Münstersche Empfehlungen zur Förderung begabter und potenziell besonders leistungsfähiger Kinder und Jugendlicher - September 2021
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Münstersche Empfehlungen zur Förderung begabter und potenziell besonders leistungsfähiger Kinder und Jugendlicher 25. September 2021 1
Alle Kinder und Jugendlichen in ihrer Unterschiedlichkeit und V ielfalt Wir begrüßen, dass die Begabungsförderung und Potenzialentwicklung in anzuerkennen und ihnen allen einen bestmöglichen Lern- und Bildungs den letzten Jahren im Rahmen der Bildungspolitik einen d eutlich größe erfolg zu ermöglichen, ist Aufgabe des Bildungssystems und der einzel- ren Stellenwert erhalten hat. Das belegt nicht zuletzt die seit 2018 in nen Schulen. Das folgt aus dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes Deutschland angelaufene, auf zehn Jahre angelegte und mit 125 Millio- sowie den Prinzipien von Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. nen EURO ausgestattete Bund-Länder-Initiative „Leistung macht Schule“. Dies ist nicht nur ethisch und moralisch, sondern auch aus individueller Ausgehend von einem umfassenden, dynamischen Begabungsbegriff, der und gesellschaftlicher Sicht geboten. Denn wer gut gebildet ist, ist eher in nicht einseitig kognitive Fähigkeiten, sondern die ganze Person und de- der Lage, eine b erufliche Existenz aufzubauen und ein selbstbestimmtes ren Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellt, und einem mehrdimensionalen Leben zu führen. Wer gut gebildet ist, der oder dem fällt es leichter, sich Leistungsverständnis, das über schulische Leistungen weit hinausreicht, in die Gesellschaft einzubringen und die liberale Demokratie mitzugestal- setzt die Initiative auf einen breit angelegten, wissenschaftlich begleiteten ten, die oder der kann Argumente politischer Konzepte besser bewerten Prozess einer begabungsförderlichen Schul- und Unterrichtsentwicklung. und Manipulationsversuche politischer Rhetorik b esser entlarven. Bildung Begabungsförderung und Potenzialentwicklung, so das Ziel, sollen mittel- hat s omit langfristige Auswirkungen auf individuelle Lebenschancen, auf fristig aus ihrem Nischendasein endgültig befreit und als schulische Kern- gesellschaftliche Entwicklungen und das soziale Miteinander. Gerade die aufgabe verstanden werden. Angesichts von mehr als 32.000 allgemein- globalen Krisen um die Themen Klima und Gesundheit zeigen, wie wichtig bildenden Schulen in Deutschland wird dieses Ziel nur erreichbar sein, es ist, Potenziale zu h eben und die Bereitschaft zu fördern, aktiv Verant- wenn die im Jahr 2023 beginnende Transferphase effizient konzipiert und wortung zu übernehmen in Politik, Wirtschaft und Kultur, um das Über erfolgreich gestaltet wird. Auch wenn es noch zu früh ist, Leistungen und leben der Welt und die Gestaltung der Zukunft nachhaltig zu sichern. Ergebnisse des Programms abschließend zu würdigen, so gibt es doch Anlass, schon jetzt den Blick nach vorn zu richten: auf die Transferphase Kernziel schulischer Arbeit ist daher die bestmögliche Förderung der indi- von „ Leistung macht Schule“ und die Zeit danach. viduellen Potenziale aller Schülerinnen und Schüler unter angemessener Beachtung der jeweiligen Lebens- und Lernvoraussetzungen – das gilt auch für die begabten und potenziell besonders leistungsfähigen Kinder und Jugendlichen. Ungleiches ungleich zu behandeln, darum geht es. Wo Ungleiches gleichbehandelt wird, kann eine bestmögliche individuelle Förderung nicht gelingen. 2
Mittelfristig empfehlen wir, länderübergreifend und in K ooperation auch Empfehlungen mit außerschulischen Akteurinnen und Akteuren, eine Gesamtstrategie zur Begabungsförderung und Potenzialentwicklung zu entwickeln, die den 01 Schulen Orientierung bietet, ihnen Wege zu einer gelingenden Begabungs- und Begabtenförderung aufzeigt und nicht zuletzt Erkenntnisse und Erfah- Grundlage der pädagogischen Arbeit in Kita und Schule sollte ein rungen aus „Leistung macht Schule“ berücksichtigt. Dabei sollten sowohl dynamisches, mehrdimensionales Begabungsverständnis sein, das die Prozess- als auch Strukturaspekte in den Blick genommen werden – von Entwicklung und Entfaltung nicht nur der kognitiven, sondern auch der der Qualität und Organisation des Unterrichts über die Professionalisie- motivational-volitionalen und sozial-emotionalen Potenziale des Individu- rung des pädagogischen Personals bis hin zur Nutzung außerschulischer ums umfasst. Angebote. Prioritär e rscheint uns die Entwicklung und Einführung von praxisnahen Schul- und Unterrichtskonzepten sowie von landesweiten, 02 regionalen oder kommunalen Erziehungs- und Bildungspartnerschaften – verbunden mit einer systematischen Schulbegleitforschung. Wesentliches Ziel schulischer Begabten- und Begabungsförderung ist es, junge Menschen zur selbstbestimmten Teilhabe an unserer Gesellschaft, Wir halten die Bund-Länder-Initiative „Leistung macht Schule“ für einen zur aktiven, verantwortungsvollen Mitgestaltung unserer Demokratie zu Meilenstein auf dem Weg zu einer bestmöglichen Potenzialentfaltung und befähigen. Durch die Auseinandersetzung mit Schlüsselthemen unserer Leistungsförderung aller Schülerinnen und Schüler. Mit den nachfolgen- Zeit – Schutz der Gesundheit, des Klimas und der Umwelt, Sicherung des den Empfehlungen legen wir kein Gesamttableau für eine nach unserer Friedens, Reduzierung sozialer Ungleichheit, Förderung von Integration Ansicht erforderliche Gesamtstrategie zur schulischen Begabungsför- und Inklusion, Stärkung der D emokratie, Umgang mit Digitalisierung und derung und Potenzialentwicklung vor, sind aber der Überzeugung, dass Globalisierung – sollen sie lernen, Verantwortung für sich und andere, für diesen Vorschlägen eine wichtige Rolle im Rahmen einer solchen Strategie Natur und Umwelt zu übernehmen. Voraussetzung dafür ist, dass sie ihre zukommt. Dass einige Empfehlungen, die bereits in den „Münsterschen Potenziale zur Selbst- und Mitbestimmung, zu Kollaboration, Kommuni- Empfehlungen“ des Jahres 2015 ausgesprochen wurden, erneut aufge- kation, K ooperation und Kreativität entfalten können. griffen werden, ist der Tatsache geschuldet, dass manche Handlungsfel- der entweder noch nicht abschließend bearbeitet werden konnten, oder dauerhaft auf der Agenda stehen sollten. 3
03 05 Konzepte der Begabungs- und Begabtenförderung sollten bei der Ge- Ein qualitativ hochwertiges Schul- und Bildungswesen, das die Potenzial- staltung einer Schule der Zukunft berücksichtigt werden. Die Corona- entwicklung und Leistungsförderung von Kindern und Jugendlichen aller Pandemie hat sichtbar gemacht, dass erfolgreiches Lernen nicht zuletzt Schichten ermöglicht, setzt die Einhaltung personeller, räumlicher und grundlegender Strategien zur Motivation und Selbstregulation bedarf. Be- finanzieller Mindeststandards voraus. Und es wird an Schulen in sozial deutsam sind vor allem Strategien zur Steuerung des Lernprozesses, zur herausfordernden Lagen zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellen Aufrechterhaltung der Konzentration und Aufmerksamkeit sowie zur zeit- müssen, damit auch die besonderen Potenziale jener Schülerinnen und lichen wie auch räumlichen Gestaltung des Lern- und Arbeitsprozesses. Schüler besser als bisher erkannt und gefördert werden können, die in finanziellen, sozialen oder bildungsbezogenen Risikolagen aufwachsen. 04 Begabungen unabhängig von gezeigtem Leistungsverhalten zu erkennen und zu fördern und dabei die jeweilige Lebenslage der Kinder und Jugend- Die im Rahmen einer Gesamtstrategie zur Begabungs- und Begabten lichen im Blick zu h aben, – diese Herausforderung gilt es zu bewältigen. förderung formulierten Leitlinien sollten den Schulen Orientierung bieten bei der Entwicklung und Umsetzung konkreter Diagnose- und Förderkon- 06 zepte. Ein verhältnismäßig weiter Spielraum für die konkrete Ausgestal- tung vor Ort birgt sowohl Chancen als auch Risiken: Chancen, weil damit Digitale Medien eröffnen für das Lernen und Lehren große C hancen. Sie Raum für Erprobung und Innovation entsteht und zugleich gewährleistet können die Selbstständigkeit junger Menschen, insbesondere d eren Ver- werden kann, dass Maßnahmen an die jeweiligen schulkulturellen und antwortungsübernahme für den eigenen Lernprozess, s tärken, Potenziale schulorganisatorischen Gepflogenheiten anschlussfähig sind, und Ri- besser zur Entfaltung bringen und die Gestaltungsmöglichkeiten des Un- siken, weil nicht alle Schulen gleichermaßen erfahren und handlungssi- terrichts deutlich vergrößern. Welche Bedeutung sie in Zeiten einer Pan- cher sind, um passgenaue F örderprogramme aufzulegen und vorhande- demie haben können, haben wir jüngst erfahren. Die Möglichkeiten neuer ne Spielräume zum Wohle der Schülerinnen und Schüler auszuschöpfen. Technologien für die k ontinuierliche Diagnose individueller Lernvoraus- Darum benötigen die Schulen bei der Ausgestaltung durchdachter, inter- setzungen (z. B. fachliche Kompetenzen, Lernmotivation, Lernstrategi- ne und externe Förderung zusammenführender pädagogischer Konzepte en), für die Begleitung von Lernprozessen sowie für die Bereitstellung von Unterstützung – insbesondere durch die Schulaufsicht, die Wissenschaft Lern- und Leistungsstand-angepassten Materialien und Aufgaben sollten sowie externe Expertise. perspektivisch verstärkt genutzt werden – auch zur Förderung besonders begabter und talentierter junger Menschen. Es wird empfohlen, die Er- probung von Feedback durch (KI-gestützte) Lernsysteme zu fördern und lernprozessunterstützende Lern-Apps weiterzuentwickeln. 4
07 09 Die Lehrkräftebildung sollte stärker als bisher die diagnostischen, Eine begabungsrechte Förderung sollte die gesamte Bildungsbiographie didaktischen und kommunikativen Kompetenzen von L ehrerinnen und umfassen. Darum sollte bereits der Bildungsauftrag der Kindertagesstätten Lehrern im Bereich der schulischen und außerschulischen Förderung stärker auf die Diagnose und Förderung von P otenzialen ausgerichtet sowie von besonders begabten und leistungsstarken jungen Menschen in sein, sollten Erzieherinnen und Erzieher entsprechend qualifiziert und kon- den Blick nehmen. In Kooperation mit der W issenschaft sollten praxisnahe tinuierlich fortgebildet werden. Wichtig erscheint darüber hinaus, dass die Qualifizierungsangebote insbesondere zur Stärkung der Diagnose- und Übergänge von der frühkindlichen Förderung zum Schuleintritt, von der Beratungskompetenz, zur Verknüpfung von Diagnose und Förderung, Grundschule zur weiterführenden Schule und von dort in die berufliche zur Schul- und Unterrichtsgestaltung s owie zur Wirksamkeit und Nach- Bildung oder in die Hochschule ohne Brüche vollzogen werden können. haltigkeit von Förderangeboten unter Berücksichtigung der Erkenntnisse Anzustreben ist eine intensivere Kooperation von Einrichtungen unter- aus „Leistung macht Schule“ weiterentwickelt und – analog wie auch di- schiedlicher Bildungsstufen beispielsweise durch Bildung schulformüber- gital – allen Schulen zur Verfügung gestellt werden. greifender Netzwerke. 08 Wir sind überzeugt, dass die Umsetzung dieser „Münsterschen Empfeh- lungen“ in Verbindung mit jenen aus dem Jahr 2015 dazu beitragen kann, Strukturierte Kooperationen der Schulen untereinander sowie mit eine qualitativ hochwertige Begabungs- und Begabtenförderung an unse außerschulischen Bildungsanbietern mit Expertise im Bereich der Bega- ren Schulen zu etablieren. Wir stehen den politischen Akteurinnen und bungs- und Begabtenförderung sollten ausgebaut werden, um passende Akteuren, den Bildungsträgern und Bildungseinrichtungen, vor allem den Zusatzangebote für Schülerinnen und Schüler zu generieren. So sollten Schulen und Netzwerken zu beratenden und unterstützenden Gesprächen Schulnetzwerke gefördert und – soweit möglich – außerschulische und gern zur Verfügung. zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure in sie einbezogen werden. Ziel sollte es sein, regional oder kommunal Förderpatenschaften entste- hen zu lassen und diese integrativ in das Lernangebot der Schule einzu- binden, sodass sie nicht zu parallelen Lernwelten zwischen Schule und außerschulischem Lernort führen. Um besonders begabte und potenziell leistungsstarke Kinder aus s ozial herausfordernden Lagen zu erreichen, sollten derartige Angebote für deren Familien kostenneutral sein. Zudem sollten außerschulische Förderangebote für Berufsschülerinnen und Be- rufsschüler deutlich ausgebaut werden. 5
Verfassende Stiftung Internationales Centrum für Begabungsforschung ICBF, TalentMetropole Ruhr, Dr. Britta L. Schröder, Geschäftsführung Burkhard Jungkamp, Vorstandsvorsitzender ZEIT Stiftung, Dr. Michael Göring, Vorsitzender des Vorstands Joachim Herz Stiftung, Dr. Nina Lemmens, Vorständin Robert Bosch Stiftung GmbH, Dr. Dagmar Wolf, Bereichsleiterin Bildung Prof. Dr. Ralf Benölken, Bergische Universität Wuppertal Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Uwe Erichsen, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Mitunterzeichnende Prof. Dr. Christian Fischer, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., Ansgar Wimmer, Vorsitzender des Vorstands Dr. Christiane Fischer-Ontrup, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Dr. Thomas Kempf, Vorstand Prof. Dr. Wolfgang Hallet, Justus-Liebig-Universität Gießen Bildung&Begabung, Prof. Dr. Elke Völmicke, Geschäftsführerin Prof. Dr. Kerstin Höner, Technische Universität Braunschweig Claussen-Simon-Stiftung, Dr. Regina Back, Geschäftsführender Vorstand Prof. Dr. Friedhelm Käpnick, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik, Christian Steinberg, Vorstandsvorsitz Dr. Brigitte Kottmann, Universität Paderborn Karg-Stiftung, Dr. Ingmar Ahl, Vorstand Prof. Dr. Julius Kuhl, Universität Osnabrück Nordmetall-Stiftung, Kirsten Wagner, Geschäftsführerin PD Dr. Beate Laudenberg, Pädagogische Hochschule Karlsruhe Richard Pelz und Helga Pelz-Anfelder Stiftung, Manfred Loick, Geschäftsführer Prof. Dr. Johannes Mayer, Goethe-Universität Frankfurt Roland Berger Stiftung, Regina Pötke, Vorstand Prof. Dr. Christoph Perleth, Universität Rostock Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V., Prof. Dr. Franzis Preckel, Universität Trier Dr. Volker Meyer-Guckel, stellvertretender Generalsekretär Prof. Dr. Christian Reintjes, Universität Osnabrück Bettina Jorzik, Leitung Programmbereich Lehre und akademischer Nachwuchs Prof. Dr. Julia Schwanewedel, Universität Hamburg Stiftung Bildung zur Förderung Hochbegabter, Ingrid Pieper-von Heiden, Prof. Dr. Claudia Solzbacher, Universität Osnabrück Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Elmar Souvignier, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Stiftung der deutschen Wirtschaft, Prof. Dr. Carmen Spiegel, Pädagogische Hochschule Karlsruhe Dr. Arndt Schnöring, Generalsekretär Prof. Dr. Miriam Vock, Universität Potsdam Stiftung Internationales Centrum für Begabungsforschung ICBF, Prof. Dr. Gabriele Weigand, Pädagogische Hochschule Karlsruhe Prof. Dr. Klaus Anderbrügge, stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums Prof. Dr. Ulrike Weyland, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg, Vorsitzender des Kuratoriums Prof. Dr. Heinz-Werner Wollersheim, Universität Leipzig Dr. Michael Voges und Jutta Meyer, Kuratoriumsmitglieder Prof. Dr. Dr. Albert Ziegler, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg Heribert Woestmann, stellvertretender Vorsitzender im Vorstand Prof. Dr. Pienie Zwitserlood, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main, Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt, Vorstandsvorsitzender Münster, den 25. September 2021 6
Sie können auch lesen