Journal#4 Von fernen Tönen und Texten - Heidelberger Frühling
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14. April 2018 journal #4 Akademie für Musikjournalismus 2018 www.musik-journalismus.com Von fernen Tönen und Texten Die Schauspielerin Martina Gedeck spricht über ihr Lieblingslied von Robert Schumann und erklärt, wozu Musikkritik gut sein kann. von Silja Meyer-Zurwelle Foto: Kinowelt GmbH Martina Gedeck und Pascal Greggory als Clara und Robert Schumann: Der Film „Geliebte Clara“ von Helma Sanders-Brahms kam 2008 in die Kinos. Frau Gedeck, Sie haben die Rolle der Beim Heidelberger Frühling waren Sie mit Es geschieht immer häufiger, dass Wozu Musikkritik? Clara Schumann schon mehrfach einem „Schumanniade“-Programm auf Schauspieler und Musiker ein Konzert gespielt. 2008 im Film „Geliebte Clara“ der Bühne zu erleben. Haben Sie eine zusammen bestreiten. Inwiefern Ich finde, es reicht nicht, nur zu hören. Es und auf etlichen Konzertbühnen, in Lieblingskomposition von Schumann? beflügeln sich Töne und Texte? sollte immer auch einen gedanklichen klassischen Programmen. Was macht für Austausch geben über das, was Musik Sie den Reiz dieser historischen Figur aus? Ich mag seine Klavierwerke sehr, sehr gerne. Der Zauber der Musik eröffnet eine eigentlich ausmacht. Kritik kann darauf Ich liebe sein a-moll-Konzert, aber auch die Innenwelt und fügt der Sprache etwas aufmerksam machen, in welchem Sie war eine kraftvolle Frau, die in ihrem „Kinderszenen“. Zu meinen Lieblingsliedern hinzu, das eine besondere Ausdrucks- Zusammenhang die Musik steht, aus Leben viel zu bewältigen hatte. Sie war gehört „Du bist wie eine Blume“ aus kraft hat. Gleichzeitig kommen wir den welchem Zusammenhang heraus sie außerdem eine begnadete Künstlerin dem Liederkreis „Myrthen“. Ich mag die Komponisten und Künstlern aber auch komponiert wurde. Man erfährt mehr und ja auch Komponistin. Als sie dann Melancholie, die Lieder berühren einen tief. näher, wenn wir sie selber sprechen über Musiker und darüber, wie sich die mit Schumann zusammenkam, kam das lassen und erfahren, was sie bewegt Musikwelt entwickelt – auch deshalb Komponieren zu kurz, sie war nur noch als In welchen Situationen hören Sie hat. Von Clara und Robert Schumann ist Musikkritik enorm wichtig. Für uns Pianistin unterwegs. Trotzdem fasziniert eigentlich Klassik? wissen wir das sehr genau, denn sie Künstler sowieso. es mich, wie sie ihr Berufsleben gemeistert haben sich viele Briefe geschrieben hat und gleichzeitig für ihre große Familie Am liebsten im Konzertsaal und am aller- und Tagebuch geführt. Von diesen da war, allen voran ihrem Ehemann, dem liebsten, wenn ich selbst gemeinsam mit Dokumenten können wir bis heute sie immer zur Seite stand. Musikern auf der Bühne stehe. zehren. Die Fragen stellte Silja Meyer-Zurwelle. Mehr Kritiken, Interviews und Texte zu den Konzerten des Heidelberger Frühling auf der Webseite www.musik-journalismus.com
Akademie für Musikjournalismus 2018 14. April 2018 www.musik-journalismus.com Brücken Foto: bunchesandbit flickr.com Warum ich Probleme habe Die Verantwortlichen für solche Bildungshumanismus beweihräuchert mit Programmheften Publikationen verhandeln neben wird, es finden auch Konzerte in ästhetischen Inhalten immer häufiger Scheunen und auf Bahnhöfen statt. von Roman Lüttin auch Politisches. Darüber hinaus Doch deshalb darf der Dialog zwischen verantworten Dramaturgen die Planung, Kunst und Bildung nicht konstruiert Als Konzertgänger trete ich mit dem Produktion und Kommunikation. werden, schon gar nicht durch scheinbar Kauf eines Programmheftes in einen Nötig ist ein andauernder Spagat vom neunmalkluge Texte, wie dieser hier einer Aufspüren der Themen und Stoffe einer zu sein scheint. einseitigen Kommunikationsakt mit dem Konzertveranstalter, in den meisten Fällen mit dessen Dramaturgen. Ein reines Brahms-Programm der Staatskapelle Weimar im März 2018 gab Anlass für diesen Kommentar. In dem Heft heißt es: Spielzeit bis hin zur Entwicklung eines übergreifenden Sinnzusammenhangs der einzelnen Produktionen. Zwischen der Endprobenkritik und dem Einführungsvortrag steht auch die Die in öffentlicher Trägerschaft organisierten Theater- und Konzerthäuser in Deutschland haben sich noch vor einer weiteren Instanz zu verantworten: bauen! „Brahms kontrastiert, stellt zwei Welten Mitverantwortung für das Profil des der Politik. Die Debatte um das als eigenständigen instrumentalen Hauses, samt seinem Ensemble, samt der letztjährige Silvesterkonzert der Dresdner Entwurf einander gegenüber: die künstlerischen Arbeit auf der Agenda. Staatskapelle – ein Programm mit kompositorische, gleichsam abstrakte Unterhaltungsmusik aus den dreißiger Struktur des Kopfsatzes, die ihre Kraft Es gibt heute nicht mehr nur das und vierziger Jahren anlässlich des 100. aus der eigenen Konsequenz zieht, eine Publikum, es gibt mehrere. Geburtstags der UFA – hat gezeigt, wie und die warm atmende melodische Dementsprechend gibt es zunächst keine dringend notwendig eine Aufarbeitung Geschlossenheit im Finale.“ „richtige“ oder „falsche“ dramaturgische von Komponisten wie Theo Mackeben Arbeit. Die jüngsten Veränderungen oder Franz Grothe und deren Musik Das Heft scheint zunächst konservativ in der deutschen Theater- und immer noch ist. konzipiert und inhaltlich wenig Konzertlandschaft haben Einfluss auf die aussagekräftig. Die meisten Beiträge Voraussetzungen und Wirkungsweisen Nach dem Konzert der Staatskapelle – eine übliche Mischung aus zitierten einer erfolgreichen Dramaturgie. Das Weimar bleibt jedoch nur ein bitterer Briefwechseln, Solistenbiografie sowie perfekte Programmheft gibt es nicht! Marketingnachgeschmack haften, „denn Werkgeschichte und Pseudo-Analyse schließlich entsprechen Brahms’ feinsinnig – befassen sich mit dem Ringen um Es sollte Informationen enthalten, gestrickte Motivgeflechte bei zugleich die Form der ersten Symphonie von die nicht in meinem Konzertführer herrlich blühendem Klangstrom ganz dem Johannes Brahms und dessen Probleme stehen, es sollte Anreize bieten zum historisch gewachsenen Klangideal der in der Nachfolge Beethovens. Meine Selber-Weiter-Denken, zum Selber- Staatskapelle.“ Überraschung über den dürftigen Gehalt Besser-Hören, kurzum: die inhaltliche dieser Texte hält sich in Grenzen. Die Auseinandersetzung ankurbeln und den Das Arbeitsfeld von Dramaturgen scheint Tatsache jedoch, dass ich mir einen Bezug zur realen Welt herstellen. Zugleich nur unscharf umrissen, fachliche Flexibilität Großteil der vermittelten Informationen in sollte das Heft aber auch jene Gruppe ist das höchste Gut in dieser Branche. Sekundenschnelle selbst beschaffen kann, der Konzertgänger bedienen, die eben Wie können Theater, Konzerthäuser und verwundert mich. Ist denn der einzige keinen Konzertführer zuhause im Regal Festivals es zukünftig besser schaffen als Sinn und Zweck eines Programmheftes stehen haben, die nicht mit klassischer bisher, mit ihren Programmheften eine die Konservierung der eindimensionalen Musik sozialisiert sind. Diesen Balanceakt Brücke zum Publikum zu bauen, die zu Musikgeschichtsschreibung? Letztlich zu meistern, verlangt Handwerk, echten Diskussionen um die Sache führt, wäre die Aufgabe solcher Texte als Bodenständigkeit, aber auch Fantasie was mehr ist als nur Zustimmung und klassische Dienstleistung zu erklären. und Raffinesse, schließlich sollen diese Applaus? Antworten darauf sind dringend Schaufelt sich also die vormalige Texte vor allen Dingen Brücken bauen gesucht, nicht nur beim nächsten Bildungsinstitution Konzert ihr eigenes zwischen der Musik, den Musikern und Symphoniekonzert in Weimar, auch, Grab auf dem selbstreferenziellen dem Publikum. Das Konzert ist heute zum Beispiel, im neuen Bildungsplan der Programmheftfriedhof? kein Tempel mehr, in dem der bürgerliche Großen Koalition. Mehr Kritiken, Interviews und Texte zu den Konzerten des Heidelberger Frühling auf der Webseite www.musik-journalismus.com
Akademie für Musikjournalismus 2018 14. April 2018 www.musik-journalismus.com JEDER singt für sich ALLEIN Die Lied-Akademie ist eine der letzten Inseln der Seligen. Ginge es mit rechten Dingen zu, müsste so ein Konzert als erstes ausverkauft sein. von Simeon Holub Es ist vorbei. „Wissen Sie, wie ich das nenne? Triumphgemüse!“ - Bariton Thomas Foto: studio visuell Korngolds Shakespeare-Vertonung „Come Away“wird von German E. Alcántara Hampson, Leiter der Lied-Akademie beim Heidelberger Frühling erntet damit fast schon opernartig umgesetzt, seine voluminöse Stimme wäre bei Don beim Publikum schallendes Gelächter. Gemeint sind die Blumensträuße in den Giovanni sicher nicht fehl am Platz. Dann wird es, nach der spanischen Händen der fünfzehn jungen Sänger und Pianisten, die sich nach Tagen voller „Romanza de la Luna, Luna“ von Miguel Ortega, französisch, mit einem Proben und Diskussionen, Mittagsrecitals und Open Classes sichtlich erleichtert marschartigen „Adieux de l’hôtesse arabe“ von Georges Bizet, und in Reynaldo zum letzten Mal auf der Bühne der Stadthalle versammelt haben. Hahns „À Chloris“ sind die Anklänge an Bachs Air unüberhörbar, Adèle Charvet und ihr Pianist Ammiel Bushakevitz performen perfekt zusammen, musikalisch, Das Programm des Abschlusskonzerts hatte die ganze Bandbreite der Gattung optisch, lockentechnisch. Schließlich wandelt sich die weite Stadthalle zum Lied präsentiert, von Franz Schubert bis Francis Poulenc. Mit „Im Frühling“ D.882 ging es los. Seufzend beklagte Theresa Pilsl „die Lieb’ und ach, das Leid“, intimen Kämmerchen. Wir kommen der Welt abhanden. Daniel Gerzenbergs feinsinnig ausgestaltetes Klavierspiel sorgte für dramatische Spannung zwischen „Will’ und Wahn“. Der jüngste Stipendiat der Akademie, Contra-Altistin Jessica Dandy schweift in Gustav Mahlers Rückertvertonung aus Johannes Leander Maas, übernahm dann in der Ballade vom „Erlkönig“ gleich warmer Tiefe in zarte Höhe und mischt Kopf- und Brustregister, als sei dies das drei Rollen: Vater, Sohn und unheiliger Geist. Dieser baritonal gefärbte Tenor Natürlichste von der Welt, und mit seinem sensiblen Spiel öffnet ihr versteht es so sprechend, aber doch sanglich fließend sein Timbre zu variieren, Klavierpartner Harry Rylance einen Klangweltraum, in der sich diese faszinierende dass man, schließt man die Augen, fast drei verschiedene Sänger vor sich sieht. Stimme schier körperlos entfalten kann: „Ich leb’ allein in meinem Himmel, in Mezzosopranistin Ema Nikolovska singt mit klarer, gut geführter Stimme meinem Lieben, in meinem Lied.“ Wohl niemand im nicht ganz voll besetzten Schumanns „Röselein“, sie trägt sicher nicht zufällig ein rosenverziertes Kleid. Saal, der davon nicht berührt wird. Man könnte die berühmte Stecknadel Die charmanten roten Socken des Liedbegleiters Toni Ming Geiger leuchten mit fallen hören. Ginge es mit rechten Dingen zu, sagt Hampson in seiner Erich Wolfgang Korngolds gewagten Akkordrückungen um die Wette. Dankesrede, dann müssten Konzerte wie dieses als erste ausverkauft sein. Neue Blüten, Blatt für Blatt Mark Padmore und das Wiener weltweit erste psychiatrische Anstalt, das Das geht hörbar bis an die Grenzen der Läufe nüchtern auf und ab perlen, auch bei Musiktrio mit Liedern von Bethlem Royal Hospital in London, ge- stimmlichen Möglichkeiten, und es erfordert zunehmend düsterer Atmosphäre. Der gründet im dreizehnten Jahrhundert, kurz viel Mut von dem Sänger, der damit auch Geiger David McCaroll vibriert steil und Schmerz und Wahnsinn „Bedlam“ genannt. Der Text aus dem frühen seine Mitspieler ansteckt. Phantastisch eng, der Cellist Gredler spannt allzu sanfte von Sophie Beha siebzehntenJahrhundert springt zwischen einer abwechslungsreich und lautmalerisch ist die Bögen aus, oft verlieren die Phrasen an auktorialen Perspektive und der Sichtweise Musik, die das Wiener Klaviertrio beisteuert, ihr Spannung. Und wenn es plötzlich laut Einer für alle, alle für einen! Dieser Schlachtruf des Kranken hin und her. In der ersten wird viel Raum und Zeit eingeräumt neben wird, verleiht das den Akkorden einen gilt irrtümlich für Dreierkonstellationen, Strophe wird Tom von Hexen und bösen den blitzkurzen Gedichten. Akkorde winden abschließenden Charakter, obwohl die jedenfalls seit Alexandre Dumas. Aber Geistern verflucht. Er verarmt, er wird sich um die von Padmore ausgehaltenen Musik doch eigentlich weitergehen will. eigentlich war Held d’Artagnan mit seinen verrückt, er beschwört die schützende Liegetöne. Bögen knarzen, Schrauben- drei Musketierfreunden am Ende doch zu Padmore, seinerseits, hat ebenfalls etwas Wirkung von Astrologie-Büchern herauf. ziehergriffe streichen über die Saiten des viert, und das gilt auch für den Tenor Mark von Schubert mitgebracht, zwischen Bennett Mark Padmore gestaltet seinen Part, je Flügels, Glissandi kreischen. Und es erklingen Padmore, als er mit dem Wiener Klaviertrio und Larcher singt er fünf von dessen nachdem, welchen Standpunkt das lyrische gebrochene C-Dur-Dreiklänge, die sofort auftritt beim Heidelberger Frühling. Liedern – aber auch er hat seine helle Ich einnimmt, mal lieblich und weich, mal an Naturtöne erinnern. So wächst der expressiv und martialisch, und Gredler Klang und entfaltet Blatt für Blatt, mit Tongebung diesmal nicht ganz unter An diesem Abend in der Alten Aula wird Kontrolle, besonders schade ist es um begleitet mit vibrierenden Dissonanzen. jeder harmonischen Wendung, eine Blüte: nicht gezimpert. Mit Wucht und im die letzte Zeile von „Auf dem Strom“. So wunderbar. Fortissimo beginnt das Konzert. Padmore Die Wandelbarkeit dieses Sängers, seine kommt also die neue Musik an diesem trägt, gemeinsam mit dem Cellisten bis ins kleinste Detail gut geführte Stimme Franz Schuberts spätes Es-Dur-Trio D 929, Abend ganz besonders gut weg. Höhen Matthias Gredler, die Geschichte vom und klar fokussierte Aussprache kommt nach der Pause, hat nicht so viel Glück bei den und Tiefen hat dieses Live-Konzert mit armen Tom O’Bedlam vor, in einer erst recht in Thomas Larchers „A Padmore Interpreten. Als „handelnd, männlich, tollen Kompositionen und polarisierenden Komposition von Sir Richard Rodney Cycle“ nach Texten von Hans Aschenwald dramatisch“ hatte Robert Schumann Interpretationen, Lärm und Lyrik. Wer Bennett. Das Lied, entstanden 1961 und zur Geltung, diese Lieder wurden ihm dieses Werk einst beschrieben. Das Wiener nicht wagt, der nicht gewinnt. Peter Pears gewidmet, trägt noch hör- schließlich direkt auf den Leib komponiert. Klaviertrio spart sich die Dramatik, bar Spuren des Unterrichts, den der Padmore flüstert, er schreit, manchmal wird die trotz stark ausgespielter Kontraste Eine Werkbetrachtung zum „Padmore-Cycle“ junge Bennett in Paris bei Pierre Boulez Melodielinie so dünn, als ob die Luft durch agiert es eher routiniert. Stefan Mendl von Thomas Larcher ist auf der Webseite www.musik-journalismus.com nachzulesen. genommen hatte. Es erinnert an die einen Strohhalm hindurchpassen müsste. am Klavier lässt die chromatischen Mehr Kritiken, Interviews und Texte zu den Konzerten des Heidelberger Frühling auf der Webseite www.musik-journalismus.com
Akademie für Musikjournalismus 2018 14. April 2018 www.musik-journalismus.com Bilder aus dem Steg-Reif Darf man Kunstlieder Osten improvisieren? von Karl Ludwig Ein Ritter, der es eilig hat, der handelt aus dem Stegreif. Er steigt gar nicht erst herab von seinem hohen Ross, sondern erledigt seinen Dienst en passant im Steigbügel (i.e. Steg-Reif). Er improvisiert, ohne sich von den Ritualen eines Duells aufhalten zu lassen. Der Pianist Michael Gees hat sich längst einen Ruf erworben als bewährter und erfahrener Ritter auf dem Gelände der Stegreifimprovisation. Nicht nur als Solist ist er unterwegs. Er schart Waffengefährten um sich, mit denen er gemeinsam improvisiert, beispielsweise auf dem Album „Bach-Mendelssohn-Metamorphosis“, oder auch Waffengefährtinnen (im Liedduo mit Anna Lucia Richter) oder im Trio („Secret Keymasters“ – alle CDs beim Label Challenge erhältlich). Doch stehen diese aus dem Stegreif extemporierten Stücke immer neben werktreu interpretierten Schätzen der Tradition. Handelt es sich also bloß um ein schmückendes Ornament, eine Schleife im Knopfloch? Soll das Impro- visieren von Kunstliedern eine weitere Nische im Musikmarkt erschließen? Ja, das ist eine Nische. Noch. Aber ist es nicht genau das, was die Musik immer dann braucht, wenn sie sich neu entfalten will? Geschützt in einer Nische, konzentriert in einem intimen Rahmen, unter Freunden. In kleiner Runde, ergänzt durch eingestreute Improvisationen über Texte von Eichendorff, beginnt der bekannte Foto: studio visuell Liederkreis op.39 von Robert Schumann, neu zu atmen. Wie die Stegreifgesänge und -präludien sich unaufgeregt zwischen die romantischen Klassiker gesellen; wie dieses feine Hin- und Wieder, das Aufeinander-Reagieren der beiden Künstler Richter und Gees Wie sich einmal in der Kein schlechter Auftakt für das Konzert Melancholie mitschwingt. Und wenn mit dem Werk zu sprechen beginnt, Heiliggeistkirche ein Daf, „In Thrakien“ im Rahmen des Heidelberger Sinopoulos allein auf der Kamancheh spielt, ohne herbeizitierte Sinnschichten zu ein Zarb und eine Kamancheh Frühling. Queyras hat das Publikum mit scheint er verlorenen Melodien nachzu- strapazieren – das hat ritterliche mit einem Violoncello trafen. Stroppas Kapriolen schnell am Haken. Doch horchen, ein einsamer Sänger, der über das Demut und ist wahrlich bereichernd. richtig thrakisch wird es erst, als sich die Leben nachdenkt. von Silja Meyer-Zurwelle Schlagzeuger Bijan und Keyvan Chemirani sowie der Streicher Sokratis Sinopoulos Bei der Percussion-Improvisation der beiden „Die Zukunft der Musik Tiefe Pizzicatotöne des Violoncellos Brüder erreicht die Stimmung ihren zu ihm auf die Bühne gesellen. Sie haben Siedepunkt: Die Finger werden zu liegt in der Improvisation.“ bahnen sich den Weg durch den hohen Instrumente dabei, die hierzulande wenig Raum der Heiliggeistkirche und hallen bekannt sind, eine Daf und eine Zarb – Synchrontänzern, auf das virtuose Intro nach. Jean-Guihen Queyras sitzt allein folgt ein Schlagabtausch erster Güte. Wenn Eine „anverwandelnde Improvisation“ Trommeln mit Schellen beziehungswei- auf der Bühne. „Ay, there’s the rub“ sie über das Trommelfell oder den geriffelten nennt Gees seine Vorgehensweise. Sie se Fuß – sowie eine persische Kniegeige, nennt der italienische Komponist Rahmen reiben und durch leichten Druck ist ein Lichtblick in einer zunehmend nur die Kamancheh. Zwischen den beiden Marco Stroppa sein Werk für Cello die Tonhöhe verändern, erweist sich zudem noch katalogisierenden Interpretations- Streichern entwickelt sich in Ross Dalys die enorme klangliche Spannbreite dieses solo. Und ja, da ist ganz viel Reibung. kultur. Anna Lucia Richter und Michael Stück „Karsilamas“ ein Frage-Antwort- eigentlich unscheinbaren Instruments. Weniger beim auf dem Griffbrett Gees nehmen uns heute in Heidelberg Spiel, zu dem die Chemirani-Brüder auf gestrichenen, seichten sul tasto, dafür auf in eine wirklich gegenwärtige ihren Schlaginstrumenten einen derartigen Dem Publikum schenken die vier Musiker umso mehr beim aggressiven, am Gemeinschaft zwischen Improvisation Wirbel veranstalten, dass es einem den an diesem Abend pure Freude. Und sich Steg gespielten sul ponticello: Der und Interpretation – und mit auf den Atem verschlägt. selbst: immer neue Gespräche unter Cellist kann die ganze Vielfalt seines Ritt, der das Leben ist. Freunden. Außerdem lösen sie ein, was der Instrumentes zeigen, in einem Stück, Die Musiker sitzen im Kreis. Versunken in Titel des Konzerts „In Thrakien“ versprach: das keine klare Spannungskurve Rhythmen und Klänge beschwören sie die Spurensuche nach einer reichen Musik- enthält, aber trotzdem reichlich orientalische Bilder herauf. Ein Abend kultur, die sehr viel mehr zu bieten hat als Das Konzert „extempore“ in der Alten Aula Spannung erzeugt. der Universität Heidelberg beginnt um 16 Uhr. unter Freunden, bei dem immer ein wenig nur exotische Instrumente. Impressum Das Journal ist eine Publikation der Musikjournalismus-Akademie des Heidelberger Frühling V.i.S.d.P.: Dr. Eleonore Büning Dozenten: Christiane Peitz, Christiane Peterlein, Thilo Braun, Malte Hemmerich, Christopher Warmuth, Jonas Zerweck Stipendiaten: Sophie Beha, Sebastian Herold, Simeon Holub, Jim Igor Kallenberg, Werner Kopfmüller, Roman Lüttin, Karl Ludwig, Silja Meyer-Zurwelle
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