Jugend schreibt Biefefeld 2019/2020 - Helmholtz-Gymnasium Bielefeld
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Arbeitsgruppe „Jugend schreibt“ in Zusammenarbeit mit der Literaturzeitschrift „Tentakel“ Helmholtz-Gymnasium, Ravensberger Str. 131, 33607 Bielefeld Layout: Bernd Ackehurst Jugend schreibt 2019/2020
INHALTSVERZEICHNIS VORWORT Texte ausgewählt hat. Die Jury muss seit die- sem Jahr leider auf ein von allen Seiten sehr ge- Schon wieder ist ein (Schul)Jahr vergangen. schätztes Mitglied, Frau Jutta Stüber, verzich- 8 KATEGORIE: LYRIK Ein Jahr voller Veränderungen, Einschränkun- ten, die völlig unerwartet verstorben ist. Wir gen, surrealer Erfahrungen. Ein Jahr, das in die möchten uns bei Herrn Siekmann herzlich für 8 Sofia Heitkamp, Der Wind Geschichte eingehen wird, als Beginn einer das Verfassen des Nachrufs bedanken, der in 8 Sofia Heitkamp, Der Mond „neuen Normalität“, deren Helden zuhause diesem Heft abgedruckt ist. 8 Lioba Fritzen, Meine Musik auf dem Sofa oder vor dem Computer sitzen. 8 Jule Räder, Zeit zu gehen Die ihre Unerschrockenheit und Tapferkeit Finanzielle Unterstützung für den Druck der 10 Zerline Clara Probst, Fort im täglichen Widerstreit unterschiedlichster Anthologie und die Durchführung der Work- Herausforderungen aus Homeoffice, Kinder- shops, die wie so Vieles in diesem Jahr auf 2 KATEGORIE: WAHN-SINNIG betreuung oder Fernunterricht beweisen. Die einen späteren Zeitpunkt verschoben werden ihren Edelmut dadurch zeigen, dass sie die müssen, bekommen wir auch in diesem Jahr 12 Lea Grotehans, Ich bin Torsten letzte Packung Toilettenpapier oder Nudeln im dankenswerter Weise von der Sparkasse Bie- 12 Julia Wilhelm, Ein Tag mit meiner Schwester leeren Supermarktregal liegen lassen, statt sie lefeld. Vielen Dank an den Sponsor, der diesen 15 Mia Lilly Stührenberg, Schauriges Halloween zuhause zu stapeln. Wettbewerb erst möglich macht. 19 Alexa Kitzelmann, Ich bin wahnsinnig Eine Normalität, die bisweilen „wahn-sinnig“ 20 Franka Janssen, Aber es ist die Wahrheit machen kann. Ein weiteres großes Dankeschön geht an die So fügen sich die Themen des diesjährigen 42. jungen Autorinnen und Autoren, die uns jedes Jugend-schreibt-Wettbewerbs, die noch in der Jahr wieder ihr Vertrauen schenken und ihre 24 KATEGORIE: 13 „alten Normalität“ entstanden sind, schließlich Texte einsenden (in diesem Jahr erneut 60 Bei- doch sehr gut in die „neue Normalität“, die mit träge). 24 Julia Wilhelm, Bitte lies mich! dem Lockdown vor (Stand jetzt) genau „13“ 26 Bengin Korkmaz, Dreizehn Jahre Wochen begonnen und viele Menschen auch Wir hoffen sehr, dass sich viele Leser*innen 27 Nele Giselle Pach, 13 Lampen zum Schreiben sog. „Corona-Lyrik“ animiert durch diese Sammlung ermutigt fühlen und 32 Ida Klüter, 13 Jahre hat. im nächsten Jahr Lust und Mut haben, am 43. Wettbewerb „Jugend schreibt“ teilzunehmen. Die Teilnehmer*Innen und Preisträger*Innen Denn dieser wird auch in der „neuen Normali- des diesjährigen Jugend-schreibt-Wettbewerbs tät“ fortbestehen. mussten jedoch nicht erst durch ein Virus zum Schreiben motiviert werden, sie haben sich Die in diesem Heft abgedruckten Bilder wur- bereits einige Zeit vor dem Ausbruch der Pan- den von der Jahrgangsstufe 7 im Kunstunter- Juroren: demie daran gesetzt, ihre Gedanken, Gefühle richt von Herrn Lindemann gestaltet. Kathrin Bödding und Ideen zu den oben genannten Themen Peter Bornhöft zu Papier zu bringen. Herausgekommen sind Mit besten Grüßen, Matthias Bronisch dabei erneut einige fantasiereiche, bewegende Maren Bruns und Jennifer Pieper Ralf Burnicki oder witzige Erzählungen und Gedichte, aus Anja Debrow denen die Jury unter Berücksichtigung der KATEGORIE: AUFBRUCH Ulla Linnemann Altersstufen wieder die in ihren Augen besten Julia Ovesiek Dr. Andreas Siekmann 4 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 5
NACHRUF AUF JUTTA STÜBER (1956-2019) Freudige Überraschung war es, die unsere Wiederbegegnung erfüllte, nachdem wir uns mehrere Jahre nicht gesehen hatten. Überraschung insofern, als wir uns aus ganz anderen Zusammenhängen kannten: Sie als Lehrerkollegin, ich als Kollege und Schulleiter, an dessen Schule sie tätig war. Freudig inso- fern, als uns von Beginn an nicht nur durch das nahezu gleiche Lebensalter eine tiefe Sym- pathie verband. Was ein Nachruf nicht geben kann, war Frau betraf. Unglaublich ausdifferenzierte, indivi- Stübers eigentliche Domäne: das persönliche duelle Kommentare zu Klausuren gehörten Gespräch. Sie führte es und beteiligte sich an hierzu genauso wie ungezählte Stunden als ihm offen, wach, setzte Impulse gleicherma- psychosoziale Beratungslehrererin, ein Amt, ßen, wie sie sie auch empfing und aufnahm, das sie nach Beurlaubung des zuvor zuständi- konnte in Gesprächen ernst wie humorvoll – gen Kollegen mehr als ausfüllte. ja, sogar lustig sein. Nachdem sie unsere Schule wegen des fehlen- Obwohl sie aus privaten Gründen in der Schu- den Stundenkontingents verlassen musste, traf le keine dauerhafte Anstellung bekam, reichte ich sie ihr Engagement weit über den Lehreralltag hi- zwei Jahre später in der Jury des „Jugend naus, vor allem, wenn es direkt „ihre“ Schüler schreibt-Wettbewerbs“ wieder, wo sie sich in einem ganz anderen Gebiet, aber mit ähnlich großem Engagement einsetzte. Insbesondere bei den Jugendlichen in den von ihr geleiteten Workshops hinterließ sie Spuren: literarisch kritisch, aber nie verletzend. Aufgrund ihres völlig überraschenden Todes am 1. August 2019 fühlen wir die Lücke, die Jutta Stüber in unserer Jury hinterlässt, um so deutlicher. Andreas Siekmann 6 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 7
Kategorie: Lyrik Manchmal tanz´ ich mir auch die Füße weg, Das auch mit mir Ich erinnere mich an das Kuscheln bei guter Laune bis zum letzten Track. Und das Lachen Sofia Heitkamp (2008) Am besten kann ich mich mit Leuten faszinie- Doch ich wollte dich nie verlieren An die schlechten Witze ren, Ich wollte nur bei dir sein Und das Albern sein DER WIND wenn sie zusammen mit mir fröhlich musizie- Dir in die Augen schauen Alles das was mir wichtig war ren. Doch jetzt bin ich allein Du Ein warmer Wind weht übers Feld Das ist, wo ich die beste Laune bei krieg´. Weil du gegangen bist Du bist jetzt fort und klingt wie eine Melodie Du machst mir Mut: Meine Musik! Weil du fortgingst Ohne ein Wort Es ist vollkommen und versonnen Weil du nicht warten konntest Und ich bin allein so wundervoll war es noch nie Ob ich lach´ oder wein´, Du bliebst einfach nicht stehen Ohne dich muss ich jetzt sein mit dir ist niemand allein. Du gingst weiter Die Blätter die im Winde wehen Ohne Worte kannst du alles sagen. Ohne dich umzudrehen Manchmal da fühle ich mich Die Bäume die dort schützend stehen Ob ich sing´ oder tanz´, Im Stich gelassen Übers Land die Wolken fliegen am schönsten in deinem Glanz. Ohne einen Blick über die Schulter Ich würde dich gerne dafür hassen Auf dem Grase Blumen liegen Alle Farben kannst du heute tragen. Ohne ein Tschüss oder Goodbye Doch es geht nicht Ob dunkel, ob hell, Bist du einfach dran vorbei Denn ich liebe dich ob langsam, ob schnell. Nicht nur an mir Für das was du warst Sofia Heitkamp (2008) Bist wunderschön, auch wenn man dich nicht Auch an allem anderen Und auch für das DER MOND sieht. Vorüber, vorbei Was du jetzt auch immer sein magst Ob mit tieferen Bässen, Du hast einen Platz in meinem Herzen Der Mond scheint auf die Erde auf Konzerten und Messen. Zu den vergangenen Geschichten Einen Logenplatz Und erhellt die dunkle Nacht Für jeden hast du das schönste Lied! Bist du gegangen Fast ganz hinten Die Dunkelheit wird hell Zu den höheren Mächten In der Mitte Mit der Mondscheinmacht Zu Musik kann man tanzen, Dem Himmel Ja, der beste Platz ist für dich bei Bässen und bei Romanzen. Oder vielleicht doch der Hölle? Weil verdammt Ein heller Strahl fällt auf das Feld Man kann sie hör´n und alles tun, Ich werde dich nie wiedersehen Ich liebe dich Und taucht das Land in helles Licht manch einer mag es sich auszuruh´n. Nicht in dieser Gestalt Wie verzaubert sieht es aus Man kann auch selber musizieren, Und nicht in diesem Leben Und auch deswegen Und die Dunkelheit, die schafft dies nicht. oder Musik dirigieren, Werde ich dich nie vergessen Lieder selber komponieren, Ich werde dich vermissen Du bist nicht wie eine Kerze oder Musik sogar studieren… Auf immer und ewig Die abbrennt Und so geht´s immer weiter Auf all meinen Wegen Und dann entsorgt wird Lioba Fritzen (2004) auf der großen Tonleiter… Werde ich dich missen Du bist nicht wie Schnee Siehst du es nicht? Ich flieg´! Und dich nie wieder Der in der Sonne schmilzt MEINE MUSIK Mit dir: Meine Musik! Auf gar keinen Fall Und zu Wasser wird Werde ich vergessen Um dann einzusickern Wenn ich dich höre kriege ich Gänsehaut. Wer du warst Und zu gehen War oft verzweifelt – Du hast mich aufgebaut. Jule Räder (2003) Denn du bist mir wichtig Nein Viele tolle Momente habe ich dir zu verdan- Ob du nun wirklich da bist Du bist besser ken. ZEIT ZU GEHEN Oder doch nur ein Teil von dir Denn du bist solange geblieben Du brachtest mich auf andere Gedanken. geblieben ist Wie du nur konntest Nur ein Lied – und schon geht´s mir besser. Ich hab dir nie gesagt Du hast solange gewartet Für mich bist du wie ein Sorgenfresser. Wie wichtig du mir warst Ich trage dich in meinem Herzen Wie es dir möglich war Und egal wie nah ich schon dem Boden lieg, Ich hatte keine Zeit Wenn auch manchmal mit Schmerzen Doch jetzt Du ziehst mich hoch: Meine Musik! Sie flog vorbei Denke ich an dich Jetzt bin ich allein Ich konnte dich nicht retten Und an unsere Zeit Jetzt muss ich ohne dich sein Wenn ich dich höre, sing´ ich gerne mit. Vor diesem Geschehen So eine wundervolle und lustige Bei kleinen Liedern und beim größten Hit. Irgendwann passiert Freudige und gemeinsame Zeit Doch ich darf nicht böse auf dich sein 8 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 9
Denn es ist nicht deine Schuld Zu deinem Grab zu gehen Ich weiß nicht Und vor dir zu stehen Ob du gehen wolltest Die Schrift zu lesen Oder ob du einfach nur stehen wolltest Ohne rennen zu wollen Ich weiß nicht Und zu realisieren Wie es dir am Ende erging Das war alles kein schlimmer Traum Oder wie es zu Ende ging Ich weiß nur Jetzt hab ich dich verloren Dass du gingst Ich kann nicht mehr bei dir sein Ohne mich Dir nicht in die Augen schauen Und für mich viel zu früh Ich bin jetzt wirklich allein Doch du sagtest immer: Doch ich denk an dich „Mach dir keine Sorgen. Die ganze Zeit Was du heute kannst besorgen, So holt mich auch nicht das verschiebe entspannt auf morgen.“ Die Einsamkeit Du wolltest, dass ich bleibe Doch als ich blieb Letztendlich hab ich dir nie gesagt Gingst du Wie wichtig du mir warst Und als ich dann auch ging Ich hatte keine Zeit Warst du schon weg Sie flog vorbei Ja Du warst schon weg Zerline Clara Probst (2001) Ich kam zu spät Und du kommst nicht zurück FORT Nie wieder Es schaudert mir vor deiner Gestalt Einfach kein Wiedersehen Denn wo einst Vögel vermochten zu singen Auch wenn ich geh Wagt nun keine Blume mehr zu blüh‘n Und dir folge Dort will kein Baum mehr Wurzeln schlagen Ich konnte dir nicht Tschüss sagen Dort im Land, wo kühle Winde weh’n Konnte dir nicht sagen Führ mich fort, nur fort Wie sehr ich dich liebe An jenen Ort Wie wichtig du mir bist Den ich so sehr ersehne mir Und das ich dich vermiss Nach dem mein Geist verlangt Der gefangen ist im Jetzt und Hier An dem kein Graus, kein Spuk Die Vögel stört Als du gingst An dem die Wolken gleiten War ich traurig Dort, wo man Blumen blühen hört. Trauer erfüllte mich Ich weiß auch nicht Ich fühlte mich leer So unfassbar leer Wie schon lange nicht mehr Doch ich trau mich nicht Ich trau mich nicht Dich besuchen zu gehen 10 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 11
Kategorie: wahn-sinnig Aber meistens kam nur ein „Ist das jetzt wirk- greife nach meinem Handy. Eine Notiz und so zu tun, als habe er das nicht gehört. Ich kann lich dein Ernst?“ oder „Siehst du das nicht?! einige Nachrichten ploppen auf. Die Notiz nicht anders und muss losprusten. Für solche Lea Grotehans (2008) Hör auf jeden zu nerven mit deinen Albereien wische ich weg und konzentriere mich auf die unnötigen, vollkommen impulsiven Kommen- und sei wieder normal“. Unter anderem auch Nachrichten. Meine Eltern teilen mir mit, dass tare liebe ich meine Schwester. ICH BIN TORSTEN von Sabine und als sie das gesagt hat, blieb mir sie heute Abend zurück kommen werden. Sie Jetzt stehen wir vor einer großen, geöffneten der Mund offen stehen. Ich hab sie noch nie fuhren für eine Woche zu meiner Oma nach Holztür. Davor hängt ein Plakat: Bilder von Hallo, so etwas zu mir sagen hören. Nun fing auch Berlin. Ich durfte wegen der Schule natürlich Louis Wain- Verfolgen Sie die Entwicklung mein Name ist Torsten und ich möchte dir ich an zu weinen denn ich war jetzt wirklich nicht mitkommen. Die anderen beiden Nach- seiner Motive von 1907 bis 1939. gerne etwas erzählen. Es bedrückt mich schon am Boden zerstört. Ich meine, ich enttäusche richten sind von meiner Freundin Leo. Sie will Die gesamte Ausstellung besteht aus jeder etwas länger und da meine Mama mir immer alle, niemand mag mich mehr – nicht mal mehr wissen, ob sie mich heute ins Museum beglei- Menge Katzenbilder. Louis Wain hatte wohl gesagt hat, ich solle mit jemandem darüber meine beste Freundin Sabine, man muss wahr- ten soll. Bereits seit drei Tagen hat eine neue eine stark ausgeprägte Vorliebe für diese Tie- reden, wenn es mir nicht gut geht, tu ich das scheinlich nur an mich denken und hat direkt Ausstellung in unserem Kunstmuseum eröff- re. Es sind die verschiedensten Motive dabei. jetzt. Bitte höre mir zu! Es geht mir schon seit schlechte Laune so, wie sich hier alle beneh- net, die ich unbedingt sehen will. Ich verneine, Vor einem Bild bleibe ich etwas länger stehen. etwas längerem nicht so gut. Früher war ich men. Und gestern ist auch noch mein kleiner weil ich bereits weiß, mit wem ich sie besichti- Es ist ein Gewirr aus den verschiedensten immer glücklich, habe andere auch glücklich Hase Mr. Grumble erkrankt. (Die Chancen gen möchte. Plötzlich klopft es an der Tür. Na Mustern und Farben. „Ich versuche wirklich gemacht mit dem, was ich mache und mein stehen sehr schlecht für ihn… Ich hoffe es geht wenn man vom Teufel spricht. „Tess!“, lache ich es zu entziffern…“, flüstere ich, den Blick im- Leben war bis heute auch eigentlich unbe- ihm bald besser) Ich bekomme echt nichts und öffne die Tür um meine Schwester rein- mer noch auf dieses künstlerische „Meister- schwert…aber seit ein paar Tagen, Wochen mehr auf die Reihe. Vorhin war auch noch zulassen, die mich, sobald sie über die Tür- werk“ gerichtet. „Elena, es kann doch nur ne werde ich nicht mehr angelacht und mir wer- mein bester Freund Sebastian bei mir, weil er schwelle getreten ist, fröhlich umarmt. Sie ist verdammte Katze sein!“, ruft Tess mir zu, die den keine Witze mehr erzählt, wenn man mit gemerkt hat, dass etwas nicht mit mir stimmt. mindestens genauso aufgeregt wie ich, die neue gerade dabei ist, sich ein anderes Werk anzu- mir redet, dann nur noch schreiend oder mit Sebastian ist Elektriker. Er ist wie ich und wir Ausstellung heute zu besichtigen. „Du erstickst schauen. „Mann dieser komische Louis kann Tränen und Enttäuschung in den Augen. Als verstehen uns wie Pech und Schwefel! Sebasti- mich fast mit deinen Locken!“, lache ich in ihr bestimmt einfach nichts anderes malen!“, be- ich noch kleiner war, dachte ich immer, dass an hat mir gesagt, ich solle nicht so viel auf an- Haar hinein. Meine Schwester ist ein bisschen schwert sie sich lauthals. Ich muss kichern. Sie meine beste Freundin Sabine gerade am Ko- dere hören, sondern mehr auf mein Bauchge- kleiner als ich, hat aber die krausesten Haare, hat bestimmt mehr als diese bunten Katzen- chen ist, irgendwo Zwiebeln aufgestellt hat und fühl und mein Herz. Vielleicht hat er ja recht. die ich je gesehen habe. Wenn ich an sie den- bilder erwartet. Und ich ehrlich gesagt auch. deshalb weint. (Sie hat mir mal gesagt, dass sie Doch so sehr er mich auch mag, auch er sagte ken muss, sind ihre pechschwarzen Locken ihr Schnell gehe ich zu ihr herüber und mache sie davon weinen muss. Ich finde das komisch, bei „Ich glaube du hast eine Schraube locker!“ Ich Hauptmerkmal. mahnend darauf aufmerksam, dass die Leute mir ist das nicht so. Aber ich bin froh darüber. wollte gerade fragen, was er damit meint, doch Nach dem Frühstück steigen wir in den Bus uns alle schon anstarren würden. „Ach das Ich hätte keine Lust so oft heulen zu müssen) ehe ich mich versah, öffnete er mich und ver- und freuen uns auf den Besuch im Kunstmu- juckt doch eh keinen! Wir sind ja hier nich Doch als Sabine dann auch anfing, mich anzu- stellte meinen Timer, da er immer fünf Minu- seum. inner Schule!“. Dieses Verhalten ist so typisch schreien, wusste ich, dass es an mir und nicht ten länger ging, als er eigentlich sollte. Mir war Es gibt nur eine kurze Schlange an der Kasse Tessa. „Ganz ehrlich, ich hab kein Bock auf an Zwiebeln liegen muss. Die nächste Zeit immer alles verbrannt und das machte meine und allgemein ist das Museum nicht wirklich diesen langweiligen Katzen- Scheiß hier. Lass überlegte ich…Ich überlegte was ich falsch ge- Freunde traurig. Plötzlich sagte Sebastian mit gut besucht. „Ein Schüler macht 3,50€“, sagt uns gehen.“. Ich weiß, dass Wiederworte bei ihr macht haben könnte. Doch mir fiel nichts ein. einem Schmunzeln: „Ach Torsten! Du bist und die Kassiererin mit einer gespielten Freund- sowieso nichts bringen, also machen wir uns In den nächsten Tagen bemerkte ich, dass sich bleibst einfach mein Lieblingstoaster“ lichkeit. „Die scheint ja für ihren Job zu bren- auf den Rückweg. Bevor wir halb enttäuscht, immer mehr und mehr Leute in meiner Umge- nen.“, flüstert meine Schwester Tessa mir zu, als halb amüsiert nach diesem Ausstellungsbesuch bung komisch benahmen und oft sah ich nur wir uns vom Kassentresen abwenden um die zum Bus gehen, haben wir noch beschlossen noch schwarz vor Augen. Das hab ich noch nie Ausstellung zu betreten. Ich kann ein Schmun- mir ein Eis zu kaufen und ein wenig spazieren in meinem ganzen Leben gesehen oder gefühlt. Julia Wilhelm (2005) zeln nicht unterdrücken. „Hallo junge Dame, zu gehen. Was war nur los mit mir?! Ich machte meine hätten Sie Lust auf eine kleine Führung?“, Meine Schwester und ich schlendern an die- Freunde traurig und das zerstörte mich. Das EIN TAG MIT MEINER quatscht uns ein hochgewachsener Mann mit sem sonnigen Frühlingstag bis in den Abend war das, von dem ich mir gewünscht hatte, dass es niemals eintreten würde und trotzdem SCHWESTER Flyer in der Hand an. „Nein, wir kommen hinein durch die Innenstadt. Wir reden die schon klar.“, entschuldige ich uns. „Ich wette ganze Zeit. Manchmal schauen uns die Leute passiert es. Womit hab ich das verdient, die Ein Tag mit meiner Schwester Ich blinzele ge- der hat was mit der Kassiererin. Beide sehen komisch an, aber mittlerweile ist mir das egal. Menschen die ich liebe zu verärgern oder trau- gen das Sonnenlicht an, das durch das Fenster aus wie absolute Idioten, wenn sie auf freund- Es geht ja nicht um die Leute, sondern um rig zu machen. Sie sind bestimmt enttäuscht in mein Zimmer hineinscheint. Nach einem lich tun. Findste nich?“, flüstert Tessa etwas zu uns beide. Wir konnten diese Schwesternzeit von mir. Manchmal frage ich meine Freunde, ausladenden Gähnen setze ich mich auf und laut. Wir schauen zum Mitarbeiter zurück und schon so lange nicht mehr genießen. „Ein Kin- wieso sie solch einen Hass auf mich verspüren. sehen beide direkt, dass er krampfhaft versucht derticket bitte.“, kaufe ich mir beim Busfahrer 12 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 13
noch ein Ticket für die Rückfahrt. ner Schwester. Ich schließe die Augen, warte Mia Lilly Stührenberg (2005) Das Kind war am Ende. Es schrie verzweifelt, Gegen 20.00 Uhr kommen wir Zuhause an. Be- bis das Piepen verschwindet. Stille. „Geh jetzt schüttelte den Kopf, während aus den Augen vor ich auf die Klingel drücken kann, schwingt bitte in dein Zimmer und nimm dein Medika- SCHAURIGES HALLOWEEN Tränen rannen und sich mit dem Schweiß auf die Tür auf und meine Mutter kommt auf uns ment.“, seufzt meine Mutter resigniert. In ihren den Wangen vermischten. „Macht es tot! Macht es tot! Macht es tot!“ Sie zu und umarmt mich ohne zu zögern. „Oh Elli, Augen liegt pure Enttäuschung und ihr Atem Urplötzlich wurde es ruhig. standen vor dem Kind und schrien. Immer öf- ich hatte so Angst! Wir haben mit Leo telefo- ist flach und unkontrolliert. Langsam formt Keine Stimme war mehr zu hören. Alles war ter und hektischer wiederholten sie diesen ei- niert und sie sagte du könntest alleine losge- sich eine Träne in ihrem Auge. Ich wende mei- still. Totenstill. Selbst das Atmen schienen die nen Satz, der wie eine Woge gegen das Kind gangen sein.“, schluchzt sie, während wir immer nen Blick ab. Ich kann meine Mutter einfach Anderen eingestellt zu haben. Allerdings nur schwappte und es nervlich dem Ende entge- noch im Türrahmen stehen. Auch mein Vater nicht weinen sehen. Als ich mich in Richtung für Sekunden, dann waren die schweren Atem- gentrieb. kommt angelaufen und gesellt sich zu unserer Flur umdrehe, sehe ich noch meinen Vater, züge wieder zu hören. Flüsternde Stimmen „Macht es tot! Macht es tot…!“Die Angst ver- Umarmung hinzu. Doch anstatt meine Eltern der sie fest in den Arm nimmt. Ich folge ihrer geisterten durch die Halle. Dazwischen ein nur zerrte das Gesicht des Angesprochenen. Von ebenfalls zu umarmen, schiebe ich sie von mir Aufforderung. Ich gehe in mein Zimmer und wenig unterdrücktes Lachen, dass sich anhörte den Anderen sehr deutlich zuerkenne, weil weg. „Ich war nicht allein!“, schreie ich aus vol- öffne einen kleinen Wandschrank. Ich nehme wie ein Glucksen. Das Kind stand am Fens- sich das Licht der Taschenlampe auf die Züge lem Hals. Und im selben Moment, indem ich ein Döschen heraus, schütte einige Tabletten ter. Seine Knie zitterten. Die Haare klebten konzentrierte. Das Licht blendete auch, so dass diese Worte ausspreche, weiß ich, dass ich es in meine Hand und schlucke sie nacheinander schweißnass am Kopf, der Mund stand offen. es dem Kind nicht möglich war, seine Peiniger irgendwann bereuen würde sie geschrien zu runter. Meine Hand zittert, ich spürte, wie eine Über die Lippen floss der Atem stoßweise. Das zu erkennen. haben. Aber zurücknehmen werde ich sie auf Träne auch meine Wange hinunterrollt. „Es tut Kind hatte die Hände zusammengekrampft Und die Stimmen hallten. Immer wenn diese keinen Fall. „Ich war nicht allein!“, wiederhole mir Leid, Tessa“, hauche ich, als ich das Me- und durch das offene Fenster fuhr der kalte schrecklichen Worte geschrien wurden, ka- ich nochmals mit fester Stimme. Mein Blick ist dikamentendöschen zurückstelle, „Kannst du Wind. Draußen lag die Dunkelheit, still und men sie als Echo zurück, vermischte sich mit starr auf meine Eltern gerichtet. Und auf einen bei mir bleiben bis du gehen musst?“. „Ja, ist leise. In dem großen Park brannte nicht ein den nachfolgenden, gerufenen Sätzen und Schlag ist alles anders. Meine Mutter greift okay. Du weißt, dass das die richtige Entschei- Licht. Es war dort unheimlich und gespens- wurde für das Opfer zu einem Wirbel des nach meinem Arm. Viel zu fest, als es hätte dung ist. Und du weißt auch, dass ich nur aus tisch. Bäume und Büsche schienen zu Geistern Schreckens. Es wusste nicht, wohin es sollte. sein müssen. Ohne Rücksicht zieht sie mich ins deinem sichtbaren Umfeld verschwinden wer- zu werden, die aus einer anderen Welt gekom- Mit dem Rücken lehnte es hart gegen die Fens- Haus. „Elena!“, ruft Tess verzweifelt und greift de. Ich werde immer ein Teil von dir sein. Wir men waren. terbank. Durch das geöffnete Fenster fuhr kalt nach meiner freien Hand. Erst im Wohnzim- sind doch Schwestern.“ Auf einmal klingt ihre War der Terror zu Ende? Das Kind wollte es der Wind. Er griff in den Nacken des Kindes mer lässt meine Mutter meine Hand los. Doch Stimme weich und liebevoll. Sie blickt zu mir nicht glauben. Es schluckte und hob den Blick. und es spürte die Kühle auf der schweißnassen der Schmerz ihres Griffes wird noch lange hoch und streicht mir die Tränen aus dem Ge- In diesem Moment wurde es angesprochen. Haut. nachhallen.Tess steht neben mir, umklammert sicht. Wir legen uns zusammen auf mein Bett. Eine wispernde Stimme sagte: Der Psycho-Terror ging weiter. Irgendjemand meine Hand fest, aber liebevoll. Sie gibt mir Wir halten uns an den Händen. Und schließen „Hallo, kleine Angela, hörst du mich?“ Das gab den Befehl, die Lampen zu drehen und die Sicherheit. „Wieso musst du uns das antun?!“, unsere Augen. Mädchen zuckte hoch. Es hob den Kopf. Da Anderen folgten dem Beispiel. Plötzlich wir- schreit meine Mutter mich an, „Wieso tust du hatte jemand seinen Namen gerufen, aber An- belten die Lichter über seinen Körper, streiften nicht einfach mal das, was gut für dich ist?“. Ich Am Morgen bin ich wieder alleine. Nur noch gela konnte die Stimme nicht identifizieren. das Gesicht, zuckten auf und nieder und mit schweige. „Wir haben Geld in die Behandlung meine geschwollenen Augen erinnern dar- „Angela?“ einer Geste der Verzweiflung, riss das Mäd- investiert. Du solltest dein Glück zu schätzen an, dass ich gestern den unbeschwertesten, „Ja?“ chen beide Arme hoch, um sein Gesicht zu wissen!“, jedes ihrer Worte pulsiert in meinem schönsten, aber auch schmerzvollsten Tag „Weißt du, wer ich bin?“ schützen. Kopf, „Oma konnte nicht so behandelt wer- meines ganzen Lebens erlebte. Jetzt bin ich „Nein“, hauchte die Kleine und ein Schauer „Hört doch auf !“, wimmerte es. den! Und du weißt, was aus ihr geworden ist!“, wieder ein einsames Einzelkind. Ich ziehe die rann über ihren Körper. „Bitte, lasst mich in Ruhe! Ich habe euch doch ich muss die Augen schließen, versuche ihren Decke zurück und setze mich auf. Ich blicke auf „Du weißt es wirklich nicht?“ Angela schüttelte nichts getan…“. Worten nicht so viel Gewicht zu geben, „Hör mein Handy. Eine Notiz: Bitte einnehmen!!!: den Kopf. „Macht es tot! Macht es tot...!“immer wieder auf dich selbst zu hintergehen! Wir haben doch „Neuroleptika – antipsychotische Wirkung bei „Dann will ich es dir sagen“, raunte die Stimme. brandeten die Worte dem erbarmungswürdi- extra diese Notiz-App als Erinnerung für dich Schizophrenie“. „Hör genau zu und du wirst merken, wie selt- gen Opfer dieses Terrors entgegen, als wollten eingestellt! Wir tun doch alles, damit es funk- sam ich klinge. Weißt du, weshalb ich so selt- sie die Seele zerstören. Dazwischen gellte ein tioniert! Wir tun alles, damit du funktionierst! sam Klinge?“ Lachen auf. In der hohen Halle gab es nicht Dir ist klar, dass du damit die Erfolgschancen „Nein!“ Die Antwort klang gequält. nur das Licht der Taschenlampen, sondern minimierst ja?!…“. Ihr Stimme wird zu einem „Weil ich deine Mutter bin, Angela!“ Deine auch die gespenstischen Schatten, die bizarre schrillen, hohen Ton. Ich müsste mir die Oh- Mutter, hatte sie gesagt. Angela stand da, wie Muster auf die Wände zeichneten. ren zuhalten, aber stattdessen halte ich es aus erstarrt. Die Worte flossen durch ihr Gehirn. „Hört auuuuuuuff !“ und umklammere noch fester die Hand mei- Da hatte jemand von ihrer Mutter gesprochen. 14 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 15
Aber das ging nicht. Nein, das war nicht mög- Farbe an. Es schien keine natürliche Lichtquel- lich. Sie konnte nicht ihre Mutter sein. Nie- le zu besitzen, musste von einer Fackel oder mals! „Du bist es nicht!“, schrie Angela. Ihre Kerze stammen, wie Angela plötzlich zu wis- Stimme hallte laut durch den Flur. sen glaubte. War es tatsächlich ihre Mutter? „Du bist niemals meine Mutter!“ Nein das, das durfte nicht wahr sein. Mutter “Und weshalb nicht?“ war tot, die stand nicht aus dem Grab auf… „Sie ist tot!“, brüllte Angela. „Meine Mutter „Deine Mutter!“, unterbrach eine wispernde lebt nicht mehr! Sie kann nicht zurückkom- Stimme die Stille. men! Man hat sie getötet! Sie ist im Himmel...“ „Deine Mutter kommt. Ihre Seele hat sich aus Ein hohes Kichern unterbrach die Stimme den Tiefen der Hölle gelöst, um dich zu su- des Mädchens. Zuerst lachte nur eine Person, chen, Angela…“ dann stimmten die Anderen ebenfalls mit ein, Das Mädchen hatte sich auf die Stimme kon- bis sie abrupt stoppten. Die Stimme sagte: zentriert und das Licht für diese Zeitspanne „Nein, sie ist nicht im Himmel, sie ist aus der aus den Augen verloren. Nun schaute Angela Hölle zurückgekehrt, Angela. Hörst du: Aus wieder hin und bekam den Schock ihres Le- der Hölle!“ bens. In fast greifbarer Nähe war das Licht Das Kind hob die Hände. Es spreizte die zur Ruhe gekommen. Nein, das konnte nicht Finger, sein Mund öffnete sich und es schrie: ihre Mutter sein, dass ging nicht, denn vor ihr „Hört auf, verdammt! Ihr sollt aufhören. Ich schwebte eine grässliche Fratze. Eine Maske! will nicht, dass ihr…“ Sie sah aus wie ein Kürbis, der von Innen aus- „Gleich kommt sie...“ Angela versteifte sich. gehöhlt war. Mann hatte aus der „Haut“ Augen, Bisher hatte sie dem Druck wiederstehen kön- Mund und Nase herausgeschnitten und in das nen und war noch nicht zusammengebrochen. Innere des Kürbisses eine Kerze gestellt. Das Nun aber spürte sie, dass es allmählich dem flackernde Licht ließ der Phantasie eines sen- Ende zuging. Sie konnte die schrecklichen siblen Menschen freien Lauf, so dass Angela Belastungen nicht mehr ertragen. Sie muss ir- glaubte, die Maske wäre mit einem unheimli- gendetwas tun, sonst drehte sie noch durch. chen Leben erfüllt! Vielleicht vom Geist ihrer „Du kannst sie sehen, kleine Angela! Schau Mutter? Sie verkrampfte sich. Die nächsten nach vorn! Da im Flur steht sie!“ Angela ge- Augenblicke gehörten zu den schrecklichsten horchte. Die Stimme besaß macht über sie. in ihrem Leben und hinter der Maske beweg- Das Mädchen tat, was man ihr befahl, obwohl ten sich die Anderen, um sie durch einen Halb- sie das eigentlich nicht wollte. So richtete An- kreis einzuengen. Dann sprachen sie. Zuerst gela ihren Blick, in der mit den Schatten der war es nur eine Stimme, die das Wort durch Umherstehenden ausgefüllten, Dunkelheit. die Lippen zischte: „Halloween!“ Dort sah sie etwas. Angela lauschte. Ja, es war Halloween. Die Zunächst war es nur ein heller Umriss und er Nacht vom 31.Oktober auf den ersten Novem- wurde in der Tiefe des Ganges geboren. Ob- ber. „Halloween!“ eine weitere Stimme fiel ein, wohl sich Angela sehr anstrengte, konnte sie denn die Erste wiederholte das Wort laufend. nicht genau erkennen, was da auf sie zukam. „Halloween!“ nun flüsterten alle dieses Wort. Der helle Fleck bewegte sich im Dunkel des Es drang aus ihren Mündern, als wäre es von Ganges. Etwas Unheimliches ging von ihm Hexen gesprochen worden. Immer wieder. aus. Angela konnte es nicht begreifen und sich Halloween! Die Nacht des Schreckens! Die nicht erklären, was da auf sie zukam. Ihre Mut- Nacht der Geister. Uralte Tradition. Nie lagen ter? Das hatten ihr die Anderen gesagt, doch Spaß und Angst so dicht beieinander wie in sie wollten ihr nur Angst einflössen. Durch das dieser einen schrecklichen Nacht. offene Fenster in ihrem Rücken kam die Kälte „Wir haben Halloween. Der Geist deiner Mut- und vor ihr schimmerte das Licht .Es wander- ter meldet sich, Angela. Hör genau zu…“ te in Richtung Angela und nahm eine gelbrote „Ich will nicht!“ Das Mädchen brüllte die Wor- 16 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 17
te. Sie hallten durch den kahlen Gang, pflanz- hatte der Schreck übel mitgespielt. mehr ein Wort, als sie losliefen. Die Angst steck- Alexa Kitzelmann (2002) ten sich fort, wurden gebrochen und das Echo „Sagt doch etwas!“ te ihnen in den Knochen und trieb sie voran. kam unheimlich und schaurig zurück. „Es ist „Wir müssen nachschauen!“ Ihre Schritte wirbelten Laub auf und stampften ICH BIN WAHNSINNIG Halloween…“ „Wo?“ über den feuchten Boden. Niemand getrau- Ich bin wahnsinnig, Angela konnte es nicht mehr aushalten. Sie „Unten! Da muss sie ja noch liegen“, meldete te sich plötzlich weiter. Sie blieben stehen, als Ich bin wahnsinnig verrückt, wollte verschwinden. Doch da gab es nichts, sich eine dünne Mädchenstimme. Sie bekam wären sie vor eine Wand gelaufen. Die Sechs Ich bin wahnsinnig verrückt nach dir. wo sie sich verstecken konnte. Keine Nische, eine Antwort, die sie erschreckte. schauten sich an. Jedes Gesicht sah in der Dun- Ich bin im Wahn, lachend und tanzend auf der nichts. Angela musste fliehen. Sie konnte die- „Wieso das denn? Fall du mal aus dem vierten kelheit wie ein bleicher Fleck aus. Sie wollten Party sen Terror nicht länger standhalten. Die Mas- Stock.“ Danach wurde es wieder still. etwas sagen, aber sie kamen nicht dazu. Die nachts, bei dir. ke schwebte jetzt dicht vor ihr. Furchterregend „Wenn sie tot ist, haben wir sie ermordet“, sag- Kehlen waren plötzlich nicht mehr frei .Klöße Ich bin im Wahn, berauscht und umgeben, sah der ausgehöhlte Kürbis aus. Ein verzerrtes te das Mädchen wieder. steckten in ihnen. nachts, bei dir. Gesicht, eine widerliche Fratze, in der das Ker- „Quatsch. Angela hat Selbstmord began- „Da muss sie liegen!“ Hauchte eine dünne Mäd- Ich bin nicht bei Sinnen, ich bin im freien Fall, zenlicht flackerte. gen. Oder hat sie einer von euch angerührt?“ chenstimme. Und ich falle und falle und wache nicht mehr „Deine Mutter ist da. Sie kommt dich am Hal- „Nein.“ „Dann geh doch vor!“ auf. loween-Tag besuchen!“ Vernahm Angela eine „Na also!“ „Ich habe Angst.“ Ich bin nicht mehr ich, ich bin viel mehr Du, dünne Stimme. Angela drehte durch. Es be- „Verdammt, ich habe Angst!“, flüsterte das „Okay, Ronny, du hast die Maske getragen und Ich seh die ganze Welt nicht mehr, ich seh nur gann mit einem markerschütternden Schrei. Er Mädchen. du wirst nachschauen. Alles klar?“ Ronny dreh- noch Dich. schwebte noch in der Luft, als Angela ihre Hän- „Ich will hier weg. Dieser Bau ist mir unheim- te sich scharf herum. Und ich bin wieder und wieder gefangen de auf die Bank stütze und sich mit großer Kraft lich. Wer kommt mit? Außerdem müssen wir „Warum ich?“ in deinem Bann, ich bin wie im Wahn, in die Höhe stemmte. Plötzlich stand sie auf der nachsehen.“ Plötzlich wollten alle nicht mehr „Das habe ich doch gesagt. Du kannst ebenso…“ Ich bin wahnsinnig, Fensterbank. Vor ihren Augen begann alles zu länger bleiben. Der Maskenträger warf den „Keine Wiederrede. Wir haben beschlossen, Ich bin wahnsinnig verrückt nach Dir. tanzen. Die Maske drehte sich ebenso wie die Kürbis weg. Die Maske knallte mit einem dass du es bist, der nachschauen wird.“ Die an- Ich bin bei Dir und nicht mehr bei meinen Sin- Schatten der Mitschüler. Sie wurden zu einem dumpfen Geräusch zu Boden, rollte noch ein deren nickten zustimmend. Ronny ballte die nen, Wirbel, einem Kreisel, der sich immer schneller Stück und wurde schließlich von der Wand Hände. Für einen Moment verzerrte sich sein Ich bin im freien Fall ohne gefangen zu zu wer- bewegte und sie in die Tiefe zu reißen drohte. gestoppt. Gesicht vor Angst. Dann nickte er. den In die Tiefe! Halloween! „Ich gehe…“Die fünf Anderen schauten zu, wie und ich färbe den Boden „Angela!“ Es war ein gellender Warnruf, aber Aus dem Spiel war blutiger ernst geworden. er sich auf den Weg machte. Zögernd setzte er Rot durch meine Scherben, er wurde von dem Mädchen ignoriert. Es hat- Jeder wusste es und keiner war da, der sich seine Schritte. Über seinen Rücken kroch eine Ich schlage auf und breche mein Herz. te sich selbst Schwung gegeben und war im Hoffnung machte. Angela konnte nicht über- Gänsehaut. Er zitterte am ganzen Leib, mach- Und trotz all dem Schmerz; Nu von der Fensterbank verschwunden. Nur lebt haben. Sie erreichten die breite Steintrep- te sich Vorwürfe und seine Füße drückten die Ich bin im Wahn, das graue Rechteck blieb zurück. Auf einmal pe, die nach unten führte und erst in der gro- ersten sperrigen Bodengewächse in die feuchte Ich bin wahnsinnig, ich bin wahnsinnig ver- verstummten die Stimmen. Stille breitete sich ßen Halle ihr Ende fand. Die Schüler blieben Erde. Mit den Händen teilte er im weg stehen- rückt, aus. Nach einer Weile schluchzte jemand auf. dicht zusammen. Das alte Haus machte ihnen de Zweige, damit er einen bessern Blickwinkel ich bin wahnsinnig Gleichzeitig wurde die Kerze im Inneren der plötzlich Angst. Sie hatten das Gefühl, als wäre besaß. Dann senkte er den Kopf. Ronny sagte Beeindruckt von Dir. Maske ausgeblasen. mit dem Tod ein neuer Gast eingezogen. Selten nichts. Seine Kehle war plötzlich wie zuge- Weil Du da stehst und wahnhaftig lachst, „Das habe ich doch nicht gewollt“, sagte derje- waren sie so rasch die Treppe nach unten ge- schnürt, aber er starrte auf die leblose Gestalt. fiebrig, zitternd schaust du mich an und sagst: nige, der die Maske gehalten hatte. laufen. Die große, zweiflügelige Tür war nicht Angela lag auf dem Rücken. Deutlich konnte „Du bist wahnsinnig“, „Es war nur Spaß“, versuchte sich ein anderer verschlossen. Finger um krallten die Kante er die verdrehten Augen erkennen. Für ihn ein Mut zu machen. und machten die Tür auf. Kalte Luft empfing Zeichen, dass in dem schmalen Mädchenkörper Nein, „Ja, nur Spaß.“ Danach schwiegen sie. Obwohl die kleine Gruppe Heranwachsender. Im Park kein Leben mehr steckte. Das Gesicht kam ihm Ich bin nicht wahnsinnig, ich bin nicht wahn- es keiner zugeben wollte, lauschten alle nach hatte sich Nebel gebildet. Die Schwaden wirk- seltsam blass vor, die Hände hatte sie zu Fäus- sinnig, draußen. Sie hörten nichts. Die Stille war be- ten unheimlich, wenn sie sich lautlos über den ten verkrampft. Hinter sich vernahm er Schrit- Ich bin nicht wahnsinnig verrückt, ich bin klemmend .Selbst der Wind schien eingeschla- Rasen bewegten. Sie ließen auch die Treppe te. Die anderen kamen und blieben neben ihm wahnsinnig fen zu sein und nicht einmal das bunte Laub an hinter sich, blieben für einen Moment stehen stehen. kaputt. den Bäumen raschelte noch. und schauten sich um. „Ist sie tot?“, fragte ein Mädchen stockend. Ohne Mut, ohne Verstand. „Was machen wir denn jetzt?“ fragte jemand. „Nach rechts“, sagte jemand. Alle waren ein- „Ja“, sagte Ronny. Ich bin wahnsinnig, ich bin wahnsinnig müde, Er bekam keine Antwort. Niemand wollte die verstanden, denn es war genau die Richtung, „Und wir haben sie umgebracht“, flüsterte ein ich bin wahnsinnig kaputt. Verantwortung übernehmen. Den Kindern wo auch Angela liegen musste. Niemand sprach Anderer…. 18 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 19
Und Du tust mir nicht gut, gessen. Noch immer liege ich einfach so da. Mama ist Husten zwingt mich zum Atmen, aber ich mein Herz ist eine Glut, immer noch in deinem Bann, längst gegangen, hat mir alles erzählt. Ich habe bekomme keine Luft. Endlich versiegen die und du? — zugehört und trotzdem nichts verstanden. Nur, Tränen, dafür breitet sich nur noch mehr von Löscht jeden Funken davon. Weil ich bin im Wahn, dass Opa gestern ins Krankenhaus gekommen diesem leeren Gefühl in mir aus. Und trotzdem bin ich wahnsinnig, Ich bin wahnsinnig, ist und dass mein Vater da war, um zu entschei- Irgendwann an diesem Vormittag halte ich es ich bin wahnsinnig verrückt, Ich bin wahnsinnig ver — den, ob im Falle des Falles lebenserhaltende nicht mehr aus, das Alleine-Sein. Ich ziehe ich bin wahnsinnig verrückt von dir gewor- Maßnahmen vorgenommen werden sollen. mich an, putze mir die Zähne. Schließe den den. Und du? blinzelst mich mit deinen müden Au- Er hat Nein gesagt, Opa hätte genug gelitten in Schuppen auf, Wasser tropft auf meinen Kopf. Und ich bin im Freien Fall gen an. den letzten Tagen und Monaten. Dann, heute Fahre mit dem Fahrrad die regennassen Stra- und definitiv nicht so graziös, wie eine Elfe, lächelst schief doch ohne Herz, Nacht, kam es zu diesem Fall des Falles, Papa ßen entlang. Das alles so normal und doch ist „brauchst du Hilfe?“, drehst dich um war schon längst wieder die 200 Kilometer alles anders. — Nein, ich bin wahnsinnig, ich bin wahnsin- und gehst. nach Hause gefahren. Als ich die Schule betrete, sehe ich sofort Sanna nig wegen Dir Sie haben ihn gehen lassen, der Krebs hat ihn und ihren verwirrten Blick, nachdem sie mich Und ich würde lieber bei Sinnen sein, umgebracht. entdeckt hat. „Ich dachte du kommst nicht?“, nicht so viel Wein Franka Janssen (2002) Das Telefon hat mitten in der Nacht geklingelt wundert sie sich, wir gehen zu unserem Ma- trinken und fallen. und meine Eltern geweckt. Papa hat seine Sa- theraum. Ich hasse dieses Fach und kann mir ABER ES IST DIE WAHRHEIT chen gepackt und ist sofort die drei Stunden im Moment nichts Schöneres vorstellen. Doch Du, zurück zum Krankenhaus gefahren. Ich muss Ich flüstere nur, zu mehr ist meine Stimme im- Ich liege im Bett, wachgeschüttelt vom Husten, Du machst mich wahn-sinnig, heute Nacht doch geschlafen haben, denn von mer noch nicht bereit. „Ich konnte nicht mehr der seit einer Woche in meiner Lunge klebt. du fragst „Kriegst du mich?“ — all dem habe ich nichts mitbekommen. alleine sein.“ Eigentlich will ich gar nicht da- Die Nacht war furchtbar, ich konnte nicht und ich frage zurück „Will ich?“ Ich fühle mich so seltsam, so hilflos, so leer, rüber reden. Ich fühle mich so ausgetrocknet schlafen, egal was ich versucht habe. Ganz so, Und ja, ja, ja, als hätte jemand ein Stück aus mir herausge- und doch weiß ich, wenn ich ihr das erzähle, als hätte mein Verstand geahnt, das heute et- Zieh mich in deinen Bann, rissen und es mir nicht wiedergegeben. Aber fange ich wieder an zu weinen. Aber ich kann was passiert sein muss. lass mich in den Wahn, es ist nicht dasselbe, es ist anders. Anders als ihr nicht ausweichen, sie sieht es mir an. „Ist Vorsichtig klopft jemand an meine Zimmertür, lass mich verlieren all meine Sinne, das letzte Mal, als ich erfahren musste, wie es was passiert?“, will sie wissen und ich schaue in wahrscheinlich meine Mutter. Ich höre Schrit- weil das ist doch mein Wille. ist, wenn ein geliebter Mensch, jemand, der bis ihre angsterfüllten Augen. Ich weiß nicht, ob es te durch die Stille näher kommen, bis ich eine Ich bin wahnsinnig, jetzt mein ganzes Leben an meiner Seite war, die Angst davor ist, dass etwas wirklich extrem warme Hand auf meiner kalten Schulter spüre. ich bin wahnsinnig verrückt, plötzlich weg ist - und nie, nie wiederkommt. Schlimmes geschehen sein muss oder dass sie „Wie geht es dir?“, fragt Mama, ihre Stimme ich bin wahnsinnig verrückt, Damals war ich sauer, traurig, konnte nicht still Angst hat, nicht zu wissen, wie sie mich behan- sehr leise. „Nicht gut.“, versuche ich zu sagen, dass ich falle und das immer wieder. sitzen, wollte laufen, schreien. WOLLTE es deln oder was sie sagen soll. doch die Worte sind nur ein Krächzen. einfach nicht wahrhaben. Und jetzt KANN ich Ich spüre bereits die Tränen, als ich nur auf Mein Gesicht zur Wand gedreht, weiß ich, dass Und mein Wille ist mein stärkster Krieger, es einfach nicht wahrhaben. Ich hatte verstan- Sannas Frage nicke. Aber ich will nicht, dass sie noch immer da ist. Mama flüstert etwas, ich egal, den, was passiert war, im Gegenteil zu heute, alle anderen mich so sehen. So verletzt, so verstehe sie kaum. Nur drei Worte dringen zu wie oft du mich nieder schießt und mich be- denn ich kann es einfach nicht glauben, dass klein, so verwundbar und ich weiß nicht ein- mir durch. Drei Worte, die schlimmer nicht kriegst — da diese Leere ist, die niemand je wieder füllen mal, warum mir das in dieser Situation so hätten sein können. „Opa ist gestorben.“ kann und doch spüre ich sie ganz deutlich. Es wichtig ist, wenn es mir schließlich wirklich Ich merke, wie mein Herz plötzlich doppelt so Ich bin immer noch wahnsinnig, macht mich wahnsinnig. beschissen geht. schnell klopft als eben noch. Ich habe Angst, ich bin wahnsinnig verrückt nach Dir. Nach dem Frühstück schleiche ich zurück in Ich fürchte mich vor meinen eigenen Worten. dass es mir aus der Brust springt. Dieser Satz Komm, mein Zimmer, versuche mich abzulenken, Denn wenn sie aus meinem Mund kommen, ist wie ein Schlag ins Gesicht, nur ohne den schieß mich nieder, nehme ein Buch und fange an zu lesen. Doch wenn ich das selbst sage, dann muss es doch Schmerz, es fühlt sich einfach nur leer an. mach mir kaputt, schon nach wenigen Seiten tropfen warme auch wahr sein, oder? Aber das kann nicht Ich kann nichts. Ich kann mich nicht umdre- lass mich fallen, Tränen auf das gebleichte Papier. Literatur war sein! „Mein Opa ist heute Nacht gestorben.“ hen, um Mama anzusehen. Ich kann nicht den- fahr’ tiefe Wunden mit deinen Krallen, immer das Lieblingsthema von Opa und mir, Meine Stimme bricht, als ich das ausspreche. ken. Ich kann nicht weinen. Und ich kann ES zerreiß mich und mein Herz — stundenlang konnten wir uns über Romane Sanna schweigt, nimmt mich nur in den Arm nicht. Ich kann nicht verstehen, dass es jetzt Das alles wird kein Scherz, unterhalten, die er zu Letzt gelesen hatte. Und und drückt mich an sich. Ich bekomme kaum wirklich passiert sein soll. Obwohl wir alle ge- glaub mir, unsere Spirale geht abwärts. jetzt nie wieder. Luft, doch das ist gut so, denn dann fange ich ahnt hatten, dass sein Tod nicht mehr lange auf Und nach all der Zeit zu zweit Ich weine lange, bis ich nicht mehr kann. Ich wenigstens nicht an zu weinen. sich warten lassen würde. werde ich da sein und all der Schmerz ist ver- weiß nicht, wieviel Zeit vergangen ist. Das Und da ist es wieder, dieses miese Gefühl, fast 20 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 21
so wie beim letzten Mal. Ich will nicht alleine in diesem Augenblick. Wenn die Nachricht So lange habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich hätte es wissen müssen, schließlich bin ich sein, aber hier ist es genauso schlimm. Mei- mich so plötzlich aus der Normalität reißt, es ihr geht, wenn ich mit ihr reden werde und nicht die einzige, die das grade durchmacht. ne Freunde haben keine Ahnung, wie es mir wenn mit nur drei Worten meine kleine heile hatte Angst vor ihrer Reaktion, nur um am „Ja, ich verstehe was du meinst.“ Wahrschein- wirklich geht, weil sie das selbst noch nie erlebt Welt völlig auf den Kopf gestellt wird. Ende zu wissen, dass es ihr genauso geht wie lich mehr als du denkst, füge ich in Gedanken haben. Dass jemand stirbt, der sonst immer da Ich will nur eins: Das alles soll einfach nur mir. Dass sie es genauso wenig verstehen kann hinzu. „Aber es ist die Wahrheit.“, sage ich leise war, das ganze Leben lang. Sie wissen einfach nicht die Wahrheit sein. wie ich. Dass es sie genauso wahnsinnig macht ins Telefon, obwohl das alles andere ist als das, nicht, wie sie mit mir umgehen sollen. Dabei Wieder ist diese Frage in meinen Gedanken, wie mich. Jede Sorge war unberechtigt. Und was ich will. kann ich ihnen ihre mitleidigen Blicke ei- wieso ich überhaupt hergekommen bin. Als gentlich nicht mal übelnehmen, sie versuchen der Unterricht endlich vorbei ist, fahre ich so- schließlich auch nur, mich zu trösten, für mich fort nach Hause. Rede nicht wie sonst immer da zu sein. Aber dieses Schweigen, weil die mit meinen Freunden, weil ich nicht will, dass richtigen Worte fehlen, ist trotzdem so unan- sie mich so sehen und Mitleid haben, was ich genehm. Am liebsten würde ich sofort wieder nicht ertragen kann. Sobald ich alleine bin, lau- nach Hause. Nach Hause, wo ich alleine bin fen heiße Tränen meine kalten Wangen hinun- und mich danach sehne, hier zu sein. Wenn ich ter und dieses Mal versuche ich nicht, sie zu mich nur selbst verstehen würde… unterdrücken. Wir bekommen unsere Klausuren zurück. Ich Die Sonne geht schon unter, als mir plötzlich schaue nicht mal rein, stecke das blaue Heft etwas einfällt, an das ich den ganzen Tag noch sofort in meinen Rucksack. Obwohl ich sonst nicht gedacht habe, wie konnte ich es nur ver- immer so neugierig bin, dass ich kaum abwar- gessen? ten kann, zu wissen, was ich geschrieben habe. Meine kalten Finger umfassen das schwarze Aber jetzt rauscht alles einfach so an mir vor- Plastik des Telefons, ich habe Omas Num- bei. Wie wenn man im Zug sitzt, hinaus sieht mer schon gewählt, aber ich schaffe es einfach und doch eigentlich nichts wahrnimmt von nicht, auf den grünen Hörer zu drücken. Zu dem, was da draußen passiert. Genauso fühlt groß die Angst davor, wie es ihr geht. Ich zit- sich das hier an. tere, obwohl mir warm ist. Weil ich feige bin. Das aufgeregte Getuschel meiner Mitschüler Ich bin so feige, dass ich nicht mit ihr sprechen verschwimmt zu einem monotonen Rauschen, will, denn ich weiß nicht, was ich dann sagen ich starre aus dem Fenster, ein Eichhörnchen soll. Und das obwohl ich gerade genau dassel- flitzt über die kahlen Äste der Kastanie, die be durchmache wie sie, mache ich genau das- schon längst ihre Blätter verloren hat. selbe, wofür ich meine Freunde kritisiere. Sie Ich merke nicht, wie manche aufstehen und können nichts dafür, aber ich kann. Und trotz- durch die Klasse laufen. Ich merke nicht, wie dem kann ich es nicht. Es geht einfach nicht, meine Lehrerin um Ruhe bittet und niemand irgendwas in mir hält mich auf, sie anzurufen. auf sie hört. Ich merke nicht, wie jemand mit Erst nach einer weiteren Stunde finde ich den mir Mut, endlich mit ihr zu sprechen. Doch es redet. Erst als Sanna mir auf die Schulter tippt dauert lange, bis sie schließlich abnimmt. Ihre und sagt „Leo hat dich was gefragt.“, spüre ich Stimme hört sich ganz weit weg an und doch seinen Blick auf mir. „Tut mir leid, ich habe ist sie so nah. Wir schweigen beide, aber Oma grade nicht zugehört.“, murmele ich leise. „Ich weiß, dass ich es bin, die am anderen Ende der wollte nur wissen, ob du mit deiner Klausur Leitung ist und auf ein Lebenszeichen von ihr zufrieden bist.“, er lächelt mich freundlich an. wartet. Ohne lange drüber nachzudenken, antworte „Bist du noch da?“, flüstere ich nach ein paar ich: „Ehrlich gesagt ist mir das grade so egal.“ Minuten ängstlich in das Telefon. Und es stimmt, ich sage das nicht nur, damit „Ja bin ich.“ Ich höre sie atmen. „Es macht ich um eine Erklärung herum komme, wieso mich nur wahnsinnig. Das ist alles so schnell ich nicht in mein Heft geschaut habe. Fast noch gegangen, ich kann es nicht verstehen, dass er nie waren Noten und Schule so unwichtig wie wirklich tot ist, weißt du was ich meine?“ 22 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 23
Kategorie: 13 im Sommer: hohe Sonnenblumen, im Winter Der Wecker meines Handys quält mich um fe ich die Badelatschen am Eingang über und quälen sich dann filigrane Schneeglöckchen 6.30 Uhr aus dem Bett. Völlig übermüdet gehe hinaus in den Vorgarten um die Mülltüte Julia Wilhelm (2005) durch die frostige Erde und im Herbst bringen schäle ich mich aus meinem Schlafanzug und wegzuschmeißen. Es ist Nacht. Der Himmel blühende Dahlien das Farbenfrohe in unseren schleife mich rüber ins Bad. Ich schaue in den ist klar. So rein und übersät voller funkelnder BITTE LIES MICH! nicht zu überladen-, aber auch nicht zu mini- Spiegel und werde ohne Vorwarnung mit Anna Pünktchen. Sie alle sehen mich bestimmt gar malistischen Garten. Schmidt konfrontiert. Braune, gelangweilte nicht. Ich, die immer in der Mitte liegt. Anna Es regnet in Strömen. Der Himmel sieht aus Und so kann man mein ganzes Leben be- Augen blicken mich an. Kein schüchternes Schmidt, die in dem 13. Haus mit Garten und wie eine riesige graue Pampe, die alles unter schreiben. Blau und kein mysteriöses Grün liegt in diesem Blumenbeet in der Schillerstraße in Hannover sich begräbt. Schon heute morgen habe ich Ich heiße Anna. Anna Schmidt. Bitte ließ noch Blick. Ich sehe fettiges, braunes Haar, das nicht hier ihren Müll rausbringt. Wer würde schon Regen vermutet. Den ganzen Vormittag habe weiter. Ich weiß, mein Name ist so durch- blond, aber auch nicht schwarz ist, nicht kurz, auf so jemanden achten. Welcher dieser Ster- ich das Gefühl gehabt, dass die Wolken vom schnittlich, dass jemand wie ich, der nur ab aber auch nicht so lang, dass es mir bis zum ne würde auf mich hinunter blicken und mehr vielen Wasser triefen und nur darauf warten und zu mal liest, ein Buch direkt zuklappen Po geht. Ich bin groß, aber nicht zu groß, nicht über mich erfahren wollen? Mein gesamtes sich endlich auswringen zu können. Jetzt war würde, sobald dessen Hauptcharakter einen so dick, aber auch nicht wirklich dünn. „Ich bin Leben klingt wie ein unwichtiger Fülltext, der der Moment wohl gekommen. einfallslosen Namen tragen würde. Aber bitte aber nicht das, was ich zu sein scheine“, denke nur dazu da ist um eine Geschichte so lang wie Auch ich will am liebsten meine nassen Kleider bleib noch hier. Bitte. ich und weiß in genau dem gleichen Moment, möglich zu strecken. Wenn man den ganzen ausziehen, sie auswringen und ein heißes Bad Ich wühle in meiner Tasche herum, die vom dass das eine Lüge ist. Ich bin Anna Schmidt. Plot und alle spannenden Stellen aus einem nehmen. Doch noch bin ich nicht Zuhause. Regen leider auch nicht verschont wurde und Doch ich verdränge diesen Gedankengang und Buch herausnehme würde, dann hätte man Die Regentropfen prasseln auf den wasserab- krame einen Schlüssel heraus. Ich öffne die Tür spüle ihn einfach mit einer schnellen Morgen- mein Leben vor sich liegen. Und keiner würde weisenden Stoff meines Regenschirmes, als ich und schleppe mich und die viel zu schwere Ta- dusche weg. gerne nur den Fülltext eines Buches lesen. Völ- in die Schillerstraße einbiege. Ich denke dar- sche in den trockenen Flur. Schnell streife ich lig normale Szenarien mich schrecklich durch- über nach, wieso ich wieder eine drei in der die Stiefel ab und laufe mit meiner Schultasche Den Rest des Tages verbrachte ich in der Schu- schnittlichen Akteuren. Deutscharbeit geschrieben habe. Heute haben die Treppe hoch in mein Zimmer. Ich zieh die le und anschließend mit meiner Freundescli- Bitte. wir die Noten zurückbekommen. Ich bin mir nassen Klamotten aus und werfe sie achtlos in que in der Stadt. Ich habe eigentlich ziemlich Schau doch! Anna ist nicht die 13! Sie ist nicht schon fast sicher, dass mein neuer Deutschleh- meine Zimmerecke. Und da bleiben sie dann viele Freunde, die ich echt gern mag. Aber langweilig. Sie hat auch Probleme und Krisen! rer einfach meinen Namen gesehen- und einen erst einmal liegen. Ich ziehe meinen Schlafan- keiner von denen weiß, dass ich nicht normal Ich liege nicht in der Mitte! Sieh doch her! Blick auf den Sitzplan der Klasse geworfen hat, zug über, ignoriere, dass meine Eltern gerade bin. Keiner weiß, dass ich mit inneren negati- Hier, ich kann es beweisen! Ich renne zurück gesehen hat, dass ich in der Mitte sitze. Er hat auch nach Hause kommen und werfe mich ven Gefühlen und Depressionen zu kämpfen ins Haus. Hol mein Handy. Starte die Playlist, sich garantiert nicht mal durchgelesen, was ich erschöpft auf mein Bett. Mein Blick fällt auf habe. Und das ist okay so. Wir waren heute alle blicke auf die Klamotten in der Zimmerecke geschrieben habe und einfach mal ne drei auf- die Deutscharbeit, die aus meiner Schultasche zusammen im Kino und haben „Baywatch“ ge- und laufe ins Bad. geschrieben. Wird schon passen. Scheiße! Ich lugt. Die Deutscharbeit, für die ich bereits eine guckt. Und während ich das hier in mein Han- They wanna break me and wash away my co- bin mitten in eine tiefe Pfütze getreten. Meine Woche zuvor fleißig geübt habe. Die Deutsch- dytagebuch tippe denke ich einfach nur wie lors. Nikes saugen sich sekundenschnell mit Wasser arbeit, in die ich mich mal wirklich reingehängt verdammt normal sich das anhört. Aber ich Schau doch! Ich bin nicht normal! auf und bei jedem Schritt ertönt ein schmat- habe. Die Deutscharbeit, in der ich einmal bes- weiß es. Ich bin nicht normal. „Anna Schatz, Save me if I become MY DEMONS. zendes Geräusch. Jetzt biege ich in meinen ser als der Durchschnitt sein wollte. Ich blicke bringst du bitte noch den Müll raus?“, höre ich Mein Herz pocht wie verrückt, als ich die Vorgarten ein. Ich schaue zur Haustür und zu auf die drei. Klar und deutlich präsentiert sie die Stimme meiner Mutter rufen. Ein paar Se- Schublade der Kommode im Bad öffne. der Nummer, die rechts oben neben ihr die sich mir. Ich schaue zu den nassen Klamotten kunden später fällt die Tür ins Schloss. Meine It takes control and drags me into nowhere. Hauswand ziert. Oh wie ich diese Zahl hasse. in der Ecke rüber. Nicht ausgewrungen. Das Eltern gehen jetzt aus und mein Bruder Ben Meine Hand zittert, als ich eine Rasierklin- Ich sehe nach rechts, zu den Häusern die Stra- Einzige, das hier ausgewrungen wird sind mei- ist auf einer Party. Demnach gehört das Haus ge zu fassen kriege. Ich beuge mich über das ße rauf, die bis zu Nummer 26 gehen. Dann ne Augen, die bereits den ganzen Tag viel zu heute nur mir. Waschbecken, lasse das Wasser laufen. nach links, bis zur eins. Und wie immer bin ich viel Tränen angestaut haben. Ich gehe die Treppe runter und laufe im Flur Siehst du denn nicht!? Ich bin nicht normal! in der Mitte. Nummer 13. Ich öffne meine Spotify- Playlist mit dem Titel an den Trophäen meines Bruders vorbei, die Ich bin nicht die Mitte! Meine Geschichte ist Ich lebe im 13. Haus der Schillerstraße. Unser „Depression“, tu so, als ob ich, wie die Sänger, jeden Gast immer daran erinnern müssen, wie lesenswert! Haus liegt nicht gleich an der Einfahrt zur Stra- gegen meine inneren Dämonen ankämpfen erfolgreich seine Schwimmkarriere doch ist When I become my worst enemy. ße und nicht direkt dort, wo die Schillerstraße würde und presse ununterbrochen Tränen und wie sehr er seine Leidenschaft im Sport ge- Mein Atem geht flach ein und aus. Ich schließe in die lärmende Hauptstraße mündet. Wir ha- zwischen meinen Wimpern hervor. Als ich funden hat. Wieso müssen meine Eltern denn die Augen. ben auch einen Garten, der geradeso Platz für die Playlist beende, flüstere ich: „Nein, ich bin immer so mit ihm rumprahlen? Das ist mittler- Don’t let me go! ein Gewächshaus und ein Blumenbeet bietet. nicht durchschnittlich.“ weile einfach nur nervig. Ich gehe in die Küche Der Schnitt tut fast gar nicht weh. Im Blumenbeet: Im Frühling: gelbe Narzissen, um den Müllsack zu entnehmen. Schnell strei- Ein Tropfen Blut rollt über die Innenseite des 24 Jugend schreibt 2019/2020 Jugend schreibt 2019/2020 25
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