Keine Agrarwende ohne Finanzwende - Über die Folgen des wachsenden Einflusses von BlackRock & Co. auf die Agrarkonzerne und die Landwirtschaft von ...

 
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Der kritische Agrarbericht 2021

Keine Agrarwende ohne Finanzwende
Über die Folgen des wachsenden Einflusses von BlackRock & Co.
auf die Agrarkonzerne und die Landwirtschaft

von Eva Gelinsky

                       Im Zuge der Globalisierung hat sich die Bedeutung und Funktion der Finanzmärkte verändert. Die-
                       se Entwicklungen beeinflussen in einem wachsenden Maße auch den Saatgut- und Pestizidmarkt.
                       Unternehmen wie Bayer müssen und wollen nun nicht mehr nur auf den Gütermärkten (konventio-
                       nelles und gentechnisch verändertes Saatgut, Pestizide) erfolgreich Gewinn erwirtschaften, sondern
                       auch auf dem sehr flexiblen Kapitalmarkt wettbewerbsfähig sein. Große institutionelle Anleger hal-
                       ten inzwischen umfangreiche Aktienanteile der Konzerne und beeinflussen deren corporate gover-
                       nance (Unternehmensführung). Auf diese Weise bestimmt das Finanzkapital inzwischen nicht nur
                       sehr wesentlich mit, wie die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen gestaltet sind und welche
                       Produkte Bäuerinnen und Bauern angeboten werden. Einfluss nimmt es auch darauf, wie die Land-
                       wirtschaft der Zukunft aussehen wird. Attraktiv für Finanzinvestoren ist in diesem Zusammenhang
                       nicht zuletzt die Durchsetzung und Verbreitung neuer Technologien (z. B. die neue Gentechnik) und
                       der weitere Ausbau von Eigentumsrechten an Saatgut durch noch mehr Patente. Der kritische Agrar­
                       diskurs sollte sich daher auch mit den Entwicklungen auf den Finanzmärkten auseinandersetzen.

Dass sich das »Finanzkapital«1 für den Agrarbereich             in den Unternehmen, die Bäuerinnen und Bauern so-
interessiert, ist nicht neu. Bankkredite oder auch Wa-          wie die Konsument*innen? Bevor diese Fragen disku-
rentermingeschäfte (commodity futures) mit Agrar-               tiert werden, wird kurz skizziert, welche Entwicklun-
produkten gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts. In           gen in den letzten Jahren dazu beigetragen haben, dass
den letzten Jahren haben die Spekulationen mit Agrar­           der Einfluss des Finanzkapitals global weiter zunimmt.
rohstoffen deutlich zugenommen, da Vorschriften, die
Geschäfte dieser Art eingeschränkt hatten, von der              Wachsende Bedeutung des Finanzkapitals …
Politik gelockert wurden. Spekulative Warentermin-
geschäfte haben entscheidend zur globalen Nahrungs-             Die Finanzmärkte wurden in den letzten Jahrzehnten,
mittelpreiskrise2 beigetragen. Seit der Finanzkrise             ausgehend von den USA, nach neoliberalen4 Vorstel-
2007/08 wächst auch das Interesse von Pensions- und             lungen dereguliert: Spekulationsgeschäfte sind ver-
Investmentfonds, im Agrarsektor aktiv zu werden.                einfacht, Kapitalverkehrskontrollen abgeschafft und
Der Aufkauf von Agrarland (»Landgrabbing«) führt                damit ein freier internationaler Kapitalverkehr er-
auch in Europa und Deutschland zum Ausverkauf der               möglicht worden. Begleitet wurden diese Entwicklun-
Ressource Boden an Konzerne und Investoren.                     gen von einem neoliberalen Umbau, der inzwischen
   Seit einigen Jahren sind große Vermögensverwalter3           viele Bereiche der Wirtschaft und der Gesellschaft
mit ihren Fonds zu wichtigen Anteilseignern der gro-            grundlegend verändert hat. Ein Beispiel hierfür ist die
ßen Agrobusinessunternehmen geworden. Wie beein-                Einführung kapitalgedeckter Altersvorsorgesysteme.
flussen diese Finanzdienstleister die Geschäftspolitik          Das Resultat: Die Verteilungsverhältnisse in den füh-
der Unternehmen und den Markt? Mit welchen Pro-                 renden kapitalistischen Ländern haben sich erheblich
dukten für den Agrarbereich ist zu rechnen? Wie wir-            zugunsten des Kapitals und der Bezieher*innen hö-
ken sich diese Entwicklungen auf die Landwirtschaft             herer Einkommen verschoben; die Reichen sind also
insgesamt aus? Und schließlich: Welche Auswirkun-               noch reicher geworden.5 Ein großer Teil dieses Geldes
gen haben diese Entwicklungen auf die Arbeiter*innen            wurde in den Finanzmärkten investiert, die seit ihrer

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weitgehenden Deregulierung mit immer neuen Arten          Konsequenz, dass alle Maßnahmen, zum Beispiel In-
von spekulativen Papieren (den sog. Derivaten) sehr       vestitionsentscheidungen oder die Steuerung von Ge-
erfolgreich um Anleger*innen werben. Damit wächst         schäftsbereichen, in einem Unternehmen dahingehend
der Umfang des Finanzvermögens beständig weiter.          überprüft werden, ob sie zu einer Steigerung des von
Und für dieses wachsende Finanzvermögen wird per-         den Anteilseignern eingesetzten Kapitals beitragen.
manent nach möglichst profitablen Anlagemöglich-             Bei Bayer zeigt sich diese Orientierung z. B. in der
keiten gesucht, was die Spekulation weiter antreibt.      Ernennung von Werner Wenning als Aufsichtsrats-
Weder verschiedene Finanz- und Wirtschaftskrisen          chef. Mit ihm gelangt 2002 zum ersten Mal ein Fi-
noch die aktuelle, durch die Covid-19-Pandemie noch       nanzexperte an die Spitze des Unternehmens. Als
verschärfte Krise, haben zu grundlegenden Änderun-        ausgewiesener Finanzfachmann besitze Wenning
gen dieser Entwicklungen geführt.                         eine hohe Akzeptanz auf den internationalen Kapi-
                                                          talmärkten, heißt es bei Bayer. Als Vorstandsvorsit-
… und das Beispiel Bayer                                  zender besteht eine seiner ersten Amtshandlungen
                                                          darin, aus dem Unternehmen eine Holding zu ma-
Akteure des Finanzkapitals, die in großem Umfang          chen, um »Werttreiber« und »Wertvernichter«, also
Schuldpapiere (Anleihen) und Eigentumstitel (Ak-          profitable und weniger profitable Geschäftsbereiche,
tien) kaufen und damit gewinnträchtig handeln, ha-        noch leichter identifizieren zu können.7 Immer gilt die
ben Einfluss auf die produzierenden Unternehmen.          zentrale Frage: Welche Rendite ergibt jeder einzelne
Institutionelle Anleger6 halten seit einigen Jahren       Geschäftsbereich für die Anteilseigner*innen und
große Anteile am Aktienkapital und können auf die-        Eigentümer*innen und wie steht diese im Vergleich
se Weise Strategien und Investitionsentscheidungen        zu den anderen Anlagesphären da? Ein Ausgleich der
der Unternehmen mit beeinflussen. Ihr Ziel besteht        Renditen verschiedener Unternehmensbereiche –
darin, eine möglichst hohe Rendite zu erzielen. Dazu      z. B. Pharma stützt Agrar – ist nicht mehr vorgesehen.
müssen die Unternehmen, in die sie ihr Kapital in-        Unter Wenning wird Bayer durch Dutzende Zu- und
vestiert haben, ihren Aktienwert steigern. Gleichzeitig   Verkäufe radikal umgebaut. Teile der Chemie- und
ist für die Unternehmen eine attraktive Position auf      Kunststoffsparte werden abgestoßen, um sich wei-
dem Kapitalmarkt wichtiger geworden, weil sie ihre        ter auf die deutlich rentableren Bereiche Gesundheit
Geschäfte zunehmend durch die Ausgabe von Aktien          und Ernährung konzentrieren zu können. Der Kauf
und Anleihen finanzieren. Zum ohnehin vorhande-           von Monsanto wird von Wenning in diesem Zusam-
nen Zwang, in der Konkurrenz erfolgreich und pro-         menhang als folgerichtiger Schritt präsentiert. Die
fitabel Geschäfte zu tätigen, sind die Unternehmen        Übernahme soll Bayer unabhängiger von der erfolg-
daher mit weiteren Ansprüchen konfrontiert, die sie       reichen, aber für Rückschläge anfälligen Pharmasparte
zu bedienen haben. Einerseits durch den Schulden-         machen, das Agrargeschäft wird mit dem Deal zum
dienst: für das geliehene Geld müssen Zinsen gezahlt      gleichwertigen Bestandteil des Konzerns ausgebaut.8
werden. Andererseits über die Aktien: Aktionär*innen         Auch Fusionen gelten als äußerst probates Mittel,
erwerben mit dem Kauf einer Aktie einen Anspruch          um den Aktienwert zu steigern. Dazu müssen Un-
auf einen Teil des ausgeschütteten Gewinns (Dividen-      ternehmen zunächst am Kapitalmarkt Geld aufneh-
den). Auch ein Unternehmen wie Bayer muss und will        men. Dies war in den letzten Jahren, aufgrund sehr
daher nicht mehr nur auf den Gütermärkten (Saat-          niedriger Zinssätze weltweit, auch besonders einfach
gut, Pestizide) erfolgreich Gewinne erwirtschaften;       und günstig. Ihren Aktienkurs steigern sie, weil sie
es muss inzwischen vor allem auf dem sehr flexiblen       als Unternehmen wachsen und Zugang zu neuen
Kapitalmarkt wettbewerbsfähig sein, den Unterneh-         Märkten, neuen Technologien und Patenten erhalten.
menswert, also den Aktienkurs, erhöhen (»pflegen«)        Allerdings zeigt gerade das Beispiel Bayer, dass eine
sowie Dividenden ausschütten und sich den Zugang          Übernahme den Aktienkurs auch belasten kann. Um
zu zinsgünstigen Anleihen sichern. Das gute Rating,       die durch die Glyphosatprozesse in den USA ausgelös-
das die Kreditwürdigkeit des Unternehmens auf den         ten Aktienkursverluste auszugleichen, gibt Bayer 2018
Anleihemärkten anzeigt, ist daher zu einem zentralen      einschneidende Rationalisierungsmassennahmen be-
Unternehmensziel geworden.                                kannt.9 So sollen bis 2021 vor allem im Pharmabereich
   Zu wichtigen Anteilseignern des Agrobusiness ha-       12.000 Stellen gestrichen werden, weitere 1.000 Stellen
ben sich die großen US-amerikanischen Vermögens-          sollen in anderen Unternehmensbereichen abgebaut
verwalter entwickelt: Vor der letzten Fusionswelle,       werden. Da die Covid-19-Pandemie die Geschäfte im
also 2015/16, war BlackRock nicht nur größter Investor    Agrarbereich belasten – auch der Aktienwert sinkt
bei Bayer und BASF, sondern auch Großinvestor bei         weiter – gibt Bayer im Oktober 2020 zusätzliche ope-
Monsanto, Syngenta, DuPont und Dow. Eine Orien-           rative Einsparungen in Höhe von mehr als 1,5 Milliar-
tierung an den Interessen der Anteilseigner hat zur       den Euro pro Jahr ab 2024 bekannt. Dazu prüft Bayer

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 auch die Möglichkeit, sich von weiteren »nicht-strate-    Besondere ist, dass diese Aktien und Schuldscheine
 gischen Geschäften oder Marken unterhalb der Divi­        (Anleihen), also die Wertpapiere, an den Finanzmärk-
 sionsebene« zu trennen. Der Konzern hat bereits ei-       ten nun Mittel für ein zweites Geschäft werden. Die
 nige Marken in der Sparte Consumer Health verkauft        Wertpapiere, die nichts anderes sind als Eigentumsti-
 und sich 2020 vom Tiermedizingeschäft getrennt.10         tel über das verliehene (und meist bereits ausgegebe-
    Die erfolgreiche Durchsetzung des shareholder          ne/verbrauchte) Geld, werden auf den Finanzmärkten
­value (Maximierung der Eigentümerrendite) spiegelt        behandelt wie tatsächlich vorhandenes Geld bzw. Ka-
 sich auch in steigenden Ausschüttungen der Unter-         pital. Es findet also eine Verdoppelung statt. Genau
 nehmen an die Anleger*innen wider. Die geänderte          genommen haben diese Papiere aber keinen Wert,
 Eigentümerstruktur hat damit auch zu einer Um-            sondern es sind lediglich Ansprüche auf Werte (Zins
 verteilung von Profiten zugunsten des Finanzsektors       und Dividende). Diese Ertragsversprechen behandeln
 beigetragen, wobei in wachsendem Maße die instituti-      die Aktien-/Anleihebesitzer*innen aber als eine Eigen-
 onellen Investoren profitieren. Bei Bayer sind die ent-   schaft ihrer Vermögenstitel, also als fiktives Kapital.
 sprechenden Zahlen eindrücklich: Die Ausschüttung         Sie kaufen und verkaufen die Aktien/Wertpapiere auf
 (Dividenden) an die Aktionär*innen hat sich seit 2005     den Finanzmärkten und handeln mit Ansprüchen auf
 vervierfacht von rund 0,692 Milliarden Euro im Jahr       Zinsen/Dividenden, als wären diese schon erfolgreich
 2005 auf 2,75 Milliarden Euro im Jahr 2019. Weder         erwirtschaftet. Dass den Ansprüchen jedoch kein vom
 schlechte Unternehmenszahlen noch Finanzkrisen            wirklichen Kapital losgelöstes, unabhängiges Kapital
 oder die wachsende Verschuldung (die Verschuldung         zugrunde liegt, zeigt sich dann, wenn ein Unterneh-
 ist in den letzten 20 Jahren von rund 20 Milliarden auf   men pleite geht: Im Fall eines Bankrotts ist nicht nur
 80 Milliarden Euro gestiegen) haben in der Bedienung      das investierte wirkliche Kapital vernichtet, sondern
 des Finanzkapitals Spuren hinterlassen.                   auch das fiktive Kapital.
                                                              Ob die Eigentumstitel tatsächlich werthaltig sind,
Aus Geld mehr Geld machen: fiktives Kapital                hängt vom Erfolg der damit finanzierten (realen) Ge-
                                                           schäfte ab. Der zukünftige Gewinn ist also nie sicher,
Schon lange besteht der kapitalistisch organisierte        er ist eine Erwartungsgröße. Solange nun alle darauf
Markt für Agrarprodukte nicht mehr nur aus Un-             vertrauen (die Psychologie spielt an den Finanzmärk-
ternehmen, die Waren wie Saatgut produzieren, und          ten eine wichtige Rolle), dass die zukünftigen Erträ-
Produzent*innen (Bäuerinnen und Bauern), die diese         ge auch tatsächlich erwirtschaftet werden, führt der
kaufen, um wiederum neue Waren herzustellen, die           gegenseitige Kauf und Verkauf, die Spekulation mit
ver- und gekauft werden sollen. Seit über 100 Jah-         diesen Vermögenstiteln, zu beträchtlichen realen Ein-
ren gibt es Aktionär*innen, die als Teilhaber*innen        kommen. Die Geschäfte auf den Finanzmärkten sind
der Unternehmen am Geschäft mitverdienen wol-              also nur dann gewinnbringend, wenn die Ansprüche
len, und Banken, die den Unternehmen (und/oder             auf Zins und Dividende auch von den Unternehmen
Produzent*innen) Kredite vergeben und ein Zinsein-         bedient werden. Daraus resultiert der wachsende
kommen erwarten. Vor allem in den letzten Jahrzehn-        Druck auf die Unternehmen, daher müssen sie, zu-
ten sind im Zuge des neoliberalen Umbaus jedoch            sätzlich zum ohnehin vorhandenen Konkurrenzdruck,
neue Akteure entstanden, die in großem Umfang              auf ein weiteres Größenwachstum und auf Fusionen
Geschäfte mit Wertpapieren machen, also mit den            setzen, Ra­tionalisierungen und Reorganisationen der
Aktien und Schuldscheinen, die die Unternehmen             Arbeitsverhältnisse zulasten der Arbeiter*innen vor-
ausgeben. Dies schafft weitere Ansprüche auf Geld-         nehmen und Produkte entwickeln, die sich teuer und
überschüsse, die von den Unternehmen erwirtschaftet        auf möglichst großen Märkten verkaufen lassen. Eine
und realisiert werden müssen. Der Wachstumsdruck,          zunehmend wichtige Rolle spielen in diesem Zusam-
unter dem Unternehmen auf einem kapitalistisch or-         menhang auch (wieder) Enteignungs- und Inwert­
ganisierten Markt ohnehin stehen, steigt durch diese       setzungsprozesse in bislang noch nicht (oder erst teil-
Ansprüche weiter. Doch wie und warum entsteht die-         weise) kapitalistisch organisierten Bereichen.11
ser Druck? Und welche Konsequenzen hat er für die
Unternehmen, die Arbeiter*innen und die Produkte,          Folgen: mehr Agroindustrie, (neue) Gentechnik
die hergestellt werden?                                    und Patente
   Unternehmen produzieren im Kapitalismus, um
Gewinne zu machen. Sie leihen sich Geld, um Arbeits-       Es ist davon auszugehen, dass die skizzierten Struk-
kräfte, Maschinen und Vorprodukte einzukaufen, um          turen dazu beitragen werden, dass die Agrarkonzerne
zu produzieren, zu rationalisieren und zu expandie-        mit den entsprechenden Produkten das industriali-
ren. Sie nehmen Kredite bei Banken auf oder geben          sierte Agrarmodell nicht nur weiter festigen, sondern
auf den Kapitalmärkten Aktien und Anleihen aus. Das        noch ausbauen werden. Sie müssen dies tun, weil sich

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Gentechnik

nur im Rahmen eines großstrukturierten, input- und        wird also derzeit an Eigenschaften gearbeitet, für die es
technologieintensiven Modells, das darüber hinaus         eine zahlungskräftige Nachfrage gibt: Neben der Her-
die Nutzung geistiger Eigentumsrechte zulässt und         bizidresistenz stehen »gesündere« Lebensmittel für
befördert, die erforderlichen Gewinne realisieren las-    Verbraucher*innen in den reichen Industrienationen
sen. Erforderlich meint: einerseits gegenüber der Kon-    im Fokus.
kurrenz, die sie zwingend durch mehr Marktanteile,           Des Weiteren werden die Unternehmen versuchen,
Patente etc. überbieten müssen, und andererseits ge-      bereits erfolgreich praktizierte Inwertsetzungsprozes-
genüber den Anteilseigner*innen, die einen möglichst      se wie die Patentierung genetischer Ressourcen auszu-
steigenden Anteil der Gewinne erwarten. Was bedeu-        weiten und neue, noch nicht (oder nicht vollständig)
tet dies nun konkret für die Landwirtschaft?              kapitalistisch organisierte Bereiche (Wasser, Boden,
   Auf die ackerbaulichen Probleme und Ertragsmin-        Luft, Wissen etc.) für die Akkumulation zu erschlie-
derungen, die resistente Unkräuter inzwischen ver-        ßen. Auf die damit verbundenen Enteignungs- und
ursachen, reagieren die Unternehmen zum einen, in-        Privatisierungsprozesse folgen Aneignungsvorgän-
dem immer mehr Wirkstoffe miteinander kombiniert          ge, die der Erzielung von Rentenerträgen durch die
werden: So besteht die jüngste Innovation von Bayer       Eigentümer*innen der Eigentumstitel (z. B. Grund­
in einem gentechnisch veränderten Mais, der mit To-       eigentumstitel, Patente) dienen.
leranzen gegen fünf Herbizidwirkstoffe (Glyphosat,           Dieser kurze Überblick zeigt, dass unter den gege-
Glufosinate, Dicamba, 2,4-D und Quizalofop) aus-          benen Strukturen keine Produkte zu erwarten sind,
gestattet (»gestackt«) wurde (dieser »HT4«-Mais ist       die die erforderliche Agrarwende unterstützen wer-
noch nicht auf dem Markt). Des Weiteren sollen neue       den, im Gegenteil. Die »Folgerungen & Forderungen«
Technologien die Lösung bringen. Mit digital far-         (siehe unten), die fast alle bereits 2018 als Fazit for-
ming, einem Technologiefeld, in das sich Bayer durch      muliert wurden,14 sind angesichts der Entwicklungen
die Fusion mit Monsanto eingekauft hat,12 bauen die       auf dem globalen Saatgut- und Pestizidmarkt noch
Unternehmen ihr Geschäftsmodell grundlegend um.           wichtiger und drängender geworden.
Sie orientieren sich dabei an einem Konzept, das als
»Plattformökonomie« schon seit einigen Jahren weit        Strukturen benennen und angreifen
über den Agrarbereich hinaus diskutiert wird (z. B.
unter dem Schlagwort Industrie 4.0). Ein Zitat von        Im kritischen Agrardiskurs werden Entwicklun-
Bayer soll illustrieren, was das für die Landwirt*innen   gen wie die fortschreitende Konzernkonzentration,
bedeuten könnte: »Durch die Digitalisierung werden        Landgrabbing, Digitalisierung, die Patentierung ge-
wir künftig das Gesamtprodukt ›das saubere Feld‹          netischer Ressourcen oder das aggressive Lobbying
anstelle einzelner Artikel anbieten können«, so Crop      der Unternehmen für neue Risikotechnologien zwar
Science-Chef Liam Condon. Condon zufolge geht es
in Zukunft nicht mehr darum, »so viel Liter Chemie
zu verkaufen wie möglich«. Wenn nur die Hälfte des          Folgerungen     & Forderungen
Feldes gespritzt werde, werde man zwar nur halb so-
viel Absatz machen: »Aber das Wissen, dass man nur          ■   Die Kapitalmarktorientierung der Großen im Saat-
diesen Teil des Feldes spritzen muss – das können sie           gutgeschäft nimmt weiter zu. Es besteht dringender
verkaufen.«13 Die Abhängigkeit der Bäuerinnen und               Forschungsbedarf, welche konkreten Folgen diese
Bauern vom Angebot der wenigen großen Unterneh-                 Entwicklung für die Geschäftsfelder und -praktiken der
men wird tendenziell also noch weiter zunehmen.                 Unternehmen sowie den gesamten Agrarbereich hat.
   Ein weiteres Technologiefeld, das von den Unter-         ■   Der kritische Agrardiskurs sollte die Strukturen, die
nehmen als äußerst profitabel bewertet wird, ist die            einen grundlegenden Umbau des Agrarsystems
neue Gentechnik. Auf dem Markt gibt es bislang,                 ­b lockieren, klarer benennen und kritisieren.
neben einem herbizidresistenten Raps, eine Sojasor-         ■    Analog zur Forderung, große Immobilienkonzerne
te, deren Öl weniger der als gesundheitsschädlich                zu enteignen, sollte konkret über Möglichkeiten der
geltenden Transfettsäuren enthält. Seit diesem Jahr              gesellschaftlichen Aneignung von Bayer & Co. disku-
ist das Öl auf dem US-amerikanischen Markt auch                  tiert werden.
für Endkonsument*innen erhältlich; als »Premium-            ■    In der Züchtung sollte es um anpassungsfähiges,
produkt« wird es zu einem stolzen Preis verkauft.                nachbaubares und konzernunabhängiges Saatgut
Auf dem Weg zur Kommerzialisierung befindet                      und neue Sorten gehen – und nicht um Aktienkurse
sich auch ein »ballaststoffreicher« Weizen, der es               und Kapitalverzinsung. Eine – auch staatliche –
US-Konsument*innen erlauben soll, auch weiterhin                 Finanzierung gemeinnütziger Züchtungsinitiativen
Weißmehlprodukte zu essen, die nun aber, dank des                ist wichtiger denn je.
gentechnischen Eingriffs, »gesünder« sein sollen. Hier

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Der kritische Agrarbericht 2021

intensiv bearbeitet, zu selten wird aber auf die struk-                     bewerb, die Privatisierung von öffentlicher Infrastruktur (z. B.
turellen Hintergründe und die Zusammenhänge zwi-                            Wasser-, Gesundheitsversorgung), die Stärkung (geistiger)
                                                                            Eigentumsrechte, die Flexibilisierung fast aller Lebensbereiche
schen diesen Entwicklungen hingewiesen.15 Für die
                                                                            sowie die Förderung individueller Freiheit und Verantwortung
weiteren Diskussionen über einen strukturellen Um-                          verstanden.
bau der Landwirtschaft wäre es wichtig, diese Zusam-                   5    R. Patalano and C. Roulet: Structural developments in global
menhänge kritisch in den Blick zu nehmen. Denn eine                         financial intermediation: The rise of debt and non-bank credit
Agrarwende kann nur gelingen, wenn sie mit einem                            intermediation. OECD Working Papers on Finance, Insurance
                                                                            and Private Pensions 44. Paris 2020. DOI:10.1787/19936397.
grundlegenden Umbau des Finanzsystems verbunden                        6    Zur Gruppe der institutionellen Investoren gehören z. B. Kre-
wird. »Das Finanzwesen muss in den Dienst der Allge-                        ditinstitute, Versicherungsgesellschaften, Pensionskassen
meinheit und des sozialökologischen Umbaus gestellt                         und Vermögensverwalter. Im Gegensatz zu den meisten
werden. Die Gesellschaft muss auf die im Finanzsektor                       Privatanleger*innen verwalten institutionelle Investoren nicht
                                                                            nur eigenes Vermögen, sondern fremde Gelder.
konzentrierten Finanzmittel zugreifen und diese in die
                                                                       7    »Wenning weg«. In: Stichwort BAYER (Ticker – Beilage zu
Investitionsprojekte stecken, die für den industriellen                     Stichwort Bayer 3/2020). Hrsg. von Coordination gegen Bayer-
[und agrarökologischen] Umbau erforderlich sind. In                         Gefahren (CBG). Düsseldorf 2020.
diesem Sinne ist die Vergesellschaftung der großen                     8    J. Salz: Diese Rolle spielt Werner Wenning im Mega-Deal.
Finanzkonzerne […] in die öffentliche Diskussion zu                         In: Wirtschaftswoche vom 19. September 2016.
                                                                       9    Aufsichtsratschef Wenning hat das Unternehmen 2020 vorzeitig
bringen und schließlich durchzusetzen.«16                                   verlassen, auch dies auf Druck der Aktionär*innen, da ihn die-
                                                                            se, als überzeugten Fusionsbefürworter, für die massiven Kurs-
                                                                            verluste mitverantwortlich machen [vgl. J. Pehrke: Das APPLE
Das Thema im Kritischen Agrarbericht                                        der Äcker. Bayer setzt auf digitale Landwirtschaft. In: Stichwort
X Eva Gelinsky: Saatgut im globalisierten Weltmarkt. Grossfusio-            BAYER 04/2019. Hrsg. von Coordination gegen Bayer-Gefahren
  nen versus gemeingüterorientierte Initiativen. In: Der kritische          (CBG) (www.cbgnetwork.org/7568.html)]. Bayer-Chef Werner
  Agrarbericht 2018, S. 74–78.                                              Baumann, obwohl ebenfalls aktiv engagiert für den Monsanto-
X Markus Henn: Brot für die Börse. Spekulation mit Rohstoffen               Kauf, darf dagegen bleiben; im September 2020 wird sein Ver-
  und ihre fatale Wirkung auf Landwirtschaft und Ernährung. In:             trag sogar für weitere drei Jahre verlängert.
  Der kritische Agrarbericht 2012, S. 75–79.                           10   »Bayer Aktie bricht ein: Bayer gibt Gewinnwarnung aus – Schwa-
X Peter Wahl: Strikte Regulierung nötig. Auswirkungen der                   cher Ausblick für 2021.« Meldung der Agentur Reuters vom
  Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der Rohstoffspekulation                1. Oktober 2020. – Siehe auch J. Pehrke: Bayers Dauerkrise.
  auf Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. In: Der kritische            Mehr Klagen und Skandale, weniger Jobs. In: Stichwort Bayer
  Agrarbericht 2011, S. 36–40.                                              01/2020 (www.cbgnetwork.org/7630.html).
X Roman Herre: Moderne Landnahme. Eine Bewertung groß­                 11    E. Gelinsky: Saatgut gehört den Bäuer*innen. In: Widerspruch.
  flächiger Direktinvestitionen in Land aus menschenrechtlicher             Beiträge zu sozialistischer Politik 75 (Thema: Enteignen fürs
  Perspektive. In: Der kritische Agrarbericht 2010, S. 75–78.               Gemeinwohl) (2020), S. 53–60. – C. Zeller: Die Gewalt der Ren-
                                                                            te: die Erschliessung natürlicher Ressourcen als neue Akkumu-
                                                                            lationsfelder. In: Schweizerische Zeitschrift für Soziologie 35/1
                                                                            (2009), S. 31-52.
Anmerkungen                                                            12   A. Volling und M. Nürnberger: Neue Verfahren, neue Probleme
 1 Mit diesem von Rudolf Hilferding (1910) geprägten Begriff ist            – Gentechnik zwischen Offensive und Widerstand. In: Der kriti-
   jene Branche gemeint, in der verschiedene Akteure (Banken,               sche Agrarbericht 2018, S. 271–285.
   Investmentfonds, Pensionsfonds etc.) mit Wertpapieren han-          13   Bayers Agro-Chef Liam Condon, zit. nach Pehrke (siehe Anm. 9).
   deln. – Siehe R. Hilferding: Das Finanzkapital. In: Marx-Studien.   14   E. Gelinsky: Saatgut im globalisierten Weltmarkt. Grossfusionen
   Blätter zur Theorie und Politik des wissenschaftlichen Sozialis-         versus gemeingüterorientierte Initiativen. In: Der kritische
   mus. Band 3, Wien 1910 [Reprint: Glashütten 1971].                       Agrarbericht 2018, S. 74–78.
 2 Die Nahrungsmittelpreiskrise 2007/08 wird auch auf Preisspe-        15   So enthält z. B. der 2017 erschienene Konzernatlas auch ein
   kulationen an der Börse zurückgeführt. Nach Schätzungen der              Kapitel zur Spekulation im Agrarsektor; wie diese Prozesse die
   FAO hungerten infolge der gestiegenen Preise 2007 weltweit               anderen im Atlas beschriebenen Entwicklungen beeinflussen
   mindestens 75 Millionen Menschen zusätzlich, darunter 41 Mil-            und steuern, wird jedoch nicht erklärt. – Siehe J. Clapp: Investo-
   lionen in Asien und im pazifischen Raum und 24 Millionen im              ren suchen Wachstum – Die Äcker sind ihnen egal. In: Heinrich-
   subsaharischen Afrika. – Siehe dazu: D. Hachfeld, C. Pohl und            Böll-Stiftung et al. (Hrsg.): Konzernatlas – Daten und Fakten
   M. Wiggerthale: Mit dem Essen spielt man nicht. Die deutsche             über die Agrar- und Lebensmittelindustrie. Berlin 2017, S. 36 f.
   Finanzbranche und das Geschäft mit dem Hunger. Hrsg. von            16   C. Zeller: Revolution für das Klima. Warum wir eine ökosozialis­
   Oxfam Deutschland. 2. Auflage, Köln 2013.                                tische Alternative brauchen. München 2020, S. 158 f.
 3 Die größten Vermögensverwalter weltweit sind BlackRock, Van-
   guard, Fidelity, State Street und J. P. Morgan (alle USA). Mit
   7,3 Billionen US-Dollar (Stand: 30. Juni 2020) an verwaltetem
   Vermögen ist BlackRock der größte unabhängige Vermögens-
   verwalter. – Siehe K. Kort: Blackrock übertrifft die Erwartungen.
   Der weltweit grösste Vermögensverwalter steigert Gewinn im                               Dr. Eva Gelinsky
   zweiten Quartal um 21 Prozent und verzeichnet 100 Milliarden                             Interessengemeinschaft für gentechnikfreie
   Dollar neue Zuflüsse. In: Handelsblatt vom 17. Juli 2020.                                Saatgutarbeit und semnar / saatgutpolitik &
 4 Es gibt keine eindeutige Definition des Begriffs »neoliberal«.                           wissenschaft.
   Seit den Reformen der 1970er-Jahre wird unter einer »neo­
   liberalen« Agenda der Ruf nach mehr Markt und mehr Wett-                                 gentechnikfreie-saat@gmx.de

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