Klostermauern, Knochenschnitzer und Kloaken an der Salzstraße in Münster

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Klostermauern, Knochenschnitzer und Kloaken an der Salzstraße in Münster
AUSGRABUNGEN UND FUNDE

                                                                                    Klostermauern, Knochenschnitzer und

                                                                      und Neuzeit
                                                                      Mittelalter
                                                                                    Kloaken an der Salzstraße in Münster
                                               Ute Buschmann,
                                                    Jan Markus                      Kreisfreie Stadt Münster, Regierungsbezirk Münster

                                                                      In der zweiten Jahreshälfte 2019 wurde an der       Direkt auf dem anstehenden Sandboden
                                                                      Salzstraße, nordwestlich der Dominikanerkir-    zeigte sich großflächig eine homogene, etwa
                                                                      che, über einen Zeitraum von zehn Wochen        0,30 m bis 0,40 m mächtige mittelbraune Sand-
                                                                      eine Fläche von 120 m² bis in eine Tiefe von    schicht (Abb. 2). Innerhalb der Domburg wur-
                                                                      knapp 3 m mehr oder weniger im laufenden        de eine solche Schicht in den letzten Jahrzehn-
                                                                      Baubetrieb archäologisch untersucht. Die Un-    ten mehrfach ergraben und in der Forschung
                                                                      tersuchungsfläche lag zwischen der Salzstra-    aufgrund der Funde als kaiserzeitlicher Hori-
                                                                      ße und dem Alten Steinweg, zwei der ältes-      zont angesprochen. Neuere Grabungsbefun-
                                                                      ten Straßen des mittelalterlichen Münsters,     de im Bereich des Alten Steinwegs (2008), der
                                              Abb. 1 Die Lage der     nur wenige Hundert Meter entfernt von der       Asche (2009), am Syndikatplatz (2019) und
                                           Untersuchungsfläche in
                                                                      mittelalterlichen Domburg (Abb. 1). Bauliche    hier an der Salzstraße zeigen, dass sich ein
                                         einem Ausschnitt aus der
                                         Vogelschau des Everhardt     Strukturen des 13. bis 18. Jahrhunderts wur-    vergleichbarer Horizont auch einige Hundert
                                         Alerdinck von 1636 (Kar-     den ebenso erfasst wie Befunde einer Hin-       Meter östlich der Domburg nachweisen lässt.
                                        tengrundlage: Stadt Müns-     terhofnutzung des 16. bis 18. Jahrhunderts      Nach einer ersten Durchsicht des Fundmate-
                                            ter, Vermessungs- und
                                                                      mit Kloaken und Abfallgruben. Die ältesten      rials von der Salzstraße und den vorläufigen
                                       Katasteramt; Grafik: Stadt-
                                             archäologie Münster/     Schichten gehören in die frühe Nutzung des      Ergebnissen der anderen Grabungen findet
                                                    G. Leonhard).     Areals bis zum 12. Jahrhundert.                 sich hier in dieser Schicht kein kaiserzeitli-
                                                                                                                      ches Fundgut. Die Schicht scheint ein mäch-
                                                                                                                      tiger Anreicherungshorizont zu sein, der sich
                                                                                                                      über einen langen Zeitraum bis zum Hoch-
                                                                                                                      mittelalter abgelagert hat. Man muss sich bis
                                                                                                                      zum 12. Jahrhundert demnach die Bereiche
                                                                                                                      der Stadt außerhalb der Domburg als durch-
                                                                                                                      aus noch von ländlichem Charakter geprägt
                                                                                                                      vorstellen, mit großen Freiflächen und locker
                                                                                                                      gestreuten Ansiedlungen in Form von kleine-
                                                                                                                      ren Höfen. An der Salzstraße waren in diesen
                                                                                                                      Anreicherungshorizont mehrere Pfostengru-
                                                                                                                      ben eingetieft, die allerdings keine Struktur
                                                                                                                      oder Zugehörigkeit zu einem Gebäude mehr
                                                                                                                      erkennen ließen.
                                                                                                                          Zeugnis von der Neugestaltung dieses Stadt-
                                                                                                                      areals legen großflächige Auffüllungen des
                                                                                                                      12./13. Jahrhunderts ab, die sich auch auf den
                                                                                                                      bereits oben genannten benachbarten Ausgra-
                                                                                                                      bungen nachweisen ließen. Für die darauffol-

                                           Abb. 2 Nordostprofil in
                                       Schnitt 1. Als mittelbraune
                                        bis hellgraue Schicht ober-
                                         halb des gelben anstehen-
                                            den Bodens ist hier der
                                         frühe Anreicherungshori-
                                       zont zu erkennen. Darüber
 Archäologie in Westfalen-Lippe 2019

                                          dunkelgrau die Auffüllun-
                                           gen des 12.–14. Jahrhun-
                                            derts (SFM-Modell und
                                            Fotos: Stadtarchäologie
                                                Münster/J. Markus).

                                                                       124
Klostermauern, Knochenschnitzer und Kloaken an der Salzstraße in Münster
AUSGRABUNGEN UND FUNDE
gende Bautätigkeit stehen die Fundamente ei-          Kurz nach Aufgabe des Gebäudes, aber          Abb. 3 Plan der Ausgra-
nes mächtigen Bruchsteingebäudes mit einer        noch vor der Verfüllung des Kellers wurde ei-     bungen an der Salzstraße 9,
                                                                                                    Orthoansicht des zweiten
Bauzeit zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert      ne Grube an Ort und Stelle angelegt, die mit      Planums. 1: Klostermauern
(Abb. 3, 2a). Das Kellergeschoss dieses Gebäu-    Abfällen einer Knochenschnitzerwerkstatt ver-     und zugehörige Grund-
des besaß eine Nordwest-Südost-Spannweite         füllt wurde, in der gewerbsmäßig Paternoster-     stücksmauer; 2: Keller-
von knapp 8,0 m. Die Nordost-Südwest-Aus-         perlen hergestellt wurden. Durchbohrte Kno-       mauern des 13.–15. Jahr-
                                                                                                    hunderts; 3: Abfallschacht
dehnung kann nicht mehr rekonstruiert wer-        chenfragmente traten bei Stadtkerngrabungen       des 17./18. Jahrhunderts
den, da die Fundamente im Südwesten voll-         in Münster bislang eher vereinzelt auf, in die-   (Grafik: Stadtarchäologie
ständig durch moderne Bebauung gestört            ser Grube befanden sich 811 solcher Stücke        Münster/G. Leonhard;
wurden. Der Fußboden wurde bei der Aufga-         (Abb. 4). Insgesamt wurden etwa 4600 Kno-         Grundlage: Ubbenhorst
                                                                                                    Architekten/T. Runkel).
be des Gebäudes vollständig entfernt und ver-     chenfragmente aus der Grube geborgen, eben-
mutlich andernorts zweitverwendet. Bei den        so eine bunte Mischung aus Keramik und
Außenwänden handelte es sich um massives          anderen Abfällen. Für das Handwerk des Pa-
Schalmauerwerk mit einer Breite von 1,0 m         ternosterers im Mittelalter wurde normaler-
bis 1,2 m, innen sehr sorgfältig gesetzt und      weise der Mittelhandknochen des Rindes ver-
ehemals verputzt. Der Keller gehörte zu einem     wendet. Dieser war nicht nur aufgrund seiner
größeren Gebäude, das auf dem Alerdinck-          Form und Knochendichte besonders gut geeig-
Plan von 1636 nicht mehr verzeichnet war. Ob      net, er war zudem auch bei lokalen Schlach-
der Bau einem der Erbmännerhöfe zuzurech-         tern als Nebenprodukt der Fleischerei einfach
nen ist, die sich seit dem 13. Jahrhundert am     zu erwerben. An der Salzstraße zeigte sich je-
Alten Steinweg auf weit bis zur Salzstraße rei-   doch ein anderes Bild: Eine genauere Sichtung
chenden Parzellen befinden, oder zu der bür-      des Materials ergab, dass wir es hier primär
gerlichen Bebauung an der Salzstraße gehört,      mit Rinderunterkiefern zu tun haben. Dies
kann momentan nicht entschieden werden.           lässt sich auch durch die gewaltige Menge
    Im Westen lag außerhalb des Kellers noch      an losen Rinderzähnen (etwa 1600 Stück) im
eine kleine zugehörige Mauer (Abb. 3, 2b), ver-   Knochenmaterial der Grube belegen. Die Kie-
mutlich der Rest eines Anbaus und durch ei-       fer wurden regelhaft zerlegt, die Zähne ent-
                                                                                                                                        Archäologie in Westfalen-Lippe 2019

nen kleinen Bombentrichter erheblich gestört.     sorgt und die gewonnenen Knochenteile dann
Im nördlichen und westlichen Umfeld des Kel-      scheinbar mit einer gewissen Experimentier-
lers befanden sich Überreste von Fass- und        freude zum Ausbohren von Knochenperlen
Holzkastenkloaken sowie Gruben unterschied-       verwendet. Dass dies nicht immer von Erfolg
licher Nutzung und Zeitstellung.                  gekrönt war, zeigen auch die relativ häufigen

                                                                                            125
Klostermauern, Knochenschnitzer und Kloaken an der Salzstraße in Münster
Halbfabrikate. Bisher sind nur wenige Befund-          Zwischen Grenzmauer und Kloster lag ein
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                                                                    bei denen ebenfalls Rinderunterkiefer als Kno-     schacht, der direkt an die westliche Außen-
                                                                    chenschnitzreste auftraten.                        mauer des Klosters gesetzt (Abb. 3, 3) und mit
                                                                        Die Keramik aus dem Befund ermöglicht          einem fast bilderbuchhaften kleinen Ensem-
                                                                    eine Datierung der Abfallgrube ins 16. Jahr-       ble frühneuzeitlichen Tafelgeschirrs gefüllt
                                                                    hundert. Aus anderen Städten gibt es zahlrei-      war (Abb. 5). Darunter sind Trinkgläser und
                                                                    che Beispiele dafür, dass sich Paternosterer oft   Flaschen aus Glas, verschiedene Fayence-Tel-
                                                                    ihre Werkstätten mit Würfelschnitzern teilten.     ler und ein auffällig verzierter Fettfänger, da-
                                                                    An der Salzstraße konnte dies nicht beobach-       tiert mit der aufgemalten Jahreszahl »1763«.
                                                                    tet werden.                                        Ein seltsames kleines Glasobjekt konnte als

                                        Abb. 4 Abfälle der Pater-
                                         nosterherstellung, Kno-
                                       chenmaterial mit Bohrspu-
                                      ren (Foto: Stadtarchäologie
                                           Münster/G. Leonhard).

                                                                        In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts     Griff einer Tischglocke identifiziert werden.
                                                                    wurde an der Salzstraße mit der Errichtung         Neben dem Geschirr enthielt der Schacht ei-
                                                                    des Dominikanerklosters begonnen. Die westli-      ne ungewöhnlich große Menge an Kleintier-
                                                                    che Außenmauer des Westflügels des Klosters        knochen. Es scheint sich dabei primär um ver-
                                                                    wurde bei den Ausgrabungen erfasst (Abb. 3,        schiede Arten von Geflügel zu handeln. Hinzu
                                                                    1a). In diesem Gebäudeteil war der Wirtschafts-    kamen etwa 150 Austernschalen. Der Komplex
                                                                    bereich des Klosters untergebracht. Die erhal-     bietet direkte Parallelen zu den spektakulären
                                                                    tenen Fundamente bestanden aus massivem            Funden am Falkenhof in Rheine, auch wenn
                                                                    Mischmauerwerk, das teilweise noch über 2 m        er vom Umfang her nicht mithalten kann. Ei-
                                                                    tief in den Boden reichte. Der Bruchsteinan-       ne weitere Fundgattung gab schließlich einen
                                                                    teil war verhältnismäßig hoch und ließ auf den     Hinweis auf die Besitzer dieser reichen Ta-
                                                                    ersten Blick ein höheres Alter vermuten. Dies      fel: Teile von schlanken Kerzengussformen
                                                                    wurde bereits bei Ausgrabungen etwas weiter        aus Glas deuten eindeutig auf das benachbar-
                                                                    nördlich in der Julius-Voos-Gasse 2012 festge-     te Dominikanerkloster als Urheber dieser Ent-
                                                                    stellt. Dort wurden ebenfalls Reste der westli-    sorgungssituation.
                                                                    chen Außenmauer freigelegt. Das wiederver-
                                                                    wendete Material stammt vermutlich aus dem
Archäologie in Westfalen-Lippe 2019

                                                                    oben beschriebenen Bruchsteinkeller. Westlich      Summary
                                                                    der Klosteraußenmauer und parallel zu dieser       The excavations on Salzstraße yielded impor-
                                                                    verlaufend lag eine Grundstücksmauer, die in       tant information about the urban develop-
                                                                    ähnlicher Bauweise etwa zeitgleich errichtet       ment of the area between Salzstraße and Alter
                                                                    worden war (Abb. 3, 1b).                           Steinweg. A rural landscape east of the cathe-

                                                                    126
Klostermauern, Knochenschnitzer und Kloaken an der Salzstraße in Münster
AUSGRABUNGEN UND FUNDE
                           0   10 cm                                          0      5 cm                                 0      5 cm

  dral precinct appears to have survived until      Op de achtererven zijn zestiende- tot achttien-          Abb. 5 Neuzeitliches
  the 12th century. The earliest phase of settle-   de-eeuwse beerputten aangetroffen. In de ze-             Tafelgeschirr aus einem
                                                                                                             Abfallschacht des Do-
  ment which began then included the construc-      ventiende/achttiende eeuw ontstond op deze               minikanerklosters des
  tion of a number of fairly large stone build-     plaats het Dominicanenklooster, welks al vroe-           18. Jahrhunderts (Fotos:
  ings. Between the 16th and 18th centuries, back   ger seculariseerde gebouwen in de Tweede We-             Stadtarchäologie Müns-
  yards appear to have been used for disposing of   reldoorlog zijn verwoest.                                ter/G. Leonhard).
  waste of various kinds. The Dominican mon-
  astery was founded here in the 17th/18th cen-     Literatur
  tury and its buildings, though long since sec-    Thomas A. Spitzers, Die Konstanzer Paternosterleisten.
                                                    Analyse zur Technik und Wirtschaft im spätmittelalter-
  ularised, survived until the Second World War,
                                                    lichen Handwerk der Knochenperlenbohrer. Fundberichte
  when they were destroyed by bombing.              aus Baden-Württemberg 33, 2013, 661–940. – Gaby
                                                    Hülsmann, Glas – Funde aus einem unterirdischen Kanal-
  Samenvatting                                      system. Falkenhof Museum – Bestandskatalog 1 (Regens-
  Opgravingen aan de Salzstraße leverden be-        burg 2013). – Jens Berthold u. a., Ausgrabungen am
                                                    Kurt-Hackenberg-Platz und am Domhof in Köln. Archäo-
  langrijke inzichten op in de ontwikkeling van
                                                    logische Untersuchungen im Rahmen des Nord-Süd-
  het gebied tussen de Salzstraße en de Altem       Stadtbahnbaus. Kölner Jahrbuch 50, 2017, 133–540, bes.
  Steinweg. Tot aan de volle middeleeuwen kan       472– 478. – Gaby Hülsmann, Keramik. Funde aus ei-
  oostelijk van de Domburg een agrarisch gebied     nem unterirdischen Kanalsystem. Falkenhof Museum –
  verwacht worden dat pas in de twaalfde eeuw       Bestandskatalog 2 (Regensburg 2019).
  werd bebouwd met grote stenen gebouwen.

              Starke Mauer und hohe Türme – der Verlauf
Mittelalter

              der mittelalterlichen Stadtmauer in Paderborn                                                  Sveva Gai,
                                                                                                             Ralf Mahytka,
              Kreis Paderborn, Regierungsbezirk Detmold                                                      Robert Süße

  Die mittelalterliche Stadtmauer von Pader-        doch abgetragen – und dennoch ist ihr Verlauf
  born bildet zusammen mit Rathaus und Markt        noch im Grundriss der heutigen Stadt nach-
                                                                                                                                              Archäologie in Westfalen-Lippe 2019

  eines der Wahrzeichen der Stadt. Einige Teile     vollziehbar.
  sind unvollständig erhalten oder wurden in           Vor der für 2020 geplanten Erneuerung der
  die spätere Wohnbebauung integriert, man-         Ent- und Versorgermedien im Zuge des Neu-
  che der sieben noch stehenden Türme wurden        baus der zentralen Omnibusstation entschieden
  saniert, große Teile der Befestigung sind je-     sich der Stadtentwässerungsbetrieb (STEB)

                                                                                                      127
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