Mitarbeit und Störung im Unterricht: Klassenführung an HASCH und HAK1
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Johannes Mayr Mitarbeit und Störung im Unterricht: Klassenführung an HASCH und HAK1 „Wie können Lehrerinnen und Lehrer ihre Klassen so führen, dass die Schülerinnen und Schüler im Unterricht mit Engagement bei der Sache sind und der Unterricht relativ wenig durch Störungen behindert wird? Wie können sie mit den dennoch auftretenden Konflikten wirkungsvoll umgehen? Gibt es Wege des pädagogischen Handelns, die diese Ziele in einer Weise zu erreichen helfen, die zugleich das Befinden von Schülern und Lehrern fördert bzw. es zumindest nicht beeinträchtigt?“ Zu diesen Fragen werden im Folgenden • einige theoretische Überlegungen angestellt, • Befunde aus empirische Studien präsentiert, • Anregungen gegeben, wie diese Überlegungen und Befunde zur Weiterentwicklung des Lehrerhandelns genutzt werden können. 1 Beobachtungen Wenn man durch ein Schulhaus geht, so kann man auch als Laie bemerkenswerte Unterschiede im Verhalten der einzelnen Lehrerinnen und Lehrer und auch der Schülerinnen und Schüler feststellen. Werfen wir zur Illustration einen Blick auf den Beginn eines Schultages in einer fiktiven Handelsakademie: • Szene 1: Die Schulglocke läutet zum zweiten Mal. Einige Lehrerinnen und Lehrer eilen zu ihren Klassen und schließen die Türen hinter sich. Aus einer dieser Klassen hört man bald nur mehr die Stimme des Lehrers: Mit Enthusiasmus trägt er den Lehrstoff vor - dass auch Schüler im Raum sind, erkennt man nur an gelegentlichem Räuspern oder Sessel-Rücken. Die Lehrerin einer anderen Klasse hat sich während dessen in einen lautstarken Disput mit einem Schüler über eine nicht gebrachte Hausaufgabe verwickelt, in den sich einige seiner Mitschüler durch Zwischenrufe einmengen. 1 Geringfügig überarbeitetet Version eines gleichnamigen Beitrags, erschienen in: Peter Baumgartner & Heike Welte (Hrsg.). (2002): Reflektierendes Lernen. Beiträge zur Wirtschaftspädagogik. Innsbruck: Studienverlag. 1
• Szene 2: Zwei andere Lehrer schlendern während dessen den Gang entlang, offensichtlich gut gelaunt, holen Unterrichtsmaterial aus dem Lehrmittelzimmer, verabreden sich noch für den Nachmittag und betreten dann ihre Klassen. Bei einem von ihnen scheint das die Schüler nicht sonderlich zu beeindrucken: Ihre Unterhaltung wird kaum leiser und der Lehrer hat Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Sein Kollege ist in der Zwischenzeit schon wieder auf dem Weg zurück ins Lehrerzimmer: Angesichts des leeren Klassenraums hat er sich erinnert, dass seine Schüler heute mit einer Kollegin auf Exkursion sind. Unterwegs begegnet er einer Schülerin, die ebenfalls auf den Exkursionstermin vergessen hat und nun ratlos ist, was sie tun soll. • Szene 3: Im Weitergehen stößt man auf einige Schüler, die unterwegs in die Bibliothek sind, wo sie sich mit Büchern eindecken, um an ihrem Projekt weiter zu arbeiten. In einer Nische am Gang vor der Klasse sitzt eine Gruppe bereits bei der Arbeit, während man durch die offene Klassenzimmertür mitbekommt, wie die Lehrerin mit zwei Schülern die nächsten Arbeitsschritte berät. Die Lehrerin muss wohl schon beim ersten Läuten in der Klasse gewesen sein, sonst wäre es nicht möglich, dass zu dieser Zeit der Unterricht bereits läuft. Oder haben die Schüler auch ohne Anwesenheit der Lehrerin an ihrem Projekt weitergearbeitet? 2 Betrachtungsweisen 2.1 Die Suche nach den Ursachen Die vorhin geschilderten Verhaltensweisen der Schülerinnen und Schüler (und auch die ihrer Lehrpersonen) erlauben unterschiedliche Betrachtungsweisen, einfachere und komplexere: • Eine einfache Sichtweise ist es, jede der handelnden Personen zunächst einmal für sich zu betrachten: den Schüler, der seine Hausaufgabe nicht vorweisen kann und die Lehrerin, die ihm Vorhaltungen macht; die Schülerin, die auf die Exkursion vergessen hat und ihren Lehrer, dem das selbe passiert ist; die Schüler die zielgerichtet am Projekt arbeiten und ihre unterstützend tätige Lehrerin. Die Ursachen für die konstruktiven Verhaltensweisen ebenso wie für die problematischen werden bei dieser individuumsorientierten Betrachtungsweise in den einzelnen Personen lokalisiert: in ihrer Leistungsmotivation, in ihrem Aggressionspotenzial oder in ihrer Psychodynamik, die sie z.B. zwänge, belastende Kindheitserlebnisse in der Schule „abzuarbeiten“. Die Wurzeln für diese Dispositionen wären in der individuellen Sozialisationsgeschichte, vielleicht auch in organischen Faktoren zu finden. Abhilfe könnte – dieser Sichtweise folgend – eventuell eine psychologische oder ärztliche Behandlung der „Problemfälle“ schaffen. 2
• Eine komplexere Sicht bietet eine interpersonale Betrachtungsweise: Die Ursache für den Lärm in der einen Klasse und das Zuspätkommen der Schülerin würde dabei im Verhalten der jeweiligen Lehrpersonen gesucht. Wenn diese sich ein anderes Verhalten der Schüler wünschen, dann müssten sie sich selbst anders verhalten: zum Beispiel interessanter unterrichten, damit die Schüler aufpassen; die Hausaufgaben in die Leistungsbeurteilung einbeziehen, damit sie auch gemacht werden; durch die eigene Pünktlichkeit den Schülern ein Vorbild geben. In einer interpersonalen Betrachtungsweise kann aber auch das Schülerverhalten als Auslöser des Lehrerverhaltens gesehen werden: Wenn die Schüler (wie in Szene 3) verlässlich arbeiten, kann sie die Lehrerin leicht unbeaufsichtigt lassen. Und es erscheint nachvollziehbar, dass die Lehrerin in Szene 1 ärgerlich reagiert, wenn Schüler die Hausaufgabe nicht machen und dann auch noch zu Ausreden Zuflucht nehmen. Lehrer und Schüler beeinflussen einander also wechselseitig – die Frage ist allenfalls, welcher der Interaktionspartner dabei den Anfang gemacht hat (nach Watzlawick, Beavin & Jackson, 1985, ein letztlich unlösbares Problem der „Interpunktion“). • Ohne solche Ursachen - oder gar Schuld-Zuschreibungen kommt dagegen die systemische Betrachtungsweise aus: Das Verhalten aller handelnden Personen wird dabei als Resultat der Wirkkräfte im Gesamtsystem – bestehend aus Schülern, Lehrern und sozialem Umfeld - betrachtet. Die „Verhaltensauffälligkeit“ des „Problemschülers“ (oder des „Problemlehrers“) wird damit zum Symptom für Dysfunktionalitäten im System. Die lockere Arbeitshaltung der beiden Lehrer in Szene 2 ist vielleicht „notwendig“, um dem Enthusiasmus der Lehrerin in Szene 1 erst jene „Strahlkraft“ zu verleihen, die die Schüler so aufmerksam sein lässt, und die Verärgerung des Lehrers über die fehlende Hausaufgabe „erfordert“ in gewisser Weise die Gelassenheit anderer Lehrkräfte. Mit dieser Sichtweise hebt sich letztlich die Frage nach der Verursachung auf und die vorhin noch selbstverständlich erscheinende Bewertung von Verhaltensweisen wird obsolet: Jedes Verhalten trägt letztlich seinen Teil zum Funktionieren des Gesamtsystems bei und kann in seinem Potenzial für die Weiterentwicklung des Systems gesehen und gewürdigt werden. Ziel ist damit nicht mehr die rasche Beseitigung von Problemverhalten oder der Ausschluss von „Symptomträgern“ aus der Klasse, sondern die Weiterentwicklung des Systems unter geteilter Verantwortung aller Mitglieder dieses Systems. Hennig & Knödler (2000) konstatieren im Laufe der Psychologie-Geschichte einen Wandel von der individuumsorientierten über die interpersonale hin zur systemischen Betrachtungsweise, ohne dass durch dieses Fortschreiten die älteren Ansätze bedeutungslos geworden wären. Wenn es um die Vermeidung von Disziplinproblemen geht, dann könnte das 3
bedeuten: Auf der Basis einer systemischen Sicht kann auch der individuelle Anteil einzelner Personen mitbedacht werden und – was ganz zentral für das hier abgehandelte Thema ist - das Verhalten der Lehrerinnen und Lehrer kann als Einflussfaktor auf das Schülerverhalten gesehen werden. Nur dann macht es letztlich Sinn, nach wirkungsvollen Wegen der Klassenführung zu suchen und Lehrer zu ermutigen ihre Verantwortung – oder genauer: ihren Anteil an Verantwortung – für das Geschehen in der Klasse wahrzunehmen. Dieser Anteil ist im hierarchisch strukturierten Schulsystem zweifellos ein sehr bedeutsamer (vgl. Grell & Grell, 1999). Die Frage „wer angefangen hat“ tritt dabei zurück hinter die Frage: Was können Lehrerinnen und Lehrer tun, um zu einem produktiven Lehr- und Lernklima beizutragen? 2.1 „Strategien“, die „Disziplin“ fördern Ziel der hier angestellten Überlegungen ist nicht das Eliminieren von Unterrichtsstörungen und das Vermeiden zwischenmenschlicher Konflikte (was unmöglich wäre, selbst wenn man es erreichen möchte), wohl aber deren Reduzierung auf ein Ausmaß, das ein wirksames fachliches und überfachliches Lehren und Lernen erlaubt. „Disziplin“ wird damit primär als ein notweniges Zwischenziel zur Erreichung von Lehr- und Lernerfolg gesehen. Ein gewisses Ausmaß an Disziplin ist überdies eine Voraussetzung dafür, dass Konflikte der Schüler untereinander und zwischen Schülern und Lehrpersonen produktiv bearbeitet werden können. Diese Zwischenziel-Funktion von Disziplin schließt nicht aus, sie im Sinne von „Selbst- Disziplin“ auch als eine über die aktuelle Situation hinaus wirksame und auch für andere Lebenssituationen hilfreiche Disposition zu betrachten und als eigenständiges pädagogisches Ziel anzustreben. Die zur Erreichung dieses (Zwischen-)Ziels von Lehrerinnen und Lehrern gesetzten pädagogischen und didaktischen Maßnahmen werden im Folgenden als „Strategien“ bezeichnet. Das soll unterstreichen, dass das Lehrerverhalten intentional sein kann (ihm also der Status einer „Handlung“ zukommt) und potenziell in umfassendere Pläne eingebettet ist (was den Begriff „Strategie“ nahe legt). Dass das Agieren von Lehrern häufig nur teilbewusstes „Tun“ ist, oftmals auch nur den Status von (reaktivem) „Verhalten“ hat, soll damit nicht bestritten werden. Im Gegenteil: Eine gewisse Routinisierung des Handelns erscheint durchaus wünschenswert und ist charakteristisch für Professionalität (vgl. Groeben, 1986; Bromme, 1992). Für manche der im Folgenden thematisierten Aspekte des Agierens von Lehrern wäre „strategische Zielgerichtetheit“ wahrscheinlich sogar kontraproduktiv: Schüler wünschen sich z.B. einen „Lehrer, der sie mag“ – nicht einen, der emotionale Zuwendung von Berufs wegen ausübt – und in einer angespannten Situation ist „Humor als Persönlichkeitsmerkmal“ gefragt, nicht „humorvolles Verhalten“. Der Begriff „Strategie“ 4
wird hier dennoch als Oberbegriff für alle diese Phänomene verwendet. Und sofern ausgedrückt werden soll, dass ein Bündel von Strategien gemeinsam für das Verhalten eines Lehrers charakteristisch ist, dann ist von „Wegen der Klassenführung“ die Rede. In ähnlicher, nicht ganz trennscharfer Weise werden im Folgenden auch die Begriffe „Konflikte“ und „Störungen“ verwendet. Es schwingen bei Ausdrücken dieser Art immer gewisse Konnotationen mit, die man lieber nicht dabei hätte – verwendet man dagegen ein anderes Wort, dann löst das in der Regel nicht das Problem, sondern verschiebt es nur. Keiner dieser Begriffe kann beanspruchen, der „bessere“ zu sein, er ist allenfalls der (relativ) „passendere“ von mehreren möglichen für den beabsichtigten Redezweck (zur Terminologie siehe Cloer, 1982; Lissmann, 1995). 3 Strategien und Wege der Klassenführung 3.1 Quellen des Wissens Wenn es um die Frage geht, welche pädagogischen Handlungsstrategien geeignet sind, Disziplin zu fördern, dann kommen für die Beantwortung dieser Frage Wissensbestände unterschiedlicher Herkunft in Betracht. Sie lassen sich grob zwei Kategorien zuordnen: • dem Alltagswissen von Personen mit Erfahrungen im pädagogischen Feld, wie es sich in den subjektiven Theorien von Lehrern und Schülern niederschlägt (vgl. Schlee & Wahl, 1987); • den wissenschaftlich entwickelten oder zumindest wissenschaftlich überprüften Theorien und Befunden insbesondere aus der Lerntheorie, aus der Unterrichtsforschung und aus unterschiedlichen psychotherapeutischen Richtungen. In die im Folgenden zusammengestellten empirischen Befunde sind Informationen aus beiden Wissensquellen eingegangen. Sie stammen aus einer Sammlung und empirischen Überprüfung von „Ratschlägen“ von Lehrern und Schülern und von Theorien und Befunden aus der pädagogisch-psychologischen Literatur bzw. von daraus abgeleiteten „Handlungsempfehlungen“. Die Überprüfung erfolgte zunächst an Hauptschulklassen (Mayr, Eder & Fartacek, 1991) und wurde dann ausgedehnt auf alle Schularten von der Grundschule bis zum tertiären Bildungsbereich. In die dargestellten Befunde fließen Erkenntnisse ein, die anhand von Daten mehrerer Tausend Schülerinnen und Schüler und einiger Hundert Lehrerinnen und Lehrer gewonnen wurden. Eine besondere Rolle spielt dabei die Analysen des pädagogischen Handelns von Lehrpersonen, die im Sinne der einleitend formulierten 5
Zielstellung als „erfolgreich“ bezeichnet werden können (zu diesem „Expertenansatz“ siehe Bromme, 1992). 3.2 Empirische Befunde2 Als vorläufiges Ergebnis zeichnen sich 21 Handlungsstrategien ab, die für die Mitarbeit der Schüler im Unterricht bzw. die Häufigkeit von Unterrichtsstörungen relevant erscheinen. Sie lassen sich aufgrund inhaltlicher Gesichtspunkte und statistischer Analysen zu folgenden drei Bereichen zusammenfassen (siehe dazu Abbildung 1): • „Unterricht gestalten“. Dieser Bereich enthält u.a. Strategien, die sich in der Unterrichtsforschung als substanzielle Charakteristika „guten Unterrichts“ herauskristallisiert haben bzw. gängigen methodisch-didaktischen Konzepten entsprechen (siehe z.B. Helmke & Weinert, 1997; Grell & Grell, 1999; Meyer, 1999). • „Beziehungen fördern“. Die Strategien dieses Bereichs spiegeln pädagogische Haltungen und Interaktionsformen wider, die von der humanistischen Psychologie empfohlen werden (vgl. Singer, 1996; Gordon, 1997; Tausch & Tausch, 1998). • „Verhalten kontrollieren“. Dieser Bereich umfasst lerntheoretisch fundierte bzw. aus den angloamerikanischen Forschungen zum classroom management bekannte Strategien (Kounin, 1970; Emmer, Evertson, Sanford, Clements & Worsham, 1985; Robertson, 1996). Die Strategien des ersten Bereichs haben durchwegs störungspräventiven Charakter, dh. sie sollen die Schüler zur Mitarbeit anregen und die Wahrscheinlichkeit von Unterrichtsstörungen vermindern (z.B. die Strategie, Schüler im Unterricht immer zu beschäftigen). In den anderen Bereichen sind sowohl präventive Strategien vertreten als auch reaktive, also auf die Beendigung einer Störung gerichtete Strategien (wie z.B. unerwünschtes Schülerverhalten mit Sanktionen zu belegen). Manche Strategien können sowohl präventiv als auch reaktiv eingesetzt werden (z.B. das Sprechen über den Unterricht). Im Folgenden werden wichtige Ergebnisse und Folgerungen aus den bisherigen Studien vorgestellt. Dabei werden Befunde in den Vordergrund gestellt, die an Handelsschulen und Handelsakademien gewonnen wurden. Befund 1: Das Verhalten von Lehrern, in deren Unterricht die Schüler intensiv mitarbeiten, wenig stören und zugleich zu diesen Lehrern positiv eingestellt sind, liegt innerhalb einer bestimmten, je nach Strategie unterschiedlichen Bandbreite. 2 Für laufend aktualisierte Angaben zum Forschungsstand siehe http://ius.uni-klu.ac.at/projekte/ldk/ 6
Abbildung 1 zeigt diese Bandbreite für die Klassenführung von Lehrerinnen und Lehrern an Handelakademien und Handelsschulen. Die Daten stammen von Lehrkräften, die von Studenten der Wirtschaftspädagogik rückblickend auf ihre Schulzeit als besonders qualifiziert im Hinblick auf die genannten Kriterien eingeschätzt worden waren. Strategien der Klassenführung an Handelsschulen und Handelsakademien stimmt stimmt nicht Unterricht gestalten 5 4 3 2 1 1 Sie/Er kann sehr viel in ihrem/seinem Fach. + 4 Sie/Er beginnt jede Stunde freudig und zuversichtlich. + 7 Sie/Er gliedert die Unterrichtsstunde in Abschnitte, die gut aufeinander passen. + 10 Bei ihr/ihm wissen wir genau, was wir zu arbeiten haben. + 18 Sie/Er unterrichtet interessant. + 20 Wenn sie/er etwas verspricht oder ankündigt, dann hält sie/er das auch ein. + 21 Was wir bei ihr/ihm lernen, bringt auch etwas für das spätere Leben. + Beziehungen fördern 5 4 3 2 1 2 Sie/Er tut vieles, damit wir eine gute Klassengemeinschaft werden. + 5 Wir reden mit ihr/ihm auch über den Unterricht und über die Klasse. + 8 Sie/Er versucht uns auch dann zu verstehen, wenn wir ihr/ihm einmal Schwierigkeiten machen. + 11 Sie/Er ist zu uns offen und ehrlich. + 14 Ich glaube, sie/er mag uns. + 16 Sie/Er ist ausgeglichen und humorvoll. + 19 Sie/Er lässt uns vieles selbst entscheiden. + Verhalten kontrollieren 5 4 3 2 1 3 Sie/Er bemerkt alles, was in der Klasse vor sich geht. + 6 Sie/Er kontrolliert laufend, wie wir arbeiten und was wir können. 9 Sie/Er äußert sich anerkennend, wenn sich Schüler so verhalten, wie sie/er es haben möchte. + 12 Sie/Er greift gleich ein, wenn ein Schüler zu stören anfängt. 13 Sie/Er achtet darauf, dass wir im Unterricht immer beschäftigt sind. + 15 Wenn sich Schüler bei ihr/ihm falsch verhalten, müssen sie mit Sanktionen rechnen. + 17 Bei ihr/ihm wissen wir genau, welches Verhalten sie/er von uns erwartet. + Die Angaben in der Tabelle beziehen sich auf 56 Lehrerinnen und Lehrer, in deren Unterricht die Schüler intensiv mitarbeiten und relativ wenig stören. Überdies sind die Schüler zu diesen Lehrkräften positiv eingestellt. Die Mittelwerte der einzelnen Lehrer liegen jeweils innerhalb der hellgrau markierten Bandbreite. Der Mittelwert der Gesamtstichprobe liegt im dunkelgrauen Feld. Ein + bedeutet, dass es im Hinblick auf die angeführten Kriterien günstiger sein dürfte, näher an dieser Seite der Bandbreite zu liegen. Die Statements sind in der Tabelle thematisch geordnet, die Nummern entsprechen ihrer Reihenfolge im „Linzer Fragebogen zur Klassenführung“ (LDK). Abbildung 1: Strategien der Klassenführung: Bandbreite des Verhaltens „erfolgreicher“ Lehrer an HAK und HASCH aus Sicht der Schüler 7
Diese Bandbreite ist bei manchen Strategien relativ schmal (z.B. bei der fachlichen Kompetenz), bei anderen sehr groß (z.B. beim Reden über den Unterricht und die Klasse). Einigen dieser Lehrer wurde – was auf den ersten Blick überraschend erscheinen mag - ein relativ unstrukturierter oder wenig interessanter Unterricht (Strategien 7 bzw. 18) oder eine starke Tendenz zu Sanktionen (Strategie 15) attestiert. Vermutlich ist das ein Hinweis darauf, dass Kompetenzdefizite in dem einen oder anderen Bereich durch hohe Kompetenzen in anderen Bereichen kompensiert werden können (vgl. dazu Weinert & Helmke, 1996). Befund 2: Bei den meisten Strategien lässt sich eine besonders günstige Position innerhalb der Bandbreite angeben. In Abbildung 1 ist durch Plus-Zeichen ersichtlich gemacht, wenn es bei einer Strategie günstig erscheint, dass sie intensiver oder weniger intensiv angewandt wird. Diese Einschätzungen resultieren aus einer Zusammenschau aller bisher vorliegenden Untersuchungen unter Berücksichtigung der Kriterien Mitarbeit der Schüler, Häufigkeit von Unterrichtsstörungen und Einstellung der Schüler zum Lehrer. Dabei wurde ein Plus nur dann vergeben, wenn die Strategie mit zumindest einem dieser Kriterien signifikant korreliert und zugleich keine Hinweise vorliegen, dass diese Strategie bezüglich eines anderen Kriteriums negative Auswirkungen hat (für die entsprechenden Befunde siehe Mayr et al., 1991; Stockinger, 1999; Mayr, im Erscheinen). Bei einigen Strategien scheint die individuelle Position innerhalb der Bandbreite ohne nennenswerten Einfluss auf die Erfolgskriterien zu sein. Es gibt Grund zur Annahme, dass es sich dabei um Strategien handelt, bei denen ein mittleres Realisierungsausmaß für viele Situationen angemessen ist. Zum Beispiel kann beim Eingreifen, wenn Schüler zu stören beginnen (Strategie 12) ein zu rasches ebenso wie ein zu spätes Intervenieren zu Problemen führen. Im ersten Fall wird „zu viel des Guten“ getan (Patry & Klaghofer, 1988) und die Aggressionsneigung könnte steigen, im anderen Fall zu wenig und das Störverhalten (z.B. das Plaudern der Schüler mit dem Sitznachbarn) würde - weil vom Lehrer offensichtlich toleriert - zunehmen. Dieses Beispiel verweist auch auf die Möglichkeit, dass eine bestimmte Strategie sich unterschiedlich auf die einzelnen Kriterien auswirkt. Abbildung 2 enthält Angaben über solche Zusammenhänge aus einer Untersuchung von Stockinger (1999), der das Verhalten aller Lehrkräfte aus einer zweiten HASCH-Klasse und einer zweiten HAK-Klasse durch die Schülerinnen und Schüler einschätzen ließ und sie auch bat, ihr eigenes Lern- und Sozialverhalten im Unterricht dieser Lehrkräfte zu beurteilen. Diese Untersuchung ist insofern interessant, als bei ihr – im Gegensatz zu den meisten Studien – die 8
Schüler dieselben sind und nur die Lehrer variieren. Mit der gebotenen Vorsicht (vgl. Abschnitt 2) können daher die Unterschiede im Lehrerverhalten als Ursache für die Unterschiede im Schülerverhalten interpretiert werden. Die alternative Erklärungsvariante, die Schüler würden sich bei den einzelnen Lehrern unterschiedlich verhalten und dadurch deren Verhalten steuern bzw. die Unterschiede in den sozialen und didaktischen Interaktionen wären nur aus der Dynamik des Systems dieser Klasse verstehbar, erscheint zumindest als Globalerklärung sehr unwahrscheinlich: In beiden untersuchten Klassen zeigen sich sehr ähnliche Korrelationsmuster, und sie stimmen auch weitestgehend mit den Zusammenhangsstrukturen überein, die in Studien mit anderem Design gefunden worden waren. Lernengagement: Störverhalten: „Note“ im Unterricht aggr.Verhalten für den zu Hause Unruhe Lehrer 1 Er kann sehr viel in seinem Fach ,75 ,57 -,49 -,83 ,72 4 Er beginnt jede Stunde freudig und zuversichtlich -,92 ,85 7 Er gliedert die Unterrichtsstunde in Abschnitte... ,66 ,39 -,65 -,80 ,82 10 Bei ihm wissen wir genau, was wir zu arbeiten haben ,85 ,69 -,59 -,61 ,79 18 Er unterrichtet interessant ,78 -,84 -,43 ,96 20 Wenn er etwas verspricht oder ankündigt, ... hält er das ... ein ,69 -,86 -,47 ,95 21 Was wir bei ihm lernen, bringt auch etwas für das ... Leben ,50 ,76 -,62 2 Er tut vieles, damit wir eine gute Klassengem. werden ,36 -,60 ,66 5 Wir reden mit ihm auch über den Unterricht ... 8 Er versucht uns auch dann zu verstehen, wenn wir ... ,40 -,88 ,83 11 Er ist zu uns offen und ehrlich ,55 -,81 ,86 14 Ich glaube, er mag uns ,56 -,94 -,75 ,91 16 Er ist ausgeglichen und humorvoll ,55 -,87 ,87 19 Er lässt uns vieles selbst entscheiden -,83 ,68 3 Er bemerkt alles, was in der Klasse vor sich geht ,41 -,62 ,47 6 Er kontrolliert laufend, wie wir arbeiten u. was wir können ,39 ,58 -,42 9 Er äußert sich anerkennend, wenn sich Schüler ... ,43 -,37 ,49 12 Er greift gleich ein, wenn ein Schüler zu stören anfängt -,81 13 Er achtet darauf, dass wir im Unterricht ... beschäftigt sind ,82 ,85 -,65 ,42 15 Wenn sich Schüler bei ihm falsch verhalten, ... Sanktionen ,58 -,44 17 Bei ihm wissen wir genau, welches Verhalten er ... erwartet ,67 ,49 -,78 ,58 N = 15 Lehrerinnen und Lehrer; verrechnet wurden jeweils die Mittelwerte der Einschätzungen aus Schülersicht; eingetragen sind Korrelationen, die zumindest eine Tendenz zur Signifikanz aufweisen, Koeffizienten ab .46 sind signifikant (p < .05, einseitig); Ablesebeispiel: Je fachlich kompetenter ein Lehrer von der Klasse eingeschätzt wird (Strategie 1), desto höher ist das Lernengagement der Schüler, desto weniger Störverhalten tritt auf und desto positiver „benoten“ die Schüler diesen Lehrer. Abbildung 2: Zusammenhänge zwischen den Strategien der Klassenführung, dem Schülerverhalten und der Beurteilung des Lehrers in einer HASCH-Klasse (nach Stockinger, 1999) 9
Befund 3: Lehrer bevorzugen unterschiedliche Kombinationen von Handlungsstrategien. Manche der in der Klassenführung erfolgreichen Lehrpersonen bevorzugen eher beziehungsfördernde, kommunikative Strategien, manche betonen deutlicher das fachliche Lernen, manche stützen sich stärker auf "disziplinierende" Maßnahmen, und bei manchen sind keine markanten Verhaltenstendenzen zu erkennen, ihr Verhalten liegt jedoch innerhalb der oben angesprochenen Bandbreite. Diese vier „Wege der Klassenführung“ lassen sich herausfiltern, indem man einander ähnliche Verhaltensprofile auf statistischem Weg zusammenfasst (Mayr et al., 1991, bzw. Mayr, 2004). Wenn ein Lehrer (fast) ausschließlich einen dieser Wege wählt, egal in welcher Klasse und welches Fach er gerade unterrichtet, dann könnte man von einem „Lehrertyp“ sprechen. Reine Vertreter des jeweiligen Typus würden sich ungefähr so beschreiben, wie es in Kasten 3 wiedergegeben ist (die Formulierungen wurden angeregt durch Aussagen von Lehrern in Interviews im Zuge der Studie von Mayr et al., 1991, und durch Beschreibungen dieser Typen bei Thanhoffer, Reichel & Rabenstein, 1992). Befund 4: Welche Handlungsstrategien von Lehrern angewandt werden, hängt auch von Kontextbedingungen ab. Auch wenn viele Lehrer bestimmte Wege der Klassenführung bevorzugen, stimmen sie ihr Handeln doch mehr oder weniger deutlich auf die Situation in der jeweiligen Klasse ab. Es zeigte sich z.B., dass in leistungsstarken sowie in leistungsheterogenen Klassen eher als in leistungsschwachen Klassen beziehungsfördernde Strategien angewandt werden und in Problemklassen eher disziplinierend agiert wird (vgl. auch Köttl & Sauer, 1980). Weiters: In der Funktion des Klassenvorstands agieren viele Lehrer stärker kommunikativ und Konflikte klärend (entsprechend Typ A) – in der Parallelklasse, in der sie diese Funktion nicht ausüben, beschränken sie sich vielleicht auf die Rolle als „Fach-Lehrer“ (Typ B). Das heißt zugleich auch: Man kann sinnvollerweise eher von (mehr oder weniger variablen) „Verhaltensmustern“ sprechen als von (situativ relativ stabilen) „Lehrertypen“. In der bildhaften Sprache Schulz von Thuns (1998) könnte man es so formulieren: Lehrer haben in ihrem „inneren Team“ unterschiedliche „Spieler“ zur Verfügung; manche bringen (fast) nur ihre „Stammspieler“ zum Einsatz und pflegen die Ersatzspieler auf der Ersatzbank zu lassen, andere schicken sehr flexibel jeweils jene Spieler aufs Feld, die ihnen für die jeweilige Spielsituation am passendsten erscheinen: einmal die für gute Kontakte zu den Schülern, ein anderes Mal die fürs direktive Eingreifen bei Störungen (für eine ausführliche Diskussion der Situationsspezifität pädagogischen Handelns siehe Patry & Riffert, 2000). 10
Wege der Klassenführung Weg A: Kommunikativ-beziehungsorientiertes Handeln „Mir ist die persönliche Beziehung zu den Schülern wichtig, und ich möchte, dass auch die Schüler gut mit einander auskommen. Sicher sind die heutigen Kinder und Jugendlichen nicht immer einfach – es ist ja auch nicht leicht, in einer Zeit wie der unsrigen aufzuwachsen! Aber ich mag sie einfach so wie sie sind, und ich versuche sie zu verstehen, auch wenn sie dann und wann Schwierigkeiten bereiten. Wenn es einen Konflikt gibt, dann spreche ich ihn offen an und versuche mit den Schülern gemeinsam eine für alle akzeptable Lösung zu finden. Die Schüler kommen auch immer wieder mit privaten Problemen zu mir oder wenn es Schwierigkeiten mit anderen Lehrern gibt, leider zählt für manche Kollegen ja nur der Lehrstoff. Auch ich möchte natürlich, dass die Schüler viel vom Unterricht profitieren und Interesse am Fach gewinnen – im Zweifelsfall ist mir aber immer der Mensch wichtiger als der Stoff. Die positiven Rückmeldungen von Schülern und Eltern bestätigen mich auf diesem Weg!“ Weg B: Fachorientiertes Handeln „Ich bin in der glücklichen Lage, ein sehr interessantes Fach zu unterrichten. Es hat mich schon während meiner eigenen Schulzeit und im Studium fasziniert. Und jetzt habe ich als Lehrer die Chance, dieses Fach jungen Menschen nahe zu bringen! Meinem Eindruck nach gelingt mir das auch mit einigem Erfolg. Wichtig finde ich, dass man den Unterricht fachlich und methodisch sehr gut vorbereitet. Dann geht man schon mit Freude in die Klasse kann sich sicher sein, dass man den Schülern Interessantes zu bieten hat, dass sie sich im Unterricht gut auskennen und viel profitieren. Meine Schüler Sie sind dann meist wirklich ganz toll bei der Sache und Ihre Leistungen fallen entsprechend aus, so dass ich ihnen oft Anerkennung aussprechen kann. Unterrichtsstörungen kommen bei mir kaum vor, ich würde die Unruhe und die Konflikte auch gar nicht aushalten, die es bei manchen Kollegen im Unterricht gibt!“ Weg C: Disziplinierendes Handeln „Die heutigen Schüler sind nicht einfach zu führen, dennoch komme ich recht gut mit ihnen zurande. Man muss als Lehrer einfach die Schüler von Anfang an klar wissen lassen, welches Verhalten man von ihnen erwartet. Weiters gilt es, immer die ganze Klasse im Auge zu behalten, und wenn ein Schüler zu stören beginnt, dann greift man am besten sofort ein, ehe er auch andere zu Unfug verleitet. Bei gröberen Verstößen soll man keine Scheu zeigen, Sanktionen zu verhängen. Wichtig ist auch, dass es im Unterricht keine Leerläufe gibt, sondern dass die Schüler immer beschäftigt sind. Und wenn sie ordentlich arbeiten, dann haben sie sich auch einmal ein Lob verdient. Manchmal komme ich mir mit diesem Unterrichtsstil zwar wie ein „Dompteur“ vor, aber dafür habe ich auch in schwierigen Klassen keine Disziplinprobleme, wie leider so manche andere Lehrer!“ Weg D: Arbeitsökonomisches Handeln „Ich glaube, dass ich im Umgang mit den Schülern keine besonders markanten Eigenheiten aufweise – weder besonders ausgeprägte Vorlieben noch ins Gewicht fallende Schwächen. Ich denke aber, dass ich meine Sache ganz gut mache: Die Schüler arbeiten im Unterricht ordentlich mit, und der Spaß kommt nicht zu kurz. Den Schülern gefällt offensichtlich meine Art des Unterrichts, auch wenn ich nicht der Lehrer bin, der sich für die Schule „zerspragelt“! Vielleicht ist es ihnen sogar ganz recht, dass ich nicht nur die Schule im Kopf habe, wie so manche andere Lehrer, und dass ich das Ganze auch mit einer gewissen Lockerheit nehme. Wenn ich heute nochmals wählen müsste, ich würde sofort wieder Lehrer werden – es ist ein schöner Beruf mit viel Abwechslung, und vor allem: Er lässt noch genügend Zeit für private Interessen!“ Abbildung 3: Fiktive Selbstbeschreibung von Lehrern, die je einen der vier Wege der Klassenführung vertreten 11
Befund 5: Selbst- und Fremdeinschätzung des Lehrerverhaltens divergieren meist deutlich. Die Korrelationen zwischen der Selbsteinschätzung des pädagogischen Handelns und der Schülereinschätzung liegt im Durchschnitt der Strategien nur knapp über .20 (Mayr et al., 1991). Die meisten Lehrer schätzen überdies ihr Verhalten im Durchschnitt positiver ein, als ihre Schüler dies tun. Manche Lehrer sind zwar relativ gute „Diagnostiker“ des eigenen Verhaltens, aber auch sie haben häufig „blinde Flecken“ – oft genau bezüglich ihrer Problembereiche in der Interaktion mit den Schülerinnen und Schülern. Die Sicht der Schüler – vor allem wenn man die Klassenmittelwerte als Grundlage verwendet - stimmt auch eher mit jener neutraler Beobachter überein. Insgesamt betrachtet dürfte es für Lehrer jedenfalls schwierig sein, ihr eigenes Verhalten realitätsnah einzuschätzen (vgl. Hook & Rosenshine, 1979). 4 Was Lehrerstudenten und Lehrer tun können Die oben beschriebenen Forschungen waren mit dem expliziten Ziel begonnen worden, Lehrern Hilfestellungen für die Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen in der Klassenführung anbieten zu können. Den Rahmen dafür können formelle Fortbildungsveranstaltungen oder Schulentwicklungsprogramme bieten (vgl. Krall, 1999), Lehrinnen und Lehrer können sich in informellen Teams zusammenfinden (vgl. Humpert & Dann, 2001) oder sie können ihr Vorhaben als Einzelpersonen in Angriff nehmen. In jedem Fall erscheinen zwei Schritte zweckmäßig: die Klärung des derzeitigen pädagogischen Handelns und das Durchführen von „Handlungsexperimenten“. Die dazu im Folgenden gegebenen Hinweise eignen sich grundsätzlich auch für Lehrerstudenten im Praktikum, für diese sind allerdings die angebotenen Vergleichswerte „erfolgreicher Lehrer“ aus Abbildung 1 nur beschränkt verwendbar und es kann auch sein, dass sie die eine oder andere Handlungsstrategie kaum realisieren können, wenn es sich um ein kürzeres Praktikum handelt oder ihr Handlungsspielraum durch andere Rahmenbedingungen eingeschränkt wird. 4.1 Sich mit dem eigenen Verhalten auseinandersetzen Eine günstige Voraussetzung für jede Weiterentwicklung des Lehrerverhaltens ist es, zunächst einmal das derzeitige Verhalten einer Betrachtung zu unterziehen. Dabei kann der „Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung“ (LDK)3 verwendet werden, der im Rahmen der oben beschriebenen Untersuchungen entstanden ist. Seine Herstellung und die Schritte seines 3 Auf der LDK-Website (http://ius.uni-klu.ac.at/projekte/ldk/) stehen verschiedene Versionen des LDK und Anleitungen für seine Anwendung bereit. 12
Einsatzes sind in Abbildung 4 beschrieben. An dieser Stelle werden einige ergänzende Hinweise gegeben. Technische Hinweise zum „Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung“ (LDK) (1) Erstellen Sie aus den Items aus Abbildung 1 einen Fragebogen für Ihre Schüler. Ordnen Sie die Items nach den vorangestellten Nummern. (2) Wählen Sie eine Klasse aus, von der Sie gerne Rückmeldungen erhalten möchten. Sie können natürlich auch gleich mehrere Klassen befragen. (3) Erläutern Sie den Schülern, was Sie vorhaben und warum Ihnen die Rückmeldungen wichtig sind. Falls Sie in dieser Klasse verschiedene Fächer unterrichten, so sollen die Schüler bei der Beantwortung nur an eines dieser Fächer denken - und zwar an jenes, das Sie ihnen vorgeben. (4) Sichern Sie den Schülern Anonymität zu und gewährleisten Sie diese auch. (5) Sollte einem Schüler ein Satz unklar sein, soll er ihn einfach auslassen. (6) Während die Schüler den Fragebogen ausfüllen (oder schon vorher zu Hause) schätzen Sie Ihr Verhalten in dieser Klasse und in diesem Fach selbst ein. (7) Werten Sie die Schülerantworten aus, indem Sie bei jeder Frage den Mittelwert aus den Einschätzungen aller Schüler berechnen. (8) Tragen Sie diese Mittelwerte und Ihre Selbsteinschätzung in die Abbildung 1 ein. Dadurch haben Sie die Möglichkeit, Ihre Selbsteinschätzung, die Schülereinschätzungen und die Schülereinschätzungen „erfolgreicher Lehrer“ zu vergleichen. (9) Meist möchten die Schüler die Ergebnisse der Befragung erfahren. Im allgemeinen wird es auch sinnvoll sein, ihnen diese mitzuteilen und mit ihnen darüber zu reden. Abbildung 4: Anleitung zur Auseinandersetzung mit dem eigenen pädagogischen Handeln mit Hilfe des LDK Zunächst einmal: Die Selbsteinschätzung des Verhaltens mit Hilfe des LDK erleichtert das Vertrautwerden mit den einzelnen Strategien und ist schnell durchführbar. Sie bildet die Basis für alle weiteren Schritte. Was man dabei bedenken sollte: Es ist schwierig, das eigene Verhalten realistisch einzuschätzen, und man neigt im Allgemeinen dazu, es mehr oder weniger „geschönt“ zu sehen (was psychohygienisch durchaus günstig ist, solange der Bezug zur Realität noch gewahrt bleibt). Die Einschätzung des Lehrerverhaltens durch die Schüler ist schon etwas aufwändiger – sie kostet mehr Zeit und auch einige Überwindung, beinhaltet sie doch das Risiko, im einen oder anderen Bereich auch unerfreuliche Rückmeldungen zu erhalten. Diese Befragung der Schüler sollten Lehrerinnen und Lehrer, die ihr pädagogisches Handeln weiterentwickeln wollen, jedoch keinesfalls auslassen: Die Sicht der Schülerinnen und Schüler ist natürlich ebenfalls subjektiv, das kollektive Urteil der Klasse - wie es im Klassenmittelwert zum Ausdruck kommt – hat aber doch eine hohe Aussagekraft. Vor allem aber ist es letztlich die Sicht der Schüler, die darüber entscheidet, wie sie sich im Unterricht des betreffenden Lehrers verhalten. 13
Beim vorgeschlagenen Vergleich von Selbst- und Schülereinschätzung muss mit mehr oder weniger großen Diskrepanzen gerechnet werden. Das liegt – neben den bereits angeführten Gründen – auch daran, dass die Schülereinschätzungen als Durchschnittswerte eine Tendenz zur Mitte aufweisen – ein Wert von 5,0 wäre ja nur erreichbar, wenn alle Schüler das Item mit dem Wert 5 klassifizieren, was in der Praxis kaum vorkommt. Beim Vergleichen der Selbst- und Fremdeinschätzungen sollte man sich vor Augen halten, dass jede dieser Sichtweisen legitim ist – ggf. kann ein Gespräch Diskrepanzen zwischen den Sichtweisen klären helfen (Unterschiede, die kleiner als eine Skalenstufe sind, können dabei vernachlässigt werden). Der Vergleich der Schülereinschätzungen mit den Werten „erfolgreicher Lehrer“ zeigt sehr deutlich auf, wo aus Sicht der Schüler und gemessen an den empirischen Befunden Stärken und Schwächen des pädagogischen Handelns (zumindest in dieser Klasse) liegen. Dieser Vergleich ist nur dann zu empfehlen, wenn sich der Betreffende recht sicher ist, mit eventuellen Enttäuschungen umgehen zu können. Andererseits bietet gerade dieser Auswertungsschritt eine sehr informative Orientierung und liefert meist brauchbare Anhaltspunkte, wo Verbesserungsschritte ansetzen sollten und vor allem auch, auf welche Kompetenzen dabei zurückgegriffen werden kann. 4.2 Sich auf Handlungsexperimente einlassen Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln löst häufig den Wunsch nach Veränderungen aus. Die besten Partner für eine Veränderung sind dabei im Allgemeinen die Schüler, speziell wenn man mit ihnen über die Befragungsergebnisse gesprochen hat. Sie haben meist ein vitales Interesse an gutem Unterricht und finden es in der Regel auch anerkennenswert, wenn Lehrerinnen und Lehrer etwas dazulernen möchten. Dieses Gespräch mit den Schülern – es kann schon ein erstes „Handlungsexperiment“ sein - ist aber nicht jedermanns Sache, wie folgendes Beispiel zeigt. Im Zuge eines Fortbildungskurses führte - ein durchaus „erfolgreicher“ Lehrer – eine Schülerbefragung mit dem LDK durch. Dabei erhielt er bezüglich einer Strategie eine Rückmeldung, die er sich nicht erklären konnte. Leider folgte er – entgegen seinem eigenen „Gefühl“ - dem Rat des Seminarleiters, doch einfach die Schüler um ergänzende Erläuterungen zu bitten: Ab diesem Zeitpunkt erlebte er sich in dieser Klasse unsicher und verkrampft. In der Parallelklasse hatte er - ohne mit den Schülern zu reden – ein paar kleinere, gut überlegte Umstellungen vorgenommen und damit Erfolg erzielt, wie ein später eingeholtes, schriftliches Feedback ergab. 14
Worin können nun solche Umstellungen sinnvollerweise bestehen? Dazu ein Beispiel: Einem Lehrer war bis zur Schülerbefragung gar nicht aufgefallen, dass er bisher eher die negativen Seiten seiner Schüler betont hatte. Er war gemäß Selbst- und Schülereinschätzung ein sehr kommunikationsbereiter Mensch (mit hohen Werten in den Strategien 5 und 8), der den Schülern gegenüber auch offen und ehrlich auftrat (Strategie 11) - jedenfalls was Kritik betraf. Die Schüler hatten jedoch den Eindruck, er würde erwünschtes Schülerverhalten nicht angemessen anerkennen (Strategie 9). Da es seiner pädagogischen Philosophie widersprach, Schüler für erwünschtes Verhalten zu loben, wählte er einen anderen Weg, positive Aspekte zu thematisieren: Er achtete stärker als bisher auf die konstruktiven Verhaltensweisen seine Schüler, und er begann, seine Freude darüber im Sinne von „Ich-Botschaften“ (vgl. Gordon, 1997) auszudrücken, was ihm offensichtlich in stimmiger Weise gelang. Um nicht bald wieder auf seinen Vorsatz zu vergessen, ließ er sich eine Zeit lang von den Schülern am Ende jeder Woche Rückmeldungen darüber geben, wie weit diese ihr Verhalten und ihre Arbeit anerkannt erlebt hatten. Zentral für den Erfolg von Handlungsexperimenten dürfte sein (das sollten auch die angeführten Beispiele unterstreichen), dass sie kompatibel mit den Wertvorstellungen, Philosophien und den schon vorhandenen Kompetenzen der Lehrperson sind. Zum Beispiel ist es wenig wahrscheinlich, dass ein Lehrer mit einem skeptischen Menschenbild in kritischen Situationen auf das Problemlösepotenzial der Klasse vertraut und eine kommunikative Konfliktlösung (im Sinn des Weges A; vgl. Abbildung 3) anstrebt. Für ihn muss es sinnvoller erscheinen, selbst die Lösung vorzugeben (wie es eher den Wegen B und C entspricht). Wenn dieser Lehrer dennoch versucht, mit den Schülern über den Unterricht zu reden, wird er unter Umständen das Gespräch unbeabsichtigt in einer Weise führen, dass das Ergebnis letztlich einmal mehr sein Menschenbild bestätigt, das ihn ja lehrt: „Man darf anderen nicht vertrauen!“ (vgl. Steiner, 1998). Im obigen Beispiel war für den Erfolg sicher mitentscheidend, dass sich der Lehrer für seine Veränderungsbemühungen auf seine hauptsächliche Stärke, die Kommunikation mit den Schülern, stützte und diese um eine neue Facette bereicherte. Ein Handlungsexperiment ist stets – von der sicheren Basis des Vertrauten ausgehend - auch ein mehr oder weniger großer Schritt ins Neuland. In der Terminologie Schulz von Thuns (1998) könnte man diesen Sachverhalt vielleicht so umschreiben: Jeder Lehrer kann nur mit jenen „Spielern“ antreten, die zu seinem „inneren Team“ gehören. Im Experiment riskiert er es aber, Spieler aufs Feld zu schicken, die bei ihm üblicherweise nur auf der „Ersatzbank“ 15
sitzen. Diese können dadurch Spielpraxis gewinnen, Selbstvertrauen tanken und in Zukunft vielleicht zu „Stammspielern“ werden. Schwieriger wird es, wenn auch auf der Ersatzbank kein geeigneter Spieler zu finden ist. In diesem Fall muss ein neuer Spieler „engagiert“ werden: Man kann sich dazu z.B. einen Lehrer aus der eigenen Schulzeit, der „Meister“ in der betreffenden Strategie war, möglichst plastisch in Erinnerung rufen oder man nimmt die Beschreibung eines solchen „Lehrertyps“ zu Hilfe, wie sie in Abbildung 3 gegeben wird. Mit Offenheit für Neues und Empathie kann es gelingen, sich von der inneren (und vielleicht auch äußeren) Haltung, dieser Lehrperson „anstecken“ zu lassen und es einmal auch so zu probieren wie diese! Dabei ist es unter Umständen sinnvoll, sich eines „Spielervermittlers“ zu bedienen, also einer Person, die solche Techniken der Ressourcen-Nutzung beherrscht (siehe dazu z.B. Dilts, Bandler & Grinder, 1994). Wenn pädagogisches Handeln wirksam sein soll, dann muss es jedoch nicht nur zur handelnden Person passen, sondern es muss auch der jeweiligen Situation angemessen sein, dh. ihrer Vorgeschichte, dem Inhalt der Situation, den Zielen der handelnden Personen und ihren Beziehungen zu einander. Als Beleg dafür können die Befunde dienen, die im Abschnitt 3.2 zur Kontextspezifität des Handelns „erfolgreicher Lehrer“ angeführt wurden. (Hinweise, wie man sich einer solchen situativen Stimmigkeit des Handelns annähern kann, gibt Schulz von Thun, 1998). 4.3 Was bewirkt verändertes Lehrerverhalten? Die vorgeschlagenen Handlungsschritte basieren auf einer überwiegend interpersonalen Sicht der Lehrer-Schüler-Interaktion mit dem Fokus darauf, dass Lehrerinnen und Lehrer durch ihre Art der Klassenführung das Verhalten der Schülerinnen und Schüler maßgeblich beeinflussen. Die Grenzen dieses Ansatzes sollten jedoch nicht übersehen werden: Wenn das Störverhalten eines Schülers sehr deutlich durch dessen persönliche Probleme bedingt ist, dann reichen lehrerseitige Maßnahmen allein meist nicht aus, wenngleich sie zu einer Verbesserung der Situation durchaus beitragen können. Und wenn auf der Systemebene gravierende Probleme bestehen – z.B. Spannungen im Kollegium, die auf dem Umweg über die Klasse ausagiert werden – dann kann auch eine unter anderen Umständen erfolgversprechende Verhaltensänderung einer Lehrperson wirkungslos verpuffen. Oder aber: Sie setzt einen Impuls im System, der dieses in eine konstruktive Richtung in Bewegung bringt und bewirkt mehr, als es der ursprünglichen Intention entsprach. 16
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