Lernreise 2018 Eberhard Karls Universität Tübingen - Studierendenwerk Tübingen-Hohenheim
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Eberhard Karls Universität Tübingen Lernreise 2018 1
Unterstützt werden wir freundlicherweise durch den Studierendenrat Tübingen, „Wissenschaft Lernen und Lehren“ (WILLE), Studierendenwerk Tübingen-Hohenheim sowie den Unibund der Eberhard Karls Universität Tübingen. Dafür herzlichen Dank! 2
Lernreise Zwölf Tage. Sechs Schulen. Eine Frage. Was ist eine „gute“ Schule? Wir sind neun Studierende aus Tübingen, die im September 2018 einen selbstorganis- ierten Road- und Schultrip zu sechs „besondere“ Schulen in Deutschland erlebt haben. Wir durften außergewöhnliche Schulkonzepte, innovative pädagogische Praxis und in- spirierende Persönlichkeiten kennen lernen. Dies hat uns zu vielen Erkenntnissen und auch zum Nachdenken über unsere Bildungslandschaft angeregt. Im Fokus unserer regelmäßigen Reflexionen vor, während und nach der Lernreise stand auch immer die Frage der Schulentwicklung. Welche Merkmale zeichnen Schulen mit gelungener päda- gogischer Praxis aus und wie kann sich Schule weiterentwickeln? 3
1. Schule Urspring Vom Ursprung nach Urspring D ie Lernreise Tübingen 2018 führte uns zunächst von Tübingen aus nach Ur- spring; über die Hügel der Schwäbischen Alb, über Blaubeuren ins malerische abgelegene Urspring bei Schelklingen. Nicht nur der imposante urige Campus vom Urspringinternat, mit seinen grünen Wiesen, Apfelbäumen, alten Gemäuern und rot-weiss gestreiften Fensterläden sollte uns in Erinnerung bleiben, auch die Her- zlichkeit und Aufgeschlossenheit des Lehrkörpers und der Schüler_innen überzeugte vom ersten Moment an. Kaum auf dem Gelände angekommen, kam uns Martin Witzel – langjährig erfahrener Pädagogischer Leiter und Teammitglied in der Schulleitung – auch schon entgegenge- laufen. Klassenbuch und Infobroschüre legere unter den Arm geklemmt, streute er hier und dort einige interessante Infos über die Schule ein, wobei schon bei diesen ersten Worten die aufrichtige Hingabe und Ernsthaftigkeit für seinen Beruf und – wie wir beim mittäglichen Kaffee im Garten seines Mentorats erfahren sollten — mehr noch für sein Leben deutlich spürbar wurden. Beruf und Leben, so wurde uns schnell klar, waren bei den internen Urspringlehrer_innen ein gemeinsamer Hut. Denn in den Mentoraten wohnten Schüler_innen in WG-ähnlichen Zuständen mit jeweils einer/m Mentor_in zusammen unter einem Dach. Auf die Frage, ob diese Rollenambiguität — einerseits Lehrperson, andererseits Vertrauensperson bei maximalem Einblick in den sonst diskreten Bereich — nicht konfliktträchtig sei, funkelten uns Martin Witzels Augen belustigt entgegen: „Ich bin einfach ich, und meine Schüler_innen wissen das ganz genau“, lautete seine souveräne Antwort. Das Lehrer_innen-Schüler_innen-Verhältnis ist auf Urspring ein sehr familiäres und, wie in jeder guten Familie, gehören Spannun- gen und Konflikte, sowie deren Lösungen eben zur Dynamik. Und von Dynamik war auf Urspring eine Menge zu spüren; vom bunten AG-Angebot, der Möglichkeit neben der Schule einen Gesellenbrief in den Bereichen Schneiderei, Schreinerei oder Feinmechanik erwerben zu können, den Wochenendtanzveranstal- tungen „Saustall“, bis zur pädagogisch-innovativen und neuen „KultUrspring“-Satz- ung, die kollegiumskooperativ zwischen Schulleitungsteam und Lehrpersonal im Mo- dus einer horizontalen Hierarchie verfasst wurde, um der Schule einen Anker in den wilden Gewässern der kursierenden reformpädagogischen Strömen zu bieten. Auch die Forderung und Umsetzung maximaler Transparenz in allen organisatorischen und dida- ktischen Prozessen rund um Schüler_innen und Kollegen_innen klangen in den Worten des Schulleiters Dr. Rainer Wetzler an. Der Schule eine intern effiziente Struktur zu ver- leihen, die Infrastruktur zugunsten der Schülerschaft zu sanieren und gleichzeitig mit Liebe zum (pädgogischen) Detail, auf die Feinheiten im oftmals knirschenden Schulbe- trieb zu achten, schien ihm wie auf dem Leib geschnitten zu sein. Auf die Frage, worin Dr. Wetzler unbegrenzte Ressourcen ivestieren würde, lautete die bescheidene Antwort, dass die Sanierung der Mentorate, der Ausbau des Kollegiums und Anschaffungen medialen Guts wohl im Fokus stünden. Schlussendlich lässt sich über Urspring und unseren Impulseindruck mehrerer Stunden sagen, dass dort ein dynamischer Prozess zwischen starken und präsenten Lehrpersön- lichkeiten und einer nicht minder charakterstark und eigenverantwortlichen Schüler- schaft herrscht, eingebettet im Klima einer gemeinschaftlich-familiären Respektatmo- sphäre bei einem zeitfüllenden Lehr-und Lernangebot motivierter Lehrer_innen. 1
2. Freie Aktive Schule Wülfrath D ie 2. Station unserer Reise führte uns nach NRW in die “Freie Aktive Schule Wül- frath”(FASW). Eine sehr junge Schule, auf die wir hauptsächlich wegen ihrer freien und schülerorientierten Lernmethoden und dem Lernen ohne Klassenverbände aufmerksam geworden sind. Angekommen an der Schule, die eine Grundschule und eine Gesamtschule beherbergt, wurden wir von Robert ß Freitag(Mitgründer und Geschäftsführer) und Anika Göttsche(Sozialpädagogin und Mitglied der Schulleitung) empfangen. Die ersten Ein- drücke waren ein freundlicher, offener Emp- fang und ein Gelände, das wie eine Mischung aus hippem Uni-Campus und Freizeitpark wirkte. Nach diesen Ein- drücken wurden wir von den beiden zum Kaf- fee eingeladen und wir durften in lockerer Atmosphäre Fragen stellen. Die Antworten waren offen, ehrlich, transpar- ent und deshalb sehr überzeugend. Das Schulkonzept wird von vielen Mitarbeitern ge- staltet, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen. Daraus entstand der Eindruck, dass hier eine hohe Identifikation und Motivation der Mitarbeiter herrscht. Das pädago- gische Konzept zielt auf Selbstverwirklichung, Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit. Diese Ziele werden verfolgt, durch die Einrichtung dieses Geländes, das in verschiedene Fachräume, praktische Lernorte und „Wohlfühlorte“ aufgeteilt wurde. Hier dürfen sich die SuS ohne Alterstrennung frei bewegen. Allein die Oberstufe, die sich aufs Abitur vorbereitet, darf ein Stockwerk für sich beanspruchen. Nach einer kleinen Tour durch die Schulgelände dürften auch wir völlig frei und ohne Begleitung hospitieren. Einzige Bedingung: die Schüler nicht in ihrem Lernprozess zu stören. Das fiel uns relativ ein- fach, da die SuS zum einen Hospitationen gewohnt waren und dazu konzentriert lernt- en. Sie befanden sich oft in den Lernräumen aber auch oft mit oder ohne ihren Mate- rialien draußen im Freien. Der Tag und seine Pausen wurden auch durch Essen in der Mensa strukturiert. In diesen Pausen kam es auch zu Gesprächen mit den SuS. Hier sprachen wir mit einem Schüler aus der 9. Klasse, der die Freiheiten, die Transparenz und die Lehrer-Schülerbeziehung lobte. Auf die Frage hin, was seine Schule von einer „normalen“ unterscheidet, meinte er sehr reflektiert, dass er das leider nicht beant- worten kann, weil er nie eine andere Schule besucht hätte, aber sehr interessiert wäre wie der Schulalltag da aussehe. Im Gespräch mit der Schulleitung hatten wir erfahren, dass dieses freie selbstorientierte Lernen im Idealfall früh gelernt werden sollte, da sich die Kinder die selbstverantwortliche Komponente des freien Lernens ganz von allein aneignen. 2
Deswegen gibt es auch die Grundschule, die sie auf dieses Konzept vorbereitet. Es sei nicht unmöglich später quer einzusteigen, aber doch deutlich schwieriger, erklärt uns Guido Jochheim, der als langjähriges Mitglied der Schule und Lehrer an der Grundschule ist. Er ist sehr überzeugt von ihrem Konzept und erklärt uns, dass jedes Kind einen „Entdecker- funken“ besitzt, den man hier als Lernbegleiter am Brennen halten muss. Hier wird Hilfe nur zur Selbsthilfe betrieben und nur auf Anfrage der Kinder und SuS. Weiterhin erklärt er auch, dass Kind- er ganz automa- tisch le- rnen, zum Beispiel beim Spiel- en. Er zeigt uns, mit welcher Intensität und Konz- entration K i n d e r spielen und dabei ihre U mw e l t entdecken aber auch s o z i a l e Kompeten- zen ausbilden. Es scheint völlig plausibel, dass die Kinder hier an der Grundschule keine konventionellen Klassenzimmer mit Stuhlreihen haben, sondern „natürlich“ Le- rnen; durch ihre Umwelt; also auch durch Menschen, zu denen ihre Mitschüler_innen wie auch die Erwachsenen zählen. Natürlich gibt es auch überall praktische und theore- tische Lernmaterialien, mit denen sich die Kinder trotz oder gerade weil hauseigenem Kletterturm beschäftigen. Alles in allem, kann man nur für all die transparenten, echten, offenen Eindrücke die uns die „Freie Aktive Schule Wülfrath“ geschenkt hat, danke sagen. Speziell an alle Mi- tarbeiter dieser Schule, die für dieses Konzept brennen, das die Schüler_innen an den Anfang und den Ursprung ihrer Überlegungen und Anstrengungen stellt und sich als allwissende Lehrmeister zurückstellen, um den Entdeckerfunken jedes Kindes zu hüten und am Brennen zu halten. Und den Schüler_innen, die mit den geschenkten Freiheiten und Fähigkeiten ganz natürlich und verantwortungsbewusst umgehen und lernen. 3
3. Waldorfschule Überlingen Lebensgesundheit oder das Geheimnis Rudolf Steiners E ine weitere Station auf unserer Lernreise führte uns zur genossenschaftlichen Freien Waldorfschule Überlingen. Morgenmüde und doch ein wenig verzaubert von der Fahrt entlang des Bodensees zum Schulcampus, trotteten wir zunächst in Richtung der Schule und fanden uns vor einem recht imposanten Gebäude- komplex wieder. Verwinkelte Dachriste, große Fenster und großzügige Holzvertäfelun- gen gaben dem Schulgebäude — das zunächst aus Ost- und Westbau bestand und dann im Zuge eines politischen Zeichens in den 70ern zusammengefügt worden war — einen altherrschaftlichen Touch, der sich aber beim Eintreten in die große Schulaula sofort revidierte. Helles Licht in der Aula, gelb-rot-orangene Wandfarben, Nadelholzvertäfe- lungen an den Wänden sorgten für eine spritzige und angenehme Atmosphäre bei uns Besuchern. Kaum dort angekommen, wurden wir auch schon von einem Lehrerteam empfan- gen, die später auch für die Reflexion der Hospitationen bereitwillig und offen Fragen beantworten würden. Ohne viel Federlesen wurden wir in verschiedene Klas- sen eingeteilt, um einen normalen Schulfreitag er- leben zu können und die Schüler_innen bei ihrer Le- rntätigkeit erleben zu kön- nen. Die Deutschepoche, mit einer extrem kompa- kten Klassengröße von 40 SuS, wurde in bester Fron- talunterrichtsmanier abge- halten. Bei dieser Klassen- größe und angesichts eines Freitagmorgens bzw. der aufkeimenden Wochenend- stimmung verhielten sich die Schüler_innen der 9. Klasse relativ ruhig. Ein wenig überraschend und von uns später auch kontrovers diskutiert wurde die Lehrmethode Frontalunterricht, hatten wir uns doch auf ein wenig mehr anthroposophischen Weichmuts und weniger Nürnberger Althergebrachtheit eingestellt. Nichtsdestoweniger war es beeindruckend zu sehen, wie sich die Schüler_innen in der Deutschepoche präzise über Satire und dessen textliche Verarbeitung austauschten und ganz im Sinne eigenständigen Denkens kritische Kom- mentare und szenische Umsetzungen zum Unterrichtsstoff ablieferten. Das erste Resü- mee nach der Doppestunde Deutsch: zu den Schlüsselkompetenzen der Schülerschaft gehörte eine eindeutige Präsentationsbereitschaft und - freude — übrigens durch alle Klassen durchgehend. Von schamgebeugter Pubertät in der 9. keine Spur zu sehen. Diese Präsentationsdynamik und Körperwohlfühlpolicy führten wir mitunter auf den Eurythmieunterricht zurück, der SuS mit der eigenen Köperlichkeit bzw. deren Proz- esshaftigkeit konfrontiert. Im weiteren Verlauf der Hospitation durften wir dem Eu- rythmieunterricht beiwohnen, in dem SuS zu „Mendelssohns Trauermarsch“ eine Cho- reografie Steiners einübten und dabei den Unterschied zwischen melodischer Rhythmik und Taktung des Stückes mit ihren Körpern nachahmten. 4
Körperempfindung und -wahrnehmungsfähigkeit standen hier als zentrale Skills im Mit- telpunkt der Kompetenzausbildung – und Förderung, freilich ohne dies direkt artiku- lieren zu wollen. In der konkludierenden Aussage einer Lehrkraft, dass die Schule den SuS eine „Lebensgesundheit“ als zentrales Erziehungsgut mit an die Hand geben wolle, ohne dabei dogmatische Lehrsätze zu formulieren, fanden sich unsere Beobachtungen bestätigt. Das Geheimnis der Umsetzung der Steinerschen Anthroposophie in dieser Waldorfschule lag wohl an der strukturierten und verlässlichen Unaufgeregtheit und Geerdetheit. Diese „Lebensgesundheit“ bestünde eben konkret in der Ausbildung ver- schiedener theoretischer und praktischer Skills — Eurythmie, Kunsthandwerk, Rech- en- und Sprachfähigkeiten —, mindestens genauso sehr aber in einem Wohlgefühl des eigenen Körpers und einer sozialen Ader für das Umfeld. Und dazu wurden die SuS nicht mit Zitaten, Lehrsprüchen oder pädagogischen Credos zugepflastert, wie man es bei einer so präsenten Philosophie Steiners vielleicht zu- nächst vermuten würde. Im Gegenteil hielten die Lehrer_innen sich mit der Auskunft bzw. Begründung ihrer Lehrmetho- den durch den Steinerschen Korpus sehr zurück. Das Motto: Wer sich für Steiner interessiert, solle doch einfach selbst zum Buch greifen und sich ein eigenes Bild verschaf- fen; Erziehung zur Selbstverant- wortlichkeit und -bildung. Vom Handwerksunterricht zu den herkömmlichen Fächern – freilich in Epochen unterteilt — über die Patenschaft der Älteren für die Jün- geren, zu einer sehr engagierten und aktiven Elternschaft und mo- tivierten SuS, präsentierte sich die Waldorfschule Überlingen als geer- dete und kompetente Bildungsein- richtung, die ihre SuS sehr gut auf das Leben außerhalb der Schulblase vorbereitet, um mündige junge Menschen in die eigene Lebensverantwortung entlassen zu können. Dieses Bild speiste sich aus den überlegt und ruhig geäußerten Statements der Leh- rer_innen, ebenso wie den Befragungen der SuS der Mittel- und Oberstufe — natürlich unter der Prämisse, dass wir nur einige Stunden dort verbrachten und es sich um Im- pulseindrücke handelte. Die wenigen Punkte, die wir in einer Reflexion noch diskutierten, beliefen sich auf die Heterogenität der SuS, die fakultative Geschlechtertrennung im Fachunterricht einer 6. Klasse, die kommunikative Intransparenz der Steinerschen Pädagogik und die Frage nach der Aktualität einer so präsenten Schulphilosophie in der heutigen Gesellschaft, mit den konkreten Fragestellungen, welche pädagogische Anschlussfähigkeit so starke Konzepte wie z.B. das Steiners, für die aktuelle Debatte der Unterrichts- und Metho- denentwicklung bieten und wie innovationsaffin eine Schule/ ein Schulkonzept/ eine Lehrerschaft für aktuelle reformpädagogische Strömungen und Erkenntnisse eigentlich sein muss, um das Wohl und die Bildung der Schülerschaft garantieren zu können. An dieser Stelle sei nochmal den Lehrerin_innen gedankt, die Zeit und Mühen auf sich genommen haben, Hospitationen und die Reflexionsrunde für uns Lernreisende zu er- möglichen und natürlich den Schüler_innen, die zuvorkommend für Informationen und Gespräche rund um diese besondere Schule, mit all ihren Aspekten, gesorgt haben. 5
4. Gemeinschaftsschule in Wutöschingen D ie Gemeinschaftsschule in Wutöschingen ist unsere vierte Station. Die kleine Gemeinde am südöstlichen Rand des Schwarzwalds lässt auf den ersten Blick nicht vermuten, dass sich hier einer der fortschrittlichsten Schulen Deutschlands befindet. Um sich auf die ändernden Anforderungen von Schule und Wirtschaft anzupassen, wurde hier von tradierten Schul- und Lernstrukturen Abschied genommen, um Platz für neue Lernformen zu schaffen. Diese sind das Lernen ohne Klassenverbund, am eigenen Arbeitsplatz und das Lernen mit dem Ipad und eigener Onlinelernplattform „DiLer“. An der Schule angekommen wurden wir freundlich begrüßt und eine Präsentation klärte uns über das Lernen 3.0 und die Besonderheiten der Schule auf. Darunter wurde das eigens entwickelte Kompetenzraster erklärt, das für Schüler_innen transparent macht, welche Kompetenzen man schon erworben hat und welche man noch erwerben kann. Beim Hos- pitieren wird erneut klar, wie junge Menschen verantwortungsbewusst lernen können und sich an Regeln und Anforderungen halten, wenn sie nur die Relevanz und den Sinn eben jener nachvollziehen können. Beim weiteren Hospitieren durch die Gebäude sehen wir: Lernen im Sitzen, Stehen und Liegen; Jung mit Alt; Zusammen oder allein. Das Raum- konzept der Schule bietet für jeden etwas: Hörsäle, kleine und große Gruppenräume, Stehtische, Vorhänge, stille Räume und einen Marktplatz, an dem man sich austauschen kann. Zum zusät- zlichen Austaus- ch stehen Clubs am Nachmittag zu Verfügung in denen die Lern- partner und Le- rn p a r t n e r i nne n zusammen an Schwächen und Stärken arbeiten und Projekte re- alisieren können. Die Beziehung von Lernpartnern und Lernbegleit- ern hat uns eben- so positiv überra- scht. Es kommt nicht selten vor, dass sich eben jene im Gang begegnen und sich respektvoll die Hände schütteln. Noch dazu, erklärt uns eine Lernbegleiterin, habe sich auch die Beziehungsarbeit stark ver- bessert seit der Umstellung auf Lernen 3.0. Dadurch dass jetzt jeder individuell lernt, kämen die Lernpartner_innen mit spezifischen Fragen oder Problemen direkt zur Lern- begleiter_in und dadurch habe man auch mehr Zeit sich auszutauschen. Die Alemannenschule in Wutöschingen ist für uns ein eindrückliches Beispiel, was aus einer mit staatl. Mitteln finanzierten Schule werden kann, wenn man die Unterstützung seines Umfelds durch engagierte Überzeugungsarbeit des ganzen Kollegiums erkämpft. Vielen Dank für diese transparenten Eindrücke. 6
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5. St. Dominikus Mädchengymnasium in Karlsruhe I n der Innenstadt Karlsruhes befindet sich das St.Dominikus Mädchen-Gymnasium: katholische Privatschule mit monoedukativem Konzept. Konkret wird dies so real- isiert, dass die Schülerinnen in kompakten Klassengrößen geschlechterhomogen unterrichtet werden. Die Eindrücke der Lernreise bisher crashen ein wenig mit dem Angebot dieser besonderen Schule. Lag der Fokus bisher auf innovativen Konzepten und Methoden, ereilt uns Besucher hier schnell der Eindruck einer althergebrachten Bildungsinstitution, deren Fokus auf Strebsa- mkeit, Ehrgeiz und der Ausbildung sozialer Kompetenzen durch externe Praktika liegt. Man könnte an dieser Stelle einwenden, dass die ausgelagerte Praktikumsstruktur obliga- torisch ist, da soziale Kompetenzen gerade im Schulunterricht nicht auf der Tagesord- nung steht; zumindest was die Konfrontation im Schulunterricht angeht. Die ganzen Spe- renzchen, das vorsichtige Herantasten an den Umgang mit dem anderen Geschlecht, die Ausbildung der eigenen Rolle im Geschlech- terdiskurs wird durch das monoedukative Konzept unterbunden. Die Formel ist kurz, das Erfolgsgeheimnis trivial: mehr Leistung durch weniger Ablenkung. Die Schülerinnen absolvieren von der 5. bis zur 12. Klasse das altbekannte Schulmodell, wobei die Meth- oden und Lernziele des Bildungsplans ohne Wenn und Aber umgesetzt werden — man hat das auf der Lernreise auch ganz anders erlebt. Methodeninnovation, Reflexion der Lehrer_innenrolle bzw. potentielle Korrekturschleifen für eine dynamischere Lehr-Lern- landschaft lassen sich bei diesem kurzen Besuch nicht unbedingt erkennen. Der Kon- trast zu den bisherigen Erfahrungen wird auch im Gespräch mit der Schulleiterin klar, deren klares Anliegen es ist, dass die Schülerinnen zu „starken Frauen“ zu machen und sie notentechnisch so affin wie möglich zu machen; für das Leben nach der Schule. Und sicherlich auch gebührend auszustatten, mit einem starken Selbstverständnis, was es heißt, eine Frau in dieser unseren Gesellschaft zu sein. Im Gespräch mit der Schul- leiterin wird klar, dass dieser Punkt einer der wichtigsten Pfosten der Ausbildung am St. Dominikus ist; mündige Frauen in die große (böse und männerdominierte) Welt zu entlassen. Unter anderem, erleben wir einen sehr disziplinierten Frontalunterricht in der 12. Klasse Musik, der an Strukturiertheit, Classroommanagement und Wissenser- werb nur so schillert und funkelt. Der Ort für Spielereien ist hier nicht: die Schülerin- nen sind hochmotiviert und arbeiten in völliger Harmonie mit der Lehrkraft, wobei das Leistungsniveau in diesem Profilkurs in atemraubenden Höhen schwebt. Verunsichert wechseln mein Hospitationskollege und ich Blicke; hätten wir in unserer eigenen Schul- zeit einen so leistungsstarken Kurs bei allen jugendlichen Sperenzien meistern kön- nen? Klar ist: die Schülerinnen profitieren einerseits notentechnisch von dem strikten Programm. Andererseits haben sie die Möglichkeit mit einer selbstbewussten Haltung als „starke Frauen“ die zu Schule zu verlassen, um ihren Lebensweg anhand der Ori- entierung (christlicher) Werte souverän zu beschreiten.Inwiefern das monoedukative Konzept letztlich Schlüsselkompetenzen im sozialen Umgang „mit dem anderen Ges- chlecht“ fördert, das strikte Schulcurriculum Raum für Kreativität (SOL Impressionen) lässt und die Relevanz der Notenaffinität außerhalb der Wirtschaftslobby niedrig oder hoch ist, wird von uns kontrovers diskutiert. 8
6. Dalton Gymnasium in Alsdorf U nsere Letzte Schule, die wir besuchen, befindet sich nahe der niederländischen Grenze in Alsdorf. Es ist der deutsche Schulpreisgewinner von 2013, das Dalton Gymnasium Alsdorf. Im Vorfeld interessiert uns hier vor allem, wie die Dalton Pädagogik umgesetzt wird. Schon bei der Ankunft an der Schule merken wir, dass die Schule wohl sehr oft von Inter- essierten besucht wird. (500-1000 Personen pro Jahr) Wir werden in einen Konferenz- raum geführt, in dem der Schulleiter schon mit drei anderen Besuchergruppen freudig auf uns wartet. In einer sozial-integrativen Präsentation stellt der charismatische und sehr selbstbewusste Schulleiter Wilfried Bock seine Schule vor. Im Mittelpunkt steht die Dalton Pädagogik, die Schüler und Schüler- innen zu ihrem eigen- ständigen Lernprozess führt. Bock erklärt, dass die Schule 2003 an einem Tiefpunkt gewesen wäre. Kon- ventionelle Lehrmeth- oden wie z.B. Fronta- lunterricht waren nicht mehr ausreichend um das Lernpotential einer heterogenen Schüler- landschaft zu entfalten. Das Dalton Konzept musste her und räum- te Zeit und Raum für freies selbständiges Arbeiten ein. Konkret: die SuS haben 3 Stun- den pro Tag, in denen sie eigenständig Themen bearbeiten, bei denen sie noch Probleme haben. Um die Be- wertung von Schülerleistung fairer zu machen und auf Stärken individuell einzugehen werden auch Tests schriftlich und mündlich und früher und später angeboten. Nach der Präsentation hospitierten wir ganz frei in einer der oben erwähnten Dalton Stunden. Die Schüler_innen arbeiteten in verschiedenen Fachräumen oder auf den Gän- gen. Wichtig hier ist auch, dass sich alle Lernende ihre Fachräume und somit auch ihr Lernbegleiter_innen im ganzen Schulhaus frei aussuchen können. Dies hat den Vorteil, dass sich die SuS weniger von den LuL stigmatisiert fühlen und von anderen Lehrer- persönlichkeiten profitieren können. Nach dieser eher kurzen Hospitation findet sich der Besucherkreis wieder im Konferenzraum zusammen. Viele Schulen, die wir besucht hatten, hatten uns um Feedback gebeten, in Alsdorf glich die Reflexion eher einem Werbegespräch. Vor allem die anderen Besuchergruppen, die die Schule besuchten um die Konzepte in ihrer eigenen Schule umzusetzen, waren nicht interessiert über Schulentwicklung und Aspekte einer guten Schule zu diskutieren. Was ja auch nicht schlimm war, bloß unterschieden sich hier unsere Interessen. 9
Der Schulleiter Bock versicherte uns auch, dass in seiner Vorstellung, Schule ein Pro- dukt sei, das sie verkaufen wollen. Seine Schule müsse nicht für jeden Le- rnenden funktion- ieren. Niemand müsse auf seine Schule gehen. Das waren dann doch Aussagen, denen wir kritisch begeg- neten, da man als staatliche Schule einen gesellschaft- lichen Bildung- sauftrag für alle Schüler_innen hat. Am Ende überze- ugt uns die Schule als Lernort, an dem Schüler_innen die Möglichkeit haben innovativ, individu- ell und mit kompetenter Lernbegleitung zu lernen. Wir bedanken uns auch bei der Schule und all ihren Mitgestaltern für eine offene und authentische Präsentation, die uns weitergeholfen hat neue Lernlandschaften zu ergründen. 10
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