PRESS REVIEW Friday, August 20, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Friday, August 20, 2021
PRESS REVIEW Friday, August 20, 2021 Süddeutsche Zeitung Einlass nur für Geimpfte und Genesene, dafür volles Haus? Warum das die Kulturwelt kaum begeistert Berliner Morgenpost Intendant Sebastian Nordmann setzt in der Pandemie auf Verlässlichkeit und den Wohlfühleffekt im Konzerthaus Frankfurter Allgemeine Zeitung Alexander Calder bezwingt die Halle der sanierten Neuen Nationalgalerie in Berlin, während die Neuhängung eines Großteils der Sammlung und Rosa Barba die leere Mitte der Gesellschaft umkreisen Berliner Zeitung Die sanierte Neue Nationalgalerie stellt ihre Hauptwerke in den Kontext ihrer unruhigen Enstehungsjahre - als „Kunst der Gesellschaft 1900-1945“ Der Tagesspiegel Das Spektakel nach Karl Kraus ist jetzt in Berlin. Ein Treffen mit Regisseur Paulus Manker Süddeutsche Zeitung Romeo Castellucci, Regisseur des aktuellen Salzburger „Don Giovanni“, schafft so betörende wie verstörende Bilderwelten. Eine Begegnung Berliner Morgenpost Das verschobene Beethovenfest Bonn startet am Freitag Süddeutsche Zeitung Die Brandenburgischen Konzerte bei den Salzburger Festspielen Süddeutsche Zeitung Die Sängerin Donatienne Michel-Dansac über ihre Rolle als Donald Trump an der Oper in Hamburg
20.8.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/812819/11 Sie werden platziert Einl ass nur für Gei mpft e und Gen es en e, daf ür voll es Haus? Waru m das die Kult urw elt kaum be- geist ert VON T HOM A S BA L B I E R E R Das groß e Wort Freih eit taucht dies er Tag e oft in Beg leit ung zweie r nicht ganz so groß er Att rib ut e auf: mehr oder wen ig er. Das sollt e ein em eher mehr als wen ig er zu denken geb en. Denn wäre Freih eit ein e in Zahl en messb are Größ e wie, sag en wir, Geld, hätt e jed er und jed e Deuts che im best en Fall den gleic hen Kont os tand – er speist e sich aus dem Grundg es etz, Art ikel 3: „All e Mens chen sind vor dem Ges etz gleich.“ Schränkt der Staat weg en ein er Pand em ie Grundrecht e ein, treffen die Kont oa bz üg e all e im Land. Doch was, wenn die Freih eit spät er nicht im selb en Maß e zur ückü berw ies en wird? Pol it iker wie Kanzl era mtsm in ist er Helg e Braun (CDU) oder CSU-Chef Mark us Söder sprec hen nun imm er wied er davon, dass geg en das Coron av ir us gei mpft e Mens chen bald „def in it iv mehr Freih eit en“ hab en soll- ten als Ung ei mpft e – die ja im Umkehrs chluss wen ig er Freih eit en hätt en als der Rest. Mit der Freih eit wäre es wie schon imm er mit dem Geld: Es häuft sich bei den ein en an, während and ere tief im Min us sind. Söder vers tieg sich im Jul i gar zu dem Satz: „Ohn e Impfen kein e Freih eit.“ Es ist kein Vers eh en, dass das nach ein er Droh ung klingt. Beim Bund-Länd er-Treffen letzt e Woc he konnt e sich die Mehr-oder-wen ig er-Freih eit-Frakt io n vore rst nicht ganz durchs etz en. Stattd ess en soll ab Mont ag der Bes uch von Kult urvera ns talt ung en bund esweit für all e mögl ich sein, die gei mpft sind, neg at iv get est et wurd en oder von ein er Vir use rk rank ung bereits gen e- sen sind, kurz 3G. Klingt nach ein em abg es chalt et en Mob ilf unkn etz, soll nun aber die Zaub erform el sein, um ein e viert e Infekt io nswell e im Herbst zu brems en – ohn e Bevölker ungsg rupp en aus dem öffentl ic hen Leb en ausz us perren. Auch wenn sich einwend en lässt, dass das für Ung ei mpft e obl ig at or is che Test en, ab 11. Okt ob er kost enp flicht ig, auch die Freih eit bes chränkt. Doch die Mögl ichkeit zur Teilh ab e bleibt. Das schien Söder nach dem Bund-Länd er-Treffen nicht zu gef all en, als o vers ucht e er es mit ein em Ta- schens piel ert rick. Jed er Vera ns talt er, sagt e er in der ARD, könn e selbst ents cheid en, nur noch Gei mpft e und Gen es en e reinz ul ass en. „2G wird so oder so ab ein em bes timm en Zeitp unkt komm en“, lockt e er und zog noch ein Kan inc hen aus dem Hut. Wer als Vera ns talt er Ung ei mpft en den Zut ritt verwehre, müss e sich auch nicht mehr an die streng en Coron a-Bes uc herg renz en halt en. Abrak ad ab ra: voll e Theat er. Sein Kalk ül: Mehr Druck bewegt mehr Mens chen zur Impf ung. Aber ist der Jub el in der Welt der Kult ur nun groß, ang es ichts dies er Idee? Eher nicht. Wenn man sich in dies en Tag en umh ört unt er Theat eri nt end ant en und Mus eu msc hef inn en, find en es viel e gef ährl ich, Pub lik umss chicht en von Kult urvera ns talt ung en ausz us chließ en. Und aum ein Int end ant hat Lust, sich von Pol it ikern zum Druckm itt el ein er – wenn aus ihrer Sicht auch sinnvoll en – Impfk amp ag ne mac hen zu lass en. „Ein e solc he Reg el ung steht bei uns derz eit nicht zur Disk uss io n“, be- tont Oliver Rees e, Int end ant des Berl in er Ens emb les. „Grunds ätzl ich soll Theat er für all e zug ängl ich sein, gerad e hier wäre ein Auss chluss prob lem at isch.“ Klar, dass Söders Köd er, mit ein er 2G-Reg el die Zus chau- erräng e wied er lüc kenl os zu füll en, in der Haupts tadt nicht verf ängt: „Das akt ue ll e Infekt io nss chutzg es etz des Berl in er Sen ats erl aubt mit der 3G-Reg el ung und unt er den bewährt en Hyg ien eschutzm aßn ahm en ei- ne Ausl ast ung von bis zu 100 Proz ent“, sagt Rees e. Rein rechtl ich dürfen Vera ns talt er in Deutschl and ein Zut rittsverb ot für Ung ei mpft e in Eig enreg ie be- schließ en. Im Fußb all macht das zum Beis piel der 1. FC Köln, der neg at iv Get est et e nur noch in Ausn ahm e- fäll en zul ässt – etwa Kind er und Jug endl ic he. Auch ein ig e Konz ertvera ns talt er zieh en 2G als Mögl ichkeit in Bet racht. Theat erm ac her, die zum ein en meist gut öffentl ich fin anz ie ll abg es ic hert sind und sich zum an- deren ein em ges ells chaftsk rit is chen Auft rag verp flicht et fühl en, halt en davon wen ig. „Wir hab en kein In- https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/812819/11 1/2
20.8.2021 https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/812819/11 tere ss e, das Theat erp ub lik um zur Impf ung zu zwing en“, sagt Carol in e Els en, Sprec her in des Deuts chen Theat ers Berl in, „auch wenn wir selb er die Impf ung als solc he für richt ig halt en“. Das Test en sieht man in der Branc he – neb en weit eren Schutzvorkehr ung en wie der Maskenp flicht – groß - teils als sinnvoll es Ins trum ent, um Kult ur auch in ein er Pand em ie für breit e Schicht en zu öffn en. Manc he Häus er hab en eig en e Testz ent ren eing er icht et und teure Lufta nl ag en ins tall iert. Und war es nicht Söder, der Schnellt ests noch im März als „echt e Hoffn ungsc hanc e“ bez eichn et hatt e? Auf Abl ehn ung stößt Söders Vors toß auch im eig en en Bund esl and. „Mit den jetz ig en Maßn ahm en sind wir für gei mpft e und ung ei mpft e Bes uc her sic her“, sagt zum Beis piel Matt hia s Mühl ing, Direkt or des Münchn er Lenb achh aus es. Für ihn sei vor all em wicht ig, dass das Mus eu m barr ieref rei bleib e. Man sei nicht daf ür zus tänd ig, die Ges ells chaft in Kat eg or ie n einz ut eil en und zu spalt en. „Das Mus eu m ist ein Ort der Verb ind ung – wir heiß en jed en Will- komm en. Und seie n es auch die Querd enker“, sagt Mühl ing. Es gibt aber auch Stimm en, die den 2G-Vors chlag beg rüß en. Ulr ike Groos, Direkt or in des Stuttg art er Kunstm us eu ms, eri nn ert an die Vera ntwort ung für die Sic herh eit von Bes uc her inn en und Mita rb eit ern, die sie zu trag en hab e: „Desh alb halt e ich es – auch auf das Ris iko hin, den Unm ut der Impf-Unw ill ig en auf mich und das Kunstm us eu m Stuttg art zu zieh en – für richt ig, nur bereits Gei mpft en oder Gen es en en Zu- gang ins Mus eu m zu gewähren. Wer sich die Freih eit nimmt, sich nicht impfen zu lass en, muss akz ept ieren oder zum ind est hinn ehm en, dass diej en ig en, die sich impfen lass en, auf der and eren Seit e mehr Freih eit en gen ieß en dürfen.“ Letztl ich sei das aber ein e pol it is che Ents cheid ung. In Stuttg art präs ent iert e die Land esreg ier ung gerad e ein e Coron a-Vero rdn ung, die im Verg leich zur 2G- Idee schon fast rad ik al anm ut et. Seit Mont ag dürfen in Bad en-Württ emb erg Kult ure inr icht ung en all e Plät- ze bes etz en und gleichz eit ig auch nicht gei mpft e Bes uc her zul ass en. Für Vera ns talt ung en mit bis zu 5000 Teiln ehm ern fällt die Bes uc herg renz e weg. Einz ig e Bed ing ung: Wer nicht gei mpft ist, ben öt igt ein en max i- mal 24 Stund en alt en neg at iven Schnellt est. Es ist ein Weg, der mehr Freih eit für all e erl aubt, daf ür aber wen ig er Sic herh eit garant iert. Schließ l ich werd en Infekt ion en in voll en Säl en trotz Schnellt ests wahr- scheinl ic her. In Baye rn könn en Bes uc her inn en und Bes uc her derz eit noch ganz ohn e Coron a-Test ins Kin o oder zum Konz ert – während in Länd ern wie Berl in, Nordr hein-Westf al en oder Hamb urg die 3G-Reg el bereits gilt. Ein gut er Zaub ert rick, das weiß der CSU-Chef, lebt imm er auch von der Ill us io n. „Vora uss ichtl ich bis zum 23. Aug ust“ soll ein e Anp ass ung der Coron a-Vero rdn ung stattf ind en, teilt das bayer is che Kunstm in ist er i- um auf Anf rag e mit. Dass Baye rn dann im All eing ang auf ein e hart e 2G-Reg el ums teigt, ist unwahrs chein- lich, das Min ist er iu m verweist led igl ich auf den 3G-Bes chluss der Min ist erp räs id ent enkonferenz. Fliegt Söders Kart ent r ick dann auf? Auch Hamb urgs Kult urs en at or Carst en Brosd a (SPD) kann sich vors tell en, „gerad e Privata nb iet ern ein en schnell eren Weg in den Norm alb et rieb zu erm ögl ic hen, ind em sie Ang eb ot e auf Gen es en e und volls tänd ig Gei mpft e bes chränken“. Für Mus ic alvera ns talt er oder Kin ob et reib er könnt e ein e 2G-Reg el wirts chaftl ich Sinn erg eb en, um mehr Tic kets zu verk aufen. Staatl ich get rag en e Häus er hab en da wen ig er Druck. Kom- mend e Woc he will Hamb urg sein e neue Coron a-Vero rdn ung verö ffentl ic hen. Ein Sprec her der Kult urb e- hörd e gibt all erd ings zu bed enken: Wenn Säl e wied er ausverk auft werd en könn en, könnt en auch die Coro- na-Hilfen ein End e hab en. Mita rb eit: Jörg Häntzs chel und Cat rin Lorch. https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/812819/11 2/2
20.8.2021 Berliner Morgenpost KULTUR SEITE 9 | FREITAG 20. AUGUST 2021 „Es bleibt ein offenes Haus für alle“ Intendant Sebastian Nordmann setzt in der Pandemie auf Verlässlichkeit und den Wohlfühleffekt im Konzerthaus Sebastian Nordmann ist seit elf Jahren Intendant des Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Reto Klar Von Volker Blech Chefdirigent Christoph Eschenbach leitet das Programm, mit dem das Konzerthaus am Gendarmenmarkt am 26. August seine neue Saison eröffnet. Es ist ein buntes Programm für ein überschaubar besetztes Konzerthausorchester. An das Jubiläum 200 Jahre Konzerthaus erin- nert Carl Maria von Webers Konzertstück op. 79, bei dem Pianist Martin Helmchen der Solist sein wird. Neben Bach und Brahms ist eine Uraufführung von Samir Odeh-Tamimi angekündigt. Intendant Sebastian Nordmann spricht über die Auswirkungen der Pandemie auf die Planungen. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/1023/articles/1429678/9/3 1/5
20.8.2021 Berliner Morgenpost Herr Nordmann, bei einem Konzert war kürzlich zu beobachten, wie die Geigen-Solistin mit FFP2-Maske auf die Bühne kam und ihre Maske ans Dirigentenpult hängte. Dort blieb sie bis Ende des Kon- zerts hängen. Muss man als Intendant künftig auch an Maskenabla- gen denken? Sebastian Nordmann Hinter der Geschichte verbirgt sich auch die Frage nach dem Wohlfühlen in einem Saal. Normalerweise gehen wir in einen Saal und sagen: je voller, desto besser. Das hat sich in der Pandemie gedreht. Plötzlich hieß es, je weniger Leute und mit Maske, desto besser. Das Wohlfühlen hat auch einen visuellen Aspekt bekommen. Denn sobald man eine Maske auf der Bühne sieht, ver- mittelt sie das Gefühl von Sicherheit. Nun entsteht langsam ein Mix aus Beidem. Es bringt uns langsam ins frühere Konzerterlebnis zurück. Wie schauen Sie nach den Pandemie-Erfahrungen auf die neue Saison? Die Besucher haben viele Restriktionen und Absagen erfahren. Man durfte nicht zu eng neben anderen sitzen, musste Maske tragen und Auflagen erfüllen. Und immer wieder drohten Änderungen bis hin zur Veranstaltungsabsage. Wir wollen unseren Besuchern jetzt sagen: Wenn wir ein Konzert planen, dann wird es aller Wahrscheinlichkeit genauso stattfinden. Bis Januar gibt es keine Programmänderungen, und unsere Besucher behalten ihre ausgewählten Plätze. Dafür haben wir nur mit der Hälfte der Plätze im Saal geplant, obwohl wir viel- leicht mehr dürften. Wir haben ein mit dem Senat abgesprochenes Hygienekonzept, die Maske wird bis zum Platz getragen und darf dann abgesetzt werden. Das musikalische Programm ist darauf ausge- richtet, dass nicht mehr als 60 Musiker auf der Bühne sitzen. Wir wollen nicht Mahlers große Symphonie Nr. 8 anbieten, um dann Mo- zarts deutlich kleiner besetzte Symphonie Nr. 40 zu spielen. Wie ist die aktuelle Impfquote im Haus und im Orchester? https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/1023/articles/1429678/9/3 2/5
20.8.2021 Berliner Morgenpost Wir sind wie bereits beim Thema Testung im Austausch mit dem Per- sonalrat und dem Orchestervorstand. Wir sind aktuell dabei, ein Bild zu bekommen, wie viele geimpft sind. Es gibt Veranstalter und Institutionen, die nur noch Geimpfte und Ge- nesene zulassen wollen. Was sagen Sie fürs Konzerthaus? Ich finde es sehr wichtig, dass das Konzerthaus ein offenes Haus für alle bleibt. Wir können, da wir eine Landesinstitution und mit Steuer- geldern bezahlt sind, niemanden ausschließen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass wir die Kinder an der Tür abweisen, weil sie nicht geimpft sind. Was wird dann aus den Education-Programmen? Wenn es ab Mitte Oktober keine kostenfreien Tests mehr gibt, würde sich der Eintrittspreis für manche Besucher deutlich verteuern. Dadurch würde ein soziales Ungleichgewicht entstehen. Wer das Geld für den Test nicht mehr hat, kann nicht mehr ins Restaurant, ins Fitnessstudio oder in eine Kulturinstitution gehen. Für mich bleibt gerade die Kultur ein Ort der These und Antithese, der Diskussion in einer Gesellschaft. Wir dürfen uns nicht unnötig einschränken lassen. Ihr Jubiläum 200 Jahre Konzerthaus fiel in die Lockdowns. Wie geht es mit dem Rest-Jubiläum weiter? Ich fühle mich immer ein bisschen so wie das Beethoven-Jahr, das in einer ähnlichen Misere steckt. Wir haben ebenfalls unser Jubiläums- jahr bis zum Dezember 2021 gestreckt, ursprünglich sollte es nur eine Saison lang stattfinden. Viele Auftragswerke, die wir nicht spielen konnten, waren mir wichtig. Wir blicken bis Dezember auf einen dichten Spielplan, weil wir viele Konzerte aus dem Jubiläum neben dem normalen Betrieb programmiert haben. Die große „Freischütz“-Jubiläumsproduktion konnte am 18. Juni nur digital übertragen werden. Wie ist Ihre Bilanz des Opernabenteuers? https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/1023/articles/1429678/9/3 3/5
20.8.2021 Berliner Morgenpost Eigentlich würde man sagen, es war alles furchtbar mit der Krise. Aber es hat auch zum Denken, zum Hinterfragen angeregt. Das Jubi- läum wollten wir nicht nur als Rückblick auf 200 Jahre feiern, son- dern mit vielen Fragen auch unseren Standort heute bestimmen. Was soll hier gespielt werden? Wollen wir Inszenierungen? Entfernt man sich von klassischen Abokonzerten? Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ sind wir wie eine klassische Inszenierung angegan- gen. Am Ende war es eine Opernproduktion, die im Saal ohne Publi- kum stattfand, nach draußen auf den Gendarmenmarkt projiziert und schließlich fürs Fernsehpublikum produziert wurde. Wir konnten den „Freischütz“ so retten. Werden Sie den „Freischütz“ wiederholen oder weitere Opern planen? Primär Oper kann ich mir nicht vorstellen. Wir haben drei tolle große Opernhäuser plus die Neuköllner Oper in der Stadt. Ich kann mir aber mehr inszenierte Konzertformate vorstellen. Wir haben im Lockdown viel in digitalen Projekten experimentiert. Die Verbindung eines Live-Konzerts mit digitalen Elementen wie Projektionen finde ich sehr spannend. Das Festival „Classic Open Air“ fiel aus, weil es sich für einen Pri- vatveranstalter mit den Auflagen nicht lohnt. Im Sommer haben Sie selbst zweimal Open-Air-Konzerte mit zumindest 500 Plätzen auf dem Gendarmenmarkt veranstaltet. Das Festival „Young Euro Clas- sic“ folgte mit einer ähnlichen Anordnung. Planen Sie etwas für den nächsten Sommer? Wir müssen schauen, wie Gerhard Kämpfe mit dem „Classic Open Air“ weitermachen wird. Er hat das Recht, auf dem Gendarmenmarkt zu spielen, und es ist eine tolle Sommerbespielung. Wir lassen ihm natürlich diese Räume. Wenn es wegfallen würde, müssten wir dar- über nachdenken, ob wir etwas auf dem Platz anbieten. Der Gendar- menmarkt gehört zum Konzerthaus dazu. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/1023/articles/1429678/9/3 4/5
20.8.2021 Berliner Morgenpost Sie sind jetzt elf Jahre im Amt. Gibt es so etwas wie eine Midlife- Crisis für Intendanten? Jeder Intendant und überhaupt jeder, der kreativ arbeitet, muss sich immer wieder fragen, ob er es noch schafft, Impulse zu geben. Dass betrifft gerade auch das Konzerthaus mit 650 Veranstaltungen im Jahr. Der Erfolg ermisst sich auch daran, ob die Künstler und das Pu- blikum gerne ins Haus kommen. Wichtig ist mir auch, ob ich es schaffe, mein Team zu motivieren. Der Intendant sollte sich hier im- mer als Teil des Teams verstehen. Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/1023/articles/1429678/9/3 5/5
20.8.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467517/9 F.A.Z. - Feuilleton Freitag, 20.08.2021 Und plötzlich diese Energie Stabile wird Mobile: Alexander Calder bezwingt die Halle der sanierten Neuen Nationalgalerie in Berlin, während die Neuhängung eines Großteils der Sammlung und Rosa Barba die leere Mitte der Gesellschaft umkreisen. Wie konnte man es sechs Jahre lang ohne diese Schatztruhe der Kunst aushalten? Nachdem es schon Tage der offenen Tür für die reine Architektur der Neuen Nationalgalerie gab, eröffnet sie nun am Sonntag für das Museumspublikum mit gleich drei Ausstellungen derart fulminant, dass es jedem Besucher wie Schuppen von den Augen fällt, was da all die vergangenen Jahre seit den MoMA- und MET-Großschauen schmerzlich gefehlt hat: ein Gravitationszentrum der Kunst des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts. Während dieses katastrophalen Säkulums hatte die Natio- nalgalerie in Deutschland wiederholt die Route vorgegeben, Kanones festgeschrieben, bestimmte Einschätzungen vertieft. Den politischen Gegebenheiten entsprechend – das geteilte Berlin war immerhin die einzige Hauptstadt der Welt mit zwei Nationalgalerien – war der Fokus des 1968 eröffneten Mies-van- der-Rohe-Gebäudes stark westlich geprägt, männlich auch, wie bei der Pressekonferenz vom neuen Leiter Joachim Jäger gleich mehrfach betont wurde – auch insofern ist der hochsymboli- sche Museumsbau ein Spiegel seiner Erbauungszeit. Nur eine Zeit bedingungslosen Fortschritts- optimismus konnte es am 5. April 1967 wagen, ein eintausendzweihundert Tonnen schweres Stahldach mit raffinierten Hubvorrichtungen auf gefühlt nur aus Glas bestehende Wände zu setzen und innen luxuriös wie eine Raucherlounge mit Granit, Marmor und Mooreiche auszustat- ten. Der Bau war nie demokratisch-partizipativ und sollte es auch nicht sein, schon gar nicht wollte er angefasst werden. Dieser erratische Tempel der Moderne fordert schon durch sein unbe- dingtes Kunst-sein-Wollen Besinnung auf die Kunst, lässt zur Ruhe kommen, war bei jeder Schau immer schon da. Er ließ zugleich als Schrecken aller Kuratoren im vollkommen verglasten Ober- geschoss nichts außer sich selbst als Ausstellungsstück bestehen, Malerei schon gar nicht. Was Mies van der Rohe in seinem Entwurf alles mitgedacht hat Nur konsequent ist daher, wenn mit „Alexander Calder – Minimal/Maximal“ und der Künstlerin Rosa Barba zwei der drei an diesem Wochenende eröffnenden Ausstellungen sich zuallererst mit dieser Ikone der Architektur auseinandersetzen – der angenehme Nebeneffekt ist, dass Calders spätere Werke die in der Debüt-Schau gezeigte Zeitspanne der Kunst bis in die Siebziger verlän- gern, von wo aus die 1972 geborene Rosa Barba, die Dritte im Bunde und Frau, den Staffelstab in die Jetztzeit trägt. Wer nun aber spottet, die Bezugnahme von Calder auf Mies und umgekehrt erschöpfe sich im Dekorieren der Vorplätze und Foyers edler Mies-Hochhäuser in Amerika mit des Bildhauers Großskulpturen, irrt. Wie ein Archivfund jüngst zeigte, legte der Baumeister schon der Bauakte der Nationalgalerie eine Fotografie bei, die anhand seines Museumsbaus in Hous- ton/Texas mit einer darin integrierten Skulptur von Calder zeigt, wie die gläserne Halle von Mies als Reliquiar für Skulptur-Ikonen ersonnen war, ja mehr noch, mit und von ihnen lebt. Kein Wunder also, dass Calders Hauptwerk „Têtes et Queue“ von 1965 als Außenskulptur zur Eröffnung auf der Terrasse der Nationalgalerie aufgestellt war, wohin sie nun zur Wiedereröff- nung zurückkehrte. Steht man im Inneren vor der rot lackierten Stahlskulptur „Five Swords“ mit ihren Gigantenausmaßen von fast sieben mal neun Metern und sieht zu, wie das ungehindert einfallende Licht über diese genieteten Schwerter wandert wie sonst nur über Klingen aus Damaszenerstahl, versteht man, warum Mies Skulpturen als integral für sein Werk mitdachte – die Nationalgalerie ist selbst eine Skulptur, die sich impressionistisch durch das Licht von außen https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467517/9 1/3
20.8.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467517/9 wie von innen beständig wandelt. Ihre perfekt proportionierte Maßstäblichkeit wird durch das halbe Dutzend Großskulpturen Calders noch klarer, gemeinsam treten sie in Interaktion mit den Besuchern, verändern sich permanent durch Licht und Motorik. Dass der gesamte Bau mit kinetischer Energie aufgeladen ist, zeigt sich auch, wenn Calders „Mobiles“, die erstmals seit Jahrzehnten zu festgelegten Zeiten wieder bewegt werden dürfen, ihren Schatten auf eine weiße Wand werfen – in den Überlagerungen der schwebenden Elemente und ihren Schattenverdichtungen entstehen immer wieder neue Zufallsformen. Es bleibt unver- ständlich, warum Calder seit fünfzig Jahren nicht mehr in Berlin ausgestellt worden war. Dabei hatte er schon sehr früh in seiner Karriere, im Jahr 1929 seine aus Draht gefügten surreal filigra- nen Kopfsilhouetten in der Berliner Galerie Nierendorf präsentiert. Trotz dieser annähernd Halb- jahrhundert-Karenzen wirkt Calder 2021 überraschend frisch und zeitgemäß, weil er die Muse- umsbesucher, die sogar an sechs Tischen in der heiligen Halle mit einem nachgebauten Original- Set Schach mit wohl von Max Ernst inspirierten Figuren spielen dürfen, involviert und interagie- ren lässt. Die Gegenüberstellungen machen den Parcours zur Entdeckungsreise Hätte die Nationalgalerie Hans Haacke damit beauftragt, den Boden aufzustemmen wie weiland den NS-belasteten Pavillon der Venedig-Biennale, würde man von Calders sich permanent wandelndem ersten Mobile „Small Sphere and Heavy Sphere“ (1932/33) aus, bei dem eine kleine und eine größere Kugel über diverse Flaschenformen, eine Farbdose sowie einen Gong hinweg- kreist und diese bisweilen auch anschlägt, auf ein epochales Gemälde Max Ernsts blicken: „Junger Mann, beunruhigt durch den Flug einer nicht-euklidischen Fliege“. Ernst ließ sich im Entstehungsjahr 1947 möglicherweise von Calders kreisendem Kugel-Mobile anregen, eine an einem Gestell aufgehängte Farbdose anzubohren und sie in gesteuertem Zufall schwarze, nicht euklidische Parabeln auf die Leinwand tropfen zu lassen. Das „Dripping“ war erfunden, der Rest, also wie ein junger Maler namens Pollock in die New Yorker Galerie mit diesem ersten reinen Dripping-Bild der Kunstgeschichte kommt und ein Damaskuserlebnis für den abstrakten Expres- sionismus hat, ist Geschichte. Solche Geschichten, die in der Neuhängung der Nationalgalerie unter dem Titel „Die Kunst der Gesellschaft 1900–1945“ durch mehrfach geniale Bildgegenüberstellungen unaufdringlich erzählt werden, lassen diesen Parcours durch die erste Hälfte des Jahrhunderts so aufschlussreich werden. Zur Rechten des Eingangs unten hängt Lotte Lasersteins erst vor zehn Jahren erworbe- ner, doch längst ikonisch gewordener „Abend über Potsdam“, auf dem die bald darauf ins schwe- dische Exil gezwungene jüdische Malerin ihre Freunde im Rahmen eines letzten Abendmahls auf einer Dachterrasse der Stadt zeigt und mit diesem Fanal „freier Kunst“ auch den Endpunkt der Gesellschaftsausstellung setzt: 1933 respektive 1945, weil durchaus das künstlerische Aufbäumen in den Jahren des Nationalsozialismus etwa mit Karl Kunz oder Hans Richter gezeigt wird. Auf der linken Eingangswand hingegen hängt das ebenfalls mithilfe der Siemens-Stiftung neu erworbene Monumentalgemälde „Bogenschütze“ (1928) des heute kaum mehr bekannten Sascha Wiederhold, der 1933 ins innere Exil ging und als Buchhändler fortan kein einziges Bild mehr malte. Was bedauerlich ist, denn wenige deutsche Maler haben Delaunays Orphismus derart farb- wirbelnd aufgegriffen und auf ein eher wagnerianisches Thema wie diesen mythischen Nimrod umgemünzt. Im Transitraum Mies-Bau aber kann jetzt mittels der überreichen Bestände eine vertikale Geschichte(n)linie und eine horizontale abgegangen werden: Oben auf der Terrasse steht seit vergangener Woche wieder „The Archer“ von Henry Moore, der Wiederholds Thema 1964 als noch stärker abstrahierte Form in Bronze zeigt, und in der Horizontalen stößt man nach Durchschreiten des ersten Saals auf Delaunays wild bewegten Eiffelturm in Grün, Orange und Gelb, der sofort offenbart, dass Künstler und Stile keine Grenzen kennen und daher die National- galerie keine „deutsche Kunst“, sondern immer „Kunst in Deutschland“ zeigt. Oder in Abwand- lung der Inschrift am nahen Reichstag „Dem Volke“ eben doppelbödig „Die Kunst der Gesell- schaft“. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467517/9 2/3
20.8.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467517/9 Viele solcher Austauschprozesse finden sich, und wenn Wenzel Hablik auf seiner hippiesken Riesen-Vedute „Utopische Architekturen“ von 1921 seine persönliche Insel Utopia durch zwei dunkelgrüne Zypressen einrahmt, werden viele Betrachter unwillkürlich an Böcklins „Toteninsel“ denken müssen, was von der Begleittafel prompt bestätigt wird. Schade ist nur, dass man – wohl aus inzwischen verinnerlichten Gründen der Political Correct- ness – mit den eigentlichen Pfunden der Nationalgalerie fast zu wenig wuchert: Auf einer einzi- gen Wand hängen dicht gedrängt alle Brücke-Expressionisten, als wolle man sie in der Masse verstecken; pflichtschuldig wird das moralische Versagen von Nolde, der nur mit einem Bild, den „Papua-Jünglingen“ von 1914, vertreten ist, auf einer Tafel erläutert, auf einer anderen über das jugendliche Alter von Ernst Ludwig Kirchners Modell Fränzi aufgeklärt. Dabei wären hier die allerschönsten Entdeckungen zu machen gewesen, denn unter den fünfzig erstmals in dieser Schau gezeigten Nationalgalerie-Bildern ist etwa Max Pechsteins fast wandhohes „Am Seeufer“ von 1912, das wie ein Südseei dyll wirkt und in seiner sandigen Farbigkeit keinen Vergleich mit Gauguin fürchten muss. Ebenso modisch mutet die Gegenüberstellung der Bilder Oskar Schlem- mers, Willi Baumeisters oder der spannungsvollen Paul-Klee-haften Bildvergitterungen Georg Muches mit den Farbkreisen Hilma af Klints an, die zu Lebzeiten nie ausgestellt waren. Schließlich denkt das Transitorische des Gebäudes – der Skulpturengarten von Mies ist wieder begehbar – auch Rosa Barba „In a Perpetual Now“ weiter. Gegenüber vom Eingang der Haupt- ausstellung lässt sie schon im Titel anklingen, die Gültigkeit zentraler Ideen der dort zu sehenden „Gesellschaftskünstler“ und vor allem von Calder für ihre Generation zu prüfen. Mies van der Rohes gläsernes Reliquiar nennt sie einen „Container von Ideen“, in dem abgedunkelten Saal sind mehrere Filmprojektoren in Mondrian-hafte Gestänge eingeflanscht, die mit ihrer Anordnung wiederum den stark rhythmisierten Grundriss eines Landhauses Mies van der Rohes aufgreifen. Wie bei Calders Mobiles, die kein Zentrum haben, sondern sich permanent wie gesellschaftliche Prozesse ausbalancieren müssen, will Barba in ihrer Arbeit einen Verlust der Mitte schaffen, um alte Zentrierungen zu vermeiden. So werden alle drei Schauen zur „Kunst der Gesellschaft“, die diese, jede auf ihre Weise, voranbringen.Stefan Trinks Die Kunst der Gesellschaft 1900–1945. Alexander Calder – Minimal/Maximal. Rosa Barba – In a Perpetual Now. In der Neuen Nationalgalerie, Berlin; von kommendem Sonntag an. Die Kataloge kosten 29 beziehungsweise 39 Euro. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467517/9 3/3
20.8.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/938176/12-13 Freitag, 20. August 2021, Berliner Zeitung / Aufbruch und Erschütterung Die sanierte Neue Nationalgalerie stellt ihre Hauptwerke in den Kontext ihrer unruhigen Enstehungsjahre – als „Kunst der Gesellschaft 1900–1945“ GALERIE 2 Wilhelm Lehmbrucks „Gestürzter“ (1915/16) vor dem Otto Dix -Ge‐ mälde „Flandern“, 1934/36 (rechts)Berliner Zeitung/Markus Wächter (2) INGEBORG RUTHE D ie Zeit hinter der Bauplane dehnte sich unendlich, die Lücke in der Berliner Museumslandschaft war empfindlich groß. Nun lässt die Ein‐ zigartigkeit der Architekturikone Mies van der Rohes (1886–1969) die Kritiker wegen der Kosten – 140 Millionen Euro – verstummen. Wir ha‐ ben die Neue Nationalgalerie nach sechs Jahren Rekonstruktion und damit die Bil‐ der sowie Skulpturen aus den Depots zurück. Dazu den Skulpturengarten als eige‐ nes kleines Museum. Von einer Zäsur „für einen Neuanfang“ spricht Joachim Jäger, der Leiter der Neuen Nationalgalerie. Die Bestände mit etwa 1800 Werken sind aus seiner Sicht in der Vergangenheit „männlich geprägt und auch nicht global“ gezeigt worden. Immer‐ hin erreicht die neue Präsentation nun einen Künstlerinnen-Anteil von 14 Prozent. Auch die Provenienzen sind geklärt. Kein Fall von NS-verfolgungsbedingt entzoge‐ ner Kunst. Nur noch ein kleiner Teil der Depot-Bestände bedarf der Nachfor‐ schung, da Unterlagen fehlen. https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/938176/12-13 1/3
20.8.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/938176/12-13 1986 wurde das Haus mit den Mobiles und Skulpturen des amerikanischen Nach‐ kriegsavantgardisten Alexander Calder in der gläsernen Oberhalle eingeweiht. Gründungsdirektor war der Documenta-Impresario und Calder-Fan Werner Haft‐ mann. Neueste Forschungen belegen, dass der wirkmächtige Modernist mit dem NS-System verstrickt war (siehe Berliner Zeitung vom 19. August). Die Aufarbei‐ tung soll folgen. Wallfahrtsort der Moderne Mies’ Neue Nationalgalerie – die historische Nationalgalerie befand sich ja in Ost- Berlin, am Lustgarten – ist wieder Wallfahrtsort für die westliche und nach der Wie‐ dervereinigung auch östliche Moderne. Ein Kunsthaus für Offenheit, Toleranz und „versöhnende Leichtigkeit“, wie es sich der von den Nazis in die USA vertriebene Bauhausmeister gewünscht hatte. Sein Grundentwurf für den lichten Pavillon mit Sockelgeschoss hatte gar keinem Museumsbau gegolten, sondern der Bacardi-Zen‐ trale in Santiago de Cuba. Die Revolutionäre um Fidel Castro enteigneten Bacardi 1960. Die Familie emigrierte samt der Rum-Rezepte auf die Bermudas. Doch einen Bacardi wäre es schon wert, wenn wir ab Sonntag wieder in der Ober‐ halle, dieser überdachten Piazza, vor den nicht nur die kindliche Fantasie begeis‐ ternden Calder-Schablonen stehen. Was damals spektakulär war, wirkt heute eher klassisch, als kunsthistorische Geste. Nichts gegen den Altstar Calder, von dem es in Berlin seit 50 Jahren keine Ausstellung mehr gab. Spektakulärer wäre etwas Aktu‐ elleres gewesen. Vielleicht hätte der in Berlin lebende Welt-Künstler Tomas Sarace‐ no seine denkwürdigen ökosystemischen „Raumkapseln“ zu Klimawandel, Krisen, Krieg und enthemmtem Bevölkerungswachstum in die Halle hineinbauen können. Etwas, das nicht das Vergangene feiert, sondern die Unabdingbarkeit globaler In‐ teraktionen einfordert. Womöglich ein Gedanke, der den Bauhausmeister Mies be‐ wegt hätte. Unten, im wieder Mies-typisch mit Teppich ausgelegten Sockelgeschoss hingegen ist der Rückblick unverzichtbar, um deutsche, europäische Kunstgeschichte zu er‐ zählen. Frühe und klassische Moderne belegen Zeitgeist und Zeitkritik. Sinnlich packend der Wechsel von Bildern und Skulpturen, allesamt Zeugnisse der Avant‐ garde-Strömungen und -Stile von 1900 bis 1945. Wir schauen gleichsam in den Spiegel der Gesellschaft in ruhelosen Zeiten. Krise war immer, und zweimal führ‐ ten die unvereinbaren Widersprüche und aggressiven Machtansprüche zu Welt‐ kriegen. Wir erleben einen gelungenen Exkurs durch Dada, Expressionismus, sozi‐ alkritischen Realismus, Neuer Sachlichkeit, Kubismus und Surrealismus. Die Bild‐ werke erzählen von Kaiserreich, Kolonialzeit, der Weimarer Republik, NS-Verfe‐ mung, Exil und Holocaust. Die bis 2023 konzipierte Dauerausstellung beginnt mit zwei jüngeren Neuerwer‐ bungen: Lotte Lasersteins „Abend über Potsdam“ von 1930. Das Bild ist schon die düstere Ahnung des Abschieds; die Jüdin floh vor den Nazis nach Schweden. Längst wurde sie als wichtige Künstlerin ihrer Zeit wiederentdeckt. Ähnlich verhält es sich mit dem durch die Ernst-von-Siemens-Stiftung finanzierten Ankauf von Sa‐ scha Wiederholds theatralischen „Bogenschützen“ von 1928. Dann spiegeln sich gleich im ersten Saal die für Berlin als prägend empfundenen 1920er-Jahre wider. „Stadtsplitter“ heißt die Inszenierung von Bildern und Plastiken, dazwischen ar‐ rangierte Video-Leinwänden mit Filmszenen vom „Tanz auf dem Vulkan“. Da sind https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/938176/12-13 2/3
20.8.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/938176/12-13 Collagen von Hannah Höch und Plastiken von Renée Sintenis, Marg Moll, Rudolf Belling, von Archipenko, Lipchitz, Will Lammert und Georg Kolbe. An der nächsten Wand kubistische Bilder von Braque, Picasso, Gris. Die Kunst in Berlin und Paris nahm die Dynamik der durch die Industrialisierung anwachsenden, pulsierenden Großstädte auf, bis alles nur noch zersplitterte Wahrnehmung war. Gegenüber hängen Straßenszenen des Brücke-Malers Ernst Ludwig Kirchner, so der „Potsdamer Platz“: Die Mitternachtsszene zeigt zwei Huren, eine mit Witwen‐ schleier. Alles ist in stürzender Perspektive gemalt; der Blick rutscht ab: Prostitution quasi als Sinnbild der Moderne, einsam und beziehungslos. Dann stehen wir vor noch mehr Bildern der „Brücke“- Maler, wo an einer Tafel die Frage gestellt wird, ob etwa Pechsteins Lolita-Akte von kleinen Roma-Mädchen aus heutiger Sicht se‐ xistisch sind und Noldes Papua-Jünglinge kolonialistisch, gar rassistisch. Die Ant‐ worten werden uns Betrachtern überlassen. Es folgen die Expressionisten des „Blauen Reiters“, lyrische Abstraktionen von Figur und Natur bei Werefkin, Kandin‐ sky und Klee. Und immer wieder steht die Frage in den 13 Themenräumen im Mit‐ telpunkt: Wofür steht die Moderne? Steht sie für Hodlers Lebensreformbilder, die‐ sem „Zurück zur Natur“? Für Lehmbrucks „Gestürzten“? Für Munchs Reinhart- Fries oder für Dix’ „Mondweib"? Politische Zäsur Wir sehen und begreifen: Sie steht für das alles, auch für Schads „Sonja“, deren Ge‐ heimnis in der Ausstellung gelüftet wird. Dieses faszinierende Abbild der „Neuen Frau“ von 1928 hieß Albertine Gimpel, eine Jüdin, die durch glückliche Umstände vor den Nazis gerettet wurde. Dann vertiefen wir uns in Beckmanns „Geburt“ und „Tod“, in den „Ecce Homo“ Josef Scharls, dessen von einem Geschoss zerfetztes Ge‐ sicht eines Mannes wie eine Vorlage für Francis Bacons Porträts wirkt. Da sind Dix' unvergleichliche „Skatspieler“ und „Stützen der Gesellschaft“, sein Kriegspanora‐ ma „Flandern“ und Heinrich Ehmsens „Irrenhaus“ . Und Wilhelm Lachnits „Der traurige Frühling“ von 1933 macht die politische, gesellschaftliche Zäsur schmerz‐ haft deutlich. Heinrich Vogelers „Revolutionsbilder“ erzählen nochmals eine ganz andere Ge‐ schichte. Deutschlands erfolgreichster Jugendstilmaler war Stalins Ideologie auf den Leim gegangen und in die Sowjetunion übergesiedelt. Dann malte er in der ka‐ sachischen Verbannung seinen Traum vom Kommunismus. Doch all diese Werke stehen für Aufbruch und Erschütterung der Moderne. Neue Nationalgalerie Potsdamer Str. 50 , geöffnet ab 22. August, Di–So 10–18/Do bis 20 Uhr. „Die Kunst der Gesellschaft 1900–1945“ bis 2. Juli 1923, Katalog (DCV-Verlag), 27 Euro https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/938176/12-13 3/3
20.8.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476869/18-19 Freitag, 20.08.2021, Tagesspiegel / Kultur Das Futter aller Schlachten „Die letzten Tage der Menschheit“: Das Spektakel nach Karl Kraus ist jetzt in Berlin. Ein Treffen mit Regisseur Paulus Manker Von Peter von Becker © Sebastian Kreuzberger Epochales Panoptikum. Szene von einer Probe der Karl-Kraus-Inszenierung, die ab Freitag in der Halle der Spandauer „Insel Gartenfeld“ stattfindet. Da ertönt es wieder, das anschwellende Crescendo aus Richard Strauss’ „Zarathus- tra“-Sinfonie. Fast jeder kennt den Auftakt aus Stanley Kubricks „Odyssee 2001“, die von der Morgendämmerung der Menschheit in den Weltraum führt. Jetzt, in einer riesigen ehemaligen Werkhalle des Siemensareals in Berlin-Spandau, begleitet der „Zarathustra“-Beginn die Einfahrt der Schauspieler auf einem realen Eisenbahnwa- gen. Eröffnet so eine mehr als siebenstündige Raumtheaterversion von Karl Kraus’ vor hundert Jahren verfasster Weltkriegsapokalypse „Die letzten Tage der Menschheit“. Die dramatische Dämmerung unserer Spezies hielt der Wiener Dichter und Publi- zist („Die Fackel“) selbst für unaufführbar. Unter dem Eindruck der Schlachten 1915 begonnen, glaubte Kraus für seine am Ende 220 Szenen mit über tausend Rollen an zahllosen Schauplätzen, von Wien bis Berlin, von Russland bis Frankreich, nur an https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476869/18-19 1/4
20.8.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476869/18-19 ein „Marstheater“. Also passt die Kubrick-Erinnerung samt Strauss ganz gut. Ein Monsterdrama als Welt- und Weltraumtheater. Premiere in Spandau ist an diesem Freitag. Das Panoptikum kommt aus Wien, wurde dort ab 2018 vom Publikum und der Presse bejubelt. Bald darauf hatte Regisseur Paulus Manker auch eine mehr auf Berlin zielende Fassung entworfen. Geplant für Sommer 2020, musste das Spektakel wegen der Pandemie jedoch abgesagt werden. Weshalb die schon auf 16 000 Quadratmeter verteilten und auch vom Publikum im Laufe der Handlung begehbaren Szenerien mit Salons, Cafés, einem Theater im Theater, einer Krankenstation aus Weltkriegszeiten und den eigens durch die Haupt- halle verlegten Bahngleisen ein Jahr auf ihre Erweckung gewartet haben. Vom Trans- port und dem Aufwand zeugen direkt vor der Halle elf Riesencontainer und eine Die- sellok. Sie gehören mit zum Spiel: Die Lok wird dröhnend, dampfend ein- und aus- fahren, und Episoden an der Front spielen zum Teil in Sandgruben (Schützengräben) oder im Bauland rund um die große Backsteinhalle. Das Gelände auf der Spandauer „Insel Gartenfeld“ gehört dem Investor Thomas Best- gen. Er hatte in Wien die „Letzten Tage der Menschheit“ gesehen und als Fan die Halle samt Umfeld dem Theatermacher Paulus Manker kostenlos überlassen. Man- ker sagt jetzt, vor einem Probedurchlauf: „Ohne diese Großzügigkeit wäre unsere Berliner Unternehmung kaum möglich gewesen!“ Bestgen will hier über 3000 Woh- nungen bauen, die historische Industriearchitektur mit einbeziehen und für die Truppe der Choreografin Constanza Macras ein eigenes neues Theater schaffen. Wobei es im Fall der „Letzten Tage“ noch eine Pointe gibt. Denn der Name der Spiel- stätte lautet „Belgienhalle“. Zwar wurde die Konstruktion von den Deutschen im Ers- ten Weltkrieg in Nordfrankreich als Beutegut demontiert. Aber Belgien war beim Durchmarsch 1914 das Land des ersten deutschen Kriegsüberfalls. Und, doppelte Pointe, in Österreich spielte man in der „Serbenhalle“. Sie diente den Nazis in ihrem Weltkrieg für Massenmorde und als Waffenschmiede. Im Stück aber wird nach dem Attentat auf den habsburgischen Thronfolger 1914 in Sarajewo das authentische „Serbien muss sterbien!“ herausgeschrien. „Erst die Serbenhalle und jetzt die Belgi- enhalle, das hätte Karl Kraus gefallen“, merkt Manker sarkastisch lächelnd an. Dieser Mundzug, der vom charmant Gewinnenden jäh ins herrisch Grantelnde wechseln kann – wenn auf den Proben ein szenisches Detail nicht stimmt oder ein Akteur einen Handschuh vergessen hat: Er gehört zu den Gesichtern von Paulus Manker. Der 63-jährige Wiener aus einer alten Künstlerfamilie ist Regisseur, Autor und als Schauspieler mit dem Image des genialischen Enfant terrible voller Erfah- rungen mit Theater- und Filmregisseuren wie Peter Zadek, Luc Bondy, Christoph Schlingensief, Michael Haneke, Alexander Kluge. Oder zuletzt Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“) und Dani Levy („Die Känguru-Chroniken“). Selbst war er mit Anfang zwanzig schon bei Hans Hollmanns Wiener Version dabei, die 1980 an zwei Abenden Teile der „Letzten Tage“ noch vergleichsweise konventionell vom Marstheater auf die irdischen Bretter brachte. https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476869/18-19 2/4
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