Maßnahmen für eine tierversuchsfreie Forschung - Von der Reduktion bis zum Ausstieg - Menschen ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Inhalt Reduktionsstrategie als Einstieg in den Ausstieg aus dem Tierversuch nutzen ......................................................... 3 Koalitionsvertrag verspricht Reduktionsstrategie ......................................................................................................... 4 Vorbild Niederlande .......................................................................................................................................................... 4 Interdisziplinäre Ansätze fördern .................................................................................................................................... 4 Verbreitung von tierversuchsfreien Methoden überwachen ....................................................................................... 5 Nötig: neuer Ansatz zur Risikobewertung ...................................................................................................................... 5 Wichtig: bessere Kommunikationsstrukturen ................................................................................................................ 6 Kompetenzzentrum als Koordinationsstelle .................................................................................................................. 6 Finanzierung für tierversuchsfreie Verfahren aufstocken ............................................................................................ 7 Tierschutzrecht besser umsetzen .................................................................................................................................... 7 Gerichtsfeste Negativ-Liste einführen ............................................................................................................................ 7 Tierfreie Methoden nach Dringlichkeit entwickeln ....................................................................................................... 8 Teststrategien für Giftigkeitsprüfungen ......................................................................................................................... 8 Allianz zur Beschleunigung der Validierung ................................................................................................................... 9 10-Jahres-Pläne für die angewandte/translationale Forschung ................................................................................... 9 Tierfreies Studieren ermöglichen .................................................................................................................................. 10 Attraktive Studiengänge einrichten .............................................................................................................................. 10 Positivbeispiel Saarland .................................................................................................................................................. 10 Die Tür zum Ausstieg aufstoßen .................................................................................................................................... 11 Quellen ............................................................................................................................................................................. 11 Titelfoto: Adobe Stock/Kzenon, Grafik: Alexa Binnewies 2
Die Maus ist das mit Abstand am häufigsten verwendete Versuchstier. Foto: Pixabay/Tibor Janosi Mozes Reduktionsstrategie als Einstieg in den Ausstieg aus dem Tierversuch nutzen Der Bundesverband Menschen für Tierrechte verfolgt seit seiner Gründung 1982 konsequent den Ausstieg aus dem Tierversuch und den Einsatz tierversuchsfreier, humanspezifischer Methoden. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Tierversuche mithilfe einer Strategie reduzieren zu wollen. Um die angekündigte Reduktionsstrategie so effektiv wie möglich auszugestalten, stellt der Bundesverband mit dieser Broschüre kon- krete Vorschläge und Maßnahmen vor. Ziel ist, die angekündigte Reduktionsstrategie zum Einstieg in den perspektivischen Ausstieg aus dem Tierversuch zu nutzen. Dies ist keine weltfremde Vision. Die begrenzte Aussagefähigkeit der publizierten tierexpe- rimentellen Forschungsergebnisse ist mittlerweile auch in der Wissenschaft anerkannt. Es gibt immer mehr seriöse Untersuchungen, die das fundiert belegen.(1,2,3) Viele renommier- te Wissenschaftler:innen sehen den Tierversuch nicht nur aus ethischen, sondern auch aus wissenschaftlichen und methodischen Gründen kritisch. Die Problematik der Tierversuche ist nichtsdestotrotz hochkomplex. Der Ersatz von Tierversuchen ist je nach Forschungsgebiet mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Zudem sind – trotz bestehender und eindeutiger Gesetzeslage – Implementierungsprobleme vorhanden. Mit der Ausarbeitung der Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere hatten die EU-Mitgliedstaaten schon 2010 vereinbart, Verfahren mit lebenden Tieren für wissen- schaftliche Zwecke und Bildungszwecke vollständig zu ersetzen, sobald dies wissenschaftlich möglich ist.(4) 3
Koalitionsvertrag verspricht Reduktionsstrategie Im September 2021 forderte das EU-Parlament in einem historischen Entschließungsantrag die EU-Kommission auf, einen EU-weiten Aktionsplan für einen Ausstieg aus dem Tierversuch aufzustellen. Die deutschen Grünen und die SPD sahen in ihren Wahlprogrammen zur Bundestags- wahl den Ausstieg aus dem Tierversuch vor. Letztendlich wurde aus dem anvisierten Ausstiegsplan im aktuellen Ampel-Koalitionsvertrag eine Reduktionsstrategie. Die aktuelle Bundesregierung, bestehend aus Sozialdemo- kraten, Grünen und Liberaldemokraten, hat sich ganz eindeutig für eine Reduzierung von Tierversuchen ausge- sprochen. Auf Seite 44 des Koalitionsvertrages heißt es dazu(5): ... Wir legen eine Reduktionsstrategie zu Tierversuchen vor. Wir verstärken die Forschung zu Alternativen, ihre Umsetzung in die Praxis und etablieren ein ressortübergreifendes Viele wissenschaftliche Fragestellungen können auf Kompetenznetzwerk... Basis von Zell- und Gewebekultur-Verfahren beant- wortet werden. Hier werden Mikrotiterplatten mit Nährlösung für einen Versuch bestückt. Foto: Sandy Mosig und Knut Rennert Vorbild Niederlande Es lohnt sich ein Blick in die Nachbarstaaten: Die Niederlande legten 2016 als erster EU-Mit- gliedsstaat ein Ausstiegskonzept vor, das im Prinzip eine schrittweise Reduktionsstrategie ist und sehr gut als Vorlage für Deutschland dienen kann.(6) Das Konzept erfordert eine Über- gangsstrategie inklusive der Entwicklung von Meilensteinen sowie ein aktives Übergangsma- nagement. Aufgrund der mittlerweile existierenden Ausstiegskonzepte und der aktuellen Lage in Wissenschaft und Sicherheitsprüfung hat der Bundesverband Vorschläge für Maßnah- men erarbeitet, die kurz- und langfristig auf einen Ausstieg hinwirken könnten. Neben den Niederlanden entwickelten auch die USA und zuletzt Norwegen eigene Pläne, um zumindest in Teilbereichen das Ende der leidvollen Tierversuche einzuleiten.(7) Interdisziplinäre Ansätze fördern Der Paradigmenwechsel hin zu tierversuchsfreien Verfahren kann nur dann erreicht werden, wenn alle Stakeholder involviert sind. Unabdingbar ist beispielsweise die multidisziplinäre Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Zulassung von tierversuchsfreien Methoden. Ins- besondere Wissenschaftler:innen als planende und ausführende Personen müssen von der Entwicklung tierversuchsfreier Forschung einerseits überzeugt werden, auf der anderen Seite muss auch mit Nachdruck darauf hingewirkt werden, versuchstierfreie Verfahren auch tatsächlich anzuwenden. Bisher wird in der Genehmigungspraxis der Forschungsfreiheit mit wenigen Ausnahmen stets Vorrang gegenüber dem Tierschutz eingeräumt. 4
In-vitro-Methoden sind oft genauer, schneller und kostengünstiger als der Tierversuch. Foto: 123rf.com/wavebreakmediamicro Verbreitung von tierversuchsfreien Methoden überwachen Im Rahmen des Übergangs ist zudem eine effektive Überwachung und Bewertung der Re- duktion von Tierversuchen notwendig. Bislang gibt es lediglich die Veröffentlichungen der Tierversuchsstatistiken und deren Kommentierungen, die je nach politischem Lager variieren. Nötig wäre eine der Tierversuchsstatistik vergleichbare Überwachung und Bewertung der Verbreitung von tierversuchsfreien Methoden. Auf nationaler Ebene fehlt zudem eine breite Kommunikation von zentraler nationaler und/oder internationaler Stelle, beispielsweise mit den diversen 3R-Zentren, den genehmigenden Tierversuchskommissionen und der Öffentlich- keit. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) neu gegründete Bundes- netzwerk 3R könnte diese Funktionen übernehmen. Nötig: neuer Ansatz zur Risikobewertung Teilweise sind Tierversuche noch immer gesetzlich vorgeschrieben. Ohne Tests am Tier dürfen Produkte wie Chemikalien, Arzneimittel, Medizinprodukte, Pestizide und Biozide nicht zuge- lassen und vermarktet werden. Die Vorschriften resultieren u. a. aus der europäischen Chemi- kalienverordnung REACH, dem europäischen Arzneibuch (Pharmakopöe) oder den Regulato- rien für Pestizide und Biozide. Wir schließen uns in diesem Falle der Ansicht der Industrie an, eine internationale Zusammenarbeit für einen neuen Ansatz zur Risikobewertung zu forcie- ren. Wichtig wäre zum Beispiel die Beteiligung der klinischen Forschung bei angewandten/ translationalen Fragestellungen. Dazu sollte auch die verstärkte Nutzung von Humandaten gehören. Ohne digitalisierte Informationen über Erkrankungen können Wissenschaftler:innen kaum Vorhersagemodelle am Computer entwickeln. Auch die Nutzung von Patientenproben (Biopsien, Explantaten) aus Krankenhäusern für die klinische Forschung an menschlichen Ge- weben muss verstärkt werden. Diese könnten beispielsweise zum Abgleich (Aussagekraft des Tierversuchs) beziehungsweise zur Grundlagen- und angewandten Forschung herangezogen werden. 5
Beim sogenannten Pyrogentest werden die Kaninchen in kleinen Mit derartigen Mikrotiterplatten wird der In-vitro-Pyrogentest durch- Kästen fixiert. Dann wird ihnen die Testsubstanz in eine Ohrvene geführt. Enthält die Lösung fiebererzeugende Substanzen, kommt es injiziert. zu einem Farbumschlag. Dessen Intensität lässt sich präzise messen. Foto: iStockphoto/ unoL Foto: istockphoto/tonaquatic Wichtig: bessere Kommunikationsstrukturen Um ein Reduktionskonzept in dieser Legislaturperiode zu etablieren, muss zeitnah eine ressortübergreifende Management- und Implementierungsgruppe sowie eine strategische Kommunikationsgruppe ernannt werden, die insbesondere die Kommunikation mit den 3R-Zentren, den genehmigenden Behörden, beratenden Kommissionen sowie der Öffentlich- keit übernimmt. Besondere Relevanz hat die Kommunikation, um Dopplungen von Tierversu- chen zu vermeiden. Für Ergebnisse, die mit Tierversuchen gewonnen wurden, ist zudem eine Datenbank nötig, deren Nutzung für alle Beteiligten verpflichtend ist. Nur so kann verhindert werden, dass der gleiche Versuch mehrfach durchgeführt wird. Bislang ist der Eintrag in der Datenbank „Animal Study Registry“ des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) freiwillig, ebenso wie die Nutzung. Die für die Genehmigung von Tierversuchen zuständigen Behörden haben keinen Zugang. Das muss sich ändern. Kompetenzzentrum als Koordinationsstelle Besonders für die strukturierte, umfassende Sammlung von Daten und deren Weiterverar- beitung bedarf es eines funktionsfähigen nationalen Kompetenzzentrums. Dieses muss allen Beteiligten (z. B. Antragstellern, Behörden, Kommissionen) kompetent Auskunft über bereits vorhandene NAMs (non-animal methods, tierleidfreie Verfahren) geben. Das Zentrum kann ebenso für Auskunft und Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit zuständig sein und als Anlaufstelle für Informations- und Fortbildungsveranstaltungen für alle Stakeholder dienen. Des Weiteren könnte das Kompetenzzentrum die Koordinierung eines Kriterienkatalogs zur Prüfung der vom Tierschutzgesetz geforderten Unerlässlichkeit und ethischen Vertretbarkeit eines Tierversuchs übernehmen. Damit würde es die Tierversuche genehmigenden Behörden unterstützen. Die Einführung einer gerichtsfesten Negativ-Liste von Versuchen, die aus ethi- schen Gründen nicht mehr durchgeführt werden dürfen (wie z. B. Aszites-Maus), ist dringend erforderlich. Das Kompetenzzentrum kann hier eine Tierversuchs-Negativliste erarbeiten und regelmäßig aktualisieren. 6
Tierfreier Test: Durch den Farbumschlag (rot) lassen sich z.B. Antigene Das charakteristisch rosa gefärbte Zellkulturmedium RPMI (benannt oder Antikörper nach durchgemachter Hepatitis B-Virusinfektion nach dem Roswell Park Memorial Institute, wo es in den 1960ern detektieren. entwickelt wurde) in einer 6-well Zellkulturplatte. Foto: iStock/Md Ariful Islam Foto: Adobe Stock/JCG Finanzierung für tierversuchsfreie Verfahren aufstocken Generell muss das Budget für NAMs drastisch aufgestockt werden. Die Verteilung der Gelder verläuft derzeit höchst diffus. Eine Möglichkeit wäre es, die Ausschreibung von Forschungs- förderungen mit dem konkreten Bedarf an noch fehlenden tierfreien Methoden zu verknüp- fen. Dazu ist ein spezieller Etat für Machbarkeits- und Prävalidierungsstudien nötig. Der vor- handene Etat reicht bei Weitem nicht aus. Es wäre daher sinnvoll, neben der nationalen und europäischen Förderung, auch mehr Kapital aus dem Unternehmenssektor in Deutschland bereitzustellen. Zudem unabdingbar ist auch die Aufstockung des Personals und der Ressour- cen der Prüfbehörden, damit die vorgeschriebene Prüfung von Tierversuchsanträgen und die Kontrolle der Einrichtungen gewährleistet werden können. Tierschutzrecht besser umsetzen Darüber hinaus müssen die Strukturen verbessert und bestehende Rechtsumsetzungen in der Praxis optimiert werden. Die Gründung einer Arbeitsgruppe zur Sicherstellung einer objektiven und einheitlichen Tierversuchsgenehmigung ist lange überfällig. Kriterien zur Abschätzung der Unerlässlichkeit eines Tierversuchs müssen einheitlich definiert werden, bei- spielsweise die zu nutzenden Datenbanken zur Recherche tierversuchsfreier Forschungs- und Lehrmethoden und die Kriterien zur objektiven Abwägung von Tierleid versus Forschungs- ergebnisse beziehungsweise Lernerfolg (Kosten-/Nutzenanalyse). Dringend benötigt werden auch einheitliche Kriterien zur Beurteilung des Schadens für die Tiere (Schmerzen, Leiden, Ängste). Diese Belastungen werden in den Forschungsanträgen häufig als zu leicht einge- schätzt. Gerichtsfeste Negativ-Liste einführen Um den realen Schweregrad und erfolglose Tierexperimente zu identifizieren, bedarf es einer rückblickenden Bewertung ALLER durchgeführten Tierversuche und die allgemeinverständ- liche und anonymisierte Veröffentlichung der Daten. Etablierte Gruppen, die die ethische 7
MRT-Beurteilung des Gehirns: Ein Großteil der seltenen Multi-Organ-Chipsystem von TissUse, Berlin Erkrankungen betrifft das Gehirn und das Nervensystem. Foto: Christiane Hohensee Foto: iStockphoto/RoBeDeRo Evaluierung thematisch verschiedener Tierversuchsbereiche vornehmen (beispielsweise Tier- versuche in der Alzheimerforschung, Parkinson oder Diabetes) können zu einer realistischeren Bewertung von Anträgen beitragen. Mithilfe von Meta-Analysen/ systematischen Reviews können Tierversuche mit einer mangelnden Erfolgsbilanz identifiziert, und ggfs. als nicht mehr unerlässlich eingestuft werden. Langfristiges Ziel ist die Einführung einer gerichtsfesten Negativ-Liste von Tierversuchen, die aus ethischen Gründen nicht mehr durchgeführt werden dürfen (wie z. B. solche mit der „Aszites“-Maus). Tierfreie Methoden nach Dringlichkeit entwickeln Besonders wichtig ist die Gründung einer Arbeitsgruppe zur Bedarfsidentifizierung, beste- hend aus Experten der Wissenschaft und Industrie. Ihre Aufgabe wird sein, eine Agenda für notwendige neue NAMs nach Dringlichkeit zu entwickeln. In dieser sollen beispielsweise die Forschungsbereiche ermittelt werden, in denen besonders viele Tiere eingesetzt werden. Als weiteres Auswahlkriterium bieten sich Bereiche an, in denen schwerbelastende Tierversuche durchgeführt werden oder solche, in denen Tierversuche bislang zu keinen wirksamen Thera- pien geführt haben. Teststrategien für Giftigkeitsprüfungen Giftigkeitsprüfungen bieten sich besonders für die gezielte Entwicklung konkreter NAMs und Teststrategien an, da hier greifbare Endpunkte geprüft werden. Es existieren zwar schon viele funktionierende Konzepte, diese müssten allerdings koordiniert weiterentwickelt werden. Ein Mangel herrscht allerdings bei anerkannten Ersatzverfahren für die Qualitätsprüfung von Produkten. Auch hier lohnt es sich, thematisch vorzugehen und die Bereiche zu identifizieren, in denen noch viele Tiere verwendet werden. Für die Sicherheitsprüfung gelten allerdings europäische Regelwerke. Die Bundesregierung sollte sich deshalb dafür einsetzen, dass auch der EU-Etat für die (Weiter-)Entwicklung dieser NAMs aufgestockt wird. 8
Ein oft vernachlässigter Belastungsfaktor sind die stark Nagetiere ohne Fell wie diese Nacktratte sind sind von vornherein für eingeschränketen, nicht artgemäßen Haltungsbedingungen. potenziell schwer-belastende Versuche „prädestiniert“. Zur Erforschung Foto: Adobe Stock/HYUNGKEUN von Krankheiten wie Krebs wurde gleichzeitig ihr Immunsystem manipuliert und herabgesetzt. Foto: istockphoto/fotojagodka Allianz zur Beschleunigung der Validierung Die Anerkennung neuer Verfahren ist ein staatenübergreifendes Thema und muss als solches behandelt werden. In dieser Legislatur kann die Politik eine Allianz auf europäischer Ebene bilden und gemeinsam darauf hinwirken, die Effektivität des Validierungsprozesses auf den Prüfstand zu stellen. Die USA sind hier bereits weiter: In einigen wegweisenden Veröffentli- chungen des NRC (National Research Council) und der NAS (National Academies of Sciences, Engineering and Medicine) wurden Möglichkeiten zur optimalen Integration und Nutzung der neuen Ergebnisse aus NAMs bei der Bewertung chemischer Risiken skizziert. Zwar sei die Validierung oder Prüfung in mehreren Labors derzeitige Praxis; inzwischen ist es jedoch herrschende Meinung, dass Ringversuche zu lange dauern und schwierig zu realisieren seien, wenn es sich bei der Entwicklung z. B. um geschützte Tests (Assay) handelt, ein ultrahoher Durchsatz notwendig ist oder spezielle Geräte oder Fachkenntnisse erforderlich sind.(8,9) In der Arzneimittelentwicklung wurden mittlerweile auch Daten, die aus neuen tierfreien Metho- den erzeugt worden sind, neben weiteren Informationen bei der Food and Drug Administra- tion eingereicht und akzeptiert.(10) Die Regierung sollte sich auch für den Ausbau des Etats der europäischen Validierungsbehörde ECVAM einsetzen. 10-Jahres-Pläne für die angewandte/translationale Forschung Für die angewandte beziehungsweise translationale Forschung sollten 10-Jahres-Pläne aufge- stellt werden, thematisch nach Forschungsgebieten gegliedert. Mit Krankheitsmodellen, bei- spielsweise in mikrofluidischen Systemen, müssen Tierversuche zumindest reduziert werden. Die komplexen Abläufe und Wechselwirkungen in einem Gesamtorganismus können derzeit zwar noch nicht komplett simuliert werden. Die Vorversuche sollten allerdings verpflichtend in der Zellkultur stattfinden, denn der Tierversuch darf gemäß der europäischen Tierversuchs- richtlinie nur die letzte Option sein. Die Ergebnisse sollten anschließend den Entwickler:innen von NAMs zur Verfügung stehen. 9
Frosch-Sektionsmodell mit realistischem, detaillier- tem Körper, abnehmbaren Organen und syntheti- schen Geweben. Foto: SynDaver Anatomiemodell für Tiermediziner und Biologen Foto: iStock/andresr Tierfreies Studieren ermöglichen Die Verwendung von Tieren in der Aus-, Fort- und Weiterbildung kann in den meisten Fällen durch tierfreie Methoden ersetzt werden. Bislang setzen viele Hochschulen allerdings noch immer Tiere ein, da teilweise humane Lehrmethoden nicht bekannt sind, der Aufwand zur Umstellung gescheut wird und der Druck zur Veränderung fehlt. Dies sind keine akzeptablen Gründe - im Gegenteil, es verstößt gegen das Prinzip der Unerlässlichkeit. Universitäten, die schon erfolgreich tierfreie Methoden anwenden, sind der Beleg, dass die ersetzten Versuche und Übungen an Tieren an anderen Universitäten nicht mehr zu billigen sind. Attraktive Studiengänge einrichten Eine Sofortmaßnahme der Bundesregierung könnte daher der Start einer allgemeinen Infor- mationskampagne zum Thema „Tierfreies Studieren“ sein. Zeitgleich sollten Tierversuche und der Einsatz tierfreier Methoden an Hochschulen einer Dokumentationspflicht unterzogen und diese Berichte zentral zugänglich gemacht werden. Dies kann einen belegbaren Über- blick über Tierversuche, Lernziele und Erfolge und damit eine Grundlage für das weitere Vor- gehen schaffen. Zudem sollten attraktive Studiengänge für tierversuchsfreie Methoden (wie z. B. Medizinische Biotechnologie an der TU Berlin) eingerichtet oder alternativ zusätzliches Lehrpersonal eingestellt und entsprechende Lehrangebote unterbreitet werden. Positivbeispiel Saarland Ein positives Beispiel ist das Saarland: Der Landtag beschloss im Februar 2022, dass Tierversu- che durch alternative Methoden mittelfristig ersetzt werden sollen.(8) Ferner soll an der Uni- versität eine koordinierende Stabsstelle „Tierversuchsfreie Forschung“ eingerichtet und mehr Vorlesungen zum Thema angeboten werden. Außerdem fördert die Saarländische Staatskanz- lei ein Forschungsprojekt zur Vermeidung von Tierversuchen im Bereich der Arzneimittel- und Chemikalienforschung mit über 350.000 Euro.(9) 10
Die Tür zum Ausstieg aufstoßen Der Bundesverband Menschen für Tierrechte wird sich weiter dafür einsetzen, dass die ange- kündigte Reduktionsstrategie der Einstieg in den perspektivischen Ausstieg aus dem Tierver- such wird. Dazu werden die hier dargestellten strategischen Eckpunkte mit konkreten Vor- schlägen allen relevanten politischen Entscheidungsträgern übermittelt und die Maßnahmen stetig aktualisiert. Quellen (1) Pound, P. & Ritskes‑Hoitinga, M. (2020). Can prospective systematic reviews of animal studies improve clinical translation? J Transl Med. 18: 15, https://doi.org/10.1186/s12967-019-02205-x (2) E rrington TM, Denis A, Perfito N, Iorns E, Nosek BA. Challenges for assessing replicability in preclinical cancer biology. Elife. 2021 Dec 7;10:e67995. doi: 10.7554/eLife.67995. PMID: 34874008; PMCID: PMC8651289. https://elifes ciences.org/articles/67995 (3) B aker, M., Dolgin, E. (2017). Reproducibility project yields muddy results. Nature 541: 269–270. https://www.nature.com/ (4) Richtlinie 2010/63/EU, Erwägungsgründe 10, 46, Artikel 47 Absatz 1 (5) M EHR FORTSCHRITT WAGEN, KOALITIONSVERTRAG 2021— 2025 ZWISCHEN DER SOZIALDEMOKRATISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN UND DEN FREIEN DEMOKRATEN (FDP). https://www.spd.de/fileadmin/ Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf?fbclid=IwAR2BluWrgvhnpQyMkUx0-UEVmsG0pNRxueUF- 8VQOwo7Lp3jDD2IIngs_Nuo (6) NCad opinion Transition to non-animal research. https://www.ncadierproevenbeleid.nl/documenten/rapport/2016/12/15/ncad-opinion-transition-to-non-animal-research (7) D irective to Prioritize Efforts to Reduce Animal Testing. https://www.epa.gov/research/administrator-memo-prioritizing-efforts-reduce-animal-testing-september-10-2019 (8) National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine. (2017). Using 21st Century Science to Improve Risk-Related Evaluations. Washington, DC: The National Academies Press. https://doi.org/10.17226/24635. https://nap.nationalacademies.org/download/24635 (9) National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine 2022. New Approach Methods (NAMs) for Human Health Risk Assessment: Proceedings of a Workshop in Brief. Washington, DC: The National Academies Press. https://doi.org/10.17226/26496. (10) Rumsey, J.W., Lorance, C., Jackson, M., Sasserath, T., McAleer, C.W., Long, C.J., Goswami, A., Russo, M.A., Raja, S.M., Gable, K.L., Emmett, D., Hobson-Webb, L.D., Chopra, M., Howard, J.F., Jr., Guptill, J.T., Storek, M.J., Alonso-Alonso, M., Atassi, N., Panicker, S., Parry, G., Hammond, T. & Hickman, J.J. (2022), Classical Complement Pathway Inhibition in a “Human-On-A- Chip” Model of Autoimmune Demyelinating Neuropathies. Adv. Therap. 2200030. https://doi.org/10.1002/adtp.202200030 (11) D rucksache 16/1915-NEU vom 10.02.2022, https://www.landtag-saar.de/suche?searchValue=&OnlyTitle=false&Categories= Print,PlenaryProtocol,Law,PublicConsultation,Operations&DateFrom=&DateTo=&periods=&SortValue=Erscheinungsdatum &SortOrder=desc&tab=Doc&DocumentPage=true&Page=3&ActiveTab=1 (12) https://www.uni-saarland.de/lehrstuhl/schneider.html Foto: Adobe Stock/Eric Isselée 11
ne Forschung Für eine m oder ve rsuche! ohne Tie r errechte – Menschen für Ti gegner e. V. der Tier versuchs Bundesverband rechte.de 12 10 | w w w.tier Tel. 02252 - 830 Tiere haben Rechte – wir fordern sie ein! Trotz Tierschutzgesetz und Staatsziel Tierschutz leiden jeden Tag Millionen Tiere in Tierversuchen, in der industriellen Landwirtschaft, auf Transporten und Schlachthöfen. Hinzu kommen artwidrig gehaltene Haus- und Wildtiere in Privathaushalten, in Zoo und Zirkus, „Pelztiere“ und unzählige Tiere, die jährlich Opfer der Jagd werden. Um dieses millionenfache Leid zu beenden, setzen wir uns aktiv für den Ausstieg aus dem Tierversuch und der „Nutztier“-Haltung sowie gegen jeglichen Missbrauch von Tieren ein. Um diesen Systemwechsel einzuleiten, brauchen wir einen Masterplan für den Ab- bau von Tierversuchen und eine Kehrtwende in der Landwirtschaft von der tierischen zur pflanzlichen Eiweißproduktion. Unser langfristiges Ziel: Das Mensch-Tier-Verhältnis muss sich grundsätzlich ändern. Tiere haben ein Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Unversehrtheit. Der Weg zur Anerkennung dieser Rechte ist beschwerlich – wir gehen ihn pragmatisch, schrittweise und konsequent. Unterstützen Sie uns bei unserem Kampf für die Tiere! Werden Sie Mitglied oder un- terstützen Sie unsere Arbeit durch eine Spende! Danke! BLEIBEN SIE INFORMIERT Abonnieren Sie unter: www.newsletter.tierrechte.de unseren Tierrechte-Newsletter und folgen Sie uns auf Facebook: www.facebook.com/menschenfuertierrechte SPENDEN KONTAKT Der Bundesverband ist seit über 30 Jahren Geschäftsstelle: als gemeinnützig und besonders förderungs- Severinusstr. 52 | 53909 Zülpich würdig anerkannt. Spenden und Mitglieds- Tel. 02252 - 830 12 10 | Fax 02252 - 830 12 11 beiträge sind steuerlich absetzbar. info@tierrechte.de | www.tierrechte.de Sparkasse Aachen IBAN DE02 3905 0000 0016 0079 73 SWIFT-BIC AACSDE33 Gestaltung: A. Binnewies, www.dasatelier.de
Sie können auch lesen