Journal#4 Von fernen Tönen und Texten - Heidelberger Frühling

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Journal#4 Von fernen Tönen und Texten - Heidelberger Frühling
14. April 2018
                                 journal #4                    Akademie für Musikjournalismus 2018
                                                                                                                                                                  www.musik-journalismus.com

            Von fernen Tönen
            und Texten                                                                                                              Die Schauspielerin Martina Gedeck spricht
                                                                                                                                    über ihr Lieblingslied von Robert Schumann
                                                                                                                                    und erklärt, wozu Musikkritik gut sein kann.

                                                                                                                                    von Silja Meyer-Zurwelle

                                                                                                                                                                                                 Foto: Kinowelt GmbH

            Martina Gedeck und Pascal Greggory als Clara und Robert Schumann: Der Film „Geliebte Clara“ von Helma Sanders-Brahms kam 2008 in die Kinos.

            Frau Gedeck, Sie haben die Rolle der          Beim Heidelberger Frühling waren Sie mit       Es geschieht immer häufiger, dass        Wozu Musikkritik?
            Clara Schumann schon mehrfach                 einem „Schumanniade“-Programm auf              Schauspieler und Musiker ein Konzert
            gespielt. 2008 im Film „Geliebte Clara“       der Bühne zu erleben. Haben Sie eine           zusammen bestreiten. Inwiefern           Ich finde, es reicht nicht, nur zu hören. Es
            und auf etlichen Konzertbühnen, in            Lieblingskomposition von Schumann?             beflügeln sich Töne und Texte?           sollte immer auch einen gedanklichen
            klassischen Programmen. Was macht für                                                                                                 Austausch geben über das, was Musik
            Sie den Reiz dieser historischen Figur aus?   Ich mag seine Klavierwerke sehr, sehr gerne.   Der Zauber der Musik eröffnet eine       eigentlich ausmacht. Kritik kann darauf
                                                          Ich liebe sein a-moll-Konzert, aber auch die   Innenwelt und fügt der Sprache etwas     aufmerksam machen, in welchem
            Sie war eine kraftvolle Frau, die in ihrem    „Kinderszenen“. Zu meinen Lieblingsliedern     hinzu, das eine besondere Ausdrucks-     Zusammenhang die Musik steht, aus
            Leben viel zu bewältigen hatte. Sie war       gehört „Du bist wie eine Blume“ aus            kraft hat. Gleichzeitig kommen wir den   welchem Zusammenhang heraus sie
            außerdem eine begnadete Künstlerin            dem Liederkreis „Myrthen“. Ich mag die         Komponisten und Künstlern aber auch      komponiert wurde. Man erfährt mehr
            und ja auch Komponistin. Als sie dann         Melancholie, die Lieder berühren einen tief.   näher, wenn wir sie selber sprechen      über Musiker und darüber, wie sich die
            mit Schumann zusammenkam, kam das                                                            lassen und erfahren, was sie bewegt      Musikwelt entwickelt – auch deshalb
            Komponieren zu kurz, sie war nur noch als     In welchen Situationen hören Sie               hat. Von Clara und Robert Schumann       ist Musikkritik enorm wichtig. Für uns
            Pianistin unterwegs. Trotzdem fasziniert      eigentlich Klassik?                            wissen wir das sehr genau, denn sie      Künstler sowieso.
            es mich, wie sie ihr Berufsleben gemeistert                                                  haben sich viele Briefe geschrieben
            hat und gleichzeitig für ihre große Familie   Am liebsten im Konzertsaal und am aller-       und Tagebuch geführt. Von diesen
            da war, allen voran ihrem Ehemann, dem        liebsten, wenn ich selbst gemeinsam mit        Dokumenten können wir bis heute
            sie immer zur Seite stand.                    Musikern auf der Bühne stehe.                  zehren.                                  Die Fragen stellte Silja Meyer-Zurwelle.

Mehr Kritiken, Interviews und Texte zu den Konzerten des Heidelberger Frühling auf der Webseite www.musik-journalismus.com
Journal#4 Von fernen Tönen und Texten - Heidelberger Frühling
Akademie für Musikjournalismus 2018
  14. April 2018                                                                                                                                                                          www.musik-journalismus.com

                                                                                                                                                                               Brücken
          Foto: bunchesandbit flickr.com

                                           Warum ich Probleme habe                           Die Verantwortlichen für solche              Bildungshumanismus beweihräuchert
                                           mit Programmheften                                Publikationen verhandeln neben               wird, es finden auch Konzerte in
                                                                                             ästhetischen Inhalten immer häufiger         Scheunen und auf Bahnhöfen statt.
                                           von Roman Lüttin                                  auch Politisches. Darüber hinaus             Doch deshalb darf der Dialog zwischen
                                                                                             verantworten Dramaturgen die Planung,        Kunst und Bildung nicht konstruiert
                                                Als Konzertgänger trete ich mit dem          Produktion und Kommunikation.                werden, schon gar nicht durch scheinbar
                                                Kauf eines Programmheftes in einen           Nötig ist ein andauernder Spagat vom         neunmalkluge Texte, wie dieser hier einer
                                                                                             Aufspüren der Themen und Stoffe einer        zu sein scheint.
                                                einseitigen Kommunikationsakt mit
                                                dem Konzertveranstalter, in den meisten
                                                Fällen mit dessen Dramaturgen. Ein reines
                                                Brahms-Programm der Staatskapelle
                                                Weimar im März 2018 gab Anlass für
                                                diesen Kommentar. In dem Heft heißt es:
                                                                                             Spielzeit bis hin zur Entwicklung eines
                                                                                             übergreifenden Sinnzusammenhangs
                                                                                             der einzelnen Produktionen. Zwischen
                                                                                             der Endprobenkritik und dem
                                                                                             Einführungsvortrag steht auch die
                                                                                                                                          Die in öffentlicher Trägerschaft
                                                                                                                                          organisierten Theater- und Konzerthäuser
                                                                                                                                          in Deutschland haben sich noch vor
                                                                                                                                          einer weiteren Instanz zu verantworten:
                                                                                                                                                                                      bauen!
                                                „Brahms kontrastiert, stellt zwei Welten     Mitverantwortung für das Profil des          der Politik. Die Debatte um das
                                                als eigenständigen instrumentalen            Hauses, samt seinem Ensemble, samt der       letztjährige Silvesterkonzert der Dresdner
                                                Entwurf einander gegenüber: die              künstlerischen Arbeit auf der Agenda.        Staatskapelle – ein Programm mit
                                                kompositorische, gleichsam abstrakte                                                      Unterhaltungsmusik aus den dreißiger
                                                Struktur des Kopfsatzes, die ihre Kraft      Es gibt heute nicht mehr nur das             und vierziger Jahren anlässlich des 100.
                                                aus der eigenen Konsequenz zieht,            eine Publikum, es gibt mehrere.              Geburtstags der UFA – hat gezeigt, wie
                                                und die warm atmende melodische              Dementsprechend gibt es zunächst keine       dringend notwendig eine Aufarbeitung
                                                Geschlossenheit im Finale.“                  „richtige“ oder „falsche“ dramaturgische     von Komponisten wie Theo Mackeben
                                                                                             Arbeit. Die jüngsten Veränderungen           oder Franz Grothe und deren Musik
                                                Das Heft scheint zunächst konservativ        in der deutschen Theater- und                immer noch ist.
                                                konzipiert und inhaltlich wenig              Konzertlandschaft haben Einfluss auf die
                                                aussagekräftig. Die meisten Beiträge         Voraussetzungen und Wirkungsweisen           Nach dem Konzert der Staatskapelle
                                                – eine übliche Mischung aus zitierten        einer erfolgreichen Dramaturgie. Das         Weimar bleibt jedoch nur ein bitterer
                                                Briefwechseln, Solistenbiografie sowie       perfekte Programmheft gibt es nicht!         Marketingnachgeschmack haften, „denn
                                                Werkgeschichte und Pseudo-Analyse                                                         schließlich entsprechen Brahms’ feinsinnig
                                                – befassen sich mit dem Ringen um            Es sollte Informationen enthalten,           gestrickte Motivgeflechte bei zugleich
                                                die Form der ersten Symphonie von            die nicht in meinem Konzertführer            herrlich blühendem Klangstrom ganz dem
                                                Johannes Brahms und dessen Probleme          stehen, es sollte Anreize bieten zum         historisch gewachsenen Klangideal der
                                                in der Nachfolge Beethovens. Meine           Selber-Weiter-Denken, zum Selber-            Staatskapelle.“
                                                Überraschung über den dürftigen Gehalt       Besser-Hören, kurzum: die inhaltliche
                                                dieser Texte hält sich in Grenzen. Die       Auseinandersetzung ankurbeln und den         Das Arbeitsfeld von Dramaturgen scheint
                                                Tatsache jedoch, dass ich mir einen          Bezug zur realen Welt herstellen. Zugleich   nur unscharf umrissen, fachliche Flexibilität
                                                Großteil der vermittelten Informationen in   sollte das Heft aber auch jene Gruppe        ist das höchste Gut in dieser Branche.
                                                Sekundenschnelle selbst beschaffen kann,     der Konzertgänger bedienen, die eben         Wie können Theater, Konzerthäuser und
                                                verwundert mich. Ist denn der einzige        keinen Konzertführer zuhause im Regal        Festivals es zukünftig besser schaffen als
                                                Sinn und Zweck eines Programmheftes          stehen haben, die nicht mit klassischer      bisher, mit ihren Programmheften eine
                                                die Konservierung der eindimensionalen       Musik sozialisiert sind. Diesen Balanceakt   Brücke zum Publikum zu bauen, die zu
                                                Musikgeschichtsschreibung? Letztlich         zu meistern, verlangt Handwerk,              echten Diskussionen um die Sache führt,
                                                wäre die Aufgabe solcher Texte als           Bodenständigkeit, aber auch Fantasie         was mehr ist als nur Zustimmung und
                                                klassische Dienstleistung zu erklären.       und Raffinesse, schließlich sollen diese     Applaus? Antworten darauf sind dringend
                                                Schaufelt sich also die vormalige            Texte vor allen Dingen Brücken bauen         gesucht, nicht nur beim nächsten
                                                Bildungsinstitution Konzert ihr eigenes      zwischen der Musik, den Musikern und         Symphoniekonzert in Weimar, auch,
                                                Grab auf dem selbstreferenziellen            dem Publikum. Das Konzert ist heute          zum Beispiel, im neuen Bildungsplan der
                                                Programmheftfriedhof?                        kein Tempel mehr, in dem der bürgerliche     Großen Koalition.

Mehr Kritiken, Interviews und Texte zu den Konzerten des Heidelberger Frühling auf der Webseite www.musik-journalismus.com
Journal#4 Von fernen Tönen und Texten - Heidelberger Frühling
Akademie für Musikjournalismus 2018
     14. April 2018                                                                                                                                                                        www.musik-journalismus.com

JEDER singt für sich ALLEIN
Die Lied-Akademie ist eine der letzten Inseln der Seligen. Ginge es mit rechten Dingen zu, müsste so ein Konzert als erstes ausverkauft sein.                                                                         von Simeon Holub

                   Es ist vorbei. „Wissen Sie, wie ich das nenne? Triumphgemüse!“ - Bariton Thomas
      Foto: studio visuell
                                                                                                                          Korngolds Shakespeare-Vertonung „Come Away“wird von German E. Alcántara
                   Hampson, Leiter der Lied-Akademie beim Heidelberger Frühling erntet damit                              fast schon opernartig umgesetzt, seine voluminöse Stimme wäre bei Don
                   beim Publikum schallendes Gelächter. Gemeint sind die Blumensträuße in den                             Giovanni sicher nicht fehl am Platz. Dann wird es, nach der spanischen
                   Händen der fünfzehn jungen Sänger und Pianisten, die sich nach Tagen voller                            „Romanza de la Luna, Luna“ von Miguel Ortega, französisch, mit einem
                   Proben und Diskussionen, Mittagsrecitals und Open Classes sichtlich erleichtert                        marschartigen „Adieux de l’hôtesse arabe“ von Georges Bizet, und in Reynaldo
                   zum letzten Mal auf der Bühne der Stadthalle versammelt haben.                                         Hahns „À Chloris“ sind die Anklänge an Bachs Air unüberhörbar, Adèle Charvet
                                                                                                                          und ihr Pianist Ammiel Bushakevitz performen perfekt zusammen, musikalisch,
                   Das Programm des Abschlusskonzerts hatte die ganze Bandbreite der Gattung
                                                                                                                          optisch, lockentechnisch. Schließlich wandelt sich die weite Stadthalle zum
                   Lied präsentiert, von Franz Schubert bis Francis Poulenc. Mit „Im Frühling“
                   D.882 ging es los. Seufzend beklagte Theresa Pilsl „die Lieb’ und ach, das Leid“,                      intimen Kämmerchen. Wir kommen der Welt abhanden.
                   Daniel Gerzenbergs feinsinnig ausgestaltetes Klavierspiel sorgte für dramatische
                   Spannung zwischen „Will’ und Wahn“. Der jüngste Stipendiat der Akademie,                               Contra-Altistin Jessica Dandy schweift in Gustav Mahlers Rückertvertonung aus
                   Johannes Leander Maas, übernahm dann in der Ballade vom „Erlkönig“ gleich                              warmer Tiefe in zarte Höhe und mischt Kopf- und Brustregister, als sei dies das
                   drei Rollen: Vater, Sohn und unheiliger Geist. Dieser baritonal gefärbte Tenor                         Natürlichste von der Welt, und mit seinem sensiblen Spiel öffnet ihr
                   versteht es so sprechend, aber doch sanglich fließend sein Timbre zu variieren,                        Klavierpartner Harry Rylance einen Klangweltraum, in der sich diese faszinierende
                   dass man, schließt man die Augen, fast drei verschiedene Sänger vor sich sieht.                        Stimme schier körperlos entfalten kann: „Ich leb’ allein in meinem Himmel, in
                   Mezzosopranistin Ema Nikolovska singt mit klarer, gut geführter Stimme                                 meinem Lieben, in meinem Lied.“ Wohl niemand im nicht ganz voll besetzten
                   Schumanns „Röselein“, sie trägt sicher nicht zufällig ein rosenverziertes Kleid.                       Saal, der davon nicht berührt wird. Man könnte die berühmte Stecknadel
                   Die charmanten roten Socken des Liedbegleiters Toni Ming Geiger leuchten mit                           fallen hören. Ginge es mit rechten Dingen zu, sagt Hampson in seiner
                   Erich Wolfgang Korngolds gewagten Akkordrückungen um die Wette.                                        Dankesrede, dann müssten Konzerte wie dieses als erste ausverkauft sein.

                                                                        Neue Blüten,
                                                                             Blatt
                                                                         für Blatt
                   Mark Padmore und das Wiener                          weltweit erste psychiatrische Anstalt, das        Das geht hörbar bis an die Grenzen der              Läufe nüchtern auf und ab perlen, auch bei
                   Musiktrio mit Liedern von                            Bethlem Royal Hospital in London, ge-             stimmlichen Möglichkeiten, und es erfordert         zunehmend düsterer Atmosphäre. Der
                                                                        gründet im dreizehnten Jahrhundert, kurz          viel Mut von dem Sänger, der damit auch             Geiger David McCaroll vibriert steil und
                   Schmerz und Wahnsinn
                                                                        „Bedlam“ genannt. Der Text aus dem frühen         seine Mitspieler ansteckt. Phantastisch             eng, der Cellist Gredler spannt allzu sanfte
                   von Sophie Beha                                      siebzehntenJahrhundert springt zwischen einer     abwechslungsreich und lautmalerisch ist die         Bögen aus, oft verlieren die Phrasen an
                                                                        auktorialen Perspektive und der Sichtweise        Musik, die das Wiener Klaviertrio beisteuert, ihr   Spannung. Und wenn es plötzlich laut
                   Einer für alle, alle für einen! Dieser Schlachtruf
                                                                        des Kranken hin und her. In der ersten            wird viel Raum und Zeit eingeräumt neben            wird, verleiht das den Akkorden einen
                   gilt irrtümlich für Dreierkonstellationen,
                                                                        Strophe wird Tom von Hexen und bösen              den blitzkurzen Gedichten. Akkorde winden           abschließenden Charakter, obwohl die
                   jedenfalls seit Alexandre Dumas. Aber
                                                                        Geistern verflucht. Er verarmt, er wird           sich um die von Padmore ausgehaltenen               Musik doch eigentlich weitergehen will.
                   eigentlich war Held d’Artagnan mit seinen
                                                                        verrückt, er beschwört die schützende             Liegetöne. Bögen knarzen, Schrauben-
                   drei Musketierfreunden am Ende doch zu                                                                                                                     Padmore, seinerseits, hat ebenfalls etwas
                                                                        Wirkung von Astrologie-Büchern herauf.            ziehergriffe streichen über die Saiten des
                   viert, und das gilt auch für den Tenor Mark                                                                                                                von Schubert mitgebracht, zwischen Bennett
                                                                        Mark Padmore gestaltet seinen Part, je            Flügels, Glissandi kreischen. Und es erklingen
                   Padmore, als er mit dem Wiener Klaviertrio                                                                                                                 und Larcher singt er fünf von dessen
                                                                        nachdem, welchen Standpunkt das lyrische          gebrochene C-Dur-Dreiklänge, die sofort
                   auftritt beim Heidelberger Frühling.                                                                                                                       Liedern – aber auch er hat seine helle
                                                                        Ich einnimmt, mal lieblich und weich, mal         an Naturtöne erinnern. So wächst der
                                                                        expressiv und martialisch, und Gredler            Klang und entfaltet Blatt für Blatt, mit            Tongebung diesmal nicht ganz unter
                   An diesem Abend in der Alten Aula wird                                                                                                                     Kontrolle, besonders schade ist es um
                                                                        begleitet mit vibrierenden Dissonanzen.           jeder harmonischen Wendung, eine Blüte:
                   nicht gezimpert. Mit Wucht und im                                                                                                                          die letzte Zeile von „Auf dem Strom“. So
                                                                                                                          wunderbar.
                   Fortissimo beginnt das Konzert. Padmore              Die Wandelbarkeit dieses Sängers, seine                                                               kommt also die neue Musik an diesem
                   trägt, gemeinsam mit dem Cellisten                   bis ins kleinste Detail gut geführte Stimme       Franz Schuberts spätes Es-Dur-Trio D 929,           Abend ganz besonders gut weg. Höhen
                   Matthias Gredler, die Geschichte vom                 und klar fokussierte Aussprache kommt             nach der Pause, hat nicht so viel Glück bei den     und Tiefen hat dieses Live-Konzert mit
                   armen Tom O’Bedlam vor, in einer                     erst recht in Thomas Larchers „A Padmore          Interpreten. Als „handelnd, männlich,               tollen Kompositionen und polarisierenden
                   Komposition von Sir Richard Rodney                   Cycle“ nach Texten von Hans Aschenwald            dramatisch“ hatte Robert Schumann                   Interpretationen, Lärm und Lyrik. Wer
                   Bennett. Das Lied, entstanden 1961 und               zur Geltung, diese Lieder wurden ihm              dieses Werk einst beschrieben. Das Wiener           nicht wagt, der nicht gewinnt.
                   Peter Pears gewidmet, trägt noch hör-                schließlich direkt auf den Leib komponiert.       Klaviertrio spart sich die Dramatik,
                   bar Spuren des Unterrichts, den der                  Padmore flüstert, er schreit, manchmal wird die   trotz stark ausgespielter Kontraste                   Eine Werkbetrachtung zum „Padmore-Cycle“
                   junge Bennett in Paris bei Pierre Boulez             Melodielinie so dünn, als ob die Luft durch       agiert es eher routiniert. Stefan Mendl               von Thomas Larcher ist auf der Webseite
                                                                                                                                                                                www.musik-journalismus.com nachzulesen.
                   genommen hatte. Es erinnert an die                   einen Strohhalm hindurchpassen müsste.            am Klavier lässt die chromatischen

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Journal#4 Von fernen Tönen und Texten - Heidelberger Frühling
Akademie für Musikjournalismus 2018
                        14. April 2018                                                                                                                                                                     www.musik-journalismus.com

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                                                                                                                                                                                                 Steg-Reif
                                                                                                                                                                                                                     Darf man
                                                                                                                                                                                                                    Kunstlieder

    Osten
                                                                                                                                                                                                                  improvisieren?

                                                                                                                                                                                                                 von Karl Ludwig

                                                                                                                                                                                                  Ein Ritter, der es eilig hat, der handelt
                                                                                                                                                                                                  aus dem Stegreif. Er steigt gar nicht
                                                                                                                                                                                                  erst herab von seinem hohen Ross,
                                                                                                                                                                                                  sondern erledigt seinen Dienst en
                                                                                                                                                                                                  passant im Steigbügel (i.e. Steg-Reif).
                                                                                                                                                                                                  Er improvisiert, ohne sich von den
                                                                                                                                                                                                  Ritualen eines Duells aufhalten zu
                                                                                                                                                                                                  lassen. Der Pianist Michael Gees hat
                                                                                                                                                                                                  sich längst einen Ruf erworben als
                                                                                                                                                                                                  bewährter und erfahrener Ritter auf
                                                                                                                                                                                                  dem Gelände der Stegreifimprovisation.
                                                                                                                                                                                                  Nicht nur als Solist ist er unterwegs.
                                                                                                                                                                                                  Er schart Waffengefährten um sich,
                                                                                                                                                                                                  mit denen er gemeinsam improvisiert,
                                                                                                                                                                                                  beispielsweise auf dem Album
                                                                                                                                                                                                  „Bach-Mendelssohn-Metamorphosis“,
                                                                                                                                                                                                  oder auch Waffengefährtinnen
                                                                                                                                                                                                  (im Liedduo mit Anna Lucia Richter)
                                                                                                                                                                                                  oder im Trio („Secret Keymasters“ – alle
                                                                                                                                                                                                  CDs beim Label Challenge erhältlich).
                                                                                                                                                                                                  Doch stehen diese aus dem Stegreif
                                                                                                                                                                                                  extemporierten Stücke immer neben
                                                                                                                                                                                                  werktreu interpretierten Schätzen der
                                                                                                                                                                                                  Tradition. Handelt es sich also bloß
                                                                                                                                                                                                  um ein schmückendes Ornament, eine
                                                                                                                                                                                                  Schleife im Knopfloch? Soll das Impro-
                                                                                                                                                                                                  visieren von Kunstliedern eine weitere
                                                                                                                                                                                                  Nische im Musikmarkt erschließen?

                                                                                                                                                                                                  Ja, das ist eine Nische. Noch. Aber
                                                                                                                                                                                                  ist es nicht genau das, was die Musik
                                                                                                                                                                                                  immer dann braucht, wenn sie sich
                                                                                                                                                                                                  neu entfalten will? Geschützt in einer
                                                                                                                                                                                                  Nische, konzentriert in einem intimen
                                                                                                                                                                                                  Rahmen, unter Freunden. In kleiner
                                                                                                                                                                                                  Runde, ergänzt durch eingestreute
                                                                                                                                                                                                  Improvisationen über Texte von
                                                                                                                                                                                                  Eichendorff, beginnt der bekannte
Foto: studio visuell

                                                                                                                                                                                                  Liederkreis op.39 von Robert Schumann,
                                                                                                                                                                                                  neu zu atmen. Wie die Stegreifgesänge
                                                                                                                                                                                                  und -präludien sich unaufgeregt
                                                                                                                                                                                                  zwischen die romantischen Klassiker
                                                                                                                                                                                                  gesellen; wie dieses feine Hin- und
                                                                                                                                                                                                  Wieder, das Aufeinander-Reagieren
                                                                                                                                                                                                  der beiden Künstler Richter und Gees
                       Wie sich einmal in der                                    Kein schlechter Auftakt für das Konzert                         Melancholie mitschwingt. Und wenn                mit dem Werk zu sprechen beginnt,
                       Heiliggeistkirche ein Daf,                                „In Thrakien“ im Rahmen des Heidelberger                        Sinopoulos allein auf der Kamancheh spielt,      ohne herbeizitierte Sinnschichten zu
                       ein Zarb und eine Kamancheh                               Frühling. Queyras hat das Publikum mit                          scheint er verlorenen Melodien nachzu-           strapazieren – das hat ritterliche
                       mit einem Violoncello trafen.                             Stroppas Kapriolen schnell am Haken. Doch                       horchen, ein einsamer Sänger, der über das       Demut und ist wahrlich bereichernd.
                                                                                 richtig thrakisch wird es erst, als sich die                    Leben nachdenkt.
                              von Silja Meyer-Zurwelle                           Schlagzeuger Bijan und Keyvan Chemirani
                                                                                 sowie der Streicher Sokratis Sinopoulos                         Bei der Percussion-Improvisation der beiden          „Die Zukunft der Musik
                       Tiefe Pizzicatotöne des Violoncellos                                                                                      Brüder erreicht die Stimmung ihren
                                                                                 zu ihm auf die Bühne gesellen. Sie haben
                                                                                                                                                 Siedepunkt: Die Finger werden zu
                                                                                                                                                                                                   liegt in der Improvisation.“
                       bahnen sich den Weg durch den hohen                       Instrumente dabei, die hierzulande wenig
                       Raum der Heiliggeistkirche und hallen                     bekannt sind, eine Daf und eine Zarb –                          Synchrontänzern, auf das virtuose Intro
                       nach. Jean-Guihen Queyras sitzt allein                                                                                    folgt ein Schlagabtausch erster Güte. Wenn       Eine „anverwandelnde Improvisation“
                                                                                 Trommeln mit Schellen beziehungswei-
                       auf der Bühne. „Ay, there’s the rub“                                                                                      sie über das Trommelfell oder den geriffelten    nennt Gees seine Vorgehensweise. Sie
                                                                                 se Fuß – sowie eine persische Kniegeige,
                       nennt der italienische Komponist                                                                                          Rahmen reiben und durch leichten Druck           ist ein Lichtblick in einer zunehmend nur
                                                                                 die Kamancheh. Zwischen den beiden
                       Marco Stroppa sein Werk für Cello                                                                                         die Tonhöhe verändern, erweist sich zudem        noch katalogisierenden Interpretations-
                                                                                 Streichern entwickelt sich in Ross Dalys                        die enorme klangliche Spannbreite dieses
                       solo. Und ja, da ist ganz viel Reibung.                                                                                                                                    kultur. Anna Lucia Richter und Michael
                                                                                 Stück „Karsilamas“ ein Frage-Antwort-                           eigentlich unscheinbaren Instruments.
                       Weniger beim auf dem Griffbrett                                                                                                                                            Gees nehmen uns heute in Heidelberg
                                                                                 Spiel, zu dem die Chemirani-Brüder auf
                       gestrichenen, seichten sul tasto, dafür                                                                                                                                    auf in eine wirklich gegenwärtige
                                                                                 ihren Schlaginstrumenten einen derartigen                       Dem Publikum schenken die vier Musiker
                       umso mehr beim aggressiven, am                                                                                                                                             Gemeinschaft zwischen Improvisation
                                                                                 Wirbel veranstalten, dass es einem den                          an diesem Abend pure Freude. Und sich
                       Steg gespielten sul ponticello: Der                                                                                                                                        und Interpretation – und mit auf den
                                                                                 Atem verschlägt.                                                selbst: immer neue Gespräche unter
                       Cellist kann die ganze Vielfalt seines                                                                                                                                     Ritt, der das Leben ist.
                                                                                                                                                 Freunden. Außerdem lösen sie ein, was der
                       Instrumentes zeigen, in einem Stück,                      Die Musiker sitzen im Kreis. Versunken in                       Titel des Konzerts „In Thrakien“ versprach:
                       das keine klare Spannungskurve                            Rhythmen und Klänge beschwören sie                              die Spurensuche nach einer reichen Musik-
                       enthält, aber trotzdem reichlich                          orientalische Bilder herauf. Ein Abend                          kultur, die sehr viel mehr zu bieten hat als       Das Konzert „extempore“ in der Alten Aula
                       Spannung erzeugt.                                                                                                                                                            der Universität Heidelberg beginnt um 16 Uhr.
                                                                                 unter Freunden, bei dem immer ein wenig                         nur exotische Instrumente.

                                 Impressum
                                 Das Journal ist eine Publikation der Musikjournalismus-Akademie des Heidelberger Frühling
                                 V.i.S.d.P.: Dr. Eleonore Büning Dozenten: Christiane Peitz, Christiane Peterlein, Thilo Braun, Malte Hemmerich, Christopher Warmuth, Jonas Zerweck
                                 Stipendiaten: Sophie Beha, Sebastian Herold, Simeon Holub, Jim Igor Kallenberg, Werner Kopfmüller, Roman Lüttin, Karl Ludwig, Silja Meyer-Zurwelle
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