Internet- und Computersucht bei Jugendlichen - BRG APP

Die Seite wird erstellt Volker Köster
 
WEITER LESEN
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen - BRG APP
Internet- und Computersucht bei
          Jugendlichen
   Erhebung zur Internet- und Computerspielnutzung bei Jugendlichen

                  Ambulante Suchtprävention Innsbruck

                        Elmar Köppl, Kurt Dornauer

                 Univ. Klinik f. Medizinische Psychologie

                 Andrea Stöckl, Rita Gastl, Gerhard Rumpold

                      Tiroler Bildungsservice (TIBS)

                              Clemens Löcker
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen - BRG APP
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen
                                                               Erhebung zur Internet- und Computerspielnutzung bei Jugendlichen

                                                      Herausgeber:
                                                      Elmar Köppl
                                                      Ambulanz für Internet- und Spielsucht
                                                      Ing. Etzel-Straße 5, 6020 Innsbruck
                                                      Telefon: +43 512 5331 7440
                                                      ip-koeppl@cso.at
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                      www.isd.or.at

                                                      Der vorliegende Forschungsbericht unterliegt der CC BY-SA 3.0 AT
                                                      (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/at/)

                                                      Redaktion:
                                                      Clemens Löcker (Tiroler Bildungsservice)
                                                      Gerhard Rumpold (Univ. Klinik f. Medizinische Psychologie)
                                                      Andrea Stöckl (Univ. Klinik f. Medizinische Psychologie)

                                                      Innsbruck, August 2013

     1
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen - BRG APP
Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG ......................................................................................................................................... 3
WORUM GEHT ES? ............................................................................................................................... 6

METHODE ........................................................................................................................................... 6
STUDIENDESIGN ................................................................................................................................... 7

FORSCHUNGSINSTRUMENTE ................................................................................................................... 8
UNTERSUCHUNGSDURCHFÜHRUNG ....................................................................................................... 10

DIE STICHPROBE ................................................................................................................................. 11

STATISTISCHE AUSWERTUNG – DIE FORSCHUNGSERGEBNISSE .................................................................... 12

  COMPUTERSPIELSUCHT – VORWIEGEND EIN PROBLEM DER MITTEL- UND SONDERSCHULE? ........................ 12

                                                                                                                                                            Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
  DIE SICHT DER ELTERN ..................................................................................................................... 14
  JUGENDLICHE UND IHRE TECHNOLOGIEN............................................................................................. 16
  DIE CHARAKTERISTIK DER AUFFÄLLIGEN USER ...................................................................................... 19
FAZIT ................................................................................................................................................ 24

REFERENZEN ...................................................................................................................................... 31

                                                                                                                                                             2
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen - BRG APP
INTERNET- UND COMPUTERSUCHT BEI JUGENDLICHEN
                                                              Erhebung zur Internet - und Computerspielnutzung bei Jugendlichen

                                                      Einleitung
                                                      Computer wie auch Internet haben in private Haushalte Einzug gefunden und sind aus dem Alltag von
                                                      Kinder und Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen kaum mehr wegzudenken. Immer
                                                      kostengünstigere Internetverbindungen sorgen für wachsende Popularität der neuen Medien und
                                                      ermöglichen damit einer breiten Masse Zugang. Bereits 63,2 % der Europäer und 78,6 % der Amerikaner
                                                      nutzen aktiv das Internet (Minniwatts Marketing Group, 2012). In Österreich sind acht von 10
                                                      Haushalten mit einer Internetverbindung ausgestattet. Damit liegt Österreich mit 79,3 % über dem
                                                      europäischen Schnitt (Statistik Austria, 2012).

                                                      Im     Arbeitskontext    stellen     Computer     wie   auch   Internet   mittlerweile   unentbehrliche
                                                      Arbeitserleichterungen dar. Im Unterhaltungssektor ergänzen sie klassischen Medien wie Zeitung, Radio
                                                      und Fernsehen und haben die Medienlandschaft bzgl. ihrer Komplexität verändert. Die neuen
                                                      Technologien sind durch portable Geräte überall und zu jeder Zeit nutzbar, bieten multiple Zugänge
                                                      bzw. ermöglichen die Integration aller
                                                      technischen Medien wie Telefonie,
                                                      Film, Radio, Fernsehen und Fotografie
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                      und        ermöglichen        vielfältige
                                                      Nutzungsmöglichkeiten.        Computer,
                                                      Internet und Handy fungieren als
                                                      Fernseher, Radio und Zeitung, dienen
                                                      der    Unterhaltung     wie   auch    der
                                                      Kommunikation und tragen nach Petry
                                                      (2010) mittels vielfältiger interaktiver
                                                      Kommunikationsmöglichkeiten           und
                                                      virtueller Erlebniswelten zu einer veränderten sinnlichen Wahrnehmung und Sichtweise unserer Welt
                                                      bei.

     3
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen - BRG APP
Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien beeinflussen damit viele Bereiche des
privaten als auch des wirtschaftlichen Lebens und wirken sich auf alltägliche zwischenmenschliche
Begegnungsformen und Beziehungsmuster aus.

Sie haben die zwischenmenschliche Kommunikation und Informationsvermittlung dahingehend
verändert, dass sie „Kommunikations- und Darstellungsmedien miteinander verschmelzen lassen und
damit eine globale Beziehungsdimension in das Mediale einführen, die den Nutzer zu interaktiv
Handelnden macht“ (Te Wildt & Fischer, 2011, S. 80).

Das Internet revolutioniert die zwischenmenschliche Kommunikation und Informationsvermittlung,
indem es die Grenzen der Kontaktaufnahme sowie den Gewinn an Wissen verändert. Zudem kann der
Nutzer aktiv in das Medium eingreifen und so die Inhalte mitgestalten. „Es bilden sich so neue Formen
der Kommunikation, des Lernens, der Unterhaltung, der Identitätsbildung und der sozialen
Gruppenbildung, was zu einer immer dichteren Verflechtung zwischen realer Welt und virtuellen
Räumen führt“ (Petry 2010, S. 16).

Der heutige Medienalltag von Kindern und Jugendlichen zeichnet sich vor allem durch die Integration
der neuen Medien aus und unterscheidet sich somit von dem vor 10 Jahren (Jukschat et al., 2012).

Für den größten Teil der Jugendlichen sind PC und Internet routinemäßig verfügbar und werden als
selbstverständlicher Teil der sie umgebenden Welt betrachtet und auch genutzt. Kinder und Jugendliche
sind es gewohnt mit Handy, PC und Internet umzugehen, permanent auf irgendeinem Kanal für die
Außenwelt erreichbar zu sein und mehrere Medien gleichzeitig aktiviert zu haben (Morgenroth, 2012).

                                                                                                        Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Das Anwendungsspektrum von Computer und Internet gilt als breit gefächert und reicht vom
Arbeitsmittel bzw. als Informationsquelle beim Lösen von Hausaufgaben, dient der Entspannung und
Unterhaltung und fungiert als Kommunikationsplattform (Jukschat et al., 2012).

Internet und PC repräsentieren bei Jugendlichen eine Form des Leitmediums, mit deren Hilfe der/die
Jugendliche selbst oder auch eine Gruppe von Gleichaltrigen neue Rollen jederzeit ausprobieren
können. Jene können somit bei der Identitätsbildung eine potenzielle Rolle spielen. Beispielsweise
ermöglicht Chatten jungen Mädchen, neue Beziehungs- und Kommunikationsformen aus einer sicheren
Distanz heraus auszuprobieren, während junge männliche Nutzer beispielsweise beim „Gamen“
Anerkennung und Emotionsregulation erfahren können. Die neuen Medien spielen eine potenzielle
Rolle in der Entwicklung von Jugendlichen und tragen zur Sozialisation der Jugendlichen bei (Petry,
2010).

                                                                                                         4
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen - BRG APP
Die Nutzung dieser Medien in ihrer Summierung erscheint Erwachsenen, denen der Umgang von klein
                                                      auf weniger vertraut ist, oft als „eine bedrohliche Entsinnlichung“. (Morgenroth, 2012, S. 66).

                                                      Nach Morgenroth (2012) stellen die neuen Medien vor allem im Zeitraum der frühen Adoleszenz ein
                                                      beliebtes Feld dar, um sich im Rahmen der Individuation von seinen Eltern abzugrenzen.

                                                      Die Sorge, dass virtuelle Räume und
                                                      technische Geräte Realbeziehungen
                                                      ersetzen, erweist sich in den meisten
                                                      Fällen als unbegründet, denn die
                                                      wirklichen Beziehungen behalten für
                                                      gewöhnlich ihre wichtige Bedeutung.
                                                      Für den Großteil der Kinder und
                                                      Jugendlichen sind    PC und Internet
                                                      Gebrauchsgegenstände und stellen
                                                      „ein geeignetes Handwerkszeug zur
                                                      leichten Unterhaltung zur Verfügung,
                                                      das einen praktischen Nutzen besitzt und gelegentlich eine libidinöse Besetzung erlangt“ (Morgenroth,
                                                      2012, S. 66). Der heutige Medienalltag von Kindern und Jugendlichen zeichnet sich vor allem durch die
                                                      Integration der neuen Medien aus und unterscheidet sich somit von dem vor 10 Jahren (Jukschat et al.,
                                                      2012).
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                      Nichtsdestotrotz gibt es besonders verletzliche und gefährdete Jugendliche, für die sowohl die neuen
                                                      Medien als auch bestimmte Substanzen oder Verhaltensweisen eine potenzielle Gefahr sein können.
                                                      Steigende Fallzahlen von Betroffenen bzw. deren Angehörigen, die aufgrund von nicht kontrollierbaren
                                                      Online- und Computerspielzeiten ihrer Kinder Beratungsstellen aufsuchen sowie immer wieder neu
                                                      erscheinende epidemiologische Studien mit den unterschiedlichsten Ergebnissen wecken das Interesse
                                                      von Forschern. Darüber hinausgehend stößt auch in der Öffentlichkeit das Thema Internet- und
                                                      Computerspielsucht auf reges Interesse.

                                                      Die universelle Durchdringung des Alltags durch die neuen Medien entfacht die Diskussion zwischen
                                                      Kulturoptimisten, welche die Mediennutzung stark befürworten, und Kulturpessimisten, welche die
                                                      Nutzung der neuen Medien als ein mögliches Potenzial             geistigen und kulturellen Verfalls der
                                                      Gesellschaft betrachten. Die Bewertung der Medien hat sich seit jeher zwischen den beiden

     5
Extrempositionen, der Medienbejahung und Medienkritik, bewegt und zeigt sich zu allen Umbrüchen
der Mediengeschichte wie beispielsweise beim Übergang von Oralität zur Literarität wie auch in der
heutigen Zeit beim Übergang von Literarität zur Virtualität (Petry, 2010).

Kritisch sei jedoch angemerkt, dass beide Positionen in ihrer radikalen Sichtweise das komplexe
Bedingungsgefüge personaler, sozialer und gesellschaftlicher Einflussfaktoren auf das individuelle
Mediennutzungsverhalten vernachlässigen. Im Rahmen der Nutzung dieses neuen Mediums ergeben
sich neue Erlebnisformen, Entwicklungsmöglichkeiten der Persönlichkeit und Kommunikationsmuster
beim jeweiligen Nutzer, die sowohl positiver als auch negativer Natur sein können (Petry, 2010).

Bislang gilt es aber als ungeklärt, ob exzessives Nutzungsverhalten in diesem Bereich eine bedeutsame
Störung mit klinischer Relevanz verkörpert und ob deren Prävalenz Handlungsbedarf erfordert.

Das quantitative Ausmaß der Problematik dürfte mit der Verbreitung von Internetzugangsmöglichkeiten
korrelieren. Den steigenden Behandlungszahlen steht bislang nur ein geringes klinisches und empirisch
fundiertes Wissen gegenüber.

Worum geht es?
Die vorliegende Studie setzt sich mit den erhobenen Daten zur Computerspiel- und Internetnutzung bei
Tiroler Jugendlichen auseinander, um repräsentative epidemiologische Daten zu erhalten.

Ein Ziel der Studie besteht darin, zu untersuchen, inwieweit sich der psychosoziale Verlauf der
Adoleszenz auf die Art und Weise der Internet- und Computerspielnutzung niederschlägt. Gegenstand
der Fragestellung sind also mögliche Zusammenhänge bzw. Erkenntnisse, die bislang nur ansatzweise

                                                                                                          Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
untersucht worden sind, in ihrer Konsequenz aber (vor allem in der primären Prävention) von großer
Bedeutung sind.

Die gewählte Fragestellung setzt die theoretische und empirische Auseinandersetzung mit dem
Gesundheitsbegriff voraus, den Jugendliche in der Regel für sich beanspruchen. Vermutlich entspricht
dieser Begriff bei weitem nicht jenen Inhalten und Konnotationen, die unter „Gesundheit“ in der
Erwachsenenwelt verstanden, bzw. den Jugendlichen vermittelt werden.

Methode
Die repräsentative Stichprobe soll ca. 1.000 Jugendliche flächendeckend an Innsbrucker Schulen im Alter
zwischen 11 und 18 Jahren umfassen. Mit Hilfe eines semistrukturierten Interviews und einer
standardisierten Fragebogenbatterie sollen die Jugendlichen und ihre Eltern in Bezug auf Internet- und

                                                                                                           6
Computerspielnutzung befragt werden. Das erste Ziel ist, mittels einer Querschnittstudie die Häufigkeit,
                                                      Art und Intensität der Internet- und Computerspielnutzung und den Zusammenhang mit dem
                                                      psychosozialen Status und der psychosozialen Entwicklung von Jugendlichen in Tirol zu erfassen. Zudem
                                                      sollen die Einschätzungen der Eltern bezüglich der Internet- und Computerspielnutzung ihrer Kinder mit
                                                      den Aussagen der Jugendlichen korreliert werden.

                                                      Mit einer in 4 Jahren geplanten Follow-up Untersuchung der derzeit 10 bis 11-Jährigen (N=200) soll
                                                      erstmals eine Längsschnittuntersuchung durchgeführt werden um den Verlauf der Internet- und
                                                      Computerspielnutzung zu beobachten und in Beziehung zu den oben erwähnten intervenierenden
                                                      Variablen zu setzen.

                                                      Beim Missbrauch von Internet- und PC handelt es sich um ein vergleichsweise seltenes Geschehen.
                                                      Demgegenüber steht aber die mittlerweile häufige und immer weiter ausufernde Besorgnis der Eltern
                                                      und der Gesellschaft bezüglich des Internet- und Spielverhaltens der Jugendlichen.

                                                      Die Mechanismen hinter den in den meisten Studien bestätigten alterskorrelierenden Verläufen
                                                      scheinen mit der Lebensqualität, mit den persönlichen Ressourcen und Defiziten, mit dem sozialen
                                                      Netzwerk und mit der individuellen Entwicklung zusammenzuhängen.

                                                      Studiendesign
                                                      Die Fragebögen und das semistrukturierte Interview werden aus bereits an der Univ. Klinik f.
                                                      Medizinische Psychologie vorliegenden Arbeiten erstellt und speziell für diese Untersuchung adaptiert.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                                                                          Herbst 2011                    Herbst 2015

                                                             Querschnitt (N~1000)                         CSV-S,CIUS,      ILK,  SWE,
                                                                                                          semistrukturiertes Interview
                                                             14-18 Jährige                                (Dauer ca. 30 min.)

                                                             Elternbefragung (N~1000)                     Adaptierter CIUS (5 min.)

                                                             Längsschnitt (N~200)                         CSV-S, CIUS, ILK, SWE,         CSV-S, CIUS, ILK,    SWE,
                                                                                                          semistrukturiertes Interview   semistrukturiertes
                                                             10-11 Jährige                                (Dauer ca. 30 min.)
                                                                                                                                         Interview

                                                      Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
                                                      G EPLANTER F ORSCHUNGSVERLAUF

     7
Folgende Variablen werden dabei mit den unterschiedlichen Instrumenten erhoben.

                                                  Variablen                          Untersuchungsmethode

      Deskriptive Daten                           (Alter, Geschlecht, soziale        Fragebogen
                                                  Schicht, Schulart ...)

      Ist - Stand Erhebung                        CIUS,         CSV-S        -       Fragebogen
                                                  standardisiertes Verfahren

      Einstellungen                               (Schule, Beruf, Zukunft,           semistrukturiertes Interview
                                                  Gesellschaft, Sport ....)

      Aufklärungsstand                            (Auswirkungen,                     semistrukturiertes Interview
                                                  Helfersysteme)

      Lebensqualität                              ILK-            standardisiertes   Fragebogen
                                                  Verfahren

      Selbstwirksamkeit                           SWE     -       standardisiertes   Fragebogen
                                                  Verfahren

      Ressourcen & Konflikte                      persönliche      Ressourcen,       semistrukturiertes Interview
                                                  familiäre,    institutionelle,
                                                  persönliche Konflikte

Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
V ARIABLEN , DIE IM R AHMEN DER U NTERSUCHUNG ERHOBEN WERDEN

                                                                                                                    Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Forschungsinstrumente
Fragebogen „Compulsive Internet Use Scale “ (CIUS), Meerkerk et al. (2009)
Dieser Selbsteinschätzungsfragebogen umfasst 14 fünfstufig skalierte Items, mittels welcher die
Kernelemente einer Internet-/Computerspielabhängigkeit (Verlust der Kontrolle, Beschäftigung,
Konflikte, Entzugssymptomatik und Bewältigungsverhalten) ökonomisch erfasst werden können.
Teststatistische Überprüfungen belegen diesem Verfahren ausgezeichnete Kennwerte.

Fragebogen zum Computerspielverhalten bei Kindern (CSV -S), Wölfling et al. (2009)
Dieses Selbstbeurteilungsverfahren erfasst das Ausmaß „exzessiven Computerspielens“ und liefert
zudem einen Überblick über die Bereiche „Familie und Wohnen“, „Freizeit und Freunde“, „Schule“,
Aussagen zum subjektiven Befinden, Fernsehen sowie Aussagen zum Konsum von Drogen.

                                                                                                                     8
Zudem werden psychologisch relevante Variablen wie etwa Selbstwert, soziale Akzeptanz und
                                                      Problemlösungsstrategien erhoben.

                                                      Skala zur allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung (SWE), Schwarzer& Jerusalem
                                                      (1995)
                                                      Die eindimensionale Skala SWE erfasst mittels 10 Items die allgemeine optimistische Selbstüberzeugung
                                                      bzw. Kompetenzerwartung auf einer 4 stufigen Likertskala. Die SWE weist gute psychometrische
                                                      Kennwerte auf (interne Konsistenz 0,80-0,90), Mittelwerte liegen in repräsentativen Stichproben bei 29
                                                      Punkten (SD=4,00) (Schwarzer & Jerusalem, 1999; Schwarzer, Mueller & Greenglass, 1999).

                                                      Inventar zur Erfa ssung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen (ILK),
                                                      Mattejat, (1998)
                                                      Das ILK ist ein ökonomisch einsetzbares Screening-Instrument zur Erfassung der Lebensqualität bei
                                                      Kindern und Jugendlichen. Die internen Konsistenzen (Cronbachs Alpha) liegen für den Gesamtwert
                                                      zwischen α = .55 und α = .76. Die verschiedenen Retest-Reliabilitäten (2 bis 6 Wochen) liegen für den
                                                      Gesamtscore zwischen rtt = .60 und rtt = .80.

                                                      Semistrukturiertes Intervi ew
                                                      30 PsychologiestudentInnen mit Erfahrungen in der semistrukturierten Interviewtechnik, werden an der
                                                      Univ. Klinik f. Medizinische Psychologie eingeschult. Das Interview enthält Fragen zu

                                                      ·       den persönlichen Ressourcen, Konflikten und Beziehungsstrukturen

                                                      ·       den Einstellungen zu Schule, Beruf, Gesellschaft, Zukunft, Sport, Familie
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                      ·       dem Aufklärungsstand bzgl. Internet- und Computerspielen & deren Auswirkungen

     9
Untersuchungsdurchführung
Im Rahmen dieser Studie wurden im Zeitraum von November 2011 bis Jänner 2012 insgesamt 588
Schüler mittels einer standardisierten Fragebogenbatterie und einem semistrukturierten Interview
hinsichtlich ihres Internet- und Computerspielverhaltens an Innsbrucker Schulen randomisiert
untersucht.

Es wurden nach dem Zufallsprinzip 10 verschiedene Schulen ausgewählt. Um eine Stigmatisierung
einzelner Schüler zu verhindern, wurden alle Schüler der 31 ausgewählten Klassen befragt. Die
Genehmigung zur Durchführung der wissenschaftlichen Erhebung wurde vom Stadtschulrat für
Innsbruck gemäß §46 des Schulunterrichtsgesetzes erteilt, und die jeweiligen Schuldirektoren wurden
um Erlaubnis gebeten. Auf Seiten der Eltern wie auch auf Seiten der SchülerInnen lag nach Erhalt
umfassender Informationen über die Ziele der Studie und des Verfahrens ein Informed Concent vor. Die
Fragebogenuntersuchung wurde in den jeweiligen Klassenräumen in Anwesenheit des Klassenlehrers
und eines testpsychologisch erfahrenen Untersuchungsleiters durchgeführt, der bei Rückfragen zur
Verfügung stand. Die semistrukturierten Interviews wurden von 10 geschulten Interviewern
(fortgeschrittene Studierende der Psychologie) durchgeführt. Die Interviews fanden in separaten
Räumen statt und dauerten im Durchschnitt 20 Minuten. Die Daten wurden in anonymisierter Form
gesammelt.

Im Mittelpunkt der Prävalenzschätzung für pathologischen Internetgebrauch und für pathologisches
Computerspielverhalten stand die Compulsive Internet Use Scale (CIUS, Meerkerk et al., 2009) ein
Fragebogeninventar zur Erfassung von Merkmalen der Internetabhängigkeit und die Skala zum

                                                                                                       Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Computerspielverhalten   (CVS-S,   Wölfling   et   al.,   2009).     Neben    dem   Internet-   und
Computerspielnutzungsverhalten wurden Variablen zu allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung (SWE,
Schwarzer & Jerusalem, 1995), Lebensqualität (ILK,        Mattejat, 1998), persönlichen Ressourcen,
Konflikten und Beziehungsstrukturen, den Einstellungen zur Schule, Beruf, Freizeitgestaltung Sport,
Familie und hinsichtlich dem Aufklärungsstand bezgl. Internet- und Computerspielen & deren
Auswirkungen erhoben.

Auf Seite der Eltern wurden das Wissen zum Internet- und Computerspielverhalten ihrer Kinder mittels
eines Fragebogens erhoben. Der Fragebogen wurde in einem frankierten Kuvert den Schülern
mitgegeben.

                                                                                                       10
Die Stichprobe

                                                                                                                        Schüler (n=588)

                                                       Alter in Jahren, MW(SD)                                          15,58 (2,68)

                                                       Geschlecht: n(%)

                                                       - weiblich                                                       134 (22,8%)

                                                       - männlich                                                       267 (45,4%)

                                                       - fehlend                                                        187 (31,8%)

                                                       Nationalität n(%)

                                                       - Österreich                                                     357 (60,7%)

                                                       - Andere                                                         44 (7,5%)

                                                       - fehlend                                                        187 (31,8%)

                                                       Schultyp n(%)

                                                       - Hauptschule und Mittelschulen                                  82 (13,9%)

                                                       - Sonderschule                                                   44 (7,5%)

                                                       - Polytechnische Schule                                          18 (3,1%)

                                                       - Handelsschule                                                  18 (3,1%)

                                                       - Berufsschule                                                   66 (11,2%)
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                       - allgemein/beruflich höher bildende                             375 (63,8%)

                                                       Schulen:

                                                       HLW                                                              114 (19,4%)

                                                       Villa Blanka                                                     98 (16,7%)

                                                       HTL                                                              99 (16,8%)

                                                       BORG                                                             15 (2,6%)

                                                       HAK                                                              49 (8,3%)

                                                      Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
                                                      Z USAMMENSETZUNG DER S TICHPROBE

11
Statistische Auswertung – die Forschungsergebnisse
Am Anfang steht die deskriptive Aufarbeitung der Daten mit anschließenden Berechnungen eventueller
Korrelationen und Unterschiede. Die statistische Auswertung erfolgte mit Hilfe des Software
Programmpaketes von SPSS für Windows Version 15.0. Die Rohdaten wurden auf ihre Plausibilität
(Eingabefehler) hin überprüft. Die Stichprobenbeschreibung (z.B. Alter, Geschlecht) wurde primär durch
die Methoden der deskriptiven Statistik mittels relativer Häufigkeiten und Prozentangaben ausgewertet.
Variablen auf Nominalskalenniveau wurden durch kategoriale Verfahren (Chi2-Test) analysiert. Aufgrund
der Stichprobengröße kamen vorwiegend Mittelwertsvergleiche zur Anwendung. Im Rahmen der
Auswertung wurde auf eine statistische Signifikanz mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % geprüft.

Mit Hilfe einer logistischen Regressionsanalyse sollten anschließend Risikofaktoren und deren
Einflussgröße (Odds Ratio) für die Internet- und Computerspielnutzung bestimmt werden.

                                                                                                          Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
                    Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

Computerspielsucht – vorwiegend ein Probl em der Mittel- und Sonderschule?
Insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen schulischen Präventionsarbeit sind die Fragen nach
dem Auftreten von Computerspielsucht bezogen auf Alter und Schultyp zentral. Während in der
Sonderschule und in der Mittelschule jeweils 3,7 % der Befragten suchtartiges Computerspielverhalten
aufweisen, gibt es im Gymnasium keine derartigen Fälle. Beim exzessiven Verhalten zeigt sich in der
Sonderschule mit einem Anteil von 11,1 % ein fast doppelt so hoher Wert wie im Gymnasium.
Suchtartiges Verhalten konnte zwar auch in Berufsbildenden Höheren Schulen und in Berufsschulen
lokalisiert werden, jedoch in einem wesentlich geringeren Anteil als in den Sonder- bzw. Mittelschulen.

                                                                                                          12
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

                                                      Einhergehend mit dem Schultyp lässt auch das Alter, in dem suchtartiges bzw. exzessives Verhalten
                                                      auftritt, bildungsrelevante Schlüsse zu. Jüngere tendieren eher zu einem derartigen Fehlverhalten. Der
                                                      höchste     Anteil      an      exzessiven
                                                      Computerspielern       wurde       in     der
                                                      Altersstufe der 10-jährigen festgestellt.
                                                      Erstaunlicherweise wurden aber in
                                                      dieser Altersgruppe keine suchtartigen
                                                      Tendenzen festgestellt. Diese finden
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                      sich am stärksten verbreitet bei der
                                                      Gruppe der 11-jährigen. Im Gegensatz
                                                      dazu finden sich bei den älteren
                                                      Befragten      wesentlich          weniger
                                                      exzessive Spieler. Im Alter von 18
                                                      beispielsweise finden sich keine exzessiven und mit einem Anteil von 1,1 % ein sehr geringer Anteil
                                                      computerspielsüchtiger Nutzer.

13
Die Sicht der Eltern

Die Sicht der N utzungsdauer von el ektr onischen G eräten durch di e Eltern
Während über 50 % der befragten Eltern keinen bzw. sehr selten den Wunsch nach einem
verminderten Konsum von elektronischen Geräten bei ihren Kindern verspüren, wünschen sich knapp
über 24 % sehr häufig bzw. häufig, dass ihre Kinder die Nutzungsdauer reduzieren.

                          Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

26,5 % der befragten Eltern geben an, dass ihre Kinder manchmal die Anwendung von elektronischen
Geräten der Pflege von Sozialkontakten vorziehen. Über 9 % beobachten dieses Verhalten häufig bis
sehr oft, während bei über 60 % dieses Verhalten selten bis nie wahrgenommen wird.

Computerspi el und Sc hlaf
Unausgeschlafenheit als Folge von Computersitzungen werden nur von etwas mehr als 4 % der

                                                                                                    Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Befragten häufig bzw. sehr häufig beobachtet. Bei über 68 % kommt es nie dazu.

                          Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

                                                                                                    14
Einschätz ung des Konsumverhaltens
                                                      Durch die Ergebnisse der Untersuchung wird sehr deutlich, dass die Einschätzung der Eltern, über das
                                                      Konsumverhalten ihrer Kinder Bescheid zu wissen, sehr stark vom Realnutzungsverhalten der
                                                      Jugendlichen abweicht. 70 % der Eltern glauben, darüber viel bzw. ziemlich viel zu wissen, während über
                                                      50 % der Jugendlichen angeben, dass ihre Eltern nichts bzw. sehr wenig über ihr persönliches
                                                      Konsumverhalten wissen.

                                                                                Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                                                Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

                                                      Knapp 70 % der Eltern haben bereits versucht das Konsumverhalten ihrer Kinder einzuschränken. Über
                                                      15 % haben dies bereits häufig bis sehr häufig gemacht.

15
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

Jugendliche und ihre Technologien

Technologiebesitz
Ein wesentlicher Faktor für das Konsum- bzw. Nutzungsverhalten von elektronischen Geräten ist der
persönliche Besitz dieser. Fast die Hälfte aller befragten Jugendlichen (45,1 %) besitzt bereits ein
Smartphone. Ebenso viele haben eine eigene Spielkonsole, ein Fernsehgerät sogar über 60 % der
Jugendlichen. Über einen eigenen Laptop verfügen bereits über 40 % der Befragten.

Zentrale Anwendung in der Nutzung dieser elektronischen bzw. Neuen Medien ist das Internet.
Unabhängig vom Alter der Befragten wird das Internet von knapp 80 % täglich benutzt.

An schulfreien Tagen wird von knapp 7 % der Jugendlichen das Internet gar nicht verwendet. Ebenso

                                                                                                       Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
viele nutzen es jedoch bis zu 13 Stunden/Tag. Der Hauptanteil der Befragten (59,4 %) ist bis zu 2
Stunden an diesen Tagen online.

Dabei werden Medienportale wie YouTube, Kommunikationsfunktionen wie Soziale Netzwerke, E-Mail,
Chat oder Instantmessenger aber auch Spiele und Online-Welten genutzt. Am breitesten, das heißt von
über 90 % der Befragten, werden Inhalte aus dem Medienportal YouTube konsumiert. Fast ebenso viele
nutzen Soziale Netzwerke wie Facebook. Shopping wird von über 40 % über das Internet gemacht. Und
etwas weniger als ein Drittel konsumiert sexuelle Inhalte über das Internet.

                                                                                                       16
Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

                                                      Computer- und Konsol enspi ele an schulfr eien Tagen
                                                      Ein wesentlicher Indikator für die Beantwortung der zentralen Forschungsfrage nach einer exzessiven
                                                      Nutzung des Internets bzw. von Computer- und Konsolenspielen mit pathologischen Tendenzen ist die
                                                      Computer- bzw. Konsolenspielzeit der Jugendlichen an schulfreien Tagen.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                                         Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

                                                      1,8 % der Jugendlichen verbringen an schulfreien Tagen Zeit damit, Konsolen- oder Computerspiele zu
                                                      spielen. Über 4 % verbringen mehr als 8 Stunden damit, während über 10 % der Befragten an
                                                      schulfreien Tagen keine dieser Anwendungen nutzen.

17
Die Freiwillige Selbstkontrolle
Nicht nur Maßnahmen der Eltern sollen Jugendlichen einen Rahmen zur Mediennutzung vorgeben, auch
öffentliche Maßnahmen geben ein Regelwerk vor. Als Beispiel dafür wird in der Untersuchung die
Wirkung der FSK-Kennzeichnung, die beispielsweise auf Computer- und Konsolenspielen das passende
Alter angibt, untersucht. Diese Altersempfehlung wird von ca. ⅔ der Befragten nicht berücksichtigt. Es
kann also gesagt werden, dass öffentliche Maßnahmen weitgehend die Wirkung verfehlen. Wichtig ist
jedoch zu erwähnen, sich bei den befragten Mädchen mit 85 % ein sehr großer Anteil an die
vorgeschlagenen Altersempfehlungen in Form der FSK-Angaben hält.

Sozial e Netzwerke, Online -Beziehungen und Privatspäre
Wie schon erwähnt, werden von knapp 85 % der Befragten Soziale Netzwerke wie Facebook regelmäßig
genutzt. In der Bereitstellung von persönlichen Informationen zeigt sich ein sehr widersprüchliches Bild.
Knapp 60 % der Befragten geben Informationen aus ihrem Profil nur ihren “Freunden” frei. Die
durchschnittliche Anzahl an Freunden im Social Network liegt bei ca. 400. Über 8 % der Befragten geben
ihr Profil gänzlich frei für alle Social Network User.

                                                                                                            Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
                      Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

Eine wesentliche Erleichterung in der freien Persönlichkeitsgestaltung durch das Internet sieht über ein
Drittel der Befragten. 35,8 % geben an, dass es im Internet leichter für sie ist, sie selbst zu sein.

                                                                                                            18
Die Char akteristik der auffälligen User
                                                      Erforscht wurde das Setting in Familie, Schule und Freundeskreis. Ebenso wurden die Dimensionen der
                                                      Privatsphäre, des seelischen und des körperlichen Wohlbefindens erfasst und berücksichtigt. Das
                                                      suchtartige Verhalten wird durch die Parameter Kontrollverlust, Entzugserscheinungen und das
                                                      „Swapping“ von Konflikten auch auf andere Lebensbereiche bestimmt.

                                                                                 Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

                                                      Bei knapp der Hälfte der Befragten kommt es zu Situationen des Kontrollverlusts. Fast 14 % davon
                                                      nehmen dieses Gefühl häufig bzw. sehr oft war.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                                         Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

19
Zu Entzugserscheinungen kommt es dabei aber verhältnismäßig selten. Knapp 15 Prozent nehmen
Entzugserscheinungen wahr. Bei knapp 5 % treten diese häufig bzw. sehr oft auf.

                             Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

Konflikte können insbesondere für die schulische Arbeit mit suchtgefährdeten Jugendlichen ein
wertvoller Indikator sein. Bei       4,5 % der Jugendlichen zeigen sich derartige Konflikte in anderen
Lebensbereichen sehr oft.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass auffällige User nicht durch besondere Risikofreudigkeit oder durch
ein erhöhtes Empfinden von Einsamkeit auffallen. Sie sind ebenso nicht auffällig in Bezug auf Alkohol-
und Nikotinkonsum. Außerdem sind sie nicht weniger sportlich als nicht auffällige User. Und nicht
zuletzt sind auffällige User keine Einzelgänger.

                                                                                                          Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                   Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

                                                                                                          20
Aufgrund der schon genannten Indikatoren lassen sich 6,3 % der Befragten als „auffällige User“
                                                      einordnen, die sich in Hinblick auf reine Onlinezeit nicht von den unauffälligen Usern unterscheiden.
                                                      Zentrale Unterschiede zeigen sich jedoch in der Missachtung der schon genannten FSK-Kennzeichnung
                                                      und im Spielen von Ego-Shooter-Spielen.

                                                      Die Famili ensituati on
                                                      Auffällige User leben in aufgelösten Familienverhältnissen. Streitsituationen werden von ihnen
                                                      wesentlich häufiger erlebt. Ebenso werden sie häufiger als ihre unauffälligen Altersgenossen von ihren
                                                      Eltern bestraft.

                                                      Bei Problemen fühlen sie sich von ihren Eltern weniger gut verstanden. Zudem werden ihnen weniger
                                                      Freiheiten gebilligt. Familie wird von ihnen als grundsätzlich unverlässlicher Faktor eingestuft.

                                                      Von besonderer Relevanz ist auch die Tatsache, dass die Eltern der auffälligen User kompetenter im
                                                      Umgang mit Neuen Medien scheinen als die der Vergleichsgruppe.

                                                      Das schulische Umfeld
                                                      Die Gruppe der auffälligen User erlebt wesentlich mehr das Gefühl von Langeweile im schulischen
                                                      Alltag. Die Gemeinschaft in der Klasse wird von ihr als nicht gut eingestuft. Einen wesentlichen Beitrag
                                                      dabei spielt sicherlich auch der Fakt, dass diese Gruppe sich vermehrt als Opfer von Hänseleien durch
                                                      ihre Mitschüler sieht.

                                                      Schularbeiten rufen bei der Gruppe ein höheres Maß an Angst hervor als bei der Gruppe der Nicht-
                                                      Auffälligen. Damit einhergehend fühlt sich die Gruppe der Auffälligen vermehrt ungerecht behandelt.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                      Ein etwas kontrastierendes Ergebnis zeigt sich bei der Frage nach sozialen Aktivitäten. Auffällige User
                                                      zeigen ein deutlich größeres Maß an Freude an mehr sozialen Aktivitäten im Rahmen des schulischen
                                                      Alltags.

                                                      Der Freundes kreis
                                                      In seinem/ihrem Freundeskreis erlebt der auffällige User ein größeres Maß an Konfliktsituationen.
                                                      Ebenso herrscht bei ihm/ihr das Gefühl, im Freundeskreis nicht verstanden zu werden.

                                                      Die Gruppe der Auffälligen gibt an, im Freundeskreis bereits ausgenutzt worden zu sein. Im Vergleich zu
                                                      den Nicht-Auffälligen verbringen sie wesentlich mehr Zeit alleine.

21
Etwas überraschend ist das Ergebnis in Bezug auf Art und die Anzahl von Freunden. Im Vergleich zu den
Nicht-Auffälligen verfügen die auffälligen User/innen über eine größere Anzahl an realen Freunden. Bei
den virtuellen Freunden sind die Ergebnisse beider Gruppen identisch.

Die Privatsphär e
Wie schon genannt, verbringen auffällige User/innen gerne Zeit alleine. In diesem Sinnen fühlen sie sich
auch weniger einsam als die Vergleichsgruppe. Langeweile wird von ihnen in einem geringeren Ausmaß
erlebt. Ebenso wird von ihnen das Gefühl von Angst vor dem Alleinsein weniger erlebt.

Auffällige User/innen legen bei ihren Internetaktivitäten wesentlich weniger Wert auf Anonymität. Dies
macht sich insbesondere auch im Umgang mit sozialen Netzwerken bemerkbar. Ihre Online-Profile sind
grundsätzlich öffentlich einsehbar.

Das seelische Wohl befinden
Obwohl sich auffällige User/innen intensiver mit ihrer persönlichen Vergangenheit beschäftigen und ein
geringeres Maß an Selbstwirksamkeit erleben, empfinden sie weniger Ängste.

                                                                                                           Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
                           Q UELLE : I NTERNET - UND C OMPUTERSUCHT BEI J UGENDLICHEN 2013

In Auseinandersetzungen bzw. bei Ärgernissen neigen sie dazu, schneller körperliche Gewalt
anzuwenden.

                                                                                                           22
Das körperliche Wohlbefi nden
                                                      Einerseits sind auffällige User/innen unzufriedener mit ihrem Aussehen, andererseits erleben sie sich
                                                      selbst als stärker und kräftiger als unauffällige User/innen.

                                                      Körperliche Beschwerden und ebenso Schmerzen werden von ihnen wesentlich seltener erlebt.

                                                      Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auffällige User/innen

                                                          ●   nicht risikobereiter,
                                                          ●   nicht auffälliger in Bezug auf stoffgebundenes Suchtverhalten (Alkohol, Nikotin, Drogen),
                                                          ●   nicht einsamer,
                                                          ●   keine Einzelgänger (subjektive Selbsteinschätzung) und
                                                          ●   nicht weniger sportlich sind.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

23
Fazit
Einige Überlegungen aus der Praxis (Dr. Elmar Köppl, Ambulanz für Internet- und Computerspielsucht
(ASP))

Ich möchte den Leser und die Leserin meiner Überlegungen in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts
herzlich willkommen heißen. Was für viele Eltern wie Fachchinesisch klingt, ist für Kinder und
Jugendliche heute Alltag. Die «Generation Facebook» ist mit Internet und iPhone groß geworden. Das
Computerdisplay verdrängt im Jugendzimmer den Fernseher.

Das Buch des Lebens hat sich zum Facebook des Lebens verwandelt. Damit hat sich unser Verhältnis zur
Realität, zu unserem sozialen Leben und in erster Linie auch unser Verhältnis zu uns selber verändert.
Die Gamescom 2012, das weltweit größte Messe Highlight für interaktive Computer- und Online-Spiele
erlebte zum ersten Mal kein neues Rekordergebnis. Trotzdem fanden immer noch über 300.000
Gaming-Begeisterte den Weg nach Köln.

Bei dem Bemühen, ihre Kommunikationsmöglichkeiten untereinander zu verbessern, haben die
Menschen immer schon versucht, sich Hilfen - in Form von neuen Medien - zu bedienen. Wenn man
heute über eine Computerspiel- und Internetsucht        spricht, muss man an dieser Stelle auch die
"Romansucht" und "Lese-Sucht" als vormals befürchtetes Krankheitsbild erwähnen. Ein Zeitgenosse des
18. Jahrhunderts von damals schrieb: "Die gefährlichen Brutstätten des Lasters und Giftbuden der
Seuche, die Bibliotheken, sollten deshalb von Bücherkennern scharf überwacht werden". Oder: "Die
Abhängigen werden in eine Zauber- und Geisterwelt hineingeworfen, durch die sie Zeit, Gesundheit und
Leben verspielen".

                                                                                                          Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
Diese Parallele zur Lesesucht ist aus heutiger Sicht eigentlich lustig. Einem Onlinesüchtigen von heute
bietet man das gute Buch als Alternative an. Der Buchdruck wurde ersetzt durch die Massenmedien wie
Radio und Fernsehen. Das Radio erschloss uns die Welt des Jazz und Rock n´ Roll. Das viel geschmähte
Fernsehen öffnete uns die Türen in die wundervolle Welt der Trivialserien.

Das konservative Amerika witterte dabei einen Verfall der Sitten. So wurde es z. B.       Elvis Presley
anfänglich untersagt,   seine Auftritte wegen seines berühmten verführerischen Hüftschwungs im
Fernsehen zu senden.

                                                                                                          24
Dieser Abwehrkampf war nur von
                                                      kurzer Dauer. Letztlich wurde Elvis
                                                      Presley     für eine ganze Generation
                                                      zum Idol: Ein Rebell, der die Schranken
                                                      von       Herkunft,   Hautfarbe      und
                                                      Konvention durchbrach.

                                                      Vor   ca.    30   Jahren    begann   der
                                                      Siegeszug des PCs, so wie er heute den
                                                      Alltag von Millionen Menschen prägt.
                                                      Das World Wide Web wurde 1989 von
                                                      dem       Engländer   Tim    Berners-Lee
                                                      erfunden. Das Internet wurde am 30. 04. 1993 für die allgemeine Nutzung freigegeben. Man bedenke,
                                                      dass das Internet als sozialer Ort – wie wir es jetzt nutzen - noch nicht einmal 8000 Tage alt ist. Die
                                                      rasante Entwicklung von Internetanschlüssen in den Haushalten lässt sich nur mit der extremen
                                                      Faszination dieses neuen Mediums erklären.

                                                      Die 50 Plus Generation kann sich noch gut an den Schwarz-Weiß Fernseher und das Telefon mit der
                                                      Wählscheibe und an eine computerlose Kindheit erinnern. Für heute 20-Jährige waren der Computer
                                                      und das Internet immer schon eine Selbstverständlichkeit.

                                                      Mit der Ausbreitung des Internets haben sich neue Lebensräume geöffnet. Zudem gibt die technische
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                      Innovation in den letzten Jahren den Computerspielen eine ganz neue Qualität. Dadurch, dass nun die
                                                      Möglichkeit besteht, mit Menschen aus aller Welt online spielen zu können, können ein Amerikaner
                                                      und ein Europäer bequem von ihrem Wohnzimmer aus zusammen spielen, sofern beide einen
                                                      Internetanschluss besitzen. Multi-Player-Online-Spiele, kurz   MMORPGs (also Massive Multiplayer
                                                      Online Roleplaying Games) genannt, sind eine der interessantesten Innovationen im Bereich der
                                                      Computerspielwelt. Dabei handelt es sich um komplexe und aufwendig gestaltete dreidimensionale
                                                      Spielwelten, sowohl in Bezug auf die Grafik und die Musik.

                                                      Die Absatzzahlen zeigen, dass Computer-Kids immer mehr Wert auf das gemeinsame Spiel legen,
                                                      wodurch die Entwicklung der Computerspielindustrie in diese Richtung beeinflusst wird. MMORPGs
                                                      sollen das Bedürfnis der KIDS nach sozialem Austausch abdecken. Es werden neue Freundschaften
                                                      geknüpft und im Vordergrund steht die Gemeinschaft, d.h. das gemeinsame Erleben von Abenteuern.

25
Eines der wichtigsten Versatzstücke der Kritik an den neuen elektronischen Medien lautet, dass unsere
mit Computerspielen und Internet aufgewachsene Jugend nicht mehr zwischen wirklicher Realität und
virtueller Realität unterscheiden kann. Wenn heute was schief läuft, oder es um jugendliche Gewalt
geht, zählen Computerspiele und das Internet inzwischen zur ersten Garde der üblichen Verdächtigen.
Offensichtlich gibt es eine uralte Angst vor neuen Medien, die es immer schon gegeben hat. Das Ganze
ist auch Ausdruck eines Unbehagens an der Digitalisierung unserer Lebenswelt. Dieses Unbehagen ist
auch durch die schlichte Tatsache geprägt, dass viele Eltern keine Ahnung haben, was ihr Sohn oder ihre
Tochter so alles auf seinem/ihren PC spielt.

In endlosen Debatten werden häufig falsche Dinge behauptet, die bei den Jugendlichen den Eindruck
erwecken, dass die Erwachsenen über einen Bereich sprechen, von dem sie offenbar viele
Befürchtungen, aber letztlich keine Ahnung haben.

Trotz - vielleicht auch wegen - allen elterlichen Abwehrmaßnahmen sitzen die jugendlichen "Zocker"
tage- und nächtelang vor dem Computer. Sie klicken sich wie „Junkies“ durchs das World Wide Web,
werden entführt in die magische Welt von Azeroth voller fantastischer Helden wie Orks, feinsinnigen
Nachtelfen, Untoten oder Zwergen. Sie kämpfen entweder auf der Seite der Horde oder Allianz um die
Vorherrschaft in bestimmten Gebieten. Sie haben das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Kontakt
mit der Außenwelt findet nur mehr über den Pizza-Dienst statt.

Die Gamerzahlen steigen stetig, aber damit einhergehend auch Warnungen der Medien und besorgter
Eltern vor der exzessiven Mediennutzung. Öffentliche Debatten neigen dazu – besonders wenn sie in
den Massenmedien Radio und Fernsehen geführt werden - in Entweder-Oder-Strukturen geführt zu

                                                                                                              Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
werden. Entweder der Computer, das Computerspiel, das Internet oder eine dahinter stehende korrupte
Spielindustrie sind schuld, dass ein junger Mensch spielsüchtig wird.

Oder es ist der Jugendliche selbst, weil er psychische Probleme hat. Er tickt nicht richtig und ist dadurch
besonders sensibilisiert für ein eigentlich harmloses Spiel. Wenn er davon süchtig wird, ist er selber
schuld.

Doch in den meisten Problemlagen – sowie auch in dieser Frage – mag es problemlösend fördernder
sein, in“ Sowohl-als-Auch Strukturen“ zu denken. Für Alfred Adler, den Begründer der
Individualpsychologie, einer der traditionsreichsten tiefenpsychologischen Schulen, gibt es im Leben
eines jungen Menschen eine Erscheinung, die sehr deutlich die Vorbereitung auf das Erwachsenenalter
zeigt, nämlich Spiele.

                                                                                                              26
Für ihn steht fest, dass es nur wenige Spiele gibt, die nicht wenigstens einen der drei Faktoren, nämlich
                                                      Vorbereitung auf das Leben, Gemeinschaftsgefühl und Herrschsucht beinhalten.

                                                      Nach Alfred Adler dienen Spiele als wichtige Helfer bei der Erziehung, regen den Geist an, beflügeln die
                                                      Phantasie und fördern die Geschicklichkeit. Das Spiel ist sozusagen der Beruf eines jungen Menschen
                                                      und nach Adler auch so aufzufassen. Das Spiel darf nicht als eine Vergeudung von Zeit aufgefasst
                                                      werden; im Spiel zeigt sich fast immer die Vorbereitung auf das künftige Leben.

                                                      In seiner im Jahre 1927 erschienen Ausgabe „Menschenkenntnis“ schreibt Alfred Adler unter dem Titel
                                                      "Spiel": "Wenn wir uns die Spiele, Spielsachen und Fantasien der Kinder ansehen, fällt auf, dass sie alle
                                                      eine Gemeinsamkeit aufweisen: Den Wunsch, erwachsen zu werden, groß, ein erwachsener Mensch zu
                                                      werden" (Adler, 1966).

                                                      Die Online-Spiele des 21. Jahrhunderts sind letztlich auch nichts anderes. Sie sind ein virtuelles Lern-
                                                      und Kommunikationsfeld, in dem spielerisch Dinge ausprobiert und für das künftige Leben erprobt
                                                      werden können, die im realen Raum so nicht hätten entstehen können. In diesen Spielen findet zudem
                                                      noch ein besonderer Lernprozess statt. Anders als im Unterricht, wo es um frontale Wissensvermittlung
                                                      geht, lernt man in den virtuellen Online-Spiele-Welten nicht über etwas, sondern man lernt zu sein –
                                                      sich in einer ständig wechselnden Umwelt zu behaupten und zu entwickeln.

                                                      Man lernt das spielerisch, was wir dringend als Grundqualifikation brauchen: Teamfähigkeit, vernetzte
                                                      Kooperation, Simulations- und Szenario-Denken, nicht zuletzt auch Schnelligkeit beim kognitiven
                                                      Verknüpfen und vieles mehr. Hängt man an einem ausländischen Server kann man seine English-
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                      Kenntnisse perfektionieren. Das Fernsehen verliert völlig an Bedeutung - viel zu passiv für WOW-Spieler.

                                                      Auslöser für die große Bedeutung der virtuellen Computerspielwelten in der Adoleszenz sind zentrale
                                                      Themen wie: Macht, Herrschaft, Gemeinschaft und Kontrolle. In unserer Gesellschaft gibt es nur wenig
                                                      Rituale für den Übergang von der "Baustelle" Adoleszenz zum             Erwachsensein. Möglicherweise
                                                      kompensieren die männlichen Jugendlichen die im realen Leben noch nicht erreichte Macht, Herrschaft
                                                      und Kontrolle (z. B. in Bezug auf Familie und Job) durch eine Perfektionierung ihrer Fähigkeiten in
                                                      aktionsreichen und kampfgeprägten Computerspielen. Sie kompensieren in der virtuellen Spielewelt
                                                      ihre vorhandene Sehnsucht „groß zu sein“.

                                                      Neben dem Machtfaktor fordern Computerspiele zur vollendeten Kontrolle auf, die im realen Leben, das
                                                      sich absoluter Kontrolle entzieht, undenkbar wäre. Das Experimentieren mit verschiedenen Seiten des
                                                      Selbst kommt der im Jugendalter wichtigen Identitätsfindung entgegen.

27
Parallel dazu finden Jugendliche im Spiel klare Regeln und Strukturen, die sie im echten Leben häufig
vermissen. Sie erschließen über die virtuellen Medien ihr erstes eigenes Fachgebiet, auf dem sie sich von
ihren Eltern abgrenzen können.

Durch den Zusammenschluss in einer Gilde entsteht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Aus Fremden
werden Freunde; Vertrautheit ist im virtuellen Raum schneller erreicht als im wahren Leben.

Auch wenn wir es mit Computern zu tun haben, so dürfen wir dabei nicht vergessen, dass hinter jedem
Computer auch ein Mensch sitzt, der sich mit einem anderen austauscht. Man könnte hier durchaus
vom Netzwerkspiel-Clan als Ausdruck des Adoleszenten "Wir-Gefühls" des 21. Jahrhunderts sprechen.

In der Adoleszenz geht es auch um Fragen der Einschätzung des Zumutbaren. Es geht um
Dosierungsfragen, Abschätzungsfragen; man soll selbst Verantwortung übernehmen für etwas, was man
noch nicht kann und trotzdem wird es von den Eltern verlangt.

Im Zusammenhang mit dem Computerspielverhalten bei Jugendlichen erreichten uns an der ASP in den
letzten Jahren vermehrt Anfragen von besorgten Eltern. Dies hat dann dazu geführt, dass wir im Jänner
2010 - neben dem Behandlungsangebot für die klassischen Suchterkrankungen wie Alkohol oder illegale
Drogen - eine eigene "Ambulanz für Internet- und Computerspielsucht" eingerichtet haben.

Ca. 90 % der Jugendlichen wurden in der ersten Zeit auf Druck ihrer Eltern bei uns vorstellig. Meist sind
es die typischen Kollateralschäden, aufgrund derer sich besorgte Eltern an unsere Stelle wenden. Dies
sind Probleme in der Schule, sozialer Rückzug, der Verlust realer Freunde, Vernachlässigung bestimmter
Pflichten oder dass der junge Mann einfach keine Zeit mehr hat, am gemeinsamen Abendessen

                                                                                                            Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013
teilzunehmen.

In 75 % der Fälle stellt sich heraus, dass die Eltern überreagieren.

Der Übergang vom Hobbyspieler zum pathologischen Internet-Abhängigen ist ein Graubereich. Ich
persönlich stelle ein sogenanntes völliges "Hineinkippen" in die virtuelle Welt des Internets in den
Vordergrund. Wenn ein Jugendlicher oder junger Erwachsener nur mehr online lebt, dann dürfte er die
Balance zwischen realem und virtuellem Leben verloren haben.

Diejenigen, die bei mir einen Therapieplatz bekommen, sind nicht die Freizeit- oder Hobby-Gamer,
sondern diejenigen, die mitunter einen völligen Kontrollverlust erlebt haben. Sie berichten von
Onlinezeiten von weit mehr als 100 Spielstunden wöchentlich und erleben ihr exzessives Online-
Verhalten zunehmend als Belastung.

                                                                                                            28
In meiner Arbeit als Psychotherapeut und Erfahrung als WOW-Spieler – sofern es die Zeit zulässt - finde
                                                      es wichtig, die individuellen Fälle zu sehen. Es sind die Geschichten, die in der Interaktion mit diesem
                                                      neuen Medium erzählt werden. Es geht darum, sie zu begreifen und für den therapeutischen Prozess
                                                      nutzbar zu machen.

                                                      Ich habe in den letzten beiden Jahren Jugendliche und junge Erwachsene erlebt, die aufgrund ihrer
                                                      eigenen Kindheit und Sozialerfahrungen seelisch verletzt sind. Im Spiel können sie Dinge machen und
                                                      zum Ausdruck bringen, die sie sonst nirgendwo sagen können. Das Spiel wird zu einer Option, ihre
                                                      Leidensgeschichte auf verschobene Weise zu erzählen. Das Spiel wird zum Versuch, das soziale Schicksal
                                                      umzukehren.

                                                      In der Therapie geht es mir erstmals um zwei Fragen:

                                                      1.) Was bekomme ich im Internet, was ich im realen Leben nicht habe?

                                                      2.) Was kann ich im virtuellen Raum ausprobieren, um es dann im realen Raum, in den realen
                                                      Gemeinschaften, umzusetzen?

                                                      Es geht letztlich um die Frage, wie sich sinnvolle Zusammenhänge und kreative Übergänge zwischen den
                                                      realen und den weiter ausdifferenzierten virtuellen Welten herstellen lassen.

                                                      Wer einen solchen Weg geht, bei dem wird ein therapeutischer Prozess erheblich länger und
                                                      anspruchsvoller sein, als wenn das Primärziel ist, sogenannte "Computerspielsüchtige" möglichst schnell
                                                      von ihrem "Avatar" (künstliche Darstellung der eigenen Person) zu trennen.
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                      Bei einem wirklich exzessiven Gamer, der seine seelischen Probleme in seinen Avatar projiziert und
                                                      vielleicht dort auch sogar gelöst hat, kann ein abrupte Abtrennung von seinem Avatar zu extremen
                                                      seelischen Beschädigungen führen. Dies erklärt auch, warum manche Jugendliche auf rigide
                                                      Maßnahmen mit einer tiefen regressiven Depression antworten.

                                                      Welches Medium die derzeitigen Leitmedien Internet und Computer in Zukunft ablösen werden, wissen
                                                      wir noch nicht. Vielleicht ist die    Onlinesucht nur ein temporäres Phänomen, da es kulturelle
                                                      Anpassungsleistungen geben wird, wie es beim Massenfernsehen der Fall ist. Eines hat das Internet
                                                      sicher erreicht, es lässt die alten Medien seriös werden, Fernsehen und Kino sind mittlerweile Kultur
                                                      geworden. Über die Zukunft lässt sich eigentlich nur sinnvoll reden, wenn wir über unsere Wünsche,
                                                      Visionen und Utopien reden. Keiner weiß, wie die Zukunft letztlich ausschauen wird.

29
Wir extrapolieren gerne Dinge aus der Vergangenheit und Gegenwart in die Zukunft; aber die Zukunft
besteht meistens aus einem Überraschungseffekt. Dieser Überraschungseffekt kann ggf. in einer
Enttäuschung bestehen. Nach den
Science Fiction Filmen aus den 50er
Jahren müsste es heute fliegende
Autos   geben;       wir   wurden    darin
enttäuscht. Vielleicht wird das Internet
eines Tages durch eine "Virtual-
Reality-Technologie" ersetzt werden.
Wir wissen es nicht.

Trotzdem    stellt     sich   für   unsere
Generation unter dem Schlagwort
„Medienkompetenz“ die Herausforderung, wie eine intelligente Mischung in der Nutzung von
unterschiedlichsten Medien ausschauen könnte. Es geht um die Frage, wie ein gesundes Wechselspiel
zwischen technischen und nicht technischen Medien ausschauen könnte.              Medienkompetenz im
weitesten Sinne des Wortes ist für mich letztlich die Fähigkeit, das Reale im Virtuellen und das Virtuelle
im Realen entdecken zu können.

                                                                                                             Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                                                                             30
Refer enzen

                                                      Adler, A. (1966). Menschenkenntnis. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

                                                      Jukschat, N., Zenses, E.M., Rehbein, F. & Mößle, T. Epidemiologische Daten zur Medien- und Computernutzung bei
                                                      Kindern und Jugendlichen. In: Möller, CH. (Hrsg.) Internet und Computersucht. Ein Praxisbuch für Therapeuten,
                                                      Pädagogen und Eltern. Stuttgart: Kohlhammer.

                                                      Mattejat, F.; Jungmann, J.; Meusers, M.; Moik, C.; Nölkel, P.; Schaff, C.; Schmidt, M.H.; Scholz, M.; Remschmidt, H.
                                                      (1998). Das Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen (ILK) - Eine Pilotstudie.
                                                      Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Bd. 26, S. 174-182. (Sonderdruck).

                                                      Meerkerk, G.J., Van Den Eijnden, R., Vermulst, A. A. & Garretsen, H. F. L. (2009). The Compulsive Internet Use Scale
                                                      (CIUS): Some Psychometric Properties. Cyberpsychology & Behavior, 12, 1-6.

                                                      Miniwatts Marketing Group (MMG): World Internet Users and Population Statistics 2012, abgerufen unter
                                                      http://www.internetworldstats.com/stats.htm [28.01.2013].

                                                      Morgenroth, C. (2012).Wie Jugendliche der “Generation 2.0” mit Computer, Internet und Smartphones umgehen –
                                                      Zur Bedeutung der Neuen Medien als Gestalter eigensinniger Widerspruchszeit. In: Möller, CH. (Hrsg.) Internet und
                                                      Computersucht. Ein Praxisbuch für Therapeuten, Pädagogen und Eltern. Stuttgart: Kohlhammer.

                                                      Petry, J. (2009). Dysfunktionaler und pathologischer PC- und Internet-Gebrauch. Göttingen: Hogrefe.

                                                      Schwarzer, R., & Jerusalem, M. (1995). Generalized Self-Efficacy scale. In J. Weinman, S. Wright, & M. Johnston,
                                                      Measures in health psychology: A user’s portfolio. Causal and control beliefs (pp. 35-37). Windsor, UK: NFER-
Internet- und Computersucht bei Jugendlichen | 2013

                                                      NELSON.

                                                      Statistik Austria: Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) Technologien in Haushalten 2012,
                                                      abgerufen unter:

                                                      http://www.statistik.at/web_de/statistiken/informationsgesellschaft/ikt-einsatz_in_haushalten/index.html
                                                      [28.01.2013].

                                                      Te Wildt, B.T. & Fischer, T. (2011). Ist die pathologische Internetnutzung als eigenständige Erkrankung im Sinne
                                                      einer stoffungebundenen Suchterkrankung zu diagnostizieren? Suchttherapie, 12, 80-84.

                                                      Wölfling, K., Müller, K.W. & Beutel, M. (2011). Reliabilität und Validität der Skala zum Computerspielverhalten
                                                      (CSV-S). Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie, 61(5), 216-224.

31
Sie können auch lesen