Michaela Defrancesco, Christian Bancher, Peter Dal-Bianco, Hartmann Hinterhuber, Reinhold Schmidt, Walter Struhal, Gerhard Ransmayr, et al.

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Positionspapier der Österreichische
Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)

Michaela Defrancesco, Christian
Bancher, Peter Dal-Bianco, Hartmann
Hinterhuber, Reinhold Schmidt, Walter
Struhal, Gerhard Ransmayr, et al.
neuropsychiatrie
Psychiatrie, Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Psychotherapie,
Psychosomatik, Public Mental Health
und Sozialpsychiatrie

ISSN 0948-6259

Neuropsychiatr
DOI 10.1007/s40211-020-00363-9

                                      1 23
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1 23
original article

Neuropsychiatr
https://doi.org/10.1007/s40211-020-00363-9

Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft
(ÖAG)
Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Österreich auf Menschen mit
Demenz und deren Betreuungsumfeld – Problemfelder, Empfehlungen und
Strategien

Michaela Defrancesco · Christian Bancher · Peter Dal-Bianco · Hartmann Hinterhuber · Reinhold Schmidt ·
Walter Struhal · Gerhard Ransmayr · Elisabeth Stögmann · Josef Marksteiner

Eingegangen: 20. Juli 2020 / Angenommen: 6. Oktober 2020
© Der/die Autor(en) 2020

Zusammenfassung Ältere Menschen sind durch die                      menz hat sich in einer alternden Gesellschaft zu einer
COVID-19 Pandemie besonders betroffen. Die meis-                    Pandemie entwickelt. Der Doppelschlag von Demenz-
ten der Verstorbenen sind ältere Erwachsene, von                    und COVID-19-Pandemien hat bei diesen Menschen
denen ein Großteil vorbestehende Gesundheitspro-                    und deren Angehörigen große Besorgnis ausgelöst.
bleme hatten. Weltweit leiden mehr als 50 Mio. – in                 Die Covid-19-Pandemie stellt Patienten mit Demenz
Österreich etwa 140.000 Menschen an Demenz. De-                     und deren Angehörige vor große Herausforderungen:
                                                                    1. durch begrenzten Zugang zu genauen Informatio-
PD Dr. med. univ. M. Defrancesco, MMSc, PhD () ·
                                                                    nen über die COVID-19-Pandemie, Schwierigkeiten,
H. Hinterhuber                                                      sich an Schutzverfahren, wie das Tragen von Masken,
Universitätsklinik für Psychiatrie I, Department Psychiatrie,       zu erinnern oder die ihnen zur Verfügung gestell-
Psychotherapie und Psychosomatik, Medizinische                      ten Informationen zu verstehen. 2. Demenzpatienten
Universität Innsbruck, Anichstraße 35, 6020 Innsbruck,              leben allein oder mit ihrem Ehepartner, ihren Be-
Österreich                                                          zugspersonen zu Hause oder in Pflegeheimen. Um
michaela.defrancesco@i-med.ac.at
                                                                    die Ansteckungsgefahr in Pflegeheimen zu verrin-
C. Bancher                                                          gern, wurden Besuche in Pflegeheimen und Langzeit-
Abteilung für Neurologie/neurologische Rehabilitation,              pflegeeinrichtungen verboten. Sozialdistanzierende
Landesklinikum Horn-Allentsteig, Horn, Österreich                   Maßnahmen sind flächendeckend eingesetzt worden.
P. Dal-Bianco · E. Stögmann                                         Folglich verloren ältere Bewohner den persönlichen
Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität         Kontakt zu ihren Familienmitgliedern und wurden so-
Wien, Wien, Österreich                                              zial isoliert. Auch Gruppenaktivitäten in Pflegeheimen
R. Schmidt                                                          wurden verboten. Es wurde beobachtet, dass unter
Universitätsklinik für Neurologie, Klinische Abteilung für          dem doppelten Stress der Angst vor Infektionen und
Neurogeriatrie, Medizinische Universität Graz, Graz,                der Sorge um den Zustand der Bewohner das Angst-
Österreich                                                          niveau unter dem Personal in den Pflegeheimen im
W. Struhal                                                          Verlauf der vollständigen Abschottung zunahm und
Abteilung für Neurologie, Universitätsklinikum                      Anzeichen von Erschöpfung und Burnout auftraten.
Tulln, Karl Landsteiner Privatuniversität für                       Die Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG),
Gesundheitswissenschaften, Standort Tulln, Tulln,                   wie auch bereits andere internationale Gesellschaf-
Österreich                                                          ten, möchten mit diesem Artikel aufgrund der akuten
G. Ransmayr                                                         COVID-19-Krise Menschen mit Demenz und ihr Be-
Abteilung für Neurologie, Kepler Universitätsklinikum, Linz,        treuungsumfeld unterstützen. Neben dem physischen
Österreich                                                          Schutz vor Virusinfektionen sollten auch Empfehlun-
J. Marksteiner                                                      gen für die psychische Gesundheit und Möglichkeiten
Department für Psychiatrie und Psychotherapie A,                    der psychosozialen Unterstützung auf verschiedenen
Landeskrankenhaus Hall, Hall, Österreich                            Ebenen aufgezeigt werden.

K                                                               Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
original article

Schlüsselwörter COVID-19 · Pandemie · Demenz ·                       lieferten Person vorläufig ein neuartiges Corona-Vi-
Pflegende Angehörige · Pflegeheim                                    rus identifiziert.“ (http://www.euro.who.int/de/health-
                                                                     topics/health-emergencies/coronavirus-covid-19/
                                                                     news/news/2020/01/novel-coronavirus-emerges-in-
Position paper of the Austrian Alzheimer                             china). Am 07.01.2020 wurde das neuartige Corona-
Association (Österreichische Alzheimer                               Virus identifiziert und als COVID-19 bezeichnet. Seit-
Gesellschaft, ÖAG)                                                   her breitete sich COVID-19 weltweit aus und wurde
Effects of the COVID-19 pandemic in Austria on                       am 30.01.2020 von der WHO als „gesundheitliche Not-
people with dementia and their care                                  lage von internationaler Tragweite“ und schließlich
environment—problem areas, recommendations,                          am 12.03.2020 zu Pandemie erklärt.
and strategies                                                           In Europa wurde erstmals am 24.01.2020 von drei
                                                                     bestätigten COVID-19 Patienten in Frankreich berich-
Summary Older adults are particularly affected by                    tet. Am 02.05.2020 wurden in Europa 1.493.483 Mio.
the current COVID-19 (SARS-CoV-2) pandemic. The                      bestätige Fälle und 140.620 COVID-assoziierte Todes-
risk of dying from COVID-19 increases with age and is                fälle gemeldet (https://who.maps.arcgis.com/apps/
often associated with pre-existing health conditions.                opsdashboard/index.html#/ead3c6475654481ca51c2
Globally, more than 50 million—in Austria currently                  48d52ab9c61). Die erschreckenden Erfahrungen aus
approximately 140,000 people—suffer from demen-                      China und auch den Zentren der Pandemie in Eu-
tia. The co-occurrence of dementia as a “pandemic                    ropa wie Italien, Frankreich und Spanien zeigten
of old age” together with the COVID-19 pandemic has                  deutlich, dass vorwiegend Menschen ab dem 60. Le-
a double impact on persons living with dementia and                  bensjahr und insbesondere jene mit Vorerkrankungen
their caregivers. The COVID-19 pandemic poses ma-                    wie Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen, Lun-
jor challenges for individuals with dementia and their               generkrankungen und geschwächtem Immunsystem
caregivers: (1) People with dementia have limited ac-                zur Hauptrisikogruppe für eine Infektion mit tödli-
cess to information on COVID-19, may have difficul-                  chem Ausgang zählen [1]. Menschen mit Demenz –
ties with protective measures such as wearing masks                  vorwiegend vom Alzheimer-Typ oder gemischt vas-
and in remembering safety regulations. (2) People                    kulären Typ – zeigen in den meisten Fällen die ge-
with dementia live alone or with their family, or are                nannten Risikofaktoren [2] und fallen somit unter
institutionalized. To reduce the chance of infection                 die Hochrisikogruppe im Rahmen der COVID-19-
among older people in nursing homes, Austrian lo-                    Pandemie. In Anbetracht des besonderen Risikos für
cal authorities have banned visitors to nursing homes                Menschen mit Demenz, sollte insbesondere gerade
and long-term care facilities and implemented strict                 dieser Gruppe von Menschen besondere Aufmerk-
social-distancing measures. As a result, older people                samkeit geschenkt werden. Auch wenn die COVID-
lost face-to-face contact with their family members,                 19-Pandemie weltweit mehr als 30 Mio. Menschen be-
became isolated and social activities stopped. Conse-                trifft und mehr als 900.000 Menschen an den Folgen
quently, anxiety, stress and serious concerns about in-              des Virus starben (Stand 24.09.2020, WHO) zeigen
fections among staff in nursing homes increased and                  auch dementielle Erkrankungen Ähnlichkeit zu einer
they developed signs of exhaustion and burnout dur-                  Pandemie mit stark steigender Prävalenz. Im Gegen-
ing the full lockdown of the facilities. Thus, due to                satz zu COVID-19 liegt die Prävalenz demenzieller
the emerging COVID-19 crisis, the Austrian Alzheimer                 Erkrankungen immerhin bei über 50 Mio. weltweit
Association (Österreichische Alzheimer Gesellschaft,                 (World Alzheimer Report 2019 [3]). Auch wenn beide
ÖAG) and international societies developed recom-                    Entitäten weder aus ethischer noch aus medizinischer
mendations to support people living with dementia                    Sicht miteinander verglichen werden können, betref-
and their caregivers on various issues of physical and               fen beide gemeinsame Risikogruppen und gelten als
mental health.                                                       schlecht bis nicht kausal behandelbar. Fokussierend
                                                                     auf Menschen mit Demenz sind beide – die COVID-
Keywords COVID-19 · Pandemics · Dementia ·                           19 Pandemie und Demenz – nicht als nebeneinander
Cargivers · Nursing homes                                            bestehend, sondern als sich gegenseitig beeinflussen-
                                                                     de und verstärkende Entitäten anzusehen. In diesem
Einleitung                                                           Positionspapier sollen die Folgen und Auswirkungen
                                                                     der COVID-19-Pandemie auf die besonders vulnerable
Am 31.12.2019 wurde erstmals auf der Homepage der                    Gruppe der Menschen mit Demenz und deren Betreu-
WHO folgende Meldung veröffentlicht: „Am 31. De-                     ungsumfeld auf unterschiedlichen Ebenen dargestellt
zember 2019 wurde das WHO-Länderbüro in China                        und kritisch diskutiert werden. Trotz der dramati-
darüber in Kenntnis gesetzt, dass in der Stadt Wuhan                 schen Folgen der Pandemie für Menschen wie auch
in der chinesischen Provinz Hubei mehrere Fälle von                  Wirtschaft sollte diese Krise auch als Chance gesehen
Lungenentzündung unbekannter Ursache aufgetre-                       werden. Jedenfalls soll sie Anlass sein, bestehende
ten sind. Die chinesischen Behörden haben bei ei-                    Versorgungs- und medizinische Strukturen für Men-
ner mit Lungenentzündung ins Krankenhaus einge-                      schen mit Demenz in Österreich zu beleuchten, zu

  Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)                                                K
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hinterfragen und auch in Anbetracht noch folgender            Beginn der Maßnahmen
Krisen neu zu evaluieren.                                     Nach dem Vorbild von China hat man in Öster-
                                                              reich entschieden, die Ausbreitung von COVID-19
Beginn der Pandemie in Österreich                             durch Reduktion von sozialen Kontakten, Einschrän-
                                                              kungen des öffentlichen Lebens und Kundmachung
In Österreich wurden am 01.03.2020 lediglich 14 Per-          von hygienischen Maßnahmen einzudämmen. Der
sonen positiv auf COVID-19 getestet – https://www.            § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes trat mit
oesterreich.gv.at/?gclid=EAIaIQobChMI1_HhlKuD6Q               16.03.2020 in Kraft. Für die Bevölkerung waren beson-
IVgbHtCh1hVAoQEAAYASAAEgKG2PD_BwE.                            ders die folgenden sog. „Ausgangsbeschränkungen“
Bis 04.05.2020 stieg die Zahl der bestätigten COVID-          relevant, da sie maßgeblich die Rechte und Freiheit
19 Fälle auf 15.535 an. Laut den veröffentlichten epi-        der Bevölkerung einschränkten.
demiologischen Zahlen des österreichischen Gesund-               COVID-19-Maßnahmen: Es gab nur 4 Gründe, das
heitsministeriums (https://info.gesundheitsministeri          Haus zu verlassen:
um.at) erreichte die Ausbreitung der COVID-19-In-             1.   um zur Arbeit zu gehen, wenn das notwendig ist,
fektionen gemessen an den bestätigten Neuerkran-              2.   für dringend notwendige Besorgungen,
kungen am 26.03.2020 und somit 10 Tage nach dem               3.   um anderen Menschen zu helfen und
Inkrafttreten des COVID-19-Maßnahmengesetzes sei-             4.   in besonderen Ausnahmefällen galt: Wer im drin-
nen ersten Höhepunkt. Dennoch stieg die Zahl der                   genden Fall ins Freie muss, soll das ausschließlich
Todesfälle von 71 (26.03.2020) bis auf 762 (24.09.2020)            allein machen oder mit den Personen, die in der
nach einem zwischenzeitlichen Rückgang der Infek-                  gemeinsamen Wohnung leben.
tionen zwischen Mai und Juni 2020 erneut weiter an.
Insbesondere die Todesfälle je Altersgruppe spiegeln          Zeitgleich wurden in Österreich alle Bildungseinrich-
das hohe Risiko und die Gefahr für die ältere Bevölke-        tungen und Geschäfte mit Ausnahme von Lebens-
rung und somit auch die Gruppe von Menschen mit               mittelmärkten (für Mensch und Tier), Drogerien und
hoher Demenzprävalenz wider. In die Altersgruppe              Apotheken geschlossen. Dienstleistungsbetriebe wie
>64 Jahren fielen 490 (91 %) der gemeldeten Todesfäl-         Friseure, Fußpflege oder Masseure durften nichtmehr
le. Ab diesem Alter beginnt auch die Prävalenz von            öffnen und alle Gaststätten wurden geschlossen. Re-
demenziellen Erkrankungen, insbesondere der De-               ligiöse Feste und Feiern wie Taufen, Messen oder
menz vom Alzheimer-Typ, anzusteigen. Während in               Hochzeiten wurden verboten.
der Altersgruppe zwischen 64 und 70 Jahren noch von               Im medizinischen Bereich wurden Rehabilitations-
einer Prävalenz von 1,5 % auszugehen ist – steigt die-        einrichtungen und Kuranstalten geschlossen, zahlrei-
se Prävalenz auf über 44 % in der Altersgruppe über           che elektive Behandlungen und Ambulanztermine ab-
95 Jahre an. Allein 206 (38 %) der COVID-19-assozi-           gesagt und ein Besuchsverbot in Krankenhäusern und
ierten Todesfälle fielen in die Altersgruppe >84 Jahre.       Wohnheimen verhängt.
Nach Daten aus Metaanalysen leiden in dieser Al-                  Diese Maßnahmen stellten für alle Bevölkerungs-
tersgruppe 12,8–22,2 % der Menschen an einer Form             schichten und Personengruppen eine erhebliche Ein-
von Demenz [4, 5]. Nationale Daten zur Anzahl von             schränkung des Lebens und meist auch eine erhebli-
Todesfällen von Menschen mit Demenz in Österreich             che soziale, psychische und auch ökonomische Belas-
liegen derzeit noch nicht vor. Internationale Daten           tung dar.
von Spanien und Italien (http://www.euro.who.int/                 Ab dem 14.04.2020 begann die Regierung, die
de/health-topics/health-emergencies/coronavirus-              Maßnahmen schrittweise zurückzunehmen und zu
covid-19/weekly-surveillance-report) berichten, dass          lockern. Es wurden jedoch auch zusätzliche Maß-
24 % der COVID-19-assoziierten Todesfälle unter ei-           nahmen wie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes,
ner komorbiden neurologischen Erkrankung oder                 z. B. in Geschäften oder öffentlichen Verkehrsmitteln,
Demenz litten. Seit April 2020 wird basierend auf             eingeführt. Wann und wie Maßnahmen mit hoher Re-
diese Daten in einer zunehmenden Anzahl von Pub-              levanz für Menschen mit Demenz gelockert werden
likationen Stellung zum Umgang mit Menschen mit               – beispielsweise das Besuchsverbot in Wohnheimen
Demenz und dem Betreuungsumfeld im Rahmen der                 und Krankenhäusern oder das Öffnen von medizini-
COVID-19-Pandemie bezogen. In mehreren Editorials             schen Dienstleistern – ist mit Stand vom 03.05.2020
und Kommentaren wird explizit auf die besonderen              noch unklar. Einen bitteren Beigeschmack hinterlässt
Bedürfnisse dieser vulnerablen Population hingewie-           auch die Bekanntgabe der Regierung von Maßnah-
sen [6–10]. In einem Artikel von Brown et al. 2020 [11]       men zum Schutz von Risikogruppen am 23.04.2020.
wurden bereits im April Empfehlungen veröffentlicht,          Diese beinhalten ausschließlich eine Regelung für
die sich mit dem Umgang mit Menschen mit Demenz               den Schutz von Personen mit Vorerkrankungen am
im stationären Setting, der psychischen Belastung für         Arbeitsplatz. Menschen mit Demenz – eine Perso-
Angehörige und auch die Auswirkungen der COVID-               nengruppe, die nahezu gänzlich nicht mehr im Ar-
19-Pandemie auf die Demenzforschung beschäftigen.             beitsprozess und aufgrund der Altersstruktur zur
                                                              Hauptrisikogruppe für eine letale COVID-19-Infektion

K                                                         Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
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gehört, – werden durch keine gesonderten Maßnah-                     Ergebnisse und Problemfelder
men geschützt.
   Zusammengefasst bedeuten die COVID-19-beding-                     Basierend auf publizierten Originalarbeiten, Fallbe-
ten Maßnahmen für Menschen mit Demenz auf ver-                       richten und Stellungnahmen zur COVID-19-Pandemie
schiedenen Ebenen eine durch ihre Erkrankung spe-                    zu Menschen mit Demenz und deren Betreuungsum-
zielle und erhebliche zusätzliche Belastung. Ziel der                feld werden allgemeine Auswirkung von Krisen und
Maßnahmen war die Verhinderung der Verbreitung                       insbesondere der COVID-19-Krise auf diese vulne-
von COVID-19 und somit der Schutz der Bevölkerung.                   rable Population beschrieben. In den Unterkapiteln
Im Folgenden soll dargestellt und diskutiert werden,                 werden spezielle Problemfelder auf den folgenden
auf welchen Ebenen diese „Schutzmaßnahmen“ bei                       4 Ebenen unter Bezugnahme auf die rezente Literatur
Patienten mit Demenz und deren Betreuungsumfeld                      diskutiert und vonseiten der ÖAG Stellungsnahmen
auch schaden oder weitrechende negative Auswirkun-                   und Handlungsempfehlungen formuliert:
gen haben können und möglicherweise noch haben                          Ebene: Versorgung, Betreuung und Pflege
werden. Auch soll aufgezeigt werden, welche Faktoren                    Ebene: medizinische Ebene
und teils auch strukturellen demenzbezogenen Gege-                      Ebene: soziale Ebene
benheiten die Umsetzbarkeit der COVID-19-beding-                        Ebene: kognitive, emotionale und Verhaltensebene
ten Maßnahmen bei Menschen mit Demenz schwie-
rig bis nicht realisierbar machen. Nicht zuletzt werden              Abb. 1 gibt eine Übersicht über die identifizierten
auch die im Rahmen der Krise implementierten ge-                     durch COVID-19 neu entstandenen Problemfelder
sonderten und speziellen Hilfsangebote für Menschen                  für Menschen mit Demenz und/oder das Betreu-
mit Demenz aufgezeigt.                                               ungsumfeld auf verschiedenen Ebenen. Für jede Ebe-
                                                                     ne werden wesentliche krisenassoziierte Folgen und
Methodik                                                             Auswirkungen auf Menschen mit Demenz und deren
                                                                     Betreuungsumfeld dargestellt.
In diesem Positionspapier wurden aktuelle Informa-
tionen aus offiziellen Quellen der österreichischen                  Auswirkung von Krisen auf Menschen mit Demenz
Regierung, der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
sowie rezent publizierter Literatur im Rahmen der                    Das Thema „Krise bei Menschen mit Demenz“ ist kei-
COVID-19-Pandemie verarbeitet.                                       neswegs erst mit dem Beginn der COVID-19-Pande-
   Problemfelder wurde anhand von Berichten und                      mie entstanden. Die Auswirkungen von Krisen auf die-
aktuellen Erfahrungen aus geriatrischen und geron-                   se vulnerable Gruppe sind jedoch nur wenig unter-
topsychiatrischen Einrichtungen in Österreich sowie                  sucht. In einer Übersichtsarbeit von MacNeil Vrom-
anhand bekannter Literatur definiert.                                men et al. – [12] zum Thema „Definition von Krisen in
   Jedes Problemfeld wurde in Bezug auf die aktuelle                 der Pflege von Menschen mit Demenz“ konnten ledig-
COVID-19-Krise und in Zusammenschau mit bereits                      lich 27 Publikationen eingeschlossen werden [12]. Die
publizierter Literatur analysiert und diskutiert.                    Autoren beschreiben in ihrer Arbeit multiple Auslöser
                                                                     einer Krise im Rahmen der Pflege von Patienten mit
                                                                     Demenz – eine Pandemie vergleichbar mit COVID-19

Abb. 1       Auswirkungen
der    Covid-19-Pandemie.        Kognitive, emotionale und Verhaltensebene            Ebene der Versorgung, Betreuung und Pflege
MmD Menschen mit De-
                               - Ethische Entscheidung zwischen Nähe (Risiko         - Vermindertes oder fehlendes nicht
menz; BU Betreuungsum-         Infektion) und empfohlener Distanz                    pharmakologischem Therapieangebot
feld                           - Reizdeprivation oder Reizüberflutung durch          (Physiotherapie/Ergotherapie)
                               Informationsflut über Medien für MmD                  - Doppelbelastung durch zusätzliche Versorgung von
                               - Nicht Einhalten/Erfassen von COVID-19-Maßnahmen     Kindern und/oder „Homeoffice“ für das BU→
                               aufgrund von kognitiven Defiziten                     Stress/Überforderung
                                                                                     - Fehlende oder Abbruch der ambulanten Versorgung

                                                                  Auswirkung der COVID-19-Krise
                                                                     auf Menschen mit Demenz

                                                 Soziale Ebene                                      Medizinische Ebene
                               - Soziale Isolation und Vereinsamung durch solziale   - Absage oder Aufschub von elektiven Eingriffen →
                               Distanz und Besuchsverbote UND/ODER Angst und         negative Folgen für MmD
                               Aggression durch erzwungene soziale Nähe (für MmD     - Ethische Entscheidung im Rahmen von somatischen
                               und BU)                                               Akutbeschwerden – Risiko-Nutzen-Abwägung zwischen
                               - Ethische Entscheidung zwischen Nähe (Risiko         Infektionsrisiko an der Klinik/Notfallaufnahme und
                               Infektion) und empfohlener Distanz → hohe Belastung   Verbleib zuhause → hohe Belastung für das BU
                               für das BU

  Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)                                                              K
original article

wurde erwartungsgemäß nicht thematisiert. Dennoch                   Im Bereich von pharmakologischen Studien steigt
wurde im Artikel eine Definition für „demenzassozi-              seit Beginn der COVID-19-Pandemie vorrangig die An-
ierte Krisen“ formuliert (englisches Original): „A pro-          zahl von wissenschaftlichen Publikationen mit Daten
cess where there is a stressor(s) that causes an imbalance       zu möglichen Impfstoffen oder neuen Therapien ge-
requiring an immediate decision which leads to a desi-           gen den COVID-19-Virus. Trotz der dringenden Not-
red outcome and therefore crisis resolution. If the crisis       wendigkeit und akuten Relevanz solcher Studien, soll-
is not resolved, the cycle continues.“ Trotz dem neu hin-        ten auch die Effekte auf die „Demenz Pandemie“ nicht
zugekommenen Stressor „COVID-19“ hat diese Defi-                 gänzlich vernachlässigt werden.
nition auch für die rezente Krise nicht an Aktualität               Es ist zu erwarten, dass die derzeitige COVID-19-
verloren. Auch in einer aktuell 2020 publizierten Über-          Pandemie auch für die Forschung auf dem Gebiet der
sichtsarbeit zum Management von Krisen bei Patien-               Alzheimer-Erkrankung weitreichende Folgen haben
ten mit Demenz wurde ein Mangel an entsprechenden                wird. Insbesondere die Durchführung von klinischen
Studien und die Notwendigkeit der Entwicklung kla-               Studien und Pharmastudien können durch Quarantä-
rer Krisenkonzepte schlussgefolgert [13]. Als vorrangi-          ne – und umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen sowie
ges Ziel in den genannten Studien wurde angeführt,               Reiseverbote, jedoch auch durch die weitreichen-
Akutaufnahmen und den Transfer an Notfallaufnah-                 den wirtschaftlichen Folgen behindert und erschwert
men von Menschen mit Demenz zu vermeiden und                     werden. Diesbezüglich wurden bereits einige Richt-
ein effektives Krisenmanagement für die Patienten in             linien für die Durchführung von klinischen Studien
gewohnter Umgebung zu ermöglichen [14]. Auch die                 bei Patienten mit Alzheimer-Erkrankung erarbeitet
2018 veröffentlichen NICE Guidlines heben die Wich-              und publiziert [20]. Eine Fortführung von pharma-
tigkeit der Pflege von Menschen mit Demenz im ge-                kologischen Studien unter Einhaltung von hohen
wohnten Umfeld zuhause hervor [15]. Diese Ziele ha-              Sicherheitsmaßnahmen sollte jedenfalls erfolgen.
ben im Rahmen der COVID-19-Pandemie einen noch
höheren Stellenwert und an maßgeblicher Relevanz                 Ebene: Versorgung, Betreuung und Pflege
gewonnen. Es ist bekannt, dass ein Akuttransfer von
Menschen mit Demenz bei den Patienten mit hohem                  Menschen mit Demenz werden in Österreich zu
Stress, Angst und Schwierigkeiten, sich in der neuen             ca. 80 % zu Hause und etwa in 15–20 % in einem
Umgebung zurechtzufinden, verbunden ist. Im Rah-                 Wohnheim oder anderen vollstationären Einrich-
men der derzeitigen Pandemie kommen noch zwei                    tung versorgt [21]. Die Versorgung zu Hause wird
wichtige Faktoren hinzu, die einen Transfer ins Kran-            zu einem überwiegenden Teil von Angehörigen allein
kenhaus zu einer äußerst schlechten Strategie des Kri-           übernommen – teils auch im Rahmen einer 24-h-
senmanagements machen:                                           Betreuung oder auch mit Unterstützung ambulanter
   Menschen sind an Kliniken, Krankenhäusern und                Pflegeeinrichtungen gemeistert. Einen wichtigen Teil
    Notfallaufnahmen einem erheblich erhöhten Infek-             der Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz
    tionsrisiko mit COVID-19 ausgesetzt.                         stellen auch nicht pharmakologische Therapiemaß-
   Durch das maßnahmenbedingte Besuchsverbot in                 nahmen wie die Ergotherapie, Musiktherapie oder
    medizinischen Einrichtung kommt es zu einer zu-              körperliche und kognitive Aktivierung beispielsweise
    sätzlich belastenden sozialen Isolation der Men-             in Tageszentren dar.
    schen mit Demenz. Aus diesem Grund sollten ins-                 Im Rahmen der COVID-19-Maßnahmen wurden
    besondere präventive Maßnahmen im Zentrum ei-                zahlreiche ambulante Betreuungsangebote reduziert
    nes erfolgreichen Krisenmanagements stehen.                  oder auch Angebote in Tageszentren gänzlich einge-
                                                                 stellt. Die Versorgung mithilfe der 24-h-Pflege wurde
Einige rezente Publikationen enthalten bereits Stel-             über die im Rahmen der Maßnahmen eingeführten
lungnahmen und Kommentare zu präventiven Stra-                   Reisebestimmungen und Grenzkontrollen erschwert
tegien für Menschen mit Demenz und deren Be-                     und musste teils beendet werden. Für Familien mit
treuungssystem, um allgemeinen negativen Folgen                  einem Angehörigen mit Demenz kann eine 24-h-Be-
der Pandemie aktiv vorzubeugen [16–18]. In einer                 treuung eine wertvolle Unterstützung sein. Die Covid-
Übersichtsarbeit von Boots et al. 2014 [19] wurden               19-Krise führte drastisch vor Augen, wie fragil dieses
Arbeiten über internetbasierte Interventionsprogram-             System ist.
me für Angehörige und Betreuungspersonen von                        Durch die COVID-19-Krise wurde akut und deut-
Menschen mit Demenz zusammengefasst. Trotz der                   lich der Mangel an einheimischen Pflegekräften auf-
wenigen publizierten und der teils methodisch ge-                gezeigt. Auch wenn durch Bemühungen der Regierung
ringen Aussagekraft der Studien wurde ein positiver              Ende April 2020 eine Ein- und Ausreise von Pflege-
Effekt auf Pflege und auch die psychische Gesund-                kräften aus osteuropäischen Ländern wieder einge-
heit der Pflegenden beschrieben. Gerade in Krisen                schränkt ermöglicht wurde, konnte der COVID-19-be-
mit der Notwendigkeit von sozialer Distanz zeigt sich            dingte akute Pflegenotstand nicht behoben werden.
die Relevanz solcher webbasierter, Medien nutzender
Interventionsstrategien.                                         Stellungnahme der ÖAG zur 24-h-Pflege Es besteht
                                                                 auch nach der COVID-19-Krise ein dringender Bedarf,

K                                                            Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
original article

besonders das Angebot an einheimischen Pflegekräf-                   menz selbst eine vulnerable Gruppe mit hohem Risiko
ten für Menschen mit Demenz entscheidend zu er-                      für physischen und emotionalen Stress und assoziier-
höhen. Das Risiko einer Covid19-Infektion für Pfle-                  ten Folgeerkrankungen [22, 23]. Die telemedizinische
gekräfte, die über lange Strecken anreisen, ist erhöht.              oder internetbasierte Unterstützung kann für Angehö-
Auch lässt sich das Infektionsrisiko in ihren Herkunfts-             rige ein wichtiges und hilfreiches Angebot darstellen.
regionen meistens nicht erfassen. Entsprechend muss                  Der Nutzen von Internet und telemedizinischen Un-
die Autonomie der österreichischen 24-h-Pflege über                  terstützungsangeboten für pflegende Angehörige wur-
bessere Entlohnung und größere Wertschätzung ver-                    de bereits vor der COVID-19-Krise untersucht [19].
bessert werden.                                                      Frühere Studien führten als entscheidenden Vorteil
   Nach Auskunft von ambulanten Pflegeeinrichtun-                    der telemedizinischen und internetbasierten Betreu-
gen war die Reduzierung im Bereich der ambulanten                    ung und Beratung von Angehörigen an, dass diese von
Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz                        zuhause aus erfolgen kann und der zu betreuende An-
im Wesentlichen durch die hohe Gefahr der Infekti-                   gehörige weniger Isolation empfindet. In Zeiten von
on der zu betreuenden Klienten über die Pflegekräfte                 Ausgangsbeschränkungen und „sozialem Distanzhal-
begründet. Diese mussten sich einer ethisch schwie-                  ten“ wurden diese genannten Vorteile zu einer aku-
rigen und belastenden Risiko-Nutzen-Abwägen zwi-                     ten Notwendigkeit. Auch unabhängig von der Rolle
schen Fortführung der Betreuung und Risiko einer In-                 als pflegender Angehöriger stellt die COVID-19-Epi-
fektion des Klienten stellen. Der Umstand, dass ins-                 demie für auch gesunde Menschen ein hohes Aus-
besondere Körperpflege ohne körperliche Nähe nicht                   maß an Stress dar. Auch in der Allgemeinbevölkerung
durchführbar ist, machte eine solche oft unmöglich.                  ist wie bereits nach der SARS-Epidemie 2003 (schwe-
Hier ist besonders auf das Fehlen von Schutzkleidung                 res akutes respiratorisches Syndrom) mit dem Auftre-
für ambulante Pflegepersonen hinzuweisen. Mit einer                  ten von psychischen Symptomen wie Angst, depressi-
ausreichenden Schutzbekleidung und FFP 3 Masken                      ven Symptomen bis zu selbstschädigendem Verhalten
wäre in einem größeren Ausmaß eine Weiterführung                     oder Suizidideen zu rechnen [24].
der ambulanten Betreuungs- und Pflegemaßnahmen
ermöglicht worden.                                                   Stellungnahme der ÖAG zu pflegenden Angehöri-
                                                                     gen Pflegende Angehörige benötigen vergleichbar
Stellungnahme der ÖAG zu ambulanter Pflege Es                        mit professionellen Pflegenden und Betreuungsper-
wird der dringende Aufruf an die Regierung gestellt,                 sonen einen Zugang zu Schutzmaßnahmen (FFP-
auch ambulante Pflegeeinrichtungen vorsorglich mit                   3-Masken, Desinfektionsmitteln), um die familiäre
medizinischem Schutzmaterial zu versorgen. Auch                      Versorgung von Menschen mit Demenz auch in Kri-
sollte die COVID-19-Pandemie zum Anlass genom-                       senzeiten sicher gewährleisten zu können. Aus dieser
men werden, Hygieneartikel wie Hände- und Flä-                       Krise soll gelernt werden, wie wichtig Schulungs- und
chendesinfektionsmittel auch für die ambulanten                      Unterstützungsangebote für pflegende und betreu-
Dienste zur Verfügung zu stellen, die Pflegepersonen                 ende Angehörige auch im Bereich der medizinischen
in deren Anwendung zu schulen und die Desinfektion                   Versorgung sind. Als Konsequenz muss das Angebot
von Händen und Flächen in die Pflegetätigkeit zu                     solcher Schulungsangebote und auch insbesondere
integrieren.                                                         telemedizinischer und internetbasierter Unterstüt-
   Für pflegende Angehörige stellten insbesondere die                zungsangebote für pflegende Angehörige ausgeweitet
Ausgangsbeschränkungen und die Vorschrift zum Ein-                   werden. Es muss auf die psychische Gesundheit von
halten von sozialer und räumlicher Distanz eine große                pflegenden Angehörigen proaktiv geachtet werden,
Herausforderung und Belastung dar. Pflegende Ange-                   um psychischen Störungen durch die Doppelbelas-
hörige, die nicht im selben Haushalt mit dem Men-                    tung durch die COVID-19-Krise auf die Personen
schen mit Demenz leben, waren gezwungen, auf den                     selbst und in ihrer Rolle als Pflege- und Betreuungs-
gewohnten Kontakt durch regelmäßige Besuche oder                     personen von Menschen mit Demenz vorzubeugen.
Abholen dieser zu Ausflügen etc. zu verzichten. Die                     In Anlehnung an die Empfehlungen des Chinesi-
pflegenden und betreuenden Angehörigen wurden zu                     schen Ministeriums für zivile Angelegenheiten im Ja-
einer schwierigen auch ethischen Risiko-Nutzen-Ab-                   nuar 2020 [25] und jenen vom „US Centers for Disease
wägung zwischen bestmöglicher Betreuung und Pfle-                    Control and Prevention“ wurde auch in Österreich ab
ge des Betroffenen und bestmöglichem Schutz vor In-                  dem 16.03.2020 ein Besuchsverbot in Wohnheimen und
fektion gezwungen.                                                   Betreuungseinrichtungen erlassen. Dieses Verbot stellt
   Eine alternative Kontaktaufnahme mittels Video-                   für Menschen mit Demenz auf verschiedensten Ebe-
telefonie oder anderen sozialen Medien ist besten-                   nen eine durch die demenzielle Erkrankung verstärkt
falls bei Menschen mit leichtgradiger Demenz in be-                  hohe Herausforderung und Belastung dar. Menschen
schränktem Ausmaß möglich, in schwereren Stadien                     mit Demenz in institutioneller Pflege befinden sich
oder somatischen und/oder psychiatrischen Komor-                     zumeist in einem mittel- bis schwergradigen Krank-
biditäten unrealistisch.                                             heitsstadium. – Meist liegen auch andere somatische
   Pflegende Angehörigen sind auch unabhängig von                    Komorbiditäten vor. Für diese Patientengruppe stellt
der COVID-19-Krise neben den Menschen mit De-                        ein akuter Wechsel der Tagesstruktur und gewohnter

  Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)                                                K
original article

Tab. 1 Darstellung der aufgezeigten Problemfelder im Rahmen der COVID-19-Krise auf Menschen mit Demenz und ange-
botenen Gegenmaßnahmen
COVID-19-assoziierte Problemfelder und Berichte aus den Bundes-      Angebotene Gegenmaßnahmen:
ländern                                                              – beispielsweise:
Fehlende Betreuung und Pflege, – insbesondere im Bereich der         Einrichtung von offiziellen Hotlines
24-h-Pflege
Unsichere Medikamenteneinnahme durch fehlende ambulante Be-          Alzheimer’s Disease International: https://www.alz.co.uk/news/adi-offers-advice-and-
treuung                                                              support-during-covid-19
Mangelhafte Grundversorgung, z. B. hinsichtlich Ernährung aufgrund   MAS Alzheimerhilfe: https://www.alzheimer-hilfe.at/mas_tipps.html#infoblaetter
von geschlossenen Gastbetrieben und Kantinen                         Ehrenamtliche Versorgung für Menschen mit Demenz wurde etabliert – Übernahme von
                                                                     Einkäufen und Botengängen
Fehlendes ambulantes Therapieangebot über Dienstleister wie Phy-     –
siotherapeuten, Ergotherapeuten
Fehlen von Tagesstruktur und körperlicher/geistiger Aktivierung      Coronavirus: Online-Pflege-Kurs & Tipps für die Psyche (öffentliches Gesundheitsportal
durch die Schließung von Tageszentren und Gruppenveranstaltungen     Österreich: https://www.gesundheit.gv.at/aktuelles/coronavirus-pflege-psyche)
Schwierige Risiko-Nutzen-Abwägung zwischen engmaschigen Be-          Tägliche und umfassende Information über nationale und internationale Medien. Einrich-
suchen beim zu pflegenden Patienten und Distanzhalten zum Schutz     tung von offiziellen Hotlines
vor Infektion
Anstieg von Angst, Aggression und Agitation in Wohnheimen (auch      Angebot von zahlreichen telemedizinischen psychologischen Beratungsangeboten
wegen hoher Covid-19-bedingter Sterberate der Heimbewohner/
Heimbewohnerinnen)

Abläufe ein hohes Ausmaß an Stress und Irritation dar.                          werden. Nicht wenige pflegerisch und ärztliche Mit-
Die Betroffenen sind aufgrund ihrer kognitiven Defi-                            arbeiter werden sich in dieser Krise die immer wie-
zite nichtmehr in der Lage, sich an neue Gegeben-                               der diskutierten technischen und computerassistier-
heiten zu adaptieren. Auch können sie Informatio-                               ten Möglichkeiten für die Versorgung von Menschen
nen wie die teils komplexe Berichterstattung in den                             mit Demenz – Schlagwort „Pflegeroboter“ – herbeige-
Medien nichtmehr auffassen, verarbeiten und konso-                              wünscht haben. Dennoch zeigt sich in der derzeiti-
lidieren. Insbesondere die demenztypischen Defizite                             gen Situation gerade der hohe Stellenwert von sozia-
im Neugedächtnis und der Informationsverarbeitung                               len Kontakten für Menschen mit Demenz.
machen eine Anpassung an die neuen Umstände rund                                   In der stationären Versorgung ist für Menschen mit
um die COVID-19-Krise schwierig bis unmöglich. Die                              Demenz besonders schwer zu verstehen, warum sie
Umstellung von persönlichen Kontakten auf „digita-                              sich ohne Menschen, die sie lieben, an einem ihnen
le“ Optionen ist nicht nur durch das häufige Fehlen                             unbekannten Ort aufhalten. Sie werden sogar noch
technischer Geräte, sondern besonders durch die de-                             einsamer und verängstigter sein als andere. Auch sind
menzassoziierten Defizite nicht möglich.                                        sie weniger in der Lage, zu kommunizieren oder An-
   Aus den Rückmeldungen der gerontopsychia-                                    weisungen und Sicherheitsmaßnahmen zu befolgen.
trischen Abteilungen und Spezialambulanzen (Ge-                                 All diese Faktoren können dazu führen, dass sie wäh-
dächtnissprechstunden, Gedächtnisambulanzen) der                                rend ihres Krankenhausaufenthalts ein erhöhtes Risi-
Bundesländer wurden folgende Problemfelder z. B.                                ko haben, ein Delir zu entwickeln. Wie im Abschnitt
aus telemedizinischen Betreuungsangeboten erkannt.                              über ein erfolgreiches Krisenmanagement für Men-
Unabhängig wurden auf zahlreichen nationalen und                                schen mit Demenz beschrieben, sollte insbesondere
internationalen Internetplattformen zum Thema De-                               in der Zeit von COVID-19 eine strenge Nutzen-Risi-
menz eigene Informationen zum Thema „Corona und                                 ko-Abwägung erfolgen, inwieweit ein Krankenhaus-
Demenz“ eingefügt. (Tab. 1).                                                    aufenthalt unvermeidbar ist oder alternative Versor-
                                                                                gungsmöglichkeiten genutzt werden können.
Medizinische Ebene                                                                 In welchem Maße das Covid-19-Virus Einfluss auf
                                                                                mögliche neurologische Symptome und auf die Inzi-
Auf der medizinischen Ebene und auch im Rahmen                                  denz und Prävalenz von Demenzerkrankungen hat, ist
der medizinischen Versorgung haben sich für Men-                                derzeit nicht sicher zu beurteilen.
schen mit Demenz durch COVID-19 verschiedenste                                     Mit der wachsenden Zahl an Covid-19-Patienten
Belastungen und Schwierigkeiten ergeben.                                        werden bei diesen aber immer mehr neurologische
   Neben zahlreichen abgesagten und verschobenen                                Symptome bekannt. COVID-19 kann das Nervensys-
elektiven Behandlungen wurden auch ambulante Be-                                tem über vier potenzielle Mechanismen beeinflussen,
handlungsmöglichkeiten vielfach reduziert oder gänz-                            die sich überschneiden können. Der erste Mechanis-
lich auf eine telefonische Erreichbarkeit umgestellt.                           mus ist eine direkte virale Schädigung des Nervenge-
Trotz des wichtigen und wertvollen Beitrags der te-                             webes, wie sie bei der Herpes-simplex-Enzephalitis
lemedizinischen Versorgung während der COVID-19-                                auftritt. Obwohl es einige suggestive Fallberichte gibt,
Krise muss wiederum der eingeschränkte oder fehlen-                             gibt es keinen eindeutigen Beweis dafür, dass das
de Nutzen für Menschen mit Demenz hervorgehoben                                 SARS-CoV-2-Virus das zentrale Nervensystem (ZNS)

K                                                                         Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
original article

direkt schädigt [26]. Die zweite Art von Verletzung re-              und Herausforderung dar. Durch das Einhalten von
sultiert aus einer exzessiven Immunantwort in Form                   körperlicher Distanz und das sog. „social distancing“
eines „Zytokinsturms“. Zytokine können die Blut-                     wird das Risiko für Vereinsamung und Reizdepriva-
Hirn-Schranke überwinden und sind mit einer aku-                     tion erhöht. Insbesondere die offizielle Empfehlung,
ten nekrotisierenden Enzephalopathie verbunden.                      Kleinkinder nicht in die Nähe von älteren Menschen
Es wurde nur ein Fall gleichzeitig mit COVID-19                      zu bringen, schottete Großeltern meist von ihren
gemeldet. Der dritte Mechanismus der Schädigung                      Enkelkindern ab. Auch werden Menschen mit De-
des Nervengewebes resultiert aus unbeabsichtigten                    menz von der so wichtigen Ressource für Resilienz –
Wirkungen der Immunantwort des Wirts nach ei-                        nämlich den sozialen Kontakten und der zwischen-
ner akuten Infektion. Ein Beispiel für diese Art der                 menschlichen Interaktion – abgeschnitten. In vielen
indirekten neuronalen Schädigung ist das Guillain-                   bisherigen Studien zu Resilienz bei Menschen mit
Barré-Syndrom (GBS). Es wurde über mehrere Fälle                     Demenz wurde gerade der Faktor von sozialer Un-
von GBS in Verbindung mit COVID-19 berichtet, aber                   terstützung und sozialer Interaktion als wesentlich
die Beweise für Ursache und Wirkung sind schwach                     und wichtig beschrieben [30]. Im Rahmen der De-
[27]. Der vierte Mechanismus der indirekten viralen                  menz nehmen auch Möglichkeiten zur Nutzung und
Schädigung resultiert aus den Auswirkungen einer                     Entwicklung von Coping-Strategien ab. Während im
systemischen Erkrankung. Längere Behandlungen auf                    Jugend- und Erwachsenenalter die Nutzung von so-
der Intensivstation können neuropsychiatrische Sym-                  zialen Medien und die digitale Kommunikation als
ptome verursachen. Die meisten Fälle von COVID-19-                   Alternativen für persönliche Sozialkontakte genutzt
bezogenen neurologischen Komplikationen scheinen                     werden können, stehen diese Wege Menschen mit
in diese Kategorie zu fallen. In einer retrospektiven                Demenz, insbesondere im fortgeschrittenen Stadium,
Fallserie wurde über eine hohe Inzidenz neurologi-                   meist nicht mehr zur Verfügung. Die COVID-19-Kri-
scher Symptome bei 214 hospitalisierten Patienten                    se kann somit bei Menschen mit Demenz zu großer
mit bestätigter COVID-19-Infektion in Wuhan, Chi-                    Einsamkeit führen. Einsamkeit wird definiert: „als ei-
na, berichtet [28]. Achtundsiebzig (36,4 %) Patienten                ne unangenehme Erfahrung, welche erlebt wird, wenn
hatten Symptome des ZNS (24,8 %), des PNS (8,9 %)                    ein Individuum einen qualitativen und qualitativen
oder der Skelettmuskulatur (10,7 %). Die beiden häu-                 Verlust von sozialen Beziehungen über einen längeren
figsten ZNS-Symptome waren Schwindel (16,8 %) und                    Zeitraum erfährt.“ Einsamkeit kann in eine soziale
Kopfschmerzen (13,1 %), wobei auch über eine aku-                    und emotionale Ebene unterteilt werden. Die COVID-
te zerebrovaskuläre Erkrankung, Ataxie, Epilepsie und                19-Pandemie und ihre Konsequenzen für das tägliche
Bewusstseinsstörungen berichtet wurde. Rezente Fall-                 Leben haben das Risiko für Einsamkeit auf beiden
berichte aus New York, aber auch Berichte aus Ös-                    Ebenen entscheidend erhöht. Auf emotionaler Ebene
terreich, zeigten Fälle von COVID-19-assoziierten                    musste der Kontakt mit Menschen mit Demenz sehr
zerebrovaskulären Ereignissen [29]. Die längerfris-                  stark auf eine verbale Kommunikation z. B. per Telefon
tigen Auswirkungen auf Inzidenz und Progredienz                      reduziert werden. Gerade die nonverbale Kommuni-
von Demenzerkrankungen kann derzeit noch nicht                       kation mit Mimik und Gestik oder auch Berührung
wissenschaftlich beantwortet werden. Von negativen                   hat bei Menschen mit Demenz im Krankheitsver-
Auswirkungen auf die Demenzprogression oder eine                     lauf eine zunehmende Bedeutung. Durch Verlust von
Zunahme der Demenzinzidenz muss bei den be-                          kognitiven Funktionen können ausschließlich verbal
richteten direkten negativen Effekten auf das Gehirn                 präsentierte Informationen nichtmehr ausreichend
ausgegangen werden.                                                  verarbeitet und aufgenommen werden – jene mit
                                                                     nonverbalem Inhalt jedoch bis ins schwerstgradi-
Stellungnahme der ÖAG Zusammenfassend können                         ge Demenzstadium. Auch das Tragen eines Mund-
wir wohl aus der COVID-19-Krise einerseits schluss-                  Nasen-Schutzes erschwert Menschen mit kognitiven
folgern, dass der Ausbau von digitalen und telemedizi-               Einschränkungen und teils auch Visusminderung die
nischen Medien im Gesundheitssystem hilfreich und                    Kommunikation mit ihren Mitmenschen. In Gesprä-
wesentlich erweitert werden sollte – andererseits müs-               chen mit Angehörigen wurde vielfach berichtet, dass
sen auch die Grenzen dieser „a-sozialen“ Versorgung                  Menschen mit Demenz auch auf Angehörigen mit
für Menschen mit Demenz im Fokus bleiben. Es be-                     Mund-Nasen-Schutz ängstlich bis ablehnend rea-
steht eine dringende Notwendigkeit, auch im Längs-                   gierten. Einsamkeit auf sozialer Ebene wird durch
schnitt die somatischen und demenzspezifischen Aus-                  die COVID-19-Krise einerseits durch die Reduktion
wirkungen von COVID-19 auf Menschen mit Demenz                       vom ambulanten Pflegeangebot, dem Untersagen
zu erheben.                                                          von Treffen in Gruppen und von Veranstaltungen und
                                                                     auch dem Besuchsverbot in Krankenanstalten und
Soziale Ebene                                                        Wohnheimen gefördert. Insgesamt wird in der älteren
                                                                     Bevölkerung je nach Wohnort von einer Prävalenz
Die COVID-19-Pandemie stellt durch die notwendig                     von Einsamkeit zwischen 20 und 40 % ausgegangen
gewordenen Schutzmaßnahmen auf der sozialen Ebe-                     [31]. In einer rezenten Stellungnahme von Armitage
ne für Menschen mit Demenz eine hohe Belastung                       et al. [32] wird besonders auf die Gefahr von Ein-

  Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)                                                K
original article

samkeit und ihren Folgen für die ältere Bevölkerung            Kognitive, emotionale und Verhaltensebene
im Rahmen der COVID-19-Pandemie hingewiesen
[32]. Bereits frühere Arbeiten haben gezeigt, dass sich        Zu den typischen Symptomen der Alzheimer-Demenz
durch Einsamkeit das Risiko für somatische Erkran-             und anderen neurodegenerativen Demenzformen ge-
kungen [33] und psychische Symptome wie Angst und              hören Defizite in der Informationsverarbeitung, der
Depression erhöht [34]. Wie auch in der angeführten            Auffassung und der Erfassung von verbalen Infor-
Stellungnahme sollte die COVID-19-Pandemie zum                 mationen. Auch die Informationsgeschwindigkeit ist
Anlass genommen werden, aktiv der sozialen Isola-              im Rahmen der Demenz in Abhängigkeit des Schwe-
tion und Einsamkeit älterer Menschen vorzubeugen.              regrads reduziert (American Psychiatric Association.
Für gesunde ältere Menschen oder Menschen mit                  Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disor-
Demenz im Beginnstadium können auch telemedi-                  ders 5th edn). Bis zu 90 % der Menschen mit Demenz
zinische und digitale Medien präventiv eingesetzt              leiden im Verlauf der Erkrankung an Verhaltensauf-
werden. Für mittel-bis schwergradig an Demenz Er-              fälligkeiten oder neuropsychiatrischen Symptomen
krankte sollte auf eine Ausweitung von persönlichen            [35]. Ein erheblicher Anteil ist auch von komorbiden
und mit sozialer Interaktion verbundenen Strategien            psychischen Störungen wie Depression, Angst oder
fokussiert werden. Auch sollte immer darauf Wert ge-           Schlafstörungen betroffen [36]. Auch wenn die Folgen
legt werden, die Angehörigen und das Betreuerumfeld            der COVID-19-Pandemie auf Menschen mit Demenz
in die präventiven Strategien mit einzubeziehen.               und deren Angehörige und Betreuungspersonen noch
   Während die maßnahmenbedingte soziale Distanz               nicht bestimmt vorausgesagt werden können, ist doch
besonders für allein lebende Menschen mit Demenz               aus den Erfahrungen der SARS-Epidemie 2013 von ei-
belastend und problematisch ist, zeigt sich für Men-           nem hohen Risiko für negative Konsequenzen für
schen, die mit ihrem Partner oder in der Familie le-           die psychische Gesundheit auszugehen. In Folge der
ben ein teils konträres Bild. Durch die Quarantäne-            SARS-Epidemie, welche insbesondere Hongkong be-
maßnahmen, die fehlende Möglichkeit des Rückzugs               traf, wurde von einem Anstieg der Suizidraten von
in z. B. Lokale, in Tageszentren, in den Freundeskreis         30 % in der Gruppe der über 65-Jährigen berichtet.
oder auch in die Natur kann es zu einem gezwun-                Ähnlich wie bei COVID-19 waren auch von SARS über-
genen Maß an sozialer Nähe kommen. Im Rahmen                   wiegend Personen über 60 Jahre von einem letalen
der COVID-19-Pandemie wurde von den Medien und                 Ausgang der Erkrankung betroffen. Trotz den in Hong-
auch psychologischen Stellungsnahmen vorwiegend                kong ohnehin höheren Suizidraten als in westlichen
auf resultierende Konflikte von Eltern und Kindern             Ländern, muss auch bei uns mit einem Anstieg der
oder in der Partnerschaft fokussiert, die durch die feh-       Suizide oder suizidalen Krisen in der älteren Bevölke-
lenden Rückzugsmöglichkeiten und die erzwungene                rung gerechnet werden. Auch kam es bei 30–50 % der
vermehrte gemeinsame Zeit auf engem Raum resul-                Menschen, die eine SARS Infektion überstanden hat-
tieren. Diese nun intensive und teils ganztägige Kon-          ten, zu persistierenden Angstsymptomen und bei der
frontation mit einem im selben Haushalt lebenden an            Gruppe von Mitarbeiten im Gesundheitsbereich zu
Demenz erkrankten Angehörigen kann ebenfalls zu ei-            anhaltendem emotionalen Stress [24]. In einer Studie
ner erheblichen Belastung für den Patienten das Be-            nach der SARS-Epidemie wurden folgende Faktoren
treuungsumfeld führen. Gerade hier besteht dringen-            als besonders belastend in der Krise beschrieben:
der Bedarf, aktiv pflegende Angehörige in schwierigen          Gefühl der Isolation, Hoffnungslosigkeit, Überflutung
Situationen wie Quarantäne und Ausgangsbeschrän-               mit negativen Nachrichten, Verlust sozialer Integra-
kungen aktiv zu unterstützen und zu beraten. Zwar              tion, unspezifische Angst und das Gefühl, Angehörige
wurden zahlreiche COVID-10-Krisen-Hotlines und te-             zu belasten [37].
lefonische Beratungen eingerichtet, – ob diese jedoch              Bei Menschen mit Demenz ist der Umgang mit
auch im Längsschnitt ausreichend und effektiv waren,           negativen Gefühlen durch die bestehenden kogni-
werden erst die nächsten Monate zeigen.                        tiven Defizite zusätzlich erschwert. Insbesondere in
                                                               Krisen sind hilfreiche Coping-Strategien und die Fä-
Stellungnahme der ÖAG Die COVID-19-Maßnah-                     higkeit zur Resilienz bei Menschen mit Demenz oft
men können maßgeblich und erheblich auf der sozia-             nur eingeschränkt umsetzbar. Unter dem Begriff Re-
len Ebene zu Belastungen für Menschen mit Demenz               silienz wird nach Windle ein dynamischer Prozess
und deren pflegende Angehörige führen. Es wurden               der aktiven Auseinandersetzung, Adaptierung und der
zahlreiche Gegenstrategien im Rahmen von telefo-               Bewältigung von stressvollen und traumatischen Er-
nischen Beratungs-Hotlines und einem breiten in-               fahrungen verstanden [38]. Unter Coping wird die
ternetbasierten Informationsangebot gesetzt. Die ge-           Anwendung von Bewältigungsstrategien verstanden,
schaffenen Angebote sind vorwiegend für Menschen               um eine schwierige Lebenssituation zu überstehen.
mit Demenz im leichtgradigen Stadium geeignet und              Für Menschen mit Demenz sind insbesondere Sozi-
nutzbar. Die Entwicklung von effektiven Interven-              alkontakte ein wesentlicher die Resilienz stärkender
tionen für Menschen im mittel- bis schwergradigen              Faktor [39]. Nicht zuletzt hat die kognitive Fähigkeit
Demenzstadium muss aktiv vorangetrieben werden.                des sog. „decision making“ im Rahmen der COVID-
                                                               10-Krise einen wichtigen und hohen Stellenwert für

K                                                          Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
original article

die Gesundheit und das Leben von Menschen mit                        heitlichen Folgen von COVID-19 sind. Auch steht au-
Demenz bekommen. Die Fähigkeit reflektiert und für                   ßer Frage, dass pflegende Angehörige und das Be-
sich selbst oder andere Entscheidungen zu treffen,                   treuungsumfeld von in der Altenpflege tätigen Perso-
erfordern kognitive Funktionen wie Gedächtnis, Auf-                  nen auch noch nach dieser Krise einem hohen Maß
merksamkeit und unterschiedliche frontal-exekutive                   physischer, emotionaler und sozialer Belastung aus-
Funktionen [40]. Vor allem diese kognitiven Funktio-                 gesetzt sind. In welchem Ausmaß die Pandemie die
nen sind im Rahmen der Demenz defizitär. Studien                     besonders vulnerable Gruppe von geriatrischen und
mit an Demenz erkrankten Menschen konnten zei-                       gerontopsychiatrischen Patienten auf den dargestell-
gen, dass deren Fähigkeit zur Entscheidungsfindung                   ten Ebenen treffen wird und welche möglichen auch
reduziert ist [41]. Folglich besteht bei Menschen mit                positiven Chancen sich durch die Krise eröffnen, wer-
Demenz die Gefahr, für sie unvorteilhafte oder so-                   den die nächsten Monate und Jahre zeigen.
gar schädliche Entscheidungen zu treffen. Besonders                     Zum jetzigen Zeitpunkt ist ein wesentlicher Schritt,
wenn die Entscheidungen schnell getroffen werden                     die COVID-19-Auswirkungen auf möglichst vielen
müssen und auf vielen und komplexen Informatio-                      Ebenen zu erheben, zu dokumentieren und kritisch
nen basieren, zeigen Menschen mit Demenz klare                       zu beleuchten. Nur so kann auch nach der Krise ein
Nachteile gegenüber Gesunden [42]. In der derzeiti-                  Aufarbeiten der nun akuten und traumatisierenden
gen COVID-19-Krise geraten Menschen mit Demenz                       Situation erfolgen und für präventive Strategien in der
besonders schnell und leicht in solch schwierigen Si-                Zukunft genutzt werden.
tuationen. Auch die komplexe Informationsflut über
die Medien und der teils fehlende Austausch mit ver-                 Stellungnahmen und Empfehlungen der
trauten Mitmenschen birgt die Gefahr von potenziell                  Österreichischen Alzheimer Gesellschaft zur
schädlichen Entscheidungen. – Als Beispiel seien nur                 Auswirkung von COVID-19 auf Menschen mit
die häufigen kriminellen Hilfs- oder Kreditangebo-                   Demenz und deren Betreuungsumfeld
te, oder gezielte Falschinformationen über COVID-
19-Maßnahmen genannt. Es kann davon ausgegan-                        Die Covid-19-Krise führte drastisch vor Augen, wie
gen werden, dass sich viele Menschen mit Demenz                      fragil das österreichische Pflege- und Versorgungssys-
allein aufgrund krankheitsbedingter Defizite in der                  tem von Menschen mit Demenz auf unterschiedli-
Entscheidungsfindung gegen das Befolgen von Si-                      chen Ebenen ist. Die Österreichische Alzheimer Ge-
cherheitsmaßnahmen oder auch das Einhalten von                       sellschaft unterstützt deshalb sehr die Aufwertung des
Ausgangsbeschränkungen entschieden haben. Als                        Pflegeberufs durch Verbesserungen der Ausbildungs-
Gegenmaßnahme wurden verstärkt in den Medien                         qualität sowie der Entlohnung. Die Autonomie der ös-
auch Nachrichten „in einfacher Sprache“ gesendet.                    terreichischen 24-h-Betreuung muss erhöht werden:
Auf manchen webbasierten Demenzportalen wur-                         Dies wird nur über bessere Entlohnung und höhere
den eigens für Menschen mit Demenz schriftliche                      Wertschätzung möglich sein. Auch eine Ausbildungs-
und bildliche Erklärungen der erlassenen COVID-19-                   offensive im Bereich der Pflegekräfte muss damit ein-
Maßnahmen veröffentlicht. Wieder wird darauf hin-                    hergehen. Das derzeitige Pflegesystem zieht seinen
gewiesen, dass eben solche Maßnahmen Menschen                        Vorteil aus dem unterschiedlichen Lohnniveau inner-
mit Demenz in besonders fortgeschrittenen Stadien                    halb der Europäischen Union und ist dabei gleich-
nicht erreichen und ein dringender Bedarf in Krisen                  zeitig gewillt bei den qualitativen Mindeststandards
besteht, die verfügbaren Informationen für alle Bürger               Abstriche zu machen. Es ist zu wünschen, dass das
eines Staates verfügbar zu machen.                                   Beschwören der „Helden des Alltags“ in vielen Be-
                                                                     reichen unserer Gesellschaft, und ganz besonders im
Stellungnahme der ÖAG Eine aktive und auf Men-                       Bereich der Pflegeberufe, zu einer Neuorientierung in
schen mit Demenz angepasste schriftliche Informati-                  unserem Land führt. Machen wir uns bewusst, dass
on, z. B. über Informationsblätter und Broschüren auf                die COVID-19-Krise nur ein Katalysator dafür ist, in-
staatlicher Ebene, wäre eine sinnvolle und wichtige                  härente Systemmängel aufzuzeigen. Die Mängel im
Initiative.                                                          Pflegebereich werden uns gerade drastisch vor Augen
                                                                     geführt. Nutzen wir die Chance der sich gerade ent-
Diskussion                                                           wickelnden Werteverschiebungen, um kurz- und mit-
                                                                     telfristige Änderungen herbeizuführen. Es ist darauf
Die COVID-19-Pandemie wird mit Sicherheit als be-                    zu drängen, dass die in den letzten Wochen so viel
deutende Krise in die Weltgeschichte und auch die                    gepriesenen „systemrelevanten“ Bereiche unserer Ge-
Geschichte Österreichs eingehen. Ob in vielen Jahren                 sellschaft – und dazu gehört das Pflegesystem – ver-
der medizinische Aspekt mit tausenden von menschli-                  stärkt autonomisiert und budgetär adäquat ausgestat-
chen Opfern oder der wirtschaftliche Schaden im Vor-                 tet werden müssen. Vor allem jenen Personen in unse-
dergrund bleiben wird, wird die Zukunft zeigen.                      rem Land, die zu pflegende Angehörige haben, wurde
  Sicher ist jedenfalls, dass Menschen in hohem Le-                  die Verletzlichkeit des derzeitigen Systems drastisch
bensalter und damit auch Menschen mit Demenz vor-                    vor Augen geführt.
nehmlich die Opfer der medizinischen und gesund-

  Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)                                                 K
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