Michaela Defrancesco, Christian Bancher, Peter Dal-Bianco, Hartmann Hinterhuber, Reinhold Schmidt, Walter Struhal, Gerhard Ransmayr, et al.
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Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) Michaela Defrancesco, Christian Bancher, Peter Dal-Bianco, Hartmann Hinterhuber, Reinhold Schmidt, Walter Struhal, Gerhard Ransmayr, et al. neuropsychiatrie Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Public Mental Health und Sozialpsychiatrie ISSN 0948-6259 Neuropsychiatr DOI 10.1007/s40211-020-00363-9 1 23
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original article Neuropsychiatr https://doi.org/10.1007/s40211-020-00363-9 Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Österreich auf Menschen mit Demenz und deren Betreuungsumfeld – Problemfelder, Empfehlungen und Strategien Michaela Defrancesco · Christian Bancher · Peter Dal-Bianco · Hartmann Hinterhuber · Reinhold Schmidt · Walter Struhal · Gerhard Ransmayr · Elisabeth Stögmann · Josef Marksteiner Eingegangen: 20. Juli 2020 / Angenommen: 6. Oktober 2020 © Der/die Autor(en) 2020 Zusammenfassung Ältere Menschen sind durch die menz hat sich in einer alternden Gesellschaft zu einer COVID-19 Pandemie besonders betroffen. Die meis- Pandemie entwickelt. Der Doppelschlag von Demenz- ten der Verstorbenen sind ältere Erwachsene, von und COVID-19-Pandemien hat bei diesen Menschen denen ein Großteil vorbestehende Gesundheitspro- und deren Angehörigen große Besorgnis ausgelöst. bleme hatten. Weltweit leiden mehr als 50 Mio. – in Die Covid-19-Pandemie stellt Patienten mit Demenz Österreich etwa 140.000 Menschen an Demenz. De- und deren Angehörige vor große Herausforderungen: 1. durch begrenzten Zugang zu genauen Informatio- PD Dr. med. univ. M. Defrancesco, MMSc, PhD () · nen über die COVID-19-Pandemie, Schwierigkeiten, H. Hinterhuber sich an Schutzverfahren, wie das Tragen von Masken, Universitätsklinik für Psychiatrie I, Department Psychiatrie, zu erinnern oder die ihnen zur Verfügung gestell- Psychotherapie und Psychosomatik, Medizinische ten Informationen zu verstehen. 2. Demenzpatienten Universität Innsbruck, Anichstraße 35, 6020 Innsbruck, leben allein oder mit ihrem Ehepartner, ihren Be- Österreich zugspersonen zu Hause oder in Pflegeheimen. Um michaela.defrancesco@i-med.ac.at die Ansteckungsgefahr in Pflegeheimen zu verrin- C. Bancher gern, wurden Besuche in Pflegeheimen und Langzeit- Abteilung für Neurologie/neurologische Rehabilitation, pflegeeinrichtungen verboten. Sozialdistanzierende Landesklinikum Horn-Allentsteig, Horn, Österreich Maßnahmen sind flächendeckend eingesetzt worden. P. Dal-Bianco · E. Stögmann Folglich verloren ältere Bewohner den persönlichen Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Kontakt zu ihren Familienmitgliedern und wurden so- Wien, Wien, Österreich zial isoliert. Auch Gruppenaktivitäten in Pflegeheimen R. Schmidt wurden verboten. Es wurde beobachtet, dass unter Universitätsklinik für Neurologie, Klinische Abteilung für dem doppelten Stress der Angst vor Infektionen und Neurogeriatrie, Medizinische Universität Graz, Graz, der Sorge um den Zustand der Bewohner das Angst- Österreich niveau unter dem Personal in den Pflegeheimen im W. Struhal Verlauf der vollständigen Abschottung zunahm und Abteilung für Neurologie, Universitätsklinikum Anzeichen von Erschöpfung und Burnout auftraten. Tulln, Karl Landsteiner Privatuniversität für Die Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG), Gesundheitswissenschaften, Standort Tulln, Tulln, wie auch bereits andere internationale Gesellschaf- Österreich ten, möchten mit diesem Artikel aufgrund der akuten G. Ransmayr COVID-19-Krise Menschen mit Demenz und ihr Be- Abteilung für Neurologie, Kepler Universitätsklinikum, Linz, treuungsumfeld unterstützen. Neben dem physischen Österreich Schutz vor Virusinfektionen sollten auch Empfehlun- J. Marksteiner gen für die psychische Gesundheit und Möglichkeiten Department für Psychiatrie und Psychotherapie A, der psychosozialen Unterstützung auf verschiedenen Landeskrankenhaus Hall, Hall, Österreich Ebenen aufgezeigt werden. K Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
original article Schlüsselwörter COVID-19 · Pandemie · Demenz · lieferten Person vorläufig ein neuartiges Corona-Vi- Pflegende Angehörige · Pflegeheim rus identifiziert.“ (http://www.euro.who.int/de/health- topics/health-emergencies/coronavirus-covid-19/ news/news/2020/01/novel-coronavirus-emerges-in- Position paper of the Austrian Alzheimer china). Am 07.01.2020 wurde das neuartige Corona- Association (Österreichische Alzheimer Virus identifiziert und als COVID-19 bezeichnet. Seit- Gesellschaft, ÖAG) her breitete sich COVID-19 weltweit aus und wurde Effects of the COVID-19 pandemic in Austria on am 30.01.2020 von der WHO als „gesundheitliche Not- people with dementia and their care lage von internationaler Tragweite“ und schließlich environment—problem areas, recommendations, am 12.03.2020 zu Pandemie erklärt. and strategies In Europa wurde erstmals am 24.01.2020 von drei bestätigten COVID-19 Patienten in Frankreich berich- Summary Older adults are particularly affected by tet. Am 02.05.2020 wurden in Europa 1.493.483 Mio. the current COVID-19 (SARS-CoV-2) pandemic. The bestätige Fälle und 140.620 COVID-assoziierte Todes- risk of dying from COVID-19 increases with age and is fälle gemeldet (https://who.maps.arcgis.com/apps/ often associated with pre-existing health conditions. opsdashboard/index.html#/ead3c6475654481ca51c2 Globally, more than 50 million—in Austria currently 48d52ab9c61). Die erschreckenden Erfahrungen aus approximately 140,000 people—suffer from demen- China und auch den Zentren der Pandemie in Eu- tia. The co-occurrence of dementia as a “pandemic ropa wie Italien, Frankreich und Spanien zeigten of old age” together with the COVID-19 pandemic has deutlich, dass vorwiegend Menschen ab dem 60. Le- a double impact on persons living with dementia and bensjahr und insbesondere jene mit Vorerkrankungen their caregivers. The COVID-19 pandemic poses ma- wie Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen, Lun- jor challenges for individuals with dementia and their generkrankungen und geschwächtem Immunsystem caregivers: (1) People with dementia have limited ac- zur Hauptrisikogruppe für eine Infektion mit tödli- cess to information on COVID-19, may have difficul- chem Ausgang zählen [1]. Menschen mit Demenz – ties with protective measures such as wearing masks vorwiegend vom Alzheimer-Typ oder gemischt vas- and in remembering safety regulations. (2) People kulären Typ – zeigen in den meisten Fällen die ge- with dementia live alone or with their family, or are nannten Risikofaktoren [2] und fallen somit unter institutionalized. To reduce the chance of infection die Hochrisikogruppe im Rahmen der COVID-19- among older people in nursing homes, Austrian lo- Pandemie. In Anbetracht des besonderen Risikos für cal authorities have banned visitors to nursing homes Menschen mit Demenz, sollte insbesondere gerade and long-term care facilities and implemented strict dieser Gruppe von Menschen besondere Aufmerk- social-distancing measures. As a result, older people samkeit geschenkt werden. Auch wenn die COVID- lost face-to-face contact with their family members, 19-Pandemie weltweit mehr als 30 Mio. Menschen be- became isolated and social activities stopped. Conse- trifft und mehr als 900.000 Menschen an den Folgen quently, anxiety, stress and serious concerns about in- des Virus starben (Stand 24.09.2020, WHO) zeigen fections among staff in nursing homes increased and auch dementielle Erkrankungen Ähnlichkeit zu einer they developed signs of exhaustion and burnout dur- Pandemie mit stark steigender Prävalenz. Im Gegen- ing the full lockdown of the facilities. Thus, due to satz zu COVID-19 liegt die Prävalenz demenzieller the emerging COVID-19 crisis, the Austrian Alzheimer Erkrankungen immerhin bei über 50 Mio. weltweit Association (Österreichische Alzheimer Gesellschaft, (World Alzheimer Report 2019 [3]). Auch wenn beide ÖAG) and international societies developed recom- Entitäten weder aus ethischer noch aus medizinischer mendations to support people living with dementia Sicht miteinander verglichen werden können, betref- and their caregivers on various issues of physical and fen beide gemeinsame Risikogruppen und gelten als mental health. schlecht bis nicht kausal behandelbar. Fokussierend auf Menschen mit Demenz sind beide – die COVID- Keywords COVID-19 · Pandemics · Dementia · 19 Pandemie und Demenz – nicht als nebeneinander Cargivers · Nursing homes bestehend, sondern als sich gegenseitig beeinflussen- de und verstärkende Entitäten anzusehen. In diesem Einleitung Positionspapier sollen die Folgen und Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die besonders vulnerable Am 31.12.2019 wurde erstmals auf der Homepage der Gruppe der Menschen mit Demenz und deren Betreu- WHO folgende Meldung veröffentlicht: „Am 31. De- ungsumfeld auf unterschiedlichen Ebenen dargestellt zember 2019 wurde das WHO-Länderbüro in China und kritisch diskutiert werden. Trotz der dramati- darüber in Kenntnis gesetzt, dass in der Stadt Wuhan schen Folgen der Pandemie für Menschen wie auch in der chinesischen Provinz Hubei mehrere Fälle von Wirtschaft sollte diese Krise auch als Chance gesehen Lungenentzündung unbekannter Ursache aufgetre- werden. Jedenfalls soll sie Anlass sein, bestehende ten sind. Die chinesischen Behörden haben bei ei- Versorgungs- und medizinische Strukturen für Men- ner mit Lungenentzündung ins Krankenhaus einge- schen mit Demenz in Österreich zu beleuchten, zu Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) K
original article hinterfragen und auch in Anbetracht noch folgender Beginn der Maßnahmen Krisen neu zu evaluieren. Nach dem Vorbild von China hat man in Öster- reich entschieden, die Ausbreitung von COVID-19 Beginn der Pandemie in Österreich durch Reduktion von sozialen Kontakten, Einschrän- kungen des öffentlichen Lebens und Kundmachung In Österreich wurden am 01.03.2020 lediglich 14 Per- von hygienischen Maßnahmen einzudämmen. Der sonen positiv auf COVID-19 getestet – https://www. § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes trat mit oesterreich.gv.at/?gclid=EAIaIQobChMI1_HhlKuD6Q 16.03.2020 in Kraft. Für die Bevölkerung waren beson- IVgbHtCh1hVAoQEAAYASAAEgKG2PD_BwE. ders die folgenden sog. „Ausgangsbeschränkungen“ Bis 04.05.2020 stieg die Zahl der bestätigten COVID- relevant, da sie maßgeblich die Rechte und Freiheit 19 Fälle auf 15.535 an. Laut den veröffentlichten epi- der Bevölkerung einschränkten. demiologischen Zahlen des österreichischen Gesund- COVID-19-Maßnahmen: Es gab nur 4 Gründe, das heitsministeriums (https://info.gesundheitsministeri Haus zu verlassen: um.at) erreichte die Ausbreitung der COVID-19-In- 1. um zur Arbeit zu gehen, wenn das notwendig ist, fektionen gemessen an den bestätigten Neuerkran- 2. für dringend notwendige Besorgungen, kungen am 26.03.2020 und somit 10 Tage nach dem 3. um anderen Menschen zu helfen und Inkrafttreten des COVID-19-Maßnahmengesetzes sei- 4. in besonderen Ausnahmefällen galt: Wer im drin- nen ersten Höhepunkt. Dennoch stieg die Zahl der genden Fall ins Freie muss, soll das ausschließlich Todesfälle von 71 (26.03.2020) bis auf 762 (24.09.2020) allein machen oder mit den Personen, die in der nach einem zwischenzeitlichen Rückgang der Infek- gemeinsamen Wohnung leben. tionen zwischen Mai und Juni 2020 erneut weiter an. Insbesondere die Todesfälle je Altersgruppe spiegeln Zeitgleich wurden in Österreich alle Bildungseinrich- das hohe Risiko und die Gefahr für die ältere Bevölke- tungen und Geschäfte mit Ausnahme von Lebens- rung und somit auch die Gruppe von Menschen mit mittelmärkten (für Mensch und Tier), Drogerien und hoher Demenzprävalenz wider. In die Altersgruppe Apotheken geschlossen. Dienstleistungsbetriebe wie >64 Jahren fielen 490 (91 %) der gemeldeten Todesfäl- Friseure, Fußpflege oder Masseure durften nichtmehr le. Ab diesem Alter beginnt auch die Prävalenz von öffnen und alle Gaststätten wurden geschlossen. Re- demenziellen Erkrankungen, insbesondere der De- ligiöse Feste und Feiern wie Taufen, Messen oder menz vom Alzheimer-Typ, anzusteigen. Während in Hochzeiten wurden verboten. der Altersgruppe zwischen 64 und 70 Jahren noch von Im medizinischen Bereich wurden Rehabilitations- einer Prävalenz von 1,5 % auszugehen ist – steigt die- einrichtungen und Kuranstalten geschlossen, zahlrei- se Prävalenz auf über 44 % in der Altersgruppe über che elektive Behandlungen und Ambulanztermine ab- 95 Jahre an. Allein 206 (38 %) der COVID-19-assozi- gesagt und ein Besuchsverbot in Krankenhäusern und ierten Todesfälle fielen in die Altersgruppe >84 Jahre. Wohnheimen verhängt. Nach Daten aus Metaanalysen leiden in dieser Al- Diese Maßnahmen stellten für alle Bevölkerungs- tersgruppe 12,8–22,2 % der Menschen an einer Form schichten und Personengruppen eine erhebliche Ein- von Demenz [4, 5]. Nationale Daten zur Anzahl von schränkung des Lebens und meist auch eine erhebli- Todesfällen von Menschen mit Demenz in Österreich che soziale, psychische und auch ökonomische Belas- liegen derzeit noch nicht vor. Internationale Daten tung dar. von Spanien und Italien (http://www.euro.who.int/ Ab dem 14.04.2020 begann die Regierung, die de/health-topics/health-emergencies/coronavirus- Maßnahmen schrittweise zurückzunehmen und zu covid-19/weekly-surveillance-report) berichten, dass lockern. Es wurden jedoch auch zusätzliche Maß- 24 % der COVID-19-assoziierten Todesfälle unter ei- nahmen wie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, ner komorbiden neurologischen Erkrankung oder z. B. in Geschäften oder öffentlichen Verkehrsmitteln, Demenz litten. Seit April 2020 wird basierend auf eingeführt. Wann und wie Maßnahmen mit hoher Re- diese Daten in einer zunehmenden Anzahl von Pub- levanz für Menschen mit Demenz gelockert werden likationen Stellung zum Umgang mit Menschen mit – beispielsweise das Besuchsverbot in Wohnheimen Demenz und dem Betreuungsumfeld im Rahmen der und Krankenhäusern oder das Öffnen von medizini- COVID-19-Pandemie bezogen. In mehreren Editorials schen Dienstleistern – ist mit Stand vom 03.05.2020 und Kommentaren wird explizit auf die besonderen noch unklar. Einen bitteren Beigeschmack hinterlässt Bedürfnisse dieser vulnerablen Population hingewie- auch die Bekanntgabe der Regierung von Maßnah- sen [6–10]. In einem Artikel von Brown et al. 2020 [11] men zum Schutz von Risikogruppen am 23.04.2020. wurden bereits im April Empfehlungen veröffentlicht, Diese beinhalten ausschließlich eine Regelung für die sich mit dem Umgang mit Menschen mit Demenz den Schutz von Personen mit Vorerkrankungen am im stationären Setting, der psychischen Belastung für Arbeitsplatz. Menschen mit Demenz – eine Perso- Angehörige und auch die Auswirkungen der COVID- nengruppe, die nahezu gänzlich nicht mehr im Ar- 19-Pandemie auf die Demenzforschung beschäftigen. beitsprozess und aufgrund der Altersstruktur zur Hauptrisikogruppe für eine letale COVID-19-Infektion K Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
original article gehört, – werden durch keine gesonderten Maßnah- Ergebnisse und Problemfelder men geschützt. Zusammengefasst bedeuten die COVID-19-beding- Basierend auf publizierten Originalarbeiten, Fallbe- ten Maßnahmen für Menschen mit Demenz auf ver- richten und Stellungnahmen zur COVID-19-Pandemie schiedenen Ebenen eine durch ihre Erkrankung spe- zu Menschen mit Demenz und deren Betreuungsum- zielle und erhebliche zusätzliche Belastung. Ziel der feld werden allgemeine Auswirkung von Krisen und Maßnahmen war die Verhinderung der Verbreitung insbesondere der COVID-19-Krise auf diese vulne- von COVID-19 und somit der Schutz der Bevölkerung. rable Population beschrieben. In den Unterkapiteln Im Folgenden soll dargestellt und diskutiert werden, werden spezielle Problemfelder auf den folgenden auf welchen Ebenen diese „Schutzmaßnahmen“ bei 4 Ebenen unter Bezugnahme auf die rezente Literatur Patienten mit Demenz und deren Betreuungsumfeld diskutiert und vonseiten der ÖAG Stellungsnahmen auch schaden oder weitrechende negative Auswirkun- und Handlungsempfehlungen formuliert: gen haben können und möglicherweise noch haben Ebene: Versorgung, Betreuung und Pflege werden. Auch soll aufgezeigt werden, welche Faktoren Ebene: medizinische Ebene und teils auch strukturellen demenzbezogenen Gege- Ebene: soziale Ebene benheiten die Umsetzbarkeit der COVID-19-beding- Ebene: kognitive, emotionale und Verhaltensebene ten Maßnahmen bei Menschen mit Demenz schwie- rig bis nicht realisierbar machen. Nicht zuletzt werden Abb. 1 gibt eine Übersicht über die identifizierten auch die im Rahmen der Krise implementierten ge- durch COVID-19 neu entstandenen Problemfelder sonderten und speziellen Hilfsangebote für Menschen für Menschen mit Demenz und/oder das Betreu- mit Demenz aufgezeigt. ungsumfeld auf verschiedenen Ebenen. Für jede Ebe- ne werden wesentliche krisenassoziierte Folgen und Methodik Auswirkungen auf Menschen mit Demenz und deren Betreuungsumfeld dargestellt. In diesem Positionspapier wurden aktuelle Informa- tionen aus offiziellen Quellen der österreichischen Auswirkung von Krisen auf Menschen mit Demenz Regierung, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie rezent publizierter Literatur im Rahmen der Das Thema „Krise bei Menschen mit Demenz“ ist kei- COVID-19-Pandemie verarbeitet. neswegs erst mit dem Beginn der COVID-19-Pande- Problemfelder wurde anhand von Berichten und mie entstanden. Die Auswirkungen von Krisen auf die- aktuellen Erfahrungen aus geriatrischen und geron- se vulnerable Gruppe sind jedoch nur wenig unter- topsychiatrischen Einrichtungen in Österreich sowie sucht. In einer Übersichtsarbeit von MacNeil Vrom- anhand bekannter Literatur definiert. men et al. – [12] zum Thema „Definition von Krisen in Jedes Problemfeld wurde in Bezug auf die aktuelle der Pflege von Menschen mit Demenz“ konnten ledig- COVID-19-Krise und in Zusammenschau mit bereits lich 27 Publikationen eingeschlossen werden [12]. Die publizierter Literatur analysiert und diskutiert. Autoren beschreiben in ihrer Arbeit multiple Auslöser einer Krise im Rahmen der Pflege von Patienten mit Demenz – eine Pandemie vergleichbar mit COVID-19 Abb. 1 Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Kognitive, emotionale und Verhaltensebene Ebene der Versorgung, Betreuung und Pflege MmD Menschen mit De- - Ethische Entscheidung zwischen Nähe (Risiko - Vermindertes oder fehlendes nicht menz; BU Betreuungsum- Infektion) und empfohlener Distanz pharmakologischem Therapieangebot feld - Reizdeprivation oder Reizüberflutung durch (Physiotherapie/Ergotherapie) Informationsflut über Medien für MmD - Doppelbelastung durch zusätzliche Versorgung von - Nicht Einhalten/Erfassen von COVID-19-Maßnahmen Kindern und/oder „Homeoffice“ für das BU→ aufgrund von kognitiven Defiziten Stress/Überforderung - Fehlende oder Abbruch der ambulanten Versorgung Auswirkung der COVID-19-Krise auf Menschen mit Demenz Soziale Ebene Medizinische Ebene - Soziale Isolation und Vereinsamung durch solziale - Absage oder Aufschub von elektiven Eingriffen → Distanz und Besuchsverbote UND/ODER Angst und negative Folgen für MmD Aggression durch erzwungene soziale Nähe (für MmD - Ethische Entscheidung im Rahmen von somatischen und BU) Akutbeschwerden – Risiko-Nutzen-Abwägung zwischen - Ethische Entscheidung zwischen Nähe (Risiko Infektionsrisiko an der Klinik/Notfallaufnahme und Infektion) und empfohlener Distanz → hohe Belastung Verbleib zuhause → hohe Belastung für das BU für das BU Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) K
original article wurde erwartungsgemäß nicht thematisiert. Dennoch Im Bereich von pharmakologischen Studien steigt wurde im Artikel eine Definition für „demenzassozi- seit Beginn der COVID-19-Pandemie vorrangig die An- ierte Krisen“ formuliert (englisches Original): „A pro- zahl von wissenschaftlichen Publikationen mit Daten cess where there is a stressor(s) that causes an imbalance zu möglichen Impfstoffen oder neuen Therapien ge- requiring an immediate decision which leads to a desi- gen den COVID-19-Virus. Trotz der dringenden Not- red outcome and therefore crisis resolution. If the crisis wendigkeit und akuten Relevanz solcher Studien, soll- is not resolved, the cycle continues.“ Trotz dem neu hin- ten auch die Effekte auf die „Demenz Pandemie“ nicht zugekommenen Stressor „COVID-19“ hat diese Defi- gänzlich vernachlässigt werden. nition auch für die rezente Krise nicht an Aktualität Es ist zu erwarten, dass die derzeitige COVID-19- verloren. Auch in einer aktuell 2020 publizierten Über- Pandemie auch für die Forschung auf dem Gebiet der sichtsarbeit zum Management von Krisen bei Patien- Alzheimer-Erkrankung weitreichende Folgen haben ten mit Demenz wurde ein Mangel an entsprechenden wird. Insbesondere die Durchführung von klinischen Studien und die Notwendigkeit der Entwicklung kla- Studien und Pharmastudien können durch Quarantä- rer Krisenkonzepte schlussgefolgert [13]. Als vorrangi- ne – und umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen sowie ges Ziel in den genannten Studien wurde angeführt, Reiseverbote, jedoch auch durch die weitreichen- Akutaufnahmen und den Transfer an Notfallaufnah- den wirtschaftlichen Folgen behindert und erschwert men von Menschen mit Demenz zu vermeiden und werden. Diesbezüglich wurden bereits einige Richt- ein effektives Krisenmanagement für die Patienten in linien für die Durchführung von klinischen Studien gewohnter Umgebung zu ermöglichen [14]. Auch die bei Patienten mit Alzheimer-Erkrankung erarbeitet 2018 veröffentlichen NICE Guidlines heben die Wich- und publiziert [20]. Eine Fortführung von pharma- tigkeit der Pflege von Menschen mit Demenz im ge- kologischen Studien unter Einhaltung von hohen wohnten Umfeld zuhause hervor [15]. Diese Ziele ha- Sicherheitsmaßnahmen sollte jedenfalls erfolgen. ben im Rahmen der COVID-19-Pandemie einen noch höheren Stellenwert und an maßgeblicher Relevanz Ebene: Versorgung, Betreuung und Pflege gewonnen. Es ist bekannt, dass ein Akuttransfer von Menschen mit Demenz bei den Patienten mit hohem Menschen mit Demenz werden in Österreich zu Stress, Angst und Schwierigkeiten, sich in der neuen ca. 80 % zu Hause und etwa in 15–20 % in einem Umgebung zurechtzufinden, verbunden ist. Im Rah- Wohnheim oder anderen vollstationären Einrich- men der derzeitigen Pandemie kommen noch zwei tung versorgt [21]. Die Versorgung zu Hause wird wichtige Faktoren hinzu, die einen Transfer ins Kran- zu einem überwiegenden Teil von Angehörigen allein kenhaus zu einer äußerst schlechten Strategie des Kri- übernommen – teils auch im Rahmen einer 24-h- senmanagements machen: Betreuung oder auch mit Unterstützung ambulanter Menschen sind an Kliniken, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gemeistert. Einen wichtigen Teil Notfallaufnahmen einem erheblich erhöhten Infek- der Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz tionsrisiko mit COVID-19 ausgesetzt. stellen auch nicht pharmakologische Therapiemaß- Durch das maßnahmenbedingte Besuchsverbot in nahmen wie die Ergotherapie, Musiktherapie oder medizinischen Einrichtung kommt es zu einer zu- körperliche und kognitive Aktivierung beispielsweise sätzlich belastenden sozialen Isolation der Men- in Tageszentren dar. schen mit Demenz. Aus diesem Grund sollten ins- Im Rahmen der COVID-19-Maßnahmen wurden besondere präventive Maßnahmen im Zentrum ei- zahlreiche ambulante Betreuungsangebote reduziert nes erfolgreichen Krisenmanagements stehen. oder auch Angebote in Tageszentren gänzlich einge- stellt. Die Versorgung mithilfe der 24-h-Pflege wurde Einige rezente Publikationen enthalten bereits Stel- über die im Rahmen der Maßnahmen eingeführten lungnahmen und Kommentare zu präventiven Stra- Reisebestimmungen und Grenzkontrollen erschwert tegien für Menschen mit Demenz und deren Be- und musste teils beendet werden. Für Familien mit treuungssystem, um allgemeinen negativen Folgen einem Angehörigen mit Demenz kann eine 24-h-Be- der Pandemie aktiv vorzubeugen [16–18]. In einer treuung eine wertvolle Unterstützung sein. Die Covid- Übersichtsarbeit von Boots et al. 2014 [19] wurden 19-Krise führte drastisch vor Augen, wie fragil dieses Arbeiten über internetbasierte Interventionsprogram- System ist. me für Angehörige und Betreuungspersonen von Durch die COVID-19-Krise wurde akut und deut- Menschen mit Demenz zusammengefasst. Trotz der lich der Mangel an einheimischen Pflegekräften auf- wenigen publizierten und der teils methodisch ge- gezeigt. Auch wenn durch Bemühungen der Regierung ringen Aussagekraft der Studien wurde ein positiver Ende April 2020 eine Ein- und Ausreise von Pflege- Effekt auf Pflege und auch die psychische Gesund- kräften aus osteuropäischen Ländern wieder einge- heit der Pflegenden beschrieben. Gerade in Krisen schränkt ermöglicht wurde, konnte der COVID-19-be- mit der Notwendigkeit von sozialer Distanz zeigt sich dingte akute Pflegenotstand nicht behoben werden. die Relevanz solcher webbasierter, Medien nutzender Interventionsstrategien. Stellungnahme der ÖAG zur 24-h-Pflege Es besteht auch nach der COVID-19-Krise ein dringender Bedarf, K Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
original article besonders das Angebot an einheimischen Pflegekräf- menz selbst eine vulnerable Gruppe mit hohem Risiko ten für Menschen mit Demenz entscheidend zu er- für physischen und emotionalen Stress und assoziier- höhen. Das Risiko einer Covid19-Infektion für Pfle- ten Folgeerkrankungen [22, 23]. Die telemedizinische gekräfte, die über lange Strecken anreisen, ist erhöht. oder internetbasierte Unterstützung kann für Angehö- Auch lässt sich das Infektionsrisiko in ihren Herkunfts- rige ein wichtiges und hilfreiches Angebot darstellen. regionen meistens nicht erfassen. Entsprechend muss Der Nutzen von Internet und telemedizinischen Un- die Autonomie der österreichischen 24-h-Pflege über terstützungsangeboten für pflegende Angehörige wur- bessere Entlohnung und größere Wertschätzung ver- de bereits vor der COVID-19-Krise untersucht [19]. bessert werden. Frühere Studien führten als entscheidenden Vorteil Nach Auskunft von ambulanten Pflegeeinrichtun- der telemedizinischen und internetbasierten Betreu- gen war die Reduzierung im Bereich der ambulanten ung und Beratung von Angehörigen an, dass diese von Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz zuhause aus erfolgen kann und der zu betreuende An- im Wesentlichen durch die hohe Gefahr der Infekti- gehörige weniger Isolation empfindet. In Zeiten von on der zu betreuenden Klienten über die Pflegekräfte Ausgangsbeschränkungen und „sozialem Distanzhal- begründet. Diese mussten sich einer ethisch schwie- ten“ wurden diese genannten Vorteile zu einer aku- rigen und belastenden Risiko-Nutzen-Abwägen zwi- ten Notwendigkeit. Auch unabhängig von der Rolle schen Fortführung der Betreuung und Risiko einer In- als pflegender Angehöriger stellt die COVID-19-Epi- fektion des Klienten stellen. Der Umstand, dass ins- demie für auch gesunde Menschen ein hohes Aus- besondere Körperpflege ohne körperliche Nähe nicht maß an Stress dar. Auch in der Allgemeinbevölkerung durchführbar ist, machte eine solche oft unmöglich. ist wie bereits nach der SARS-Epidemie 2003 (schwe- Hier ist besonders auf das Fehlen von Schutzkleidung res akutes respiratorisches Syndrom) mit dem Auftre- für ambulante Pflegepersonen hinzuweisen. Mit einer ten von psychischen Symptomen wie Angst, depressi- ausreichenden Schutzbekleidung und FFP 3 Masken ven Symptomen bis zu selbstschädigendem Verhalten wäre in einem größeren Ausmaß eine Weiterführung oder Suizidideen zu rechnen [24]. der ambulanten Betreuungs- und Pflegemaßnahmen ermöglicht worden. Stellungnahme der ÖAG zu pflegenden Angehöri- gen Pflegende Angehörige benötigen vergleichbar Stellungnahme der ÖAG zu ambulanter Pflege Es mit professionellen Pflegenden und Betreuungsper- wird der dringende Aufruf an die Regierung gestellt, sonen einen Zugang zu Schutzmaßnahmen (FFP- auch ambulante Pflegeeinrichtungen vorsorglich mit 3-Masken, Desinfektionsmitteln), um die familiäre medizinischem Schutzmaterial zu versorgen. Auch Versorgung von Menschen mit Demenz auch in Kri- sollte die COVID-19-Pandemie zum Anlass genom- senzeiten sicher gewährleisten zu können. Aus dieser men werden, Hygieneartikel wie Hände- und Flä- Krise soll gelernt werden, wie wichtig Schulungs- und chendesinfektionsmittel auch für die ambulanten Unterstützungsangebote für pflegende und betreu- Dienste zur Verfügung zu stellen, die Pflegepersonen ende Angehörige auch im Bereich der medizinischen in deren Anwendung zu schulen und die Desinfektion Versorgung sind. Als Konsequenz muss das Angebot von Händen und Flächen in die Pflegetätigkeit zu solcher Schulungsangebote und auch insbesondere integrieren. telemedizinischer und internetbasierter Unterstüt- Für pflegende Angehörige stellten insbesondere die zungsangebote für pflegende Angehörige ausgeweitet Ausgangsbeschränkungen und die Vorschrift zum Ein- werden. Es muss auf die psychische Gesundheit von halten von sozialer und räumlicher Distanz eine große pflegenden Angehörigen proaktiv geachtet werden, Herausforderung und Belastung dar. Pflegende Ange- um psychischen Störungen durch die Doppelbelas- hörige, die nicht im selben Haushalt mit dem Men- tung durch die COVID-19-Krise auf die Personen schen mit Demenz leben, waren gezwungen, auf den selbst und in ihrer Rolle als Pflege- und Betreuungs- gewohnten Kontakt durch regelmäßige Besuche oder personen von Menschen mit Demenz vorzubeugen. Abholen dieser zu Ausflügen etc. zu verzichten. Die In Anlehnung an die Empfehlungen des Chinesi- pflegenden und betreuenden Angehörigen wurden zu schen Ministeriums für zivile Angelegenheiten im Ja- einer schwierigen auch ethischen Risiko-Nutzen-Ab- nuar 2020 [25] und jenen vom „US Centers for Disease wägung zwischen bestmöglicher Betreuung und Pfle- Control and Prevention“ wurde auch in Österreich ab ge des Betroffenen und bestmöglichem Schutz vor In- dem 16.03.2020 ein Besuchsverbot in Wohnheimen und fektion gezwungen. Betreuungseinrichtungen erlassen. Dieses Verbot stellt Eine alternative Kontaktaufnahme mittels Video- für Menschen mit Demenz auf verschiedensten Ebe- telefonie oder anderen sozialen Medien ist besten- nen eine durch die demenzielle Erkrankung verstärkt falls bei Menschen mit leichtgradiger Demenz in be- hohe Herausforderung und Belastung dar. Menschen schränktem Ausmaß möglich, in schwereren Stadien mit Demenz in institutioneller Pflege befinden sich oder somatischen und/oder psychiatrischen Komor- zumeist in einem mittel- bis schwergradigen Krank- biditäten unrealistisch. heitsstadium. – Meist liegen auch andere somatische Pflegende Angehörigen sind auch unabhängig von Komorbiditäten vor. Für diese Patientengruppe stellt der COVID-19-Krise neben den Menschen mit De- ein akuter Wechsel der Tagesstruktur und gewohnter Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) K
original article Tab. 1 Darstellung der aufgezeigten Problemfelder im Rahmen der COVID-19-Krise auf Menschen mit Demenz und ange- botenen Gegenmaßnahmen COVID-19-assoziierte Problemfelder und Berichte aus den Bundes- Angebotene Gegenmaßnahmen: ländern – beispielsweise: Fehlende Betreuung und Pflege, – insbesondere im Bereich der Einrichtung von offiziellen Hotlines 24-h-Pflege Unsichere Medikamenteneinnahme durch fehlende ambulante Be- Alzheimer’s Disease International: https://www.alz.co.uk/news/adi-offers-advice-and- treuung support-during-covid-19 Mangelhafte Grundversorgung, z. B. hinsichtlich Ernährung aufgrund MAS Alzheimerhilfe: https://www.alzheimer-hilfe.at/mas_tipps.html#infoblaetter von geschlossenen Gastbetrieben und Kantinen Ehrenamtliche Versorgung für Menschen mit Demenz wurde etabliert – Übernahme von Einkäufen und Botengängen Fehlendes ambulantes Therapieangebot über Dienstleister wie Phy- – siotherapeuten, Ergotherapeuten Fehlen von Tagesstruktur und körperlicher/geistiger Aktivierung Coronavirus: Online-Pflege-Kurs & Tipps für die Psyche (öffentliches Gesundheitsportal durch die Schließung von Tageszentren und Gruppenveranstaltungen Österreich: https://www.gesundheit.gv.at/aktuelles/coronavirus-pflege-psyche) Schwierige Risiko-Nutzen-Abwägung zwischen engmaschigen Be- Tägliche und umfassende Information über nationale und internationale Medien. Einrich- suchen beim zu pflegenden Patienten und Distanzhalten zum Schutz tung von offiziellen Hotlines vor Infektion Anstieg von Angst, Aggression und Agitation in Wohnheimen (auch Angebot von zahlreichen telemedizinischen psychologischen Beratungsangeboten wegen hoher Covid-19-bedingter Sterberate der Heimbewohner/ Heimbewohnerinnen) Abläufe ein hohes Ausmaß an Stress und Irritation dar. werden. Nicht wenige pflegerisch und ärztliche Mit- Die Betroffenen sind aufgrund ihrer kognitiven Defi- arbeiter werden sich in dieser Krise die immer wie- zite nichtmehr in der Lage, sich an neue Gegeben- der diskutierten technischen und computerassistier- heiten zu adaptieren. Auch können sie Informatio- ten Möglichkeiten für die Versorgung von Menschen nen wie die teils komplexe Berichterstattung in den mit Demenz – Schlagwort „Pflegeroboter“ – herbeige- Medien nichtmehr auffassen, verarbeiten und konso- wünscht haben. Dennoch zeigt sich in der derzeiti- lidieren. Insbesondere die demenztypischen Defizite gen Situation gerade der hohe Stellenwert von sozia- im Neugedächtnis und der Informationsverarbeitung len Kontakten für Menschen mit Demenz. machen eine Anpassung an die neuen Umstände rund In der stationären Versorgung ist für Menschen mit um die COVID-19-Krise schwierig bis unmöglich. Die Demenz besonders schwer zu verstehen, warum sie Umstellung von persönlichen Kontakten auf „digita- sich ohne Menschen, die sie lieben, an einem ihnen le“ Optionen ist nicht nur durch das häufige Fehlen unbekannten Ort aufhalten. Sie werden sogar noch technischer Geräte, sondern besonders durch die de- einsamer und verängstigter sein als andere. Auch sind menzassoziierten Defizite nicht möglich. sie weniger in der Lage, zu kommunizieren oder An- Aus den Rückmeldungen der gerontopsychia- weisungen und Sicherheitsmaßnahmen zu befolgen. trischen Abteilungen und Spezialambulanzen (Ge- All diese Faktoren können dazu führen, dass sie wäh- dächtnissprechstunden, Gedächtnisambulanzen) der rend ihres Krankenhausaufenthalts ein erhöhtes Risi- Bundesländer wurden folgende Problemfelder z. B. ko haben, ein Delir zu entwickeln. Wie im Abschnitt aus telemedizinischen Betreuungsangeboten erkannt. über ein erfolgreiches Krisenmanagement für Men- Unabhängig wurden auf zahlreichen nationalen und schen mit Demenz beschrieben, sollte insbesondere internationalen Internetplattformen zum Thema De- in der Zeit von COVID-19 eine strenge Nutzen-Risi- menz eigene Informationen zum Thema „Corona und ko-Abwägung erfolgen, inwieweit ein Krankenhaus- Demenz“ eingefügt. (Tab. 1). aufenthalt unvermeidbar ist oder alternative Versor- gungsmöglichkeiten genutzt werden können. Medizinische Ebene In welchem Maße das Covid-19-Virus Einfluss auf mögliche neurologische Symptome und auf die Inzi- Auf der medizinischen Ebene und auch im Rahmen denz und Prävalenz von Demenzerkrankungen hat, ist der medizinischen Versorgung haben sich für Men- derzeit nicht sicher zu beurteilen. schen mit Demenz durch COVID-19 verschiedenste Mit der wachsenden Zahl an Covid-19-Patienten Belastungen und Schwierigkeiten ergeben. werden bei diesen aber immer mehr neurologische Neben zahlreichen abgesagten und verschobenen Symptome bekannt. COVID-19 kann das Nervensys- elektiven Behandlungen wurden auch ambulante Be- tem über vier potenzielle Mechanismen beeinflussen, handlungsmöglichkeiten vielfach reduziert oder gänz- die sich überschneiden können. Der erste Mechanis- lich auf eine telefonische Erreichbarkeit umgestellt. mus ist eine direkte virale Schädigung des Nervenge- Trotz des wichtigen und wertvollen Beitrags der te- webes, wie sie bei der Herpes-simplex-Enzephalitis lemedizinischen Versorgung während der COVID-19- auftritt. Obwohl es einige suggestive Fallberichte gibt, Krise muss wiederum der eingeschränkte oder fehlen- gibt es keinen eindeutigen Beweis dafür, dass das de Nutzen für Menschen mit Demenz hervorgehoben SARS-CoV-2-Virus das zentrale Nervensystem (ZNS) K Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
original article direkt schädigt [26]. Die zweite Art von Verletzung re- und Herausforderung dar. Durch das Einhalten von sultiert aus einer exzessiven Immunantwort in Form körperlicher Distanz und das sog. „social distancing“ eines „Zytokinsturms“. Zytokine können die Blut- wird das Risiko für Vereinsamung und Reizdepriva- Hirn-Schranke überwinden und sind mit einer aku- tion erhöht. Insbesondere die offizielle Empfehlung, ten nekrotisierenden Enzephalopathie verbunden. Kleinkinder nicht in die Nähe von älteren Menschen Es wurde nur ein Fall gleichzeitig mit COVID-19 zu bringen, schottete Großeltern meist von ihren gemeldet. Der dritte Mechanismus der Schädigung Enkelkindern ab. Auch werden Menschen mit De- des Nervengewebes resultiert aus unbeabsichtigten menz von der so wichtigen Ressource für Resilienz – Wirkungen der Immunantwort des Wirts nach ei- nämlich den sozialen Kontakten und der zwischen- ner akuten Infektion. Ein Beispiel für diese Art der menschlichen Interaktion – abgeschnitten. In vielen indirekten neuronalen Schädigung ist das Guillain- bisherigen Studien zu Resilienz bei Menschen mit Barré-Syndrom (GBS). Es wurde über mehrere Fälle Demenz wurde gerade der Faktor von sozialer Un- von GBS in Verbindung mit COVID-19 berichtet, aber terstützung und sozialer Interaktion als wesentlich die Beweise für Ursache und Wirkung sind schwach und wichtig beschrieben [30]. Im Rahmen der De- [27]. Der vierte Mechanismus der indirekten viralen menz nehmen auch Möglichkeiten zur Nutzung und Schädigung resultiert aus den Auswirkungen einer Entwicklung von Coping-Strategien ab. Während im systemischen Erkrankung. Längere Behandlungen auf Jugend- und Erwachsenenalter die Nutzung von so- der Intensivstation können neuropsychiatrische Sym- zialen Medien und die digitale Kommunikation als ptome verursachen. Die meisten Fälle von COVID-19- Alternativen für persönliche Sozialkontakte genutzt bezogenen neurologischen Komplikationen scheinen werden können, stehen diese Wege Menschen mit in diese Kategorie zu fallen. In einer retrospektiven Demenz, insbesondere im fortgeschrittenen Stadium, Fallserie wurde über eine hohe Inzidenz neurologi- meist nicht mehr zur Verfügung. Die COVID-19-Kri- scher Symptome bei 214 hospitalisierten Patienten se kann somit bei Menschen mit Demenz zu großer mit bestätigter COVID-19-Infektion in Wuhan, Chi- Einsamkeit führen. Einsamkeit wird definiert: „als ei- na, berichtet [28]. Achtundsiebzig (36,4 %) Patienten ne unangenehme Erfahrung, welche erlebt wird, wenn hatten Symptome des ZNS (24,8 %), des PNS (8,9 %) ein Individuum einen qualitativen und qualitativen oder der Skelettmuskulatur (10,7 %). Die beiden häu- Verlust von sozialen Beziehungen über einen längeren figsten ZNS-Symptome waren Schwindel (16,8 %) und Zeitraum erfährt.“ Einsamkeit kann in eine soziale Kopfschmerzen (13,1 %), wobei auch über eine aku- und emotionale Ebene unterteilt werden. Die COVID- te zerebrovaskuläre Erkrankung, Ataxie, Epilepsie und 19-Pandemie und ihre Konsequenzen für das tägliche Bewusstseinsstörungen berichtet wurde. Rezente Fall- Leben haben das Risiko für Einsamkeit auf beiden berichte aus New York, aber auch Berichte aus Ös- Ebenen entscheidend erhöht. Auf emotionaler Ebene terreich, zeigten Fälle von COVID-19-assoziierten musste der Kontakt mit Menschen mit Demenz sehr zerebrovaskulären Ereignissen [29]. Die längerfris- stark auf eine verbale Kommunikation z. B. per Telefon tigen Auswirkungen auf Inzidenz und Progredienz reduziert werden. Gerade die nonverbale Kommuni- von Demenzerkrankungen kann derzeit noch nicht kation mit Mimik und Gestik oder auch Berührung wissenschaftlich beantwortet werden. Von negativen hat bei Menschen mit Demenz im Krankheitsver- Auswirkungen auf die Demenzprogression oder eine lauf eine zunehmende Bedeutung. Durch Verlust von Zunahme der Demenzinzidenz muss bei den be- kognitiven Funktionen können ausschließlich verbal richteten direkten negativen Effekten auf das Gehirn präsentierte Informationen nichtmehr ausreichend ausgegangen werden. verarbeitet und aufgenommen werden – jene mit nonverbalem Inhalt jedoch bis ins schwerstgradi- Stellungnahme der ÖAG Zusammenfassend können ge Demenzstadium. Auch das Tragen eines Mund- wir wohl aus der COVID-19-Krise einerseits schluss- Nasen-Schutzes erschwert Menschen mit kognitiven folgern, dass der Ausbau von digitalen und telemedizi- Einschränkungen und teils auch Visusminderung die nischen Medien im Gesundheitssystem hilfreich und Kommunikation mit ihren Mitmenschen. In Gesprä- wesentlich erweitert werden sollte – andererseits müs- chen mit Angehörigen wurde vielfach berichtet, dass sen auch die Grenzen dieser „a-sozialen“ Versorgung Menschen mit Demenz auch auf Angehörigen mit für Menschen mit Demenz im Fokus bleiben. Es be- Mund-Nasen-Schutz ängstlich bis ablehnend rea- steht eine dringende Notwendigkeit, auch im Längs- gierten. Einsamkeit auf sozialer Ebene wird durch schnitt die somatischen und demenzspezifischen Aus- die COVID-19-Krise einerseits durch die Reduktion wirkungen von COVID-19 auf Menschen mit Demenz vom ambulanten Pflegeangebot, dem Untersagen zu erheben. von Treffen in Gruppen und von Veranstaltungen und auch dem Besuchsverbot in Krankenanstalten und Soziale Ebene Wohnheimen gefördert. Insgesamt wird in der älteren Bevölkerung je nach Wohnort von einer Prävalenz Die COVID-19-Pandemie stellt durch die notwendig von Einsamkeit zwischen 20 und 40 % ausgegangen gewordenen Schutzmaßnahmen auf der sozialen Ebe- [31]. In einer rezenten Stellungnahme von Armitage ne für Menschen mit Demenz eine hohe Belastung et al. [32] wird besonders auf die Gefahr von Ein- Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) K
original article samkeit und ihren Folgen für die ältere Bevölkerung Kognitive, emotionale und Verhaltensebene im Rahmen der COVID-19-Pandemie hingewiesen [32]. Bereits frühere Arbeiten haben gezeigt, dass sich Zu den typischen Symptomen der Alzheimer-Demenz durch Einsamkeit das Risiko für somatische Erkran- und anderen neurodegenerativen Demenzformen ge- kungen [33] und psychische Symptome wie Angst und hören Defizite in der Informationsverarbeitung, der Depression erhöht [34]. Wie auch in der angeführten Auffassung und der Erfassung von verbalen Infor- Stellungnahme sollte die COVID-19-Pandemie zum mationen. Auch die Informationsgeschwindigkeit ist Anlass genommen werden, aktiv der sozialen Isola- im Rahmen der Demenz in Abhängigkeit des Schwe- tion und Einsamkeit älterer Menschen vorzubeugen. regrads reduziert (American Psychiatric Association. Für gesunde ältere Menschen oder Menschen mit Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disor- Demenz im Beginnstadium können auch telemedi- ders 5th edn). Bis zu 90 % der Menschen mit Demenz zinische und digitale Medien präventiv eingesetzt leiden im Verlauf der Erkrankung an Verhaltensauf- werden. Für mittel-bis schwergradig an Demenz Er- fälligkeiten oder neuropsychiatrischen Symptomen krankte sollte auf eine Ausweitung von persönlichen [35]. Ein erheblicher Anteil ist auch von komorbiden und mit sozialer Interaktion verbundenen Strategien psychischen Störungen wie Depression, Angst oder fokussiert werden. Auch sollte immer darauf Wert ge- Schlafstörungen betroffen [36]. Auch wenn die Folgen legt werden, die Angehörigen und das Betreuerumfeld der COVID-19-Pandemie auf Menschen mit Demenz in die präventiven Strategien mit einzubeziehen. und deren Angehörige und Betreuungspersonen noch Während die maßnahmenbedingte soziale Distanz nicht bestimmt vorausgesagt werden können, ist doch besonders für allein lebende Menschen mit Demenz aus den Erfahrungen der SARS-Epidemie 2013 von ei- belastend und problematisch ist, zeigt sich für Men- nem hohen Risiko für negative Konsequenzen für schen, die mit ihrem Partner oder in der Familie le- die psychische Gesundheit auszugehen. In Folge der ben ein teils konträres Bild. Durch die Quarantäne- SARS-Epidemie, welche insbesondere Hongkong be- maßnahmen, die fehlende Möglichkeit des Rückzugs traf, wurde von einem Anstieg der Suizidraten von in z. B. Lokale, in Tageszentren, in den Freundeskreis 30 % in der Gruppe der über 65-Jährigen berichtet. oder auch in die Natur kann es zu einem gezwun- Ähnlich wie bei COVID-19 waren auch von SARS über- genen Maß an sozialer Nähe kommen. Im Rahmen wiegend Personen über 60 Jahre von einem letalen der COVID-19-Pandemie wurde von den Medien und Ausgang der Erkrankung betroffen. Trotz den in Hong- auch psychologischen Stellungsnahmen vorwiegend kong ohnehin höheren Suizidraten als in westlichen auf resultierende Konflikte von Eltern und Kindern Ländern, muss auch bei uns mit einem Anstieg der oder in der Partnerschaft fokussiert, die durch die feh- Suizide oder suizidalen Krisen in der älteren Bevölke- lenden Rückzugsmöglichkeiten und die erzwungene rung gerechnet werden. Auch kam es bei 30–50 % der vermehrte gemeinsame Zeit auf engem Raum resul- Menschen, die eine SARS Infektion überstanden hat- tieren. Diese nun intensive und teils ganztägige Kon- ten, zu persistierenden Angstsymptomen und bei der frontation mit einem im selben Haushalt lebenden an Gruppe von Mitarbeiten im Gesundheitsbereich zu Demenz erkrankten Angehörigen kann ebenfalls zu ei- anhaltendem emotionalen Stress [24]. In einer Studie ner erheblichen Belastung für den Patienten das Be- nach der SARS-Epidemie wurden folgende Faktoren treuungsumfeld führen. Gerade hier besteht dringen- als besonders belastend in der Krise beschrieben: der Bedarf, aktiv pflegende Angehörige in schwierigen Gefühl der Isolation, Hoffnungslosigkeit, Überflutung Situationen wie Quarantäne und Ausgangsbeschrän- mit negativen Nachrichten, Verlust sozialer Integra- kungen aktiv zu unterstützen und zu beraten. Zwar tion, unspezifische Angst und das Gefühl, Angehörige wurden zahlreiche COVID-10-Krisen-Hotlines und te- zu belasten [37]. lefonische Beratungen eingerichtet, – ob diese jedoch Bei Menschen mit Demenz ist der Umgang mit auch im Längsschnitt ausreichend und effektiv waren, negativen Gefühlen durch die bestehenden kogni- werden erst die nächsten Monate zeigen. tiven Defizite zusätzlich erschwert. Insbesondere in Krisen sind hilfreiche Coping-Strategien und die Fä- Stellungnahme der ÖAG Die COVID-19-Maßnah- higkeit zur Resilienz bei Menschen mit Demenz oft men können maßgeblich und erheblich auf der sozia- nur eingeschränkt umsetzbar. Unter dem Begriff Re- len Ebene zu Belastungen für Menschen mit Demenz silienz wird nach Windle ein dynamischer Prozess und deren pflegende Angehörige führen. Es wurden der aktiven Auseinandersetzung, Adaptierung und der zahlreiche Gegenstrategien im Rahmen von telefo- Bewältigung von stressvollen und traumatischen Er- nischen Beratungs-Hotlines und einem breiten in- fahrungen verstanden [38]. Unter Coping wird die ternetbasierten Informationsangebot gesetzt. Die ge- Anwendung von Bewältigungsstrategien verstanden, schaffenen Angebote sind vorwiegend für Menschen um eine schwierige Lebenssituation zu überstehen. mit Demenz im leichtgradigen Stadium geeignet und Für Menschen mit Demenz sind insbesondere Sozi- nutzbar. Die Entwicklung von effektiven Interven- alkontakte ein wesentlicher die Resilienz stärkender tionen für Menschen im mittel- bis schwergradigen Faktor [39]. Nicht zuletzt hat die kognitive Fähigkeit Demenzstadium muss aktiv vorangetrieben werden. des sog. „decision making“ im Rahmen der COVID- 10-Krise einen wichtigen und hohen Stellenwert für K Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG)
original article die Gesundheit und das Leben von Menschen mit heitlichen Folgen von COVID-19 sind. Auch steht au- Demenz bekommen. Die Fähigkeit reflektiert und für ßer Frage, dass pflegende Angehörige und das Be- sich selbst oder andere Entscheidungen zu treffen, treuungsumfeld von in der Altenpflege tätigen Perso- erfordern kognitive Funktionen wie Gedächtnis, Auf- nen auch noch nach dieser Krise einem hohen Maß merksamkeit und unterschiedliche frontal-exekutive physischer, emotionaler und sozialer Belastung aus- Funktionen [40]. Vor allem diese kognitiven Funktio- gesetzt sind. In welchem Ausmaß die Pandemie die nen sind im Rahmen der Demenz defizitär. Studien besonders vulnerable Gruppe von geriatrischen und mit an Demenz erkrankten Menschen konnten zei- gerontopsychiatrischen Patienten auf den dargestell- gen, dass deren Fähigkeit zur Entscheidungsfindung ten Ebenen treffen wird und welche möglichen auch reduziert ist [41]. Folglich besteht bei Menschen mit positiven Chancen sich durch die Krise eröffnen, wer- Demenz die Gefahr, für sie unvorteilhafte oder so- den die nächsten Monate und Jahre zeigen. gar schädliche Entscheidungen zu treffen. Besonders Zum jetzigen Zeitpunkt ist ein wesentlicher Schritt, wenn die Entscheidungen schnell getroffen werden die COVID-19-Auswirkungen auf möglichst vielen müssen und auf vielen und komplexen Informatio- Ebenen zu erheben, zu dokumentieren und kritisch nen basieren, zeigen Menschen mit Demenz klare zu beleuchten. Nur so kann auch nach der Krise ein Nachteile gegenüber Gesunden [42]. In der derzeiti- Aufarbeiten der nun akuten und traumatisierenden gen COVID-19-Krise geraten Menschen mit Demenz Situation erfolgen und für präventive Strategien in der besonders schnell und leicht in solch schwierigen Si- Zukunft genutzt werden. tuationen. Auch die komplexe Informationsflut über die Medien und der teils fehlende Austausch mit ver- Stellungnahmen und Empfehlungen der trauten Mitmenschen birgt die Gefahr von potenziell Österreichischen Alzheimer Gesellschaft zur schädlichen Entscheidungen. – Als Beispiel seien nur Auswirkung von COVID-19 auf Menschen mit die häufigen kriminellen Hilfs- oder Kreditangebo- Demenz und deren Betreuungsumfeld te, oder gezielte Falschinformationen über COVID- 19-Maßnahmen genannt. Es kann davon ausgegan- Die Covid-19-Krise führte drastisch vor Augen, wie gen werden, dass sich viele Menschen mit Demenz fragil das österreichische Pflege- und Versorgungssys- allein aufgrund krankheitsbedingter Defizite in der tem von Menschen mit Demenz auf unterschiedli- Entscheidungsfindung gegen das Befolgen von Si- chen Ebenen ist. Die Österreichische Alzheimer Ge- cherheitsmaßnahmen oder auch das Einhalten von sellschaft unterstützt deshalb sehr die Aufwertung des Ausgangsbeschränkungen entschieden haben. Als Pflegeberufs durch Verbesserungen der Ausbildungs- Gegenmaßnahme wurden verstärkt in den Medien qualität sowie der Entlohnung. Die Autonomie der ös- auch Nachrichten „in einfacher Sprache“ gesendet. terreichischen 24-h-Betreuung muss erhöht werden: Auf manchen webbasierten Demenzportalen wur- Dies wird nur über bessere Entlohnung und höhere den eigens für Menschen mit Demenz schriftliche Wertschätzung möglich sein. Auch eine Ausbildungs- und bildliche Erklärungen der erlassenen COVID-19- offensive im Bereich der Pflegekräfte muss damit ein- Maßnahmen veröffentlicht. Wieder wird darauf hin- hergehen. Das derzeitige Pflegesystem zieht seinen gewiesen, dass eben solche Maßnahmen Menschen Vorteil aus dem unterschiedlichen Lohnniveau inner- mit Demenz in besonders fortgeschrittenen Stadien halb der Europäischen Union und ist dabei gleich- nicht erreichen und ein dringender Bedarf in Krisen zeitig gewillt bei den qualitativen Mindeststandards besteht, die verfügbaren Informationen für alle Bürger Abstriche zu machen. Es ist zu wünschen, dass das eines Staates verfügbar zu machen. Beschwören der „Helden des Alltags“ in vielen Be- reichen unserer Gesellschaft, und ganz besonders im Stellungnahme der ÖAG Eine aktive und auf Men- Bereich der Pflegeberufe, zu einer Neuorientierung in schen mit Demenz angepasste schriftliche Informati- unserem Land führt. Machen wir uns bewusst, dass on, z. B. über Informationsblätter und Broschüren auf die COVID-19-Krise nur ein Katalysator dafür ist, in- staatlicher Ebene, wäre eine sinnvolle und wichtige härente Systemmängel aufzuzeigen. Die Mängel im Initiative. Pflegebereich werden uns gerade drastisch vor Augen geführt. Nutzen wir die Chance der sich gerade ent- Diskussion wickelnden Werteverschiebungen, um kurz- und mit- telfristige Änderungen herbeizuführen. Es ist darauf Die COVID-19-Pandemie wird mit Sicherheit als be- zu drängen, dass die in den letzten Wochen so viel deutende Krise in die Weltgeschichte und auch die gepriesenen „systemrelevanten“ Bereiche unserer Ge- Geschichte Österreichs eingehen. Ob in vielen Jahren sellschaft – und dazu gehört das Pflegesystem – ver- der medizinische Aspekt mit tausenden von menschli- stärkt autonomisiert und budgetär adäquat ausgestat- chen Opfern oder der wirtschaftliche Schaden im Vor- tet werden müssen. Vor allem jenen Personen in unse- dergrund bleiben wird, wird die Zukunft zeigen. rem Land, die zu pflegende Angehörige haben, wurde Sicher ist jedenfalls, dass Menschen in hohem Le- die Verletzlichkeit des derzeitigen Systems drastisch bensalter und damit auch Menschen mit Demenz vor- vor Augen geführt. nehmlich die Opfer der medizinischen und gesund- Positionspapier der Österreichische Alzheimer Gesellschaft (ÖAG) K
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