PRESS REVIEW Friday, August 20, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of

 
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PRESS REVIEW Friday, August 20, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
PRESS REVIEW

         Daniel Barenboim Stiftung
Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

         Friday, August 20, 2021
PRESS REVIEW Friday, August 20, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
PRESS REVIEW                                                           Friday, August 20, 2021

Süddeutsche Zeitung
Einlass nur für Geimpfte und Genesene, dafür volles Haus? Warum das die Kulturwelt kaum begeistert

Berliner Morgenpost
Intendant Sebastian Nordmann setzt in der Pandemie auf Verlässlichkeit und den Wohlfühleffekt im
Konzerthaus

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Alexander Calder bezwingt die Halle der sanierten Neuen Nationalgalerie in Berlin, während die
Neuhängung eines Großteils der Sammlung und Rosa Barba die leere Mitte der Gesellschaft umkreisen

Berliner Zeitung
Die sanierte Neue Nationalgalerie stellt ihre Hauptwerke in den Kontext ihrer unruhigen
Enstehungsjahre - als „Kunst der Gesellschaft 1900-1945“

Der Tagesspiegel
Das Spektakel nach Karl Kraus ist jetzt in Berlin. Ein Treffen mit Regisseur Paulus Manker

Süddeutsche Zeitung
Romeo Castellucci, Regisseur des aktuellen Salzburger „Don Giovanni“, schafft so betörende wie
verstörende Bilderwelten. Eine Begegnung

Berliner Morgenpost
Das verschobene Beethovenfest Bonn startet am Freitag

Süddeutsche Zeitung
Die Brandenburgischen Konzerte bei den Salzburger Festspielen

Süddeutsche Zeitung
Die Sängerin Donatienne Michel-Dansac über ihre Rolle als Donald Trump an der Oper in Hamburg
PRESS REVIEW Friday, August 20, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
20.8.2021                                         https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/812819/11

       Sie wer­den plat­ziert

       Ein­l ass nur für Ge­i mpf­t e und Ge­n e­s e­n e, da­f ür vol­l es Haus? War­u m das die Kul­t ur­w elt kaum be­-
       geis­t ert

       VON T HO­M A S BA L ­B I E ­R E R

       Das gro­ß e Wort Frei­h eit taucht die­s er Ta­g e oft in Be­g lei­t ung zwei­e r nicht ganz so gro­ß er At­t ri­b u­t e auf:
       mehr oder we­n i­g er. Das soll­t e ei­n em eher mehr als we­n i­g er zu den­ken ge­b en. Denn wä­re Frei­h eit ei­n e in
       Zah­l en mess­b a­re Grö­ß e wie, sa­g en wir, Geld, hät­t e je­d er und je­d e Deut­s che im bes­t en Fall den glei­c hen
       Kon­t o­s tand – er speis­t e sich aus dem Grund­g e­s etz, Ar­t i­kel 3: „Al­l e Men­s chen sind vor dem Ge­s etz gleich.“
       Schränkt der Staat we­g en ei­n er Pan­d e­m ie Grund­rech­t e ein, tref­fen die Kon­t o­a b­z ü­g e al­l e im Land. Doch
       was, wenn die Frei­h eit spä­t er nicht im sel­b en Ma­ß e zu­r ück­ü ber­w ie­s en wird?

       Po­l i­t i­ker wie Kanz­l er­a mts­m i­n is­t er Hel­g e Braun (CDU) oder CSU-Chef Mar­k us Söder spre­c hen nun im­m er
       wie­d er da­von, dass ge­g en das Co­ro­n a­v i­r us ge­i mpf­t e Men­s chen bald „de­f i­n i­t iv mehr Frei­h ei­t en“ ha­b en soll­-
       ten als Un­g e­i mpf­t e – die ja im Um­kehr­s chluss we­n i­g er Frei­h ei­t en hät­t en als der Rest. Mit der Frei­h eit wä­re
       es wie schon im­m er mit dem Geld: Es häuft sich bei den ei­n en an, wäh­rend an­d e­re tief im Mi­n us sind.
       Söder ver­s tieg sich im Ju­l i gar zu dem Satz: „Oh­n e Imp­fen kei­n e Frei­h eit.“ Es ist kein Ver­s e­h en, dass das
       nach ei­n er Dro­h ung klingt.

       Beim Bund-Län­d er-Tref­fen letz­t e Wo­c he konn­t e sich die Mehr-oder-we­n i­g er-Frei­h eit-Frak­t i­o n vor­e rst
       nicht ganz durch­s et­z en. Statt­d es­s en soll ab Mon­t ag der Be­s uch von Kul­t ur­ver­a n­s tal­t un­g en bun­d es­weit für
       al­l e mög­l ich sein, die ge­i mpft sind, ne­g a­t iv ge­t es­t et wur­d en oder von ei­n er Vi­r us­e r­k ran­k ung be­reits ge­n e­-
       sen sind, kurz 3G. Klingt nach ei­n em ab­g e­s chal­t e­t en Mo­b il­f unk­n etz, soll nun aber die Zau­b er­for­m el sein,
       um ei­n e vier­t e In­fek­t i­o ns­wel­l e im Herbst zu brem­s en – oh­n e Be­völ­ke­r ungs­g rup­p en aus dem öf­fent­l i­c hen
       Le­b en aus­z u­s per­ren. Auch wenn sich ein­wen­d en lässt, dass das für Un­g e­i mpf­t e ob­l i­g a­t o­r i­s che Tes­t en, ab
       11. Ok­t o­b er kos­t en­p flich­t ig, auch die Frei­h eit be­s chränkt. Doch die Mög­l ich­keit zur Teil­h a­b e bleibt.

       Das schien Söder nach dem Bund-Län­d er-Tref­fen nicht zu ge­f al­l en, al­s o ver­s uch­t e er es mit ei­n em Ta­-
       schen­s pie­l er­t rick. Je­d er Ver­a n­s tal­t er, sag­t e er in der ARD, kön­n e selbst ent­s chei­d en, nur noch Ge­i mpf­t e
       und Ge­n e­s e­n e rein­z u­l as­s en. „2G wird so oder so ab ei­n em be­s tim­m en Zeit­p unkt kom­m en“, lock­t e er und
       zog noch ein Ka­n in­c hen aus dem Hut. Wer als Ver­a n­s tal­t er Un­g e­i mpf­t en den Zu­t ritt ver­weh­re, müs­s e sich
       auch nicht mehr an die stren­g en Co­ro­n a-Be­s u­c her­g ren­z en hal­t en. Abra­k a­d a­b ra: vol­l e Thea­t er.

       Sein Kal­k ül: Mehr Druck be­wegt mehr Men­s chen zur Imp­f ung. Aber ist der Ju­b el in der Welt der Kul­t ur
       nun groß, an­g e­s ichts die­s er Idee?

       Eher nicht. Wenn man sich in die­s en Ta­g en um­h ört un­t er Thea­t er­i n­t en­d an­t en und Mu­s e­u ms­c he­f in­n en,
       fin­d en es vie­l e ge­f ähr­l ich, Pu­b li­k ums­s chich­t en von Kul­t ur­ver­a n­s tal­t un­g en aus­z u­s chlie­ß en. Und aum ein
       In­t en­d ant hat Lust, sich von Po­l i­t i­kern zum Druck­m it­t el ei­n er – wenn aus ih­rer Sicht auch sinn­vol­l en –
       Impf­k am­p a­g ne ma­c hen zu las­s en. „Ei­n e sol­c he Re­g e­l ung steht bei uns der­z eit nicht zur Dis­k us­s i­o n“, be­-
       tont Oli­ver Ree­s e, In­t en­d ant des Ber­l i­n er En­s em­b les. „Grund­s ätz­l ich soll Thea­t er für al­l e zu­g äng­l ich sein,
       ge­ra­d e hier wä­re ein Aus­s chluss pro­b le­m a­t isch.“ Klar, dass Söders Kö­d er, mit ei­n er 2G-Re­g el die Zu­s chau­-
       er­rän­g e wie­d er lü­c ken­l os zu fül­l en, in der Haupt­s tadt nicht ver­f ängt: „Das ak­t u­e l­l e In­fek­t i­o ns­s chutz­g e­s etz
       des Ber­l i­n er Se­n ats er­l aubt mit der 3G-Re­g e­l ung und un­t er den be­währ­t en Hy­g ie­n eschutz­m aß­n ah­m en ei­-
       ne Aus­l as­t ung von bis zu 100 Pro­z ent“, sagt Ree­s e.

       Rein recht­l ich dür­fen Ver­a n­s tal­t er in Deutsch­l and ein Zu­t ritts­ver­b ot für Un­g e­i mpf­t e in Ei­g en­re­g ie be­-
       schlie­ß en. Im Fuß­b all macht das zum Bei­s piel der 1. FC Köln, der ne­g a­t iv Ge­t es­t e­t e nur noch in Aus­n ah­m e­-
       fäl­l en zu­l ässt – et­wa Kin­d er und Ju­g end­l i­c he. Auch ei­n i­g e Kon­z ert­ver­a n­s tal­t er zie­h en 2G als Mög­l ich­keit in
       Be­t racht. Thea­t er­m a­c her, die zum ei­n en meist gut öf­fent­l ich fi­n an­z i­e ll ab­g e­s i­c hert sind und sich zum an­-
       de­ren ei­n em ge­s ell­s chafts­k ri­t i­s chen Auf­t rag ver­p flich­t et füh­l en, hal­t en da­von we­n ig. „Wir ha­b en kein In­-

https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/812819/11                                                                                   1/2
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       ter­e s­s e, das Thea­t er­p u­b li­k um zur Imp­f ung zu zwin­g en“, sagt Ca­ro­l i­n e El­s en, Spre­c he­r in des Deut­s chen
       Thea­t ers Ber­l in, „auch wenn wir sel­b er die Imp­f ung als sol­c he für rich­t ig hal­t en“.

       Das Tes­t en sieht man in der Bran­c he – ne­b en wei­t e­ren Schutz­vor­keh­r un­g en wie der Mas­ken­p flicht – gro­ß ­-
       teils als sinn­vol­l es In­s tru­m ent, um Kul­t ur auch in ei­n er Pan­d e­m ie für brei­t e Schich­t en zu öff­n en. Man­c he
       Häu­s er ha­b en ei­g e­n e Test­z en­t ren ein­g e­r ich­t et und teu­re Luft­a n­l a­g en in­s tal­l iert. Und war es nicht Söder,
       der Schnell­t ests noch im März als „ech­t e Hoff­n ungs­c han­c e“ be­z eich­n et hat­t e? Auf Ab­l eh­n ung stö­ßt Söders
       Vor­s toß auch im ei­g e­n en Bun­d es­l and. „Mit den jet­z i­g en Maß­n ah­m en sind wir für ge­i mpf­t e und un­g e­i mpf­t e
       Be­s u­c her si­c her“, sagt zum Bei­s piel Mat­t hi­a s Müh­l ing, Di­rek­t or des Münch­n er Len­b ach­h au­s es. Für ihn sei
       vor al­l em wich­t ig, dass das Mu­s e­u m bar­r ie­re­f rei blei­b e. Man sei nicht da­f ür zu­s tän­d ig, die Ge­s ell­s chaft in
       Ka­t e­g o­r i­e n ein­z u­t ei­l en und zu spal­t en. „Das Mu­s e­u m ist ein Ort der Ver­b in­d ung – wir hei­ß en je­d en Will­-
       kom­m en. Und sei­e n es auch die Quer­d en­ker“, sagt Müh­l ing.

       Es gibt aber auch Stim­m en, die den 2G-Vor­s chlag be­g rü­ß en. Ul­r i­ke Groos, Di­rek­t o­r in des Stutt­g ar­t er
       Kunst­m u­s e­u ms, er­i n­n ert an die Ver­a nt­wor­t ung für die Si­c her­h eit von Be­s u­c he­r in­n en und Mit­a r­b ei­t ern, die
       sie zu tra­g en ha­b e: „Des­h alb hal­t e ich es – auch auf das Ri­s i­ko hin, den Un­m ut der Impf-Un­w il­l i­g en auf
       mich und das Kunst­m u­s e­u m Stutt­g art zu zie­h en – für rich­t ig, nur be­reits Ge­i mpf­t en oder Ge­n e­s e­n en Zu­-
       gang ins Mu­s e­u m zu ge­wäh­ren. Wer sich die Frei­h eit nimmt, sich nicht imp­fen zu las­s en, muss ak­z ep­t ie­ren
       oder zu­m in­d est hin­n eh­m en, dass die­j e­n i­g en, die sich imp­fen las­s en, auf der an­d e­ren Sei­t e mehr Frei­h ei­t en
       ge­n ie­ß en dür­fen.“ Letzt­l ich sei das aber ei­n e po­l i­t i­s che Ent­s chei­d ung.

       In Stutt­g art prä­s en­t ier­t e die Lan­d es­re­g ie­r ung ge­ra­d e ei­n e Co­ro­n a-Ver­o rd­n ung, die im Ver­g leich zur 2G-
       Idee schon fast ra­d i­k al an­m u­t et. Seit Mon­t ag dür­fen in Ba­d en-Würt­t em­b erg Kul­t ur­e in­r ich­t un­g en al­l e Plät­-
       ze be­s et­z en und gleich­z ei­t ig auch nicht ge­i mpf­t e Be­s u­c her zu­l as­s en. Für Ver­a n­s tal­t un­g en mit bis zu 5000
       Teil­n eh­m ern fällt die Be­s u­c her­g ren­z e weg. Ein­z i­g e Be­d in­g ung: Wer nicht ge­i mpft ist, be­n ö­t igt ei­n en ma­x i­-
       mal 24 Stun­d en al­t en ne­g a­t i­ven Schnell­t est. Es ist ein Weg, der mehr Frei­h eit für al­l e er­l aubt, da­f ür aber
       we­n i­g er Si­c her­h eit ga­ran­t iert. Schlie­ß ­l ich wer­d en In­fek­t io­n en in vol­l en Sä­l en trotz Schnell­t ests wahr­-
       schein­l i­c her.

       In Bay­e rn kön­n en Be­s u­c he­r in­n en und Be­s u­c her der­z eit noch ganz oh­n e Co­ro­n a-Test ins Ki­n o oder zum
       Kon­z ert – wäh­rend in Län­d ern wie Ber­l in, Nord­r hein-West­f a­l en oder Ham­b urg die 3G-Re­g el be­reits gilt.
       Ein gu­t er Zau­b er­t rick, das weiß der CSU-Chef, lebt im­m er auch von der Il­l u­s i­o n. „Vor­a us­s icht­l ich bis zum
       23. Au­g ust“ soll ei­n e An­p as­s ung der Co­ro­n a-Ver­o rd­n ung statt­f in­d en, teilt das baye­r i­s che Kunst­m i­n is­t e­r i­-
       um auf An­f ra­g e mit. Dass Bay­e rn dann im Al­l ein­g ang auf ei­n e har­t e 2G-Re­g el um­s teigt, ist un­wahr­s chein­-
       lich, das Mi­n is­t e­r i­u m ver­weist le­d ig­l ich auf den 3G-Be­s chluss der Mi­n is­t er­p rä­s i­d en­t en­kon­fe­renz. Fliegt
       Söders Kar­t en­t ­r ick dann auf?

       Auch Ham­b urgs Kul­t ur­s e­n a­t or Cars­t en Bros­d a (SPD) kann sich vor­s tel­l en, „ge­ra­d e Pri­vat­a n­b ie­t ern ei­n en
       schnel­l e­ren Weg in den Nor­m al­b e­t rieb zu er­m ög­l i­c hen, in­d em sie An­g e­b o­t e auf Ge­n e­s e­n e und voll­s tän­d ig
       Ge­i mpf­t e be­s chrän­ken“. Für Mu­s i­c al­ver­a n­s tal­t er oder Ki­n o­b e­t rei­b er könn­t e ei­n e 2G-Re­g el wirt­s chaft­l ich
       Sinn er­g e­b en, um mehr Ti­c kets zu ver­k au­fen. Staat­l ich ge­t ra­g e­n e Häu­s er ha­b en da we­n i­g er Druck. Kom­-
       men­d e Wo­c he will Ham­b urg sei­n e neue Co­ro­n a-Ver­o rd­n ung ver­ö f­fent­l i­c hen. Ein Spre­c her der Kul­t ur­b e­-
       hör­d e gibt al­l er­d ings zu be­d en­ken: Wenn Sä­l e wie­d er aus­ver­k auft wer­d en kön­n en, könn­t en auch die Co­ro­-
       na-Hil­fen ein En­d e ha­b en.

       Mit­a r­b eit: Jörg Häntz­s chel und Ca­t rin Lorch.

https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/812819/11                                                                                  2/2
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            KULTUR                                                                                    SEITE 9 | FREITAG 20. AUGUST 2021

            „Es bleibt ein offenes Haus für alle“
            Intendant Sebastian Nordmann setzt in der Pandemie auf Verlässlichkeit und den
            Wohlfühleffekt im Konzerthaus

            Sebastian Nordmann ist seit elf Jahren Intendant des Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Reto Klar

            Von Volker Blech

            Chefdirigent Christoph Eschenbach leitet das Programm, mit dem das
            Konzerthaus am Gendarmenmarkt am 26. August seine neue Saison
            eröffnet. Es ist ein buntes Programm für ein überschaubar besetztes
            Konzerthausorchester. An das Jubiläum 200 Jahre Konzerthaus erin-
            nert Carl Maria von Webers Konzertstück op. 79, bei dem Pianist
            Martin Helmchen der Solist sein wird. Neben Bach und Brahms ist
            eine Uraufführung von Samir Odeh-Tamimi angekündigt. Intendant
            Sebastian Nordmann spricht über die Auswirkungen der Pandemie
            auf die Planungen.

https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/1023/articles/1429678/9/3                                       1/5
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            Herr Nordmann, bei einem Konzert war kürzlich zu beobachten, wie
            die Geigen-Solistin mit FFP2-Maske auf die Bühne kam und ihre
            Maske ans Dirigentenpult hängte. Dort blieb sie bis Ende des Kon-
            zerts hängen. Muss man als Intendant künftig auch an Maskenabla-
            gen denken?
            Sebastian Nordmann Hinter der Geschichte verbirgt sich auch die
            Frage nach dem Wohlfühlen in einem Saal. Normalerweise gehen wir
            in einen Saal und sagen: je voller, desto besser. Das hat sich in der
            Pandemie gedreht. Plötzlich hieß es, je weniger Leute und mit
            Maske, desto besser. Das Wohlfühlen hat auch einen visuellen Aspekt
            bekommen. Denn sobald man eine Maske auf der Bühne sieht, ver-
            mittelt sie das Gefühl von Sicherheit. Nun entsteht langsam ein Mix
            aus Beidem. Es bringt uns langsam ins frühere Konzerterlebnis
            zurück.
            Wie schauen Sie nach den Pandemie-Erfahrungen auf die neue
            Saison?
            Die Besucher haben viele Restriktionen und Absagen erfahren. Man
            durfte nicht zu eng neben anderen sitzen, musste Maske tragen und
            Auflagen erfüllen. Und immer wieder drohten Änderungen bis hin
            zur Veranstaltungsabsage. Wir wollen unseren Besuchern jetzt sagen:
            Wenn wir ein Konzert planen, dann wird es aller Wahrscheinlichkeit
            genauso stattfinden. Bis Januar gibt es keine Programmänderungen,
            und unsere Besucher behalten ihre ausgewählten Plätze. Dafür haben
            wir nur mit der Hälfte der Plätze im Saal geplant, obwohl wir viel-
            leicht mehr dürften. Wir haben ein mit dem Senat abgesprochenes
            Hygienekonzept, die Maske wird bis zum Platz getragen und darf
            dann abgesetzt werden. Das musikalische Programm ist darauf ausge-
            richtet, dass nicht mehr als 60 Musiker auf der Bühne sitzen. Wir
            wollen nicht Mahlers große Symphonie Nr. 8 anbieten, um dann Mo-
            zarts deutlich kleiner besetzte Symphonie Nr. 40 zu spielen.
            Wie ist die aktuelle Impfquote im Haus und im Orchester?

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            Wir sind wie bereits beim Thema Testung im Austausch mit dem Per-
            sonalrat und dem Orchestervorstand. Wir sind aktuell dabei, ein Bild
            zu bekommen, wie viele geimpft sind.
            Es gibt Veranstalter und Institutionen, die nur noch Geimpfte und Ge-
            nesene zulassen wollen. Was sagen Sie fürs Konzerthaus?
            Ich finde es sehr wichtig, dass das Konzerthaus ein offenes Haus für
            alle bleibt. Wir können, da wir eine Landesinstitution und mit Steuer-
            geldern bezahlt sind, niemanden ausschließen. Ich kann mir auch
            nicht vorstellen, dass wir die Kinder an der Tür abweisen, weil sie
            nicht geimpft sind. Was wird dann aus den Education-Programmen?
            Wenn es ab Mitte Oktober keine kostenfreien Tests mehr gibt, würde
            sich der Eintrittspreis für manche Besucher deutlich verteuern.
            Dadurch würde ein soziales Ungleichgewicht entstehen. Wer das
            Geld für den Test nicht mehr hat, kann nicht mehr ins Restaurant, ins
            Fitnessstudio oder in eine Kulturinstitution gehen. Für mich bleibt
            gerade die Kultur ein Ort der These und Antithese, der Diskussion in
            einer Gesellschaft. Wir dürfen uns nicht unnötig einschränken lassen.
            Ihr Jubiläum 200 Jahre Konzerthaus fiel in die Lockdowns. Wie geht
            es mit dem Rest-Jubiläum weiter?
            Ich fühle mich immer ein bisschen so wie das Beethoven-Jahr, das in
            einer ähnlichen Misere steckt. Wir haben ebenfalls unser Jubiläums-
            jahr bis zum Dezember 2021 gestreckt, ursprünglich sollte es nur eine
            Saison lang stattfinden. Viele Auftragswerke, die wir nicht spielen
            konnten, waren mir wichtig. Wir blicken bis Dezember auf einen
            dichten Spielplan, weil wir viele Konzerte aus dem Jubiläum neben
            dem normalen Betrieb programmiert haben.
            Die große „Freischütz“-Jubiläumsproduktion konnte am 18. Juni nur
            digital übertragen werden. Wie ist Ihre Bilanz des Opernabenteuers?

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20.8.2021                                                                Berliner Morgenpost

            Eigentlich würde man sagen, es war alles furchtbar mit der Krise.
            Aber es hat auch zum Denken, zum Hinterfragen angeregt. Das Jubi-
            läum wollten wir nicht nur als Rückblick auf 200 Jahre feiern, son-
            dern mit vielen Fragen auch unseren Standort heute bestimmen. Was
            soll hier gespielt werden? Wollen wir Inszenierungen? Entfernt man
            sich von klassischen Abokonzerten? Carl Maria von Webers Oper
            „Der Freischütz“ sind wir wie eine klassische Inszenierung angegan-
            gen. Am Ende war es eine Opernproduktion, die im Saal ohne Publi-
            kum stattfand, nach draußen auf den Gendarmenmarkt projiziert und
            schließlich fürs Fernsehpublikum produziert wurde. Wir konnten den
            „Freischütz“ so retten.
            Werden Sie den „Freischütz“ wiederholen oder weitere Opern
            planen?
            Primär Oper kann ich mir nicht vorstellen. Wir haben drei tolle große
            Opernhäuser plus die Neuköllner Oper in der Stadt. Ich kann mir aber
            mehr inszenierte Konzertformate vorstellen. Wir haben im Lockdown
            viel in digitalen Projekten experimentiert. Die Verbindung eines
            Live-Konzerts mit digitalen Elementen wie Projektionen finde ich
            sehr spannend.
            Das Festival „Classic Open Air“ fiel aus, weil es sich für einen Pri-
            vatveranstalter mit den Auflagen nicht lohnt. Im Sommer haben Sie
            selbst zweimal Open-Air-Konzerte mit zumindest 500 Plätzen auf
            dem Gendarmenmarkt veranstaltet. Das Festival „Young Euro Clas-
            sic“ folgte mit einer ähnlichen Anordnung. Planen Sie etwas für den
            nächsten Sommer?
            Wir müssen schauen, wie Gerhard Kämpfe mit dem „Classic Open
            Air“ weitermachen wird. Er hat das Recht, auf dem Gendarmenmarkt
            zu spielen, und es ist eine tolle Sommerbespielung. Wir lassen ihm
            natürlich diese Räume. Wenn es wegfallen würde, müssten wir dar-
            über nachdenken, ob wir etwas auf dem Platz anbieten. Der Gendar-
            menmarkt gehört zum Konzerthaus dazu.

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20.8.2021                                                                Berliner Morgenpost

            Sie sind jetzt elf Jahre im Amt. Gibt es so etwas wie eine Midlife-
            Crisis für Intendanten?
            Jeder Intendant und überhaupt jeder, der kreativ arbeitet, muss sich
            immer wieder fragen, ob er es noch schafft, Impulse zu geben. Dass
            betrifft gerade auch das Konzerthaus mit 650 Veranstaltungen im
            Jahr. Der Erfolg ermisst sich auch daran, ob die Künstler und das Pu-
            blikum gerne ins Haus kommen. Wichtig ist mir auch, ob ich es
            schaffe, mein Team zu motivieren. Der Intendant sollte sich hier im-
            mer als Teil des Teams verstehen.

            Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten.

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        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                        Freitag, 20.08.2021

                                          Und plötzlich diese Energie
        Stabile wird Mobile: Alexander Calder bezwingt die Halle der sanierten Neuen
        Nationalgalerie in Berlin, während die Neuhängung eines Großteils der Sammlung
        und Rosa Barba die leere Mitte der Gesellschaft umkreisen.

        Wie konnte man es sechs Jahre lang ohne diese Schatz­tru­he der Kunst aushal­ten? Nach­dem es
        schon Tage der offe­nen Tür für die reine Archi­tek­tur der Neuen Natio­nal­ga­le­rie gab, eröff­net sie
        nun am Sonn­tag für das Muse­ums­pu­bli­kum mit gleich drei Ausstel­lun­gen derart fulmi­nant, dass
        es jedem Besu­cher wie Schup­pen von den Augen fällt, was da all die vergan­ge­nen Jahre seit den
        MoMA- und MET-Groß­schau­en schmerz­lich gefehlt hat: ein Gravi­ta­ti­ons­zen­trum der Kunst des
        gesam­ten zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts. Während dieses kata­stro­pha­len Säku­lums hatte die Natio­-
        nal­ga­le­rie in Deutsch­land wieder­holt die Route vorge­ge­ben, Kano­nes fest­ge­schrie­ben, bestimm­te
        Einschät­zun­gen vertieft.

        Den poli­ti­schen Gege­ben­hei­ten entspre­chend – das geteil­te Berlin war immer­hin die einzi­ge
        Haupt­stadt der Welt mit zwei Natio­nal­ga­le­ri­en – war der Fokus des 1968 eröff­ne­ten Mies-van-
        der-Rohe-Gebäu­des stark west­lich geprägt, männ­lich auch, wie bei der Pres­se­kon­fe­renz vom
        neuen Leiter Joachim Jäger gleich mehr­fach betont wurde – auch inso­fern ist der hoch­sym­bo­li­-
        sche Muse­ums­bau ein Spie­gel seiner Erbau­ungs­zeit. Nur eine Zeit bedin­gungs­lo­sen Fort­schritts­-
        op­ti­mis­mus konnte es am 5. April 1967 wagen, ein eintau­send­zwei­hun­dert Tonnen schwe­res
        Stahl­dach mit raffi­nier­ten Hubvor­rich­tun­gen auf gefühlt nur aus Glas bestehen­de Wände zu
        setzen und innen luxu­ri­ös wie eine Raucher­lou­nge mit Granit, Marmor und Moorei­che auszu­stat­-
        ten. Der Bau war nie demo­kra­tisch-parti­zi­pa­tiv und sollte es auch nicht sein, schon gar nicht
        wollte er ange­fasst werden. Dieser erra­ti­sche Tempel der Moder­ne fordert schon durch sein unbe­-
        ding­tes Kunst-sein-Wollen Besin­nung auf die Kunst, lässt zur Ruhe kommen, war bei jeder Schau
        immer schon da. Er ließ zugleich als Schre­cken aller Kura­to­ren im voll­kom­men verglas­ten Ober­-
        ge­schoss nichts außer sich selbst als Ausstel­lungs­stück bestehen, Male­rei schon gar nicht.

        Was Mies van der Rohe in seinem Entwurf alles mitge­dacht hat
        Nur konse­quent ist daher, wenn mit „Alex­an­der Calder – Mini­mal/Maxi­mal“ und der Künst­le­rin
        Rosa Barba zwei der drei an diesem Wochen­en­de eröff­nen­den Ausstel­lun­gen sich zual­ler­erst mit
        dieser Ikone der Archi­tek­tur ausein­an­der­set­zen – der ange­neh­me Neben­ef­fekt ist, dass Calders
        späte­re Werke die in der Debüt-Schau gezeig­te Zeit­span­ne der Kunst bis in die Sieb­zi­ger verlän­-
        gern, von wo aus die 1972 gebo­re­ne Rosa Barba, die Dritte im Bunde und Frau, den Staf­fel­stab in
        die Jetzt­zeit trägt. Wer nun aber spot­tet, die Bezug­nah­me von Calder auf Mies und umge­kehrt
        erschöp­fe sich im Deko­rie­ren der Vorplät­ze und Foyers edler Mies-Hoch­häu­ser in Ameri­ka mit
        des Bild­hau­ers Groß­skulp­tu­ren, irrt. Wie ein Archiv­fund jüngst zeigte, legte der Baumeis­ter schon
        der Bauak­te der Natio­nal­ga­le­rie eine Foto­gra­fie bei, die anhand seines Muse­ums­baus in Hous­-
        ton/Texas mit einer darin inte­grier­ten Skulp­tur von Calder zeigt, wie die gläser­ne Halle von Mies
        als Reli­qui­ar für Skulp­tur-Ikonen erson­nen war, ja mehr noch, mit und von ihnen lebt.

        Kein Wunder also, dass Calders Haupt­werk „Têtes et Queue“ von 1965 als Außen­skulp­tur zur
        Eröff­nung auf der Terras­se der Natio­nal­ga­le­rie aufge­stellt war, wohin sie nun zur Wieder­eröff­-
        nung zurück­kehr­te. Steht man im Inne­ren vor der rot lackier­ten Stahl­skulp­tur „Five Swords“ mit
        ihren Gigan­ten­aus­ma­ßen von fast sieben mal neun Metern und sieht zu, wie das unge­hin­dert
        einfal­len­de Licht über diese genie­te­ten Schwer­ter wandert wie sonst nur über Klin­gen aus
        Damas­ze­ner­stahl, versteht man, warum Mies Skulp­tu­ren als inte­gral für sein Werk mitdach­te –
        die Natio­nal­ga­le­rie ist selbst eine Skulp­tur, die sich impres­sio­nis­tisch durch das Licht von außen
https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467517/9                                                                                1/3
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        wie von innen bestän­dig wandelt. Ihre perfekt propor­tio­nier­te Maßstäb­lich­keit wird durch das
        halbe Dutzend Groß­skulp­tu­ren Calders noch klarer, gemein­sam treten sie in Inter­ak­ti­on mit den
        Besu­chern, verän­dern sich perma­nent durch Licht und Moto­rik.

        Dass der gesam­te Bau mit kine­ti­scher Ener­gie aufge­la­den ist, zeigt sich auch, wenn Calders
        „Mobi­les“, die erst­mals seit Jahr­zehn­ten zu fest­ge­leg­ten Zeiten wieder bewegt werden dürfen,
        ihren Schat­ten auf eine weiße Wand werfen – in den Über­la­ge­run­gen der schwe­ben­den Elemen­te
        und ihren Schat­ten­ver­dich­tun­gen entste­hen immer wieder neue Zufalls­for­men. Es bleibt unver­-
        ständ­lich, warum Calder seit fünf­zig Jahren nicht mehr in Berlin ausge­stellt worden war. Dabei
        hatte er schon sehr früh in seiner Karrie­re, im Jahr 1929 seine aus Draht gefüg­ten surre­al fili­gra­-
        nen Kopf­sil­hou­et­ten in der Berli­ner Gale­rie Nieren­dorf präsen­tiert. Trotz dieser annä­hernd Halb­-
        jahr­hun­dert-Karen­zen wirkt Calder 2021 über­ra­schend frisch und zeit­ge­mäß, weil er die Muse­-
        ums­be­su­cher, die sogar an sechs Tischen in der heili­gen Halle mit einem nach­ge­bau­ten Origi­nal-
        Set Schach mit wohl von Max Ernst inspi­rier­ten Figu­ren spie­len dürfen, invol­viert und inter­agie­-
        ren lässt.

        Die Gegen­über­stel­lun­gen machen den Parcours zur Entde­ckungs­rei­se
        Hätte die Natio­nal­ga­le­rie Hans Haacke damit beauf­tragt, den Boden aufzu­stem­men wie weiland
        den NS-belas­te­ten Pavil­lon der Vene­dig-Bien­na­le, würde man von Calders sich perma­nent
        wandeln­dem ersten Mobile „Small Sphere and Heavy Sphere“ (1932/33) aus, bei dem eine kleine
        und eine größe­re Kugel über diver­se Flaschen­for­men, eine Farb­do­se sowie einen Gong hinweg­-
        kreist und diese biswei­len auch anschlägt, auf ein epocha­les Gemäl­de Max Ernsts blicken:
        „Junger Mann, beun­ru­higt durch den Flug einer nicht-eukli­di­schen Fliege“. Ernst ließ sich im
        Entste­hungs­jahr 1947 mögli­cher­wei­se von Calders krei­sen­dem Kugel-Mobile anre­gen, eine an
        einem Gestell aufge­häng­te Farb­do­se anzu­boh­ren und sie in gesteu­er­tem Zufall schwar­ze, nicht
        eukli­di­sche Para­beln auf die Lein­wand trop­fen zu lassen. Das „Drip­ping“ war erfun­den, der Rest,
        also wie ein junger Maler namens Pollock in die New Yorker Gale­rie mit diesem ersten reinen
        Drip­ping-Bild der Kunst­ge­schich­te kommt und ein Damas­kus­er­leb­nis für den abstrak­ten Expres­-
        sio­nis­mus hat, ist Geschich­te.

        Solche Geschich­ten, die in der Neuhän­gung der Natio­nal­ga­le­rie unter dem Titel „Die Kunst der
        Gesell­schaft 1900–1945“ durch mehr­fach genia­le Bild­ge­gen­über­stel­lun­gen unauf­dring­lich erzählt
        werden, lassen diesen Parcours durch die erste Hälfte des Jahr­hun­derts so aufschluss­reich
        werden. Zur Rech­ten des Eingangs unten hängt Lotte Laser­steins erst vor zehn Jahren erwor­be­-
        ner, doch längst ikonisch gewor­de­ner „Abend über Pots­dam“, auf dem die bald darauf ins schwe­-
        di­sche Exil gezwun­ge­ne jüdi­sche Male­rin ihre Freun­de im Rahmen eines letz­ten Abend­mahls auf
        einer Dach­ter­ras­se der Stadt zeigt und mit diesem Fanal „freier Kunst“ auch den Endpunkt der
        Gesell­schafts­aus­stel­lung setzt: 1933 respek­ti­ve 1945, weil durch­aus das künst­le­ri­sche Aufbäu­men
        in den Jahren des Natio­nal­so­zia­lis­mus etwa mit Karl Kunz oder Hans Rich­ter gezeigt wird.

        Auf der linken Eingangs­wand hinge­gen hängt das eben­falls mithil­fe der Siemens-Stif­tung neu
        erwor­be­ne Monu­men­tal­ge­mäl­de „Bogen­schüt­ze“ (1928) des heute kaum mehr bekann­ten Sascha
        Wieder­hold, der 1933 ins innere Exil ging und als Buch­händ­ler fortan kein einzi­ges Bild mehr
        malte. Was bedau­er­lich ist, denn wenige deut­sche Maler haben Delaunays Orphis­mus derart farb­-
        wir­belnd aufge­grif­fen und auf ein eher wagne­ria­ni­sches Thema wie diesen mythi­schen Nimrod
        umge­münzt. Im Tran­sit­raum Mies-Bau aber kann jetzt mittels der über­rei­chen Bestän­de eine
        verti­ka­le Geschich­te(n)linie und eine hori­zon­ta­le abge­gan­gen werden: Oben auf der Terras­se
        steht seit vergan­ge­ner Woche wieder „The Archer“ von Henry Moore, der Wieder­holds Thema
        1964 als noch stär­ker abstra­hier­te Form in Bronze zeigt, und in der Hori­zon­ta­len stößt man nach
        Durch­schrei­ten des ersten Saals auf Delaunays wild beweg­ten Eiffel­turm in Grün, Orange und
        Gelb, der sofort offen­bart, dass Künst­ler und Stile keine Gren­zen kennen und daher die Natio­nal­-
        ga­le­rie keine „deut­sche Kunst“, sondern immer „Kunst in Deutsch­land“ zeigt. Oder in Abwand­-
        lung der Inschrift am nahen Reichs­tag „Dem Volke“ eben doppel­bö­dig „Die Kunst der Gesell­-
        schaft“.
https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467517/9                                                            2/3
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        Viele solcher Austausch­pro­zes­se finden sich, und wenn Wenzel Hablik auf seiner hippies­ken
        Riesen-Vedute „Utopi­sche Archi­tek­tu­ren“ von 1921 seine persön­li­che Insel Utopia durch zwei
        dunkel­grü­ne Zypres­sen einrahmt, werden viele Betrach­ter unwill­kür­lich an Böck­lins „Toten­in­sel“
        denken müssen, was von der Begleit­ta­fel prompt bestä­tigt wird.

        Schade ist nur, dass man – wohl aus inzwi­schen verin­ner­lich­ten Grün­den der Poli­ti­cal Correct­-
        ness – mit den eigent­li­chen Pfun­den der Natio­nal­ga­le­rie fast zu wenig wuchert: Auf einer einzi­-
        gen Wand hängen dicht gedrängt alle Brücke-Expres­sio­nis­ten, als wolle man sie in der Masse
        verste­cken; pflicht­schul­dig wird das mora­li­sche Versa­gen von Nolde, der nur mit einem Bild, den
        „Papua-Jüng­lin­gen“ von 1914, vertre­ten ist, auf einer Tafel erläu­tert, auf einer ande­ren über das
        jugend­li­che Alter von Ernst Ludwig Kirch­ners Modell Fränzi aufge­klärt. Dabei wären hier die
        aller­schöns­ten Entde­ckun­gen zu machen gewe­sen, denn unter den fünf­zig erst­mals in dieser
        Schau gezeig­ten Natio­nal­ga­le­rie-Bildern ist etwa Max Pech­steins fast wand­ho­hes „Am Seeufer“
        von 1912, das wie ein Südse­ei­ dyll wirkt und in seiner sandi­gen Farbig­keit keinen Vergleich mit
        Gaugu­in fürch­ten muss. Ebenso modisch mutet die Gegen­über­stel­lung der Bilder Oskar Schlem­-
        mers, Willi Baumeis­ters oder der span­nungs­vol­len Paul-Klee-haften Bild­ver­git­te­run­gen Georg
        Muches mit den Farb­krei­sen Hilma af Klints an, die zu Lebzei­ten nie ausge­stellt waren.

        Schlie­ß­lich denkt das Tran­si­to­ri­sche des Gebäu­des – der Skulp­tu­ren­gar­ten von Mies ist wieder
        begeh­bar – auch Rosa Barba „In a Perpe­tu­al Now“ weiter. Gegen­über vom Eingang der Haupt­-
        aus­stel­lung lässt sie schon im Titel anklin­gen, die Gültig­keit zentra­ler Ideen der dort zu sehen­den
        „Gesell­schafts­künst­ler“ und vor allem von Calder für ihre Gene­ra­ti­on zu prüfen. Mies van der
        Rohes gläser­nes Reli­qui­ar nennt sie einen „Contai­ner von Ideen“, in dem abge­dun­kel­ten Saal sind
        mehre­re Film­pro­jek­to­ren in Mondri­an-hafte Gestän­ge einge­flanscht, die mit ihrer Anord­nung
        wieder­um den stark rhyth­mi­sier­ten Grund­riss eines Land­hau­ses Mies van der Rohes aufgrei­fen.

        Wie bei Calders Mobi­les, die kein Zentrum haben, sondern sich perma­nent wie gesell­schaft­li­che
        Prozes­se ausba­lan­cie­ren müssen, will Barba in ihrer Arbeit einen Verlust der Mitte schaf­fen, um
        alte Zentrie­run­gen zu vermei­den. So werden alle drei Schau­en zur „Kunst der Gesell­schaft“, die
        diese, jede auf ihre Weise, voran­brin­gen.Stefan Trinks

        Die Kunst der Gesell­schaft 1900–1945. Alex­an­der Calder – Mini­mal/Maxi­mal. Rosa Barba – In a
        Perpe­tu­al Now. In der Neuen Natio­nal­ga­le­rie, Berlin; von kommen­dem Sonn­tag an. Die Kata­lo­ge
        kosten 29 bezie­hungs­wei­se 39 Euro.

https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467517/9                                                           3/3
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               Frei­tag, 20. August 2021, Ber­li­ner Zei­tung /

               Auf­bruch und Er­schüt­te­rung
               Die sa­nier­te Neue Na­tional­ga­lerie stellt ih­re Haupt­wer­ke in
               den Kon­text ihrer unruhi­gen En­ste­hungsjah­re – als „Kunst
               der Gesell­schaft 1900–1945“

                                                                                                        GA­LE­RIE  2

                Wil­helm Lehm­brucks „Ge­stürz­ter“ (1915/16) vor dem Otto Dix -Ge‐
                mäl­de „Flan­dern“, 1934/36 (rechts)Ber­li­ner Zei­tung/Mar­kus Wächter
                                                  (2)

               INGE­BORG RU­THE

               D
                            ie Zeit hinter der Bauplane dehnte sich unendlich, die Lücke in der
                            Ber­li­ner Mu­se­ums­land­schaft war emp­find­lich groß. Nun lässt die Ein­‐
                            zig­ar­tig­keit der Ar­chi­tek­tu­riko­ne Mies van der Ro­hes (1886–1969) die
                            Kri­tiker we­gen der Kos­ten – 140 Mil­lio­nen Euro – ver­stum­men. Wir ha‐
               ben die Neue Natio­nal­ga­le­rie nach sechs Jah­ren Rekon­struk­ti­on und damit die Bil­‐
               der so­wie Skulp­turen aus den De­pots zurück. Dazu den Skulp­turen­garten als ei­ge­‐
               nes kleines Muse­um.

               Von einer Zä­sur „für ei­nen Neu­anfang“ spricht Joa­chim Jäger, der Lei­ter der Neu­en
               Natio­nalgale­rie. Die Be­stän­de mit et­wa 1800 Wer­ken sind aus sei­ner Sicht in der
               Ver­gangenheit „männlich ge­prägt und auch nicht global“ ge­zeigt worden. Im­mer­‐
               hin erreicht die neue Präsentation nun ei­nen Künst­le­rin­nen-An­teil von 14 Prozent.
               Auch die Pro­ve­ni­enzen sind ge­klärt. Kein Fall von NS-verfol­gungs­be­dingt entzoge­‐
               ner Kunst. Nur noch ein klei­ner Teil der De­pot-Be­stän­de be­darf der Nachfor­‐
               schung, da Unter­la­gen feh­len.

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               1986 wur­de das Haus mit den Mobiles und Skulp­turen des ame­ri­kanischen Nach‐
               kriegsavantgar­dis­ten Alexander Cal­der in der gläser­nen Ober­halle ein­ge­weiht.
               Grün­dungs­di­rek­tor war der Do­cumen­ta-Im­presario und Cal­der-Fan Wer­ner Haft­‐
               mann. Neu­este For­schun­gen be­le­gen, dass der wirkmächtige Moder­nist mit dem
               NS-Sys­tem ver­strickt war (sie­he Berliner Zei­tung vom 19. August). Die Auf­arbei­‐
               tung soll folgen.

               Wall­fahrtsort der Moder­ne

               Mies’ Neue Natio­nalgale­rie – die his­to­ri­sche Natio­nal­ga­lerie be­fand sich ja in Ost-
               Ber­lin, am Lustgar­ten – ist wie­der Wall­fahrtsort für die westli­che und nach der Wie­‐
               der­ver­ei­nigung auch östli­che Moder­ne. Ein Kunst­haus für Of­fen­heit, Toleranz und
               „versöhnende Leichtigkeit“, wie es sich der von den Nazis in die USA ver­trie­be­ne
               Bau­haus­meis­ter ge­wünscht hat­te. Sein Grundentwurf für den lichten Pavil­lon mit
               So­ckelge­schoss hat­te gar kei­nem Muse­ums­bau ge­gol­ten, sondern der Bacar­di-Zen­‐
               tra­le in San­tiago de Cuba. Die Revolu­tio­nä­re um Fidel Cas­tro enteig­ne­ten Bacar­di
               1960. Die Fami­lie emi­grier­te samt der Rum-Rezep­te auf die Ber­mudas.

               Doch ei­nen Bacar­di wäre es schon wert, wenn wir ab Sonn­tag wieder in der Ober­‐
               hal­le, die­ser überdachten Piaz­za, vor den nicht nur die kind­li­che Fan­ta­sie be­geis­‐
               tern­den Cal­der-Scha­blo­nen ste­hen. Was damals spek­ta­ku­lär war, wirkt heu­te eher
               klas­sisch, als kunst­his­to­ri­sche Ges­te. Nichts ge­gen den Altstar Cal­der, von dem es
               in Berlin seit 50 Jah­ren kei­ne Aus­stel­lung mehr gab. Spek­ta­ku­lärer wäre et­was Ak­tu­‐
               el­le­res ge­we­sen. Viel­leicht hät­te der in Ber­lin leben­de Welt-Künst­ler Tomas Sarace­‐
               no sei­ne denk­wür­di­gen öko­systemi­schen „Raum­kap­seln“ zu Kli­mawan­del, Kri­sen,
               Krieg und ent­hemm­tem Be­völ­kerungs­wachs­tum in die Hal­le hin­ein­bau­en kön­nen.
               Etwas, das nicht das Ver­gange­ne fei­ert, son­dern die Unabdingbar­keit glo­ba­ler In‐
               ter­ak­tio­nen ein­fordert. Womög­lich ein Ge­dan­ke, der den Bau­haus­meis­ter Mies be­‐
               wegt hät­te.

               Unten, im wie­der Mies-ty­pisch mit Tep­pich aus­ge­leg­ten So­ckelge­schoss hin­ge­gen
               ist der Rückblick un­verzicht­bar, um deut­sche, eu­ropäi­sche Kunstge­schichte zu er­‐
               zäh­len. Frü­he und klas­si­sche Moder­ne be­legen Zeit­geist und Zeit­kri­tik. Sinn­lich
               packend der Wechsel von Bil­dern und Skulp­turen, allesamt Zeug­nis­se der Avant­‐
               gar­de-Strömun­gen und -Stile von 1900 bis 1945. Wir schauen gleichsam in den
               Spie­gel der Ge­sell­schaft in ru­helo­sen Zei­ten. Kri­se war im­mer, und zwei­mal führ­‐
               ten die un­verein­ba­ren Widersprü­che und aggres­si­ven Macht­an­sprü­che zu Welt­‐
               krie­gen. Wir erle­ben einen ge­lun­ge­nen Ex­kurs durch Dada, Ex­pres­sio­nis­mus, so­zi­‐
               alkri­tischen Rea­lis­mus, Neu­er Sachlichkeit, Kubis­mus und Sur­rea­lis­mus. Die Bild­‐
               werke er­zäh­len von Kai­serreich, Koloni­al­zeit, der Wei­marer Republik, NS-Ver­fe‐
               mung, Exil und Holo­caust.

               Die bis 2023 kon­zi­pierte Dau­eraus­stel­lung be­ginnt mit zwei jün­ge­ren Neu­erwer­‐
               bun­gen: Lotte La­sersteins „Abend über Pots­dam“ von 1930. Das Bild ist schon die
               düs­te­re Ah­nung des Abschieds; die Jüdin floh vor den Nazis nach Schwe­den.
               Längst wur­de sie als wichtige Künstle­rin ih­rer Zeit wieder­entdeckt. Ähn­lich ver­hält
               es sich mit dem durch die Ernst-von-Sie­mens-Stiftung finan­zier­ten An­kauf von Sa‐
               scha Wie­derholds theatrali­schen „Bo­genschüt­zen“ von 1928. Dann spie­geln sich
               gleich im ers­ten Saal die für Berlin als prägend empfun­de­nen 1920er-Jah­re wi­der.
               „Stadt­split­ter“ heißt die Insze­nie­rung von Bil­dern und Plasti­ken, dazwi­schen ar‐
               ran­gier­te Vi­deo-Lein­wän­den mit Film­sze­nen vom „Tanz auf dem Vul­kan“. Da sind
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               Col­lagen von Han­nah Höch und Plas­ti­ken von Renée Sin­te­nis, Marg Moll, Rudolf
               Bel­ling, von Ar­chipenko, Lip­chitz, Will Lammert und Ge­org Kol­be. An der nächs­ten
               Wand kubis­ti­sche Bil­der von Braque, Pi­cas­so, Gris. Die Kunst in Ber­lin und Paris
               nahm die Dy­na­mik der durch die Indus­trialisie­rung anwachsen­den, pul­sie­ren­den
               Groß­städ­te auf, bis al­les nur noch zer­split­terte Wahrneh­mung war.

               Ge­gen­über hän­gen Straßensze­nen des Brü­cke-Malers Ernst Lud­wig Kirch­ner, so
               der „Potsdamer Platz“: Die Mit­ternachtssze­ne zeigt zwei Huren, ei­ne mit Wit­wen­‐
               schlei­er. Al­les ist in stür­zen­der Per­spek­ti­ve ge­malt; der Blick rutscht ab: Pro­sti­tution
               qua­si als Sinnbild der Moderne, ein­sam und be­zie­hungs­los. Dann ste­hen wir vor
               noch mehr Bil­dern der „Brü­cke“- Maler, wo an ei­ner Tafel die Frage ge­stellt wird,
               ob etwa Pechsteins Lo­li­ta-Ak­te von klei­nen Roma-Mäd­chen aus heu­tiger Sicht se­‐
               xis­tisch sind und Nol­des Papua-Jüng­lin­ge kolo­nia­lis­tisch, gar ras­sis­tisch. Die Ant‐
               worten werden uns Be­trachtern über­las­sen. Es folgen die Ex­pres­sio­nis­ten des
               „Blauen Rei­ters“, lyri­sche Abs­trak­tio­nen von Figur und Natur bei Weref­kin, Kan­din­‐
               sky und Klee. Und im­mer wie­der steht die Frage in den 13 The­menräu­men im Mit­‐
               tel­punkt: Wofür steht die Moderne? Steht sie für Hod­lers Le­bensreform­bil­der, die­‐
               sem „Zurück zur Natur“? Für Lehm­brucks „Ge­stürz­ten“? Für Munchs Rein­hart-
               Fries oder für Dix’ „Mond­weib"?

               Poli­tische Zä­sur

               Wir se­hen und be­grei­fen: Sie steht für das alles, auch für Schads „Sonja“, de­ren Ge­‐
               heim­nis in der Aus­stel­lung ge­lüf­tet wird. Die­ses fas­zi­nie­ren­de Abbild der „Neu­en
               Frau“ von 1928 hieß Al­berti­ne Gim­pel, ei­ne Jüdin, die durch glückli­che Umstän­de
               vor den Nazis ge­rettet wur­de. Dann ver­tie­fen wir uns in Beckmanns „Ge­burt“ und
               „Tod“, in den „Ecce Homo“ Josef Scharls, des­sen von ei­nem Ge­schoss zer­fetz­tes Ge­‐
               sicht eines Man­nes wie ei­ne Vor­la­ge für Fran­cis Bacons Por­träts wirkt. Da sind Dix'
               un­vergleichli­che „Skatspie­ler“ und „Stüt­zen der Ge­sell­schaft“, sein Kriegs­panora­‐
               ma „Flandern“ und Hein­rich Ehm­sens „Ir­ren­haus“ . Und Wil­helm Lachnits „Der
               trauri­ge Früh­ling“ von 1933 macht die po­li­tische, ge­sell­schaftli­che Zä­sur schmerz­‐
               haft deut­lich.

               Hein­rich Vogel­ers „Revolu­tionsbil­der“ er­zählen nochmals ei­ne ganz ande­re Ge­‐
               schichte. Deutschlands erfolg­reichs­ter Jugend­stilmaler war Sta­lins Ideo­lo­gie auf
               den Leim ge­gan­gen und in die So­wjet­union über­ge­sie­delt. Dann mal­te er in der ka‐
               sachi­schen Ver­ban­nung seinen Traum vom Kom­munis­mus. Doch all die­se Wer­ke
               ste­hen für Auf­bruch und Erschüt­te­rung der Moder­ne.

               Neue Natio­nalgale­rie Potsdamer Str. 50 , ge­öffnet ab 22. August, Di–So 10–18/Do
               bis 20 Uhr. „Die Kunst der Ge­sell­schaft 1900–1945“

               bis 2. Juli 1923, Katalog (DCV-Ver­lag), 27 Euro

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       Freitag, 20.08.2021, Tagesspiegel / Kultur

       Das Futter aller Schlachten
       „Die letzten Tage der Menschheit“: Das Spektakel nach Karl Kraus ist
       jetzt in Berlin. Ein Treffen mit Regisseur Paulus Manker
       Von Peter von Becker

                                                                                           © Sebastian Kreuzberger

              Epochales Panoptikum. Szene von einer Probe der Karl-Kraus-Inszenierung, die ab Freitag in der Halle
                                        der Spandauer „Insel Gartenfeld“ stattfindet.

       Da ertönt es wieder, das anschwellende Crescendo aus Richard Strauss’ „Zarathus-
       tra“-Sinfonie. Fast jeder kennt den Auftakt aus Stanley Kubricks „Odyssee 2001“, die
       von der Morgendämmerung der Menschheit in den Weltraum führt. Jetzt, in einer
       riesigen ehemaligen Werkhalle des Siemensareals in Berlin-Spandau, begleitet der
       „Zarathustra“-Beginn die Einfahrt der Schauspieler auf einem realen Eisenbahnwa-
       gen. Eröffnet so eine mehr als siebenstündige Raumtheaterversion von Karl Kraus’
       vor hundert Jahren verfasster Weltkriegsapokalypse „Die letzten Tage der
       Menschheit“.

       Die dramatische Dämmerung unserer Spezies hielt der Wiener Dichter und Publi-
       zist („Die Fackel“) selbst für unaufführbar. Unter dem Eindruck der Schlachten 1915
       begonnen, glaubte Kraus für seine am Ende 220 Szenen mit über tausend Rollen an
       zahllosen Schauplätzen, von Wien bis Berlin, von Russland bis Frankreich, nur an
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       ein „Marstheater“. Also passt die Kubrick-Erinnerung samt Strauss ganz gut. Ein
       Monsterdrama als Welt- und Weltraumtheater.

       Premiere in Spandau ist an diesem Freitag. Das Panoptikum kommt aus Wien, wurde
       dort ab 2018 vom Publikum und der Presse bejubelt. Bald darauf hatte Regisseur
       Paulus Manker auch eine mehr auf Berlin zielende Fassung entworfen. Geplant für
       Sommer 2020, musste das Spektakel wegen der Pandemie jedoch abgesagt werden.
       Weshalb die schon auf 16 000 Quadratmeter verteilten und auch vom Publikum im
       Laufe der Handlung begehbaren Szenerien mit Salons, Cafés, einem Theater im
       Theater, einer Krankenstation aus Weltkriegszeiten und den eigens durch die Haupt-
       halle verlegten Bahngleisen ein Jahr auf ihre Erweckung gewartet haben. Vom Trans-
       port und dem Aufwand zeugen direkt vor der Halle elf Riesencontainer und eine Die-
       sellok. Sie gehören mit zum Spiel: Die Lok wird dröhnend, dampfend ein- und aus-
       fahren, und Episoden an der Front spielen zum Teil in Sandgruben (Schützengräben)
       oder im Bauland rund um die große Backsteinhalle.

       Das Gelände auf der Spandauer „Insel Gartenfeld“ gehört dem Investor Thomas Best-
       gen. Er hatte in Wien die „Letzten Tage der Menschheit“ gesehen und als Fan die
       Halle samt Umfeld dem Theatermacher Paulus Manker kostenlos überlassen. Man-
       ker sagt jetzt, vor einem Probedurchlauf: „Ohne diese Großzügigkeit wäre unsere
       Berliner Unternehmung kaum möglich gewesen!“ Bestgen will hier über 3000 Woh-
       nungen bauen, die historische Industriearchitektur mit einbeziehen und für die
       Truppe der Choreografin Constanza Macras ein eigenes neues Theater schaffen.

       Wobei es im Fall der „Letzten Tage“ noch eine Pointe gibt. Denn der Name der Spiel-
       stätte lautet „Belgienhalle“. Zwar wurde die Konstruktion von den Deutschen im Ers-
       ten Weltkrieg in Nordfrankreich als Beutegut demontiert. Aber Belgien war beim
       Durchmarsch 1914 das Land des ersten deutschen Kriegsüberfalls. Und, doppelte
       Pointe, in Österreich spielte man in der „Serbenhalle“. Sie diente den Nazis in ihrem
       Weltkrieg für Massenmorde und als Waffenschmiede. Im Stück aber wird nach dem
       Attentat auf den habsburgischen Thronfolger 1914 in Sarajewo das authentische
       „Serbien muss sterbien!“ herausgeschrien. „Erst die Serbenhalle und jetzt die Belgi-
       enhalle, das hätte Karl Kraus gefallen“, merkt Manker sarkastisch lächelnd an.

       Dieser Mundzug, der vom charmant Gewinnenden jäh ins herrisch Grantelnde
       wechseln kann – wenn auf den Proben ein szenisches Detail nicht stimmt oder ein
       Akteur einen Handschuh vergessen hat: Er gehört zu den Gesichtern von Paulus
       Manker. Der 63-jährige Wiener aus einer alten Künstlerfamilie ist Regisseur, Autor
       und als Schauspieler mit dem Image des genialischen Enfant terrible voller Erfah-
       rungen mit Theater- und Filmregisseuren wie Peter Zadek, Luc Bondy, Christoph
       Schlingensief, Michael Haneke, Alexander Kluge. Oder zuletzt Lars Kraume („Der
       Staat gegen Fritz Bauer“) und Dani Levy („Die Känguru-Chroniken“). Selbst war er
       mit Anfang zwanzig schon bei Hans Hollmanns Wiener Version dabei, die 1980 an
       zwei Abenden Teile der „Letzten Tage“ noch vergleichsweise konventionell vom
       Marstheater auf die irdischen Bretter brachte.
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