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Wissenschaftliche Beiträge

Learning Analytics im Hochschulkontext
Dirk Ifenthaler und Clara Schumacher

                       Prof. Dr. Dirk Ifenthaler ist Inhaber des              Educational Data Mining (EDM) bereitet aus der Menge
                       Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik –                  aller verfügbaren Daten relevante Informationen für den
                       Technologiebasiertes Instruktions-                     Bildungsbereich auf. Academic Analytics (AA) bezieht
                       design an der Universität Mannheim,                    sich vornehmlich auf die Leistungsanalyse von Bildungs-
                       Adjunct Professor an der Deakin Univer-
                                                                              institutionen, indem institutionelle, lernerbezogene und
                       sity, Australien, sowie Affiliate Research
                       Scholar an der University of Oklahoma,                 akademische Daten herangezogen werden und für Verglei-
                       USA. Bevorzugte Forschungsgebiete:                     che genutzt werden. Bei Learning Analytics (LA) stehen
                       Instructional Design, Automated Asses-                 Lernende, Lernprozesse und in Echtzeit verfügbare Rück-
                       sment, Learning Analytics, Complex Pro-                meldungen im Vordergrund (vgl. Ifenthaler, 2015).
                       blem Solving
                                                                              Im Folgenden soll ein Überblick über Learning Analytics
                                                                              insbesondere im Hochschulkontext und der Verbreitung in
                       Dipl.-Päd. Clara Schumacher ist wissen-                Deutschland gegeben sowie zukünftige Entwicklungs-
                       schaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl
                       für Wirtschaftspädagogik – Technologie-
                                                                              möglichkeiten aufgezeigt werden.
                       basiertes Instruktionsdesign an der Uni-
                       versität Mannheim. Bevorzugte For-
                       schungsgebiete: Informelles Lernen,                    2. Learning Analytics
                       Online-Lernen, Learning Analytics

                                                                              Durch die Nutzung von digitalen Lernumgebungen (z. B.
                                                                              Lernmanagementsysteme) eröffnen sich vielfältige Mög-
                                                                              lichkeiten, Lernprozesse zu analysieren und zu begleiten.
                                                                              Daten die Lernende angeben bzw. durch die Interaktion
                                                                              mit digitalen Systemen generieren, ermöglichen Einblicke
 Learning Analytics verwendet dynamisch generierte                            in ihr Lernverhalten. Welche zur Verfügung gestellten
 Daten von Lernenden und Lehrenden und Lernumge-                              Dateien werden wann genutzt, wie lange hält der Lernende
 bungen, mit dem Ziel der Optimierung von Lernpro-                            sich in der Lernumgebung auf, welche Pfade verwendet er,
 zessen und Lernumgebungen. Die Implementation                                welche Beiträge verfasst er in Diskussionen und wie ist
 solcher System erfordert interdisziplinäre Forschungs-                       der individuelle Lernfortschritt im Vergleich zur Gruppe
 zugänge mit Bezügen zur Lehr- und Lern-Forschung,                            oder zum Lernziel? Diese und weitere Fragen lassen sich
 Informatik und Statistik. Vor diesem Hintergrund wer-                        mit dem Einsatz von Learning Analytics-Anwendungen
 den exemplarisch drei Anwendungsszenarien von                                verfolgen und aus den gewonnenen Ergebnissen zeitnahe
 Learning Analytics im Hochschulkontext vorgestellt                           Interventionen und Prognosen ableiten.
 sowie dessen Nutzen und Grenzen kritisch betrachtet.
                                                                              Erst kürzlich wurde im Rahmen der seit 2011 ausgerichte-
 Stichwörter: Learning Analytics, Datenanalyse, Lern-                         ten internationalen Tagungsserie LAK (Learning Analytics
 prozess, Universität                                                         and Knowledge) die Grundlage für eine einheitliche Defi-
                                                                              nition von Learning Analytics erarbeitet. Um die Dynamik
                                                                              der generierten Daten sowie die Vorteile der Echtzeitana-
                                                                              lyse und -visualisierung von Learning Analytics einzube-
1. Nutzung von Daten im Bildungskontext
                                                                              ziehen, wird in diesem Beitrag folgende Definition vorge-
                                                                              schlagen: Learning Analytics verwendet dynamisch ge-
Im wirtschaftlichen Kontext werden kunden- und nutzer-
                                                                              nerierte Daten von Lernenden und Lernumgebungen, um
generierte Daten bereits vielfältig genutzt für dateneviden-
                                                                              diese in Echtzeit zu analysieren und zu visualisieren, mit
te Entscheidungen und um Wettbewerbsvorteile zu erzie-
                                                                              dem Ziel der Modellierung und Optimierung von Lehr-
len. Auch im Bildungsbereich insbesondere durch die Be-
                                                                              Lernprozessen und Lernumgebungen (vgl. Ifenthaler,
reitstellung von digitalen Lernangeboten nimmt die Daten-
                                                                              2015).
fülle kontinuierlich zu. Bisher werden diese Daten jedoch
noch wenig von Bildungsinstitutionen genutzt. Konzepte                        Aufgrund seiner direkten Verbindung mit den Entwicklun-
wie Educational Data Mining, Academic Analytics und                           gen im Bereich des digitalen Lehrens und Lernens handelt es
Learning Analytics haben jedoch derzeit vor allem in den                      sich bei Learning Analytics um ein interdisziplinäres For-
USA, Großbritannien und Australien starke Beachtung ge-                       schungsfeld mit Bezügen zur Lehr- und Lern-Forschung,
funden.                                                                       Informatik und Statistik, dessen Relevanz in den nächsten

176    WiSt Heft 4 · April 2016

                                       https://doi.org/10.15358/0340-1650-2016-4-176, am 10.01.2022, 21:55:57
                                               Open Access –             - http://www.beck-elibrary.de/agb
Ifenthaler/Schumacher, Learning Analytics im Hochschulkontext

Jahren stärker zunehmen wird (vgl. Johnson/Adams Be-                          teilt werden sowie gezielt Lehrende weitergebildet und
cker/Cummins/Freeman/Ifenthaler/Vardaxis, 2013).                              Kursangebote angepasst werden.
Die durch Nutzung von digitalen Lernumgebungen entste-                    ) Auch für die politische Ebene lassen sich Interventio-
henden Daten werden gesammelt, analysiert und in Bezug                      nen ableiten, die auf Datenbasis fundiert sind und Ver-
zu lernpsychologischen Erkenntnissen gesetzt, um Lern-                      änderungen des Bildungssystems beinhalten.
prozesse und Verhaltensweisen der Nutzer zu verstehen
                                                                          Learning Analytics ist in Deutschland ein noch ver-
und zu unterstützen (vgl. Gašević/Dawson/Siemens,
                                                                          gleichsweise wenig beachtetes Thema, was sich beispiels-
2015). Die Daten können dabei sowohl quantitativ als nu-
                                                                          weise an der Zahl der aktuellen Veröffentlichungen und
merische Logeinträge vorliegen, wie zum Beispiel die
                                                                          implementierten Learning Analytics-Anwendungen zeigt.
Nutzungshäufigkeit, Nutzungsdauer und Nutzerpfade oder
                                                                          Im englischsprachigen Ausland hingegen werden Lear-
in qualitativ-semantischer Form vorliegen, wie zum Bei-
                                                                          ning Analytics stärker diskutiert und finden bereits prakti-
spiel geschriebene Inhalte der Lernenden (z. B. Diskus-
                                                                          sche Anwendung durch die Implementierung von Lear-
sionsbeiträge, Fragestellungen, etc.). Abhängig von ihrer
                                                                          ning Analytics-Anwendungen an einer Vielzahl von Uni-
Beschaffenheit werden die Daten aufbereitet, analysiert
                                                                          versitäten (vgl. Johnson/Adams Becker/Cummins/Free-
und den verschiedenen Zielgruppen bedarfsgerecht visua-
                                                                          man/Ifenthaler, 2013; Johnson/Adams Becker/Estrada/
lisiert zugänglich gemacht.
                                                                          Freeman, 2014).
Learning Analytics bezieht dabei jedoch nicht nur die Da-
ten der digitalen Lernumgebung mit ein, sondern muss als
eingebettet in institutionelle, politische und curriculare                3. Anwendungsszenarien
Rahmen gesehen werden. Darüber hinaus sind auch Lern-
prozesse außerhalb institutioneller Kontexte von Relevanz                 3.1. Überblick
(vgl. Ifenthaler, 2015).
                                                                          Learning Analytics-Anwendungen sind eigenständige
Aufgrund der unterschiedlichen Zielgruppen und somit                      Softwarelösungen oder in Lernplattformen eingebettet.
differierender Informationsinteressen, muss eine Adaption                 Vielfältige Daten, die durch die Nutzung entstehen sowie
von Learning Analytics-Anwendungen an die jeweilige                       individuelle Nutzermerkmale und Informationen zu Lern-
Zielgruppe erfolgen und bereits bei der Initiierung an allen              inhalten, werden in Datenbanken erfasst und mittels Ana-
Bedarfe ausgerichtet werden (vgl. Ifenthaler/Widanapathi-                 lysealgorithmen ausgewertet. Abb. 1 zeigt, wie die Ergeb-
rana, 2014). Die Interventionen, die auf Basis der Analy-                 nisse der Analysen für Administratoren, Lehrenden und
seergebnisse erfolgen, finden dementsprechend auch auf                    Lernenden in visualisierter Form in Echtzeit zugänglich
unterschiedlichen Ebenen statt (vgl. Ifenthaler, 2015; Long               gemacht werden (vgl. Bellin-Mularski/Ifenthaler, 2014).
& Siemens, 2011; Reyes, 2015):
                                                                          Besonders für den Einsatz im Hochschulbereich eignet
) Auf der Individualebene können zum Beispiel weitere                     sich Learning Analytics, indem Lernende ihr Lernverhal-
  Lernangebote oder motivierendes Feedback den Lern-                      ten reflektieren und mit dem anderer vergleichen können.
  prozess beeinflussen.                                                   Ebenso wird den Lehrenden die Möglichkeit gegeben, den
) Auf der Kursebene kann die Lehrperson das Lernmate-                     Lernprozess der Lernenden zu begleiten und gegebenen-
                                                                          falls individuelle Unterstützung anzubieten sowie die ei-
  rial an die Gruppe auf Basis der derzeitigen Leistung
                                                                          gene Lehre zu reflektieren und an die Lernenden anzupas-
  anpassen oder ergänzen.
                                                                          sen. Die Lernenden erhalten Feedback, mit Hilfestellun-
) Auf der Institutionsebene können Ressourcen anhand                      gen zu weiteren Schritten, die ihren Lernprozess unterstüt-
  von datenevidenten Informationen bedarfsgerecht ver-                    zen können. Die Lehrenden werden über die Lernleistung

Abb. 1: Learning Analytics-
Prozess

                                                                                                              WiSt Heft 4 · April 2016   177

                                     https://doi.org/10.15358/0340-1650-2016-4-176, am 10.01.2022, 21:55:57
                                             Open Access –             - http://www.beck-elibrary.de/agb
Wissenschaftliche Beiträge

der Studierenden informiert, so dass sie beispielsweise                   dieser einfachen Anwendung signifikant weniger Studie-
persönlichen Kontakt zu den Lernenden aufnehmen kön-                      rende das Studium abgebrochen haben und bessere akade-
nen, die Schwierigkeiten haben.                                           mische Leistungen erzielen (vgl. Pistilli/Arnold, 2010).
                                                                          Dozenten geben an, dass die Interaktion mit Studierenden
Hierbei wird die Notwendigkeit von individuell zuge-
                                                                          erleichtert wird und somit gezieltere Interventionen mög-
schnittenen Analyse- und Visualisierungsmöglichkeiten
                                                                          lich werden. Die Grenzen des System, zum Beispiel die li-
von Learning Analytics-Anwendungen für die unter-
                                                                          nearen Algorithmen und die geringen Anzahl von verfüg-
schiedlichen Zielgruppen deutlich. Über Möglichkeiten
                                                                          baren Indikatoren, wurden erkannt und sollen in zukünfti-
der Individualisierung sind Learning Analytics-Anwen-
                                                                          gen Anwendungen mitberücksichtigt werden.
dungen stark lernerzentriert und fördern über Reflektion-
sanreize den Lernprozess (vgl. Ifenthaler, 2012), wobei
durch zeitnahes Feedback und dem Wissen über das eige-                    3.3. RWTH Aachen: eLAT
ne Lernen der Studienerfolg gesteigert werden kann (vgl.                  An der RWTH Aachen wurde 2010/11 die Learning Analy-
Hattie, 2009).                                                            tics-Anwendung eLAT (exploratory Learning Analytics
Learning Analytics-Anwendungen bieten durch die Ana-                      Toolkit) eingeführt. Ziel der Anwendung ist es, mittels
lyse großer Datenmengen eine weitaus differenzierte In-                   Analyse von Daten wie Teilnahme an Übungen, Erstellen
formationsbasis, als das durch eine einzelne Lehrperson                   von Forenbeiträgen und Lesen und Herunterladen von
möglich wäre, vor allem in Zeiten steigender Studieren-                   Lerninhalten, Lehr-Lern-Prozesse zu evaluieren und mög-
denzahlen.                                                                liche Verhaltensveränderungen der Lehrenden zu erfassen
                                                                          und mögliche Verbesserungen der Lehre einzuleiten (vgl.
Nach Verbert, Manouselis, Drachsler und Duval (2012)                      Dyckhoff/Zielke/Bültmann/Chatti/Schroeder, 2012). Da
sollten Learning Analytics-Anwendungen, die mit ver-                      die Anwendung im Bereich Informatik entwickelt wurde,
schiedenen Methoden Daten multipler Quellen analysie-                     liegt das Forschungsinteresse verstärkt auf Usabilityaspek-
ren, folgende Ziele vereinen:                                             ten, der Integrierbarkeit der Anwendung in verschiedene
) Lernerfolg vorhersagen                                                  Lernplattformen sowie der Visualisierung der analysierten
                                                                          Daten. Darüber hinaus wird vor allem auf den Nutzen für
) Relevante nächste Lernschritte und Lernmaterialien                      Lehrkräfte eingegangen, die Mithilfe des Systems ihre
  empfehlen                                                               Lehre reflektieren und verbessern können, indem sie Hy-
                                                                          pothesen mittels Indikatoren und Filteroptionen abfragen.
) Reflektion und Bewusstsein über den Lernprozess för-
                                                                          Dennoch erhalten auch Lernende individuelles Feedback
  dern                                                                    vom System.
) Soziales Lernen fördern
                                                                          Ebenso auf Datenschutz wird im System eingegangen, in-
) Unerwünschtes Lernverhalten und -schwierigkeiten                        dem Grenzwerte hinsichtlich der Filtermöglichkeiten ge-
  aufspüren                                                               setzt sind. Sobald eine zu geringe Anzahl an Lernenden
                                                                          dargestellt würde und Rückschlüsse auf deren Identität
) Aktuellen Gefühlszustand der Lernenden ausfindig ma-
                                                                          möglich wären, kann die Abfrage nicht ausgeführt werden.
  chen                                                                    Durch den strikt eingehaltenen Datenschutz, erhalten Leh-
Im Folgenden werden nun drei Beispiele für den Einsatz                    rende nur einen Überblick über die Gruppenleistungen und
von Learning Analytics-Anwendungen im Hochschulkon-                       nicht über einzelne Studenten, so dass kein Feedback zwi-
text gegeben.                                                             schen Lehrenden und Lernenden stattfindet. Die Verände-
                                                                          rungen, die seitens der Lehrenden implementiert werden,
3.2. Purdue University: Course Signals                                    können so auch nur auf die Gesamtgruppe angewendet
                                                                          werden und ermöglichen keine individualisierten Interven-
Eines der bekanntesten Beispiele für die Nutzung von                      tionen.
Analyseinstrumenten im Bildungsbereich ist das Course
Signals System, das an der Purdue University, USA, 2007                   Die eLAT-Anwendung liefert hinsichtlich Usabilityge-
ursprünglich mit Blick auf Academic Analytics entwickelt                  sichtspunkten, Datenschutzumsetzung, Visualisierungs-
wurde. Das System bezieht dabei demografische Daten,                      möglichkeiten, Indikatorbildung und der Integrierbarkeit
frühere akademische Leistungen und den Lernaufwand so-                    in verschiedene Lernplattformen überzeugende Ansätze
wie Leistungen innerhalb der Lernplattform in die Leis-                   zur Entwicklung einer Learning Analytics-Anwendung,
tungsvorhersage der Kursteilnehmer mit ein. Durch die                     die auf empirischen Daten beruhen. Aufgrund seiner eher
Verwendung eines Ampelsystems (rot: hohes Misser-                         lehrerzentrierten Perspektive müsste eine stärkere Be-
folgsrisiko; gelb: eventuelles Misserfolgsrisiko; grün: ho-               rücksichtigung der Interessen der Lernenden und die Mög-
he Bestehenswahrscheinlichkeit) werden sowohl Studen-                     lichkeit der direkten Feedbackbeziehung von Lehrenden
ten als auch Lehrende frühzeitig auf drohende Risiken hin-                und Lernenden in den Blick genommen werden. Die Ein-
gewiesen. Lehrende können daraufhin mit den Studenten                     beziehung der Lernenden in die Learning Analytics-
in Kontakt treten und auf Hilfsangebote hinweisen oder sie                Anwendung wird von den Autoren als zukünftige Ent-
anbieten (vgl. Pistilli/Arnold, 2010). Die empirische Be-                 wicklung geplant (vgl. Dyckhoff/Zielke/Bültmann/Chatti/
gleitforschung an der Purdue University zeigt, dass mittels               Schroeder, 2012).

178    WiSt Heft 4 · April 2016

                                   https://doi.org/10.15358/0340-1650-2016-4-176, am 10.01.2022, 21:55:57
                                           Open Access –             - http://www.beck-elibrary.de/agb
Ifenthaler/Schumacher, Learning Analytics im Hochschulkontext

3.4. Open Universities Australia: PASS                                   Das PASS-System bietet neben dem Dashboard für Studie-
                                                                         rende, speziell konzipierte Dashboards für Institutionen,
Open Universities Australia ist eine internationale Online-
                                                                         für Lehrende und für Kursdesign an. Die Algorithmen des
Universität in Australien, die Kurse und Programme von
                                                                         PASS-System wurden vor dem Hintergrund umfangrei-
mehr als 20 australischen Universitäten anbietet. Vor dem
                                                                         cher empirischer Analysen entwickelt und validiert (vgl.
Hintergrund einer optimalen Unterstützung der Online-Stu-
                                                                         Ifenthaler/Widanapathirana, 2014).
dierenden wurde das PASS-System (Personalised Adaptive
Study Success) entwickelt (vgl. Ifenthaler/Widanapathira-
na, 2014). PASS verwendet Daten von Studierenden (z. B.
                                                                         4. Vielfältiger Nutzen von Learning Analytics
individuelle Lernvoraussetzungen) und von digitalen Lern-
umgebungen (z. B. Logfiles der Lernplattform) und kombi-
                                                                         Obwohl Learning Analytics insbesondere den Lernprozess
niert diese mit zu erreichenden Kompetenzen des Curricu-
                                                                         fokussieren, liefern die gewonnen Ergebnisse Vorteile für
lums (z. B. sequenzierte Lerneinheiten eines Kurses). Au-
                                                                         alle am Lernprozess Beteiligten. Für einen strukturierten
ßerdem integriert PASS Elemente von Social Media, wo-
                                                                         Überblick bietet sich eine Aufgliederung der Vorteile nach
durch kollaboratives Lernen gefördert werden soll.
                                                                         Zielgruppen sowie Perspektive an. Tab. 1 zeigt eine Über-
Abb. 2 zeigt ein für Studierende konzipiertes Dashboard                  sicht der vielschichtigen Nutzen von Learning Analytics
des PASS-Systems. Dabei handelt es sich um ein univer-                   für summative Berichte, für den laufenden Prozess sowie
selles Plugin, welches in eine Lernplattform integriert                  für Prognosen (vgl. Ifenthaler, 2015).
wird. Das Dashboard vereint eine hohe Adaptierbarkeit
                                                                         Mithilfe von Learning Analytics können datenbasierte
mit personalisierten Informationen in Echtzeit. So werden
                                                                         Auskünfte über das Lernverhalten, Lernaktivitäten und
zum Beispiel Lernmaterialien dem aktuellen Lernfort-
                                                                         Einstellungen in Echtzeit während des Lernprozesses er-
schritt entsprechend empfohlen und Selbsttests zur Über-
                                                                         fasst und im weiteren Verlauf berücksichtigt werden. So-
prüfung des Lernfortschritts vorgeschlagen. Visuelle Si-
                                                                         mit werden individuelle dynamische Curricula und Echt-
gnale unterstützen die Navigation durch die dynamischen
                                                                         zeit-Feedback möglich. Durch die umfassende Analyse
Informationen des Dashboards. Studierende, die einen
                                                                         des Lernkontexts können die Bedarfe der Lernenden früh-
ähnlichen Lernstand aufweisen, werden als Lernpartner
                                                                         zeitig erkannt und individuell auf sie reagiert werden. In
vorgestellt oder es werden Studierende aus fortgeschritte-
                                                                         die Analyse werden im Idealfall auf Ebene der Lernenden
nen Kursen als Lernexperten empfohlen. Umfangreiche
                                                                         folgende Daten miteinbezogen (vgl. Ifenthaler/Widanapa-
Reflektionshinweise, zum Beispiel zu bereits erreichten
                                                                         thirana, 2014):
Lernzielen, können die Studierenden auf Wunsch ein- oder
ausblenden. Umfangreiche grafisch aufbereitete Statisti-                 ) Merkmale der Lernenden: Interesse, Vorwissen, aka-
ken geben den Studierenden Einblicke in den individuel-                    demische Leistungen, Ergebnisse standardisierter Tests,
len Lernprozess und -fortschritt. Darüber hinaus können                    Kompetenzniveau, sozio-demografische Daten.
Vergleiche zu anderen Studierenden herangezogen wer-                     ) Soziales Umfeld: Persönliches Netzwerk, Interaktio-
den. Über reaktive Datenerhebungen (sog. real-time
                                                                           nen, Präferenzen hinsichtlich sozialer Medien.
prompts) werden Daten von Lernenden während der Inter-
aktion mit dem PASS-System, zum Beispiel zur Motiva-                     ) Externe Daten: Aktuelle Geschehnisse, Ortsangaben,
tion oder zur aktuellen Lernstrategie, gesammelt.                          Emotionen, Motivation.

Abb. 2: PASS Dashboard für
Studierende

                                                                                                             WiSt Heft 4 · April 2016   179

                                    https://doi.org/10.15358/0340-1650-2016-4-176, am 10.01.2022, 21:55:57
                                            Open Access –             - http://www.beck-elibrary.de/agb
Wissenschaftliche Beiträge

   Perspektive
                  Summativ                   Echtzeit                           Prognose
 Zielgruppe
 Politische       ƒ Institutionsübergrei-    ƒ Produktivität erhö-              ƒ Einfluss auf organi-
 Ebene              fende Vergleiche           hen                                sationale Entschei-
                  ƒ Entwicklung von          ƒ Ermöglicht schnelle                dungen
                    Maßstäben                  Reaktion auf kriti-              ƒ Einfluss in Change
                  ƒ Informationsquelle         sche Vorfälle                      Management Pla-
                    für Entscheidungs-       ƒ Performanzanalyse                  nung
                    träger
                  ƒ Informationsquelle
                    für Qualitätssiche-
                    rungsprozessen
 Institutionel-   ƒ Prozessanalysen          ƒ Prozesse überwa-                 ƒ Prozesse vorhersa-
 le Ebene         ƒ Ressourcenvertei-          chen                               gen
                    lung optimieren          ƒ Ressourcen evaluie-              ƒ Projektoptimierung
                  ƒ Institutionelle Stan-      ren                              ƒ Bildungsrate entwi-
                    dards einhalten          ƒ Einschreibungen ü-                 ckeln
                  ƒ Vergleich von Ein-         berwachen                        ƒ Diskrepanzen identi-
                    heiten über Pro-         ƒ Fluktuation analysie-              fizieren
                    gramme und Fachbe-         ren
                    reiche hinweg
 Instruktions-    ƒ Pädagogische Mo-         ƒ Lerndesigns verglei-             ƒ Lernpräferenzen
 design             delle analysieren          chen                               identifizieren
                  ƒ Effekte von Inter-       ƒ Lernmaterialien eva-             ƒ Plan für zukünftige
                    ventionen messen           luieren                            Interventionen
                  ƒ Verbessern der Cur-      ƒ Schwierigkeitsgrade              ƒ Schwierigkeitsgrade
                    riculaqualität             anpassen                           anpassen
                                             ƒ Von Lernende benö-               ƒ Bildungswege an-
                                               tigte Hilfsmittel an-              passen
                                               bieten
 Lehrkraft        ƒ Vergleich von Ler-       ƒ Lernentwicklungen                ƒ Gefährdete Lernende
                    nenden, Kohorten           überwachen                         identifizieren
                    und Kursen               ƒ Sinnvolle Interventi-            ƒ Lernentwicklungen
                  ƒ Lehrpraktiken analy-       onen entwickeln                    vorhersagen
                    sieren                   ƒ Interaktion erhöhen              ƒ Interventionen pla-
                  ƒ Lehrqualität verbes-     ƒ Inhalte anpassen, um               nen
                    sern                       den Bedürfnisse der              ƒ Bestehensquote an-
                                               Lernerkohorte ent-                 passen
                                               gegen zu kommen
 Lernende         ƒ Lerngewohnheiten         ƒ Automatische Inter-              ƒ Lernwege optimie-
                    verstehen                  ventionen und Lern-                ren
                  ƒ Lernwege verglei-          hilfen erhalten                  ƒ Empfehlungen an-
                    chen                     ƒ Prüfungen ablegen                  nehmen
                  ƒ Lernergebnis analy-        und Echtzeit-                    ƒ Einsatzbereitschaft
                    sieren                     Feedback erhalten                  erhöhen
                  ƒ Lernfortschritt im                                          ƒ Erfolgsquote erhö-
                    Bezug auf Lernzie-                                            hen                         Tab. 1: Übersicht zum Nuten
                    len verfolgen                                                                             von Learning Analytics

Durch den Einsatz von Learning Analytics-Anwendungen                        5. Grenzen und zukünftige Entwicklungen
können umfangreiche Informationen des Lernprozesses
einer Vielzahl von Lernenden berücksichtigt werden, als                     Trotz der aufgezeigten Möglichkeiten, muss der Einsatz
das ein Lehrender alleine in vergleichbarer Zeit umsetzen                   von Learning Analytics-Anwendungen kritisch beleuchtet
könnte. Somit können vielfältige Faktoren mit Lernerfolg                    werden. Da persönliche Daten für die Analysen erhoben
oder -schwierigkeiten in Verbindung gebracht werden, zu                     werden, muss in diesem Zusammenhang auch auf die Fra-
denen keine Kausalität erwartet worden wäre (vgl. Locky-                    ge des Datenschutzes eingegangen werden. Ein kritischer
er/Heathcote/Dawson, 2013). Auch für die Forschung er-                      Forschungsbeitrag wäre einen allgemeingültigen Standard
geben sich durch den Einsatz von Learning Analytics-An-                     zu entwickeln, der Transparenz für alle Beteiligten und
wendungen neue Erkenntnisse über den Lernprozess, so                        dennoch eine Vergleichbarkeit der erhobenen und analy-
dass Lernumgebungen weiter optimiert und Analysever-                        sierten Daten gewährleistet (vgl. Pardo/Siemens, 2014).
fahren stärker auf individuelle Bedürfnisse angepasst wer-                  Bisherige Learning Analytics-Anwendungen sind mit dem
den können (vgl. Reyes, 2015).                                              Problem unvollständiger Datenbasen konfrontiert. Zum

180    WiSt Heft 4 · April 2016

                                     https://doi.org/10.15358/0340-1650-2016-4-176, am 10.01.2022, 21:55:57
                                             Open Access –             - http://www.beck-elibrary.de/agb
Ifenthaler/Schumacher, Learning Analytics im Hochschulkontext

einen können die Daten durch den Nutzer zurückgefordert                  analyse, Informatik und Mensch-Maschine-Interaktion zu
werden und zum anderen kann eine Teilnahme an der Da-                    verlässlichen Ergebnissen und Anwendungen zu gelangen.
tenbasis abgelehnt werden, was zur Folge hat, dass der
Nutzen von Learning Analytics-Anwendungen nicht voll-                    Literatur
ständig ausgeschöpft werden kann (vgl. Slade/Prinsloo,
                                                                         Bellin-Mularski, N., D. Ifenthaler, Learning Analytics: Datenana-
2013). In diesem Zusammenhang soll jedoch auch das Be-
                                                                            lyse zur Unterstützung von Lehren und Lernen in der Schule,
wusstsein für eine Gefahr der Stereotypisierung durch Da-                   in: SchulVerwaltung NRW, Vol. 25, No. 11 (2014), S. 300–303.
tenanalysen und Mustererkennung nicht unerwähnt blei-                    Buckingham Shum, S., R. Ferguson, Social learning analytics, in:
ben (vgl. Greller/Drachsler, 2012).                                         Educational Technology & Society, Vol. 15, No. 3 (2012), S. 3–
                                                                            26.
Transparenz über die erhobenen Daten und ihre Analyse                    Dyckhoff, A. L., D. Zielke, M. Bültmann, M. A. Chatti, U. Schroe-
ist wichtig, um die Akzeptanz von Learning Analytics bei                    der, Design and implementation of a learning analytics toolkit
allen Beteiligten zu fördern. Es könnte die Befürchtung er-                 for teachers, in: Educational Technolgy & Society, Vol. 15,
wachsen, dass sich die Leistungsbewertung außerhalb                         No. 3 (2012), S. 58–76.
                                                                         Gašević, D., S. Dawson, G. Siemens, Let’s not forget: Learning
menschlicher Beurteilung befindet. Eine vollständig auto-                   analytics are about learning, in: TechTrends, Vol. 59, No. 1
matisierte Umsetzung von Learning Analytics ist daher in                    (2015), S. 64–71.
Frage zu stellen. Vielmehr sollte Learning Analytics für                 Greller, W., H. Drachsler, Translating learning into numbers: A
datenevidente Interventionen durch Lehrende herange-                        generic framework for learning analytics, in: Educational Tech-
zogen werden (vgl. Pardo/Siemens, 2014). Damit in Ver-                      nology & Society, Vol. 15, No. 3 (2012), S- 42–57.
                                                                         Hattie, J. A. C., Visible learning, New York 2009.
bindung steht auch die Frage nach den zu analysierenden                  Ifenthaler, D., Determining the effectiveness of prompts for self-
Variablen, sowohl unter Datenschutzaspekten als auch hin-                   regulated learning in problem-solving scenarios, in: Journal of
sichtlich ihrer Relevanz als Indikatoren für Lernprozesse                   Educational Technology & Society, Vol. 15, No. 1 (2012),
(vgl. Greller/Drachsler, 2012). Eine lerntheoretisch fun-                   S. 38–52.
dierte und validierte Auswahl der zu analysierenden Daten                Ifenthaler, D., Learning analytics, in: J. M. Spector (Hrsg.), En-
                                                                            cyclopedia of educational technology, Thousand Oaks, CA,
sowie die pädagogische Entscheidung, welche Informatio-                     2015, 2. Band, S. 447–451.
nen den Lernenden zugänglich gemacht werden sollen und                   Ifenthaler, D., C. Widanapathirana, Development and validation
in welcher Form, ist notwendig (vgl. Ifenthaler/Widanapa-                   of a learning analytics framework: Two case studies using sup-
thirana, 2014). Auch hinsichtlich der empirisch validier-                   port vector machines, in: Technology, Knowledge and Lear-
ten Auswahl von Indikatoren für die Analysealgorithmen                      ning, Vol. 19, No. 1–2 (2014), S. 221–240.
                                                                         Johnson, L., S. Adams Becker, M. Cummins, A. Freeman, D. Ifent-
besteht Nachholbedarf, da Lernen häufig mit Variablen
                                                                            haler, N. Vardaxis, Technology Outlook for Australian Tertiary
wie Login-Häufigkeiten, Anzahl der Gruppendiskussions-                      Education 2013–2018: An NMC Horizon Project Regional
beiträge oder der termingerechten Bearbeitung gleichge-                     Analysis, Austin, TX 2013.
setzt wird. Doch nicht nur die Menge der Beiträge oder die               Johnson, L., S. Adams Becker, V. Estrada, A. Freeman, NMC Ho-
Nutzungsdauer, sondern vor allem der Inhalt ist ein Indika-                 rizon Report: 2014 Higher Education Edition, Austin, TX 2014.
tor für Lernen. Aktuelle Lösungsansätze sind Netzwerk-                   Lockyer, L., E. Heathcote, S. Dawson, Informing pedagogical acti-
                                                                            on: Aligning learning analytics with learning design, in: Ameri-
analysen, wodurch die Dynamik von Gruppenstrukturen                         can Behavioral Scientist, Vol. 57, No. 10 (2013), S. 1439–1459.
erfasst werden kann (vgl. Buckingham Shum/Ferguson,                      Long, P. D., G. Siemens, Penetrating the fog: Analytics in learning
2012) oder automatisierte semantische Analysen, welche                      and education, in: EDUCAUSE Review, Vol. 46, No. 5 (2011),
textbasierte Inhalte vergleichen.                                           S. 31–40.
                                                                         Pardo, A., G. Siemens, Ethical and privacy principles for learning
Holistische Learning Analytics-Anwendungen, die theo-                       analytics, in: British Journal of Educational Technology,
retisch fundierte Datenanalysen mit pädagogisch relevan-                    Vol. 45, No. 3 (2014), S. 438–450.
ten Lernindikatoren und pädagogisch aufbereitete Inter-                  Pistilli, M. D., K. E. Arnold, Purdue Signals: Mining real-time
                                                                            academic data to enhance student success, in: About campus:
ventionen ermöglichen, sind Ziel der aktuellen Forschung.                   Enriching the student learning experience, Vol. 15, No. 3
Das wachsende Angebot von Learning Analytics-Anwen-                         (2010), S. 22–24.
dungen durch kommerzielle Anbieter missachtet jedoch in                  Reyes, J. A., The skinny on big data in education: Learning analy-
vielen Fällen die Erkenntnisse aus der Lehr-Lern-For-                       tics simplified, in: TechTrends, Vol. 52, No. 2 (2015), S. 75–79.
schung, wobei Universallösungen angeboten werden, wel-                   Slade, S., P. Prinsloo, Learning analytics: Ethical issues and di-
                                                                            lemmas, in: American Behavioral Scientist, Vol. 57, No. 10
che für den eigentlichen Bedarf nicht geeignet sind. Um
                                                                            (2013), S. 1510–1529.
die Zukunftsfähigkeit von Learning Analytics zu stärken,                 Verbert, K., N. Manouselis, H. Drachsler,E. Duval, Dataset-driven
ist ein interdisziplinärer Forschungsansatz maßgebend, um                   research to support learning and knowledge analytics, in: Educa-
durch die Verbindung von Lehr-Lern-Forschung, Daten-                        tional Technology & Society, Vol. 15, No. 3 (2012), S. 133–148.

                                                                                                             WiSt Heft 4 · April 2016   181

                                    https://doi.org/10.15358/0340-1650-2016-4-176, am 10.01.2022, 21:55:57
                                            Open Access –             - http://www.beck-elibrary.de/agb
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