Knochenwachstum an Nano-Schichten aus Titan - www.nanoportal-bw.de

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Knochenwachstum an Nano-Schichten aus Titan
Wer über Rückenprobleme klagt, hat meist mit Erkrankungen der Wirbelsäule zu kämpfen. Beson-
ders die Bandscheiben, die zwischen den einzelnen Wirbeln den Druck abfedern und die festen
Wirbelkörper zu einem beweglichen Ganzen verbinden, leiden unter falscher Haltung, Fehlbelas-
tungen und Bewegungsmangel. Wenn sie sich irreparabel abnutzen, können Implantate helfen. Als
„Platzhalter für die Bandscheibe“ halten sie die Wirbelkörper im richtigen Abstand. Heilungsdauer
und -erfolg werden dabei wesentlich von der Oberfläche des Implantates bestimmt. Das Medizin-
technik-Unternehmen Orthobion GmbH im baden-württembergischen Konstanz arbeitet dafür
erfolgreich mit Nano-Schichten aus Titan.

                      Röntgenaufnahme einer Wirbelsäule; Foto: Dieter Schütz /pixelio.de

Die Wirbelsäule ist ein besonderes Gebilde: Leicht und stabil gebaut und gleichzeitig belastbar und
beweglich. Möglich ist das durch das Zusammenspiel fester und weicher Teile. Zwischen den festen
Wirbelkörpern befinden sich die so genannten Bandscheiben. In einem festen Ring aus Bindegewebs-
fasern liegt dabei ein gallertartiger Kern. Wie ein mit Wasser gefülltes Kissen federt eine Bandscheibe
den Druck ab, der bei Belastungen auf die Wirbelkörper wirkt. Unter Druck gibt sie Wasser ab, in ent-
spanntem Zustand nimmt sie welches auf. Dieses Wechselspiel ist entscheidend für Gesundheit und
Wohlbefinden. Durch Dauer- und Fehlbelastungen leiden die Bandscheiben ebenso wie durch Bewe-
gungsmangel.

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Titanbeschichtetes Wirbelsäulenimplantat für die Halswirbelsäule. Zum Größenvergleich: Eine Euromünze. Foto: MLR

Wenn Bandscheiben vollständig zerstört werden, reiben die Wirbelkörper aufeinander. Die Betroffe-
nen haben starke Schmerzen und können oftmals Arme oder Beine nicht mehr bewegen. In solchen
Fällen kann ein Implantat, wie das hier abgebildete, Linderung verschaffen. Zwischen die Wirbelkör-
per der Halswirbelsäule eingesetzt, hält es sie im richtigen Abstand und stabilisiert die Wirbelsäule. In
die Aussparungen werden Knochenspäne oder künstliches Knochenersatzmaterial (KEM) gefüllt, da-
mit sich von dort aus neues Knochengewebe bilden kann. Ziel ist, die beiden Wirbel über eine Kno-
chenbrücke, die das Implantat fest einschließt, miteinander fest zu verbinden. An dieser Stelle bleibt
die Wirbelsäule fortan unbeweglich, der Patient hat aber keine Schmerzen mehr und kann seine
Gliedmaßen wieder bewegen.

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Verschiedene Kunststoff-Implantate für die Lendenwirbelsäule. Zum Größenvergleich: Eine Euro-Münze. Foto: MLR

Die so genannten Cages (von Englisch: cage = der Käfig), die zwischen die Wirbel geschoben werden,
gibt es in verschiedenen Breiten, Höhen und Neigungswinkeln, um für jeden Patienten den individuell
passenden zu finden. Wie die Lendenwirbelsäulen-Implantate in unserem Bild sind sie üblicherweise
aus medizinischem Kunststoff. Er ist leicht, annähernd so elastisch wie natürliches Knochenmaterial
und auf Röntgenaufnahmen nicht sichtbar. Dadurch kann man nach der Operation sehen, ob und wie
sich Knochensubstanz am Implantat gebildet hat. Einer seiner Vorteile ist zugleich ein entscheidender
Nachteil: Medizinischer Kunststoff reagiert im Körper nicht mit den organischen und chemischen
Verbindungen in seiner Umgebung – auch Knochenzellen können also nicht an ihm haften. Ein Kunst-
stoffimplantat kann daher nie wirklich in den Knochen einwachsen. Stattdessen wird es oft von einer
dünnen Bindegewebsschicht umschlossen, an der dann zwar tatsächlich eine Knochenbrücke ent-
steht. Da Bewegungen des Menschen auch das Implantat in winzige Bewegungen versetzt, können
aber langfristig wieder neue Schmerzen auftreten.

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Als Material für Schmuck beliebt und bewährt: Titan. Foto: Maja Dumat / pixelio.de

Sehr gut verträglich, antiallergen und dabei leicht ist auch Titan. Das macht das Metall zu einem be-
liebten Material für Schmuck. Auch medizinische Prothesen und Implantate, die fest mit dem Kno-
chen verbunden werden sollen, werden heute vielfach aus Titan gefertigt. Seine Oberfläche ist auch
für Knochenzellen sehr attraktiv, die Implantate werden daher schnell in das Gewebe integriert. Den-
noch sind Wirbelsäulen-Implantate aus Titan nicht die beste Wahl: Zum einen ist Titan deutlich fester
als Knochenmaterial, Titan-Cages können daher langsam in die Wirbel einsinken und erneut Schmer-
zen hervorrufen. Zum anderen erscheint Titan im Röntgenbild so hell, dass alle anderen Bildpunkte
überstrahlt werden und man das tatsächliche Knochenwachstum nicht beobachten und kontrollieren
kann.

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Preisverleihung in Stuttgart: Orthobion erhält den Sonderpreis des Rudolf-Eberle-Preises 2013. Foto: Jörg Jäger Fotografie

Die Firma Orthobion hat einen Weg gefunden, die Vorteile der beiden Materialien zu kombinieren:
Auf einen Cage-Rohling aus medizinischem Kunststoff bringen die Ingenieure des Unternehmens eine
nanometer-dünne Schicht reinen Titans auf.

Dafür erhielt das Unternehmen im Jahr 2013 den Sonderpreis des Innovationspreises des Landes Ba-
den-Württemberg (im Bild v.l.n.r.: Ingo Rust, MdL, Staatssekretär im Ministerium für Finanzen und
Wirtschaft Baden-Württemberg, Guy Selbherr, Geschäftsführer der MBG Mittelständischen Beteili-
gungsgesellschaft Baden-Württemberg mbH, Katharina Tautz, Ingenieurin bei der Orthobion GmbH,
Dietmar Schaffarczyk, Geschäftsführer der Orthobion GmbH, Johannes Schmalzl, Regierungspräsident
des Regierungspräsidiums Stuttgart). Der Rudolf-Eberle-Preis wird seit 1985 alljährlich an kleine und
mittlere Unternehmen für beispielhafte Leistungen in der Entwicklung neuer Produkte, Verfahren
und technologische Dienstleistungen oder bei der Anwendung moderner Technologien vergeben.

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Aus einem Stück medizinischen Kunststoffs (links im Bild) wird ein Cage-Rohling gefräst. Foto: MLR

Diese besonderen Wirbelsäulenimplantate entstehen in mehreren Schritten. Zunächst wird der Kör-
per des Implantats aus medizinischem Kunststoff gefertigt. Das übernimmt eine computergesteuerte
Fräse. In einem weiteren Arbeitsschritt wird dem künftigen Cage auch die besondere Oberfläche ge-
geben: Gleichmäßig über das ganze Stück verteilt formen winzige Berge und Täler eine Mikro-
Topografie, an der Knochenzellen später gut anwachsen und sich ausbreiten können. Zwischen 10
und 60 Mikrometer sind die Erhebungen hoch – gerade genug, um eine große Oberfläche zu schaffen
und flach genug, damit Knochenzellen die Abstände überbrücken können. Etwa 25 Minuten dauert
es, bis der Rohling fertig ist. Im Anschluss werden noch zwei kleine Stifte aus Tantal eingesetzt, die
dafür sorgen, dass seine Position bei späteren Röntgenuntersuchungen zu sehen ist.

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                     Beschichtungsanlage. Foto: MLR

Im nächsten Schritt wird reines Titan aufgebracht. Das geschieht im Hochvakuum in einer künstlichen
Argon-Atmosphäre. In der Beschichtungsanlage befinden sich hochreines Titan und die Kunststoffroh-
linge. Die Kräfte, die währen des Beschichtungsprozesses auf das Titan wirken, sind enorm: Atome
lösen sich einzeln aus dem Titan und setzen sich gleichmäßig auf der Oberfläche der Implantat-
Rohlinge ab.

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Wirbelsäulenimplantate vor (im Bild oben) und nach (im Bild unten) der Beschichtung mit reinem Titan. Foto: MLR

Nach Ende dieses Arbeitsschrittes ist auf die Oberfläche der Implantat-Rohlinge (im Bild oben) gerade
so viel Titan aufgetragen, dass die Knochenzellen gut daran haften und so wenig dass die besondere,
für die Knochenzellen attraktive raue Oberflächenstruktur des Cages erhalten bleibt. Zwischen 200
und 250 nm dick ist diese Schicht, die fest und untrennbar durch eine chemische Reaktion mit dem
darunter liegenden Kunststoff verbunden ist. Sie ist so dünn, dass die beschichteten Implantate auf
Röntgenaufnahmen nur anhand ihrer Tantal-Markierungen zu erkennen sind.

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Titanbeschichtetes Implantat für die Halswirbelsäule neben einem Modell der Wirbelsäule. Foto: MLR

Die Implantate aus Titan-Kunststoff zeigen sich in Studien an Zellkulturen und Schafen als großer
Fortschritt: Knochenzellen haften direkt an der Oberfläche, sie vermehren sich schnell und überzie-
hen das Implantat gleichmäßig. Die Knochenbrücke wächst daher sehr rasch und ist schnell geschlos-
sen. Für die Patienten kann das eine große Erleichterung bedeuten. Sie sind in vielen Fällen schneller
wieder schmerzfrei und bewegungsfähig, Folgeoperationen sind nicht nötig und statt aufwändigen
Untersuchungen im Computertomographen könnten Röntgengeräte zur Nachsorge eingesetzt wer-
den.

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Standardisierte Kunststoff-Teile für die Untersuchungen auf mechanische Stabilität. Foto: MLR

Die titanbeschichteten Wirbelsäulenimplantate sind bereits als Medizinprodukte zugelassen und
werden erfolgreich zur Stabilisierung der Hals- und Lendenwirbelsäule eingesetzt. Sie haben also den
Nachweis erbracht, dass sie hilfreich und für die Patienten sicher sind. Orthobion untersucht auch
weiterhin regelmäßig, ob der verwendete Kunststoff die mechanischen Belastungen während der
Operationen und in der Wirbelsäule aushält. Bleibt der Kunststoff auch bei großem Druck, in Drehun-
gen oder bei Zug unversehrt? Halten die Implantate sicher ihre Position zwischen den Wirbeln (im
Bild: Standard-Kunststoffstücken für solche Untersuchungen)? Ebenso werden die Wechselwirkungen
des Implantates mit seiner Umgebung untersucht. Diese Untersuchungen belegten: Das Titan bleibt
auch unter den Bedingungen im Köper untrennbar mit dem Kunststoff verbunden, ein Übergang von
Titan in die Knochenzellen findet nicht statt.

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Dietmar Schaffarczyk, Geschäftsführer der Orthobion GmbH, erläutert die Verfahren für die Sicherheitstests. Foto: MLR

„Es ist die Kombination aus Oberflächenstruktur und nanometer-dünner Titanbeschichtung, die das
Knochenwachstum an unseren Implantaten so verbessert. Diese Technik ist im Prinzip auch für ande-
re Implantate einsetzbar und könnte auch dort zu mehr Lebensqualität für die Patienten führen“, ist
sich Dietmar Schaffarczyk sicher. Der Geschäftsführer der Orthobion GmbH erklärt: „Implantate sind
nie perfekt. Wir suchen immer weiter nach Möglichkeiten, sie zu verbessern. Die Nano-Beschichtung
mit Titan ist eine davon.“

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