Klimaklage wird zu Verfassungsbeschwerde

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Klimaklage wird zu Verfassungsbeschwerde
Für das Recht auf Zukunft

Klimaklage wird zu
Verfassungsbeschwerde

Neun junge Menschen halten das Klimaschutzgesetz und die
bisher angekündigten Klimaschutz­maßnahmen für unzureichend
und ziehen vor das Bundesverfassungsgericht.
Greenpeace und Germanwatch unterstützen die Verfassungsbeschwerde.
Klimaklage wird zu Verfassungsbeschwerde
Für das Recht auf Zukunft

Klimaklage wird zu
Verfassungsbeschwerde
Neun junge Menschen halten das Klimaschutzgesetz und die
bisher angekündigten Klimaschutz­maßnahmen für unzureichend
und ziehen vor das Bundesverfassungsgericht.
Greenpeace und Germanwatch unterstützen die Verfassungsbeschwerde.
Die Greenpeace-Klimaklage geht in die            ob das Klimaschutzgesetz verfassungs­          lich eine na­tionale Umsetzung des auf EU-
nächste Runde. Neun Menschen zwischen            gemäß ist. Ein Klimaschutzgesetz, das hinter   Ebene bislang vorgegebenen und nicht aus-
15 und 32 Jahren wollen die deutsche Kli-        seinen Möglichkeiten zurückbleibt, kann        reichenden Reduktionsziels von 40 Prozent.
mapolitik vom Bundesverfassungsgericht           nämlich Grundrechte beeinträchtigen,           Mit den Maßnahmen aus dem Klimaschutz­
überprüfen lassen. Sie sind der Ansicht,         beispielsweise das Recht auf Leben und         programm 2030 wird jedoch nicht einmal
dass die Bundesregierung mit dem am              körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 GG)      das im Klimaschutzgesetz formulierte
15. November 2019 verabschiedeten Klima-         oder das Recht auf Eigentum (Art. 14 GG)       deutsche Reduktionsziel von 55 Prozent
schutzgesetz weiterhin nicht genug gegen         und das Recht auf freie Wahl von Beruf         erreicht werden. Mit dem vorliegenden
die Klimakrise tut, also ihrem im Grund­         und Arbeitsplatz (Artikel 12 GG).              Gesetz kommt die Regierung deshalb ihrem
gesetz verankerten Schutzauftrag nicht                                                          Schutzauftrag auf Grundlage der Artikel 1,
nachkommt. Deshalb werden sie eine Ver­          Klimaschutzmaßnahmen                           2, 12, und 14 des Grundgesetzes nicht nach.
fassungsbeschwerde gegen das Klima­              reichen nicht aus                              Ziel der Verfassungsbeschwerde ist, dass der
schutzgesetz einreichen. Mit dabei:              Das deutsche Klimaschutzgesetz ist bei der     Gesetzgeber sich mit einem angemessenen
Luisa Neubauer, die Mitbegründerin der           Festlegung von konkreten Reduktionszielen      Treibhausgas-Budget ausführlich aus­einan­
deutschen Fridays-for-Future-Bewegung,           zu schwach. Es enthält keinen schlüssigen      dersetzt und Gesetze verabschiedet, die
Lueke Recktenwald von der Nordsee­insel          und ausreichenden CO2 -Reduktionspfad          einen mit dem 1,5 Grad-Limit vereinbaren
Langeoog, Mitkläger der EU-Klimaklage            hin zur Treibhausgasneutralität. Die an­       Reduktionspfad für CO2 und andere Treib-
„People’s Climate Case“ und alle sieben          gestrebte Reduktion von Treibhausgasen         hausgase verbindlich vorschreiben. Analog
Kinder der drei Bauernfamilien, die 2019         um 55 Prozent bis zum Jahr 2030 genügt         zur Argumentation der erfolgreichen
gemeinsam mit Greenpeace gegen die               nicht, um Menschenrechte zu schützen,          Urgenda-Klimaklage in den Niederlanden
Bundesregierung geklagt hatten.                  die Verpflichtungen aus dem Pariser Klima-     müsste Deutschland seine Emissionen bis
Unterstützt wird die Verfassungsbeschwerde       abkommen zu erfüllen und die katastropha­      2030 dann deutlich schneller und stärker
von den Umweltschutzorganisationen               len Folgen der Klimakrise wenigstens zu        reduzieren, als es das deutsche Klimaschutz­
Greenpeace und Germanwatch, die selbst           begrenzen. Das deutsche 2030-Ziel ist ledig­   gesetz vorsieht.
nicht als Kläger auftreten. Weitere Verfas-
sungsbeschwerden in Sachen Klimaschutz
haben die Deutsche Umwelthilfe und der
BUND eingereicht.

Vom Verwaltungs- zum
Verfassungsgericht
Die Klimaklage von drei Bauernfamilien
und Greenpeace auf Einhaltung des Klima-
ziels 2020 hat das Verwaltungsgericht
Berlin am 31. Oktober 2019 zwar zurück­

                                                    „
gewiesen, gleichzeitig aber festgestellt, dass
Klagen wegen unterlassenem Klimaschutz
grund­sätzlich möglich seien. Als die Bundes­              Mit dem zu wenig ambitionierten Klimaschutzgesetz kommt
regierung wenige Tage später das Klima-                    der Staat seiner Schutzpflicht für meine Mandantinnen und
schutzgesetz verabschiedete, änderte das die               Mandanten nicht ausreichend nach. Sie werden in ihrem Leben
Ausgangslage für eine mögliche Berufung                    dramatische Einschränkungen durch die Klimakrise erfahren.
gegen die Entscheidung des Gerichts. Denn                  Der Gang zum Verfassungsgericht nach Karlsruhe ist deshalb
das Verwaltungsgericht kann nur prüfen,                    die logische Konsequenz aus dem Klimaklage-Urteil des Berliner
ob die Regierung mit ihren Handlungen                      Verwaltungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht muss –

                                                                                                                                    “
Gesetze richtig umsetzt – eine substantielle               ähnlich wie die Gerichte in den Niederlanden – der Politik jetzt
inhaltliche Prüfung der Gesetze selbst ist                 vorgeben, wie sie ihrem Schutzauftrag nachkommen.
jedoch Aufgabe des Bundesverfassungs­
                                                           – Dr. Roda Verheyen, Rechtsanwältin der Klimaklägerinnen
gerichts. Deshalb wenden sich die jungen
                                                           und Klimakläger –
Klägerinnen und Kläger nun an das Bun­des­
verfassungs­gericht, um prüfen zu lassen,
                                                                     02
Klimaklage wird zu Verfassungsbeschwerde
Die Klägerinnen und Kläger im Porträt
Für alle Klägerinnen und Kläger gilt, dass sie ohne ausreichend ambitionierten Klimaschutz
auf eine ungewisse und geopolitisch noch instabilere Zukunft blicken.
Mit den zunehmenden Auswirkungen der Klimakrise geraten auch Leib und Leben in Gefahr.
Auch in Deutschland bedeuten extreme Wetterereignisse und neuartige Krankheiten
gesundheitliche Risiken, die es ohne Klimakrise nicht gäbe. Für die Generation der Klägerinnen
und Kläger ist die Erderhitzung schlicht existenzgefährdend.

Lueke Recktenwald
 Lueke Recktenwald (18 Jahre) ist Schüler
 und lebt auf Langeoog. Seine Familie ist
 seit vier Generationen auf der Nordseeinsel
 zu Hause und betreibt ein Hotel und ein
 Restaurant. Lueke spürt schon jetzt die Aus­
 wirkungen des Klimawandels: durch den
 Anstieg des Meeresspiegels, Sturmfluten
 und die daraus resultierende Erosion der
 Dünen ist das Eigentum und die Heimat der
 Familie gefährdet. Auch die Trinkwasser-
 versorgung der Insel ist bedroht. Durch den
 steigenden Meeresspiegel könnte Salzwasser     Luisa Neubauer
 in die einzige Trinkwasserquelle, die so­      Luisa Neubauer (23 Jahre) ist Deutschlands bekannteste Klimaaktivistin.
 genannte Süßwasserlinse, eindringen und        Die Geographiestudentin gehört der Generation an, die in der zweiten Hälfte
 diese auf Jahrzehnte unbrauchbar machen –      des Jahrhunderts mit dramatischen Auswirkungen der Klimakrise konfrontiert
 mit gravierenden Folgen für das Leben auf      sein wird. Die Mitbegründerin der deutschen Fridays-for Future-Bewegung
 der Insel. Es ist unklar, wie lange Lueke      hat Ausbildung und Privatleben faktisch „ausgesetzt“, um sich zusammen mit
 noch auf Langeoog leben kann und ob es         Hunderttausenden ihrer Generation politisch und medial für mehr Klimaschutz
 ihm möglich sein wird, den Familienbetrieb     einzusetzen – die erforderliche Wende in der Politik lässt allerdings weiter
 in Zukunft zu übernehmen. Lueke ist be-        auf sich warten. Durch ihre Beteiligung an der Klimaklage fordert sie nun auch
 reits Mitkläger der europäischen Klimaklage    vor Gericht wirksamen Schutz für ihre und kommende Generationen.

                                                „
„People’s Climate Case“, welche eine Ver-       Sie beteiligt sich als Privatperson an der Klage.
 schärfung der Klimaziele der EU einfordert
 und derzeit beim europäischen Gerichtshof
                                                      Das Klimaschutzgesetz gefährdet unsere Gegenwart und
 in der Berufungsinstanz anhängig ist.

                                                                                                                            “
                                                      Zukunft. Ich bin bereit, eine ausreichende Klimapolitik nicht nur
                                                      auf der Straße, sondern eben auch vor Gericht einzufordern.
                                                      – Luisa Neubauer, Klimaaktivistin –

                                                                03
Klimaklage wird zu Verfassungsbeschwerde
Sophie, Hannes, Jakob                                              Lucas Lütke Schwienhorst                                           Johannes und
und Paul Backsen                           Lucas Lütke Schwienhorst (32 Jahre)                                                        Franziska Blohm
Die vier Geschwister Sophie (21 Jahre),    bewirtschaftet das Gut Ogrosen in der Ge-                                                  Die Geschwister Johannes (29 Jahre) und
Hannes (17 Jahre), Jakob (15 Jahre) und    meinde Vetschau im Süden Brandenburgs.                                                     Franziska (27Jahre) Blohm sollen einmal
Paul (20 Jahre) Backsen stammen von der    Der Betrieb hält 120 Milchkühe sowie deren                                                 den traditionsreichen Obsthof ihres Vaters
Nordseeinsel Pellworm und möchten auch weibliche Nachzucht und bewirtschaftet                                                         im Alten Land bei Hamburg übernehmen.
in Zukunft dort leben. Ihr Hof Edenswarf   440 ha Ackerland mit 12 unterschiedlichen                                                  Doch ob der Jahrhunderte alte Hof die
ist ein Familienbetrieb aus dem 17. Jahr-  Kulturen. Im Hofladen gibt es Käse,                                                        kommenden Generationen überlebt, steht
hundert und soll eines Tages von den       Milchprodukte, Fleisch, Wurst und andere                                                   immer mehr in Frage. Im Alten Land nahe
Kindern übernommen werden. Auf ihrem       Erzeugnisse des Gut Ogrosens zu kaufen.                                                    Hamburg werden auf dem Biohof neben
Hof betreibt die Familie Ackerbau und      Extremwetterereignisse wie die letzten                                                     anderen Obstsorten hauptsächlich Äpfel
Rinderzucht. Außerdem halten die Backsens Hitzesommer treffen den Betrieb hart:                                                       angebaut. Die Häufung von Extremwetter
Schafe auf dem Deich und vermieten Ferien­ In den letzten zwei Dürrejahren gab es                                                     sowie bislang in diesen Breiten unbekannte
wohnungen auf der Insel. Im September      Ertragseinbußen beim Heu- und Getreide-                                                    Schädlinge und Obstkrankheiten machen
2017 stand ein Drittel von Pellworm kom-   ertrag von bis zu 50 %. Auch die Tiere                                                     dem Bio-Betrieb zu schaffen – direkte
plett unter Wasser. Pellworm liegt zum     forderte der ungewöhnlich heiße Sommer                                                     und indirekte Folgen der Erderhitzung.
großen Teil einen Meter unter Normalnull. sehr – sie litten unter Hitzestress. Die fort­                                              So musste die Familie ihren gesamten
Das heißt, bei zunehmenden Sturmfluten     schreitende Klimakrise gefährdet damit                                                     Kirschbaumbestand roden, weil dieser von
könnte die Insel nach einem Deichbruch     das Einkommen und das Eigentum von                                                         der ursprünglich im Norden nicht hei­
volllaufen wie eine Badewanne. In Folge    Lucas und seiner Familie sowie das Leben                                                   mischen Kirschfruchtfliege befallen war.
der Klimakrise häufen sich Extremwetter-   der nächsten Generationen auf dem                                                          2019 verzeichnete der Betrieb starke
ereignisse wie Starkregen oder Dürre.      Gut Ogrosen.                                                                               Ernteausfälle – durch Sonnenbrand und
Steigt der Meeresspiegel, könnten die vor-                                                                                            den Apfelwickler.
handenen Deiche bald nicht mehr ausrei-
chen, um die Insel zu schützen. Pellworm
würde unbewohnbar, auch für die vier
Kinder der Familie Backsen.

Kontakte
Greenpeace
   Klimaexpertin: Anike Peters, anike.peters@greenpeace.org, 0171-8780839
   Fotos: Sonja Umhang, sonja.umhang@greenpeace.org, 040-30618-376
   Medienkoordination, Interviewanfragen: Tina Loeffelbein, tina.loeffelbein@greenpeace.org, 0151-16720915 oder
   Frank Rosin, frank.rosin@greenpeace.org, 0170-7341208

Germanwatch
   Referentin für Klimaklage-Kommunikation: Caroline Schroeder, schroeder@germanwatch.org, 030-288356-985
   Pressesprecher: Stefan Küper, 0228-60492-23

www.greenpeace.de
                                                                                                                                                                                                        Stand 01 / 2020 I 0458 1

www.germanwatch.org

Impressum Greenpeace e. V., Hongkongstraße 10, 20457 Hamburg, Tel. 040/3 06 18 - 0, mail@greenpeace.de, www.greenpeace.de              Politische Vertretung Berlin Marienstraße 19–20, 10117 Berlin,
Tel. 030/30 88 99-0 V.i.S.d.P.: Anike Peters Produktion Birgit Matyssek Fotos Gordon Welters / Greenpeace; Chris Grodotzki / Greenpeace (Roda Verheyen); picture alliance/dpa (Luisa Neubauer);
Privat (Lueke Recktenwald) Gestaltung Klasse 3b

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