Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken

Die Seite wird erstellt Thorben Albers
 
WEITER LESEN
Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken
ORIGINALIE

Möglichkeiten der
Unterschenkelrekonstruk­tion
mittels gestielter Lappenplastiken
S. Mirtschink1, P. Busse1, E. Manke1, W. Schneiders1   zusätzlich knöcherne, vaskuläre oder       Wunde an der Rückseite der Wade pro­
                                                       nervale Schädigungen vorliegen.            blemlos gedeckt werden kann, ist eine
Zusammenfassung                                        Diesbezüglich wurden vor dem Zeitalter     Wunde derselben Größe im Bereich des
 Defektdeckungen am Unterschenkel                      der Mikrochirurgie meist tubuläre Lap­     Außenknöchels unter Umständen ein
 sind für den unfallchirurgisch und plas­              pen oder Cross-Leg-Lappenplastiken         nahezu unlösbares Problem. Somit ist
 tisch-chirurgisch tätigen Arzt nach wie               durchgeführt. In dieser Publikation wird   die Wundgröße immer in Abhängigkeit
 vor herausfordernd. Zur Identifikation,               anhand von Fallbeispielen aufgezeigt,      der Lokalisation zu sehen.
 welcher Lappen für welche Wunde und                   welche verschiedenen Möglichkeiten
 für welchen Patienten adäquat ist,                    der regionalen Lappenplastik es für        Tiefe
 müssen neben der Defektlokalisation,                  kleine bis mittelgroße Defekte am          Der Wundgrund ist maßgeblich mitent­
-größe und -tiefe auch die Patienten­                  Unterschenkel gibt. Neben den ver­         scheidend für die Wahl des Deckungs­
 charakteristika berücksichtigt werden.                schiedenen       Muskellappenplastiken     verfahrens. Handelt es sich um einen
 In der vorliegenden Übersichtsarbeit                  wird hier auch auf die zunehmend an        granulierenden, sauberen Wundgrund,
 wird exemplarisch anhand von Fallbei­                 Bedeutung gewinnenden Perforator-          so kann meist unabhängig von der
 spielen auf die verschiedenen Möglich­                Lappenplastiken eingegangen. Große         Defektgröße eine Spalthaut verpflanzt
 keiten der Defektdeckung mittels                      Defekte bleiben eine Domäne für freie      werden. Oft ist dies bei älteren Patien­
 ge­stielter Lappenplastiken am Unter­                 Lappenplastiken. Gebräuchlich ist nach     ten der Fall, die sich in der Regel von
 schenkel eingegangen.                                 wie vor die Einteilung in proximales,      Bagatelltraumata unter oraler Antiko­
                                                       mittleres und distales Unterschenkel­      agulation großflächige Hämatome
Einleitung                                             drittel. Für eine genauere Einteilung,     zuziehen, die im Verlauf zu Hautnekro­
Defekte im Bereich des Unterschenkels                  welcher Lappen für welche Unterschen­      sen führen.
sind meist traumatischer, onkologi­                    kelregion verwendet werden kann,
scher oder vaskulärer Natur. Vergleicht                unterteilt die plastisch-rekonstruktive    Liegen jedoch Sehnen, Knochen oder
man die Deckungsmöglichkeiten am                       Chirurgie den Unterschenkel in fünf        Gefäße und Nerven frei, so ist eine
Unter- und Oberschenkel, so sind letz­                 Abschnitte (siehe Abb. 1).                 rasche Deckung dieser vulnerablen
tere deutlich einfacher zu decken. Dies                                                           Strukturen mittels lokaler oder freier
beruht auf der Tatsache, dass der                      Wahl des adäquaten Lappens für             Lappenplastiken indiziert.
Femur von mehreren Muskeln umge­                       den jeweiligen Patienten
ben ist, die entweder als Auflagefläche                Am Beginn des Entscheidungsprozesses
für Spalthaut dienen oder als gestielte                steht die Wunde. Es müssen die Wund­
Lappen transponiert werden können.                     größe, die Wundtiefe und die Lokalisa­
Am Unterschenkel hingegen gibt es nur                  tion des Defektes bestimmt werden.
eine dünne Schicht Weichteilgewebe                     Ein weiterer nicht zu vernachlässigen­
insbesondere an der distalen Tibia und                 der Faktor sind die spezifischen Cha­
im Sprunggelenksbereich. Erschwerend                   rakteristika des jeweiligen Patienten.
kommt bei traumatisch bedingten
Weichteildefekten hinzu, dass häufig                   Größe
                                                       Die Angabe der Defektgröße in Qua­
                                                       dratzentimetern allein ist unzureichend.
1
    Sektion Plastisch-Rekonstruktive                   Eine bestimmte Defektgröße kann, je        Abb. 1: Einteilung des Unterschenkels in
    Chirurgie des ELBLANDZENTRUM für                   nach Lokalisation der Wunde, den Chi­      verschiedene Regionen. Je nach Lokalisation des
                                                                                                  Defektes kommen unterschiedliche Deckungs­
    Orthopädie und Unfallchirurgie des                 rurgen vor ganz unterschiedliche Her­      möglichkeiten in Frage. Übersicht modifiziert
    Elblandklinikums Riesa                             ausforderungen stellen. Während eine       nach Berger und Hierner [1]

Ärzteblatt Sachsen 10|2021                                                                                                                          23
Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken
ORIGINALIE

 Lokalisation                               Im Folgenden werden exemplarisch an
 Wohingegen im proximalen Unter­            Fallbeispielen verschiedene Lappen zur
 schenkel durchaus noch regionale           Defektdeckung vorgestellt, die sich hin­
 Muskellappenplastiken zur Verfügung        sichtlich ihrer Zusammensetzung in
 stehen, wird es distal immer schwieri­     Muskel- und fasciocutane Lappenplas­
 ger, adäquates Gewebe zu finden. Hier      tiken unterscheiden lassen.
 muss meist auf distal gestielte Lap­
 penplastiken zurückgegriffen werden,       Muskellappenplastiken
 wobei die Blutzufuhr nicht wie sonst       Unterschenkelabschnitt 2/5
 üblich von proximal, sondern bei Vorlie­   In diesem Bereich dominieren vor allem
 gen einer dualen Blutversorgung über       Defekte des Kniegelenkes. Diese kön­

                                                                                                                                                © Elblandklinikum Riesa
 den distalen arteriellen Anteil erfolgt.   nen traumatisch oder auch im Rahmen
                                            der Revisionsendoprothetik des Knie­
 Patientencharakteristika                   gelenkes entstehen.
 Neben den spezifischen Charakteris­
 tika einer Wunde, muss unbedingt auch      Ein 73-jähriger Patient mit bekannter      Abb. 2:
                                                                                       Oben: Weichteildefekt Knie rechts
 eine Einschätzung des Patienten vor­        Gichterkrankung und einliegender Knie­    (linker Bildrand: proximal; rechter Bildrand: distal);
 genommen werden. Hierbei geht es           ­gelenksendoprothese stellte sich mit      Unten: Befund acht Wochen postoperativ nach
                                                                                       Defektdeckung mittels medialer M. gastrocnemius
 nicht nur um Begleiterkrankungen,          mehreren Fisteln im Kniebereich in         Lappenplastik und Spalthaut
 sondern auch um soziale Faktoren,           unserer Notfallambulanz mit deutlich
 zum Beispiel ob zu Hause Treppenstu­        erhöhten Entzündungswerten vor. Bei
 fen bewältigt werden müssen, wie           Vorliegen einer chronischen Knie-TEP
 mobil der Patient vor dem Unfallereig­      (Totalendoprothese) Infektion war ein
 nis war, ob in der Regel während der       Revisionseingriff mit einem radikalen
 Arbeitstätigkeit Stiefel getragen wer­     Debridement, die Explantation der Knie­
 den müssen, welche Ressourcen der          prothese und eine Spacerimplantation
 Patient und seine Umgebung hat und          indiziert.
 ob der Patient kognitiv in der Lage ist,   Bei Nachweis von sterilen Proben nach
 bestimmte postoperative Handlungs­          einer weiteren second look Operation
 anweisungen (zum Beispiel Lappentrai­      wurde aufgrund der knöchernen De­     ­
 ning, Lappenpflege) umzusetzen. Be­    ­    fektsituation und des reduzierten All­
 züglich Vorerkrankungen gilt es festzu­     gemeinzustandes des Patienten die
 stellen, wie ausgeprägt diese sind, ob      Indikation zur Kniegelenksarthrodese
 mehrere operative Eingriffe und zur        mittels Arthrodesennagel gestellt.
 Deckung auch eine längere Narkose          Durch die Hautulzerationen mussten
 realistisch sind. Fokus wird insbeson­      die betroffenen kontaminierten Weich­
 dere auch auf den Gefäßstatus des          teile reseziert werden (Abb. 2).
 Patienten gelegt. Neben dem obligaten
 Überprüfen der Fußpulse sollte auch        Zur Defektdeckung wurde in gleicher
 eine farbcodierte Duplexsonografie der     operativer Sitzung eine mediale Gast­
 drei Unterschenkelgefäße (A. tibialis      rocnemiuslappenplastik durchgeführt.
                                                                                                                                                © Elblandklinikum Riesa

 anterior, A. tibialis posterior und A.     Der Muskelbauch wurde mit Spalthaut
 fibularis) und bei Pathologien oder        gedeckt. Die mediale Gastrocnemius­
 Hochrasanztraumata gegebenenfalls          lappenplastik weist im Vergleich zur
 auch eine CT-Angio- beziehungsweise        lateralen Gastrocnemiuslappenplastik
 digitale Subtraktionsangiografie durch­    einen größeren Bewegungsradius auf,
                                                                                       Abb. 3:
 geführt werden.                            da sie nicht über die Fibula geschwenkt    Oben: Defektzone am Übergang vom mittleren zum
 Nur durch Berücksichtigung aller ­wund-    werden muss. Bei großen Defekten           distalen Unterschenkeldrittel mit freiliegender Tibia;
                                                                                       Mitte: Defektdeckung mittels medialer Hemisoleus­
 und patientenspezifischer Aspekte kann     kann eine Defektdeckung mit beiden         lappenplastik und Spalthaut;
 der adäquate Lappen gewählt werden.        Muskelbäuchen erfolgen.                    Unten: Befund fünf Wochen postoperativ

24                                                                                                                 Ärzteblatt Sachsen 10|2021
Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken
ORIGINALIE

Unterschenkelabschnitt 4/5                 entlang der rechten Achillessehne bis
Hier kommt es häufig zu prätibialen        zum mittleren Unterschenkeldrittel rei­
Defekten, die aufgrund der dünnen          chend. Noch vor dem ersten operativen
Weichteilbedeckung der Tibia meist mit     Debridement kam es zu einer sponta­
freiliegendem Knochen assoziiert sind.     nen putriden Entleerung. Mikrobiolo­
In dem vorgestellten Fall wurde ein        gisch ließ sich E. coli nachweisen. Es
27-jähriger Patient als Fußgänger von      wurden mehrere serielle Debridements
einem Auto erfasst. Hierbei zog er sich    durchgeführt. Intraoperativ sahen wir
neben komplexen Fußfrakturen auch          vor allem medialseitig der Enthese infi­
eine drittgradig offene Tibiaschaftfrak­   ziertes Achillessehnengewebe, sodass
tur zu. Der prätibiale Haut-/Weichteil­    hier eine partielle Resektion der Achil­
defekt betrug 4 x 6 cm. Nach initialem     lessehne erfolgte. Ein Sekundärver­
Debridement und Fixateur externe           schluss war nur proximal möglich, dis­
Anlage konnte eine Woche posttrau­         tal resultierte ein Defekt mit einer
matisch die definitive Versorgung der      Größe von 5 x 6,5 cm. Wir stellten somit

                                                                                                                                                      © Elblandklinikum Riesa
Fraktur mittels Nagel erfolgen. Da eine    die Indikation zur Defektdeckung mit­
gute Vaskularisation für die Frakturhei­   tels distal gestielter M. peroneus brevis
lung essenziell ist, wurde zeitgleich      Lappenplastik (Abb. 4). Der Muskellap­
eine Defektdeckung mittels medialer        pen wurde mit Spalthaut gedeckt. Es
                                                                                        Abb. 4:
Hemisoleuslappenplastik und Spalt­         kam zu einem problemlosen Einheilen          Oben: Intraoperativer Befund bei Aufnahme mit
haut durchgeführt. Es kam zu einem         des Muskel- und Hauttransplantates.          Haut-/Weichteildefekt über der Achillessehne;
                                                                                        2. Bild von oben: Intraoperativer Befund mit
komplikationslosen Einheilen des Lap­                                                   gehobenem, nach dorsal über die Achillessehne
pens und das Lappentraining verlief     Fasciocutane Lappenplastiken                    gelegtem distal gestieltem M. peroneus Lappen;
                                                                                        2. Bild von unten: In den Defekt eingenähter M.
ebenfalls problemlos. In den Röntgen­   Diese Lappenplastiken bestehen aus              peroneus Lappen vor der Spalthauttransplantation;
bildern zeigte sich eine gute Konsolida­der Haut, der Subcutis und der Fascie;          Unten: Befund acht Wochen postoperativ
                                                                                        (linker Bildrand: proximal; rechter Bildrand: distal)
tion der Fraktur. Durch das konse­      funktionelle Strukturen, wie der Muskel,
quente Tragen eines Kompressions­       werden nicht transferiert. Spezielle
strumpfes und der zunehmenden Mus­      fasciocutane Lappen sind die Perfora­
kelatrophie kam es zu einem guten       torlappenplastiken, die von sogenann­
Abflachen des Muskels, sodass präti­    ten Perforansgefäßen versorgt werden,
bial nahezu kein Niveauunterschied      die aus größeren Gefäßen aus der Tiefe
mehr besteht (Abb. 3).                  entspringen. Ein großer Vorteil ist, dass
                                        die drei Unterschenkelgefäße beim
Unterschenkelabschnitt 5/5              Heben der Lappenplastik intakt bleiben.
Defekte in diesem Bereich stellen nach Des Weiteren bieten sie eine gute Mög­
wie vor eine große Herausforderung für lichkeit, „like-with-like“ zu ersetzen.
jeden rekonstruktiv tätigen Chirurgen Dies ist insbesondere prätibial oder im
dar. Für Defekte mittlerer Größe hat Knöchelbereich relevant, wo flache,
sich hier die distal gestielte M. pero­ nicht auftragende Lappen benötigt                                                                             © Elblandklinikum Riesa

neus brevis Lappenplastik bewährt.      werden.

Ein 68-jähriger Patient stellte sich in    Unterschenkelabschnitt 1/5
unserer Notfallaufnahme vor, da er seit    Eine 64-jährige Patientin erlitt durch       Abb. 5:
zwei Wochen eine größenprogrediente        ein Anpralltrauma ein Hämatom an der         Oben: Zustand bei Verlegung der Patientin aus
                                                                                        einer auswärtigen Klinik: links der oberflächliche
Schwellung an der dorsalen Ferse           Schienbeinvorderkante und suprapa­           Defekt am proximalen Unterschenkel, rechts der
bemerkt hatte. Klinisch zeigte sich eine   tellär. Dieses infizierte sich. Nach Exzi­   suprapatelläre Haut-/Weichteildefekt;
                                                                                        Mitte: Der Defekt am proximalen Unterschenkel
circa 6 cm messende, fluktuierende         sion der Nekrose kam es suprapatellär        (links) wurde im Verlauf mit Spalthaut gedeckt, der
Schwellung. In der MRT-Untersuchung        zu einem Haut-/Weichteildefekt mit           Defekt suprapatellär (rechts) mittels Propellerlappen;
                                                                                        Unten: Ergebnis elf Wochen postoperativ; die
zeigte sich zusätzlich ein ausgedehntes    einer Größe von 7,5 x 5,5 cm in Kniefle­     Wundheilungsstörung am distalen Lappen wurde
abgekapseltes tenosynoviales Empyem        xion; die Patella war durch eine dünne       konservativ therapiert

Ärzteblatt Sachsen 10|2021                                                                                                                       25
Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken
ORIGINALIE

                                                                                 ralis superficialis und der A. descen­
                                                                                 dens genu. Intraoperativ konnte ein gut
                                                                                 pulsatiles Gefäßbündel mit einer Arte­
                                                                                 rie und zwei Begleitvenen mikrochirur­
                                                                                 gisch dargestellt und freipräpariert
                                                                                 werden. Wie bei einem „Propeller“ er­­

                                                                                                                                                                                 © Elblandklinikum Riesa
                                                                                 folgte nun eine Drehung des nur an den
                                                                                 Gefäßen gestielten Lappens um 180
                                                                                 Grad, sodass das ehemals proximale
                                                                                 Lappenende nach distal in den Defekt
                                                                                 zu liegen kam. Der Hebedefekt konnte
                                                                                                                           Abb. 8: Initialer Befund nach stattgehabtem
                                                      © Elblandklinikum Riesa

                                                                                 primär verschlossen werden. Mit dieser    Debridement in einer anderen Klinik
                                                                                 Methode ist es möglich, flaches, nicht
                                                                                 auftragendes Gewebe ohne Opferung         tels Naht verkleinert und der Restde­
                                                                                 von Hauptgefäßen oder Muskeln in den      fekt mit Spalthaut gedeckt. Die Lap­
                                                                                 Defekt zu rotieren. Es kam im Verlauf     peneinheilung und das Lappentraining
     Abb. 6:
     Oben: exulzerierter Tumor (linker Bildrand: proximal,                       zu einer oberflächlichen distalen Lap­    verliefen problemlos. Das Tragen des
     rechter Bildrand: distal);                                                  pennekrose, sodass hier auf Wunsch        Arbeitsstiefels ist dem Patienten über
     Unten: Blick von medial auf den gehobenen und
     schon in den prätibialen Defekt eingeschlagenen                             der Patientin eine Wundheilung per        dem verordneten Kompressionsstrumpf
     Lappen; das Perforatorgefäß aus der A. tibialis                             secundam durchgeführt wurde (Abb. 5).     wieder möglich (Abb. 7).
     posterior ist mit einem blauen Kreuz markiert.
     Im unteren Anteil des Lappens ist eine länger
     präparierte Vene ersichtlich, die im Falle einer
                                                  Unterschenkelabschnitt 4/5                                                Unterschenkelabschnitt 5/5-Fuß
     venösen Stauung anastomisiert worden wäre,
     um einen suffizienten venösen Abfluss zu     Bei dem 49-jährigen Patienten bestand                                     Die Zuweisung dieses 50-jährigen Pati­
     gewährleisten (linker Bildrand: distal,      seit mehreren Jahren ein exulzerieren­                                    enten erfolgte mit einem ausgeprägten
     rechter Bildrand: proximal)
                                                  der Tumor im mittleren Unterschenkel­                                     Haut-Weichteildefekt an der Ferse und
                                                  drittel prätibial (Abb. 6). Seit Kurzem                                   der lateralen Fußkante bei Diabetes
                                                  kam es zu Eiteraustritt. Nachdem ein                                      mellitus Typ II. Histologisch ließ sich
                                                  präoperatives MRT einen gut abgekap­                                      eine Osteomyelitis des Os calcaneus
                                                  selten Befund zeigte, konnte in einem                                     nachweisen. Initial erfolgten serielle
                                                  ersten operativen Schritt die weite                                       Debridements sowie eine Fußver­
                                                  Resektion des Befundes erfolgen. His­                                     schmälerung durch die Resektion des
                                                  tologisch wurde ein malignes Gesche­                                      5. Strahles. Somit konnte der laterale
                                                  hen ausgeschlossen und eine exulze­                                       Defekt primär verschlossen werden. An
                                                       © Elblandklinikum Riesa

                                                  rierte Epidermalzyste gesichert. Es                                       der Ferse zeigte sich jedoch weiterhin
                                                  resultierte nun ein 6,5 x 5,5 cm großer                                   ein Defekt von 17 x 10 cm Größe (Abb.
                                                  Defekt direkt prätibial. Wegen seiner                                     8). Dieser sollte mit einem fasciocuta­
                                                  Arbeitstätigkeit war der Patient auf                                      nen distal gestielten Suralislappen
 Abb. 7: Ergebnis drei Monate postoperativ;       Arbeitsstiefel angewiesen, deren Schaft­                                  gedeckt werden. Um den osteotomier­
 Oben: Blick von medial. Gute Kontur prätibial,
 die das Tragen eines Arbeitsstiefels ermöglicht; ende direkt im Defektbereich zu liegen                                    ten Calcaneus abzupolstern und um für
 Unten: Blick von lateral                         kommen. Aufgrund dessen wurde sich                                        die antibiotische Therapie gut durch­
                                                  für eine Perforator-Plus-Lappenplastik                                    blutetes Gewebe zum Fersenbein zu
 Schicht Weichteilgewebe noch knapp entschieden. Hierbei bleibt am cauda­                                                   bringen, wurde entschieden, einen
 bedeckt. Wir entschieden uns zur len Ende des Lappens eine Hautbrücke,                                                    „extended“ Suralislappen zu verwenden.
 Durchführung einer Propeller-Lappen­ welche die Perfusion, vor allem jedoch                                                Das heißt, dieser Lappen wurde proxi­
 plastik aus dem antero-medialen Anteil den venösen Abfluss verbessert. Prä­                                                maler als üblich genommen, um einen
 des Oberschenkels, da hier genügend operativ wurde mittels Ultraschall und                                                 adäquat langen Stiel zu haben, damit
 Weichteilgewebe vorlag („lower medial Doppler ein adäquates Perforatorgefäß                                                der Lappen bis zur Ferse reicht. Des
 thigh perforator flap“). Präoperativ aus der A. tibialis posterior identifiziert.                                          Weiteren wurde Muskelgewebe aus
 erfolgte das Aufsuchen und Anzeich­ Intraoperativ stellte sich dies ebenfalls                                              dem M. gastrocnemius mit transplan­
 nen der Perforatoren aus der A. femo­ patent dar. Der Hebedefekt wurde mit­                                                tiert (Abb. 9). Um hier die nicht selten

26                                                                                                                                                  Ärzteblatt Sachsen 10|2021
Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken
ORIGINALIE

                                                                        feren Defekt auszuplombieren. Im wei­
                                                                        teren Verlauf zeigte sich hier keine
                                                                        Wundheilungsstörung (Abb. 10).

                                                                        Zusammenfassung
                                                                        Allen hier exemplarisch vorgestellten
                                                                        Lappen ist gemein, dass keines der drei
                                                                        Unterschenkelgefäße geopfert werden
                                                                        musste.
                                                                        Größere Defekte stellen zweifelsohne
                                              © Elblandklinikum Riesa
                                                                        eine Indikation für freie Lappenplasti­
                                                                        ken dar und in ausgewählten Fällen ist
                                                                        es sinnvoller, den „rekonstruktiven
                                                                        Fahrstuhl“ zu wählen und nicht stufen­
Abb. 9:                                                                 weise auf der „rekonstruktiven Leiter“
Oben: Lappen-Delay: Gehobener, jedoch noch nicht
transponierter „extended“ Suralislappen mit                             nach oben zu steigen. Wichtig ist, dass
Muskelplombe aus dem M. gastrocnemius;                                  der Plastische Chirurg eine breite
Unten: Nach einem Delay von acht Tagen
Transposition des Lappens in den Fersendefekt                           Palette an freien und gestielten Lap­

                                                                                                                                                                        © Elblandklinikum Riesa
                                                                        penplastiken beherrscht, um aus sei­
auftretende Komplikation der venösen                                    nem Armamentarium für jeden Patien­
Stauung zu umgehen, wurde entschie­                                     ten individuell den adäquaten Lappen
den, den Lappen zweizeitig zu heben.                                    auszuwählen.
In einem ersten Schritt wurde der Lap­                                  Ziel des Entscheidungsprozesses zur
                                                                                                                           Abb. 10:
pen umschnitten, aber noch nicht                                        Wahl des adäquaten Lappens für den                 Oben: Intraoperativer Befund, nachdem im weiteren
                                                                                                                           Verlauf eine Nachtransposition des Lappens
transponiert. Nach acht bis zehn Tagen                                  jeweiligen Patienten ist:
                                                                                                                           notwendig wurde, da der osteomyelitische
erfolgte dann die Transposition des                                     • mit wenig zusätzlichem Schaden                   Calcaneus komplett reseziert wurde. Der initial
                                                                                                                           voluminöse Stiel am Drehpunkt des Lappens
Lappens in den Defekt. Zur druckstel­                                     (Hebedefektmorbidität),
                                                                                                                           (siehe Abb. 9) ist durch die konsequente
lenfreien Lagerung erfolgte die Anlage                                  • mit ressourcenschonendem Einsatz                 Kompressionstherapie gut abgeflacht;
                                                                                                                           Unten: Befund vier Wochen nach der
eines Fixateur externe. Am zehnten                                        von Personal und OP-Zeit und
                                                                                                                           Nachtransposition des Lappens
postoperativen Tag konnte dieser ent­
fernt und anschließend mit einem Lap­
pentraining begonnen werden. Es                                                                                            • unter Berücksichtigung von Vorer­
er­­folgte die Anpassung eines                                                                                                krankungen und den Ressourcen
maßgeschneiderten Kom­                                                                                                        des Patienten (sozial, kognitiv)
pressionsstrumpfes. Dar­                                                                                                   ein optimales und nachhaltig gutes
unter kam es insbeson­                                                                                                     Ergebnis zu erreichen, damit der Pati­
dere im Stielbereich zu                                                                                                    ent sein Leben mit wenig Einschrän­
einem         deutlichen                                                                                                   kungen und so eigenständig wie mög­
Rückgang der Schwel­                                                                                                       lich wieder aufnehmen kann (Abb. 11). 
lung. Im Verlauf zeigte
sich nach Entlassung                                                                                                                             Interessenkonflikte: keine
ein Fistelgang am Lap­
                                                                                                                                           Literatur unter www.slaek.de ➝
penrand und der Patient                                                                                                                            Presse/ÖA ➝ Ärzteblatt
stellte sich in septischem
Zustandsbild wieder vor.                                                                                                                         Dr. med. Sophia Mirtschink
                                                                                                                             Leiterin der Sektion „Plastisch-Rekonstruktive
Nun wurde nach einem Anhe­                                                                                                            Chirurgie“ des ELBLANDZENTRUM für
ben des Lappens der gesamte                                                                                                                  Orthopädie und Unfallchirurgie
Calcaneus entfernt. Aufgrund des ini­                                                                                                             am Elblandklinikum Riesa
                                                                        Abb. 11: Modifiziertes „Rekonstruktives Rad nach                                    EBOPRAS Fellow
tial sehr voluminösen Lappens war es                                    Giunta“ als Konzept für die Auswahl der für den                      Weinbergstraße 8, 01589 Riesa
problemlos möglich, den nun noch tie­                                   jeweiligen Patienten adäquaten Lappenplastik [2]     E-Mail: sophia.mirtschink@elblandkliniken.de

Ärzteblatt Sachsen 10|2021                                                                                                                                                                        27
Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken Möglichkeiten der Unterschenkelrekonstruk tion mittels gestielter Lappenplastiken
Sie können auch lesen