Mit den Faranas in Burkina Faso

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Mit den Faranas in Burkina Faso
Mit den Faranas in Burkina Faso | norient.com                          30 Nov 2021 19:35:50

    Mit den Faranas in Burkina
    Faso
    by Ane Hebeisen

    «Bund»-Musikjournalist Ane Hebeisen begleitet die Berner
    Band Faranas auf ihrer Tour durch Burkina Faso. In seinem
    Blog berichtet er von den Stationen der helvetischen
    Charme-Offensive, wilden musikalischen Begegnungen bei
    40 Grad Hitze und vom Erfolg der Aktion «CH-Afrobeat für
    Afrika».

    Tag 1: Anti-Brumm-Härtetest

    Ouagadougou. Temperatur: 40 Grad. Stimmung: zwischen freudiger
    Erwartung und linder Paranoia.

    Sie sind angereist, um Afrika den helvetischen Afrobeat zu unterbreiten und
    nun sitzen sie im Frühstücksfernsehen der burkinischen TV-Station Canale 3
    und sprechen über die Demokratie, die nicht nur in der Schweiz, sondern auch
    in der zehnköpfigen Band hochgehalten wird.

    Vom Tourplan gestrichen: Mali

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    Die Berner Gruppe Faranas wurde vom Festival Jazz a Ouaga an den Äquator
    geladen. Von der Schweiz aus hat man weitere Konzerte organisiert, darunter
    wäre auch ein Auftritt am Festival Bamako Jazz in Mali gewesen, aber als dort
    finstere bärtige Herren die Macht ergriffen, denen es gefiel, ihre
    Pressekonferenzen in Tarnanzug und mit Maschinengewehren zu absolvieren,
    wurde von berufener Stelle geraten, diese Gegend aus dem Tourplan zu
    streichen. Und nun ist also Öffentlichkeitsarbeit in der Hauptstadt von
    Burkina Faso angesagt.

    Eigentlich war der Auftritt im Frühstücksfernsehen als Live-Happening
    geplant, aber weil der Strom in Burkina Faso ein launischer Gespiele ist,
    musste kurzerhand umdisponiert werden. Das Warten hatte zur Folge, dass
    nicht nur die Schweizer Faranas-Abgesandten unschön in Schwitzen geraten
    sind, auch der Moderator glänzt puderlos in die Kamera. Der Kameramann
    empfängt während der Aufzeichnung Telefonate, und die Studiotür quietscht
    hemmungslos ins Geschehen.

    Zwei schaurig schwitzende Schweizer

    Mittendrin Trompeter Oggier Adrien und Vibrafonist Alig Dominik, die dem
    neugierigen Fernsehmann plausibel machen, warum man auch in der Schweiz
    der afrikanischen Musik zugetan ist. Die Sendung heisst Bonjour le Faso, das
    Studiodekor besteht aus Frischbackgipfeli, Plastikfrüchten und farbigen
    Tassen – und morgen dann wird Burkina Faso also von zwei schaurig
    schwitzenden Schweizern in den Tag geleitet.

    Die eingangs erwähnte Paranoia, die in der Gruppe kursiert, rührt übrigens
    nicht von den etwas hartnäckigen Strassenhändlern, die sich um das Hotel
    der Schweizer postiert und offensichtlich bereits die Vornamen der einzelnen

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    Musiker recherchiert haben und nun stündlich mit neuen Geschäftsideen
    vorsprechen.

    Harassenweise importiert: Anti-Brumm

    Nein, die Paranoia rührt vom Umstand her, dass Schlagzeuger Bürgin Fabian
    nach der ersten Nacht in Burkina Faso bereits erste Moskitoeinstiche zu
    beklagen hat. Gesprächsstoff Nummer eins ist nun, ob das harassenweise
    importierte Anti Brumm zur lebenserhaltenden und malariaabwendenden
    Substanz taugt oder vielleicht doch eher nicht.

    Tag 2: Leichter Schwindel
    Ouagadougou. Temperatur: 42 Grad. Stimmung: Hitzemüdigkeit und
    kreativer Taumel.

    Heute steht für die Faranas ein Vorsprechen bei einem putzigen Radiosender
    in Ougadougou auf dem Plan. Er heisst «Pulsar» und in der Unterzeile steht
    der hübsche Satz: «Le petite Radio qui monte». Gespielt wird vornehmlich
    Jazz, gerne auch der wilderen Sorte. Es läuft alles prächtig im Interview, die
    Öffentlichkeitsarbeiter Oggier Adrien und Alig Dominik erklären die Faranas-
    Welt, es wird ein Stück von der CD gespielt, und dann kommt sie, die Frage,
    vor der sich alle ein bisschen gefürchtet haben, die aber sämtliche
    Radiomoderatoren im Frageköcher zu haben scheinen.

    Es kommt nichts

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    Der Mann will wissen, worum es denn in diesem Liedchen, das im
    senegalesischen Dialekt Wolof getextet ist, bitteschön gehe. Oggier Adrien
    versucht Zeit zu gewinnen, räuspert sich, ja, das sei eine sehr interessante
    Sache, nicht ganz einfach zu erklären, es sei der Text ihres aus Senegal
    stammenden Sängers Mory Samb, der sei Sohn eines Griots, und, wie solle er
    sagen, letztlich handle es sich um die Geschichte von Hassan und Husein. Der
    Moderator wartet kurz, ob da noch mehr kommt – es kommt nichts – also
    wird erst einmal (ebenfalls ein alter Moderatorenreflex) ein Jingle eingespielt.

    Später erklärt Oggier Adrien dem Chronisten, dass die Band von ihrem Sänger
    einst auch in Erfahrung bringen wollten, was er da genau singe. Man habe
    sich hingesetzt, nach drei Stunden war Mory Samb noch immer am Erzählen
    und Erklären. Mehr als eine blosse Geschichte, eine ganze Haltung und ein
    halbes Leben stecke da drin in diesem Text. Jedenfalls eindeutig zu viel fürs
    flüchtige Radioformat.

    Anti-Brumm-Überdosis?
    Heute war auch eine kleine Erfrischung einberaumt, in Form eines kurzen
    Betriebsausflugs zum Pool eines afrikanischen Luxus-Hotels. Bei dieser
    Gelegenheit stellten die Faranas-Musiker an ihren bleichen Körpern
    sonderbar-rötliche Hautirritationen fest. Eine Art Ausschlag, über dessen
    Ursache nun leidenschaftlich gerätselt wird.

    Sonnenallergie, glauben die einen. Irgendwie vom Schwitzen, meinen die
    andern. Anzeichen einer Anti-Brumm-Überdosis denken die nächsten. Es
    herrscht Uneinigkeit. Man will die Sache im Auge behalten. Derweil erreichen
    uns Schlagzeilen aus der Schweiz über eine etwas abrupte Temparatur-
    Hausse auf 25 Grad, und dass nun vielen Schweizern darob just etwas
    schwindlig sei.

    Der Gitarrist der singenden Halbgöttin

    In Ougadougou ist auch ein paar Schweizern etwas hitzeschwindlig. Kommt
    hinzu, dass ausgerechnet heute eine kleine interkulturelle Herausforderung
    bevorsteht. Die Faranas sollen heute nämlich um ein Bandmitglied
    anwachsen. Aus Mali hat man den Gitarristen Baba Salah Cissé eingeflogen,
    er wird die Band an den anstehenden Konzerten begleiten. Der Mann war
    lange Zeit der Gitarrist von Oumou Sangaré, einer singenden afrikanischen
    Halbgöttin.

    Der Faranas-Trompeter Oggier Adrien hatte Baba vor Jahren in Mali
    kennengelernt. Das Problem dieser Zusammenführung: Baba hat die CD, die
    man ihm von der Schweiz aus zugeschickt hat, nie erhalten, er kennt weder
    die Band, noch die Songs, noch weiss er genau, was diese zunächst etwas
    wenig zutraulichen Schweizer von ihm erwarten.

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    Die Übungsstätte, wo all seine Fragen geklärt werden sollen heisst «Jardin de
    la Musique» und liegt in Reemdoogo, nur unweit des Operndorfes, das
    Christoph Schlingensief errichtet hat. Der «Jardin de la Musique» ist eine Art
    Park mit Bühne und klimatisierten Studio- und Übungsräumen, ein Ort, wo
    sich neugierige Kinder nach der Schule treffen, junge und ältere Musiker ein-
    und ausgehen und Schulen ihren Musikunterricht absolvieren.

    Baba Salah Cissé und die Faranas-Jungs fremdeln zunächst erheblich, man
    beäugt sich skeptisch, dann beginnen sie zu Musizieren, und nach zwei
    Minuten ist klar, dass da nichts mehr schiefgehen kann. Leichter Schwindel in
    Ouagadougou.

    Tag 3: Vor dem Ernstfall

    Überfahrt von Ouagadougou nach Bobo Dioulasso. Temperatur: ca. 24 Grad
    im Bus, 42 Grad draussen. Stimmung: abwartend.

    Heute gibts den ersten musikalischen Ernstfall für die Faranas. Die Berner, die
    ausgezogen sind, um Afrika den helvetischen Afrobeat zu überbringen. Ein
    Konzert in Bobo Dioulasso, mit zirka 500’000 Einwohnern die zweitgrösste
    Stadt Burkina Fasos. Das zurückliegende Ouagadougou ist als Stadt
    weitgehend unfassbar geblieben – ein Zentrum war aufs erste Hinschauen
    nicht zu erkennen, und ein Künstler, den man mit dem Auftrag betrauen
    würde, die Skyline von Ouagadougou grafisch umzusetzen, würde
    mittelfristig ein Leben in Malaise und Bredouille fristen.

    Auf der zirka 400 Kilometer langen Überfahrt nach Bobo gibt es allerhand zu
    bestaunen; ein umgekippter Lastwagen, ein umgekippter Personenbus, ein
    nicht umgekippter, aber etwas in die Jahre gekommener Coop-Lieferwagen,
    und die wohl coolste Ziege Schwarzafrikas. Sie reiste auf dem Dach eines
    Kleinbusses und federte die Strassenunebenheiten vierbeinig-souverän aus.

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    Die leicht entrückte Seligkeit von Alig Dominik
    Ein Passagier des Busses hat die ganze Fahrt über ein seliges Strahlen im
    Gesicht. Der Mann heisst Alig Dominik, bedient bei den Faranas das Vibrafon
    und ist gestern mal so eben seinem Abgott begegnet. Auf einmal stand er im
    temporär gemieteten Übungsraum der Band, begann bereits nach den ersten
    Takten zu Wippen und zu Strahlen und den Bernern die erhobenen Daumen
    entgegenzustrecken. Der Mann, der Alig Dominiks Dauerstrahlen
    heraufbeschworen hat, heisst Paco Séry, war einst Schlagzeuger von Nina
    Simone und der Taktgeber des Zawinul Syndicates. Ausserdem spiele er das
    Daumenpiano so dermassen schnell, dass weitherum vermutet werde, dass er
    vier Daumen besitze, klärt mich Alig Dominik auf. Das tut er nicht, der
    Chronist und Herr Alig haben es mit eigenen Augen gesehen.

    Paco Séry übt im Raum nebenan für einen Auftritt am Festival Jazz à Ouaga,
    an dem zum Abschluss der Reise auch die Faranas spielen werden. Und seit
    Neuestem ist dieser Zweidäumer also ein bekennender Faranas-Anhänger.
    «Eine verdammt positive Energie», attestiert er den Bernern beim
    gemeinsamen Daumenpiano-Plausch, er wolle deren Auftritt auf keinen Fall
    verpassen. Seither ist Alig Dominik – auch unter normalen Umständen ein
    durchaus fröhliches Gemüt – von einer leicht entrückten Seligkeit illuminiert.
    Ansprechbar zwar, aber irgendwie anders. Nu denn.

    Die Willkommensband in Bobo

    Der Bus ist heil in Bobo angekommen, die Dame neben dem Saxofonisten Jan
    Galega Brönnimann hat wiederholt ihren Magen in eiligst herbeigeschaffte
    Plastiktüten entleert, Schlagzeuger Bürgin Fabian fristete ein unwirtliches
    Dasein unter dem Bus-Beschallungssystem, über welches eher ungünstig
    ausgesteuerte burkinische Telenovelas gellten. (Nur so nebenbei: Die
    Lieblingsthemen burkinischer Telenovelas sind untreue Frauen, schelmische
    Bedienstete und tyrannische Diktatoren in Tarnanzügen).

    Nach der Fahrt gibts extra für die Berner ein musikalisches
    Empfangsständchen, ebenso zum Abendessen. Was in Europa der
    Willkommensapero oder der –Blumenstrauss ist, ist in Burkina Faso offenbar
    die Willkommensband. Mit Ruhe vor dem Konzert ist nichts. Die Faranas sind
    müde, die Augen klein, der Teint speckig.

    Bald spielen die Weissafrikaner aus Bern ihr erstes Konzert auf dem
    schwarzen Kontinent. Sagen wir es so: Es wird nicht ihr bestes sein. Und sie
    werden daran vollkommen unschuldig sein.

    Tag 4: Rasta gibt den Ton an

    Bobo Dioulasso. Temperatur: 37 Grad. Stimmung: grossartig.

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    Gestern ist es also passiert. Das erste Afrika-Konzert der Faranas. Und das
    Ganze begann ganz verheissungsvoll. Der Tontechniker des Clubs – er nennt
    sich Rasta und er sieht auch so aus (allerdings nicht wie ein Rasta von der
    Sorte gemütlich-ungezwungen, sondern eher vom Schlag zaundürr und
    streng) – dieser Rasta also, hatte bei Ankunft der Band bereits jeden Ständer
    aufgestellt, und jedes Mikrofon verkabelt, und die Anlage war auch schon
    Gängig gemacht, ein Standard, der in der Schweiz längst nicht in jedem Club
    geboten wird.

    Rasta war auf dem besten Weg, zum Helden des Abends zu werden, doch es
    sollte ein bisschen anders kommen. Ein bisschen schlechter.

    Maximale Lautstärke
    Der Club hiess Bois des Bènes und es war keine Spielstätte, wie wir sie hier so
    kennen, mit schicken geräumigen Türstehern, jungen hippen Menschen und
    barschem, abgestumpftem Barpersonal. Gut, das Barpersonal war in diesem
    speziellen Fall barsch und abgestumpft, aber ansonsten glich das Ganze eher
    einer hübschen Garten-Kaschemme mit eingebauter Freiluftbühne.

    Dann legte Rasta los. Sein Kunstwollen bestand darin, sämtliche Instrumente
    in der exakt gleichen Lautstärke abzumischen, und zwar in der Maximal-
    Lautstärke. Seine Anlage begann bald zu übersteuern und zu krächzen; wenn
    der vierköpfige Bläsersatz der Faranas losschmetterte, begann das Bier
    aufzuschäumen und es schlotterte der Mango-Saft auf den Tischen des
    interessierten Publikums.

    Rasta hatte zu Beginn des Konzerts jegliche Einmischung in seine Arbeit
    untersagt, und er hatte dies dermassen dezidiert getan, dass sich niemand
    vom Team getraute, sich dieser Verordnung zu widersetzen. Man weiss ja nie,
    in Afrika.

    Nur der Saxofonist Jan Galega Brönnimann hatte den Mut aufgebracht,
    während des Soundchecks einzuwenden, dass der 10-Sekunden-Hall, den
    Rasta auf die Snare-Drum von Bürgi Fabian zu legen trachtete, vielleicht doch
    ein bisschen heftig sei und womöglich der Klarheit des Gesamtklangs eher
    abträglich sein könnte. Rasta nahm das zur Kenntnis. Seine Reaktion darauf
    war, dass er die Stimme des Sängers Mory Samb kurzerhand mit dem selben
    Halleffekt dekorierte.

    Die Afro-Hardcore-Variante
    Die Faranas selber präsentierten sich in prächtiger Verfassung. Der Afrobeat
    der Berner ist kein Abklatsch gängiger Floskeln, sie haben ihn mit
    traditionellen malischen Mustern angereichert, mit knackigem Funk und
    zünftigem Jazz-Appeal. Der malische Gastgitarrist Baba Salah Cissé hat sich
    ebenfalls prima in die Band eingefügt, und dermassen wohl ist ihm bereits,

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    dass er im Bois des Bènes zu einem zirka 5-minütigen Solo ansetzte, in
    welchem der distinguierte Herr sich abermals auf die Knie warf, sein
    Spielgerät hinter dem Rücken bediente und anderweitig ausuferte.

    Mit zunehmender Dauer des Konzerts gesellten sich immer mehr
    einheimische Trommler und Perkussionisten zu den Bernern auf die Bühne, es
    wurde kulturaustauscht, dass sich die burkinischen Bühnenbalken bogen. Und
    mittendrin, der Tonmann Rasta, dessen Mischpultkanäle allesamt im Roten
    flackerten und dessen Rasta-Augen zufrieden funkelten.

    Faranas spielten gestern in der Afro-Hardcore-Variante, Aeberhards Andreas
    Bass übersteuerte ebenso wie das Vibrafon Alig Dominiks und das Bariton-
    Saxofon von Wyss Lisette, der einzigen Frau im Umzug. Zwischenzeitlich
    klang das fast ein bisschen wie eine jazzige Variante von Konono No 1, diese
    afrikanische Band, die deshalb hip wurde, weil sie ihre Daumenpianos
    mutwillig über minderwertige Verstärkeranlagen jagte und in europäischen
    Ohren klingt wie eine abgefahrene Bio-Elektronika-Truppe.

    Die Flucht auf die Toilette
    Das Publikum gibt sich trotzdem temporär tanzfreudig, am Schluss des
    zweieinhalbstündigen Auftritts dann aber vielleicht doch etwas erschlagen
    von Rastas Brachial-Afro-Klangästhetik.

    Nur einer bringt es bloss auf einen zweistundenundfünfundzwanzigminütigen
    Auftritt an diesem Abend. Mitten in der letzten Zugabe ist Schluss für Daniel
    «Bean» Bohnenblust. Mitsamt Saxofon und Rucksack saust er auf einmal
    fluchtartig von der Bühne. In Richtung Toilette. Wir werden auch hier
    dranbleiben.

    Tag 5: Lisette Superstar
    Bobo Dioulasso. Temperatur: 39 Grad. Stimmung: Spiellaune.

    Das zweite Konzert der Faranas im Land der ehrenwerten Menschen (dies die
    offizielle Übersetzung von Burkina Faso) findet in einem Club namens
    Bambou statt. Ebenfalls eine Outdoor-Anlage, ebenfalls ein lauschiges
    Plätzchen und ebenfalls mit einem kleinen Problemchen behaftet. Der
    beauftragte Techniker hat zwar ein Mischpult, Boxen und drei Kabel im Club
    abgestellt, doch dann ist er verschwunden und ward den ganzen Abend nicht
    mehr gesehen. Irgendein Notfall, wird gemunkelt.

    Und nun stehen ratlose Menschen um das technische Equipment herum und
    versuchen – mehr gedanklich als wirklich praktisch – eine Verbindung vom
    Mischpult zur Tonanlage und von den Instrumenten zum Mischpult
    herzustellen, und irgendwann kommt man zum Schluss, dass dies mit drei

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    Kabeln kaum zu bewerkstelligen ist. Bald erscheint ein Ersatztechniker, der
    aber auch gleich wieder abdreht, um fehlende Kabel und abenteuerliche
    Drähte herbeizuschaffen.

    Die Aktion CH-Afrobeat für Afrika läuft prima an

    Doch – wie immer in Afrika – gehts am Schluss dann doch irgendwie. Die
    Faranas spielen letztlich zwar ohne Bühnen-Boxen über einen schwächelnden
    Verstärker, aber sie tun es dermassen überzeugend, dass im Bambou-Club
    bald der Hinterste und die Letzte von ihnen hingerissen sind.

    Die Aktion CH-Afrobeat für Afrika läuft prima an, die Eintritte werden einem
    Heim für Strassenkinder gespendet, und eine kleine, super-niedliche und
    grossäugige Abgesandtschaft dieser Strassenkinder darf das Vorprogramm
    der Berner bestreiten. Herzerweichend-allerliebst ist das.

    Während des Konzerts der Faranas wird es dann zeitweise wieder ein
    bisschen unübersichtlich auf den Bühnenbrettern. Temporär wächst die Band
    etwa um fünf Personen an, mal greift ein Sänger mit einem Fela-Kuti-T-Shirt
    ins Geschehen ein und singt sich (gut, übrigens) die Seele aus dem Leib, mal
    sind es Trommler und Perkussionisten, welche die Bühne entern. Die Faranas
    lassen sie gewähren, sparen ihnen Platz für Soli aus und reissen das Ruder
    wieder an sich, wenn es sich gebietet. Baba, der Gast aus Mali, verzichtet
    diesmal zwar auf sein 5-Minuten-Solo mit Kniefall und Hinter-dem-Rücken-
    Spiel, steuert dafür ein eigenes Lied bei, das von den Faranas dankbar
    aufgegriffen wird.

    Verwirrende Sprechchöre
    Bei diesem ganzen personalaufwändigen Changieren und Kombinieren sticht
    indes ein Missstand ins Auge: Es fehlen die Frauen. Die einzige Dame auf der
    Bühne bleibt die Faranas-Baritonsaxofonistin Wyss Lisette, die bei der
    Vorstellung der einzelnen Musiker stets mit einem besonders herzlichen
    Applaus bedacht wird.

    Im Bambou jedoch gehts dann sogar noch ein bisschen wilder zu und her.
    Kaum haben sich die Faranas von ihrem Publikum verabschiedet, setzen
    schon die Lisette-Sprechchöre ein. Immer lauter und einhelliger, begleitet

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    von einem rhythmischen Klatschen. Man ist gerührt, dass das weibliche
    Musizieren hier in Afrika derart geschätzt wird, und so schickt man die
    Lisette für die erste Zugabe allein mit dem Sänger Mory Samb auf die Bühne.

    Erst einige Stunden später, bei einem Bar-Gespräch mit ein paar
    Einheimischen, klärt sich der Irrtum auf. Man habe nicht «Lisette», skandiert,
    behaupten diese, sondern «Bisé», was nichts anderes als «Zugabe» bedeute.
    Sollen sie das nächste Mal nicht so Nuscheln, die Afrikaner. Und verdient
    hätte Lisette die Sprechchöre allemal. Zut alors.

    Tag 6: Der Peitschenmann
    Temperatur 38 Grad. Stimmung: Die Faranas haben Angst.

    Gebt bloss Acht auf den Peitschenmann, riet der Mann im Hotel noch, als die
    Faranas ihm erzählten, dass sie die Fête des masques zu besuchen gedenken.
    Ein kleiner Trip ins urige Afrika sollte es werden, ein Augenschein, wie es um
    Tradition und Brauchtum bestellt ist, in diesem Burkina Faso. Der
    Peitschenmann sollte das kleinste Problem werden, soviel sei bereits
    vorweggenommen.

    Die Fahrt ins kleine Dorf, wo die Zeremonie stattfand, war holprig, die
    Strassen wurden mit jedem Kilometer, den sich die Faranas dem Nest
    näherten, staubiger und unwegsamer. Es roch nach Abenteuer, und es sollte
    eins werden.

    Das Dörfchen war einfach, die Hütten schlicht, und wenn man
    hineinspienzelte, sah man Frauen, die gemeinsam hinter diversen Kochtöpfen
    standen, Kinderchen spielten auf den Strassen, und auf dem Dorfplatz, in der
    Nähe eines Avatar-artigen Dorfbaumes fand also die grosse Zeremonie statt,
    das Maskenfest zum Gedenken der Ahnen und Urahnen. Und es wurde schon
    bald klar, dass das nicht irgendeine Touristen-Falle war, wo sich die Afrikaner
    das Baströckchen überstreifen, für die Urlauber lustig tanzen und singen, um
    sich danach wieder in T-Shirt und Jeans zu schmeissen und mit dem
    Motorroller davonbrausen. Nein, das hier war echt.

    Die Dorf-Community hatte sich in einem grossen Kreis aufgestellt, alle hatten
    sich prächtig herausgeputzt, und in der Mitte des Kreises waren die
    Maskenmänner dabei, ihre wilden Tänze aufzuführen. Sie rotierten
    spektakulär durch die Luft, begleitet von Trommlern und einem Flötenmann,
    es staubte, die Sonne brannte und die Dorfsippe begutachtete konzentriert
    jede Tanzfigur und jedes Wirbeln der bunt kostümierten Gesellen.

    Die Schweizer als Randerscheinung – zunächst
    Dass eine Gruppe weisser Dahergelaufener diesem Ritual beiwohnt, ist
    offensichtlich nicht ganz üblich, demensprechend misstrauisch, aber
    zunächst noch freundlich, wurden die Faranas (der Bandname ist der anglo-

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    afrikanische Ausdruck für Foreigners) beäugt, aber da die Zeremonie die volle
    Aufmerksamkeit forderte, war das Eintreffen der Schweizer zunächst nur
    eine Randerscheinung.

    Dann muss es irgendwie passiert sein. Ob diese Zeremonie filmisch oder
    fotografisch festgehalten werden darf, darüber kursierten unter den Faranas
    unterschiedliche Thesen. Sie reichten von «kein Problem» bis «sehr grosses
    Problem», es habe drakonische Strafen zu befürchten, wer sich hier nicht an
    die Regeln halte. Und so entschied man sich unter den Weissafrikanern für die
    nicht ganz so draufgängerische Variante und beliess die Kameras schön in
    den Rucksäcken.

    Doch so ganz alle schienen sich dann doch nicht an das Gebot zu halten.
    Dieser Meinung war jedenfalls ein aufgebrachter Dorfbewohner, der zwei
    Faranas-Schweizer bei filmischen Tätigkeiten ertappt zu haben glaubte. Und
    das war nicht gut. Das war gar nicht gut. Obwohl die Beschuldigten
    versicherten, sie hätten bloss den Avatar-Baum fotografiert, war der Mann
    nicht mehr zu besänftigen. Er war dermassen aufgebracht, dass er dazu
    überging, bei anderen Dorfbewohnern gegen die weisse Minderheit
    Stimmung zu machen. Die Faranas warfen als Schlichtungsbeauftragten
    ihren Sänger, den Senegal-Schweizer Mory Samb, in die Runde, doch es half
    alles irgendwie nichts. Die Fronten verhärteten sich.

    Irgendwann bildete sich ein Pulk ernster Mannen um die eingeschüchterten
    Berner Musikanten, der Gitarrist Häberlin Bernhard und Bassist Aeberhard
    Andreas schlugen vor, das Dorf besser sofort als zu spät zu verlassen, zumal
    einer dieser ernsten Männer eine Machete um seinen Hals trug.

    Man entschloss sich zum Rückzug
    Der einheimische Organisator des kleinen Betriebsausflugs rief den
    Ältestenrat herbei, die Alten reiten zu Deeskalation, gaben sich wohlwollend
    und zogen wieder ab. Doch der Mann – vermutlich der Beauftragte für
    Klatsch und Skandal des Dorfes – war noch immer nicht zu beruhigen. Er
    informierte immer weitere Bewohner über die vermeintlichen Fehlleistungen
    der Bleichgesichter. Man entschloss sich zum Rückzug, bevor auch noch der
    Peitschenmann von der Sache Wind bekam.

    Doch weil der Guide für die Faranas noch eine urige Mittagsmahlzeit in einer
    Strohhütte vorgesehen hatte und es sich nicht ziemt, ein versprochenes
    Essen nicht einzulösen, endete die Flucht in einem engen Gelass, wo den
    Musikern zunächst sehr sonderbares Bier verabreicht, kurz darauf ein
    äusserst sonderbares, aber sehr leckeres lokales Mahl serviert wurde. Und da
    sassen sie nun also, die verstossenen und verängstigten Fremden, um sie
    herum hatten sich ein paar neugierige Schaulustige versammelt, die ihnen
    beim Essen ohne Essbesteck zusahen und jedes Mal entsetzt aufschrien,
    wenn der Linkshänder Häberlin Bernhard barhändig in den Topf griff (ein

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Mit den Faranas in Burkina Faso | norient.com                             30 Nov 2021 19:35:51

    altes afrikanisches Tischgesetz besagt, dass die linke Hand nicht zur
    Nahrungsaufnahme, sondern zur Reinigung des Hinterteils bestimmt sei, im
    Esstopf also nichts zu suchen hat).

    «Oh, non, les blancs»
    Und dann wurde es hitzig draussen. Der Peitschenmann ging dazu über, die
    Dorfbevölkerung durch die Gassen zu jagen. Frauen und Kinder waren nun
    ebenso auf der Flucht wie Männer und Opas, es wurde geschrien und gejault,
    die Faranas dachten zunächst, es handle sich um einen Volksaufstand und
    jetzt habe endgültig das letzte Stündchen geschlagen.

    Eine junge Frau, die sich mit einem beherzten Sprung in die Strohhütte im
    letzten Moment vor dem Peitschenmann retten konnte, rang nach der ersten
    Erleichterung nach Luft, dann sah sie die Faranas, schrie «oh, non, les blancs»
    und zog es vor, lieber draussen in die Fänge des Peitschenmannes zu geraten,
    als bei den weissen Ketzern und Verrätern zu bleiben.

    Irgendwie haben sie es geschafft, heil da rauszukommen. Zum Schluss
    wurden die Faranas noch einzeln, von einem Ritual-Trommler unter die
    Hüpplen genommen. Seither ist wieder Ruhe eingekehrt im Camp. Auf
    weitere solche Kultur-Experimente wollen die Faranas jedoch künftig
    verzichten. Eine weise Entscheidung, findet der Chronist.

    Die Faranas sind:

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Mit den Faranas in Burkina Faso | norient.com                            30 Nov 2021 19:35:51

    Rich Fonje – vocals
    Mory Samb – vocals, percussion
    Adrien Oggier – trumpet, percussion, kalimba
    Daniel «Bean» Bohnenblust – alto sax, sopran sax, clavinet
    Jan Galega Brönimann – tenor sax, sopran sax
    Lisette Wyss – bariton sax
    Bernhard Häberlin – guitar
    Dominik Alig – vibraphon, percussion
    Tonee Schiavano – e-bass
    Fabian Bürgi – drums

    Die Tageszeitung der «Bund» begleitet die Tour der Faranas durch Burkina
    Faso. Im Blog «Afroboogie – mit den Faranas in Burkina Faso» sind täglich
    neue Abenteuer aus Afrika nachzulesen. Norient berichtete 2011 über das
    Debutalbum «Afrobeat» der Faranas.

    → Published on May 02, 2012

    → Last updated on July 30, 2020

    Ane Hebeisen arbeitet als Musikjournalist beim Berner «Bund».

    → Topics

          Cultural Diplomacy
               Othering
               All Topics

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