Kleider in der Literatur - Lehrerinformation
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Deutsch 01 / Kleider machen Schule Kleider in der Literatur Lehrerinformation 1/7 Arbeitsauftrag Die Sch’ analysieren verschiedene Texte. Sie sollen erkennen, nach welchen Kriterien die Selektion der Kleidung in den Textbeispielen vorgenommen wird. Ziel Die Sch’ erkennen, dass im Alltag Kleider verschiedene Funktionen übernehmen: Schutz vor Witterung, kulturelle Identität, Gruppenidentität, Berufskleidung (Uniform, Schutzanzug), Selbstdarstellung, Erotik etc. Material Arbeitsblatt mit Texten Lösungen mit Erläuterungen Sozialform GA Zeit 30’ Zusätzliche Autor: Prof. Dr. M. Andermatt Informationen: www.t-schoolproject.com
Deutsch 01 / Kleider machen Schule Kleider in der Literatur Arbeitsblatt 2/7 Lies die beiden Texte – es sind Auszüge aus bekannten Büchern berühmter Autoren – durch und bestimme anschliessend die Selektionskriterien der Kleiderwahl in den Texten. Streiche die entsprechenden Textstellen an und notiere deine Ergebnisse in den Tabellen. Aufgabe: Hinweis: Im Unterschied zur Lebenswelt (welche Rolle spielen Kleider im Alltag?) ist Kleidung in der Literatur nur versatzstückartig, als vom Autor bewusstes Element vorhanden. Text 1, Figurencharakterisierung: Vor Sonnenaufgang Text von Gerhart Hauptmann (1889) Erster Akt Das Zimmer ist niedrig; der Fußboden mit gutem Teppich belegt. Moderner Luxus auf bäuerische Dürftigkeit gepfropft. An der Wand hinter dem Esstisch ein Gemälde, darstellend einen vierspännigen Frachtwagen, von einem Fuhrknecht in blauer Bluse geleitet. Miele, eine robuste Bauernmagd mit rotem, etwas stumpfsinnigen Gesicht; sie öffnet die Mitteltür und lässt Alfred Loth eintreten. Loth ist mittelgroß, breitschultrig, untersetzt, in seinen Bewegungen bestimmt, doch ein wenig ungelenk; er hat blondes Haar, blaue Augen und ein dünnes lichtblondes Schnurrbärtchen, sein ganzes Gesicht ist knochig und hat einen gleichmäßig ernsten Ausdruck. Er ist ordentlich, jedoch nichts weniger als modern gekleidet. Miele: Bitte! Ich werden Herrn Inschinnär glei ruffen. Wollen Sie nich Platz nehmen?! [...] Die Tür rechts wird aufgemacht. Hoffmann steckt den Kopf heraus. [...] Hoffmann ist etwa dreiundreißig Jahre alt, schlank, groß, hager. Er kleidet sich nach der neuesten Mode, ist elegant frisiert, trägt kostbare Ringe und Brillantknöpfe. Kopfhaar und Schnurrbart schwarz, der Letztere sehr üppig, äußerst sorgfältig gepflegt. Gesicht spitz, vogelartig. Ausdruck verschwommen, Augen schwarz, lebhaft, zuweilen unruhig. Loth Hoffmann www.t-schoolproject.com
Deutsch 01 / Kleider machen Schule Kleider in der Literatur Arbeitsblatt 3/7 Text 2, multiperspektivische Charakterisierung: Effi Briest Text von Theodor Fontane (1894/95) [...] Beide, Mutter und Tochter, waren fleißig bei der Arbeit [...]. Rasch und sicher ging die Wollnadel der Damen hin und her, aber während die Mutter kein Auge von der Arbeit ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte, von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob sich, um unter allerlei kunstgerechten Beugungen und Streckungen den ganzen Kursus der Heil- und Zimmergymnastik durchzumachen. Es war ersichtlich, daß sie sich diesen absichtlich ein wenig ins Komische gezogenen Übungen mit ganz besonderer Liebe hingab, und wenn sie dann so dastand und, langsam die Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf zusammenlegte, so sah auch wohl die Mama von ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und verstohlen, weil sie nicht zeigen wollte, wie entzückend sie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütterlichen Stolzes sie voll berechtigt war. Effi trug ein blau und weiß gestreiftes, halb kittelartiges Leinwandkleid, dem erst ein fest zusammengezogener, bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matrosenkragen. In allem, was sie tat, paarten sich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüte verrieten. Man nannte sie die »Kleine«, was sie sich nur gefallen lassen mußte, weil die schöne, schlanke Mama noch um eine Handbreit höher war. [...] [Effis Freundin] Hulda sagte mit einem Male: »Nun aber ist es höchste Zeit, Effi; du siehst ja aus, ja, wie sag ich nur, du siehst ja aus, wie wenn du vom Kirschenpflücken kämst, alles zerknittert und zerknautscht; das Leinenzeug macht immer so viele Falten, und der große weiße Klappkragen ... ja, wahrhaftig, jetzt hab ich es, du siehst aus wie ein Schiffsjunge.« »Midshipman, wenn ich bitten darf. Etwas muß ich doch von meinem Adel haben. Übrigens, Midshipman oder Schiffsjunge, Papa hat mir erst neulich wieder einen Mastbaum versprochen, hier dicht neben der Schaukel, mit Rahmen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das sollte mir gefallen, und den Wimpel oben selbst anzumachen, das ließ' ich mir nicht nehmen. Und du, Hulda, du kämst dann von der anderen Seite her herauf, und oben in der Luft wollten wir hurra rufen und uns einen Kuß geben. Alle Wetter, das sollte schmecken. «[...]$ »Nun bist du doch noch in deinem Kittel, und der Besuch ist da. Nie hältst du Zeit.« [...] Frau von Briest aber, die unter Umständen auch unkonventionell sein konnte, hielt plötzlich die schon forteilende Effi zurück, warf einen Blick auf das jugendlich reizende Geschöpf, das, noch erhitzt von der Aufregung des Spiels, wie ein Bild frischesten Lebens vor ihr stand, und sagte beinahe vertraulich: »Es ist am Ende das beste, du bleibst, wie du bist. Ja, bleibe so. Du siehst gerade sehr gut aus. Und wenn es auch nicht wäre, du siehst so unvorbereitet aus, so gar nicht zurecht- gemacht, und darauf kommt es in diesem Augenblick an. Ich muß dir nämlich sagen, meine süße Effi ...«, und sie nahm ihres Kindes beide Hände, »... ich muß dir nämlich sagen ...« »Aber Mama, was hast du nur? Mir wird ja ganz angst und bange. »... Ich muß dir nämlich sagen, Effi, dass Baron Innstetten eben um deine Hand angehalten hat.« Effi 1 (Sicht des Erzählers) Effi 2 (Sicht Huldas/Effis) Effi 3 (Sicht der Mutter) www.t-schoolproject.com
Deutsch 01 / Kleider machen Schule Kleider in der Literatur Arbeitsblatt 4/7 Text 3, subjektive Charakterisierung: Der goldne Topf Text von E.T.A. Hoffmann (1819) [...] [Es] stand plötzlich ein langer hagerer Mann, in einen weiten lichtgrauen Überrock gehüllt, vor ihm und rief, indem er ihn mit seinen großen feurigen Augen anblitzte: »Hei hei – was klagt und winselt denn da? – Hei, hei, das ist ja Herr Anselmus, der meine Manuskripte kopieren will.« [...] – Der Archivarius [...] schritt rasch von dannen, so, dass er in der tiefen Dämmerung, die unterdessen eingebrochen, mehr in das Tal hinabzuschweben als zu gehen schien. Schon war er in der Nähe des Koselschen Gartens, da setzte sich der Wind in den weiten Überrock und trieb die Schöße auseinander, dass sie wie ein Paar große Flügel in den Lüften flatterten, und es dem Studenten Anselmus, der verwunderungsvoll dem Archivarius nachsah, vorkam, als breite ein großer Vogel die Fittige aus zum raschen Fluge. – Wie der Student nun so in die Dämmerung hineinstarrte, da erhob sich mit krächzendem Geschrei ein weißgrauer Geier hoch in die Lüfte, und er merkte nun wohl, dass das weiße Geflatter, was er noch immer für den davonschreitenden Archivarius gehalten, schon eben der Geier gewesen sein müsse, unerachtet er nicht begreifen konnte, wo denn der Archivarius mit einemmal hingeschwunden. [...] Text 4, Kleidersymbolik: Die Leiden des jungen Werthers Text von Johann Wolfgang Goethe (1774) [...] Es hat schwer gehalten, bis ich mich entschloß, meinen blauen einfachen Frack, in dem ich mit Lotten zum erstenmale tanzte, abzulegen, er ward aber zuletzt gar unscheinbar. Auch habe ich mir einen machen lassen ganz wie den vorigen, Kragen und Aufschlag, und auch wieder so gelbe Weste und Beinkleider dazu. Ganz will es doch die Wirkung nicht tun. Ich weiß nicht – ich denke, mit der Zeit soll mir der auch lieber werden. […] Aus dem Blut auf der Lehne des Sessels konnte man schließen, er habe sitzend vor dem Schreibtische die Tat vollbracht, dann ist er heruntergesunken, hat sich konvulsivisch um den Stuhl herumgewälzt. Er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rücken, war in völliger Kleidung, gestiefelt, im blauen Frack mit gelber Weste. www.t-schoolproject.com
Deutsch 01 / Kleider machen Schule Kleider in der Literatur Lösung 5/7 Lösung: Lebenswelt: Welche Rolle spielen Kleider im Alltag? Einstiegsgespräch mit den Schülern: Es soll deutlich werden, dass im Alltag Kleider verschiedene Funktionen übernehmen: Schutz vor Witterung, kulturelle Identität, Gruppenidentität, Berufskleidung (Uniform, Schutzanzug), Selbstdarstellung, Erotik etc. Textwelt: Das Prinzip der Selektion Überleitung zu den Textanalysen: Im Unterschied zur Lebenswelt ist Kleidung in der Literatur nur versatzstückartig, als vom Autor, der Autorein bewusst gesetztes Element vorhanden. Wer erinnert sich, was für Kleider der Student Anselmus (Der goldne Topf), Walter Faber (Homo faber), Effi Briest etc. trägt? – Bei den folgenden Textbeispielen soll es darum gehen, zu erkennen, nach welchen Kriterien die Selektion der Kleidung vorgenommen wird. Kleidung dient der Figurencharakterisierung; es wird mittels Kleidung Spezifisches zu einer Figur ausgesagt. Text 1, Figurencharakterisierung: Vor Sonnenaufgang Text von Gerhart Hauptmann (1889) Erster Akt Das Zimmer ist niedrig; der Fußboden mit gutem Teppich belegt. Moderner Luxus auf bäuerische Dürftigkeit gepfropft. An der Wand hinter dem Esstisch ein Gemälde, darstellend einen vierspännigen Frachtwagen, von einem Fuhrknecht in blauer Bluse geleitet. Miele, eine robuste Bauernmagd mit rotem, etwas stumpfsinnigen Gesicht; sie öffnet die Mitteltür und lässt Alfred Loth eintreten. Loth ist mittelgroß, breitschultrig, untersetzt, in seinen Bewegungen bestimmt, doch ein wenig ungelenk; er hat blondes Haar, blaue Augen und ein dünnes lichtblondes Schnurrbärtchen, sein ganzes Gesicht ist knochig und hat einen gleichmäßig ernsten Ausdruck. Er ist ordentlich, jedoch nichts weniger als modern gekleidet. Miele: Bitte! Ich werden Herrn Inschinnär glei ruffen. Wollen Sie nich Platz nehmen?! [...] Die Tür rechts wird aufgemacht. Hoffmann steckt den Kopf heraus. [...] Hoffmann ist etwa dreiundreißig Jahre alt, schlank, groß, hager. Er kleidet sich nach der neuesten Mode, ist elegant frisiert, trägt kostbare Ringe und Brillantknöpfe. Kopfhaar und Schnurrbart schwarz, der Letztere sehr üppig, äußerst sorgfältig gepflegt. Gesicht spitz, vogelartig. Ausdruck verschwommen, Augen schwarz, lebhaft, zuweilen unruhig. Loth Hoffmann nicht weniger als modern kleidet sich nach der altmodisch modisch gekleidet neusten Mode trägt kostbare Ringe und ordentlich zurückhaltend, korrekt Reichtum, Angeberei Brillantknöpfe - Materialismus + Materialismus www.t-schoolproject.com
Deutsch 01 / Kleider machen Schule Kleider in der Literatur Lösung 6/7 Text 2, multiperspektivische Charakterisierung: Effi Briest Text von Theodor Fontane (1894/95) [...] Beide, Mutter und Tochter, waren fleißig bei der Arbeit [...]. Rasch und sicher ging die Wollnadel der Damen hin und her, aber während die Mutter kein Auge von der Arbeit ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte, von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob sich, um unter allerlei kunstgerechten Beugungen und Streckungen den ganzen Kursus der Heil- und Zimmergymnastik durchzumachen. Es war ersichtlich, daß sie sich diesen absichtlich ein wenig ins Komische gezogenen Übungen mit ganz besonderer Liebe hingab, und wenn sie dann so dastand und, langsam die Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf zusammenlegte, so sah auch wohl die Mama von ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und verstohlen, weil sie nicht zeigen wollte, wie entzückend sie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütterlichen Stolzes sie voll berechtigt war. Effi trug ein blau und weiß gestreiftes, halb kittelartiges Leinwandkleid, dem erst ein fest zusammengezogener, bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matrosenkragen. In allem, was sie tat, paarten sich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüte verrieten. Man nannte sie die »Kleine«, was sie sich nur gefallen lassen mußte, weil die schöne, schlanke Mama noch um eine Handbreit höher war. [...] [Effis Freundin] Hulda sagte mit einem Male: »Nun aber ist es höchste Zeit, Effi; du siehst ja aus, ja, wie sag ich nur, du siehst ja aus, wie wenn du vom Kirschenpflücken kämst, alles zerknittert und zerknautscht; das Leinenzeug macht immer so viele Falten, und der große weiße Klappkragen ... ja, wahrhaftig, jetzt hab ich es, du siehst aus wie ein Schiffsjunge.« »Midshipman, wenn ich bitten darf. Etwas muß ich doch von meinem Adel haben. Übrigens, Midshipman oder Schiffsjunge, Papa hat mir erst neulich wieder einen Mastbaum versprochen, hier dicht neben der Schaukel, mit Rahmen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das sollte mir gefallen, und den Wimpel oben selbst anzumachen, das ließ' ich mir nicht nehmen. Und du, Hulda, du kämst dann von der anderen Seite her herauf, und oben in der Luft wollten wir hurra rufen und uns einen Kuß geben. Alle Wetter, das sollte schmecken. «[...]$ »Nun bist du doch noch in deinem Kittel, und der Besuch ist da. Nie hältst du Zeit.« [...] Frau von Briest aber, die unter Umständen auch unkonventionell sein konnte, hielt plötzlich die schon forteilende Effi zurück, warf einen Blick auf das jugendlich reizende Geschöpf, das, noch erhitzt von der Aufregung des Spiels, wie ein Bild frischesten Lebens vor ihr stand, und sagte beinahe vertraulich: »Es ist am Ende das beste, du bleibst, wie du bist. Ja, bleibe so. Du siehst gerade sehr gut aus. Und wenn es auch nicht wäre, du siehst so unvorbereitet aus, so gar nicht zurecht- gemacht, und darauf kommt es in diesem Augenblick an. Ich muß dir nämlich sagen, meine süße Effi ...«, und sie nahm ihres Kindes beide Hände, »... ich muß dir nämlich sagen ...« »Aber Mama, was hast du nur? Mir wird ja ganz angst und bange. »... Ich muß dir nämlich sagen, Effi, dass Baron Innstetten eben um deine Hand angehalten hat.« Effi 1 (Sicht des Erzählers) Effi 2 (Sicht Huldas/Effis) Matrosenkleid Kind zerknittert Knabe Ledergürtel Frau junger Mann +/– Erotik wild Effi 3 (Sicht der Mutter) Kittel – Konvention + Jugend + Vitalität natürlich www.t-schoolproject.com
Deutsch 01 / Kleider machen Schule Kleider in der Literatur Lösung 7/7 Text 3, subjektive Charakterisierung: Der goldne Topf Text von E.T.A. Hoffmann (1819) [...] [Es] stand plötzlich ein langer hagerer Mann, in einen weiten lichtgrauen Überrock gehüllt, vor ihm und rief, indem er ihn mit seinen großen feurigen Augen anblitzte: »Hei hei – was klagt und winselt denn da? – Hei, hei, das ist ja Herr Anselmus, der meine Manuskripte kopieren will.« [...] – Der Archivarius [...] schritt rasch von dannen, so, dass er in der tiefen Dämmerung, die unterdessen eingebrochen, mehr in das Tal hinabzuschweben als zu gehen schien. Schon war er in der Nähe des Koselschen Gartens, da setzte sich der Wind in den weiten Überrock und trieb die Schöße auseinander, dass sie wie ein Paar große Flügel in den Lüften flatterten, und es dem Studenten Anselmus, der verwunderungsvoll dem Archivarius nachsah, vorkam, als breite ein großer Vogel die Fittige aus zum raschen Fluge. – Wie der Student nun so in die Dämmerung hineinstarrte, da erhob sich mit krächzendem Geschrei ein weißgrauer Geier hoch in die Lüfte, und er merkte nun wohl, dass das weiße Geflatter, was er noch immer für den davonschreitenden Archivarius gehalten, schon eben der Geier gewesen sein müsse, unerachtet er nicht begreifen konnte, wo denn der Archivarius mit einemmal hingeschwunden. [...] Die Doppelexistenz von Archivarius Lindhorst wird an dieser Stelle wesentlich über die Kleider thematisiert. Die Stelle zeigt zudem exemplarisch, wie Hoffmanns Phantastik über die Figurensicht vermittelt ist. Text 4, Kleidersymbolik: Die Leiden des jungen Werthers Text von Johann Wolfgang Goethe (1774) [...] Es hat schwer gehalten, bis ich mich entschloß, meinen blauen einfachen Frack, in dem ich mit Lotten zum erstenmale tanzte, abzulegen, er ward aber zuletzt gar unscheinbar. Auch habe ich mir einen machen lassen ganz wie den vorigen, Kragen und Aufschlag, und auch wieder so gelbe Weste und Beinkleider dazu. Ganz will es doch die Wirkung nicht tun. Ich weiß nicht – ich denke, mit der Zeit soll mir der auch lieber werden. […] Aus dem Blut auf der Lehne des Sessels konnte man schließen, er habe sitzend vor dem Schreibtische die Tat vollbracht, dann ist er heruntergesunken, hat sich konvulsivisch um den Stuhl herumgewälzt. Er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rücken, war in völliger Kleidung, gestiefelt, im blauen Frack mit gelber Weste. Erläuterungen zu Werthers Kleidung: Das damalige Bürgertum übte Kritik an der höfischen Mode und kleidete sich im Gegensatz zu Hof und Adel betont schlicht. Die englische Mode hatte sich bereits im 17. Jahrhundert nach der bürgerlichen Revolution in England vom Hof emanzipiert. Sie griff in den 1770er-Jahren auf den Kontinent über und wurde auch in Deutschland zum Zeichen bürgerlicher Freiheitsbestrebungen. Nach Erscheinen des Romans "Die Leiden des jungen Werthers" von Johann Wolfgang Goethe 1774 wurde die darin beschriebene, nach englischem Vorbild gestaltete Kleidung des jungen Werther zur Tracht fortschrittlich gesinnter Bürger. Mit dem Anlegen der Werther-Tracht, deren gelblederne Kniehosen und Stulpenstiefel markantes Zeichen war, demonstrierte man den Anspruch auf persönliche Freiheit, damit auch den Widerstand gegen die höfischen Sitten. www.t-schoolproject.com
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