Maßnahmen für eine tierversuchsfreie Forschung - Von der Reduktion bis zum Ausstieg - Menschen ...

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Maßnahmen für eine tierversuchsfreie Forschung - Von der Reduktion bis zum Ausstieg - Menschen ...
Maßnahmen für eine
tierversuchsfreie Forschung

Von der Reduktion bis zum Ausstieg
Maßnahmen für eine tierversuchsfreie Forschung - Von der Reduktion bis zum Ausstieg - Menschen ...
Inhalt

Reduktionsstrategie als Einstieg in den Ausstieg aus dem Tierversuch nutzen ......................................................... 3

Koalitionsvertrag verspricht Reduktionsstrategie ......................................................................................................... 4

Vorbild Niederlande .......................................................................................................................................................... 4

Interdisziplinäre Ansätze fördern .................................................................................................................................... 4

Verbreitung von tierversuchsfreien Methoden überwachen ....................................................................................... 5

Nötig: neuer Ansatz zur Risikobewertung ...................................................................................................................... 5

Wichtig: bessere Kommunikationsstrukturen ................................................................................................................ 6

Kompetenzzentrum als Koordinationsstelle .................................................................................................................. 6

Finanzierung für tierversuchsfreie Verfahren aufstocken ............................................................................................ 7

Tierschutzrecht besser umsetzen .................................................................................................................................... 7

Gerichtsfeste Negativ-Liste einführen ............................................................................................................................ 7

Tierfreie Methoden nach Dringlichkeit entwickeln ....................................................................................................... 8

Teststrategien für Giftigkeitsprüfungen ......................................................................................................................... 8

Allianz zur Beschleunigung der Validierung ................................................................................................................... 9

10-Jahres-Pläne für die angewandte/translationale Forschung ................................................................................... 9

Tierfreies Studieren ermöglichen .................................................................................................................................. 10

Attraktive Studiengänge einrichten .............................................................................................................................. 10

Positivbeispiel Saarland .................................................................................................................................................. 10

Die Tür zum Ausstieg aufstoßen .................................................................................................................................... 11

Quellen ............................................................................................................................................................................. 11

Titelfoto: Adobe Stock/Kzenon, Grafik: Alexa Binnewies

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Maßnahmen für eine tierversuchsfreie Forschung - Von der Reduktion bis zum Ausstieg - Menschen ...
Die Maus ist das mit Abstand am häufigsten verwendete Versuchstier.
Foto: Pixabay/Tibor Janosi Mozes

Reduktionsstrategie als Einstieg in den
Ausstieg aus dem Tierversuch nutzen
Der Bundesverband Menschen für Tierrechte verfolgt seit seiner Gründung 1982 konsequent
den Ausstieg aus dem Tierversuch und den Einsatz tierversuchsfreier, humanspezifischer
Methoden. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, Tierversuche
mithilfe einer Strategie reduzieren zu wollen. Um die angekündigte Reduktionsstrategie so
effektiv wie möglich auszugestalten, stellt der Bundesverband mit dieser Broschüre kon-
krete Vorschläge und Maßnahmen vor. Ziel ist, die angekündigte Reduktionsstrategie zum
Einstieg in den perspektivischen Ausstieg aus dem Tierversuch zu nutzen.

Dies ist keine weltfremde Vision. Die begrenzte Aussagefähigkeit der publizierten tierexpe-
rimentellen Forschungsergebnisse ist mittlerweile auch in der Wissenschaft anerkannt. Es
gibt immer mehr seriöse Untersuchungen, die das fundiert belegen.(1,2,3) Viele renommier-
te Wissenschaftler:innen sehen den Tierversuch nicht nur aus ethischen, sondern auch aus
wissenschaftlichen und methodischen Gründen kritisch. Die Problematik der Tierversuche ist
nichtsdestotrotz hochkomplex. Der Ersatz von Tierversuchen ist je nach Forschungsgebiet
mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Zudem sind – trotz bestehender und
eindeutiger Gesetzeslage – Implementierungsprobleme vorhanden. Mit der Ausarbeitung der
Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere hatten
die EU-Mitgliedstaaten schon 2010 vereinbart, Verfahren mit lebenden Tieren für wissen-
schaftliche Zwecke und Bildungszwecke vollständig zu ersetzen, sobald dies wissenschaftlich
möglich ist.(4)

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Maßnahmen für eine tierversuchsfreie Forschung - Von der Reduktion bis zum Ausstieg - Menschen ...
Koalitionsvertrag verspricht
Reduktionsstrategie
Im September 2021 forderte das EU-Parlament in einem
historischen Entschließungsantrag die EU-Kommission
auf, einen EU-weiten Aktionsplan für einen Ausstieg aus
dem Tierversuch aufzustellen. Die deutschen Grünen und
die SPD sahen in ihren Wahlprogrammen zur Bundestags-
wahl den Ausstieg aus dem Tierversuch vor. Letztendlich
wurde aus dem anvisierten Ausstiegsplan im aktuellen
Ampel-Koalitionsvertrag eine Reduktionsstrategie. Die
aktuelle Bundesregierung, bestehend aus Sozialdemo-
kraten, Grünen und Liberaldemokraten, hat sich ganz
eindeutig für eine Reduzierung von Tierversuchen ausge-
sprochen. Auf Seite 44 des Koalitionsvertrages heißt
es dazu(5):

        ... Wir legen eine Reduktionsstrategie zu
        Tierversuchen vor. Wir verstärken die Forschung
        zu Alternativen, ihre Umsetzung in die Praxis
        und etablieren ein ressortübergreifendes           Viele wissenschaftliche Fragestellungen können auf
        Kompetenznetzwerk...                               Basis von Zell- und Gewebekultur-Verfahren beant-
                                                           wortet werden. Hier werden Mikrotiterplatten mit
                                                           Nährlösung für einen Versuch bestückt.
                                                           Foto: Sandy Mosig und Knut Rennert

Vorbild Niederlande
Es lohnt sich ein Blick in die Nachbarstaaten: Die Niederlande legten 2016 als erster EU-Mit-
gliedsstaat ein Ausstiegskonzept vor, das im Prinzip eine schrittweise Reduktionsstrategie ist
und sehr gut als Vorlage für Deutschland dienen kann.(6) Das Konzept erfordert eine Über-
gangsstrategie inklusive der Entwicklung von Meilensteinen sowie ein aktives Übergangsma-
nagement. Aufgrund der mittlerweile existierenden Ausstiegskonzepte und der aktuellen
Lage in Wissenschaft und Sicherheitsprüfung hat der Bundesverband Vorschläge für Maßnah-
men erarbeitet, die kurz- und langfristig auf einen Ausstieg hinwirken könnten. Neben den
Niederlanden entwickelten auch die USA und zuletzt Norwegen eigene Pläne, um zumindest
in Teilbereichen das Ende der leidvollen Tierversuche einzuleiten.(7)

Interdisziplinäre Ansätze fördern
Der Paradigmenwechsel hin zu tierversuchsfreien Verfahren kann nur dann erreicht werden,
wenn alle Stakeholder involviert sind. Unabdingbar ist beispielsweise die multidisziplinäre
Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Zulassung von tierversuchsfreien Methoden. Ins-
besondere Wissenschaftler:innen als planende und ausführende Personen müssen von der
Entwicklung tierversuchsfreier Forschung einerseits überzeugt werden, auf der anderen
Seite muss auch mit Nachdruck darauf hingewirkt werden, versuchstierfreie Verfahren auch
tatsächlich anzuwenden. Bisher wird in der Genehmigungspraxis der Forschungsfreiheit mit
wenigen Ausnahmen stets Vorrang gegenüber dem Tierschutz eingeräumt.

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In-vitro-Methoden sind oft genauer, schneller und kostengünstiger als der Tierversuch.
Foto: 123rf.com/wavebreakmediamicro

Verbreitung von tierversuchsfreien Methoden
überwachen
Im Rahmen des Übergangs ist zudem eine effektive Überwachung und Bewertung der Re-
duktion von Tierversuchen notwendig. Bislang gibt es lediglich die Veröffentlichungen der
Tierversuchsstatistiken und deren Kommentierungen, die je nach politischem Lager variieren.
Nötig wäre eine der Tierversuchsstatistik vergleichbare Überwachung und Bewertung der
Verbreitung von tierversuchsfreien Methoden. Auf nationaler Ebene fehlt zudem eine breite
Kommunikation von zentraler nationaler und/oder internationaler Stelle, beispielsweise mit
den diversen 3R-Zentren, den genehmigenden Tierversuchskommissionen und der Öffentlich-
keit. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) neu gegründete Bundes-
netzwerk 3R könnte diese Funktionen übernehmen.

Nötig: neuer Ansatz zur Risikobewertung
Teilweise sind Tierversuche noch immer gesetzlich vorgeschrieben. Ohne Tests am Tier dürfen
Produkte wie Chemikalien, Arzneimittel, Medizinprodukte, Pestizide und Biozide nicht zuge-
lassen und vermarktet werden. Die Vorschriften resultieren u. a. aus der europäischen Chemi-
kalienverordnung REACH, dem europäischen Arzneibuch (Pharmakopöe) oder den Regulato-
rien für Pestizide und Biozide. Wir schließen uns in diesem Falle der Ansicht der Industrie an,
eine internationale Zusammenarbeit für einen neuen Ansatz zur Risikobewertung zu forcie-
ren. Wichtig wäre zum Beispiel die Beteiligung der klinischen Forschung bei angewandten/
translationalen Fragestellungen. Dazu sollte auch die verstärkte Nutzung von Humandaten
gehören. Ohne digitalisierte Informationen über Erkrankungen können Wissenschaftler:innen
kaum Vorhersagemodelle am Computer entwickeln. Auch die Nutzung von Patientenproben
(Biopsien, Explantaten) aus Krankenhäusern für die klinische Forschung an menschlichen Ge-
weben muss verstärkt werden. Diese könnten beispielsweise zum Abgleich (Aussagekraft des
Tierversuchs) beziehungsweise zur Grundlagen- und angewandten Forschung herangezogen
werden.

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Maßnahmen für eine tierversuchsfreie Forschung - Von der Reduktion bis zum Ausstieg - Menschen ...
Beim sogenannten Pyrogentest werden die Kaninchen in kleinen       Mit derartigen Mikrotiterplatten wird der In-vitro-Pyrogentest durch-
Kästen fixiert. Dann wird ihnen die Testsubstanz in eine Ohrvene   geführt. Enthält die Lösung fiebererzeugende Substanzen, kommt es
injiziert.                                                         zu einem Farbumschlag. Dessen Intensität lässt sich präzise messen.
Foto: iStockphoto/ unoL                                            Foto: istockphoto/tonaquatic

Wichtig: bessere Kommunikationsstrukturen
Um ein Reduktionskonzept in dieser Legislaturperiode zu etablieren, muss zeitnah eine
ressortübergreifende Management- und Implementierungsgruppe sowie eine strategische
Kommunikationsgruppe ernannt werden, die insbesondere die Kommunikation mit den
3R-Zentren, den genehmigenden Behörden, beratenden Kommissionen sowie der Öffentlich-
keit übernimmt. Besondere Relevanz hat die Kommunikation, um Dopplungen von Tierversu-
chen zu vermeiden. Für Ergebnisse, die mit Tierversuchen gewonnen wurden, ist zudem eine
Datenbank nötig, deren Nutzung für alle Beteiligten verpflichtend ist. Nur so kann verhindert
werden, dass der gleiche Versuch mehrfach durchgeführt wird. Bislang ist der Eintrag in der
Datenbank „Animal Study Registry“ des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) freiwillig,
ebenso wie die Nutzung. Die für die Genehmigung von Tierversuchen zuständigen Behörden
haben keinen Zugang. Das muss sich ändern.

Kompetenzzentrum als Koordinationsstelle
Besonders für die strukturierte, umfassende Sammlung von Daten und deren Weiterverar-
beitung bedarf es eines funktionsfähigen nationalen Kompetenzzentrums. Dieses muss allen
Beteiligten (z. B. Antragstellern, Behörden, Kommissionen) kompetent Auskunft über bereits
vorhandene NAMs (non-animal methods, tierleidfreie Verfahren) geben. Das Zentrum kann
ebenso für Auskunft und Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit zuständig sein und als
Anlaufstelle für Informations- und Fortbildungsveranstaltungen für alle Stakeholder dienen.
Des Weiteren könnte das Kompetenzzentrum die Koordinierung eines Kriterienkatalogs zur
Prüfung der vom Tierschutzgesetz geforderten Unerlässlichkeit und ethischen Vertretbarkeit
eines Tierversuchs übernehmen. Damit würde es die Tierversuche genehmigenden Behörden
unterstützen. Die Einführung einer gerichtsfesten Negativ-Liste von Versuchen, die aus ethi-
schen Gründen nicht mehr durchgeführt werden dürfen (wie z. B. Aszites-Maus), ist dringend
erforderlich. Das Kompetenzzentrum kann hier eine Tierversuchs-Negativliste erarbeiten und
regelmäßig aktualisieren.

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Maßnahmen für eine tierversuchsfreie Forschung - Von der Reduktion bis zum Ausstieg - Menschen ...
Tierfreier Test: Durch den Farbumschlag (rot) lassen sich z.B. Antigene   Das charakteristisch rosa gefärbte Zellkulturmedium RPMI (benannt
oder Antikörper nach durchgemachter Hepatitis B-Virusinfektion            nach dem Roswell Park Memorial Institute, wo es in den 1960ern
detektieren.                                                              entwickelt wurde) in einer 6-well Zellkulturplatte.
Foto: iStock/Md Ariful Islam                                              Foto: Adobe Stock/JCG

Finanzierung für tierversuchsfreie Verfahren aufstocken
Generell muss das Budget für NAMs drastisch aufgestockt werden. Die Verteilung der Gelder
verläuft derzeit höchst diffus. Eine Möglichkeit wäre es, die Ausschreibung von Forschungs-
förderungen mit dem konkreten Bedarf an noch fehlenden tierfreien Methoden zu verknüp-
fen. Dazu ist ein spezieller Etat für Machbarkeits- und Prävalidierungsstudien nötig. Der vor-
handene Etat reicht bei Weitem nicht aus. Es wäre daher sinnvoll, neben der nationalen und
europäischen Förderung, auch mehr Kapital aus dem Unternehmenssektor in Deutschland
bereitzustellen. Zudem unabdingbar ist auch die Aufstockung des Personals und der Ressour-
cen der Prüfbehörden, damit die vorgeschriebene Prüfung von Tierversuchsanträgen und die
Kontrolle der Einrichtungen gewährleistet werden können.

Tierschutzrecht besser umsetzen
Darüber hinaus müssen die Strukturen verbessert und bestehende Rechtsumsetzungen in
der Praxis optimiert werden. Die Gründung einer Arbeitsgruppe zur Sicherstellung einer
objektiven und einheitlichen Tierversuchsgenehmigung ist lange überfällig. Kriterien zur
Abschätzung der Unerlässlichkeit eines Tierversuchs müssen einheitlich definiert werden, bei-
spielsweise die zu nutzenden Datenbanken zur Recherche tierversuchsfreier Forschungs- und
Lehrmethoden und die Kriterien zur objektiven Abwägung von Tierleid versus Forschungs-
ergebnisse beziehungsweise Lernerfolg (Kosten-/Nutzenanalyse). Dringend benötigt werden
auch einheitliche Kriterien zur Beurteilung des Schadens für die Tiere (Schmerzen, Leiden,
Ängste). Diese Belastungen werden in den Forschungsanträgen häufig als zu leicht einge-
schätzt.

Gerichtsfeste Negativ-Liste einführen
Um den realen Schweregrad und erfolglose Tierexperimente zu identifizieren, bedarf es einer
rückblickenden Bewertung ALLER durchgeführten Tierversuche und die allgemeinverständ-
liche und anonymisierte Veröffentlichung der Daten. Etablierte Gruppen, die die ethische

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Maßnahmen für eine tierversuchsfreie Forschung - Von der Reduktion bis zum Ausstieg - Menschen ...
MRT-Beurteilung des Gehirns: Ein Großteil der seltenen   Multi-Organ-Chipsystem von TissUse, Berlin
Erkrankungen betrifft das Gehirn und das Nervensystem.   Foto: Christiane Hohensee
Foto: iStockphoto/RoBeDeRo

Evaluierung thematisch verschiedener Tierversuchsbereiche vornehmen (beispielsweise Tier-
versuche in der Alzheimerforschung, Parkinson oder Diabetes) können zu einer realistischeren
Bewertung von Anträgen beitragen. Mithilfe von Meta-Analysen/ systematischen Reviews
können Tierversuche mit einer mangelnden Erfolgsbilanz identifiziert, und ggfs. als nicht
mehr unerlässlich eingestuft werden. Langfristiges Ziel ist die Einführung einer gerichtsfesten
Negativ-Liste von Tierversuchen, die aus ethischen Gründen nicht mehr durchgeführt werden
dürfen (wie z. B. solche mit der „Aszites“-Maus).

Tierfreie Methoden nach Dringlichkeit entwickeln
Besonders wichtig ist die Gründung einer Arbeitsgruppe zur Bedarfsidentifizierung, beste-
hend aus Experten der Wissenschaft und Industrie. Ihre Aufgabe wird sein, eine Agenda für
notwendige neue NAMs nach Dringlichkeit zu entwickeln. In dieser sollen beispielsweise die
Forschungsbereiche ermittelt werden, in denen besonders viele Tiere eingesetzt werden. Als
weiteres Auswahlkriterium bieten sich Bereiche an, in denen schwerbelastende Tierversuche
durchgeführt werden oder solche, in denen Tierversuche bislang zu keinen wirksamen Thera-
pien geführt haben.

Teststrategien für Giftigkeitsprüfungen
Giftigkeitsprüfungen bieten sich besonders für die gezielte Entwicklung konkreter NAMs und
Teststrategien an, da hier greifbare Endpunkte geprüft werden. Es existieren zwar schon viele
funktionierende Konzepte, diese müssten allerdings koordiniert weiterentwickelt werden.
Ein Mangel herrscht allerdings bei anerkannten Ersatzverfahren für die Qualitätsprüfung von
Produkten. Auch hier lohnt es sich, thematisch vorzugehen und die Bereiche zu identifizieren,
in denen noch viele Tiere verwendet werden. Für die Sicherheitsprüfung gelten allerdings
europäische Regelwerke. Die Bundesregierung sollte sich deshalb dafür einsetzen, dass auch
der EU-Etat für die (Weiter-)Entwicklung dieser NAMs aufgestockt wird.

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Ein oft vernachlässigter Belastungsfaktor sind die stark   Nagetiere ohne Fell wie diese Nacktratte sind sind von vornherein für
eingeschränketen, nicht artgemäßen Haltungsbedingungen.    potenziell schwer-belastende Versuche „prädestiniert“. Zur Erforschung
Foto: Adobe Stock/HYUNGKEUN                                von Krankheiten wie Krebs wurde gleichzeitig ihr Immunsystem
                                                           manipuliert und herabgesetzt.             Foto: istockphoto/fotojagodka

Allianz zur Beschleunigung der Validierung
Die Anerkennung neuer Verfahren ist ein staatenübergreifendes Thema und muss als solches
behandelt werden. In dieser Legislatur kann die Politik eine Allianz auf europäischer Ebene
bilden und gemeinsam darauf hinwirken, die Effektivität des Validierungsprozesses auf den
Prüfstand zu stellen. Die USA sind hier bereits weiter: In einigen wegweisenden Veröffentli-
chungen des NRC (National Research Council) und der NAS (National Academies of Sciences,
Engineering and Medicine) wurden Möglichkeiten zur optimalen Integration und Nutzung
der neuen Ergebnisse aus NAMs bei der Bewertung chemischer Risiken skizziert. Zwar sei
die Validierung oder Prüfung in mehreren Labors derzeitige Praxis; inzwischen ist es jedoch
herrschende Meinung, dass Ringversuche zu lange dauern und schwierig zu realisieren seien,
wenn es sich bei der Entwicklung z. B. um geschützte Tests (Assay) handelt, ein ultrahoher
Durchsatz notwendig ist oder spezielle Geräte oder Fachkenntnisse erforderlich sind.(8,9) In der
Arzneimittelentwicklung wurden mittlerweile auch Daten, die aus neuen tierfreien Metho-
den erzeugt worden sind, neben weiteren Informationen bei der Food and Drug Administra-
tion eingereicht und akzeptiert.(10) Die Regierung sollte sich auch für den Ausbau des Etats der
europäischen Validierungsbehörde ECVAM einsetzen.

10-Jahres-Pläne für die angewandte/translationale
Forschung
Für die angewandte beziehungsweise translationale Forschung sollten 10-Jahres-Pläne aufge-
stellt werden, thematisch nach Forschungsgebieten gegliedert. Mit Krankheitsmodellen, bei-
spielsweise in mikrofluidischen Systemen, müssen Tierversuche zumindest reduziert werden.
Die komplexen Abläufe und Wechselwirkungen in einem Gesamtorganismus können derzeit
zwar noch nicht komplett simuliert werden. Die Vorversuche sollten allerdings verpflichtend
in der Zellkultur stattfinden, denn der Tierversuch darf gemäß der europäischen Tierversuchs-
richtlinie nur die letzte Option sein. Die Ergebnisse sollten anschließend den Entwickler:innen
von NAMs zur Verfügung stehen.

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Maßnahmen für eine tierversuchsfreie Forschung - Von der Reduktion bis zum Ausstieg - Menschen ...
Frosch-Sektionsmodell mit realistischem, detaillier-
                                                            tem Körper, abnehmbaren Organen und syntheti-
                                                            schen Geweben.
                                                            Foto: SynDaver

Anatomiemodell für Tiermediziner und Biologen
Foto: iStock/andresr

Tierfreies Studieren ermöglichen
Die Verwendung von Tieren in der Aus-, Fort- und Weiterbildung kann in den meisten Fällen
durch tierfreie Methoden ersetzt werden. Bislang setzen viele Hochschulen allerdings noch
immer Tiere ein, da teilweise humane Lehrmethoden nicht bekannt sind, der Aufwand zur
Umstellung gescheut wird und der Druck zur Veränderung fehlt. Dies sind keine akzeptablen
Gründe - im Gegenteil, es verstößt gegen das Prinzip der Unerlässlichkeit. Universitäten, die
schon erfolgreich tierfreie Methoden anwenden, sind der Beleg, dass die ersetzten Versuche
und Übungen an Tieren an anderen Universitäten nicht mehr zu billigen sind.

Attraktive Studiengänge einrichten
Eine Sofortmaßnahme der Bundesregierung könnte daher der Start einer allgemeinen Infor-
mationskampagne zum Thema „Tierfreies Studieren“ sein. Zeitgleich sollten Tierversuche und
der Einsatz tierfreier Methoden an Hochschulen einer Dokumentationspflicht unterzogen
und diese Berichte zentral zugänglich gemacht werden. Dies kann einen belegbaren Über-
blick über Tierversuche, Lernziele und Erfolge und damit eine Grundlage für das weitere Vor-
gehen schaffen. Zudem sollten attraktive Studiengänge für tierversuchsfreie Methoden (wie
z. B. Medizinische Biotechnologie an der TU Berlin) eingerichtet oder alternativ zusätzliches
Lehrpersonal eingestellt und entsprechende Lehrangebote unterbreitet werden.

Positivbeispiel Saarland
Ein positives Beispiel ist das Saarland: Der Landtag beschloss im Februar 2022, dass Tierversu-
che durch alternative Methoden mittelfristig ersetzt werden sollen.(8) Ferner soll an der Uni-
versität eine koordinierende Stabsstelle „Tierversuchsfreie Forschung“ eingerichtet und mehr
Vorlesungen zum Thema angeboten werden. Außerdem fördert die Saarländische Staatskanz-
lei ein Forschungsprojekt zur Vermeidung von Tierversuchen im Bereich der Arzneimittel- und
Chemikalienforschung mit über 350.000 Euro.(9)

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Die Tür zum Ausstieg aufstoßen
Der Bundesverband Menschen für Tierrechte wird sich weiter dafür einsetzen, dass die ange-
kündigte Reduktionsstrategie der Einstieg in den perspektivischen Ausstieg aus dem Tierver-
such wird. Dazu werden die hier dargestellten strategischen Eckpunkte mit konkreten Vor-
schlägen allen relevanten politischen Entscheidungsträgern übermittelt und die Maßnahmen
stetig aktualisiert.

Quellen

(1) Pound, P. & Ritskes‑Hoitinga, M. (2020). Can prospective systematic reviews of animal studies improve clinical translation? J
     Transl Med. 18: 15, https://doi.org/10.1186/s12967-019-02205-x

(2) E
     rrington TM, Denis A, Perfito N, Iorns E, Nosek BA. Challenges for assessing replicability in preclinical cancer biology. Elife.
    2021 Dec 7;10:e67995. doi: 10.7554/eLife.67995. PMID: 34874008; PMCID: PMC8651289.
    https://elifes ciences.org/articles/67995

(3) B
     aker, M., Dolgin, E. (2017). Reproducibility project yields muddy results. Nature 541: 269–270.
    https://www.nature.com/

(4) Richtlinie 2010/63/EU, Erwägungsgründe 10, 46, Artikel 47 Absatz 1

(5) M
     EHR FORTSCHRITT WAGEN, KOALITIONSVERTRAG 2021— 2025 ZWISCHEN DER SOZIALDEMOKRATISCHEN PARTEI
    DEUTSCHLANDS (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN UND DEN FREIEN DEMOKRATEN (FDP). https://www.spd.de/fileadmin/
    Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf?fbclid=IwAR2BluWrgvhnpQyMkUx0-UEVmsG0pNRxueUF-
    8VQOwo7Lp3jDD2IIngs_Nuo

(6) NCad opinion Transition to non-animal research.
     https://www.ncadierproevenbeleid.nl/documenten/rapport/2016/12/15/ncad-opinion-transition-to-non-animal-research

(7) D
     irective to Prioritize Efforts to Reduce Animal Testing.
    https://www.epa.gov/research/administrator-memo-prioritizing-efforts-reduce-animal-testing-september-10-2019

(8) National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine. (2017). Using 21st Century Science to Improve Risk-Related
     Evaluations. Washington, DC: The National Academies Press.
     https://doi.org/10.17226/24635. https://nap.nationalacademies.org/download/24635

(9) National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine 2022. New Approach Methods (NAMs) for Human Health Risk
     Assessment: Proceedings of a Workshop in Brief. Washington, DC: The National Academies Press.
     https://doi.org/10.17226/26496.

(10) Rumsey, J.W., Lorance, C., Jackson, M., Sasserath, T., McAleer, C.W., Long, C.J., Goswami, A., Russo, M.A., Raja, S.M., Gable,
      K.L., Emmett, D., Hobson-Webb, L.D., Chopra, M., Howard, J.F., Jr., Guptill, J.T., Storek, M.J., Alonso-Alonso, M., Atassi, N.,
      Panicker, S., Parry, G., Hammond, T. & Hickman, J.J. (2022), Classical Complement Pathway Inhibition in a “Human-On-A-
      Chip” Model of Autoimmune Demyelinating Neuropathies. Adv. Therap. 2200030. https://doi.org/10.1002/adtp.202200030

(11) D
      rucksache 16/1915-NEU vom 10.02.2022, https://www.landtag-saar.de/suche?searchValue=&OnlyTitle=false&Categories=
     Print,PlenaryProtocol,Law,PublicConsultation,Operations&DateFrom=&DateTo=&periods=&SortValue=Erscheinungsdatum
     &SortOrder=desc&tab=Doc&DocumentPage=true&Page=3&ActiveTab=1

(12) https://www.uni-saarland.de/lehrstuhl/schneider.html

Foto: Adobe Stock/Eric Isselée

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                                                                     errechte –
                                                    Menschen für Ti                    gegner e. V.
                                                                     der Tier versuchs
                                                    Bundesverband                       rechte.de
                                                                     12 10 | w w w.tier
                                                    Tel. 02252 - 830

      Tiere haben Rechte – wir fordern sie ein!
      Trotz Tierschutzgesetz und Staatsziel Tierschutz leiden jeden Tag Millionen Tiere in
      Tierversuchen, in der industriellen Landwirtschaft, auf Transporten und Schlachthöfen.
      Hinzu kommen artwidrig gehaltene Haus- und Wildtiere in Privathaushalten, in Zoo
      und Zirkus, „Pelztiere“ und unzählige Tiere, die jährlich Opfer der Jagd werden. Um
      dieses millionenfache Leid zu beenden, setzen wir uns aktiv für den Ausstieg aus dem
      Tierversuch und der „Nutztier“-Haltung sowie gegen jeglichen Missbrauch von Tieren
      ein. Um diesen Systemwechsel einzuleiten, brauchen wir einen Masterplan für den Ab-
      bau von Tierversuchen und eine Kehrtwende in der Landwirtschaft von der tierischen
      zur pflanzlichen Eiweißproduktion. Unser langfristiges Ziel: Das Mensch-Tier-Verhältnis
      muss sich grundsätzlich ändern. Tiere haben ein Recht auf Leben, auf Freiheit und auf
      Unversehrtheit. Der Weg zur Anerkennung dieser Rechte ist beschwerlich – wir gehen
      ihn pragmatisch, schrittweise und konsequent.

      Unterstützen Sie uns bei unserem Kampf für die Tiere! Werden Sie Mitglied oder un-
      terstützen Sie unsere Arbeit durch eine Spende! Danke!

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