheorie von Ryan und Deci (2017) begründet. Die OPTIMAL-Theorie von Wulf und Lewthwaite (2016) erklärt den positiven Zusammenhang von intrinsischer Motivation durch Selbstbestimmung und motorisches Lernen. Ein geöffneter Anfängerschwimmunterricht ist in die drei organisatorischen Ein- heiten gemeinsame Rituale, Übungsphasen (in Kleingruppen) sowie offene Lernlandschaften unterteilt. 167 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 167 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub Es ergeben sich folgende Handlungsempfehlungen: Durch Rituale, gute Strukturierung und klare Zielformulierungen einen kla- ren Rahmen für selbstbestimmtes Handeln schaffen. Geleitete Übungsphasen erhalten durch Wahlmöglichkeiten z. B. der Wege durch das Becken ein Element der Selbstbestimmung für die Schüler. Durch geöffnete Lernlandschaften das implizite Lernen durch das Spielen ermöglichen. Autonomieunterstützend sprechen und Feedback geben, indem die Per- spektive der Lernenden eingenommen und Anweisungen gut begründet werden. Individuelles Lerntempo zulassen, indem Eins-zu-eins-Situationen geschaf- fen werden und exploratives Verhalten gefördert wird. 168 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 168 22.09.20 12:38
Handlungsoptionen und Potenziale eines geöffneten Schwimmunterrichts Literatur Bund, A. (2004). Selbstbestimmtes Lernen im Sport: Eine Synopsis der sportpädagogischen und bewegungswissenschaftlichen Problembehandlung. In M. Schierz & P. Frei (Hrsg.), Sport- pädagogisches Wissen. Spezifik – Transfer – Transformationen. Schriften der Deutschen Verei- nigung für Sportwissenschaft [dvs] (Bd. 141, S. 43-50). Hamburg: Czwalina. Chang, Y.-K., Chen, S., Tu, K.-W. & Chi, L.-K. (2016). Effect of autonomy support on self-de- termined motivation in elementary physical education. Journal of Sport Science and Medici- ne, 15, 460-466. Deci, E. L., Koestner, R. & Ryan, R. M. (1999). A meta-analytic review of experiments exami- ning the effects of extrinsic rewards on intrinsic motivation. Psychological Bulletin, 125 (6), 627-668. Deci, E. L. & Ryan, R. M. (2008). Self-determination theory. A macrotheory of human motiva- tion, development, and health. Canadian Psychology, 49 (3), 182-185. Meinel, K., Schnabel, G. & Krug, J. (2015). Bewegungslehre – Sportmotorik. Abriss einer Theorie der sportlichen Motorik unter pädagogischem Aspekt (12. Aufl.). Aachen: Meyer & Meyer. Reeve, J. (2016). Autonomy-supportive teaching. What it is, how to do it. In W. C. Liu, J. C. K. Wang, R. M. Richard (Eds.), Building autonomous learners. Perspectives from research and practice using self-determination theory (1st ed., pp. 129-152). Singapore: Springer. Rheker, U. (2010). Alle ins Wasser. Spiel und Spaß für Anfänger (3. Aufl.). Aachen: Meyer & Meyer. Ryan, R. M. & Deci, E. L. (2017). Self-determination theory. Basic psychological needs in moti- vation, development, and wellness. New York: Guilford Publications. Sanli, E. A., Patterson, J. T., Bray, S. R. & Lee, T. D. (2012). Understanding self-controlled motor learning protocols through the self-determination theory. Frontiers in Psychology, 3, 611. Shen, B., McCaughtry, N., Martin, J. & Fahlman, M. (2009). Effects of teacher autonomy sup- port and students’ autonomous motivation on learning in physical education. Research Quar- terly for Exercise and Sport, 80 (1), 44-53. 169 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 169 22.09.20 12:38
Ohlendorf & Staub Wilke, K. (1997). Schwimmsport-Praxis: Schwimmen, Wasserspringen, Wasserball, Kunst- schwimmen. Offizielles Lehrbuch des Deutschen Schwimm-Verbandes. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt. Wilke, K. & Daniel, K. (2007). Schwimmen. Lernen, üben, trainieren (6., überarb. und erw. Aufl.). Wiebelsheim: Limpert (Praxisbücher Sport). Wulf, G. & Lewthwaite, R. (2016). Optimizing performance through intrinsic motivation and attention for learning. The OPTIMAL theory of motor learning. Psychonomic Bulletin & Re- view, 23 (5), 1382-1414. Zimmer, R. (2003). Sport und Spiel im Kindergarten (4. Aufl.). Aachen: Meyer & Meyer. 170 20_09_21_Innenteil_Vermittlungskompetenzen_im_Sport.indd 170 22.09.20 12:38
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