MINIMALINVASIVE KINDERTRAUMATOLOGIE: DIE ARTHROSKOPISCH ASSISTIERTE REFIXATION DES VORDEREN KREUZBAND-AUSRISSES IM WACHSTUMSALTER ...
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Fortbildung MINIMALINVASIVE KINDERTRAUMATOLOGIE: DIE ARTHROSKOPISCH ASSISTIERTE REFIXATION DES VORDEREN KREUZBAND- AUSRISSES IM WACHSTUMSALTER Christoph Aufdenblatten Lead klassischen Zeichen einer intraartikulären Fraktur Die knöcherne Ausrissfraktur des vorderen Kreuzban- sind die schmerzhafte Bewegungseinschränkung und des ist eine typische Knieverletzung von sportlichen der posttraumatisch blutige Gelenkserguss, welcher Jugendlichen. Die minimal-invasive arthroskopisch as- klinisch klar zu diagnostizieren ist. In der primären sistierte Refixation ist ein zuverlässiges und schonen- Bildgebung eines konventionellen Röntgenbildes in 2 des Verfahren und löst die offene Operation mittels Ebenen ist die Verletzung in den meisten Fällen er- Gelenks-eröffnendem Eingriff zunehmend ab. sichtlich und klassifizierbar (Abbildung 1). Eine zu- sätzliche Computertomographie ist in Ausnahmefäl- Christoph Aufdenblatten Einleitung len sinnvoll zwecks genauerer Frakturklassifikation4,5). Die knöcherne Ausrissfraktur des vorderen Kreuzban- Aufgrund einer erhöhten Inzidenz von Zusatzverlet- des (Eminentia intercondylaris Ausrissfraktur) kommt zungen in bis zu 60% der Fälle (ligamentäre Läsio- sowohl im pädiatrischen als auch im erwachsenen Pa- nen des vorderen und hinteren Kreuzbandes, assozi- https://doi.org/10.35190/ Paediatrica.d.2022.1.6 tientengut vor1). Die typische Altersgruppe erstreckt ierte Meniskus- oder Knorpelverletzungen) wird eine sich zwischen 8 und 14 Jahren. Im Gegensatz zu der Magnetresonanztomographie empfohlen4,5) (Abbil- auch im Kindes- und Jugendalter häufiger auftreten- dung 2). Die Verletzung wird klassifiziert nach Meyers den intraligamentären Kreuzbandläsion, handelt es und McKeever6) (Abbildung 3). sich mit einer Inzidenz von 3 pro 100’000 pädiatri- schen Traumafällen pro Jahr um eine seltene Verlet- Behandlungsstrategien zung. Nur in 5% der Fälle mit posttraumatischem Hä- Die Behandlungsstrategie richtet sich nach dem Dis- marthros im Wachstumsalter handelt es sich um eine lokationsausmass gemäss der Klassifikation nach knöcherne Ausrissfraktur des vorderen Kreuzbandes2). Meyers und McKeever sowie nach allfälligen Zusatz- Die betroffenen Kinder werden immer jünger. Dies verletzungen. Isolierte, undislozierte Typ 1 Verletzun- liegt vermutlich daran, dass Kinder früher auf Leis- gen werden in der Regel ohne Operation behandelt, tungsniveau kompetitiv sportlich aktiv sind. Die Ent- hierbei wird das Knie für 4-6 Wochen in einem Gipstu- stehung einer ossären Ausrissfraktur erklärt man sich tor oder einem abnehmbaren Brace in 20° Flexion ru- durch die Tatsache, dass das kindliche Tibiaplateau higgestellt. Eine Punktion des typischerweise gross- an der vorderen Kreuzband-Ansatzstelle unvollstän- volumigen Hämarthros ist in Ausnahmesituationen dig verknöchert ist, und somit die knöcherne Fixation sinnvoll, in denen die Patientin oder der Patient mas- schwächer ist als das eigentliche Ligament3). In der sive Schmerzen durch den Druck verspürt und die Literatur herrscht eine gewisse Kontroverse bezüg- lich konservativer und operativer Therapie sowie in Bezug auf das gewählte Operationsverfahren1-3). Aufgrund der Seltenheit der Verletzung wird emp- fohlen, die konservative und vor allem die operative Behandlung an einem auf kindliche Knieverletzungen und auf arthroskopische Eingriffe spezialisierten Zen- trum durchzuführen. Diagnostik und Beurteilung Der Verletzungsmechanismus entspricht im Wesent- lichen demjenigen einer ligamentären Kreuzbandver- letzung. Typischerweise handelt es sich um ein indi- rektes Trauma bei fixiertem Fuss mit Knieflexion, Val- gusstress und Tibia-Auswärtsdrehung. Es kommen aber auch untypische Verletzungsmechanismen wie beispielswiese ein direktes Trauma vor. Die unvoll- Korrespondenz: ständige Verknöcherung der Eminentia intercondyla- Abbildung 1. Seitliches Röntgenbild nach dem Unfall christoph.aufdenblatten ris im Wachstumsalter scheint eine Prädilektionsstelle mit disloziertem knöchernen Ausriss des vorderen @kispi.uzh.ch für die knöcherne Avulsionsverletzung zu sein. Die Kreuzbandes 28 Vol. 33 | 1-2022
Fortbildung operativ, weil aufgrund der Dislokation das Fragments und der potenziell ungenügenden Einheilung bleibende Instabilitäten oder Bewegungseinschränkungen resul- tieren können. Technisches Vorgehen bei operativer Behandlung Vor der standardisierten Einführung der arthroskopi- schen Technik erfolgte die Behandlung mittels Ar- throtomie und einer offenen Fixation des Fragmentes mittels Schrauben oder transossärer Fadennaht. Heutzutage ist es wie in der Erwachsenen-Sporttrau- matologie auch im Wachstumsalter Standard, diese Knie-Operationen arthroskopisch minimalinvasiv durchzuführen7). Der Nutzen für die Patientinnen und Patienten ergibt sich aufgrund der verminderten Mor- biditätsrate sowie der verkürzten Hospitalisation und Abbildung 2. Ergänzende Bildgebung mittels MR-Tomo- Rehabilitation nach arthroskopischen Eingriffen. Hier- graphie, Darstellung des knöchernen Ausrissfragments bei wird der meist grossvolumige Hämarthros ausge- mit anhaftendem intaktem vorderen Kreuzband spült, das Gelenk vollständig diagnostisch hinsicht- lich Zusatzverletzungen inspiziert und untersucht so- wie das intakte vordere Kreuzband mit dem Punktion in therapeutischer, entlastender Absicht ge- knöchernen Ausrissfragment anatomisch reponiert macht werden soll. Dies ist im klinischen Alltag prak- und stabil fixiert (Abbildung 4). tisch nie notwendig. Für die Fixation haben sich zwei Verfahren etab- Die Behandlung der Typ 2 Verletzungen, bei de- liert. Zum einen kommt bei eher kleineren Fragmen- nen das Fragment nur am vorderen Rand ausgerissen ten die Fadennahttechnik zum Einsatz, bei der mittels ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert7,8). Man- einem Zielinstrumentarium unter arthroskopischer che Autoren postulieren eine geschlossene Reposi- Sicht zwei Bohrkanäle vom Schienbeinkopf ins Gelenk tion, indem das Knie ohne Narkose in Streckstellung gebohrt werden (Abbildung 5)7,8). Das vordere Kreuz- ruhiggestellt wird7). Falls so eine anatomische Repo- band wird mittels einer Fadenschlaufe gefasst, die bei- sition erreicht werden kann, ist das konservative Vor- den Fadenenden werden in den jeweiligen Bohrkanä- gehen gerechtfertigt. Lässt sich das Fragment nicht len durch den Schienbeinkopf gezogen und über ei- anatomisch reponieren, muss von einem Weichteilin- nem Metallknopf aussen am Schienbein verknotet terponat ausgegangen werden. Somit besteht das Ri- (Abbildung 6). Damit wird eine anatomische Reposi- siko einer ungenügenden Einheilung oder einer ver- tion und eine stabile Fixation des knöchernen Frag- minderten Streckfähigkeit im Verlauf aufgrund des ments mit intaktem vorderen Kreuzband erreicht (Ab- vorne abstehenden Fragments, und die Indikation für bildung 7 und 8). Das alternative Fixationsverfahren ein operatives Vorgehen für Typ 2 Verletzungen ist besteht aus einer konventionellen Schraubenosteo- gegeben8). synthese, die ebenfalls arthroskopisch durchgeführt werden kann. Dieses Verfahren bietet sich vor allem Die Behandlung von Typ 3 und Typ 4 Verletzun- bei grossen knöchernen Fragmenten an (Abbildung 9). gen nach Meyers und McKeever erfolgt in jedem Fall In der Literatur werden beide Fixationstechniken hin- A B C D Abbildung 3. Klassifikation nach Meyers und McKeever 1959 (modifiziert) A: Typ 1, undisloziert. B: Typ 2, nur vorne abgehoben. C: Typ 3, komplett disloziert. D: Typ 4, mehrfragmentär. Vol. 33 | 1-2022 29
Fortbildung Abbildung 4. Arthroskopische Sicht unter das knö- cherne Ausrissfragment mit dem anhaftenden intakten vorderen Kreuzband innerhalb der intercondylären Notch Abbildung 6. Schematische Darstellung der Fadennaht- technik. Quelle: Nwachukukwu BU, Green DW, Gans I, Ganley TJ. Tibial Spine/Anterior Cruciate Ligament Avulsion Fractures: Overview and Arthroscopic Technique for Internal Fixation with Cannulated Screws and Suture Technique. 2015;32(33):261-273. From Cordasco FA, Green DW. Pediatric and Adolescent Knee Surgery. Wolters Kluwer 2015 Abbildung 5. Arthroskopische Sicht des reponierten knöchernen Fragments, welches mittels zwei über ein Zielinstrumentarium eingebrachten Bohrdrähten gefasst wird. Eine Fadenschlaufe fasst das intakte vordere Kreuzband sichtlich der Resultate als gleichwertig beurteilt5,7,8). Zusatzverletzungen wie Meniskus- und Knorpelläsio- nen werden im gleichen Eingriff ebenfalls arthrosko- pisch behandelt. Rehabilitation und Langzeitverlauf Die Nachbehandlung ist sowohl für die konservative als auch für die operative Behandlung identisch. Die Abbildung 7. Arthroskopische Sicht des reponierten Ruhigstellung im Brace oder im Gipstutor wird in der Regel für 6 Wochen durchgeführt, in denen die Pati- knöchernen Fragments mit intaktem vorderen entinnen und Patienten an Gehstöcken mobilisiert wer- Kreuzband nach Fixation mittels Fadennaht den und am betroffenen Bein eine Teilbelastung von ½ Körpergewicht anwenden dürfen. Nach 6 Wochen nose sowohl für die konservative als auch für die ope- findet die erste klinisch-radiologische Verlaufskont- rative Behandlung ist besser als nach einer rolle statt, nach der das Bewegungsausmass freige- Kreuzbandersatzplastik. Bei knöchernen Avulsionsver- geben und die Belastung gesteigert wird. Ebenso be- letzungen handelt es sich um Frakturen ohne Schädi- ginnt nach der ersten Kontrolle eine physiotherapeu- gung der propriozeptiven Sensoren im Kreuzbandüber- tische Rehabilitation im Sinn des Muskelaufbaus und zug (im Gegensatz zur eigentlichen Kreuzbandruptur der Stabilisierung, ähnlich einem Rehabilitationspro- mit bleibender Beeinträchtigung der Propriozeption). gramm nach Kreuzbandersatzplastik. Die Freigabe für In der Regel erreichen die Patientinnen und die Pati- sportliche Aktivitäten erfolgt je nach Rehabilitations- enten mit Eminentia-Ausrissfrakturen 3 – 4 Monate bedarf frühestens nach 3 Monaten. Der Heilungsver- nach der Verletzung deutlich schneller wieder ihr ge- lauf ist in der Regel deutlich schneller, und die Prog- wohntes Aktivitäts- und Sportniveau7). 30 Vol. 33 | 1-2022
Fortbildung die eingeschränkte Beweglichkeit dar, diese kommt einerseits durch ein ungenügend reponiertes Frag- ment zu Stande (Verlust der vollen Streckfähigkeit) und anderseits durch die Entstehung einer Arthro- fibrose. Die Arthrofibrose nach Eminentia-Verletzun- gen kommt mit einer Häufigkeit bis 10% vor und zeich- net sich durch eine Kniesteifigkeit (verminderte Be- weglichkeit) mit Schmerzen aus9). Es handelt sich um eine intraartikuläre Vernarbung, deren Ursache nicht geklärt ist, Risikofaktoren dafür sind das intraartiku- läre Hämatom und die lange postoperative Ruhigstel- lung10). In der Regel lässt sich eine Arthrofibrose durch konservative Massnahmen wie intensivierte Physio- therapie zur Mobilisation des Kniegelenks behandeln, nur selten ist eine operative Revision mit arthrosko- pischer Narbenentfernung notwendig8,10). Zusammenfassung Die knöcherne Ausrissfraktur des vorderen Kreuzban- Abbildung 8. Seitliches Röntgenbild nach operativer des (Eminentia intercondylaris Ausrissfraktur) ist eine Versorgung mittels Fadennaht und Metallknopf am typische Knieverletzung von sportlichen Jugendlichen. Schienbeinkopf als Knotenwiderlager Das Leitsymptom ist die schmerzhafte Knieschwel- lung nach einem Trauma, die eine radiologische Ab- klärung nach sich zieht und somit in der Regel die Di- agnose und Klassifikation der Verletzung erlaubt. Für dislozierte Läsionen wird als Zusatzuntersuchung eine MR-Tomographie empfohlen, um häufig auftretende assoziierte Verletzungen zu erfassen und zu behan- deln. Die Einteilung und Therapieplanung erfolgt auf- grund der Klassifikation von Meyers und McKeever, wobei undislozierte Verletzungen Typ I konservativ be- handelt werden. Dislozierte Verletzungen Typ 2, 3 und 4 werden in der Regel operativ behandelt. Das Ziel ist die anatomische Reposition und die stabile Refixation des knöchernen Fragments mit dem anhaftenden vor- deren Kreuzband. Aufgrund der geringeren Morbidi- tätsrate sowie der kürzeren Hospitalisation und Re- habilitation wird empfohlen, den Eingriff arthrosko- pisch minimalinvasiv durchzuführen. Bezüglich der Refixationstechnik erzielen sowohl die Fadennahttech- nik als auch die Schraubenosteosynthese gleichwer- Abbildung 9. Seitliches Röntgenbild nach operativer tige Resultate. Die Nachbehandlung ist für konserva- Versorgung mittels Schraubenosteosynthese tiv und für operativ behandelte Patienten gleich und besteht aus einer Ruhigstellung im Brace oder im Gipstutor für 6 Wochen, gefolgt von einem physiothe- Mögliche Komplikationen rapeutisch unterstützen Kraftaufbau. Der Heilungs- Die Prognose der konservativen und der operativen verlauf ist sehr schnell und die Langzeitprognose aus- Behandlung nach knöchernen Avulsionsverletzungen gezeichnet. In der Regel erlangen die Patientinnen und des vorderen Kreuzbandes ist ausgezeichnet, die Kom- Patienten nach 3-4 Monaten ihr gewohntes Aktivitäts- plikationsrate ist gering. Sowohl für die operative als und Sportniveau. Die Komplikationsrate ist niedrig, auch für die nicht-operative Behandlung werden fol- sehr selten ist eine Re-Operation aufgrund einer Ar- gende Komplikationen mit gleicher Häufigkeit be- throfibrose notwendig. schrieben: verbleibende Instabilität, Einschränkung der Beweglichkeit und fehlendes Einheilen des knö- Für das Literaturverzeichnis verweisen wir auf chernen Fragments8). Die häufigste Komplikation stellt unsere Online Version des Artikels. Autor Dr. med. Christoph Aufdenblatten, eMBA, Orthopädie und Traumatologie, Universitäts-Kinderspital, Zürich Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Vol. 33 | 1-2022 31
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