Internet in jede Hütte - Ein amerikanischer Computermillionär hat einen neuen Markt entdeckt: Ausgerechnet in Ruanda, einem der ärmsten Länder ...
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HILMAR SCHMUNDT / DER SPIEGEL Informatikstudenten in Kigali: Kann ein Volk von Kleinbauern in ein paar Jahren den Sprung in die Wissensgesellschaft schaffen? ENTWICKLUNGSHILFE Internet in jede Hütte Ein amerikanischer Computermillionär hat einen neuen Markt entdeckt: Ausgerechnet in Ruanda, einem der ärmsten Länder Afrikas, baut er eines der modernsten Funknetze der Welt auf. Schon hofft die Regierung, eine Art afrikanisches Bangalore schaffen zu können. I m Schritttempo quält sich das Allrad- und einem Notebook auf dem Schoß. europäische Ingenieursbüros auftreten fahrzeug die steilen Serpentinen der Während der Fahrt durch die Armenviertel können. Alte, zweidimensionale Pläne Holperpiste hinauf, wild schlingernd am Rand von Kigali, der Hauptstadt Ruan- übersetzen sie dazu in 3-D-Modelle – zu zwischen den Schlaglöchern. Bananenhai- das, klickt er sich durchs Internet. Preisen, die weit unter denen der indischen ne ziehen draußen vorbei, dazwischen Dass Wyler per Funkkarte online gehen Konkurrenz liegen. schäbige Lehmhütten. Barfüßige Kinder kann, hat er vor allem einem zu verdan- Terracom heißt die Firma, mit der Wyler balancieren Kanister mit Trinkwasser auf ken: sich selbst. Vor ein paar Monaten ein ganzes Land in eine Art Freiluftlabor dem Kopf, geschöpft aus schlammigen schaltete er in Ruanda, einem der ärmsten für eine neue Form der Entwicklungshilfe Pfützen. Länder Afrikas, eines der modernsten verwandeln will: Können Computernetze „Afrika bietet viele Investitionsmög- Funknetze der Welt frei. Jedes Notebook helfen, die über acht Millionen Ruander lichkeiten“, schwärmt Greg Wyler, ein lässt sich darüber jederzeit mit dem Inter- aus den Fesseln der Armut zu befreien? Mittdreißiger mit einem jungenhaften Ge- net verbinden. Kann eine Bevölkerung, die zu über 90 sicht. „Wir müssen einfach das Internet in Außerdem hat Wyler rund 50 Schulen, Prozent aus Kleinbauernfamilien besteht, jede dieser Hütten bringen, dann wird sich einige Krankenhäuser und Universitäts- wirklich in ein paar Jahren den Sprung in der Rest schon ergeben.“ Der US-Unter- institute im Land mit Glasfaserkabeln ver- die Wissensgesellschaft schaffen? nehmer will eine „afrikanische Renais- bunden. Seitdem bekommen hier Dorf- Wyler hofft, das Land zu einem regio- sance“ einläuten. Sein Rezept: freie Soft- ärzte bei unklaren Befunden per E-Mail nalen Datencenter ausbauen zu können. ware, schnelle Glasfasernetze und unge- Rat aus Harvard, Schuldirektoren ver- Ab 2007 sollen hier zum Beispiel süd- bremstes Unternehmertum. schicken untereinander Lehrpläne und koreanische Billighandys für 30 Dollar pro Auf der Rückbank des schlingernden Schulbuchmanuskripte, und eine Berufs- Stück zusammengebaut werden. Und im Geländewagens hat er sein Büro eingerich- schule im Städtchen Gitarama bringt den Januar wird Besuch von Nicholas Negro- tet, bestehend aus dem Handy in der Hand Schülern bei, wie sie als Dienstleister für ponte erwartet, dem legendären Mitgrün- 128 d e r s p i e g e l 5 1 / 2 0 0 6
Technik der des Media Lab am Massachusetts In- lionen Dollar aufgekauft wurde, war er des Jahres 1994 war die Wirtschaft um die stitute of Technology (MIT) bei Boston. Ende zwanzig. Hälfte eingebrochen; inzwischen hat sie Sein neuestes Projekt namens „One Lap- Wyler bezog ein Anwesen in der Nähe wieder das alte Niveau erreicht. top per Child“ sieht vor, Millionen Kinder von Boston und hätte sich mit Frau und Am Stadtrand, sagt Wyler, habe er große in Entwicklungsländern mit Billig-Note- Kind zur Ruhe setzen können. Doch an Satellitenschüsseln aufstellen lassen. Das books auszustatten. Einige Lokalpatrioten einem schrecklichen Abend im Oktober sei der Flaschenhals, durch den seine träumen gar schon von Ruanda als „afri- änderte sich alles für ihn. Daten sich zwängen. Denn bislang gibt es kanischem Silicon Valley“. An jenem Tag vor vier Jahren fand er keine schnellen Glasfaserkabel ins be- Skeptikern erscheint es geradezu zy- seine Mutter ermordet in ihrer Wohnung. nachbarte Ausland. Während im Norden, nisch, Kinder, die weder genug zu essen Wyler ahnt, dass der Mörder aus dem Westen und Süden Afrikas unterseeische noch sauberes Trinkwasser haben, mit engsten Familienkreis stammt. Doch be- Glasfaserkabel anlanden, liegen weite Tei- Rechnern zu versorgen. Wyler jedoch be- weisen konnte er seine Vermutung nicht. le Ostafrikas auf der netzabgewandten Sei- trachtet das Internet als notwendige In- Bis heute ist der Täter nicht gefasst. te des Kontinents. Ganz Ruanda ist eine In- frastruktur, vergleichbar mit Straßen und Wyler war am Boden zerstört; verzweifelt ternet-Insel, Terracom ist nur über eine Stromleitungen. „Soll Ruanda mit der suchte er nach einem neuen Sinn im Le- zentrale Satellitenverbindung mit dem Rest Computerisierung warten, bis alle anderen ben. Er fand ihn, als er auf der Hochzeits- des weltweiten Netzes verbunden. Das Probleme gelöst sind?“, fragt auch Cales- feier von Freunden zufällig mit einem Re- macht die Verbindungen langsamer und tous Juma, Professor für Internationale gierungsvertreter aus Ruanda ins Gespräch teurer, als sie sein könnten. Entwicklung an der Harvard-Universität: kam. Der klagte, dass der Internet-Zugang „Wofür Deutschland über hundert Jah- „Manche Länder können sich den Luxus in seiner Heimat geradezu unbezahlbar sei; re Zeit hatte, das müssen wir zehnmal so einfach nicht leisten, in Ruhe einen Schritt rund tausend Dollar im Monat verlange der schnell schaffen“, sagt Romain Murenzi, nach dem anderen zu machen.“ Staatsmonopolist namens Rwandatel. Minister im Präsidialamt für Forschung Wyler jedenfalls ist fest entschlossen, Plötzlich stand Wyler vor der Heraus- und Technologie. „Wir haben kaum Bo- dem Rest der Welt zu beweisen, dass sich forderung, die er brauchte. Er sammelte denschätze und keine Seehäfen in Ruanda, Terracom für alle Beteiligten rechnet. Das Geld bei Investoren und kaufte den Staats- also bleibt nur die Wissensgesellschaft.“ Handy am Ohr, springt er aus dem Wa- monopolisten einfach auf. Dann entließ er Wie viele Politiker des Landes trägt Mu- gen. Vor ihm ragt ein 50 Meter hoher Sen- die Hälfte der Mitarbeiter, installierte die renzi sein Notebook ständig bei sich, als demast auf. Techniker in roten Terracom- modernste Technik und drückte die Kosten Insignie von Macht und Modernität. „Ru- Overalls hieven mit Stricken eine giganti- eines Internet-Zugangs auf einen kleinen anda ist wie ein Vakuum. Wenn man es an- sche Richtfunkantenne empor. Bruchteil des alten Preises. regt, kann es erstaunliche Energie entfal- Internet-Insel Ruanda Seekabelnetze SUDAN ÄTHIOPIEN Sea-Me-We-3 Sea-Me-We-4 UGANDA A F R I K A KENIA RUANDA Sat-3/WASC Kigali Kivu- Victoria-See See Mombasa RUANDA EASSy BURUNDI RICCARDO GANGALE / GALBE.COM Sat-2 (seit vielen Jahren in DEM. TANSANIA Planung) REP. KONGO Daressalam 200 km Datenverbindung SAFE SAMBIA mit dem Festland Computervisionär Wyler: Satellitenschüsseln als Flaschenhals, durch den sich alle Daten zwängen müssen Ein paar Pannen habe es gegeben, be- Die Marktöffnung trat eine Lawine los: ten“, erklärt er. Er hat in Belgien seinen richten die Männer. Die, erwidert Wyler, Aus einst 22 Internet-Nutzern mit Breit- Doktor der Physik gemacht. müssten sie schon selbst richten. „Es wäre band-Zugang wurden fast über Nacht Tau- An der Wand hängt, wie in jedem Büro leicht, ein paar hochbezahlte Spezialisten sende. Nahezu eine drittel Million Ruander des Landes, ein schmeichelhaftes Porträt aus Südafrika einzufliegen, um das Netz nutzen inzwischen ein Handy, entweder des Präsidenten Paul Kagame. Der frühe- aufzubauen“, erklärt er. „Aber wenn das von Terracom oder von der Konkurrenz re Militärchef der Tutsi-Rebellen, der 1994 langfristig funktionieren soll, müssen die namens MTN. mit seiner Armee den Genozid beendete, Ruander es selber machen.“ Nur 3 seiner Wylers rollendes Allradbüro kurvt in- wird von vielen Beobachtern im Ausland 300 Mitarbeiter kommen aus dem Ausland. zwischen durch die Innenstadt von Kigali. kritisch gesehen. Er gilt als eine Art Ent- Noch vor drei Jahren wusste Wyler Fliegende Händler verkaufen Bonbons, wicklungsdiktator, der keine Opposition kaum, wo Ruanda liegt. Als Spross einer alte Schuhe und Prepaid-Telefonkarten. zulässt, die Bodenschätze des Kongo plün- bürgerlichen Familie hatte er Informatik Motorradtaxis schlängeln sich knatternd derte und sich eine überdimensionierte Ar- am berühmten MIT studiert. Nebenher durch den Stau. Baukräne drehen sich mee hält. baute er eine Firma für Geräuschdämmung über neuen Bürokomplexen, Parkhäusern, Aber eines halten Kagame auch seine in Rechnern auf. Als die Firma für 15 Mil- Einkaufszentren. Nach dem Völkermord Kritiker zugute: Er hat das Land stabili- d e r s p i e g e l 5 1 / 2 0 0 6 129
Technik MELANIE STETSON FREEMAN/THE CHRISTIAN SCIENCE MONITOR / GETTY IMAGES Armenviertel in Kigali: Ein ganzes Land als Freiluftlabor für eine neue Form der Entwicklungshilfe siert. Und er ist dabei, Bewegung in die November alle weiterführenden Schulen Wyler scheint erleichtert. Eine Stunde Wirtschaft zu bringen. des Landes ans Netz angeschlossen haben, später ist er am Flughafen, um nach Hau- Das ist auch nötig. Denn Kagame weiß, beschwert sich die Bildungsministerin. se zu fliegen. Seine Frau erwartet die Ge- dass dem mit über acht Millionen Einwoh- Auch seien die Preise zu hoch, giftet die burt ihres zweiten Kindes. nern heillos überbevölkerten Land neue Lokalpresse und vermutet Korruption. Schafft Ruanda den großen Sprung von Unruhen drohen, wenn er keine Arbeits- Hinzu kommt der ständige Ärger mit der Agrar- zur Wissensgesellschaft? Der plätze schafft. Daher verfolgt sein Kabi- den Stromausfällen. So oft fällt das Licht neue Terracom-Chef zuckt die Schultern: nett einen Masterplan, die Vision 2020. aus, dass in einigen Supermärkten ständig „Wir bauen hier ein solides, profitables „Bis dahin wollen wir das durchschnittliche Kerzen brennen. Nun plant das Land, mit Netz. In ein paar Jahren wird es in der Re- Einkommen vervierfachen. Kommunika- Hilfe der Methangasvorkommen am Kivu- gion fünf oder mehr Terracoms geben.“ tionsnetze können uns dabei helfen“, sagt See die Stromerzeugung um über 50 Pro- Langsam geht damit die Pionierphase zu der Forschungspolitiker Murenzi. zent zu steigern. Ende; die Arbeit aber fängt dann erst rich- Schon jetzt profitiere der Staat vom Mo- Neben Wyler sitzt Christopher Lundh, tig an. bilfunk, meint der Minister und fügt listig der als erfahrener Troubleshooter gilt. An Vor dem Präsidentenpalast wühlen bar- hinzu: „Ruanda hat eine riesige Schatten- ihn hat Wyler das operative Geschäft von füßige Arbeiter den Boden auf. Breitbeinig wirtschaft, für die keine Steuern anfallen. Terracom abgegeben. Er scheint ihm der steht ein fast zwei Meter großer Hüne da- Aber bei jedem Telefongespräch gehen au- Richtige, um das Unternehmen von einer bei und beaufsichtigt die Arbeit: Freddy tomatisch 18 Prozent Mehrwertsteuer an luftigen Vision in eine solide Firma umzu- Kamuzinzi. „Freddy Fiber“ (Kabel-Fred- den Staat.“ Ein weiterer Vorteil, so der wandeln. „Wenn Greg der gute Cop ist, dy) wird er von Wyler genannt. Früher Physiker: „Wenn die Leute fleißig telefo- bin ich der böse“, sagt Lundh gutgelaunt. kämpfte er in der Rebellenarmee, heute nieren, haben sie weniger Geld übrig, um befehligt er bis zu 3000 Kabelverleger. sich abends zu betrinken. Das entlastet das „Maschinen haben hier keinen Sinn, die Gesundheitssystem.“ brauchen zu viel Platz, und wir müssen Wyler sitzt inzwischen am Pool des Ho- beim Graben sehr aufpassen, sonst kap- tels Mille Collines, bekannt aus dem Film pen wir ständig die wild verlegten Strom- „Hotel Ruanda“. Hier suchten damals die kabel und Wasserleitungen.“ Verfolgten Schutz vor den Mordbanden Über 300 Kilometer Glasfaser hat Ka- HILMAR SCHMUNDT / DER SPIEGEL und tranken während der Belagerung das muzinzi bereits verbuddeln lassen, in den Schwimmbecken leer. nächsten Wochen soll seine Kabelarmee Der Wohltätigkeitsunternehmer wirkt noch einmal so viel verlegen, um endlich müde. Nun spürt er, dass das gestrige auch mit Tansania und Uganda breitbandig Arbeitsessen mit einigen Ministern bis in Daten austauschen zu können, ohne den die frühen Morgenstunden ging. Statt zu teuren Umweg über Satelliten. Mittag zu essen, trinkt er nur eine Fanta. Für Terracom ist das eine gute Nach- Ständig kollidiert sein Idealismus mit Verlegung von Glasfaserkabel in Ruanda richt: Die Internet-Insel wächst. der Realität. Eigentlich sollte er bis Ende „Maschinen haben hier keinen Sinn“ Hilmar Schmundt 130 d e r s p i e g e l 5 1 / 2 0 0 6
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