Ist die Corona-Krise mit der Finanzkrise von 2008 vergleichbar? Teilweise ja, aber diese Krise ist komplexer
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Ist die Corona-Krise mit der Finanzkrise von 2008 vergleichbar? Teilweise ja, aber die... Page 1 of 5 Ist die Corona-Krise mit der Finanzkrise von 2008 vergleichbar? Teilweise ja, aber diese Krise ist komplexer Das hektische Auf und Ab an den Finanzmärkten weckt Erinnerungen an die grosse Finanzkrise von 2008. Doch die heutigen Turbulenzen sind schwerer fassbar – und nicht allein mit Geld zu bekämpfen. Thomas Fuster 16.03.2020, 05.30 Uhr Die Krise um das Coronavirus drückt auch den DAX in die Tiefe. Positiv im Vergleich mit 2008 ist immerhin, dass die derzeitigen Turbulenzen an den Börsen auf einen etwas robusteren Bankensektor treffen. Ralph Orlowski / Reuters In Zeiten der Verunsicherung hält man sich gern an Altbekanntes. Auch bei der Einordnung der Corona-Krise, deren wirtschaftliche Folgen noch kaum absehbar sind, werden vielerorts Vergleiche mit anderen Zäsuren gezogen. Am https://www.nzz.ch/wirtschaft/ist-die-corona-krise-mit-der-finanzkrise-von-2008-verg... 27.08.2020
Ist die Corona-Krise mit der Finanzkrise von 2008 vergleichbar? Teilweise ja, aber die... Page 2 of 5 naheliegendsten ist die Gegenüberstellung mit der Finanzkrise von 2007/08, zumal dieses Ereignis in den meisten Köpfen noch präsent ist. Und vordergründig gibt es durchaus Parallelen: ein Aktienmarkt im freien Fall, eine sich abzeichnende Rezession sowie Notenbanken und Regierungen, die den Absturz zu verhindern suchen. Manch einer fühlt sich – auch emotional – an den Blindflug von 2008 erinnert. Mehrere Schocks gleichzeitig Doch es gibt wichtige Unterschiede. Diese beginnen schon bei den Ursachen. «In der Finanzkrise entlud sich ein über Jahre hinweg aufgebautes Ungleichgewicht auf den Immobilienmärkten, mit erheblichen Effekten auf das Finanzsystem», schreibt ein Team namhafter deutscher Ökonomen in einem Report zur Corona- Krise. Am Anfang standen fragwürdige Subprime-Kredite an Hauskäufer, die eigentlich gar nicht kreditwürdig waren. Diese Kredite wurden in Wertpapiere verpackt, deren Wert aber irgendwann angezweifelt wurde. Es kam zur Vertrauenskrise: Die Banken liehen sich kein Geld mehr, da niemand wusste, wer in welchem Mass durch solche toxischen Papiere belastet war. Die derzeitigen Börsenunruhen haben ihren Ursprung nicht im Finanzsektor. Und anders als vor zwölf Jahren entlud sich die Krise anfänglich auch nicht in einem Rückgang der Kreditvergabe, sondern in einem Angebotsschock: Globale Wertschöpfungsketten zerbrachen, und wegen fehlender Vorleistungen mehrten sich die Produktionsausfälle. Hinzu kommt nun immer deutlicher – und das macht die Situation so komplex – ein Nachfrageschock, da die Menschen weniger konsumieren. Betroffen ist dabei vor allem der «soziale Konsum», etwa die Besuche von Restaurants, der Tourismus oder der Betrieb von Kulturveranstaltungen und Messen. Das gleichzeitige Auftreten eines Schocks beim Angebot und bei der Nachfrage, zu allem Übel noch flankiert von einbrechenden Erdölpreisen, ist historisch einmalig. Entsprechend schwer tut sich die Politik mit einer adäquaten Reaktion auf die Herausforderung, zumal man nicht auf altbewährte Massnahmen https://www.nzz.ch/wirtschaft/ist-die-corona-krise-mit-der-finanzkrise-von-2008-verg... 27.08.2020
Ist die Corona-Krise mit der Finanzkrise von 2008 vergleichbar? Teilweise ja, aber die... Page 3 of 5 zurückgreifen kann. Denn eine staatliche Ankurbelung dieses «sozialen Konsums», der die Menschen einander näherbringt, ist durch klassische Stimulierungspakete weder möglich noch gesundheitspolitisch erwünscht. Wenn die Leute wieder in grosser Zahl in Restaurants und Kinos strömen und mehr konsumieren, hat dies vielmehr eine Verschärfung der medizinischen Krise zur Folge. Die Notenbanken ohne Munition Auch geldpolitisch sieht die Lage anders aus. Der mögliche Beitrag der Notenbanken zur Stabilisierung der Wirtschaft ist begrenzt. Erstens handelt es sich nicht um eine primär finanzielle Krise. Zweitens haben die Währungshüter kaum noch zinspolitische Optionen. Im Jahr 2007 lag der Leitzins in den USA noch bei 5,25%. Das gab der Notenbank viel Raum, um den Satz bis Ende 2008 auf nahe null zu senken. Heute liegt der Zins in den USA zwischen 1 und 1,25%, wobei für Mittwoch dieser Woche eine weitere Senkung erwartet wird. In Japan, der Euro-Zone und der Schweiz sind die Sätze gar negativ. Es rächt sich nun, dass der Aufschwung der vergangenen Jahre nicht für eine Normalisierung der Zinsen genutzt wurde. Positiv im Vergleich mit 2008 ist immerhin, dass die derzeitigen Turbulenzen an den Börsen auf einen etwas robusteren Bankensektor treffen. Gewiss, die europäischen Finanzhäuser schneiden im Vergleich mit den amerikanischen Konkurrenten noch immer schlecht ab, und viele Grossbanken müssten im Krisenfall wohl weiterhin vom Staat gerettet werden. Insgesamt wurden die Liquiditäts- und Eigenkapitalpolster der Banken in den vergangenen Jahren aber gestärkt, damit die Institute in ausserordentlichen Lagen auch grössere Geldabflüsse und Verluste über einen längeren Zeitraum absorbieren können; der Härtetest, ob das Ganze funktioniert, steht aber noch aus. Die Herkunft der Krise im Finanzsektor machte vor zwölf Jahren auch deren Bekämpfung übersichtlicher. Der Brandherd war bekannt, man wusste, wohin das Geld fliessen musste, nämlich ins Finanzsystem, wo ein Kollaps drohte. https://www.nzz.ch/wirtschaft/ist-die-corona-krise-mit-der-finanzkrise-von-2008-verg... 27.08.2020
Ist die Corona-Krise mit der Finanzkrise von 2008 vergleichbar? Teilweise ja, aber die... Page 4 of 5 Heute ist die Sachlage komplexer. Leidtragende sind Unternehmen aus zahllosen Sektoren der Realwirtschaft. Und diese Firmen müssen nun vom Staat ohne Umweg mit Direkthilfe unterstützt werden, um eine Insolvenz- oder Entlassungswelle aufgrund fehlender Liquidität zu verhindern. Instrumente hierzu gibt es zwar, etwa Kurzarbeit, Liquiditätshilfen oder die Stundung von Steuerzahlungen. Die Umsetzung ist aber schwieriger und mit mehr bürokratischem oder zeitlichem Aufwand verbunden. Niemand übernimmt die Führung Ein Unterschied zu 2008 ist ferner, dass derzeit keine starke internationale Koordination der wirtschaftlichen Abwehrpolitik zu beobachten ist. Im Oktober 2008 fand ein solcher Zusammenschluss zumindest in der Geldpolitik statt. Rund drei Wochen nach dem Konkurs der Investmentbank Lehman Brothers kam es zu einer konzertierten Aktion verschiedener Währungsbehörden, und zwar jener des Euro-Raums, der USA, Kanadas, Grossbritanniens, Schwedens und der Schweiz. Die Notenbanken senkten ihre Zinsen gleichzeitig und sandten damit zur Beruhigung der Märkte ein wichtiges Signal der Einigkeit aus. Ein ähnliches Symbol grenzüberschreitender Kooperation, ob fiskal- oder geldpolitisch, fehlt derzeit, vor allem zwischen den USA und Europa. Der frühere Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Philipp Hildebrand, hat vor kurzem in einem Interview mit Bloomberg TV denn auch das Fehlen einer kohärenten Führung bemängelt. In der Finanzkrise von 2008 hätten die USA diese Führungsrolle übernommen. Eine ähnliche Rolle sei derzeit ebenfalls erforderlich, um zu verhindern, dass eine Panik an den Märkten zu einer weiteren Finanzkrise im Stil von 2008 führe, meinte Hildebrand, der damals im Direktorium der SNB sass. Im Jahr 2008 habe man in den USA ein sehr präsentes, sehr starkes und sehr fokussiertes Führungsteam gehabt, das die nötigen Ereignisse koordiniert habe. Heute ist ein solches Team nirgendwo in Sicht. https://www.nzz.ch/wirtschaft/ist-die-corona-krise-mit-der-finanzkrise-von-2008-verg... 27.08.2020
Ist die Corona-Krise mit der Finanzkrise von 2008 vergleichbar? Teilweise ja, aber die... Page 5 of 5 Mehr zum Thema Das Coronavirus bringt die Weltwirtschaft in Gefahr Auch in der Schweiz sind einzelne Unternehmen bereits von Lieferengpässen betroffen. Laut der OECD handelt es sich beim Coronavirus um das grösste Wirtschaftsrisiko seit der Finanzkrise. Nicole Rütti 02.03.2020 Der «Black Swan» ist tatsächlich eingetroffen Als «Black Swan» bezeichnet man an der Börse ein Ereignis, das die Aktienkurse wie aus dem Nichts abstürzen lässt, im Nachhinein aber sehr nachvollziehbar ist. Das Ausbruch des Coronavirus ist ein solcher Schwarzer Schwan, doch zur Erklärung der jüngsten Kursverluste reicht es nicht aus. Krim Delko 03.03.2020 Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG. Alle Rechte vorbehalten. Eine Weiterverarbeitung, Wiederveröffentlichung oder dauerhafte Speicherung zu gewerblichen oder anderen Zwecken ohne vorherige ausdrückliche Erlaubnis von Neue Zürcher Zeitung ist nicht gestattet. https://www.nzz.ch/wirtschaft/ist-die-corona-krise-mit-der-finanzkrise-von-2008-verg... 27.08.2020
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