Luzerner Tagung zum Sozialhilferecht - Relevante Änderungen für die Sozialhilfepraxis: Gesetzgebung, Rechtsprechung und SKOS-Richtlinien
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Luzerner Tagung zum Sozialhilferecht Relevante Änderungen für die Sozialhilfepraxis: Gesetzgebung, Rechtsprechung und SKOS-Richtlinien Donnerstag, 22. Oktober 2020 Aktuelle Rechtsetzung und Rechtsprechung zur Sozialhilfe: Eine Tour d’Horizon Peter Mösch Payot, lic. iur. LL.M., Nonprofit Manager NDS FH, Dozent und Projektleiter, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
Aktuelle Rechtsetzung und Rechtsprechung zur Sozialhilfe: Eine Tour d’Horizon Prof. Peter Mösch Payot Dozent und Projektleiter, Hochschule Luzern – Soziale Arbeit Prof. Peter Mösch Payot (lic. iur LL.M., manager nonprofit FH) war als Richter, jur. Projektleiter und als Jurist in einer Anwaltskanzlei tätig. Seit 2001 unterrichtet und forscht er für die HSLU und publiziert seit 2002 regelmässig zu Rechtsfragen im Sozialbereich, so als Redaktor für Sozialhilferecht für weblaw.ch. Er ist Experte für Sozialversicherungsrecht und Sozialhilferecht für sozialinfo.ch bzw. den SVBB. Er unterstützt seit mehr als 15 Jahren Fachpersonen, Einrichtungen, Verbände, Sozialdienste und Gemeinwesen bei juristischen/sozialrechtlichen Fragestellungen. Er ist als Experte Mitglied der Sozialhilfebehörde der Stadt Bern. Peter Mösch Payot ist Vater von zwei Kindern und wohnt in Bern.
Neue Gesetze und neue Urteile für die Sozialhilfe: eine Tour d’Horizon Prof. Peter Mösch Payot, lic. iur. LL.M. Mitglied Sozialhilfebehörde Stadt Bern, Dozent Hochschule Luzern Peter.moesch@hslu.ch Luzern
Übersicht Teil A: Neue Gesetze und und Gesetzesvorhaben im Bundesrecht rund um die Sozialhilfe (ab 2021) Teil B: Ausgewählte Änderungen in kant. Sozialhilfegesetzen (beschlossen 2020 und in Vorbereitung) Teil C: Eine Tour d’Horizon durch die Recht- sprechung (2019/2020) Teil D: Schlussbemerkungen Folie 2, 21. Oktober 2020
Teil A: Neues Gesetze und Gesetzesvorhaben im Bundesrecht rund um die Sozialhilfe Folie 3, 21. Oktober 2020
Überblick und Ausblick über die Rechtsetzung Änderungen der Rechtsgrundlagen bezüglich der der Sozialhilfe vorgehender Ansprüche Neuerungen im ELG (ab 1.1.2021) Bessere Absicherung für ältere Arbeitslose Beibehaltung BVG-Schutz (ab 1.1.2021) Überbrückungsleistungen für Arbeitslose (ab 1.1.2021) Neuerungen im IVG (Gesetzesrevision ab 1.1.2022) Änderungen im Ausländerrecht mit Blick auf Sozialhilfeansprüche von AusländerInnen Folie 4, 21. Oktober 2020
. Neues ELG und Sozialhilfe: Was bleibt gleich? A. Persönliche Voraussetzungen (Art. 4 ELG) - 1.1 Grundanspruch aus AHV oder IV - 1.2 Wohnsitz UND Aufenthalt - 1.3 Karenzfrist (bei AusländerInnen ausserhalb FZA) plus B. Wirtschaftliche Voraussetzungen – EL-Bedarf - 2.1 Neu: Vermögensschwelle - 2.2 Anerkannte Ausgaben für Lebensbedarf - 2.2.1 Wohnen zu Hause - 2.2.2 HeimbewohnerInnen - 2.3 Besondere Krankheits- und Behinderungskosten abzüglich - 2.4 Anrechenbare Einnahmen, inkl. Vermögensverzehr ---------------------------------------------------------------------------- C. (Mindest-)Anspruch und Vollzug Folie 5, 21. Oktober 2020
Neues ELG und Sozialhilfe: Was wird neu? I Persönliche Voraussetzungen: Aufenthalt im Ausland und Unterbruch Karenzfrist Neu: Vermögensschwelle Anerkannte Ausgaben: Kürzung Lebensbedarf von Kindern unter 11 Jahren, aber Berücksichtigung von bestimmten ext. Kinderbetreuungskosten Erhöhung Mietzinsmaxima und Erhöhung Rollstuhlzuschlag, neue Berechnung in Mehrpersonenhaushalten Änderungen Heimrechnung Nur noch effektive KK-Prämien, maximal Durchschnittsprämie Folie 6, 21. Oktober 2020
Neues ELG und Sozialhilfe: Was wird neu? II Anrechenbare Einnahmen: Verstärkte Anrechnung Erwerbseinkommen Ehegatten (80% statt 2/3) Verstärkte Vermögensanrechnung Weiteres: Senkung EL-Mindesthöhe Rückerstattung aus dem Nachlass Frist für Verfahren und Vorschuss Übergangsbestimmungen Folie 7, 21. Oktober 2020
Neues ELG und Sozialhilfe: Jetzt wichtig für die Praxis EL-Anträge (auch Revision, wo Bedarf höher) noch dieses Jahr mit Blick auf Vergleichsrechnung!!! Konkretisierung in Weisung Übergangsbestimmungen beachten Für Vertiefung: - https://www.hslu.ch/de-ch/soziale- arbeit/agenda/einblicke/archiv-einblicke/ - Broschüre Procap zu Revision ELG (Auf Homepage Procap) - Seminarien EL der HSLU, siehe https://www.hslu.ch/de-ch/soziale- arbeit/weiterbildung/studienprogramm/fachseminare/ansprueche-auf- ergaenzungsleistungen/ Folie 8, 21. Oktober 2020
2. Änderungen im IVG: Vorschau (ab 1.1.2022) Stufenloses Rentensystem Gewisse Erweiterungen von Eingliederungsmassnahmen und für die Frühintervention, insb. für junge Erwachsene Gewisse Kürzungen der Taggelder für junge Erwachsene UVG-Absicherung bei Eingliederungsmassnahmen Wichtig für die Praxis Koordinationsbedarf Eingliederungsmassnahmen Klärung des Vorgehens bei Wechsel auf stufenloses Rentensystem, ev. Revision prüfen Folie 6, 21. Oktober 2020
3. Bessere Absicherung ältere Arbeitslose Folie 6, 21. Oktober 2020
Bessere Absicherung ältere Arbeitslose: Bisherige Regelungen BVG Hintergrund: Arbeitsmarktliche Probleme für ältere Arbeitnehmende Geltendes Recht Je nach Reglement der PK: Versicherte, die aus der obligatorischen Versicherung austreten, kann die Vorsorge oder bloss die Altersvorsorge im bisherigen Umfang bei derselben Vorsorgeeinrichtung weiterführen. Sonst bei der Auffangeinrichtung (Art. 47 BVG) Freiwillige Lösungen werde von PK kaum angeboten. Nach Entlassung häufig Kapital auf Freizügigkeitskonto; Verlust von Vorsorgeschutz durch Rente Folie 11, 21. Oktober 2020
Bessere Absicherung ältere Arbeitslose: BVG Personen über 58 Jahren, deren Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber beendet wurde, können die BVG-Versicherung bei der bisherigen Vorsorgeeinrichtung weiterführen (Art. 47a BVG) Weiterführen für die Risiken Tod und Invalidität, auch Altersvorsorge möglich Bzgl. Ansprüchen Gleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmenden Bei Weiterführung von mehr als zwei Jahren: Nur Rentenbezug (ausser Reglement enthält Kapitalklausel) und kein Vorbezug für Wohneigentum PK-Reglement kann vorsehen: Weiterführung ab 55 Jahre Möglichkeit der Versicherung von Teillohn Folie 12, 21. Oktober 2020
Neu: Überbrückungsleistungen für Arbeitslose ab 60 (ab 2021) Voraussetzungen für Anspruch auf Überbrückungsleistungen Aussteuerung nach vollendetem 60. Altersjahr; 20 AHV-Beitragsjahre, mind. fünf davon nach dem 50. Altersjahr mit mehr als dem dem jährlichem Mindestlohn BVG; Kein Anspruch auf AHV-oder IV-Rente; Vermögen unter Fr. 50‘000 resp. Fr. 100‘000; Anspruch endet mit dem Vorbezug der Altersrente, wenn ein EL- Anspruch absehbar ist Folie 13, 21. Oktober 2020
Neu: Überbrückungsleistungen für Arbeitslose ab 60 (ab 2021) Bemessung - Bedarfsleistung: Berechnung orientiert sich am System der Ergänzungsleistungen. - Begrenzung auf das 2,25-fache des Betrages für den allgemeinen Lebensbedarf gemäss EL - Also: Alleinstehende: 43'762 Franken/Jahr (19'450 x 2,25); Paar / Person mit Kind: 65'644 Franken/Jahr (29'175 x 2,25) Weiteres: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/ unter: Soziale Absicherung und Integration/Überbrückungsleistungen Folie 14, 21. Oktober 2020
4. Änderungen Ausländerrecht mit Blick auf Sozialhilfeanspruch Folie 6, 21. Oktober 2020
AIG und Beschränkung Sozialhilfe für Angehörige aus Staaten ausserhalb der FZA-Staaten I Hintergrund Personen aus Nicht-FZA-Staaten, nicht (mehr) Asylsuchende, nicht anerkannte Flüchtlinge; ca. 60000 Personen; 17% der BezügerInnen) Vorläufig aufgenommene AusländerInnen nur mit reduzierte Sozialhilfe (Art. 86 AIG) Kantonale Vielfalt der konkreten Ansätze Sozialhilfe für AusländerInnen aus Drittstaaten soll weiter eingeschränkt werden: Überwiesenes Postulat mit Prüfauftrag an Bundesrat: Frage der Bundeskompetenz Januar 2020: Beschluss Bundesrat Verschärfungen vorzunehmen und drei Gesetzesänderungen vorzubereiten Folie 8, 21. Oktober 2020
AIG und Beschränkung Sozialhilfe für Angehörige aus Staaten ausserhalb der FZA-Staaten II Unmittelbare Vollzugsmassnahmen, insb. Verlängerung von B-Bewilligungen von Drittstaatsangehörigen mit erheblichem SH-Bezug nur noch mit Zustimmung des Staatssekretariat für Migration (SEM) Empfehlungen für einen einheitlichen Begriff der Sozialhilfekosten bei der Anordnung von ausländerrechtlichen Massnahmen in Vorbereitung Drei Gesetzesänderungen in Vorbereitung Niederlassungsbewilligung (C-Bewilligung) bei Sozialhilfebezug erleichtert widerrufbar Sozialhilfe von Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung (B-Bewilligung) in den ersten 3 Jahren ihres Aufenthalts eingeschränkt Erteilung einer B-Bewilligung an vorläufig Aufgenommene nur noch bei Vorliegen verschärfter Integrationsvoraussetzungen Folie 8, 21. Oktober 2020
Teil B: Ausgewählte (vorgesehene) Änderungen in kantonalen Sozialhilfegesetzen Thema eins: Rechtsgrundlagen für Observation Thema zwei: Neue Differenzierung des Grundbedarfs Folie 3, 21. Oktober 2020
1. Rechtsgrundlagen für Observation Thema eins: Rechtsgrundlagen für Observation Thema zwei: Neue Differenzierung des Grundbedarfs Folie 6, 21. Oktober 2020
Thema eins: Rechtsgrundlagen für Observation (1) Hintergrund Verdeckte Ermittlung benötigt explizite gesetzliche Grundlage (was, wer, warum, in welchen Fällen, durch wen angeordnet…); Urteil des EGMR Vukota Bojic vom Herbst 2016 und Bger 9C_806/2016 Folge: Norm für Sozialversicherungen (Art. 43a und Art. 43b ATSG und Art. 7h und Art. 7i ATSV) In einzelnen Kantonen bestehen bereits seit einigen Jahren genügende gesetzliche Grundlagen Kanton Bern (Art. 19a, Art. 50a bis 50g SHG BE; Art. 23a bis 23d SHV BE) Kanton Basellandschaft (§ 41a SHG BL; § 32a SHV BL) Folie 20, 21. Oktober 2020
Thema eins: Rechtsgrundlagen für Observation (2) Vereinzelt Schaffung von Rechtsgrundlagen für Obser- vation/verdeckte Ermittlung Insb. Aargau, Thurgau und Zürich Streitfragen der Ausgestaltung Voraussetzung für Anordnung Genehmigungsinstanz Qualität der Stelle/Person, welche Observation macht Nutzen für Bekämpfung Missbrauch umstritten Folie 21, 21. Oktober 2020
2. Rechtsgrundlagen für neue Kriterien zur Differenzierung des Grundbedarfs Folie 6, 21. Oktober 2020
Thema zwei: Neue Kriterien für Bemessung der Hilfe (1) Hintergrund Politische Agenda eines Teils der Politik Nach einigen Jahren der Diskussion Reaktion auf Missbrauchsdiskussion Soziales Existenzminimum nach SKoS-RL ist zu hoch, SH-BezügerInnen haben zu viel Diverse Vorstösse/Änderungen für Senkung des sozialen Existenzminimums (insb. Grundbedarf) SHG Luzern (§ 9 SHV): 85%/90% des GB, wenn noch 1.5 Jahre in CH erwerbstätig, mit Ausnahmen (bestimmte Alleinerziehende etc.) Revision des SHG Bern mit gleicher Stossrichtung nach Referendum abgelehnt vom Berner Volk am 19.5.2019 nach intensiver Debatte Folie 23, 21. Oktober 2020
Thema zwei: Neue Kriterien für Bemessung der Hilfe (2) Revisionsprojekt SPG Kanton Basellandschaft Kontext: Diverse Vorstösse; u.a Motion von 2017: Erhebliche Kürzung des Existenzminimums (mind. 30%) für alle. Mehr nur für Integrationswillige Vorlage des Regierungsrates BL 2020: Komplexes Stufensystem bei Beginn (sechs Monate) und bei Pflichtverletzung CHF 690 bei Pflichterfüllung, Antrag möglich CHF 887 bei Erwerbstätige, und Programmbesuch CHF 1085 bei «vulnerablen» Gruppen (Kinder, Mütter mit Kindern unter 4 Monaten, Personen über 55, Attestierte Arbeitsunfähigkeit, Personen, die während 20 Jahren erwerbstätig) CHF 986 bei langjährigem Bezug von «Arbeitsmarktfähigen» CHF 937 Verstärkung Arbeitsintegration (Assessement, Föderung etc.) Höherer Vermögensfreibetrag für Personen über 55 Vernehmlassung kritisch: Komplexität, Sachliche Differenzierung? Folie 24, 21. Oktober 2020
Thema zwei: Neue Kriterien für Bemessung der Hilfe (3) Revisionsprojekt SPG Kanton Aargau Seit 2018 in Kraft: Anreizmöglichkeiten (SKoS-System) und Erweiterungen von Weisungsmöglichkeiten/Sanktion Hängig: Zwei an den Regierungsrat vom Parlament überwiesene Motionen Grundbedarf knüpfen an Anzahl Steuerjahre sowie Anzahl AHV- Beitragsjahre = weniger Sozialhilfe für junge Erwachsene oder Personen, die noch nicht lange in der Schweiz steuerpflichtig/AHV-pflichtig sind. Erhebliche Kürzung des Existenzminimums (mind. 30%) für alle. Ergänzen um Motivationsentschädigung für Integrationswillige, motivierte und engagierte Personen In Vorbereitung: Analyse vor einer allfälligen Gesetzesreformvorlage Folie 25, 21. Oktober 2020
Teil C: Eine Tour d’Horizon durch die Rechtsprechung Folie 26, 21. Oktober 2020
1. Bedeutung der Rechsprechung in der Sozialhilfe Grundlagen der Rechtsprechung Unterschiedliche Dichte in der kantonalen Gesetzgebung Häufig ist die Bemessung direkt oder indirekt gebunden an die SKoS-Richtlinien Für einen Teil der Fragen (Beweiswürdigung etc.; Sil) erhebliches Ermessen für kommunale Entscheidungsträger In den Kantonen in der Regel volle Kognition (Art. 110 BGG); Bundesgericht nur mit Willkürkognition Grundrechte Nothilfe Erhebliche Verfahrensfehler Bundesgericht mit sehr vielen Nichteintretensentscheiden Unterschiedliche Kulturen der kantonalen Rechtsprechung Folie 27, 21. Oktober 2020
2. Aktuelle Rechtsprechung Bezugspunkte: 2.1 Zuständigkeit 2.2 Anspruch auf Nothilfe 2.3 Materielle Anspruchsvoraussetzungen WSH und Bemessung 2.4. Auflagen/Weisungen/Sanktionen/Einstellung 2.5. Unrechtmässiger Bezug als Strafnorm Folie 28, 21. Oktober 2020
2.1 Zuständigkeit Folie 29, 21. Oktober 2020
Zuständigkeit bei Platzierung von Kindern Fall A: Bger 8C 833/2019 vom 17. Juni 2020 Ein Kind, dass aus einem betreuten Wohnen nach der Geburt bei einer Pflegefamilie fremdplatziert wird, hat dort einen eigenständigen Wohnsitz (Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG). Entscheidend ist, ob diese Platzierung als dauerhaft geplant war. Spätere Änderungen des Wohnsitzes der Mutter ändern nichts an diesem Wohnsitz Folgerungen Bger bestätigt Gesetz, Theorie und Praxis nach Art. 7 ZUG Kinder haben Wohnsitz, wo sie mit Elter/n wohnen Kinder haben eigenständigen Wohnsitz u.a. am letzten Ort, wo sie mit Eltern/teil wohnen, gewohnt haben bei einer dauerhaft gedachten Fremdplatzierung. Beweisproblem ex post Gute Dokumentation beschränkt Zuständigkeitsstreit Folie 30, 21. Oktober 2020
2.2 Anspruch auf Nothilfe Folie 31, 21. Oktober 2020
Nothilfe Fall B: Bger 8C_850/2018 vom 12. Juni 2019 Wer in der Lage wäre eine Arbeit anzunehmen und - abgesehen von seiner Geisteshaltung - keinerlei Gründe nennt, die es ihm faktisch verunmöglichen würden, ein existenzsicherndes Einkommen zu generieren, hat keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Auf ein Gesuch musste nicht eingetreten werden. Siehe auch Fall C: Bger 8C_451/2019 vom 19. August 2019 Wer trotz einer Auflage des Gemeinwesens, am Beschäftigungsprogramm mit Entschädigung in der Höhe der Nothilfe teilzunehmen, ohne Grund nicht teilnimmt, hat kein Anspruch auf Nothilfe. Fragen… Was bedeutet „in der Lage sein für sich zu sorgen?“ Wie kann jemand „nicht in Not sein“, wenn das Einkommen real gar nicht verfügbar ist? Geht es hier nicht eher um Rechtsmissbrauch? Praxis: Klar sind wohl nur die Fälle, wo Arbeit mit Lohn unmittelbar zur Verfügung steht. Folie 32, 21. Oktober 2020
2.3 Bemessung der Sozialhilfe Bedarf Anrechenbare Ausgaben Grundbedarf Gesundheitskosten Wohnkosten SiL IZU minus anrechenbare Einnahmen (abzgl. EFB) Z.B. Konkubinatsbeitrag/Haushaltsführungsentschädigung Folie 33, 21. Oktober 2020
Gerichtspraxis Konkubinat und Haushaltsführungsentschädigung Fall D: Urteil VG Bern vom 09.05.2019 - Berechnung des Konkubinatsbeitrags einer Partnerin/eines Partners mit IV-Rente: - Für Berechnung des erweiterten Existenzminimums ist Einkommensfreibetrag analog zu berücksichtigen - Grund Rechtsgleichheit mit erwerbstätiger Person Fall E: Urteil VG Bern vom 16.12.2019 - Annahme einer Einkommens- und Vermögenssituation, die eine Haushaltsführungsentschädigung von Personen im selben Haushalt ermöglicht, darf nicht ohne Weiteres angenommen werden, wenn Unterlagen fehlen - Untersuchungsmaxime, insb. wenn SozialhilfebezügerIn gar keine Möglichkeit hat, Unterlagen beizubringen Folie 34, 21. Oktober 2020
Gerichtspraxis Situationsbedingte Leistungen Fall F1: Urteil 8C_603/2018 vom 15. März 2019 Kein Anspruch auf Erhöhung der Nothilfe, wenn es an einem Arztbericht fehlt, der konkret ausführt, dass jemand für eine diabeteskonforme Ernährung einen speziellen Ernährungsplan mit bestimmten Lebensmitteln oder Spezialprodukten einhalten müsste, die besondere Mehrkosten auslösten. Fall F2: Urteil VG Zürich VB.2019.00292 vom 25.9.2019 Wird glaubhart dargestellt, dass jemand aus gesundheitlichen Gründen dringend auf die nicht krankenkassenpflichtige, aber fachärztlich verschriebene Hautcreme angewiesen ist, sind die Kosten zu übernehmen. Auch schon als vorsorgliche Massnahme. Folgerungen: - SiL-Kategorien und kant. Recht gut beachten bzgl. Rahmen von Ermessen. - Anträge, Begründung, Qualität von Arztzeugnissen sind entscheidet. Folie 35, 21. Oktober 2020
2.4 Auflagen und Weisungen/Sanktionen Folie 36, 21. Oktober 2020
Case: Allgemeine Auflagen Fall G: Urteil VB.2019.00662 des Verwaltungsgerichts Zürich vom 14.01.2020 Die allgemeine Auflage, alles zu unternehmen, um schnellstmöglich wirtschaftlich unabhängig zu sein, ist nicht genügend konkret, um allein gestützt darauf eine Kürzung zufolge Nichtteilnahme an einem nicht entlöhnten Beschäftigungsprogramm zu rechtfertigen (E. 4). Der Umstand, dass der Beschwerdeführer mitteilte, er werde künftig keinen persönlichen oder telefonischen Kontakt mehr zum Sozialdienst haben, sondern nur noch schriftlich kommunizieren, rechtfertigte vor allem deshalb keine Kürzung, weil die Kürzung gleich am darauffolgenden Tag erging, und der Beschwerdeführer - soweit ersichtlich - weder dazu angehört noch ihm die Möglichkeit gegeben wurde, seine Äusserung zu überdenken bzw. sich entsprechend zu verhalten Folgerungen Auflagen/Pflichten müssen hinreichend individuell und konkret sein Rechtliches Gehör und im Zweifel Mahnung sind als Ausdruck von Treu und Glauben zu beachten Folie 37, 21. Oktober 2020
Neue Norm im SHG ZH: Abstrakte Normenkontrolle Fall H: BGE 146 I 62 § 21 Abs. 2 SHG/ZH, wonach sozialhilferechtliche Auflagen und Weisungen nicht selbstständig anfechtbar sind, verletzt - vorbehältlich allfälliger besonders gelagerter Einzelfälle - kein Bundesrecht. Insb. nicht die Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV Folgerungen Bger bestätigt weiten Spielraum kant. Gesetzgeber Auflagen als Zwischenentscheide, die selbständig anfechtbar sind (insb. in anderen Kantonen), wenn nicht wiedergutzumachender Nachteil droht Umstritten bleibt: Was ist nicht wiedergutzumachender Nachteil Folie 38, 21. Oktober 2020
2.5 Strafnorm unrechtmässiger Leistungsbezug Folie 39, 21. Oktober 2020
Neue Norm im SHG ZH: Abstrakte Normenkontrolle Fall I: Urteil 6B_1033/2019 vom 4. Dezember 2019 Unrechtmässiger Bezug nach Art. 148a StGB kann auch verwirklicht werden durch blosses Verschweigen von relevanten Tatsachen. Weil Art. 148a StGB ein Vorsatzdelikt ist, ist dafür aber das individuelle Wissen um Bestand und Umfang der Meldepflicht sowie den tatsächlichen Täuschungswillen Voraussetzung. Fahrlässige Verletzung einer Meldepflicht sind nicht erfasst. Folgerungen Transparenz bzgl. Rechten und Pflichte gegenüber Kl. wichtig Klare, verständliche Informationen im Intake und danach Regelmässiger Kontakt und persönliche Hilfe vermeidet unrechtmässiger Bezug Generell: wegen erheblichen Rechtsfolgen mgl. Strafanzeige immer im Kontext anderer Reaktionsvarianten prüfen Folie 40, 21. Oktober 2020
Teil D: Schlussbemerkungen Folie 41, 21. Oktober 2020
Schlussbemerkungen Rechtsprechung und Sozialhilfepraxis (1) Zuständigkeitsfragen Rechtliche Kriterien häufig schwierig festzustellen Sachverhaltsabklärung anspruchsvoll; Instrumente prüfen Nothilfe: Zickzackkurs des Bundesgerichts Was heisst «in der Lage sein für sich zu sorgen»? Folie 42, 21. Oktober 2020
Schlussbemerkungen Rechtsprechung und Sozialhilfepraxis (2) Weisungen und Sanktionen Individuell-konkrete Gestaltung von Weisungen Anwendung Verhältnismässigkeit notwendig für Weisungen und Sanktionierung (ev. Ob und wie viel wie lange) Verfahrensregeln beachten (Sachverhaltsabklärung und Beweiswürdigung; Rechtliches Gehör) Know-How aufbauen und Verfahrenswissen sichern Konkubinatsbeitrag/Haushaltsführungsentschädigung Bundesgericht schützt strenge Anwendung Praxis uneinheitlich, einzelne bemerkenswerte Urteile unterer Instanzen; SKoS-RL bleiben teilweise fragwürdig: Reformbedarf Anwendung mit Augenmass und individualisiert Folie 43, 21. Oktober 2020
Schlussbemerkungen Rechtsentwicklung und Sozialhilfepraxis (1) ELG-Reform bringt zum Teil Abbau von EL-Ansprüchen Unmittelbar: Unbedingt Anmeldung prüfen Nach Ablauf Besitzstand mehr Invalide und ältere Betreuungsbedürftige zu erwarten, auch in stationären Einrichtungen Umgang mit Verzichtseinkommen und –vermögen in der SH wird wohl wieder aufflammen Neuen Überbrückungsleistungen: gewisse Verbesserungen des Schutzes älterer Arbeitsloser SH: konsequent Ansprüche prüfen Folie 44, 21. Oktober 2020
Schlussbemerkungen Rechtsentwicklung und Sozialhilfepraxis (2) IVG-Reform Fragen der Koordination mit neuen/erweiterten Eingliederungsmöglichkeiten, insb. auch bei Jugendlichen Stufenloses Rentensystem verlangt noch genauere Prüfung der Vorbescheide Folie 45, 21. Oktober 2020
Schlussbemerkungen Rechtsentwicklung und Sozialhilfepraxis (3) Kantonale SH-Reformen, insb. in BL und AG / Weitere Reformen des Bundes bzgl. Ansprüchen für vorläufig Aufgenommene Zum Teil Diskussionen zur Abkehr vom sozialen Existenzminimum, z.T. auch vom Bedarfsprinzip Grundfragen der sachlichen Kriterien für Ungleichbehandlung im Lichte von Art. 8 BV und diversen internationalen Abkommen Steht bald eher im Fokus das Wie der Verbesserung der Lage von Armutsbetroffenen? das Wie von Massnahmen zur Beratung und Integration? die Kosten für ambulante und stationäre Massnahmen aller Art? Folie 46, 21. Oktober 2020
Weitere Hinweise zur aktuellen Rechtsprechung - Entscheiddatenbank: www.sozialhilferecht.weblaw.ch - Z.B. für den Kanton ZH: www.sozialhilfe.zh.ch - Infos zu kantonaler Rechtsprechung auch bei kantonalen Sozialdiensten Kontakt für Beratung und Workshops: peter.moesch@hslu.ch Folie 47, 21. Oktober 2020
Sie können auch lesen