Liebe leserin, lieber leser! - Dienste in Israel

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Liebe leserin, lieber leser! - Dienste in Israel
A u s g a b e I / 2 0 1 0 – NR . 9 4
                                                                                                               b r ü c k e n b a u e r - m a g a z i n V O N d i e n s t e IN i s r a e l

Liebe Leserin, lieber Leser!
Fast hätte man Israel Yaoz (Bild) wegen     schen Delegation zu sein, die Shimon     wieder herzustellen ...
einer Schüssel gestohlenen Zuckers in       Peres und Horst Köhler im Januar in      (Seite VII).
Bergen-Belsen gehängt. Dass es nicht        Berlin begleiten durfte (Seite II).
dazu gekommen ist, dass er überhaupt          Wenn schwerstbehinderte Kinder         Mit einem herzlichen
überlebt hat – das ist ein Wunder. Seine    auf einer Krankenstation liegen, ohne    Shalom aus der
bewegende Lebensgeschichte ist das          von ihren Eltern besucht zu werden,      Geschäftsstelle in
Hauptthema dieser Ausgabe (Seite III).      dann sind „kreative Lösungen“ gefragt.   ­Hannover
   Zwei Staatspräsidenten an der Seite      Mit dem Spiel „Zuhause anrufen“ ist es
eines ehemaligen DiI-Freiwilligen – das     unserer Volontärin Angela Kunze gelun-   Ralph Zintarra, Leiter
ist schon außergewöhnlich. Richard Prae­    gen, diese so wichtige „Verbindung“      Dienste in Israel
torius hatte das Vorrecht, Teil der deut-   auf eine beeindruckende Weise immer
Liebe leserin, lieber leser! - Dienste in Israel
DIENSTE IN ISRAEL

                    „Mein Junge, bleib immer ein Jude!“
                    Der israelische Staatspräsident Shimon Peres hat am 27. Januar 2010                     Familie folgte
                    im Deutschen Bundestag eine bewegende Rede gehalten. Zurück-                            ihm. Die Türen
                    schauend hat er sehr persönlich von seinem von den Nazis ermorde-                       wurden von drau-
                    ten Großvater erzählt:                                                                  ßen verriegelt,
                                                                                                            und das Holz-
                    „Vor meinem geistigen Auge steht die       vom Allerheiligsten festgelegt wird, ob      gebäude wurde
                    prächtige Gestalt meines von mir so        ihn der Tod oder das Leben erwartet.         angezündet. Von
                    bewunderten Großvaters, Rabbi Zwi             Ich erinnere mich, wie er am Bahn-        der gesamten
                    Meltzer, ein würdiger und schöner          steig stand, von wo aus der Zug mich,        Gemeinde blieben
                    Mann, dessen Lieblingsenkel ich war. Er    den elfjährigen Jungen, von unserem          nur glühende
                    war mein Lehrer und Erzieher. Er lehrte    Dorf ins Heilige Land Israel bringen         Asche und Rauch.
                    mich die Thora. Ich sehe ihn noch vor      sollte. Ich erinnere mich an seine über-     Keiner hat über-
                    mir mit seinem weißen Bart und sei-        schwängliche Umarmung. Und ich               lebt.“
                    nen dunklen Augenbrauen, eingehüllt        erinnere mich an seine letzten Worte,           Die Begeg-         Richard Praetorius,
                    in den Gebetsmantel, inmitten aller        die mir befahlen: „Mein Junge, bleib         nung zwischen         Shimon Peres und
                    Betenden in der Synagoge, in meinem        immer ein Jude!“ Die Lokomotive pfiff        israelischen          Horst Köhler (v.l.n.r.)
                    Geburtsstädtchen Wiszniewo in Weiß-        und die Bahn fuhr los. Ich blickte mei-      und deutschen
                    russland. Ich hüllte mich damals eben-     nem Großvater durchs Fenster nach,           Jugendlichen war neben den politi-
                    falls in den Gebetsmantel meines Groß-     bis seine Gestalt verschwand. Es war         schen Gesprächen ein Schwerpunkt des
                    vaters und lauschte aufgeregt seiner       das letzte Mal, dass ich ihn sah. Als die    Staatsbesuchs. So waren 50 ausgewählte
                    schönen klaren Stimme. Noch heute          Nazis in Wiszniewo einmarschierten,          junge Deutsche und Israelis eingeladen,
                    klingt das Echo seiner Stimme in mei-      befahlen sie allen Juden, sich in der Syn-   an Teilen des offiziellen Programms
                    nem Ohr, das „Kol Nidrei“ Gebet am         agoge zu versammeln. Mein Großvater          teilzunehmen. Teil der deutschen Dele-
                    Versöhnungstag, in den Stunden und         ging als erster hinein, eingehüllt in den-   gation war Richard Praetorius, der
                    Momenten, wo nach dem jüdischen            selben Gebetsmantel, in den ich mich
                    Glauben das Schicksal jedes Einzelnen      als Kind schon eingewickelt hatte. Seine     Weiter auf Seite VI

                    Unsere Volontäre und Ersatzdienstleistenden in Israel
                    Orthopädisches Krankenhaus Alyn, Jeru­      Behindertenbetreuung Shekel, Jerusa­        Frankfurt/Main; Zacharias Stein, Meine
                    salem: Joachim Dangendorf, Braun-        lem & Petach Tikvah: Jasmin Beisteiner,           Irgun Olej Merkas Europa, Haifa:
                    schweig; Matthäus Greger, Friedrichs-    Wissen; Anna Maria Faber, Vlotho;              Judith Köhler, Sehmatal-Cranzahl;
                    hall; Jan Schönemann, Magdeburg;         Simeon Rau, Leipzig; Irina Rezlaw, Bad         Kerstin Köhler, Grafenau; Debora Len-
                    Dominik Steinestel, Altensteig           Essen; Jan Schröder, Dietzhölztal; Mark        gemann, Neukirchen; Rebecca Mehling,
                       Behinderteneinrichtung Ilan, Jerusa­  Seel, Frankfurt/Main                           Berlin; Annegret Oschetzki, Eisenach;
                    lem: Philip Baum, Hüttenberg; Lennart       Hospiz French Hospital, Jerusalem:          Carolyn Schöler, Bielefeld
                    Stangenberg, Bremen; David-Jan van       Sebastian Burst, Linkenheim-Hochstet-             Ab August: Kyrill Ahlvers, Wal-
                    den Berg, Hüllhorst; Johannes Wilhelm,   ten; Dan-Micha Rahn, Ennepetal                 denbuch; Lukas Badum, Forchheim;
                    Markkleeburg                                Beit Or, Jerusalem: Sara Müller,            Simeon Behre, Mehmke; Miriam Fel-
                                                                                  Eberswalde; Thors-        kers, Neu Wulmstorf; Felix Heimke,
                                                                                  ten Muth, Remshal-        Bad Oeynhausen; Arnim Janssen,
                                                                                  den; Eric Quiring,        Barmstedt; Elisabeth Kaden, Wilkau-
                                                                                  Bielefeld; Wiebke         Haßlau; Eduard Kasper, Burghaun;
                                                                                  Rüd, Idstein              Kristina Kremer, Werne; Petra Krömer,
                                                                                     Beit Aviv, Jeru­       Schladming/Österreich; Johannes
                                                                                  salem: Max Mah-           Lange, Oldenburg; Susanne Lauber,
                                                                                  ler, Lage-Heiden;         Schorndorf; Boas Messerle, Aichwald;
                                                                                  Hagen Plum, Mar-          Isabel Morandi, Berlin; Erik Müller-
                                                                                  bach                      Zitzke, Salzgitter; Rahel Pydd, Bad
                                                                                     Geriatrisches          Camberg; Markus Rehberg, Lahr;
                                                                                  Altenheim, Petach         Charlotte Schneider, Oldenburg; Aaron
                                                                                  Tikvah: Judith            Solbach, Oberbillig; Jonathan Stooß,
                                                                                  Balz, Ditzingen;          Engstingen; Christina Thellmann,
                                                                                  Rahel Baumann,            Schwabach; Deborah Thum, Reutlingen
                                                                                  Wernigerode; Hen-            Ab November: Robin Dammer,
                                                                                  drik Buttkewitz,          Waldtann; David Kabai, Nürnberg;
                                                                                  Bielefeld; Thamar         Lucka Raguse, Gettorf; Simeon Tiedtke,
                                                                                  Graf, Glattfelden/        Schwalbach
                                                                                  Schweiz; Christian
                                                                                  Haupt, Duder-             Stand: 17.03.2010
                    Wochenendseminar in Haifa (19.-21. März 2010)                 stadt; Klaus Penski,

                    II                                                                                                        Brückenbauer-Magazin Nr. 94
DIENSTE IN ISRAEL
   Wir haben als Überlebende ein Vermächtnis,
   eine Aufgabe ...
   Ralph Zintarra im Gespräch mit Israel Yaoz: Es ist Donnerstag, 26.                    2 von ihnen leben in Israel. Ich sehe
   November 2009. Um 7.20 Uhr klingelt mein israelisches Handy. Es                       sie manchmal. Von den 24 Jungen bin
   ist Israel Yaoz. Sein Bus aus Herzliya sei nun in Mevasseret, einem                   ich der Einzige, der es überlebt hat.
   Vorort von Jerusalem, angekommen. Ich könne ihn wie besprochen                        Aber nicht nur, dass diese Burschen alle
   an der Bushaltestelle abholen. Wir haben uns zu einem gemeinsamen                     umgekommen sind, auch von ihren
   Frühstück verabredet. Ich kenne Israel Yaoz nun mittlerweile schon                    Familienmitgliedern hat niemand den
   einige Jahre. Ein gemeinsamer Besuch mit ihm in der Holocaustge-                      Krieg überlebt.
   denkstätte Yad Vashem in Jerusalem hat bei mir einen tiefen Eindruck                     Wir sind im September 1943 bei
   hinterlassen. Einmal hat er mir eine „Mesusa“ geschenkt. Die hängt                    einer Razzia verhaftet worden. Eigent-
   seitdem am rechten Türpfosten meines Arbeitszimmers. Ich mag die-                     lich sollte ich schon 1942 deportiert
   sen Mann, der so bescheiden und unaufgeregt daherkommt. Und so                        werden, zusammen mit weiteren 400
   erzählt mir der inzwischen 81-jährige Israel Yaoz seine bewegende                     jungen Burschen, von denen übrigens
   Lebensgeschichte. Manches wusste ich bereits, vieles noch nicht.                      keiner zurückgekommen ist. Ich stand
                                                                                         auch auf der Liste. Sie sind zu meinen
                        Geboren bin ich       Familie mit zwei, später drei Kindern.     Pflegeeltern gekommen, um mich
                        am 14. November       Der Mann war Mathematiklehrer an           abzuholen. Aber ich war in der Schule.
                        1928 in Deutsch-      der örtlichen jüdischen Oberschule in      Die Schergen betonten, dass sie am
                        land, in Gelsenkir-   Amsterdam. Und dann kam der Krieg ...      nächsten Tag wiederkommen würden,
                        chen. Ich war das        Während die meisten Kinder aus          um mich zu verhaften. Irgendwie ist
                        erste von fünf Kin-   dem Waisenhaus noch bei Zeiten nach        es meinen Pflegeeltern dann gelungen,
                        dern in einem sehr    England entkommen konnten, bin             mich von der Liste wieder runter zu
                        frommen ostjüdi-      ich bei dieser jüdisch-holländischen       bekommen. Das habe ich aber erst nach
   Israel Yaoz          schen Haushalt, mit   Familie geblieben. Die Juden in Hol-       dem Krieg erfahren. Mit diesen 400
                        täglichen Gebeten,    land haben sich nicht so große Sorgen      Jungen haben sie übrigens in Mauthau-
   mit Synagoge. Mein Vater war an Feier-     gemacht. Die hatten holländische Pässe     sen Giftgasversuche gemacht.
   tagen sogar Vorsänger in der Synagoge.     und meinten, dass sie geschützt wären.
   Die ganze Familie war musikalisch, nur     Keiner hatte noch je etwas gehört von
   ich nicht.                                 einem Massenmord oder Holocaust.
      Tja, und dann kam das Jahr 1938,        Dieses Wort gab es noch nicht im Wör-
   November. Viele Juden versuchten, aus      terbuch. Keiner konnte sich darunter
   Deutschland wegzukommen. Es war            etwas vorstellen. Ich glaube, dass in
   aber kaum möglich, irgendwo hinzu-         keinem anderen europäischen Land so
   kommen. Die Kristallnacht brachte          viele Juden von Nichtjuden versteckt
   dann nochmals deutlicher die Situation     wurden wie in Holland, obwohl in
   der Juden zum Ausdruck, so dass meine      Holland prozentual fast die meisten
   Mutter mich und meine eineinhalb           umgekommen sind. Das Netz war ein-
   Jahre jüngere Schwester Recha am 11.       fach so engmaschig geknüpft, dass man
   Januar 1939 auf den Zug setzte nach        nicht entkommen konnte. Es genügte
   Holland. Ohne Papiere, wir hatten          1 Nazi, um 100 Juden zu verraten. Aber
   nur unsere Zugtickets. Und so fuhren       es bedurfte 20 holländischer Familien,
   wir Richtung Holland, ohne zu wissen       um 1 jüdische Familie zu retten.
   wohin und was.
      Dort sind wir schließlich in ein        Israel, du hast eine zeitlang in Amster-
   Waisenhaus gekommen. Eines Tages           dam gelebt, du hast auch Anne Frank
   kamen drei ältere jüdische Frauen –        persönlich gekannt, nicht wahr?
   unverheiratet und Geschwister, wie            Ja, die Anne Frank kannte ich           Der 12-jährige Israel
   sich herausstellte – und haben meine       weitläufig. Sie war in meinem Alter
   Schwester mitgenommen, als Pflege-         und wohnte um die Ecke. Ihre besten        Und dann bist du schließlich nach Ber-
   kind. Das war nicht so ganz gelungen,      Freunde waren auch meine besten            gen-Belsen gekommen ...
   diese Sache. Denn meine Schwester war      Freunde, und sind es bis heute. Drei          Ja, das war Ende 1943, wo ich dann
   achteinhalb, die drei Frauen alle um die   von ihnen wohnen in Israel.                bis zum Ende des Krieges war. Ich war
   70. Sie lernte dort Klavier spielen und                                               damals 15/16. Auch meine Pflegeeltern
   ging zur Schule. Aber eine gute Lösung     Wie hast du diese furchtbaren Kriegs-      sind dort umgekommen. Da gab es
   war das wie gesagt nicht, denn Recha       jahre (üb)erlebt?                          zwar keine Gaskammern, dafür aber
   vereinsamte sehr mit diesen drei alten       1941 war das Jahr meiner Bar Mizwa.      sind dort viele Leute verhungert. Tau-
   Frauen.                                    Ab 1942 ging jede Woche ein Trans-         sende sind dort verhungert.
      Einige Wochen später kam eine           port mit 1 000 Juden gen Osten. Auch          Eines Tages, das war gegen Ende des
   andere alte Frau, die mich mitnahm.        meine Klasse wurde immer kleiner. Wir      Krieges, das war schon nach einem Jahr
   Sie war 35, aber in meinen Augen sah       waren 32 Schüler, davon 8 Mädchen;         von täglichem Hungern, sozusagen am
   sie alt aus. Es handelte sich um eine      von den 8 haben den Krieg 4 überlebt,      Rande des Hungertodes – da habe 

Brückenbauer-Magazin Nr. 94                                                                                                   III
DIENSTE IN ISRAEL

                                                              den bin ich zurückgeblieben. Wenige         bereits eine Uniform getragen.
                                                              Tage später bin ich dann von den Eng-          Nach der vierwöchigen Ausbildung
                                                              ländern befreit worden. Das war am          bin ich in die Gegend von Abu Gosh
                                                              15. April 1945.                             gekommen. Da waren vier alte Kano-
                                                                                                          nen aus der Zeit Napoleons. Und so
                                                              Wie ist es eigentlich deinen leiblichen     habe ich gelernt, Berechnungen zu
                                                              Eltern ergangen?                            machen, wie man schießt. Heute geht
                                                                 Meine Eltern sind mit drei Kindern       das per Computer. Aber damals machte
                                                              in Gelsenkirchen geblieben. Meinen          man es mit Zeichnungen, mit Wind-
                                                              Vater hat man 1940 verhaftet. Einige        stärke, Abstand und magnetischen
                                                              Monate später kam die Nachricht, dass       Messungen. Und dann wurden wir
                                                              er tot sei – umgekommen im Konzen-
                                                              trationslager Oranienburg. Wie meine
                                                              Mutter davon erfahren hat? Eines Tages
                                                              kam ein Päckchen für sie an. Sieben
                                                              Mark Porto musste sie dafür bezahlen:
                                                              „Bitte, das ist die Asche ihres Mannes!“
                                                              So hat sie vom Tod ihres Ehemannes
                    Deportationsliste „Judentransport aus     erfahren.
                    den Niederlanden“ vom 11. Januar
                    1944; Nummer 671: Israel Häusler,         Und was ist aus deiner Schwester
                    Landarbeiter                              geworden, die einst mit dir nach Hol-
                                                              land verschickt worden ist?
                    ich mal eine halbe Schüssel Zucker           Im Juli 1943 ist Recha nach Sobibor      Von der Jugendgruppe haben nur 8
                    gestohlen. Ein Pfund Zucker, in der       deportiert worden, von dort ist nie-        überlebt
                    SS-Küche. Ich musste Suppe für die        mand zurückgekommen. Sobibor war
                    Häftlinge transportieren. Da habe ich     ein Lager, wo nur Vergasung war, nichts     verlegt in die Gegend von Bet Shemesh.
                    diesen Zucker unter meiner mantel-        anderes.                                    Das war und ist die Gegend, wo einst
                    ähnlichen Decke versteckt. Als ich zum                                                David gegen Goliath gekämpft hat. Ja,
                    Eingang des Lagers kam, wo die Suppe      Nach allem, was du erlebt und überlebt      und dann war ich 30 Jahre lang jedes
                    hin musste, standen da drei Kapos.        hast, hast du dir nichts sehnlicher         Jahr einen Monat in der Armee, im
                    Die Kapos waren manchmal noch             gewünscht, als nach Eretz Israel zu         Reservedienst. Das macht man bis ins
                    schlimmer als die SS selbst. Von die-     kommen, nicht wahr?                         Alter von 40/50. Irgendwann war ich
                    sem einen, von dem ich jetzt berichten       Erst dachte ich daran, in Holland        dann zu alt. Und zwischendurch bin ich
                    will, erzählte man, er habe persönlich    zu studieren. Aber dann hat es mich         aus Versehen Reiseleiter geworden ...
                    drei Häftlinge aufgehängt, nur weil       gedrängt, hierher zu kommen. Das
                    sie Kürbisse gestohlen hätten, die im     war 1948. Ich kam aus Marseille. Israel      Und das bist du bis auf den heutigen
                    Dreck lagen. Verglichen damit hatte ich   war genau sechs Wochen alt, gerade           Tag geblieben!
                    etwas ganz Wertvolles bei mir, nämlich    geboren. Der Unabhängigkeitskrieg               Zunächst einmal habe ich vier Jahre
                    Zucker.                                   war der blutigste Krieg von allen, die       lang in einer Bank gearbeitet. Ich war
                       Das erste, was mir kam, war, den       Israel je geführt hat. Ich kam mit einem     gerade verheiratet, wir hatten ein klei-
                    Zucker in den feuchten Dreck unter        Schiff mit anderen Überlebenden des          nes Baby. Allerdings hatte ich keine
                    mir auszuschütten, um das „corpus         Holocaust. Das waren alles Vereinzelte:      Lust, im Alter von 80 Jahren Direktor
                    delicti“ verschwinden zu lassen. Ich      Männer, Frauen, Kinder, schwangere           einer kleinen Bankfiliale von der „Bank
                    habe gedacht, dafür kann man dich         Frauen, Verrückte. So kamen wir alle         Leumi“ zu sein irgendwo in einer Vor-
                    hängen! Als der Kapo die Schüssel mit     an. Es gab schon keine Engländer mehr,       stadt von Tel Aviv. Ich dachte, ich pro-
                    dem Zucker entdeckte, rief er mir zu:     die uns festhalten konnten, wie es bis       biere mal etwas anderes.
                    „Geh mal weiter, geh mal weiter!“ Ich     zur Unabhängigkeit von Israel war.              Da sah ich in der Zeitung eine
                    war ganz überrascht. Und dann stand       Am Tag meiner Ankunft habe ich dann          Annonce vom Ministerium für Tou-
                    da ein zweiter Kapo und sagte: „Was                                                                   rismus. Die suchten
                    hast du da?“ Und der erste sagte: „Lass                                                               einen Beamten für ein
                    ihn gehen, lass ihn gehen!“ Das war das                                                               Büro, wo die Touristen
                    erste Mal in meinem Leben, dass meine                                                                 reinkommen und Fragen
                    wenigen Haare buchstäblich aufrecht                                                                   stellen oder eine Reise
                    standen vor lauter Angst. Hätte ich                                                                   buchen wollen. Und
                    etwas verschüttet, dann wäre ich nicht                                                                dann habe ich mich da
                    lebend davongekommen. Aber das hat                                                                    angemeldet. 35 Leute
                    mir das Leben gerettet, dass ich in den                                                               haben sich damals auf
                    letzten Wochen jeden Tag einen Löffel                                                                 diese eine Stelle bewor-
                    Zucker essen konnte.                                                                                  ben. Nach der schriftli-
                       In diesem Lager hatte ich z­ weimal                                                                chen Prüfung sind fünf
                    Typhus, verschiedene Arten von                                                                        übrig geblieben, ich war
                    Typhus. Ich hatte Glück, dass ich                                                                     einer von ihnen. Ich
                    schließlich befreit wurde. Die anderen                                                                habe schließlich den Job
                    Juden sind alle nach Osten verschickt     Absender: Israel Häusler (sein ursprünglicher Name),        bekommen. Anscheinend
                    worden. Aber aus irgendwelchen Grün-      Ort: Aufenthaltslager Bergen-Belsen, Straße: Block 13       hatte ich die notwendi-

                    IV                                                                                                     Brückenbauer-Magazin Nr. 94
DIENSTE IN ISRAEL
                                                heißt Oded, der ist 1957 geboren.          kamen und das Angebot machten, für
                                                Damit habe ich auch ein Problem. Jetzt     Unterkunft und Arbeit zu sorgen, wenn
                                                hält er sich irgendwie auf der Oberflä-    sie aussteigen würden. Von den 4 500
                                                che, aber er leidet an Schizophrenie.      Leuten, die auf dem Schiff waren, sind
                                                Der zweite heißt Omri, geboren 1959,       sieben ausgestiegen. Die anderen haben
                                                hat studiert und ist Rechtsanwalt          sich stur geweigert, das Schiff zu ver-
                                                geworden. Der Jüngste, geboren 1970,       lassen, um in Frankreich zu bleiben. Sie
                                                ist wie gesagt vor zweieinhalb Jahren      wollten nach Palästina, nach Israel. Da
                                                gestorben. Er heißt Alon. Das sind alles   haben die Engländer drei Kriegsschiffe
                                                hebräische Namen.                          genommen und diese Leute auf die
                                                   Mein ursprünglicher Name ist übri-      Schiffe verteilt und nach Deutschland
                                                gens Häusler. Als mein erster Sohn         zurückgebracht, nach Hamburg. Ich
                                                geboren worden ist, habe ich beschlos-     erwähne nochmals, das war 1947! Alle
                                                sen, jetzt endlich Halt zu machen mit      wurden untergebracht in ehemaligen
                                                einem deutschen Namen. Häusler mit         Militärlagern in Bergen-Belsen ... Als
                                                „äu“ und Yaoz war dem Klang nach           Israel dann ein selbständiger Staat
                                                sehr ähnlich. Das Wort „Yaoz“ bedeutet     wurde, sind sie hierher gekommen.
                                                „mutig sein“. Heute kennt mich nie-
                                                mand mehr mit dem Namen Häusler,           Gegenwärtig leben noch etwa 200 000
   gen Charakterzüge und das notwendige         auch meine Kinder nicht.                   Überlebende der Shoah in Israel. Du
   Wissen für diese Stellung. Und so bin                                                   sagst, die Überlebenden hätten noch
   ich dann auf Umwegen Reiseleiter             Als Reiseleiter erzählst du den Leuten     eine Aufgabe zu erfüllen ...
   geworden. Das war 1958.                      Geschichten, die du selbst erlebt hast        Wir haben als Überlebende ein Ver-
                                                bzw. die Augenzeugen dir berichtet         mächtnis, eine Aufgabe. Wir müssen
   Vor zwei Jahren ist deine Frau gestor-       haben. Wie war das zum Beispiel mit        der Welt und uns selbst zeigen, dass
   ben ...                                      der „Exodus“? Da wähnten sich doch         Israel ein großer Name ist, dass Israel
      Meine Frau Sylvia, eine geborene          u. a. Bergen-Belsen – Überlebende in       ein Existenz- und Lebensrecht hat, dass
   Venezia, ist in Griechenland geboren,        Sicherheit – und am Ende waren sie         Israel großgeschrieben werden kann
   1932. Vor zwei Jahren ist sie gestorben.     wieder dort, wo sie aufgebrochen           und dass es ein Musterstaat sein könnte
   Vor Kummer. Denn ein halbes Jahr             waren, nämlich in Bergen-Belsen ...        – eventuell. Ich bin hierher nicht nur
   zuvor war unser jüngster Sohn im Alter           1938, als die Not der Juden Europas    für mich selbst hergekommen, sondern
   von 37 Jahren an Krebs verstorben. Das       besonders groß war, wurde dieses Land      stellvertretend für meine Familie, für
   hat sie nicht verkraftet.                    hermetisch verschlossen für jüdische       meine Mitschüler, die es nie geschafft
      Sie ist wie gesagt in Griechenland        Einwanderer. Und als dann während          haben, für meine Mitsynagogenbe-
   geboren und war dort versteckt mit           des Krieges noch vereinzelte jüdische      sucher und auch für meine Freunde.
   ihrer Mutter. Aber ihr älterer Bruder        Einwanderer mit Schiffen ankamen,          Ich hätte das vor 40 Jahren nicht so
   und ihr Vater sind erwischt wor-             stand ihnen eine ganze Armada gegen-       ausdrücken können, heute formuliere
   den – durch Verrat. Sie wurden nach          über, die verhindern sollte, dass Juden    ich es so: Wir haben noch eine Aufgabe
   Auschwitz geschickt. Meine Frau hat          illegal ins Land kommen. Als nach dem      – nicht geschrieben mit Tinte, sondern
   nie davon erfahren, dass sie zu dem          Krieg das volle Ausmaß                                    mit Blut!
   Kommando gehörten, dass die Aufgabe          der Katastrophe ans Licht
   hatte, die Toten aus dem Gas heraus-         kam, haben die Engländer                                Wann hattest du eigent-
   zuholen und sie zu verbrennen – ja, zu       diese Politik weiter fort-                              lich erstmals Kontakt zu
   vernichten. Das war monatelang die           gesetzt. Die, die versucht                              Hagoshrim?
   Aufgabe von Vater und Sohn. In den           haben, illegal einzuwan-                                   Man könnte auch
   letzten Tagen vor der Befreiung hat          dern, hat man gefasst und                               sagen: Wann war meine
   man sie erschossen. Man hat alle Leute       in ein Lager gesteckt oder                              erste Begegnung mit
   erschossen, die dort gearbeitet haben.       nach Zypern geschickt.                                  Deutschen überhaupt?
   Das habe ich von einem Familienmit-          Aber die „Exodus“ mit                                   Das war am Anfang der
   glied erfahren, der in Italien lebt und      4 500 Überlebenden an                                   sechziger Jahre. Ich war
   auch Venezia heißt. Dieser Mann wurde        Bord hat man 1947 von                                   einer der wenigen Reise-
   bekannt durch seine Auschwitzberichte.       Haifa aus nicht wie im                                  leiter, der Deutsch konnte.
   Ich habe davon eine CD zu Hause. Die         Roman beschrieben nach                                  Und die ersten Besucher
   habe ich meiner Frau aber nie gezeigt.       Zypern, sondern zurück                                  hier waren Jugendliche.
      Jedenfalls ist sie nach dem Krieg hier    nach Marseille geschickt.                               Jugendliche, die hierher
   nach Israel gekommen. Sie war sehr               Ich habe zwei Freunde                               kamen mit einer ausge-
   intelligent. Ich bin ihr begegnet, als sie   gehabt, die auf diesem                                  streckten Hand, die hier
   ein halbes Jahr hier war. Sie sprach so      Schiff waren. Ein Mäd-                                  einfach Brücken bauen
   gut Hebräisch, als ob sie hier geboren       chen, das mit mir Bergen-                               wollten, die hier in einem
   worden wäre, obwohl sie bei ihrer            Belsen überlebt hat, und                                Kibbuz gearbeitet haben
   Ankunft in Israel 1949 keinen Buchsta-       ihr Freund. Sie erzählten                               oder in Krankenhäusern
   ben lesen konnte. Ich kam hierher und        mir, dass – als sie in Mar-                             und Altenheimen. Das
   konnte Hebräisch schreiben, lesen und        seille waren – französische                             waren vielleicht nicht so
   reden. Aber sie sprach bereits wie eine      Beamte auf das Schiff                                   viele, vielleicht 3 000 pro
   „Sabre“, eine hier Geborene.                                                                         Jahr aus Deutschland.
      Wir hatten drei Söhne. Der älteste        Israel Yaoz als Reiseführer                             Vielleicht wenige         

Brückenbauer-Magazin Nr. 94                                                                                                      V
DIENSTE IN ISRAEL

                    für Deutschland, aber für Israel sind       eine Gruppe eine Nachlese in einem
                    das viele gewesen. Und das hat man          Zwiebelfeld. Da fiel mir ein Wort ein
                    gemerkt, dass das ernst gemeint war.        aus Psalm 126: „Die mit Tränen säen,
                    Das hat sich herumgesprochen. Eine          werden mit Freude ernten!“ Da gab ich
                    ausgestreckte Hand soll man nicht so        ihnen das Motto mit: „Die in Freude
                    ohne Weiteres ausschlagen. Und man          säen, werden in Tränen ernten!“ Denn
                    hat dann hier auch gesehen, dass sie        am Ende hatten alle auf dem Zwiebel-
                    ganz normale Menschen sind und dass         feld Tränen in den Augen ...
                    man nicht sagen soll, das sind alles
                    Nazis und so weiter.                        Was denkst du, welche Zukunft hat der
                       Eines Tages habe ich zufällig eine       Staat Israel, was ist deine Hoffnung und
                    Gruppe von Hagoshrim-Leuten vor             was ist deine Befürchtung in diesem
                    einem Museum gesehen, mit Ingrid            Zusammenhang?
                    Schatz an der Spitze. Ich habe gefragt,       Ich kann das nicht wissen. Die fal-
                    woher sie seien. Und dann habe ich          schen Propheten in Jerusalem werden
                    mich vorgestellt und gesagt, dass ich       gesteinigt. Ich will nicht gesteinigt
                    deutsche Gruppen führe. Daraufhin           werden! Das ist das eine. Das zweite ist,
                    hat Ingrid mich gefragt, ob ich mal eine    dass ich keine Lösung sehe in voraus-        Israel Yaoz während des Interviews
                    Gruppe führen würde. Ja, und dann           sehbarer Zukunft, keine Lösung.
                    habe ich sie besucht und auch Vorträge                                                   alles passiert in den höheren Gremien
                    gehalten, weil mir das doch sehr am         Was hast du noch für Pläne für dein          mit vielen krummen Geschäften. Aber
                    Herzen liegt. Ich weiß, was diese jungen    eigenes Leben, welche Ziele verfolgst du     sagen wir einmal so:
                    Leute auf sich nehmen, dass sie evtl. ihr   noch?                                           Wenn man lange Zeit auf ein Baby
                    Studium verlegen oder ihre Umgebung            Weiterarbeiten, bis ich umfalle! Ich      wartet, auf einen Burschen selbst-
                    aufgeben, um einen Dienst zu machen         habe noch eine Aufgabe. Solange es geht.     verständlich, dann weiß man, dass
                    hier. Und das ist kein leichter Dienst!     Es kann morgen sein, es kann in fünf         der Bursche der gescheiteste in der
                    Das sind manchmal schwere Dienste           Jahren sein, aber irgendwann kann es         Welt sein wird. Und der klügste und
                    mit Schwerkranken, so dass man fragen       passieren. Und dann muss ich zufrieden       der bravste und der liebste und der
                    könnte: Woher habt ihr die seelische        mit dem Alter sein, das ich erreicht habe.   schönste. Und dann wird der Bursche
                    Kraft, das zu tun?                             Ob ich will oder nicht, ich bin ein       groß. Und er ist nicht so schön und
                                                                Stück von der jüngsten Geschichte des        er ist nicht so brav und er ist nicht so
                    Israel, du bist ein Freund von              Judentums. Vor dem Krieg in Deutsch-         klug. Aber er ist dein Kind. Und du
                    Hagoshrim, du wirst gerne eingeladen        land, während des Krieges in Deutsch-        stehst zu ihm. Und so stehe ich und
                    zu Seminaren und Führungen und du           land, nach dem Krieg in Europa, hier in      meine Mitmenschen zum Staat Israel –
                    bist ein sehr geschätzter Reiseleiter für   Israel seit dem ersten Krieg, mit allerlei   ohne Bedingungen!
                    unsere Reisen.                              Arten von Leuten, mit Erfahrungen
                       Die Dienste in Israel – Reisen, die      zum Guten und zum Bösen. Der Traum           Nachbemerkung: Als Israel Yaoz mir am
                    Jürgen Pelz organisiert, sind ja auch       von jedem Juden, von jedem Zionis-           Ende unseres Gespräches erklären will,
                    so, dass die Leute nicht nur herumrei-      ten, der herkommt, ist, dass Israel ein      dass er nichts weiter sei als ein ganz
                    sen und sich bereden lassen, sondern        vorbildlicher Staat sein soll. Allerdings    gewöhnlicher, durchschnittlicher Israeli,
                    dass sie auch ihre Hände ausstrecken        weiß ich nicht, ob Israel das je werden      wage ich ihm zu widersprechen: „Nein,
                    und Arbeit verrichten. Kürzlich hielt       wird, wenn man so hört, was da so            Israel, das bist du ganz sicher nicht!“

                    Fortsetzung von Seite II:                   ein Besatzungsmitglied der legendären        gender Moment. Ich hatte Tränen in
                                                                „Exodus“. Auch ein Opfer der bestiali-       den Augen. Das Gefühl der Ohnmacht,
                    2007/2008 als Ersatzdienstleistender von    schen Zwillings-Experimente des Josef        dieses Leid nicht wieder gut machen zu
                    Dienste in Israel im Alyn-Krankenhaus       Mengele war unter den anwesenden             können, hatte auch andere Teilnehmer
                    in Jerusalem gearbeitet hat. Er schreibt:   Zeitzeugen. Kein Buch und kein Film          der deutschen Delegation ergriffen. Als
                       „Gemeinsam mit den beiden                kann die Erinnerung so wach halten,          ich sah, wie ein israelischer Jugend­
                    Staatspräsidenten besuchten wir das         wie es das lebendige Zeugnis der Über-       licher eine Deutsche umarmte, die aus
                    Mahnmal „Gleis 17“ in Grunewald,            lebenden selbst vermag.                      diesem Grund weinte, sah ich, was
                    um dort einen Kranz niederzulegen.             Wir trafen auch Shimon Peres und          deutsch-israelische Beziehung auf per-
                    Von dort wurden die Berliner Juden          Horst Köhler persönlich. Sie haben sich      sönlicher Ebene bedeutet.
                    in die Vernichtungslager deportiert.        Zeit genommen, um mit uns über die              Für mich war es ein Geschenk Got-
                    Shimon Peres aber ist nicht nur nach        Zukunft der deutsch-israelischen Bezie-      tes, an dieser Jugendbegegnung teilneh-
                    Deutschland gekommen, um der Toten          hungen zu sprechen.                          men zu dürfen. Es waren nicht nur die
                    zu gedenken, sondern auch, um die              Am 27. Januar erlebten wir die            staatstragenden Ereignisse, die ich als
                    Erinnerung wach zu halten.                  Rede von Shimon Peres vor dem Deut-          Erinnerung mitnehmen werde, sondern
                       Darum brachte er zehn Shoah-             schen Bundestag. In Gedenken an die          gerade auch die persönliche Begeg-
                    Überlebende aus Israel mit. Die             Opfer des Nationalsozialismus betete         nung mit Holocaust-Überlebenden,
                    Gesprächsrunde mit ihnen war sehr           er das „Kaddish“. Ohne Aufforderung          die die Vergangenheit wach halten, und
                    bewegend. Zwangsarbeiter aus Dachau         stand plötzlich der ganze Bundestag          mit jungen Israelis, mit denen wir die
                    erzählten ebenso ihre Geschichte wie        auf. Für mich war das ein sehr bewe-         Zukunft gestalten werden.“

                    VI                                                                                                      Brückenbauer-Magazin Nr. 94
DIENSTE IN ISRAEL
   Mit schwerstbehinderten Kindern „Zuhause
   anrufen“ spielen ...
   Von Februar 2009 bis Januar 2010 hat Angela Kunze als Volontärin
   im Alyn Krankenhaus in Jerusalem gearbeitet. In diesem Rehabilita-
   tionskrankenhaus werden Kinder und Jugendliche behandelt, die von
   Geburt an, nach Unfällen, Terrorangriffen oder schweren Krankheiten
   körperlich und zum Teil auch geistig behindert sind. Ihre Erfahrungen
   in diesen zwölf Monaten hat Angela in ihrem Abschlussbericht so
   zusammengefasst:

   Meine Aufgabe bestand in der Pflege          Wie sah also ein normaler Arbeits-
   und Betreuung von sechs Kindern, die      tag für mich aus? Ich beschreibe einfach
   aufgrund der Schwere ihrer Behinde-       mal eine Frühschicht von sieben bis
   rung und/oder der familiären Situa-       fünfzehn Uhr: Je nachdem, ob wir zu
   tion dauerhaft hier leben. Das waren      zweit oder zu dritt arbeiten, dusche
   „meine“ Kinder, im Alter zwischen drei    ich zwei bis fünf Kinder. Zum Beispiel
   und zehn Jahren, alle auf den Rollstuhl   einen lebhaften, starken und kaum zu
   angewiesen, ständig oder mindestens       bändigenden Achtjährigen, der sich
   nachts künstlich beatmet, weshalb sie     gern seine Schläuche aus Bauch und
   nicht sprechen können. Mit einer Aus-     Hals reißt, sobald man eine Minute
   nahme werden alle künstlich ernährt,      nicht hinschaut; oder der einen beißt,       Angela Kunze bei der Arbeit ...
   und vier von meinen sechs Patien-         zwickt und an den Haaren zieht. Zum
   ten sind schwer bis schwerst geistig      Beispiel eine Vierjährige mit Mus-
   behindert. Trotz dieser schweren und      kelschwund, die nur noch den Kopf            Patienten gehabt. So machte natür-
   traurigen Schicksale ist bei mir der      etwas bewegen kann und an bis zu drei        lich auch mir die Arbeit noch mehr
   anfängliche Schock ausgeblieben, viel-    Maschinen angeschlossen ist. Anschlie-       Freude und es entstand eine familiäre
   leicht auch weil ich vor einigen Jahren   ßend ziehe ich die Kinder an, lege ihnen     Atmosphäre. Eine ebenso simple wie
   schon ehrenamtlich mit Behinderten        diverse Schienen und Korsetts an und         wirkungsvolle Art, ihre Sehnsucht nach
   gearbeitet habe. Vom ersten Moment        setze sie in den Rollstuhl oder stelle sie   den Eltern zu bewältigen, war das Spiel
   an konnte ich meine Patienten einfach     in eine Stehhilfe. Dann mixe ich für         „Zuhause anrufen“. Dazu brauchte man
   als süße, liebesbedürftige Kinder mit     jedes Kind individuell seine Flüssignah-     nichts als Phantasie und einen Grund-
   besonderen Bedürfnissen sehen und         rung und bereite alles für Schule oder       wortschatz Hebräisch. Es funktionierte
   hatte – im wahrsten Sinne des Wortes –    Kindergarten vor: Wechselkleidung,           so: Ich ahme den Klingelton nach, das
   keine Berührungsängste. (...)             Ersatzwindeln, Essen, manuelles Beat-        Kind nimmt einen imaginären Hörer
                                             mungsgerät, medizinische Notfallta-          ab und hält ihn sich ans Ohr, und dann
                                             sche, Beatmungsmaschine, Sauerstoff-         spreche ich für beide: für Ima (Mama)
                                             flasche. (...)                               und Abba (Papa), die wir anrufen, und
                                                Zwischen zwölf und vierzehn Uhr           für das Kind. Ganz wichtig dabei war
                                             habe ich eine halbe Stunde Mittags-          immer die Frage, ob Mama und Papa
                                             pause und esse in der Kantine. Danach        ihr Kind lieb haben, was sie natürlich
                                             hole ich die Kinder aus der Schule,          mit „Ja“ beantworten; außerdem gibt
                                             bringe sie für einen Mittagsschlaf ins       es immer einen Kuss für die Eltern (auf
                                             Bett und wechsle ihre Windeln. Da sie        meine Hand) und ich gebe stellvertre-
                                             meist nicht wirklich schlafen, ist nun       tend Küsse und Umarmungen von den
                                             Zeit, mit ihnen ein bisschen Ball zu         Eltern. Von allen Spielen war das der
                                             spielen, ein Buch anzuschauen oder           absolute Favorit, und es war erstaunlich
                                             auch mal einfach ein Kind auf den            und berührend, wie real diese „Tele-
                                             Schoß zu nehmen. „Hoppe hoppe                fongespräche“ für die Kinder zu sein
                                             Reiter“ ist der Renner, und inzwischen       schienen. Besonders einem Jungen, der
                                             haben auch die Krankenschwestern             oft Schmerzen und große Angst vor
                                             keine Angst mehr, dass sich die Kin-         allen Behandlungen hatte, half es dann,
                                             der dabei übergeben. Da die Eltern           mitten in seiner Angst und seinem
                                             ihre Kinder im besten Fall einmal pro        Schmerz, Mama oder Papa „anzuru-
                                             Woche, im schlimmsten Fall zweimal           fen“. Das werde ich nie vergessen. Wenn
                                             pro Jahr besuchen, war eine meiner           ich nur dafür nach Israel gekommen
                                             wichtigsten Aufgaben, ihnen ein Stück        wäre – es hätte sich gelohnt! (...)
                                             die Familie zu ersetzen, was die Schwes-
                                             tern auch nicht können oder wollen.          Der ausführliche Bericht ist auf unserer
                                             Das heißt, ich habe viele Küsse, Umar-       Internetseite veröffentlicht:
                                             mungen und Streicheleinheiten verteilt       www.dienste-in-israel.de/volontaere/
                                             und während all den notwendigen              erfahrungsberichte
   ... und in ihrer Freizeit                 Arbeiten viel Spaß mit meinen kleinen

Brückenbauer-Magazin Nr. 94                                                                                                    VII
DIENSTE IN ISRAEL

                      Sören Altmann †
                      Am 21. Januar 2010 ist Sören Altmann                Wunsch in Erfüllung gehen kann.“
                      im Alter von 25 Jahren nach langer                  Dieser Wunsch hat sich schließlich für
                      und schwerer Krankheit (Mucoviszi-                  Sören erfüllt, allerdings musste er den
                      dose) heimgegangen. Vom 03. August                  Einsatz vorzeitig wieder abbrechen. In
                      bis 07. November 2003 war Sören                     ihrem Abmeldebogen hat Ingrid Schatz
                      Volontär von Dienste in Israel. In sei-             damals folgendes festgehalten: „Sören
                      ner Referenz für Sören hat sein Pastor              fand in Petach Tikvah einen guten Platz
                      Joachim Gnep einst u. a. geschrieben:               für sich. Sowohl von der Arbeitsbelas-
                      „In meinen Begegnungen mit Sören                    tung als auch von seiner Krankheit her
                      fiel mir schnell seine offene, gelassene            fand er dort optimale Bedingungen.
                      und sehr positive Art auf. Dies beein-              Er hat zu einer guten Stimmung in der
                      druckte mich angesichts der großen                  WG beigetragen und arbeitete verant-
                      gesundheitlichen Herausforderungen,                 wortlich und engagiert. Leider hat sich
                      denen er sich stellen musste und muss,              das Klima in Israel negativ auf seine      Sören Altmann
                      umso mehr. Sören ist sehr mutig und                 körperliche Verfassung ausgewirkt und
                      offensiv im Umgang mit seiner Krank-                auch die ärztliche Betreuung war nicht     Familie und Freunde im Rahmen einer
                      heit. Ich kann Sörens lang gehegten                 ausreichend, sodass er viel früher als     bewegenden Trauerfeier am 26. Januar
                      Wunsch, als Volontär in Israel zu                   geplant aufhören musste.“ Mit großer       2010 in Oldenburg von Sören Abschied
                      dienen, sehr gut nachvollziehen. Ich                Traurigkeit, aber auch großem Res-         genommen.
                      wünsche ihm von Herzen, dass dieser                 pekt und großer Dankbarkeit haben

                      Info- und Gebetsbrief                               Verlobt haben sich ...
                      Der Info- und Gebetsbrief von Dienste               l Esther van de Beek & Chanan
                                                                                                                                    DiI-Online
                      in Israel erscheint 3-4 mal im Jahr und                Raguse am 20.12.2009
                      wird auf Wunsch zugeschickt (siehe                  l Arlett Maurer & Martin Lange am
                                                                                                                        www.dienste-in-israel.de
                      Coupon). Wer ihn per E-Mail erhalten                   24.12.2009
                      möchte, möge sich bitte selbst online               l Inge Lederer & Simon Brüchner am
                      anmelden: www.dienste-in-israel.de/                    27.02.2010
                      publikationen                                       l Miriam Heinze & Simeon Rau am
                                                                                                                              Scholarship-Fonds
                                                                             08.03.2010
                      Hebräisch-Intensivkurs                                                                         Aus dem sog. Scholarship-Fonds werden
                      Datum: 03.-11. Juli 2010                            Geheiratet haben ...                       Volontäre unterstützt, die ansonsten aus
                      Ort: Stephansstift Hannover                         l Florence Andrick & Johannes             finanziellen Gründen einen Versöhnungs-
                      Leitung: Moti Argaman & Esther Ullrich                 Schulze am 05.03.2010 in Celle          dienst in Israel nicht machen könnten.
                      Anmeldung: Online oder in der                       l Imke Heddinga & Richard Praeto-         Die dafür zur Verfügung stehenden Mit-
                      Geschäftsstelle                                        rius am 10.04.2010 in der Luther-       tel sind nahezu aufgebraucht. Wer hilft,
                                                                                                                     diesen „Topf“ wieder zu füllen? Stichwort:
                                                                             stadt Wittenberg                        Scholarship-Fonds
                      Handreichung Israelsonntag
                      Die Handreichung für den diesjährigen               Geboren wurden ...
                      Israelsonntag hat Prof. Dr. Christoph               l Luca Simeon Bauer am 26.12.2009
                      Stenschke, Dozent der Biblisch-Theo-                   (Eltern: Susanne und Thomas)                           Impressum
                      logischen Akademie, Forum Wiedenest,                l Tziona Eden Tischer am 02.03.2010
                      verfasst. Download: www.dienste-in-                    (Eltern: Hanna und Jan-André)           Das Brückenbauer-Magazin von Dienste in
                      israel.de/publikationen/download                                                               Israel erscheint zweimal jährlich.
                                                                          Herzlichen Glückwunsch – mazal tov!        Verantwortlich für den Inhalt: Ralph Zintarra
                                                                                                                     Erscheinungsdatum: 18. April 2010
                                                                                                                     Kontaktadresse: Diakoniewerk Kirchröder
                                                     Co u po n                                                       Turm e.V., Dienste in Israel,
                                                                                                                     Kirchröder Straße 46, 30559 Hannover
                                                                                                                     Tel.: (05 11) 9 54 98 60, Fax: (05 11) 9 54 98 66
         Bitte schicken Sie mir ...                                                Wir sind interessiert, das        E-Mail: info@dienste-in-israel.de
                                                                                   Anliegen und die Arbeit von       Internet: www.dienste-in-israel.de
                    DVD „Die Brückenbauer“                                         Dienste in Israel in unserer      Spenden erbitten wir auf das Konto:
         ___ Exemplare Info-Flyer                                                  Kirche/Gemeinde vorzustellen      Dienste in Israel bei der Spar- und Kreditbank
                                                                                                                     Bad Homburg (BLZ 500 921 00), Konto-Nr.
                                                                                   Wir möchten regelmäßig den
         ___ Exemplare Brückenbauer-Magazin                                                                          300 373. Bitte NAME und ANSCHRIFT
                                                                                   Info- und Gebetsbrief per         auf dem Überweisungsträger notieren!
         ___ Exemplare Handreichung „Juden & Christen“                             Post erhalten                     Layout, Satz:
                                                                                                                     Oncken Verlag Kassel, www.oncken.de

         Name                                                Straße                                                  Druck: Grafische Werkstatt von 1980 GmbH,
                                                                                                                     34123 Kassel
         PLZ                        Ort
                                                                                                                 

                   VIII an: Dienste in Israel, Kirchröder Straße 46, 30559 Hannover,
         Bitte absenden                                                                                                                  Brückenbauer-Magazin Nr. 94
         Fax: (05 11) 9 54 98 66, E-Mail: info@dienste-in-israel.de
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