LANDSCHAFT GARTEN - plus - Garten + Landschaft
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N OVE MBE R 2018 M AGAZ IN F Ü R L AN DS C H AF T SARC H IT EK TU R TRANSFORMATION GARTEN + LANDSCHAFT AUF IDENTITÄT BAUEN: WIE AUS INDUSTRIE BAUKULTUR WIRD N OV E M B E R 2 018 plus Tilman Latz im Interview GA R T E N + L A N D S C H A F T Tipps zur Moderation von Bürgerbeteiligung
Fünf weitere Stockwerke sowie eine Naturlandschaft auf dem Dach des Flakbunkers IV auf St. Pauli: Das ist das Ziel einer Anwohner- gruppe, die sich Hilldegarden nennt. 34 GARTEN+ L ANDSCHAFT
TRANSFORMATION HOCHBUNKER STADTGARTEN, HAMBURG VISION STADT- GARTEN Mit Clubs wie Uebel & Gefährlich oder Terrace Hill sowie Werbe- und Promotionsagenturen ist der ehemalige Hamburger Flakbunker „Feldstraße“ alles in einem: Kriegsmahnmal, Ort der Kreativi- tät und Veranstaltungslocation. Seit 2014 enga- giert sich außerdem Hilldegarden, eine Gruppe von Anwohnern, für einen Stadtgarten auf dem Dach der Schutzanlage. Denn der Hochbunker soll künftig auch für nachhaltige Stadtentwick- lung stehen. SOPHIE CHARLOTTE HOFFMANN Hamburg ist Bunker-Hochburg: In keiner AUTORIN anderen deutschen Stadt wurden während Sophie Charlotte des Zweiten Weltkriegs so viele militä- Hoffmann studierte rische Schutzräume errichtet wie in der Architektur in Leipzig Foto: Planungsbüro Bunker Hansestadt. Es waren gegen Kriegsende und Neapel. Im 1 051 Anlagen – darunter Hoch-, Röh- Anschluss absolvierte sie ren-, Rundbunker und Luftschutztürme. ein Volontariat im Grund hierfür war das 1940 erlassene Callwey Verlag. Heute „Führer-Sofortprogramm“ der National- macht sie ihren Master sozialisten, das die Planung und den Bau an der Akademie in von Luftschutzbunkern im Deutschen München, arbeitet für Reich vorsah. Staab Architekten und Der wohl bekannteste Bunker in Ham- schreibt währenddessen burg steht auf dem Heiligengeistfeld in weiterhin für die St. Pauli. Der ehemalige Flakturm, ein Magazine Baumeister in Betonbauweise mit Stahlarmierungen und G + L. errichteter Luftabwehr- und Luftschutz- bau, ist 75 mal 75 Meter breit und kaum zu übersehen. Mit seinen 40 Metern Höhe ist der Bunker ein prägnanter Teil des 35 GARTEN+ L ANDSCHAFT
Stadtbilds. Unter der Leitung von Albert erhalten. Anfang 2014 gelang es einigen Speer erbauten rund 1 000 Zwangs- Anwohnern auf St. Pauli, unterstützt durch arbeitern den Bunker in nur 300 Tagen. das Berliner Architekturbüro Interpol+- Hier fanden zeitweise mehr als 30 000 Architecture, den erbbauberechtigten Pächter Menschen Schutz, besonders während Thomas Matzen von ihrem Vorhaben einer der starken Luftangriffe auf Hamburg im völlig neuen Stadtnatur zu überzeugen. Die Sommer 1943. Idee: Der neue Stadtgarten beginnt bereits auf Straßenniveau nicht weit entfernt von BUNKER ALS MULTIFUNKTIONSRÄUME der U-Bahn-Station Feldstraße. Hier, an der Nordseite der Schutzanlage, holt eine Nach 1945 nutzten die Hamburger den begrünte Rampe, die etwa 300 Meter lang Hochbunker schon bald um. Da nach dem und sechs Meter breit ist, den Besucher ab. Krieg großer Wohnmangel herrschte, diente Sie steigt von dort aus um das Gebäude her- er vorerst der Zivilbevölkerung als tem- um bis auf den sogenannten „Bunkerkragen“ poräre Bleibe. Die bedürftigen Bewohner – ein umlaufender Balkon – an. Diese und die scharfe Kritik der neuen Regierung Rampe, der Hauptzugang zum Dachgarten, um Max Brauer verhinderten das Vorha- macht das Dach erstmalig für die Öffent- ben der britischen Besatzung, den Turm lichkeit zugänglich. Der 1 800 Quadrat- 1947 zu sprengen. Ob als Lager-, Wärme- meter große Kragen eignet sich besonders oder Wartehallen, als Ausgabestellen für für Gemeinschaftsgärten, da er nicht Teil Notspeisungen oder als Wohnraum, viele der Haupterschließung ist. An dieser Stelle Bunker behielten nach der Besatzung der sollen ein Rückzugsort für gestresste Städter Hansestadt wichtige Funktionen im städ- entstehen. Von den Gemeinschaftsgärten tischen Leben. Im Kalten Krieg wurde der aus gelangt man über eine schmalere Rampe, intakte Luftschutzbunker dann reaktiviert. auch „Bergpfad“ genannt, zum Haupteingang Wegen seiner Präsenz und Sichtbarkeit des Aufbaus und weiter auf den Dachpark. hat sich der Bunker Feldstraße zu einem Im Aufbau des Bunkers soll eine Sport- wichtigen Mahnmal Hamburgs entwickelt. halle sowie ein Hotel, Künstlerwohnungen, Er ist ein markantes Denkmal gegen Krieg Gastronomie und Räume für Stadtteilkul- und Faschismus. tur entstehen. Die Flächen im Inneren des Dachaufbaus, die der Pächter im Gleich- VOM KRIEGSMAHNMAL ZUM MUSIK- gewicht zwischen kultureller Nutzung und UND MEDIENBUNKER Wirtschaftlichkeit vermietet, refinanzieren die Kosten und den Unterhalt der öffentli- Der denkmalgeschützte Bau ist heute chen Flächen. Der Dachpark, die zentrale nicht nur eins der wichtigsten Mahnmäler Grünfläche des Stadtgartens, kann frei Hamburgs, sondern auch ein Anlaufpunkt gestaltet werden. Über den Dächern der für Kreative, Nachtschwärmer und die Stadt auf etwa sechzig Metern Höhe sollen Medien. Bereits in den Nachkriegsjahren sich Park-, Garten- und Erholungsflächen siedelten sich erste Kreativschaffende in mit Gemüseanbau und Bäumen abwechseln. dem Bunker auf dem Heiligengeistfeld an: Auch ein hügeliges Gelände können sich Die erste Redaktion des Axel-Springer- die über 50 Mitglieder der Projektgruppe Verlags befand sich in einem der oberen Hilldegarden dort oben vorstellen. Stockwerke, hier arbeitete man an den ersten Auflagen der Zeitschrift „Hörzu“. BETEILIGUNGSPROJEKT HILLDEGARDEN Im Winter 1952 sendete der NDR dann erstmals die Tagesschau aus dem Bunker. Denn Hilldegarden, eine Gruppe aus In den 1990er-Jahren wurde das Erbpacht- Anwohnern, steht hinter der Stadtgarten- recht des Gebäudes schließlich für fünfzig vision. Sie möchten einen Ort schaffen, der Jahre an den Hamburger Unternehmer J. das Stadtleben nachhaltig bereichert. „Wir C. Matzen verkauft. Von da an siedelten träumen von einer neuen Form von Stadt- sich weitere Medienunternehmen und natur in Hamburg und von der Möglichkeit, schließlich auch der Musikclub „Uebel & unsere Stadt von morgen proaktiv mitzu- Visualisierungen: Planungsbüro Bunker Gefährlich“ hier an. gestalten“, heißt es auf der Website. Die Plattform hilldegarden.org ist ein wichtiges GRÜN STATT GRAU Tool für die Beteiligten, denn Partizipation wird bei Hilldegarden großgeschrieben: Je Bereits vor vier Jahren entstand die Vision mehr Blickwinkel, desto größer die Vielfalt vom Stadtgarten 2.0: Der Hochbunker an Ideen und Möglichkeiten. Die Website soll um fünf Stockwerke pyramidenartig wird regelmäßig aktualisiert und bildet den aufgestockt werden und einen Dachgarten vollständigen Prozess ab. Hier kann man sich 36 GARTEN+ L ANDSCHAFT
TRANSFORMATION HOCHBUNKER STADTGARTEN, HAMBURG Aktueller Stand (Bild oben): Mit dem Projekt Hilldegarden wurde der Erbpachtvertrag zusätzlich bis 2067 verlängert. Blick in die Zukunft (Bild unten): Die Fertigstellung des Projekts ist nicht vor 2020 zu erwarten. über die neusten Entwicklungen informie- ERINNERUNG BEWAHREN ren und daraufhin die verschiedenen Ideen bewerten. Der Gruppe ist wichtig, dass sie Aber die Gruppe blickt nicht nur in die das Konzept nicht an den Wünschen der Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit: künftigen Nutzer vorbeiplanen. Das ist Die Arbeitsgruppe Mahnmal und Gedenk- auch der Grund, weshalb sich die Mitglie- stätte dokumentiert die Geschichte des der regelmäßig in der Ideenzentrale, einem Bunkers. Ihr übergeordnetes Ziel ist es, Ver- umgebauten Container vor dem Bunker gangenheitsbewältigung mit dem Garten- an der Feldstraße, treffen und diskutieren. projekt zu verbinden und eine Symbiose aus In fünf verschiedenen Arbeitsgruppen Kriegsmahnmal und Stadtgarten zu schaffen. reden die Mitglieder aus unterschiedlichen „Mir und vielen anderen Bewohnern auf St. thematischen Perspektiven über das Projekt. Pauli und im Karoviertel ist es wichtig, die Hier tragen sie ihre Rechercheergebnisse Geschichte der Schutzanlage in das Projekt zusammen und feilen an einem tragfähi- Hilldegarden zu integrieren“, so Sonja Brier, gen Konzept mit und für die Stadt. Eine Mitinitiatorin im Interview. Die Arbeits- Arbeitsgruppe interessiert sich für die gruppe plant nun, 70 Jahre nach Kriegsende, Gestaltung und Nutzung der Außenflächen, Ausstellungsflächen für ein Museum, um eine andere wiederum befasst sich mit dem den Opfern des NS-Regimes endlich die Thema Energie und Kreisläufe. notwendige Gedenkstätte einzuräumen. 37 GARTEN+ L ANDSCHAFT
„Wir haben den Bunker jeden Tag direkt vor unserer Nase. Doch im Alltag vergessen wir eben manchmal, welche Bedeutung er hat, und vor allem, was hier alles passierte.“ Doch damit ist jetzt Schluss. Die Gruppe sucht bereits seit einiger Zeit Zeitzeugen, Zwangs- arbeiter und Schutzsuchende, schreibt deren unglaubliche Geschichten auf und kämpft damit gegen das Vergessen. PROZESS ALS ZIEL Vier Jahre lang hatten Planer und Erb- pächter Seite an Seite gearbeitet, doch dann kündigte Matzen überraschend den Vertrag. Den Bau aufzustocken und zu begrünen, dem stand seit Dezember 2017 Visualisierung: Planungsbüro Bunker, Foto: Wikipedia eigentlich nichts mehr im Weg. Doch dann verzögerte ein Rechtsstreit zwischen Interpol Studios und dem Investor das Das Ziel von Hilldegarden: das Vorhaben. Glücklicherweise einigte man Stadtklima nachhaltig verbessern sich dann aber doch. Die Nutzungsrechte und generationsübergreifende wurden an den Investor übertragen, nach- sozialökologische Projekte dem dieser den Planern das noch fällige schaffen (Bild oben). Aber auch: Honorar gezahlt hatte. Die Vergangenheit und Geschichte Es war ein langer Weg: Das Konzept inklu- des Bunkers und seiner Umgebung sive Stadtgarten überzeugte zwar anfangs (Bild unten) aufarbeiten. schnell die Politik, im April 2017 lag die 38 GARTEN+ L ANDSCHAFT
TRANSFORMATION HOCHBUNKER STADTGARTEN, HAMBURG Baugenehmigung vor und der Erbpacht- Seite. Zudem ist der Stadtgarten auf dem vertrag mit Thomas Matzen wurde bis Bunker ein Pilotprojekt für eine intensive 2067 verlängert. Parallel macht sich jedoch und grüne Nutzung von Dächern in Ham- im Viertel Unmut breit. Viele Anwohner burg. Fragen wie „Wie geht man mit einem fürchten einen Gentrifizierungsschub, Kriegsmahnmal um?“ oder „Sollte man zusätzlichen Verkehr und die fortschrei- es unberührt belassen?“ beschäftigen die tende Eventisierung des Stadtteils. Auch Stadt Hamburg. Es steht fest: Die Trans- Denkmalpfleger waren besorgt bezüglich formation muss sensibel passieren, und die der Aufstockung: Aus ihrer Sicht muss die Anwohner dürfen unter den Folgen der Ursprünglichkeit des Bauwerks erhal- Realisierung nicht leiden. Aber ein positiver ten bleiben. Sie sehen das authentische Effekt ist die Präsenz, die der Bau dadurch Denkmal, das die Bevölkerung stets an erhält: Erst das Projekt Hilldegarden die Schrecken des Zweiten Weltkrieges hat den Bunker sieben Jahrzehnte nach erinnert, bedroht. Sie wollen die rohe Kriegsende wieder stärker ins Bewusstsein FAKTEN Monumentalität des Bauwerks schützen. gerückt. Besonders in Zeiten des Rechts- PROJEKT Hochbunker Feldstraße, Die Debatte zwischen Befürwortern und rucks brauchen wir Leuchtturmprojekte, St. PauliBAU 1942 PROJEKTZEIT- Gegnern verzögerte den Prozess mehrfach. die an die Vergangenheit erinnern und RAUM STADTGARTEN Seit 2014 bis Fakt ist jedoch, dass das Projekt ein viel- zugleich Zukunft gestalten. Seit Frühjahr heute FLÄCHE DACHPARK 4 200 versprechendes Experiment ist und weit 2018 passiert nun endlich etwas auf dem Quadratmeter BAUHERR Thomas J. über die Grenzen der Hansestadt hinaus Dach. Und heute wachsen bereits erste C. Matzen GmbH PROJEKTBETEI- strahlen wird. Der Bau wird künftig für Radieschen, auch Möhren und Spinat wur- LIGTE Hilldegarden, Planungsbüro nachhaltige Stadtentwicklung und für eine den schon geerntet. Die ersten Hochbeete neue Art der Bürgerbeteiligung stehen. sind angelegt, so die Projektgruppe Hillde- Bunker, Interpol+-Architecture, Stadtbewohner und Investor planen nun garden. Sie sind bereit für den Startschuss Büro51 seit Jahren wie selbstverständlich Seite an und ein neues Kapitel. Geländer für Grünflächen AERO QUADRO AERO TOPAS MANUFAKTUR FÜR URBANES MOBILIAR Prünte ® 58730 Fröndenberg Telefon 02373 97970 Fax 02373 979717 www.pruente.de 39 GARTEN+ L ANDSCHAFT
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