Katatone Störungen an einer psychiatrischen Intensivpflegestation
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Katatone Störungen an einer Homepage: psychiatrischen www.kup.at/ Intensivpflegestation JNeurolNeurochirPsychiatr Scharfetter J, Frey R, Strnad A Online-Datenbank mit Autoren- Kasper S und Stichwortsuche Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2006; 7 (3), 34-41 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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Katatone Störungen an einer psychiatrischen Intensivpflegestation J. Scharfetter, R. Frey, A. Strnad, S. Kasper Psychiatrische Erkrankungen mit katatoner Symptomatik stellen eine besondere klinische Herausforderung an ein Betreuungsteam dar. Die Erschei- nungsbilder der Erkrankung sind oft ebenso dramatisch wie der Verlauf und benötigen besondere Kenntnisse der therapeutischen Interventions- möglichkeiten sowie Vorkehrungen zum Schutz der Patienten und des Behandlungsteams. Im folgenden sollen die Symptomatik und Nosologie der katatonen Erscheinungsbilder diskutiert werden, ein klinisches Betreuungssetting an einer psychiatrischen Intensivpflegestation vorgestellt und die Besonderheiten der Therapie erörtert werden. Schlüsselwörter: Katatonie, Intensivstation, Intensivpflegestation, malignes Neuroleptikasyndrom Treatment of Catatonic Patients in a Psychiatric Intensive Care Unit. Catatonic symptoms in psychiatric patients pose a severe challenge for a treatment team in a psychiatric intensive care unit. The appearance of these diseases is as dramatic as their course and specialised knowledge about specific treatment options is needed as well as specific measures to hold off damage from the patient and from the caring team. In the following we will make the attempt to delineate symptomatology and nosology of catatonic features, to present the clinical settings in a psychiatric intensive care unit and to discuss peculiarities of specific treatment options. J Neurol Neurochir Psychiatr 2006; 7 (3): 34–41. Key words: catatonia, intensive care, intensive care unit, neuroleptic malignant syndrome B ei psychiatrischen Erkrankungen kommt es immer wieder zu Symptomen und Zustandsbildern, die mit einer ausgeprägten vitalen Gefährdung für den Patienten trokrampftherapie. Die Aufgabe des Teams besteht in der Folge unter anderem aus der Sicherung der Diagnose, der Evaluierung der bisherigen therapeutischen Schritte und oder seine Umwelt einhergehen. Ausgeprägte innere Un- deren Optimierung, einschließlich einer allfälligen Indika- ruhe, Angst und Anspannung steigern, neben dem Lei- tionsstellung für eine Elektrokrampftherapie. densdruck des Patienten und der mittelbaren Gefahr eines Suizides, auch das Risiko einer vegetativen Entgleisung bis Die Psychopathologie dieser „katatonen“ Patientengruppe hin zum Tode des Patienten sowie eines Raptus, eines wird primär durch die Auffälligkeiten in der Psychomoto- plötzlichen Erregungszustandes mit Bewegungssturm. Agi- rik dominiert. Es handelt sich um Symptome motorischer tation und Aggression sind weitere offensichtliche Quellen Hemmung wie Stupor oder aber der motorischen Erregung der Verletzungsgefahr für den Patienten selbst und auch wie Bewegungsdrang und Raptus. Weiters imponieren un- für seine Umgebung. Im Rahmen von Bewußtseinsstörun- willkürliche Bewegungsstörungen meist bizarren Charak- gen, eventuell auch iatrogener Genese, besteht das Risiko ters (Parakinesien, Manierismen), kataleptische Sympto- der Kreislauf- und Ateminsuffizienz sowie Sturz- und Aspi- me, katatone Sprach- und Sprechstörungen (Echolalie, rationsgefahr. Verbigeration), Impulshandlungen oder Verweigerungs- haltung (Negativismus) und nicht zuletzt Symptome auto- Eine psychiatrische Intensivpflegestation bietet in diesen nomer Dysregulation. Situationen Schutz für den Patienten und seine Umgebung durch eine relativ hohe Personaldichte und die Möglich- Zum weiteren Verständnis der katatonen Syndrome ist keit eines intensiven instrumentellen und persönlichen zunächst ein Exkurs in die Geschichte der Psychiatrie not- „Monitorings“ des Patienten (Zuwendung, Sitzwache, Mo- wendig, da der Begriff der Katatonie vielfältig in Erschei- nitor der Vitalfunktionen mittels Pulsoximeter, EKG, Blut- nung tritt und einer ausgeprägten konzeptionellen Wand- druckmanschette etc.). Es kann eine Beschränkung des lung unterworfen war. Patienten durch „Schutzfixierung“ (Angurten) erforderlich sein, fast immer und speziell bei Schutzfixierung ist eine ausreichende Sedierung angezeigt. Die spezifische psychia- Entwicklung des Katatonie-Begriffes trisch-medikamentöse Therapie, Behandlung der somati- schen Begleiterkrankungen und der Ausgleich von Selbst- Der Begriff der Katatonie wird üblicherweise auf Karl versorgungsdefiziten durch das Pflegepersonal komplettie- Ludwig Kahlbaum [1] zurückgeführt, welcher das „Span- ren das Behandlungssetting. nungsirresein“ als motorisch-muskuläre bzw. mentale Anspannung beschrieben und ihr ein typisches klinisches Die Zuweisung von Patienten erfolgt von allgemeinpsych- Erscheinungsbild und einen typischen Verlauf, somit eine iatrischen Stationen, von Notfallabteilungen und unfall- nosologische Entität zugeschrieben hat. Nach Kahlbaum chirurgischen Abteilungen und von Intensivstationen so- nahm die Erkrankung einen charakteristischen zyklischen matisch-medizinischer Ausrichtung, oft unter dem Titel Verlauf mit – aufeinanderfolgend – Verstimmung, Manie, „Sedierungsproblem“ oder „katatones Zustandsbild“, letz- Stupor, Verwirrtheit und ev. Demenz, auch Wahn und Hal- teres fallweise mit der Bitte um Durchführung einer Elek- luzinationen kamen bei dem von ihm beschriebenen Krankheitsbild vor. Aus der Universitätsklinik für Psychiatrie, Klinische Abteilung für Allge- Kahlbaum beschreibt die motorischen Symptome als meine Psychiatrie, Wien „Konvulsionen“, die Patienten als teils stuporös und muti- Korrespondenzadresse: OA Dr. med. Joachim Scharfetter, Universitäts- klinik für Psychiatrie, Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie, stisch mit rigidem, maskenhaftem Gesichtsausdruck, sie A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18–20; nehmen fixierte Posen ein oder lassen sich im Sinne einer E-Mail: joachim.scharfetter@meduniwien.ac.at wächsernen Flexibilität in solche bringen und behalten sie 34 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 3/2006 For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
dann bei. Ein starkes muskuläres Gegenhalten bezüglich sich eine heute noch gültige Aufteilung in psychogene, af- passiver Bewegung kann vorhanden sein, andererseits fektive, schizophrene und organische Katatonien [6]. eigenartiges Gestikulieren und Bewegen der Arme, Aus- brüche hyperkinetischer Erregung mit Rennen, Springen, Fink [5] sieht den Vorteil dieser syndromalen Sichtweise sich Drehen und Schreien, repetitives Wiederholen sinn- darin, daß hier vom Behandlungsalgorithmus der Schizo- loser Worte oder Phrasen [2]. phrenie abgegangen werden kann, da katatone Zustands- bilder schlecht auf Neuroleptika ansprechen und mögli- Kahlbaums Konzept der nosologischen Entität setzte sich cherweise sogar gefährdet für die Entwicklung eines mali- jedoch nicht durch und bei Emil Kraepelin, Eugen Bleuler, gnen neuroleptischen Syndroms („neuroleptic malignant wie auch später bei Carl Wernicke, Karl Kleist und Karl syndrome“, NMS) erscheinen. Fink geht allerdings noch Leonhard, wird die Katatonie primär als schizophrene Er- weiter und hypothetisiert eine gemeinsame pathophysio- krankung gesehen. Letztere differenzieren quantitative logische Endstrecke der verschiedenen katatonen Syndro- katatone Symptome, wie reine Hyper- oder Akinese, als me [7], was von anderen Experten unter der Annahme pathognomonisch für die Motilitätspsychose und qualita- einer unterschiedlichen Pathophysiologie zumindest für tive katatone Symptome als hinweisend auf die schubhaft die Differentialdiagnose NMS/Katatonie eher abgelehnt verlaufende periodische Katatonie oder auf die primär wird [8]. chronisch verlaufenden systemischen Katatonien. Wäh- rend die Motilitätspsychose nach Leonhard [3] zu der eigenständigen Gruppe der zykloiden Psychosen gehört, Phänomenologie werden die beiden anderen Erkrankungsformen der Schi- zophrenie zugeordnet. Welche Symptome sind nun als kataton zu bezeichnen? Die pointierte Antwort von Bräunig und Krüger [6]: „Kata- Immer wieder wurde jedoch auf die fehlende diagno- ton nennen wir jene Symptome, die (...) die Väter der Kata- stische Spezifität katatoner Symptomatik hingewiesen. tonieforschung bei der Katatonie beschrieben.“ Bonhoeffer [4] beispielsweise beschreibt katatone Syndro- me auch bei exogenen, organischen Psychosen. In den fol- Es werden in der traditionellen Literatur über 60 katatone genden Jahrzehnten wurde dann Katatonie immer wieder Symptome beschrieben, welche zum Teil terminologisch auch als Erscheinungsform bei bipolaren Störungen, uni- redundant oder phänomenologisch überdifferenziert er- polarer Depression, Intoxikationen mit ZNS-Beteiligung scheinen. Nach Bräunig und Krüger [6] wird eine Reihe sowie im Gefolge dissoziativer bzw. funktionell/psychoge- von Symptomen als klinisch besonders relevant erachtet ner Störungen beschrieben. Diese Beobachtungen mün- (siehe Tab. 1). den letztlich in eine syndromale Sichtweise der katatonen Phänomene als sekundäre Symptome verschiedener psychia- Im Lauf der Jahrzehnte sind verschiedenste katatone Syn- trischer Erkrankungen, ähnlich dem Wahn, der sich in der drome definiert worden. Bei fulminantem und schnell Konzeption vom schizophreniespezifischen Symptom zu zum Tod führendem Verlauf sprach man von maligner einem relativ unspezifischen, bei verschiedensten Erkran- Katatonie (perniziöser Katatonie, febriler Katatonie). Von kungen (wahnhafte Störung, psychotische Depression etc.) deliranter Manie oder katatoner Erregung wurde bei ex- vorkommenden Syndrom gewandelt hat [5]. So tradiert zessiver motorischer Unruhe gesprochen, von delirantem Stupor bei plötzlichem Auftreten eines Stupors ohne syste- Tabelle 1: Phänomenologie katatoner Symptome (modifiziert nach [6]) • Motorische Erregung – generalisierte Unruhe, Hyperaktivität, Bewegungsdrang • Motorische Hemmung – Hypoaktivität, verzögerte, verlangsamte Willkürmotorik, in extremis bis zum Bild des „akinetischen Stupor“ mit völlig fehlender Interaktion mit der Umgebung • Erhöhte oder verminderte Lidschlagfrequenz – mehr als 30 bzw. weniger als 10 Lidschläge pro Minute • Nesteln – Unruhebewegungen von Händen und Fingern • Stereotypien – repetitive, sinnlos wirkende, mitunter komplexe Bewegungen oder Handlungen, die unter geringer willkürlicher Kontrolle über längere Zeiträume beibehalten werden • Iterationen – Stereotypien betont rhythmischen Charakters • Grimassieren – hyperkinetische und/oder dystone Bewegungen der Gesichtsmuskulatur • Pseudoexpressivbewegungen – einfache, ruckhafte Bewegungen von Kopf und Extremitäten, meist im Zusammenhang mit Ausdrucksbewegungen • Parakinesien – eckige, disharmonische Willkürbewegungen mit Verlust der natürlichen Grazie (hölzern, starr) • Katalepsie – Flexibilitas cerea (wächserne Biegsamkeit): Glieder lassen sich passiv in beliebige Positionen bringen, diese werden beibehalten; – Rigidität: Starre Haltung, erhöhte Muskelspannung; – Haltungsverharren: Spontanes Einnehmen unüblicher, unbequemer Haltungen • Anstoß-/Nachahmungsautomatie – Anstoßautomatie: Gesteigerte Bereitschaft, einfache Bewegungen auf einen geringen Anstoß hin durchzuführen; – Nachahmungsautomatie: Nachahmung wahrgenommener Bewegungen und Gebärden • Gegenhalten – aktiver Widerstand gegenüber Versuchen, bewegt zu werden, auch ev. nur bezogen auf einzelne Körperteile oder Muskelgruppen • Katatone Sprachstörungen – Mutismus: Verminderung oder Aufhebung sprachlicher Äußerungen bei intakten Sprechorganen; – Verbigeration: stereotypes, schnelles Wiederholen von Worten oder Sätzen; – Palilalie: Wiederholung eigener Worte, Silben oder Satzenden; – Echolalie: Wie- derholung gehörter Worte oder Sätze; – Manierierte Sprache: Gestelzt, umständlich, verschroben, „pseudointellektuell“ wirkende Sprache; – Paraki- netische Sprache: Arrhythmische, disharmonische Sprechweise mit deutlich gestörter Prosodie, dem Vermögen der phonetischen Modulation, monotones, grelles, lautes Sprechen; – Telegrammstil: Antworten in agrammatischen, sehr kurzen Sätzen; – Murmeln: Extrem leise, flüsternde sprachliche Äußerungen • Negativismus – Verhaltensweisen, die Ablehnung, Abkehr ausdrücken: Unkooperatives Verhalten, Ausführen des Gegenteils, Widerstand mit Gereiztheit, Aggression, u. a. Nahrungsverweigerung, Kommunikationsverweigerung, Harn- und Stuhlverhalten, Enuresis, Enkopresis • Befehlsautomatie/Proskinese/Positivismus – das Gegenteil des vorigen • Manierismus – geschraubte, gezierte, umständliche Bewegungen und Verhaltensweisen • Rituale – regelmäßiges, zwanghaftes Wiederholen fixierter komplexer Verhaltensweisen oder Handlungen • Impulsivität – dranghafte Verhaltensweisen, die mit Unruhe einhergehen, aggressiv oder autoaggressiv, gieriges Essen/Schlingen, öffentliches Masturbieren etc. J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 3/2006 35
matische Ursache. Als katatonen Stupor oder Melancholia Tabelle 2: Klinik der malignen Katatonie/malignes neuroleptisches attonita bezeichnete man den Stupor bei affektiven Erkran- Syndrom (modifiziert nach [6]) kungen, weitere katatone Syndromnamen waren Delirium • Psychopathologische Symptome: Schwerste psychomotorische Erre- acutum, Bells-Manie und manisch-depressives Erschöp- gung oder Hemmung oder Wechsel, alternierende Bewußtseinslage, fungssyndrom. Muskelrigidität, Haltungsverharren, Dysphagie, Dystonien, Dyskinesien Das maligne neuroleptische Syndrom (NMS) ist ein Syn- • Autonome Instabilität: Hypertensive Krisen, Hypotonie, Tachykardie, Vasodilatation/-konstriktion, Fieber, Schwitzen, Sialorrhö drom des katatonen Spektrums, charakterisiert durch Be- • Pathologische Laborbefunde: Leukozytose, Thrombozytose, Protein- wußtseinstrübung, Fieber, Rigor, Dysautonomie und er- urie, Myoglobinurie, erhöhte Leberenzyme, CPK-Erhöhung, LDH- höhte Kreatin-Phosphokinase-Spiegel, bei dem auch eine Erhöhung, Hyperkaliämie, Hyponatriämie, Hypokalzämie, Hypo- Überschneidung mit der malignen Hyperthermie hypo- magnesiämie, erniedrigtes Serumeisen, HVA-Erhöhung im Liquor thetisiert wurde. Es tritt bei manchen Patienten nach Be- handlung mit hochpotenten Neuroleptika auf und wird als toxisches Ereignis bei Dopamin-Blockade angesehen. Ob Tabelle 3: Operationale Diagnosekriterien für das maligne neurolepti- das NMS mit der malignen Katatonie gleichzusetzen ist, sche Syndrom (modifiziert nach [11]) wurde in jüngerer Vergangenheit vielfach diskutiert [7, 9]. 1. Fieber unklarer Genese über 37,5 °C Tatsächlich ist das klinische Erscheinungsbild beider Ver- 2. Ausgeprägte extrapyramidale Symptomatik wie: Deutlicher Rigor, laufsformen kaum zu unterscheiden und nur die Neuro- Zahnradphänomen, Speichelfluß, okulogyre Krisen, Retrocollis, Opis- leptika-Anamnese ermöglicht eine sichere klinische Diffe- thotonus, Trismus, Schluckstörungen, choreatiforme oder dyskineti- rentialdiagnose. sche Bewegungsstörungen, Festination, „flexor-extensor posturing“ 3. Autonome Dysfunktion mit 2 oder mehr der folgenden Erscheinun- Klinische Ähnlichkeiten bestehen auch zum Serotonin- gen: Bluthochdruck (mindestens 20 mmHg über diastolischem Aus- Syndrom. Dieses ist ursächlich auf eine serotonerge Medi- gangsdruck), Tachykardie (mehr als 30 Schläge pro Minute mehr als der Ausgangswert), Tachypnoe (über 25 pro Minute), deutliches kation zurückzuführen und besteht aus deliranter Sympto- Schwitzen oder Inkontinenz matik mit Unruhe oder Lethargie, Störungen des Tag-/ Nachtrhythmus und Wahrnehmungsstörungen, aus katato- Gefordert ist die Erfüllung aller 3 Kriterien. Es reichen aber 2 Kriterien, ner Symptomatik mit Mutismus, Negativismen, Echophä- wenn die Patienten zusätzlich folgendes zeigen: Bewußtseinstrübung, wie bei Delir, Koma, Mutismus, Stupor, Leukozytose über 15.000/mm3, nomenen. Neurologisch imponieren Rigor, Tremor, Hyper- Kreatinkinase-Spiegel im Serum größer 300 IU/ml reflexie, Ataxie, Myoklonien, an vegetativer Symptomatik finden sich Flush, Schwitzen, Frösteln, Speichelfluß, Übel- keit, Temperatur- und Blutdruckerhöhung, zusätzlich fin- expressivbewegungen [6]. Ein gehäuftes Auftreten unspe- det sich Durchfall und eine abdominelle Schmerzsympto- zifischer Allgemeinveränderungen im EEG bei NMS könn- matik, Myoglobinurie und Nierenversagen, im Labor Leu- te hier bei einer Differenzierung helfen [12]. kozytose und Zeichen der Rhabdomyolyse mit CPK-An- stieg. Die Symptomatik entspricht in etwa einem NMS mit Schwere febrile Katatonien und das NMS zeigen auch de- zusätzlicher abdominaler Symptomatik [7]. lirante und komatöse Zustandsbilder, sodaß die Abgren- zung vom Delir und vom Koma anderer Genese wichtig Weitere symptomatische Ähnlichkeiten bestehen zur mali- ist. Auch die Abgrenzung von Parkinsonismus und De- gnen Hyperthermie und zur Parkinsonkrise. menz ist ein relevantes klinisches Problem. Weiters ist in der Differentialdiagnose das Serotonin-Syndrom, das sich im wesentlichen ähnlich einem NMS mit zusätzlicher ab- Diagnose und Differentialdiagnose dominaler Symptomatik präsentiert. Auch Sympathiko- mimetika und Anticholinergika sind in der Lage, maligne Auf syndromaler Ebene muß zunächst die Unterscheidung Zustandsbilder mit dem Leitsymptom Hyperpyrexie her- zwischen der dramatischen, lebensbedrohlichen, aller- vorzurufen, ebenso wie ZNS-Infektionen, Strychninintoxi- dings seltenen malignen Katatonie und dem malignen kationen, Hitzschlag, Tetanus, thyreotoxische Krisen und Neuroleptikasyndrom (NMS) einerseits und den benignen Phäochromozytome. Der Anstieg der Körpertemperatur katatonen Zustandsbildern andererseits erfolgen. wird letztlich über eine erhöhte Muskelaktivität verwirk- licht, was über Rhabdomyolyse, Hyperkaliämie, Nieren- Leitsymptome des malignen neuroleptischen Syndroms versagen und Herz-Kreislaufversagen zum Tode führen und der malignen Katatonie sind Fieber, erhöhte Kreatin- kann [13]. Am Vorigen angelehnt sind auch organische kinase-Spiegel im Serum, Tachykardie und erhöhte musku- Einflußgrößen formuliert worden, die ein NMS bahnen läre Rigidität, die jeweils bei mindestens 90 % dieser Pati- können. Es sind dies allgemein organische Hirnerkran- enten vorkommen [10]. Darüber hinaus zeigt sich mit kungen, Erschöpfung, Dehydratation, externe Überhit- abnehmender Häufigkeit noch eine Reihe weiterer Sym- zung, exzessiver Symphatikotonus, Behandlung mit lang ptome, wie in Tabelle 2 aufgezählt. Pope et al. [11] haben wirksamen Neuroleptika, Neuroleptika-Hochdosisbehand- operationale Kriterien für das maligne neuroleptische Syn- lung und schnelle Aufdosierung, abruptes Absetzen von drom vorgeschlagen (siehe Tab. 3). Die febrile (maligne, Antiparkinsonmedikation und eine begleitende Lithium- perniziöse) Katatonie ist, wie schon mehrfach erwähnt, therapie [14]. vom NMS symptomatisch kaum zu unterscheiden. Diese Erkenntnis wurde in der Vergangenheit gelegentlich als In den aktuellen Diagnosesystemen ICD-10 [15] und „katatones Dilemma“ bezeichnet, da im Fall des NMS das DSM-IV [16] taucht der Begriff des Katatonen uneinheit- Absetzen von Neuroleptika, im Fall der febrilen Katatonie lich auf. Im ICD-10 findet er sich außer bei der katatonen hingegen sogar eine eventuelle Gabe derselben indiziert Schizophrenie (F20.2) auch bei der organischen katatonen ist. Das „katatone Dilemma“ beinhaltet im weiteren auch Störung (F06.1). Von einem „katatonen Stupor“ dezidiert die schwierige Unterscheidung akuter neuroleptikaindu- abgegrenzt wird der dissoziative Stupor (F44.2), nicht zierter Dystonien von dystonen katatonen Krisen, Parkin- explizit als kataton bezeichnet ist ein depressiver Stupor sonoid von Rigor und tardive Dyskinesien von Pseudo- als „schwere depressive Episode mit psychotischen Sym- 36 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 3/2006
ptomen“ (F32.3) und ein manischer Stupor als „Manie mit zwecke wird bisweilen das DSM-IV herangezogen. Bezüg- psychotischen Symptomen“ (F30.2) kodierbar. Das ICD-10 lich der Diagnosekriterien siehe Tabelle 5 und 6. konstatiert allerdings dezidiert, „daß katatone Symptome allein die Diagnose einer (schizophrenen) Katatonie nicht Neben dem Erheben der spezifisch psychiatrischen Ana- rechtfertigen, da sie auch bei Gehirnerkrankungen, Stoff- mnese und des psychopathologischen Status ist der ent- wechselstörungen, Alkohol und Drogen sowie affektiven scheidende Wegweiser für die weitere Diagnostik hier vor Erkrankungen vorkommen können“. Das maligne Neuro- leptikasyndrom schließlich wird gar bei den neurologi- Tabelle 4: Organische Durchuntersuchung schen Erkrankungen als sekundäres Parkinsonsyndrom (G21.0) diagnostiziert. Obligatorisch • Somatische Anamnese Auch das DSM-IV erlaubt die Diagnose einer katatonen • Internistischer Status • Neurologischer Status Schizophrenie (295.20), weiters die Nennung katatoner • Blutbild, Elektrolyte, inkl. Kalzium und Phosphor, CK, Schilddrüse, Symptomatik als Zusatzmerkmal bei affektiven Störungen HIV-, Hepatitis-, Syphilis-Serologie, Leber- und Nierenfunktions- (296.xx) und die Diagnose „katatone Störung“ aufgrund parameter, Zucker einer allgemeinmedizinischen Erkrankung (293.89). Ein • Harnbefund dissoziativer Stupor wäre nach DSM-IV unter „dissoziative • Instrumentelle Durchuntersuchung mit EKG, EEG, CCT Störung, nicht näher bezeichnet“ (300.15) zu kodieren. Fakultativ Im DSM-IV kodiert das maligne neuroleptische Syndrom • MRI unter den medikamenteninduzierten Bewegungsstörun- • Blut-, Harn- oder Sputum-Kulturen gen (333.92). • Lungenröntgen • Liquorpunktion mit Liquorbefund, Zytologie, Virologie, Bakteriologie • Neurologisches Konsil Eine Möglichkeit zur Kodierung des Schweregrades mit • Internistisches Konsil der Zunahme autonomer Dysregulation besteht allerdings • Weitere spezifische Untersuchungen je nach Symptomatik und in beiden Diagnosemanualen nicht. Befundlage Tabelle 5: DSM-IV-TR-Diagnosekriterien Diagnosealgorithmus Katatone Störung aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors Syndromdiagnose „kataton“ (293.89) Die Erfassung und Beschreibung der katatonen Sympto- Folgende 4 Kriterien müssen erfüllt sein: matik erfolgt zunächst im psychopathologischen Status, A. Motorische Unbeweglichkeit (Katalepsie, Stupor), exzessive motori- sie kann zum Teil auch anamnestisch, insbesondere sche Aktivität, extremer Negativismus oder Mutismus, Eigentümlich- außenanamnestisch erfragt werden. Von den klassischen keiten der Willkürbewegungen oder Echolalie oder Echopraxie Katatonie-Autoren wurden vier katatone Symptome gefor- B. Hinweise, daß das Störungsbild die direkte körperliche Folge eines medizinischen Krankheitsfaktors ist dert, um von einer Katatonie sprechen zu können („Dia- C. Das Störungsbild kann nicht besser durch eine andere Krankheit gnostischer Schwellenwert“). Heute stehen mehrere Sym- erklärt werden. ptomchecklisten bzw. Ratingskalen zur Verfügung, und D. Kein Auftreten ausschließlich im Verlauf eines Delirs die Anwendung einer solchen bietet sich an (Bush- Francies Catatonia Rating Scale (BFCRS) [17], Northoff Katatone Schizophrenie (295.20) Catatonia Scale (NCS) [18], Bräunig-Katatonie-Rating-Ska- Mindestens 2 der folgenden Symptome müssen vorhanden sein: la (BKRS) [19], Modified Rogers Scale [20, 21]). 1. Motorische Unbeweglichkeit mit Katalepsie oder Stupor 2. Exzessive ungerichtete motorische Aktivität Organische Durchuntersuchung/Ausschlußdiagnostik 3. Extremer Negativismus oder Mutismus, eigentümliche Willkürbewe- (Tab. 4) gungen (Posieren, Grimassieren, Bewegungsstereotypien, Manieris- men) Eine somatische Anamnese wird erhoben, ebenso ein 4. Echolalie, Echopraxie internistischer und neurologischer Status erstellt. Weiters erfolgt eine Durchuntersuchung mit Erhebung von Labor- parametern (u. a. Blutbild, Elektrolyte inkl. Kalzium und Tabelle 6: ICD-10-Diagnosekriterien Phosphor, CPK, Leber- und Nierenfunktionsparameter, Organische katatone Störung (F06.1) Zucker, Schilddrüse, HIV-, Hepatitis-, Syphilis-Serologie), Die allgemeinen Kriterien für die Annahme einer organischen Ätiologie eines Harnbefundes, weiters instrumentelle Durchunter- müssen erfüllt sein. Zusätzlich soll eine der folgenden Verhaltensweisen suchung mit EKG, EEG, CCT, ev. MRI. Insbesondere das vorhanden sein: EEG ist geeignet, einen – allerdings unspezifischen – Hin- 1. Stupor (mit Mutismus, Negativismus und Haltungsstereotypien) weis auf eine eventuelle organische Genese des katatonen 2. Erregung Zustandsbildes zu geben [22]. Im Falle eines Status febrilis 3. Beides (in raschem Wechsel) oder bei entsprechendem Verdacht oder entsprechender Katatone Schizophrenie (F20.2) Befundkonstellation erfolgen ev. Blut-, Harn- oder Spu- Die allgemeinen diagnostischen Kriterien für die Schizophrenie müssen tum-Kulturen, Lungenröntgen, ev. auch eine Liquorpunk- erfüllt sein. Das klinische Bild soll von einer oder mehreren der folgen- tion mit Liquorbefund, Zytologie, Virologie, Bakteriologie, den Verhaltensweisen beherrscht sein: darüber hinaus je nach Symptomatik und Erstbefundlage 1. Stupor oder Mutismus weitere Untersuchungen. Bei Bedarf wird neben dem Psy- 2. Erregung chiater ein Facharzt für Neurologie oder Innere Medizin 3. Haltungsstereotypien zugezogen. 4. Negativismus 5. Rigidität Nosologische Diagnose 6. Flexibilitas cerea Die nosologische Diagnostik erfolgt an unserer Klinik übli- 7. Andere Symptome wie Befehlsautomatismen und verbale Persevera- tion cherweise nach dem ICD-10, vor allem für Forschungs- J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 3/2006 37
allem auch die Außenanamnese. Die Patienten selbst sind Ätiologie, Pathophysiologie oft nicht explorierbar, mutistisch oder in einem anderwei- tig prekären Zustand, sodaß hauptsächlich die Berichte Neuropathologische Befunde aus Post-mortem-Unter- von Angehörigen, Vorbetreuenden oder allgemein Außen- suchungen, Befunde aus bildgebenden Verfahren (CT, stehenden entscheidende Informationen beitragen. Hier- SPECT, fMRI), neurochemische und elektrophysiologische her gehört auch die Medikamentenanamnese, insbeson- Befunde legen laut Northoff [8] nahe, daß sowohl der dere die Neuroleptikaanamnese, die bei der Differenzie- Katatonie als auch dem NMS Dysregulationen im „motor rung des NMS natürlich unverzichtbar ist. loop“, in den kortikalen/subkortikalen Regelkreisen zwi- schen motorischem Kortex und den Basalganglien zugrun- Die psychiatrische Differentialdiagnose erstreckt sich auf de liegen. Während beim NMS jedoch vermutlich eine die organischen Psychosen, Leitsymptome wären hier neuroleptische Blockade subkortikaler striataler Dopamin- eventuell Bewußtseinsbeeinträchtigungen unterschiedli- D2-Rezeptoren besteht, handelt es sich bei der Katatonie cher Ausprägung sowie vor allem die Befunde der organi- eher um eine GABAerge Dysregulation im orbitofrontalen schen Durchuntersuchung, insbesondere auch des EEG. Regelkreis. Weiters ist die Schizophrenie bei Vorliegen erstrangiger Symptome nach Kurt Schneider [22] in Betracht zu ziehen, Die Wirksamkeit von Benzodiazepinen bei Katatonie, ins- die uni- und bipolar affektiven Störungen, die Konver- besondere von Lorazepam, wird mit deren GABAerger sions- oder dissoziativen Störungen, und letztlich muß die Wirkung in Zusammenhang gebracht [27]. Diese Wirkung Abgrenzung eines malignen neuroleptischen Syndroms könnte GABAa-Rezeptor-spezifisch sein, da neben dem und eines Serotonin-Syndroms erfolgen. potenten GABAa-Agonisten Lorazepam auch Zolpidem als Nicht-Benzodiazepin-GABAa-Agonist bei Katatonie Vor allem die Würdigung der organischen Befunde sollte mit wirksam ist. GABAb-Agonisten, wie Valproinsäure, und großer Sorgfalt erfolgen, da die Anamnese einer psychia- Agonisten am serotonergen 5-HT1A-Rezeptor hingegen trischen Erkrankung eine Katatonie auf Basis einer organi- haben in Fallstudien und in experimentellen Modellen schen Störung verschleiern und damit eine kausale Therapie angeblich eine katatone Wirkung gezeigt [28]. verhindern könnte. So könnte ein schizophrener Patient durchaus auch unabhängig von seiner Schizophrenie eine Die Katatonie, jedenfalls in Form der katatonen Schizo- katatone Symptomatik auf Basis etwa einer metabolischen phrenie, scheint auch einen nicht unwesentlichen here- Störung oder eines Hirntumors entwickeln. ditären Anteil aufzuweisen. So fanden Scharfetter und Nüsperli [29] ein mit 13 % signifikant erhöhtes Morbidi- tätsrisiko, allerdings für Schizophrenie allgemein, unter den erstgradigen Verwandten von Patienten mit katatoner Häufigkeit Schizophrenie, verglichen mit 7 % bzw. 8 % bei paranoi- den Psychosen und Hebephrenien. Stöber [30] berichtet Die maligne Katatonie wird heute nur noch sehr selten von einer genomweiten Kopplungsstudie, bei der unter der diagnostiziert. Das heißt nun nicht zwangsläufig, daß sie Annahme einer autosomal dominanten Transmission mit tatsächlich seltener geworden ist. Eine Untersuchung von verminderter Dominanz ein signifikantes Kopplungsergeb- Häfner und Kasper [23] zeigte, daß die akut lebensbedroh- nis bezüglich Chromosom 15q15 bei periodischen Katato- lichen Katatonien auch weiterhin gefunden werden konn- nien nach Leonhard gezeigt werden konnte. ten, daß sie aber deshalb in den psychiatrischen Kranken- häusern kaum mehr gesehen wurden, weil mit der Spezia- lisierung der medizinischen Versorgung überall dort, wo Therapie keine psychiatrische Intensivpflegeeinheit bestand, diese Patienten auf allgemeinen Intensivstationen behandelt Allgemeine Therapie wurden. Die erhebliche Gefährdung katatoner Patienten und damit die Notwendigkeit der Behandlung an einer psychiatri- Bräunig und Krüger [6] nennen für katatone Zustandsbil- schen Intensivpflegestation ergibt sich bei motorisch der im weiteren Sinn folgende, aus der Literatur erhobene erregten Patienten aus der Fremdgefährdung und bis zu Zahlen: Bei akuten schweren psychiatrischen Erkrankun- einem gewissen Grad auch Selbstgefährdung durch feh- gen zeigen sich je nach Quelle 10–20 % katatone Zu- lende Schutzreflexe, was eine Beschränkung der Patienten standsbilder, bei affektiven Erkrankungen 10–30 %, bei durch eine Schutzfixierung und Sedierung notwendig Schizophrenien vor 1960 30 %, danach weniger als 10 %, machen kann. Bei motorisch gehemmten Patienten steht eine Beobachtung, die als „Katatonieschwund“ bezeichnet die Selbstgefährdung ganz im Vordergrund, hier besteht wurde. Für diesen Katatonieschwund wurden verschie- ein Selbstversorgungsdefizit, was einen hohen Pflegeauf- dene Hypothesen angeboten. Neben der oben genannten wand mit sich bringt. Die malignen Verläufe wiederum Beobachtung der präferenziellen Behandlung schwerkran- bedürfen einer intensiven somatischen, meist intravenö- ker katatoner Patienten auf allgemeinen Intensivstationen sen Therapie und bedeuten einen entsprechenden Be- hängt eine weitere überzeugende Überlegung mit dem handlungsaufwand. Die im folgenden geschilderte Vor- Aufkommen der Neuroleptika zusammen. Neben der bes- gehensweise entspricht der gängigen Praxis an unserer Sta- seren Behandelbarkeit v. a. der Schizophrenien mag die tion und ersetzt keinesfalls das Studium einschlägiger The- Bereitschaft gestiegen sein, motorische Symptome als rapierichtlinien. extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen der antipsy- chotischen Medikation zu interpretieren [24, 25]. Erweist sich eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit als unumgänglich notwendig, so sollte das Behandlungsteam Die Häufigkeit des malignen neuroleptischen Syndroms diese entschieden und koordiniert durch Schutzfixierung wurde nach allerdings schon etwas älteren Arbeiten auf am Bett vornehmen. Diese sollte in weiterer Folge jeden- 0,5–1 % der mit Neuroleptika behandelten Patienten ge- falls durch eine ausreichende Sedierung des Patienten be- schätzt [26], Pope et al. [11] kommen auf 1,4 %. gleitet sein. Unabdingbar ist in diesem Fall die Unterbrin- 38 J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 3/2006
gung des Patienten nach dem Unterbringungsgesetz. Eine chend möglich sind, die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr solche Unterbringung muß selbstverständlich auch dann bevorzugt über die nasal eingeführte Magensonde. Ein erfolgen, wenn der Patient aufgrund seines Beschwerde- vorsichtiger Kostaufbau erfolgt mit zunächst 500 ml Stan- bildes, insbesondere bei Bewußtseinstrübung, nicht in der dardnährlösung entsprechend 500 kcal und 500 ml Flüs- Lage ist, in die Therapie informiert einzuwilligen. sigkeit in 5 Einzelportionen aufgeteilt. Durch den vorsich- tigen Beginn soll, insbesondere bei vorangegangener Nah- Eine Immobilisierung durch Schutzfixierung und Sedie- rungskarenz, die Gefahr von Erbrechen und Aspirieren rung sollte durch eine apparative Überwachung von At- hintangehalten werden. Aus demselben Grund stellt eine mungs- und Kreislauffunktion begleitet sein, bestehend starke Bewußtseinsverminderung eine relative Kontraindi- aus kontinuierlicher Messung der Herzfrequenz mittels kation gegen dieses Vorgehen dar. Innerhalb einer Woche EKG, der Atemfrequenz und der Sauerstoffsättigung des ist mit dieser Methode eine Steigerung auf 2000 kcal pro Blutes sowie periodisch des Blutdruckes (Monitoring). Tag möglich. Weiters sind eine Ein- und Ausfuhrbilanz und eine Anti- koagulation mit niedrigmolekularem Heparin zur Throm- Als Alternative dazu bietet sich bei starker Bewußtseins- boseprophylaxe indiziert. verminderung oder Unmöglichkeit der Ernährung per Ma- gensonde aus anderen Gründen eine intravenöse Ernäh- Die Bewußtseinslage des Patienten unter sedierender me- rung an. Zu diesem Zweck ist ein zentralvenöser Zugang dikamentöser Therapie sollte jedenfalls so geführt werden, (Jugularis- oder Subklaviakatheter) notwendig. Über Infu- daß er jederzeit weckbar ist, was durch regelmäßige Vigi- somat wird eine parenterale Nährlösung mit konstanter lanzprüfungen im Rahmen v. a. pflegerischer Zuwendun- Geschwindigkeit verabreicht, beginnend mit 20–30 ml/h gen sichergestellt wird. Soporöse und komatöse Zustands- (entsprechend 20–30 kcal), dann über 1 Woche schritt- bilder sollten durch die Durchführung einer Blutgasana- weise Steigerung auf 80–90 ml/h. Die Durchflußrate sollte lyse kontrolliert werden, um v. a. eine insuffiziente Atmung nie über 100 ml/h liegen und zumindest alle 2 Tage ist die mit Hyperkapnie, eine CO2-Narkose durch vermindertes Blutchemie zu kontrollieren. Bei plötzlich auftretendem Abatmen, auszuschließen. Eine medikamentöse Sedierung Fieber ohne andere Ursache (Lungenröntgen, pulmonale muß an psychiatrischen Abteilungen so geführt werden, Symptomatik, Harnstreifen) ist auch an eine Infektion des daß die Spontanatmung erhalten bleibt. Eine Gabe von zentralvenösen Katheters mit konsekutiver Sepsis zu den- Sauerstoff über die Maske ist möglich, sollte im Normalfall ken und dieser gegebenenfalls zu entfernen, die Katheter- aber 2–4 l O2 pro Minute nicht überschreiten, um den spitze sowie peripher entnommene Blutkulturen sollten Atemantrieb nicht zu nehmen und damit wieder die Ge- dann bakteriologisch untersucht werden. Eine häufige fahr der CO2-Narkose zu erhöhen. Bei Ateminsuffizienz Komplikation bei zentralvenösem Zugang stellt die Selbst- und bei Verdacht auf oder Wissen um kürzlich erfolgte entfernung desselben (wie auch häufig des Blasenkathe- Benzodiazepineinnahme oder laufende Therapie mit Ben- ters) durch den bewußtseinsgetrübten Patienten dar, was zodiazepinen ist die Gabe von Flumazenil i. v. (Anexate®) wiederum eine Beschränkung durch Schutzfixierung not- indiziert. Bei anhaltender Bewußtlosigkeit und Ateminsuf- wendig machen kann. fizienz stellt sich ev. die Indikation zur Intubation und ma- schinellen Beatmung, was in der Regel über die Möglich- Spezifische Therapie keiten der psychiatrischen Intensivpflegestation hinaus- Bei katatonen Zustandsbildern organischer Genese steht geht und eine Transferierung an eine allgemeine Intensiv- selbstverständlich die Therapie der Grunderkrankung station notwendig macht. ganz im Vordergrund. Zusätzlich ist eine symptomatische Therapie, wie unten skizziert, indiziert. Unter den oben skizzierten Bedingungen ist bei katatonen Zustandsbildern eine adäquate Flüssigkeits- und Nah- Begleitend ist je nach Zustand der Patienten eine Ergo-, rungszufuhr nicht zu erwarten, sodaß auch diese zu über- Physio- und Psychotherapie sinnvoll, wobei hypothetisiert wachen und eventuell zu ergänzen ist. Eine inadäquate wurde, daß diese Maßnahmen vor allem den früher häufi- Flüssigkeitsaufnahme läßt sich aus der Anamnese und ger beobachteten, sogenannten Unterstimulationsstereo- einem verminderten Hautturgor sowie einer trockenen typien entgegenwirken. Gemeint sind damit rhythmische Zunge vermuten. Objektivieren kann man diese mittels Bewegungsabläufe bei Patienten, die sich dadurch selbst der Ein- und Ausfuhrbilanz, eines erhöhten spezifischen stimulieren. Gewichts des Harns (> 1020 g/l), einer erhöhten Natrium- konzentration im Serum (> 144 mmol/l) sowie ev. eines Medikamentöse Therapie der 1. Wahl bei katatoner Sym- erhöhten Kreatinins im Serum. ptomatik sind Benzodiazepine bis zu einem Dosisäquiva- lent von etwa 20 mg Lorazepam pro Tag. Diese wirken bei Eine reduzierte Nahrungsaufnahme bzw. katabole Stoff- allen katatonen Syndromen laut Bräunig und Krüger [6], wechsellage läßt sich aus Gewichtsreduktion und wie- jedoch am besten bei Syndromen mit motorischer Hem- derum der Anamnese ableiten. Eine Objektivierung ist mungssymptomatik sowie bei zugrundeliegender affekti- über den Nachweis von Keton im Harn möglich, auch re- ver Erkrankung. duzierte Blutwerte für Gesamteiweiß und Albumin sind Hinweise. Alle Formen der Katatonie sprechen prinzipiell gut auf Elektrokrampftherapie (EKT) an, was diese Behandlung zu- Der Ausgleich der Flüssigkeitsbilanz auf mindestens mindest zur Therapie der 2. Wahl macht, bei den schwe- 2500 ml Einfuhr pro Tag erfolgt bevorzugt mittels Ringer- ren Verlaufsformen wie maligner Katatonie sogar zur The- Laktat-Lösung i. v. mit 100–200 ml pro Stunde. Die Aus- rapie der 1. Wahl. Auch bei schizoaffektiver und affektiver fuhrbilanz erfolgt über die Messung des Harnvolumens bei Grunderkrankung ist die EKT sehr gut wirksam [6]. liegendem Blasenkatheter. Ein solcher ist bei immobilen beziehungsweise schutzfixierten Patienten auch aus pfle- Bei schizophrenen Katatonien wurden von Bräunig und gerischen Gesichtspunkten notwendig. Im weiteren er- Krüger [6] atypische Neuroleptika in üblicher Dosierung folgt, falls Essen und Trinken per via naturalis nicht ausrei- mit Erfolg eingesetzt (siehe von der WHO vorgeschlagene J. NEUROL. NEUROCHIR. PSYCHIATR. 3/2006 39
Tabelle 7: Dosierungen oraler Neuroleptika – antipsychotische Chlor- Verlauf promazin- (CPM-) Äquivalenzdosen laut WHO (www.whocc.no/atcddd/) Äquivalenzdosis Maximale Max. Dosis in Die Mortalität der malignen katatonen Syndrome ist nicht zu 300 mg CPM Dosis CPM-Äquiv. unerheblich. So wurde beispielsweise für das NMS eine Mortalität von 8–30 % angegeben [34]. Prinzipiell gelten Deutlich sedierende die katatonen Zustandsbilder jedoch als gut auf die Thera- Neuroleptika pie respondierend und bei konsequenter Behandlung der Chlorprothixen 300 mg 600 mg 600 mg Grunderkrankung als relativ rasch reversibel [35]. Clozapin 300 mg 800 mg 800 mg Levomepromazin 300 mg 600 mg 600 mg Olanzapin 10 mg 30 mg 900 mg Prothipendyl 240 mg 240 mg 300 mg Schlußbemerkung Quetiapin 400 mg 1600 mg 1200 mg Zotepin 200 mg 400 mg 600 mg Die Katatonie beziehungsweise Erkrankungen mit katato- Zuclopenthixol 30 mg 150 mg 1500 mg ner Symptomatik sind in psychiatrischen Abteilungen in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend weniger beob- Mäßig sedierende achtet worden. Dies mag daran liegen, daß im Laufe der Neuroleptika Jahre die Sensibilität für diese Art der Symptomatik abge- Amisulprid 400 mg 1200 mg 900 mg nommen hat und daß möglicherweise solche Störungs- Aripiprazol 15 mg 30 mg 600 mg bilder vermehrt auf Intensivstationen behandelt werden. Haloperidol 8 mg 15 mg 560 mg Die Katatonien stellen jedenfalls eine besondere diagno- Risperidon 5 mg 8 mg 480 mg Sulpirid 800 mg 2000 mg 750 mg stische und therapeutische Herausforderung dar. Mit dem Ziprasidon 80 mg 240 mg 900 mg vorliegenden Review hoffen wir, einen Beitrag bezüglich der therapeutischen Besonderheiten der Behandlung sol- cher Erkrankungsbilder an einer psychiatrischen Intensiv- Chlorpromazin-Äquivalenzdosen in Tabelle 7). Die Gabe pflegestation (PICU) geleistet zu haben. klassischer hochpotenter Neuroleptika wird mit dem Argu- ment der Gefahr der Induktion eines NMS bzw. einer Ver- Literatur: stärkung der motorischen Hemmungssymptomatik eher 1. Kahlbaum K. Die Katatonie oder das Spannungsirresein, eine klini- abgelehnt. Auch Van den Eede et al. [31] schließen aus ih- sche Form psychischer Krankheit. Hirschwald, Berlin, 1874. rem Review der Literatur, daß atypische Neuroleptika bei 2. Pfuhlmann B, Stöber G. The different conceptions of catatonia: his- den nichtmalignen Formen der Katatonie günstig sind, torical overview and critical discussion. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2001; 251 (Suppl 1): I/4–I/7. empfehlen den Einsatz jedoch nicht bei malignen Formen 3. Leonhard K. Classification of endogenous psychoses and their differ- und dem NMS. entiated etiology. 2. Aufl. Springer, Wien, 1999. 4. Bonhoeffer K. Die exogenen Reaktionstypen. Arch Psychiat Nervenkr Beim NMS ist das Absetzen der Neuroleptika der erste the- 1917; 58: 58–70. rapeutische Schritt. Das NMS respondiert auch gut auf 5. Fink M. Catatonia: syndrome or schizophrenia subtype? Recognition Benzodiazepine, anekdotisch ist der erfolgreiche Einsatz and treatment. J Neural Transm 2001; 108: 637–44. von Dantrolen, Bromocriptin, Levodopa und Amantadin 6. Bräunig P, Krüger S. Katatonie. Eine Übersicht. Psychiatr Prax 2005; beschrieben [5]. 32 (Suppl 1): S7–S24. 7. Fink M, Taylor MA. The many varieties of catatonia. Eur Arch Psy- chiatry Clin Neurosci 2001; 251 (Suppl 1): I/8–I/13. Bei depressivem Stupor ist selbstverständlich der Einsatz 8. Northoff G. Catatonia and neuroleptic malignant syndrome: psycho- von Antidepressiva indiziert, zusätzlich sollten bei diesem pathology and pathophysiology. J Neural Transm 2002; 109: 1453– schweren psychotisch-depressiven Zustandsbild Antipsy- 67. chotika gegeben werden. 9. Abrams R. Electroconvulsive Therapy. 3 rd ed. Oxford University Press, New York, Oxford, 1997. Bezüglich weiterer Therapieoptionen bei Katatonie gibt es 10. Levenson J. Neuroleptic malignant syndrome. Am J Psychiatry 1985; primär anekdotische Berichte in Form von Fallbeschrei- 142: 1137–45. bungen. So wurden Patienten mit den folgenden Substan- 11. Pope HG, Keck PE, McElroy SL. Frequency and presentation of neuroleptic malignant syndrome in a large psychiatric hospital. Am zen mehr oder weniger erfolgreich behandelt: Amantadin, J Psychiatry 1986; 143: 1227–33. Bromocriptin, Dantrolen, L-Dopa, Zolpidem, Biperiden, Li- 12. Carroll BT, Boutros NN. 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Diagnostic and statistical manual dender Mortalitätsfaktor erfordert besonderes Augenmerk. of mental disorders. 4th ed., text revision. American Psychiatric Asso- Hier ist die Zusammenarbeit mit Kollegen internistischer, ciation, Washington, DC, 2000. notfallmedizinischer oder anästhesiologischer Ausrichtung 17. Bush G, Fink M, Petrides G, Dowling F, Francis A. Catatonia I. Rating unerläßlich. Die Diagnostik erfolgt mit Hilfe des Nach- scale and standardized examination. Acta Psychiatr Scand 1996; 93: weises erhöhter Serumwerte von Kreatinkinase bis zu 129–36. mehreren 100.000 IU/ml und einer Myoglobinurie. The- 18. Northoff G, Koch A, Wenke J, Eckert J, Böker H, Pflug B, Bogerts B. Catatonia as a psychomotor syndrome: a rating scale and extrapy- rapie der Wahl ist eine großzügige Flüssigkeitszufuhr und ramidal motor symptoms. Mov Disord 1999; 14: 404–16. forcierte alkalische Diurese mittels Furosemid, Mannitol 19. Bräunig P, Krüger S, Shugar G, Höffler J, Börner I. 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