Veranstaltung 27.09. 2021 "EU-Zukunftskonferenz: Ruf nach Reform des Euratom-Vertrages - für mehr Demokratie, Transparenz und Sicherheit!" ...
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Veranstaltung 27.09. 2021 Hintergrundpapier „EU-Zukunftskonferenz: Ruf nach Reform des Euratom-Vertrages – für mehr Demokratie, Transparenz und Sicherheit!“ Ein Rechtsgutachten zum Euratom-Vertrag von jedweder europäischen Harmonisierung“, schreibt Dr.in Dörte Fouquet Fouquet in ihrem Gutachten einleitend und schlägt schließlich Eckpunkte für Regelungen vor. Einleitung Zu den Reformvorschlägen zählen der Ausbau des Der Euratom-Vertrag aus dem Jahre 1957 war einer Schutzes gegen die Atomkraft durch strengere Regeln der wesentlichen Faktoren für die Entwicklung der für die Sicherheit wie strenge und einheitliche Haf- Europäischen Union. Er schafft die Voraussetzungen tungsregeln für AKW-Betreiber, die Stilllegung und und Rahmenbedingungen für die mächtige Kerne- den Rückbau von Reaktoren und die Endlagerung nergie-Industrie in Europa. Aus demokratiepolitsicher von radioaktiven Abfällen, die Abschaffung der Be- Sicht gilt der Vertrag jedoch als umstritten. Kritische vorzugung der Kernenergie gegenüber den erneu- Stimmen in vielen Ländern fordern daher immer wie- erbaren Energien sowie die Demokratisierung von der eine Reform des Vertrages. Entscheidungsprozessen auf europäischer Ebene. Die Mittel für Atomenergie sollten stattdessen Dieser Forderung liegt nun ein Gutachten zugrun- für erneuerbare Energien verwendet werden. de. Die renommierte deutsche Rechtsanwältin Dr.in Dörte Fouquet erstellte Anfang des Jahres 2021 Auf Basis der Erkenntnisse des Gutachtens erhofft im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz, sich Gewessler starken Rückenwind für eine Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technolo- Diskussion einer Vertragsreform auf EU-Ebene. gie ein umfassendes juristisches Gutachten zur Re- Diese sei aus Sicht der Klimaschutzministerin drin- form des Euratom-Vertrages. Dazu beleuchtete sie gend erforderlich, um in Zukunft eine sichere und kli- auch frühere Euratom-Reformansätze und die Posi- mafitte Energieerzeugung in Europa zu ermöglichen. tionen der einzelnen Länder. Mittels des Gutachtens will Gewessler schließlich Bereits im Rahmen der Pressekonferenz am eine Reform des Euratom-Vertrages auf EU- 3. Mai 2021 formulierten die österreichische Klima- Ebene einleiten. Dabei will Gewessler infolge bi- schutzministerin Leonore Gewessler und Rechtsan- lateraler Gespräche mit potenziellen Verbündeten wältin Dr.in Fouquet ihre Reformvorschläge. wie Belgien, Deutschland und Luxemburg mit einer einfachen Mehrheit im Europäischen Rat einen Re- Das Gutachten bringt unter anderem Argumente für formprozess für den Euratom-Vertrag auf den Weg eine Anpassung des Euratom-Vertrages, um Europa bringen. Dabei sieht sie eine Mehrheit von EU-Staa- vor den Gefahren der Atomkraft zu schützen und die ten, die sich in der Zwischenzeit für den Ausstieg erneuerbaren Energien nicht länger zu benachtei- aus der Atomenergie entschlossen hätten oder aber ligen. Unter den „großen Baustellen“ des Euratom- „nie eingestiegen“ seien. Vertrages nannte Fouquet auch den derzeitigen Mangel des Demokratieprinzips. Auf der einen Seite Zur Entwicklung von Euratom würden „merkwürdige Gremien“ die EU-Kommission in diesem Bereich beraten, auf der anderen Seite Die Europäische Atomgemeinschaft (EAG oder habe das Europäische Parlament keinen Einfluss auf heute EURATOM) wurde am 25. März 1957 durch den Vertrag. die Römischen Verträge von Frankreich, Ita- lien, den Beneluxstaaten und der Bundesrepublik Die Untersuchung basiert auf dem Ruf nach einem Deutschland gegründet. Deren Vertrag zählt wie einheitlichen europäischen Haftungsrecht als Be- auch der Vertrag zur Gründung der Europäischen standteil eines reformierten Euratom-Vertrages. „Sie Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) zu den vergleicht die derzeitige, beinahe chaotische, auf „Römischen Verträgen“, welche die Basis der Euro- jeden Fall höchst unterschiedliche Haftungssituation päischen Union bilden. Die Weiterentwicklung des in den Mitgliedstaaten, die geprägt ist vom Fehlen EWG-Vertrages ist der AEUV (Vertrag über die EU-Umweltbüro, Dresdner Straße 20/7.OG, 1200 Wien, T: +43/1/401 13-39, E: office@eu-umweltbuero.at, www.eu-umweltbuero.at S. 1
Arbeitsweise der Europäischen Union). Die Montan- men für 2014 – 2020 sei eine Haushaltslinie in der union war bereits 1951 gegründet worden. Höhe von 225,3 Millionen Euro für Hilfsprogramme zur Stilllegung kerntechnischer Anlagen in Litauen, Ziel des Euratom-Vertrages war die Schaffung von Bulgarien und in der Slowakei festgelegt worden. Voraussetzungen für eine mächtige Kernindustrie in Europa. Zudem sollte den Mitgliedstaaten ermögli- Der Euratom-Vertrag hat niemals eine grundlegende cht werden – angesichts des strengen EU-Beihilfen- Reform erfahren, wie Fouquet betont, sondern er rechts – Atomkraft zu fördern. Damit verschafft er der „verharrte im Geist der Gründungszeit nach dem Atom-Technologie einen Vorteil gegenüber den 2. Weltkrieg, eng verbunden mit der „Atoms-for- erneuerbaren Energien. Peace-Doktrin“ der amerikanischen Regierung unter Präsident Eisenhower“. Die Doktrin habe die bereits Während der Euratom-Vertrag laut Art. 208 Euratom stark gewordene Konkurrenz zwischen US-amerika- „auf unbegrenzte Zeit“ gilt, wurde der EWG-Vertrag nischer und französischer Kernkrafttechnologie zum mehrfach durch Regierungskonferenzen geändert, Ausdruck gebracht. Dieser Wettbewerb schlug sich insbesondere infolge des Fusionsvertrags von 1965, auch stark in der Diskussion um den Euratom-Vertrag welcher die Exekutivorgane der drei Gemeinschaften in seiner Entstehungs- und Gründungsphase nieder. (EGKS, EWG und Euratom) zusammenführte und die Europäische Gemeinschaft schuf. Ursprünglich bestand der Euratom-Vertrag aus 234 Artikeln, geordnet unter sechs Titeln im Anschluss Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) vom 28. an die niemals geänderte Präambel. Infolge des Ver- Februar 1986 änderte die Verträge zur Gründung trages von Lissabon zur Änderung des Vertrages der Europäischen Gemeinschaft von zwölf Mitglied- über die Europäische Union und des Vertrages zur staaten und richtete die sogenannte europäische po- Gründung der Europäischen Gemeinschaft, der am litische Zusammenarbeit als Vorstufe auf dem Weg 1. Dezember 2009 in Kraft trat, war der Euratom- zur Europäischen Union ein. Mit dem Inkrafttreten der Vertrag auf 177 Artikel geschrumpft. Der Kernauf- EEA wurde die Bezeichnung „Europäisches Parla- trag im Rahmen der zivilen und „friedlichen“ Nutzung ment“ aus den frühen 1960er Jahren primärrechtlich der Atomenergie blieb allerdings bestehen. bestätigt. 2018 veröffentlichte die EU-Kommission ihre Mittei- Durch die Einführung der Verfahren der Zustimmung lung “Communication on the future of EU Energy (Codecision) und der Zusammenarbeit erweiterte die and Climate Policy, including on the future of the EEA auch die legislativen Befugnisse des Europä- Euratom Treaty“. Darauf aufbauend informierte sie ischen Parlaments (EP) im EWG-Vertrag, allerdings im April 2019 mit ihrer Mitteilung für effizientere und nicht im Euratom-Vertrag. demokratischere Entscheidungspolitik im Energie- und Klimabereich im Hinblick auf Euratom. „Diese Weggabelung von Demokratisierung und wie- derkehrenden Reformen der europäischen Verträge Die Grundsätze des Euratom-Vertrags und die Ausnahme- bzw. Sackgassenstellung des Euratom-Vertrages hat die Verkrustung des Euratom- Wichtige Bedingungen für die Förderung der Atomin- Vertrages über die Jahre stetig verstärkt“, schreibt dustrie sind in Art. 1, S. 2 Euratom enthalten: „Aufga- Fouquet in ihrem Gutachten. „Euratom geriet rasch in be der Atomgemeinschaft ist es, durch die Schaffung gewisser Weise in den ´Schatten der EWG´ und spä- der für die schnelle Bildung und Entwicklung von ter der Europäischen Union (EU).“ Bedeutungslos sei Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur er jedoch nicht geworden. Vor allem infolge der Oster- Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten weiterung der Europäischen Union und die Frage der und zur Entwicklung der Beziehungen mit den ande- Sicherheit der dortigen Atomkraftwerke russischer ren Ländern beizutragen.“ Herkunft sowie die Renaissance der staatlichen Bei- hilfen für den Bau neuer Atomkraftwerke, wie etwa in Art. 2 Euratom definiert die Aufgaben: Großbritannien oder Ungarn, sei die Bedeutung des Euratoms bestehen geblieben. Der Euratom habe • Entwicklung der Forschung und Verbreitung einen „ausführlich definierten Förderzweck“ erhalten, kerntechnischer Erkenntnisse so Fouquet. • Erarbeitung einheitlicher Sicherheitsnormen Weder im Euratom-Rahmenprogramm noch im Haus- für den Gesundheitsschutz halt der Europäischen Union seien Mittel für die För- derung des Baus und des Betriebs von Kernkraftwer- • Investitionserleichterungen und insbesondere ken in den EU- bzw. angrenzenden Nicht-EU-Staaten durch Förderung der Initiative der Unternehmen vorgesehen gewesen. Im mehrjährigen Finanzrah- die Sicherstellung der Schaffung der wesent- S. 2
lichen Anlagen, die für die Entwicklung der Kern- § 2. Die Vollziehung dieses Bundesgesetzes obliegt energie „notwendig“ sind der Bundesregierung. • Versorgung der Gemeinschaft mit Erzen und Das Gesetz wurde 1999, vier Jahre nach dem Bei- Kernbrennstoffen tritt Österreichs zur Europäischen Union, durch das Hintergrundpapier Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies • Überwachungsmaßnahmen zur Verhinderung Österreich aufgehoben. In Österreich dürfen demge- von Zweckentfremdung bei Kernbrennstoffen mäß keine Atomwaffen hergestellt, gelagert, getestet oder transportiert werden. Der Bau und Betrieb von • Gemeinschaftliches Eigentumsrecht an spalt- Kernkraftwerken bleiben verboten. Mit Ausnahme der barem Material „friedlichen“ Nutzung von spaltbarem Material außer- halb der Energiegewinnung ist deren Transport und • Schaffung eines gemeinsamen Marktes für Lagerung verboten. Kerntechnische Stoffe und Anlagen, Das Gesetz verlangt sicherzustellen, dass Schäden, • Freizügigkeit für Fachkräfte im Bereich der die in Österreich aufgrund eines nuklearen Unfalles Kerntechnik und eintreten, angemessen ausgeglichen werden und die- ser Schadenersatz möglichst auch gegenüber aus- • Verbindung zu anderen Ländern und Institu- ländischen Schädigern durchgesetzt werden kann. tionen zwecks Förderung der friedlichen Nut- Das Bundesgesetz über die zivilrechtliche Haftung für zung der Kernenergie. Schäden durch Radioaktivität (Atomhaftungsgesetz) vom 1. Jänner 1999 erfüllt diese Anforderungen an Österreich und Euratom eine verschuldensunabhängige Haftung der Betreiber von Anlagen sowie Beförderer von Kernmaterialien. Angesichts der anhaltenden Vetohaltung der So- Es gilt der Grundsatz der unbegrenzten Haftung wjetunion und vor dem Hintergrund einer engen mit Deckungsvorsorgepflicht. Es besteht ein di- Auslegung von Art. 4 des Staatsvertrages von 1955 rektes Klagerecht und es gilt das Prinzip des Erfolgs- zwischen Österreich und den vier alliierten Staaten ortes, sodass auf Schäden, die in Österreich eintreten, (USA, Frankreich, Großbritannien, Sowjetunion) zur österreichischer Gerichtsstand und öösterreichisches Wiederherstellung der Souveränität der Republik Recht anzuwenden sind. Österreich, konnte Österreich den europäischen Verträgen nicht vor dem Ende der Sowjetunion bei- Fouquet folgert: „Die gesamte, mittlerweile histo- treten. „Darum hat Österreich dann auch die ersten rische und konsequente Entwicklung Österreichs wichtigen Regierungskonferenzen zur Änderung weg von nichtnachhaltiger Energie steht bereits insbesondere des EWG-Vertrages und zum institu- im Widerspruch zu dem Euratom-Vertrag mit sei- tionellen ‚Zusammenschluss‘ nicht mitgestalten kön- nem technologiespezifischen Förderansatz.“ nen und hatte seine seit 1978 klare Haltung auch gegen die zivile Nutzung der Kernenergie in Bezug Infolge der „Tradition einer nachhaltigen Energiever- auf den Euratom-Vertrag und mögliche Reformen sorgung ohne Atomkraft“ sei Österreich nach Ansicht nicht einbringen können. Seine Mitgliedschaft in der Fouquets dazu veranlasst, die Struktur und den Inhalt Europäischen Freihandelsassoziation (European des Euratom-Vertrages in Frage zu stellen. Free Trade Association, EFTA) eröffnete hier natür- lich keinen Weg“, konstatiert Fouquet. Österreich stünden zwei „Reformoptionen” offen: Einerseits die „Integration der sinnvollen und Infolge der Volksabstimmung in Österreich gegen zusätzlich erforderlichen Bestimmungen des die Inbetriebnahme des bereits erbauten Atom- Euratom-Vertrags in den AEUV“ und andererseits kraftwerks Zwentendorf hat der Nationalrat am 19. die Beibehaltung des Euratom-Vertrags in refor- Dezember 1978 das Bundesgesetz vom 15. De- mierter Form. zember 1978 über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Ös- Dazu habe Österreich drei Hauptansätze für einen terreich (Atomsperrgesetz) beschlossen: Reformvorstoß zu Euratom entwickelt und fortwäh- rend vertreten: § 1. Anlagen, mit denen zum Zwecke der Energie- versorgung elektrische Energie durch Kernspaltung • die Beseitigung des Demokratiedefizits, erzeugt werden soll, dürfen in Österreich nicht er- richtet werden. Sofern jedoch derartige Anlagen • die Eliminierung des Förderzwecks und bereits bestehen, dürfen sie nicht in Betrieb genom- men werden. • die Verbesserung des Schutzzwecks S. 3
Folgerungen des Gutachtens angerufen. Er konnte, so Fouquet, über seine eigene, „im Interesse des Umweltschutzes grundsätzlich nicht Fouquet sieht die fehlende Einbindung des Eu- zu bestreitende extensive Auslegung der Gesund- ratom-Vertrags in den EU-Verfassungskonvent heitsartikel im Euratom-Vertrag einerseits den Weg durchaus problematisch. Der Euratom-Vertrag zu einem harmonisierten auch umweltbezogenen über die EU-Kernenergiepolitik sei nicht in den EU- Nuklear-Recht in der Europäischen Union bereiten, Verfassungskonvent unter Leitung des ehemaligen andererseits blieb dadurch das Europäische Parla- französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing ment weiterhin Zaungast.“ zwischen 2002 und 2003 integriert worden und bleibe deshalb auch in weiterer Zukunft eigenständig. Die Europäische Kommission habe unter Euratom und mittels der weiten Auslegung, insbesondere Wichtig sei eine genaue mit dem Europäischen Par- der Gesundheitsartikel des Euratom-Vertrages, lament und der EU-Kommission zu entwickelnde durchaus „in sich kohärente und angemessene Richtschnur des EU-Rates zum Inhalt der Arbeits- Rechtsetzung“ vorangetrieben, insgesamt habe aufgaben für einen solchen Konvent. diese Entwicklung aber „in eine Sackgasse“ ge- führt, und die Defizite des Euratom-Vertrages Die Präambel, der Förderzweck allgemein, die For- selbst wurden schließlich verstärkt. schungsförderung, Kenntnisverbreitung, Gemein- schaftseigentum, der gemeinsame Markt und die Fouquet weist darauf hin, dass EU-Richtlinien oft Außenbeziehungen könnten gemäß dem Euratom- ausdrücklich die Anwendung ihrer Vorschriften Vertrag im Gleichklang mit den Ansätzen im Verfas- auf den Nuklearbereich ausschließen. Das Regel- sungskonvent nach Einschätzung Fouquets „weitge- Ausnahmeprinzip zwischen AEUV und Euratom- hend gestrichen werden“. Vertrag funktioniere nicht durchgehend. Ohne eine Beendigung des Förderziels für Atomanla- Fouquet kritisiert die Zahl der Richtlinien, welche gen im Euratom-Vertrag, die Beendigung eines eigen- als Rechtsgrundlage den Auffangtatbestand des ständigen Forschungshaushaltes, die Beendigung Art. 203 Euratom-Vertrag für „Unvorhergese- der Bestimmungen zu einem Markt für Kernmaterial henes“ annimmt. Diese „fördern nicht das Vertrau- könne es hinsichtlich der Förderung anderer Techno- en in den Vertrag und seine zeitgemäße Anwend- logien zur Energieerzeugung wie insbesondere den barkeit“. Art. 203 Euratom könne nicht angewendet erneuerbaren Energien kein „level playing field“ in werden, „wenn nicht klar herleitbar ist, dass mit Europa geben. „Das beinahe gnadenlose Primat der einer solchen Regelung eines der Ziele des Eura- nuklearen Warenverkehrsfreiheit im Euratom-Ver- tom-Vertrages nach Art. 2 Euratom erreicht werden trag ohne vergleichbare Artikel zu Ausnahmemöglich- soll.“ Mit Art. 203 Euratom sind Regelungen als keiten von diesem Prinzip, wie sie im AEUV niederge- Grundlage unzulässig, die de facto auf eine Ände- legt sind, beschränkt im Grunde die Souveränität rung des Vertrages hinauslaufen, ohne dass das eines Mitgliedstaates über seinen Energiemix, die hierfür vorgesehene Vertragsänderungsverfahren jedoch nach Art. 194 Abs. 2 AEUV zu beachten ist“, genutzt wird. gibt Fouquet zu bedenken. Fouquet unterstreicht den vielfältigen Bedarf für Die Untersuchung habe gezeigt, dass Europa in wich- ein fortschrittliches Sicherheitsrecht im Eu- tigen Fragen wie der Sicherheit nuklearer Anlagen, ratom-Vertrag mit Elementen wie den strengen dem radioaktiven Abfallrecht dem Abfallverbringungs- Prinzipien zu Nichtverbreitung, Fondsregelungen recht mit einer Anzahl spezifischer Regelungen auch für Rückbaumittel, Prinzipien besserer Zusammen- im Vergleich mit dem EU-Ausland „ein hohes Niveau“ arbeit von Nachbarstaaten, Beachtung der Aarhus- erreicht hat. und Espoo-Grundsätze. Allerdings sei der Weg zu einer Zustimmung im Eu- In der Aarhus-Verordnung ist die Art und Weise der ropäischen Rat für die EU-Kommission mit ihren Vor- Umsetzung des internationalen Übereinkommens schlägen nicht einfach gewesen. Sie musste durch- von Aarhus seitens der Europäischen Union und aus auch Vorschläge zurücknehmen, nachdem es ihrer Mitgliedstaaten geregelt, das den Zugang zu nach jahrelanger Beratung zu keiner Verständigung Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an mit bzw. im Europäischen Rat gekommen war. „Be- Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Ge- sonders hart traf dies die Entwicklung des Nuklearpa- richten in Umweltangelegenheiten gewährleisten kets aus dem Jahre 2002“, betont Fouquet. soll. Mehrmals wurde der Europäische Gerichtshof (EuGH) Die Espoo-Konvention stellt ein Instrument zur Be- zur Klärung der Rechtsgrundlage für Rechtsakte teiligung betroffener Staaten und deren Öffentlich- S. 4
keit an Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung von Cyberangriffen gegenüber Nuklearanlagen tatsäch- (UVP) in anderen Staaten für jene Vorhaben dar, wel- liche Mitsprache, Offenlegung und Nachvollziehbarkeit che erhebliche grenzüberschreitende Auswirkungen ausschließt.“ Sowohl bei der Erweiterung um die mittel- haben können. und osteuropäischen Staaten mit einer notwendigen Be- urteilung der dortigen im Design stark unterschiedlichen Hintergrundinformationen Der Euratom-Vertrag ermögliche, wie Fouquet in ihrer Reaktoren, zeige sich wie auch viele Jahre später der Expertise festhält, keine Kooperation auf EU-Ebene. „StressTest als die EU-Antwort auf Fukushima, dass es Mit der Auslegung des jetzigen Euratom-Vertrages und keine Regeln für die nukleare Sicherheit in der EU“ gebe. die Entwicklung im Sekundärrecht können die Beseiti- Die Europäische Union dürfe nicht „zur Atomunion“ gung des Demokratiedefizits, die Eliminierung des werden, welche „ganz offen die Förderung einer Förderzwecks sowie die Verbesserung des Schutz- Hochrisiko-Technologie mit Steuergeldern gewährt“, zwecks nicht aufgefangen werden. Darüber hinaus, so Lorenz. Die Atom-Expertin bewertet eine erhöhte Auf- wie Fouquet in ihrem Gutachten feststellt, ermögliche merksamkeit des Bundesministerium für Klimaschutz, er keine Lebenszyklusregelung und Strahlenschutzre- Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie gelungen in Bezug auf die Atomanlagen. (BMK) für Euratom und folglich für die EU-Atompolitik „positiv“. Diese sollte nach Ansicht Lorenz auch in der Zu- Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass sammenarbeit mit anderen EU-Mitgliedstaaten verstärkt Europa nicht an einem Konvent-Prozess zur Re- werden. form des Euratom-Vertrages vorbeikommt. Dadurch könnte man den Vertrag dem gesamten Lebenszyklus Mirko Schwärzel, Bundesnetzwerk Bürgerschaft- einer Regelung auf europäischer Ebene zuführen. Vor liches Engagement (Deutschland): diesem Hintergrund zeige sich laut Fouquet deutlich, dass ohne eine solche Reform eine vollständige euro- „Die demokratischen Fortschritte auf europäischer Ebe- päische Entsorgungspolitik dauerhaft nicht zu ver- ne, insbesondere die wachsenden Kompetenzen und wirklichen sei, „es sei denn, man würde das gesamte Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlamentes, Kapitel zur Gesundheit aus dem Euratom-Vertrag strei- haben den Euratom-Kontext nicht berührt. Aus zivilge- chen und damit originär für Umwelt und Gesundheit sellschaftlicher Perspektive noch gravierender als dieses den AEUV-Vertrag künftig allein anwenden.“ institutionelle Demokratiedefizit ist jedoch das Betei- ligungsdefizit“, betont Mirko Schwärzel. Die europä- Die vorgelegte Untersuchung bestätigt schließlich die ische Demokratie habe sich seit den 1950er-Jahren zum Überlegungen der österreichischen Bundesregierung einen im Zusammenspiel der Institutionen weiterentwi- von Österreich, den Euratom-Vertrag einem Reform- ckelt, zum anderen wurde die Einbindung zivilgesell- prozess zuzuführen. Angesichts „erheblicher Schwä- schaftlicher Kräfte in Brüsseler Entscheidungsprozesse chen“ des Vertrages seien über eine Betrachtung fortlaufend ausgebaut und mit dem Vertrag von Lissa- des liberalisierten Energiebinnenmarktes und dem in bon im Jahr 2009 durch Art. 11 EUV als „partizipative Art. 194 AEUV festgelegten Grundsatz der geteilten Demokratie“ institutionalisiert. „Auch diese Entwicklung Zuständigkeit im Energierecht aus Sicht Fouquets die ging an der Governance von Euratom im Prinzip vorbei. Forderungen der Republik Österreich an einen re- Es ist ein großes Dilemma, dass sich gerade ein ge- formierten Euratom-Vertrag durchaus berechtigt. sellschaftlich so umstrittenes Feld wie die europäische Atompolitik etablierten Standards zivilgesellschaftlicher Zwar sei es nach Einschätzung Fouquets nicht ein- Beteiligung und damit einer bürgerschaftlichen Mitwir- fach, für den Reformprozess und die erforderliche kung und Öffentlichkeit entziehen kann“, so Schwärzel. einfache Mehrheit die Mindeststimmen im Europä- ischen Rat zu bekommen. „Andererseits war die Julia Bohnert, Plattform gegen Atomgefahren Situation, diese Mehrheit zu bekommen, vielleicht („PLAGE“): noch nie so aussichtsreich wie derzeit“, so Fouquet. „Als Schutzvertrag für eine einzige und noch dazu hoch- riskante Nischenindustrie – die Atomindustrie – genießt Weitere Stimmen zum Euratom-Vertrag der Euratom-Vertrag als europäisches Primärrecht den gleichen Status wie die Charta der Grundrechte der Eu- Patricia Lorenz, Anti-Atom-Sprecherin der ropäischen Union“, betont Julia Bohnert. „Abseits der österreichischen Umweltorganisation GLOBAL europäischen Vergemeinschaftung begründet er eine 2000: eigene Rechtsordnung für die Atomindustrie. Das ist ein Skandal!“ Der Euratom-Vertrag sei ein Relikt der Sie streicht hervor, dass „sich die Kernenergienutzung Frühphase europäischer Politik und „wie ein lebender per se einer Demokratisierung nicht aufdrängt, wenn das Dinosaurier, der völlig aus der Zeit fällt und (dennoch) hohe Gefährdungspotential durch die Technologie selbst sämtliche Fortschritte des EU-Rechts und der europä- und Sabotage, Terrorangriffe und die steigende Gefahr ischen Integration schlagkräftig abwehrt“, so Bohnert. S. 5
Quellen: https://www.bmk.gv.at/dam/jcr:2d04df98-ac76-44a1-b058-7a8b011734da/Gutachten-Fouquet_Euratom-Vertrag.pdf (Gutachten Dörte Fouquets zum Euratom-Vertrag/pdf) https://www.bmk.gv.at/service/presse/gewessler/20210503_reform-euratom-Vertrag.html https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/betrieblich_umweltschutz/uvp/espoo.html https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2021/07/23/eu-ambassadors-endorse-update-to-legislation-on-access-to- justice-in-environmental-matters-aarhus-regulation/ https://www.dorftv.at/video/27227 (Video Dörte Fouquet - Darstellung der rechtlichen Möglichkeiten eines einseitigen Ausstiegs aus Euratom) https://www.global2000.at/akw-hinkley-point https://orf.at/stories/3211624/ https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20180712_OTS0064/euratom-macht-staatsbeihilfen-fuer-atomkraft-moeglich-global- 2000-fordert-dringend-die-beendigung-von-veraltetem-euratom-vertrag https://www.plage.at/wortkraft/euratom-analyse https://www.plage.at/OnlinePdf/Euratom_Analyse_2021/epaper/ausgabe.pdf https://www.plage.at/aktuelle-meldungen/gewessler-neue-euratom-analyse-zukunftskonferenz https://www.umweltdachverband.at/inhalt/eu-zukunftskonferenz-ruf-nach-reform-des-euratom-vertrages https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Atomgemeinschaft S. 6
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