Veranstaltung 27.09. 2021 "EU-Zukunftskonferenz: Ruf nach Reform des Euratom-Vertrages - für mehr Demokratie, Transparenz und Sicherheit!" ...

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Veranstaltung 27.09. 2021

                                                                                                                                               Hintergrundpapier
„EU-Zukunftskonferenz: Ruf nach Reform des Euratom-Vertrages – für mehr
Demokratie, Transparenz und Sicherheit!“

Ein Rechtsgutachten zum Euratom-Vertrag von                                           jedweder europäischen Harmonisierung“, schreibt
Dr.in Dörte Fouquet                                                                   Fouquet in ihrem Gutachten einleitend und schlägt
                                                                                      schließlich Eckpunkte für Regelungen vor.
Einleitung
                                                                                     Zu den Reformvorschlägen zählen der Ausbau des
Der Euratom-Vertrag aus dem Jahre 1957 war einer                                     Schutzes gegen die Atomkraft durch strengere Regeln
der wesentlichen Faktoren für die Entwicklung der                                    für die Sicherheit wie strenge und einheitliche Haf-
Europäischen Union. Er schafft die Voraussetzungen                                   tungsregeln für AKW-Betreiber, die Stilllegung und
und Rahmenbedingungen für die mächtige Kerne-                                        den Rückbau von Reaktoren und die Endlagerung
nergie-Industrie in Europa. Aus demokratiepolitsicher                                von radioaktiven Abfällen, die Abschaffung der Be-
Sicht gilt der Vertrag jedoch als umstritten. Kritische                              vorzugung der Kernenergie gegenüber den erneu-
Stimmen in vielen Ländern fordern daher immer wie-                                   erbaren Energien sowie die Demokratisierung von
der eine Reform des Vertrages.                                                       Entscheidungsprozessen auf europäischer Ebene.
                                                                                     Die Mittel für Atomenergie sollten stattdessen
Dieser Forderung liegt nun ein Gutachten zugrun-                                     für erneuerbare Energien verwendet werden.
de. Die renommierte deutsche Rechtsanwältin
Dr.in Dörte Fouquet erstellte Anfang des Jahres 2021                                  Auf Basis der Erkenntnisse des Gutachtens erhofft
im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz,                                    sich Gewessler starken Rückenwind für eine
Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technolo-                                  Diskussion einer Vertragsreform auf EU-Ebene.
gie ein umfassendes juristisches Gutachten zur Re-                                    Diese sei aus Sicht der Klimaschutzministerin drin-
form des Euratom-Vertrages. Dazu beleuchtete sie                                      gend erforderlich, um in Zukunft eine sichere und kli-
auch frühere Euratom-Reformansätze und die Posi-                                      mafitte Energieerzeugung in Europa zu ermöglichen.
tionen der einzelnen Länder.
                                                                                      Mittels des Gutachtens will Gewessler schließlich
Bereits im Rahmen der Pressekonferenz am                                              eine Reform des Euratom-Vertrages auf EU-
3. Mai 2021 formulierten die österreichische Klima-                                   Ebene einleiten. Dabei will Gewessler infolge bi-
schutzministerin Leonore Gewessler und Rechtsan-                                      lateraler Gespräche mit potenziellen Verbündeten
wältin Dr.in Fouquet ihre Reformvorschläge.                                           wie Belgien, Deutschland und Luxemburg mit einer
                                                                                      einfachen Mehrheit im Europäischen Rat einen Re-
Das Gutachten bringt unter anderem Argumente für                                      formprozess für den Euratom-Vertrag auf den Weg
eine Anpassung des Euratom-Vertrages, um Europa                                       bringen. Dabei sieht sie eine Mehrheit von EU-Staa-
vor den Gefahren der Atomkraft zu schützen und die                                    ten, die sich in der Zwischenzeit für den Ausstieg
erneuerbaren Energien nicht länger zu benachtei-                                      aus der Atomenergie entschlossen hätten oder aber
ligen. Unter den „großen Baustellen“ des Euratom-                                    „nie eingestiegen“ seien.
Vertrages nannte Fouquet auch den derzeitigen
Mangel des Demokratieprinzips. Auf der einen Seite                                   Zur Entwicklung von Euratom
würden „merkwürdige Gremien“ die EU-Kommission
in diesem Bereich beraten, auf der anderen Seite                                      Die Europäische Atomgemeinschaft (EAG oder
habe das Europäische Parlament keinen Einfluss auf                                    heute EURATOM) wurde am 25. März 1957 durch
den Vertrag.                                                                          die Römischen Verträge von Frankreich, Ita-
                                                                                      lien, den Beneluxstaaten und der Bundesrepublik
Die Untersuchung basiert auf dem Ruf nach einem                                       Deutschland gegründet. Deren Vertrag zählt wie
einheitlichen europäischen Haftungsrecht als Be-                                      auch der Vertrag zur Gründung der Europäischen
standteil eines reformierten Euratom-Vertrages. „Sie                                  Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) zu den
vergleicht die derzeitige, beinahe chaotische, auf                                   „Römischen Verträgen“, welche die Basis der Euro-
jeden Fall höchst unterschiedliche Haftungssituation                                  päischen Union bilden. Die Weiterentwicklung des
in den Mitgliedstaaten, die geprägt ist vom Fehlen                                    EWG-Vertrages ist der AEUV (Vertrag über die

EU-Umweltbüro, Dresdner Straße 20/7.OG, 1200 Wien, T: +43/1/401 13-39, E: office@eu-umweltbuero.at, www.eu-umweltbuero.at
                                                                                                                                       S. 1
Arbeitsweise der Europäischen Union). Die Montan-         men für 2014 – 2020 sei eine Haushaltslinie in der
union war bereits 1951 gegründet worden.                  Höhe von 225,3 Millionen Euro für Hilfsprogramme
                                                          zur Stilllegung kerntechnischer Anlagen in Litauen,
Ziel des Euratom-Vertrages war die Schaffung von          Bulgarien und in der Slowakei festgelegt worden.
Voraussetzungen für eine mächtige Kernindustrie in
Europa. Zudem sollte den Mitgliedstaaten ermögli-          Der Euratom-Vertrag hat niemals eine grundlegende
cht werden – angesichts des strengen EU-Beihilfen-         Reform erfahren, wie Fouquet betont, sondern er
rechts – Atomkraft zu fördern. Damit verschafft er der    „verharrte im Geist der Gründungszeit nach dem
Atom-Technologie einen Vorteil gegenüber den               2. Weltkrieg, eng verbunden mit der „Atoms-for-
erneuerbaren Energien.                                     Peace-Doktrin“ der amerikanischen Regierung unter
                                                           Präsident Eisenhower“. Die Doktrin habe die bereits
 Während der Euratom-Vertrag laut Art. 208 Euratom         stark gewordene Konkurrenz zwischen US-amerika-
„auf unbegrenzte Zeit“ gilt, wurde der EWG-Vertrag         nischer und französischer Kernkrafttechnologie zum
 mehrfach durch Regierungskonferenzen geändert,            Ausdruck gebracht. Dieser Wettbewerb schlug sich
 insbesondere infolge des Fusionsvertrags von 1965,        auch stark in der Diskussion um den Euratom-Vertrag
 welcher die Exekutivorgane der drei Gemeinschaften        in seiner Entstehungs- und Gründungsphase nieder.
 (EGKS, EWG und Euratom) zusammenführte und die
 Europäische Gemeinschaft schuf.                          Ursprünglich bestand der Euratom-Vertrag aus 234
                                                          Artikeln, geordnet unter sechs Titeln im Anschluss
Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) vom 28.           an die niemals geänderte Präambel. Infolge des Ver-
Februar 1986 änderte die Verträge zur Gründung            trages von Lissabon zur Änderung des Vertrages
der Europäischen Gemeinschaft von zwölf Mitglied-         über die Europäische Union und des Vertrages zur
staaten und richtete die sogenannte europäische po-       Gründung der Europäischen Gemeinschaft, der am
litische Zusammenarbeit als Vorstufe auf dem Weg          1. Dezember 2009 in Kraft trat, war der Euratom-
zur Europäischen Union ein. Mit dem Inkrafttreten der     Vertrag auf 177 Artikel geschrumpft. Der Kernauf-
EEA wurde die Bezeichnung „Europäisches Parla-            trag im Rahmen der zivilen und „friedlichen“ Nutzung
ment“ aus den frühen 1960er Jahren primärrechtlich        der Atomenergie blieb allerdings bestehen.
bestätigt.
                                                          2018 veröffentlichte die EU-Kommission ihre Mittei-
Durch die Einführung der Verfahren der Zustimmung         lung “Communication on the future of EU Energy
(Codecision) und der Zusammenarbeit erweiterte die        and Climate Policy, including on the future of the
EEA auch die legislativen Befugnisse des Europä-          Euratom Treaty“. Darauf aufbauend informierte sie
ischen Parlaments (EP) im EWG-Vertrag, allerdings         im April 2019 mit ihrer Mitteilung für effizientere und
nicht im Euratom-Vertrag.                                 demokratischere Entscheidungspolitik im Energie-
                                                          und Klimabereich im Hinblick auf Euratom.
„Diese Weggabelung von Demokratisierung und wie-
 derkehrenden Reformen der europäischen Verträge          Die Grundsätze des Euratom-Vertrags
 und die Ausnahme- bzw. Sackgassenstellung des
 Euratom-Vertrages hat die Verkrustung des Euratom-       Wichtige Bedingungen für die Förderung der Atomin-
 Vertrages über die Jahre stetig verstärkt“, schreibt     dustrie sind in Art. 1, S. 2 Euratom enthalten: „Aufga-
 Fouquet in ihrem Gutachten. „Euratom geriet rasch in     be der Atomgemeinschaft ist es, durch die Schaffung
 gewisser Weise in den ´Schatten der EWG´ und spä-        der für die schnelle Bildung und Entwicklung von
 ter der Europäischen Union (EU).“ Bedeutungslos sei      Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur
 er jedoch nicht geworden. Vor allem infolge der Oster-   Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten
 weiterung der Europäischen Union und die Frage der       und zur Entwicklung der Beziehungen mit den ande-
 Sicherheit der dortigen Atomkraftwerke russischer        ren Ländern beizutragen.“
 Herkunft sowie die Renaissance der staatlichen Bei-
 hilfen für den Bau neuer Atomkraftwerke, wie etwa in     Art. 2 Euratom definiert die Aufgaben:
 Großbritannien oder Ungarn, sei die Bedeutung des
 Euratoms bestehen geblieben. Der Euratom habe             • Entwicklung der Forschung und Verbreitung
 einen „ausführlich definierten Förderzweck“ erhalten,       kerntechnischer Erkenntnisse
 so Fouquet.
                                                           • Erarbeitung einheitlicher Sicherheitsnormen
Weder im Euratom-Rahmenprogramm noch im Haus-                für den Gesundheitsschutz
halt der Europäischen Union seien Mittel für die För-
derung des Baus und des Betriebs von Kernkraftwer-         • Investitionserleichterungen und insbesondere
ken in den EU- bzw. angrenzenden Nicht-EU-Staaten            durch Förderung der Initiative der Unternehmen
vorgesehen gewesen. Im mehrjährigen Finanzrah-               die Sicherstellung der Schaffung der wesent-

                                                                                                              S. 2
lichen Anlagen, die für die Entwicklung der Kern-   § 2. Die Vollziehung dieses Bundesgesetzes obliegt
   energie „notwendig“ sind                            der Bundesregierung.

  • Versorgung der Gemeinschaft mit Erzen und           Das Gesetz wurde 1999, vier Jahre nach dem Bei-
    Kernbrennstoffen                                    tritt Österreichs zur Europäischen Union, durch das

                                                                                                                 Hintergrundpapier
                                                        Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies
• Überwachungsmaßnahmen zur Verhinderung                Österreich aufgehoben. In Österreich dürfen demge-
  von Zweckentfremdung bei Kernbrennstoffen             mäß keine Atomwaffen hergestellt, gelagert, getestet
                                                        oder transportiert werden. Der Bau und Betrieb von
• Gemeinschaftliches Eigentumsrecht an spalt-           Kernkraftwerken bleiben verboten. Mit Ausnahme der
  barem Material                                       „friedlichen“ Nutzung von spaltbarem Material außer-
                                                        halb der Energiegewinnung ist deren Transport und
• Schaffung eines gemeinsamen Marktes für               Lagerung verboten.
  Kerntechnische Stoffe und Anlagen,
                                                       Das Gesetz verlangt sicherzustellen, dass Schäden,
• Freizügigkeit für Fachkräfte im Bereich der          die in Österreich aufgrund eines nuklearen Unfalles
  Kerntechnik und                                      eintreten, angemessen ausgeglichen werden und die-
                                                       ser Schadenersatz möglichst auch gegenüber aus-
• Verbindung zu anderen Ländern und Institu-           ländischen Schädigern durchgesetzt werden kann.
  tionen zwecks Förderung der friedlichen Nut-         Das Bundesgesetz über die zivilrechtliche Haftung für
  zung der Kernenergie.                                Schäden durch Radioaktivität (Atomhaftungsgesetz)
                                                       vom 1. Jänner 1999 erfüllt diese Anforderungen an
Österreich und Euratom                                 eine verschuldensunabhängige Haftung der Betreiber
                                                       von Anlagen sowie Beförderer von Kernmaterialien.
Angesichts der anhaltenden Vetohaltung der So-         Es gilt der Grundsatz der unbegrenzten Haftung
wjetunion und vor dem Hintergrund einer engen          mit Deckungsvorsorgepflicht. Es besteht ein di-
Auslegung von Art. 4 des Staatsvertrages von 1955      rektes Klagerecht und es gilt das Prinzip des Erfolgs-
zwischen Österreich und den vier alliierten Staaten    ortes, sodass auf Schäden, die in Österreich eintreten,
(USA, Frankreich, Großbritannien, Sowjetunion) zur     österreichischer Gerichtsstand und öösterreichisches
Wiederherstellung der Souveränität der Republik        Recht anzuwenden sind.
Österreich, konnte Österreich den europäischen
Verträgen nicht vor dem Ende der Sowjetunion bei-      Fouquet folgert: „Die gesamte, mittlerweile histo-
treten. „Darum hat Österreich dann auch die ersten     rische und konsequente Entwicklung Österreichs
wichtigen Regierungskonferenzen zur Änderung           weg von nichtnachhaltiger Energie steht bereits
insbesondere des EWG-Vertrages und zum institu-        im Widerspruch zu dem Euratom-Vertrag mit sei-
tionellen ‚Zusammenschluss‘ nicht mitgestalten kön-    nem technologiespezifischen Förderansatz.“
nen und hatte seine seit 1978 klare Haltung auch
gegen die zivile Nutzung der Kernenergie in Bezug      Infolge der „Tradition einer nachhaltigen Energiever-
auf den Euratom-Vertrag und mögliche Reformen          sorgung ohne Atomkraft“ sei Österreich nach Ansicht
nicht einbringen können. Seine Mitgliedschaft in der   Fouquets dazu veranlasst, die Struktur und den Inhalt
Europäischen Freihandelsassoziation (European          des Euratom-Vertrages in Frage zu stellen.
Free Trade Association, EFTA) eröffnete hier natür-
lich keinen Weg“, konstatiert Fouquet.                 Österreich stünden zwei „Reformoptionen” offen:
                                                       Einerseits die „Integration der sinnvollen und
Infolge der Volksabstimmung in Österreich gegen        zusätzlich erforderlichen Bestimmungen des
die Inbetriebnahme des bereits erbauten Atom-          Euratom-Vertrags in den AEUV“ und andererseits
kraftwerks Zwentendorf hat der Nationalrat am 19.      die Beibehaltung des Euratom-Vertrags in refor-
Dezember 1978 das Bundesgesetz vom 15. De-             mierter Form.
zember 1978 über das Verbot der Nutzung der
Kernspaltung für die Energieversorgung in Ös-          Dazu habe Österreich drei Hauptansätze für einen
terreich (Atomsperrgesetz) beschlossen:                Reformvorstoß zu Euratom entwickelt und fortwäh-
                                                       rend vertreten:
§ 1. Anlagen, mit denen zum Zwecke der Energie-
versorgung elektrische Energie durch Kernspaltung        • die Beseitigung des Demokratiedefizits,
erzeugt werden soll, dürfen in Österreich nicht er-
richtet werden. Sofern jedoch derartige Anlagen          • die Eliminierung des Förderzwecks und
bereits bestehen, dürfen sie nicht in Betrieb genom-
men werden.                                              • die Verbesserung des Schutzzwecks

                                                                                                        S. 3
Folgerungen des Gutachtens                               angerufen. Er konnte, so Fouquet, über seine eigene,
                                                        „im Interesse des Umweltschutzes grundsätzlich nicht
Fouquet sieht die fehlende Einbindung des Eu-            zu bestreitende extensive Auslegung der Gesund-
ratom-Vertrags in den EU-Verfassungskonvent              heitsartikel im Euratom-Vertrag einerseits den Weg
durchaus problematisch. Der Euratom-Vertrag              zu einem harmonisierten auch umweltbezogenen
über die EU-Kernenergiepolitik sei nicht in den EU-      Nuklear-Recht in der Europäischen Union bereiten,
Verfassungskonvent unter Leitung des ehemaligen          andererseits blieb dadurch das Europäische Parla-
französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing        ment weiterhin Zaungast.“
zwischen 2002 und 2003 integriert worden und bleibe
deshalb auch in weiterer Zukunft eigenständig.          Die Europäische Kommission habe unter Euratom
                                                        und mittels der weiten Auslegung, insbesondere
Wichtig sei eine genaue mit dem Europäischen Par-       der Gesundheitsartikel des Euratom-Vertrages,
lament und der EU-Kommission zu entwickelnde            durchaus „in sich kohärente und angemessene
Richtschnur des EU-Rates zum Inhalt der Arbeits-        Rechtsetzung“ vorangetrieben, insgesamt habe
aufgaben für einen solchen Konvent.                     diese Entwicklung aber „in eine Sackgasse“ ge-
                                                        führt, und die Defizite des Euratom-Vertrages
Die Präambel, der Förderzweck allgemein, die For-       selbst wurden schließlich verstärkt.
schungsförderung, Kenntnisverbreitung, Gemein-
schaftseigentum, der gemeinsame Markt und die           Fouquet weist darauf hin, dass EU-Richtlinien oft
Außenbeziehungen könnten gemäß dem Euratom-             ausdrücklich die Anwendung ihrer Vorschriften
Vertrag im Gleichklang mit den Ansätzen im Verfas-      auf den Nuklearbereich ausschließen. Das Regel-
sungskonvent nach Einschätzung Fouquets „weitge-        Ausnahmeprinzip zwischen AEUV und Euratom-
hend gestrichen werden“.                                Vertrag funktioniere nicht durchgehend.

Ohne eine Beendigung des Förderziels für Atomanla-      Fouquet kritisiert die Zahl der Richtlinien, welche
gen im Euratom-Vertrag, die Beendigung eines eigen-     als Rechtsgrundlage den Auffangtatbestand des
ständigen Forschungshaushaltes, die Beendigung          Art. 203 Euratom-Vertrag für „Unvorhergese-
der Bestimmungen zu einem Markt für Kernmaterial        henes“ annimmt. Diese „fördern nicht das Vertrau-
könne es hinsichtlich der Förderung anderer Techno-     en in den Vertrag und seine zeitgemäße Anwend-
logien zur Energieerzeugung wie insbesondere den        barkeit“. Art. 203 Euratom könne nicht angewendet
erneuerbaren Energien kein „level playing field“ in     werden, „wenn nicht klar herleitbar ist, dass mit
Europa geben. „Das beinahe gnadenlose Primat der        einer solchen Regelung eines der Ziele des Eura-
nuklearen Warenverkehrsfreiheit im Euratom-Ver-         tom-Vertrages nach Art. 2 Euratom erreicht werden
trag ohne vergleichbare Artikel zu Ausnahmemöglich-     soll.“ Mit Art. 203 Euratom sind Regelungen als
keiten von diesem Prinzip, wie sie im AEUV niederge-    Grundlage unzulässig, die de facto auf eine Ände-
legt sind, beschränkt im Grunde die Souveränität        rung des Vertrages hinauslaufen, ohne dass das
eines Mitgliedstaates über seinen Energiemix, die       hierfür vorgesehene Vertragsänderungsverfahren
jedoch nach Art. 194 Abs. 2 AEUV zu beachten ist“,      genutzt wird.
gibt Fouquet zu bedenken.
                                                        Fouquet unterstreicht den vielfältigen Bedarf für
Die Untersuchung habe gezeigt, dass Europa in wich-     ein fortschrittliches Sicherheitsrecht im Eu-
tigen Fragen wie der Sicherheit nuklearer Anlagen,      ratom-Vertrag mit Elementen wie den strengen
dem radioaktiven Abfallrecht dem Abfallverbringungs-    Prinzipien zu Nichtverbreitung, Fondsregelungen
recht mit einer Anzahl spezifischer Regelungen auch     für Rückbaumittel, Prinzipien besserer Zusammen-
im Vergleich mit dem EU-Ausland „ein hohes Niveau“      arbeit von Nachbarstaaten, Beachtung der Aarhus-
erreicht hat.                                           und Espoo-Grundsätze.

Allerdings sei der Weg zu einer Zustimmung im Eu-       In der Aarhus-Verordnung ist die Art und Weise der
ropäischen Rat für die EU-Kommission mit ihren Vor-     Umsetzung des internationalen Übereinkommens
schlägen nicht einfach gewesen. Sie musste durch-       von Aarhus seitens der Europäischen Union und
aus auch Vorschläge zurücknehmen, nachdem es            ihrer Mitgliedstaaten geregelt, das den Zugang zu
nach jahrelanger Beratung zu keiner Verständigung       Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an
mit bzw. im Europäischen Rat gekommen war. „Be-         Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Ge-
sonders hart traf dies die Entwicklung des Nuklearpa-   richten in Umweltangelegenheiten gewährleisten
kets aus dem Jahre 2002“, betont Fouquet.               soll.

Mehrmals wurde der Europäische Gerichtshof (EuGH)       Die Espoo-Konvention stellt ein Instrument zur Be-
zur Klärung der Rechtsgrundlage für Rechtsakte          teiligung betroffener Staaten und deren Öffentlich-

                                                                                                          S. 4
keit an Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung        von Cyberangriffen gegenüber Nuklearanlagen tatsäch-
(UVP) in anderen Staaten für jene Vorhaben dar, wel-       liche Mitsprache, Offenlegung und Nachvollziehbarkeit
che erhebliche grenzüberschreitende Auswirkungen           ausschließt.“ Sowohl bei der Erweiterung um die mittel-
haben können.                                              und osteuropäischen Staaten mit einer notwendigen Be-
                                                           urteilung der dortigen im Design stark unterschiedlichen

                                                                                                                        Hintergrundinformationen
Der Euratom-Vertrag ermögliche, wie Fouquet in ihrer       Reaktoren, zeige sich wie auch viele Jahre später der
Expertise festhält, keine Kooperation auf EU-Ebene.       „StressTest als die EU-Antwort auf Fukushima, dass es
Mit der Auslegung des jetzigen Euratom-Vertrages und       keine Regeln für die nukleare Sicherheit in der EU“ gebe.
die Entwicklung im Sekundärrecht können die Beseiti-       Die Europäische Union dürfe nicht „zur Atomunion“
gung des Demokratiedefizits, die Eliminierung des          werden, welche „ganz offen die Förderung einer
Förderzwecks sowie die Verbesserung des Schutz-            Hochrisiko-Technologie mit Steuergeldern gewährt“,
zwecks nicht aufgefangen werden. Darüber hinaus,           so Lorenz. Die Atom-Expertin bewertet eine erhöhte Auf-
wie Fouquet in ihrem Gutachten feststellt, ermögliche      merksamkeit des Bundesministerium für Klimaschutz,
er keine Lebenszyklusregelung und Strahlenschutzre-        Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie
gelungen in Bezug auf die Atomanlagen.                     (BMK) für Euratom und folglich für die EU-Atompolitik
                                                          „positiv“. Diese sollte nach Ansicht Lorenz auch in der Zu-
Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass                sammenarbeit mit anderen EU-Mitgliedstaaten verstärkt
Europa nicht an einem Konvent-Prozess zur Re-              werden.
form des Euratom-Vertrages vorbeikommt. Dadurch
könnte man den Vertrag dem gesamten Lebenszyklus          Mirko Schwärzel, Bundesnetzwerk Bürgerschaft-
einer Regelung auf europäischer Ebene zuführen. Vor       liches Engagement (Deutschland):
diesem Hintergrund zeige sich laut Fouquet deutlich,
dass ohne eine solche Reform eine vollständige euro-      „Die demokratischen Fortschritte auf europäischer Ebe-
päische Entsorgungspolitik dauerhaft nicht zu ver-         ne, insbesondere die wachsenden Kompetenzen und
wirklichen sei, „es sei denn, man würde das gesamte        Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlamentes,
Kapitel zur Gesundheit aus dem Euratom-Vertrag strei-      haben den Euratom-Kontext nicht berührt. Aus zivilge-
chen und damit originär für Umwelt und Gesundheit          sellschaftlicher Perspektive noch gravierender als dieses
den AEUV-Vertrag künftig allein anwenden.“                 institutionelle Demokratiedefizit ist jedoch das Betei-
                                                           ligungsdefizit“, betont Mirko Schwärzel. Die europä-
Die vorgelegte Untersuchung bestätigt schließlich die      ische Demokratie habe sich seit den 1950er-Jahren zum
Überlegungen der österreichischen Bundesregierung          einen im Zusammenspiel der Institutionen weiterentwi-
von Österreich, den Euratom-Vertrag einem Reform-          ckelt, zum anderen wurde die Einbindung zivilgesell-
prozess zuzuführen. Angesichts „erheblicher Schwä-         schaftlicher Kräfte in Brüsseler Entscheidungsprozesse
chen“ des Vertrages seien über eine Betrachtung            fortlaufend ausgebaut und mit dem Vertrag von Lissa-
des liberalisierten Energiebinnenmarktes und dem in        bon im Jahr 2009 durch Art. 11 EUV als „partizipative
Art. 194 AEUV festgelegten Grundsatz der geteilten         Demokratie“ institutionalisiert. „Auch diese Entwicklung
Zuständigkeit im Energierecht aus Sicht Fouquets die       ging an der Governance von Euratom im Prinzip vorbei.
Forderungen der Republik Österreich an einen re-           Es ist ein großes Dilemma, dass sich gerade ein ge-
formierten Euratom-Vertrag durchaus berechtigt.            sellschaftlich so umstrittenes Feld wie die europäische
                                                           Atompolitik etablierten Standards zivilgesellschaftlicher
Zwar sei es nach Einschätzung Fouquets nicht ein-          Beteiligung und damit einer bürgerschaftlichen Mitwir-
fach, für den Reformprozess und die erforderliche          kung und Öffentlichkeit entziehen kann“, so Schwärzel.
einfache Mehrheit die Mindeststimmen im Europä-
ischen Rat zu bekommen. „Andererseits war die             Julia Bohnert, Plattform gegen Atomgefahren
Situation, diese Mehrheit zu bekommen, vielleicht         („PLAGE“):
noch nie so aussichtsreich wie derzeit“, so Fouquet.
                                                          „Als Schutzvertrag für eine einzige und noch dazu hoch-
                                                           riskante Nischenindustrie – die Atomindustrie – genießt
Weitere Stimmen zum Euratom-Vertrag                        der Euratom-Vertrag als europäisches Primärrecht den
                                                           gleichen Status wie die Charta der Grundrechte der Eu-
Patricia Lorenz, Anti-Atom-Sprecherin der                  ropäischen Union“, betont Julia Bohnert. „Abseits der
österreichischen Umweltorganisation GLOBAL                 europäischen Vergemeinschaftung begründet er eine
2000:                                                      eigene Rechtsordnung für die Atomindustrie. Das
                                                           ist ein Skandal!“ Der Euratom-Vertrag sei ein Relikt der
Sie streicht hervor, dass „sich die Kernenergienutzung     Frühphase europäischer Politik und „wie ein lebender
per se einer Demokratisierung nicht aufdrängt, wenn das    Dinosaurier, der völlig aus der Zeit fällt und (dennoch)
hohe Gefährdungspotential durch die Technologie selbst     sämtliche Fortschritte des EU-Rechts und der europä-
und Sabotage, Terrorangriffe und die steigende Gefahr      ischen Integration schlagkräftig abwehrt“, so Bohnert.

                                                                                                               S. 5
Quellen:

https://www.bmk.gv.at/dam/jcr:2d04df98-ac76-44a1-b058-7a8b011734da/Gutachten-Fouquet_Euratom-Vertrag.pdf (Gutachten
Dörte Fouquets zum Euratom-Vertrag/pdf)

https://www.bmk.gv.at/service/presse/gewessler/20210503_reform-euratom-Vertrag.html

https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/betrieblich_umweltschutz/uvp/espoo.html

https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2021/07/23/eu-ambassadors-endorse-update-to-legislation-on-access-to-
justice-in-environmental-matters-aarhus-regulation/

https://www.dorftv.at/video/27227 (Video Dörte Fouquet - Darstellung der rechtlichen Möglichkeiten eines einseitigen Ausstiegs aus
Euratom)

https://www.global2000.at/akw-hinkley-point

https://orf.at/stories/3211624/

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20180712_OTS0064/euratom-macht-staatsbeihilfen-fuer-atomkraft-moeglich-global-
2000-fordert-dringend-die-beendigung-von-veraltetem-euratom-vertrag

https://www.plage.at/wortkraft/euratom-analyse

https://www.plage.at/OnlinePdf/Euratom_Analyse_2021/epaper/ausgabe.pdf

https://www.plage.at/aktuelle-meldungen/gewessler-neue-euratom-analyse-zukunftskonferenz

https://www.umweltdachverband.at/inhalt/eu-zukunftskonferenz-ruf-nach-reform-des-euratom-vertrages

https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Atomgemeinschaft

                                                                                                                                S. 6
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