NEGATIVE STROMPREISE HISTORISCHE ENTWICKLUNG & AUSBLICK BIS 2030 - Historische Entwicklung & Ausblick bis ...

 
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NEGATIVE STROMPREISE
     HISTORISCHE ENTWICKLUNG & AUSBLICK BIS 2030

Berlin, Februar 2021

Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie

Autoren F. Huneke, M. Claußner, A. Fernahl,
N. Schink und C. Perez Linkenheil
INHALTSVERZEICHNIS

1. Zusammenfassung ............................................................................................................................................... 1

2. Einleitung ............................................................................................................................................................... 3

3. Historische Analyse negativer Strompreise ................................................................................................ 4

  3.1. Analyse von Häufigkeit und Höhe ............................................................................................................ 4

  3.2. Einspeisung von thermischen Kraftwerken während negativer Strompreise ............................ 7

  3.3. Menge erneuerbarer Energien während negativer Strompreise .................................................. 13

  3.4. Gebotskurvenanalyse Day-Ahead-Markt bei negativen Preisen ................................................... 14

  3.5. Negative Merit-Order.................................................................................................................................. 15

4. Prognose der Häufigkeit von negativen Strompreisen bis 2023 ....................................................... 18

  4.1. Prognose in Abhängigkeit des Kalendereffekts ................................................................................. 18

  4.2. Prognose in Abhängigkeit des Wetter- und Kalendereffekts ........................................................ 21

  4.3. Prognoseeinfluss einer Krise.................................................................................................................... 21

5. Szenarienbasierte Untersuchung negativer Strompreise im Jahr 2030 ........................................... 23

  5.1. Untersuchung der Wetterabhängigkeit................................................................................................. 23

  5.2. Einfluss der Windenergie – Einfluss der Photovoltaik .................................................................... 25

  5.3. Einfluss der Flexibilität aus der Sektorenkopplung ......................................................................... 25

  5.4. Einfluss der Wärmeauskopplung von Gaskraftwerken .................................................................... 26

6. Literaturverzeichnis .......................................................................................................................................... 27

Kurzportrait Energy Brainpool ............................................................................................................................. 28
ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Gesamtstundenzahl zu negativen Preisen gemäß Day-Ahead-Auktion der EPEX
Spot sowie ≥ 4 oder ≥ 6 Stunden in Folge negativ gemäß §51, 2020 exklusive Dezember ........... 4

Abbildung 2: Anzahl stündlicher negativer Strompreise in Deutschland verglichen zu
ausgewählten Nachbarländern an den Day-Ahead-Märkten....................................................................... 5

Abbildung 3: Schwerpunkte der negativen Preise der Day-Ahead-Auktion der EPEX Spot über
den Zeitraum 2015 bis einschließlich Dezember 2020 ................................................................................ 6

Abbildung 4: kombinierte Heatmap der negativen Stunden in der Day-Ahead-Auktion der EPEX
Spot von 2015 bis Dezember 2020 ..................................................................................................................... 7

Abbildung 5 a) - c): Normierte Braunkohleerzeugung in den Jahren 2015, 2017 und 2019
[Quelle: eigene Berechnung anhand Daten von ENTSO-E „Generation per production type“ und
EEX „EPEX Spot DE-AT / DE – LU Day – Ahead“] ........................................................................................... 8

Abbildung 6 a) - c): normierte Steinkohleerzeugung in den Jahren 2015, 2017 und 2019 [Quelle:
eigene Berechnung anhand Daten von ENTSO-E „Generation per production type“ und EEX
„EPEX Spot DE-AT/DE-LU Day-Ahead“] .............................................................................................................. 9

Abbildung 7 a) - c): normierte Kernenergieerzeugung in den Jahren 2015, 2017 und 2019
[Quelle: eigene Berechnung anhand Daten von ENTSO-E „Generation per production type“ und
EEX „EPEX Spot DE-AT / DE-LU Day-Ahead“]................................................................................................... 9

Abbildung 8: Entwicklung der Stromerzeugung bei vier Stunden (oben, 29.–30.01.2016) und elf
Stunden (unten, 23.–24.12.2017) negativen Preisen [Quelle: eigene Berechnung anhand Daten
von ENTSO-E „Generation per production type“ und EEX „EPEX Spot DE-AT Day-Ahead“] ........... 11

Abbildung 9: normierte Einspeisung gemäß Höchstlast in Zeiten bestimmter EPEX-DA
Preisintervalle [Daten: ab 2015 (unterschiedlich, je nach Verfügbarkeit), ENTSO-E Generation
und EPEX Spot DA].................................................................................................................................................. 12

Abbildung 10: prozentuale Einspeisung zu negativen Stunden (von links: 2015 bis Dez. 2020,
2019, 2020 exklusiv Dez.) ..................................................................................................................................... 13

Abbildung 11: exemplarische Skizze der Gebotskurven in einer Handelsstunde der Day-Ahead-
Auktion an der EPEX Spot ..................................................................................................................................... 15

Abbildung 12: monatlicher, durchschnittlicher Angebotsüberhang/fehlende Nachfrage während
negativer Preise in 2019 und 2020 [Eigene Darstellung nach EPEX Spot] .......................................... 15
ZUSAMMENFASSUNG

Abbildung 13: negative Merit-Order und schemenhafte Darstellung der zu negativen Preisen
bietenden Marktakteure, EPEX Day-Ahead-Auktion in der Stunde 13 des 18. März 2019 [Eigene
Darstellung nach EPEX Spot] ............................................................................................................................... 16

Abbildung 13: Prognose negativer Strompreise in Verbindung mit deren Vorkommen innerhalb
von 4- bzw. 6-h-Zeitfenstern bis 2023 (links) und Abweichungen der mittleren Prognose in
Abhängigkeit des gewählten Wetterjahre (Kalendereffekt, rechts) [Quelle: eigene Berechnungen
mit dem Fundamentalmodell Power2Sim] ..................................................................................................... 19

Abbildung 14: Prognose des Erzeugungsanteils erneuerbarer Energien während negativer
Strompreise und § 51-Zeitfenstern .................................................................................................................... 21

Abbildung 15: volle Schwankungsbreite der Prognose negativer Strompreise bei Variation
sowohl der Vollbenutzungsstunden als auch der Einspeiseprofile erneuerbarer Energien ........... 21

Abbildung 16: szenariobasierte Untersuchung der Anzahl negativer Preise 2030 und deren
Schwankungsbreite in Abhängigkeit vom Wetterjahr ................................................................................. 24

Abbildung 17: Erzeugungsanteile erneuerbarer Energien während negativer Preise und während
§ 51-Zeitfenstern ..................................................................................................................................................... 24

TABELLENVERZEICHNIS

Tabelle 1 – Entwicklung der durchschnittlichen normierten Erzeugung je Technologie bei
negativen Preisen von 2015 – 2019 [Quelle: eigene Berechnung anhand Daten von ENTSO-E
„Generation per production type“ und EEX „EPEX Spot DE-AT / DE-LU Day-Ahead“] ...................... 10
ZUSAMMENFASSUNG

1.      ZUSAMMENFASSUNG

Die Jahre 2015 bis 2020 haben eine sukzessive Erhöhung des Auftretens negativer Strompreise
gezeigt. So traten im Jahr 2020 298 Stunden mit negativen Strompreisen auf. Jeweils über 5,7 %
der Erzeugung von Wind- oder Solarstrom fiel in diese Zeiträume. Windkraft an Land war beson-
ders betroffen, im Winter in und um die Nachtstunden zeigte sich dies besonders. Im Frühjahr
traten in der jüngeren Vergangenheit auch mittags und vormittags vermehrt negative Preise auf,
die Photovoltaik-Einspeisung war davon in wachsendem Maße betroffen. Thermische Kraft-
werke drosselten ihre Erzeugungsleistung zu Zeiten negativer Strompreise um durchschnittlich
25 % (Kernkraft), 70 % (Braunkohle) und 86 % (Steinkohle). Gaskraftwerke verhielten sich in die-
sen Zeiten sehr heterogen, da die Betriebskonzepte häufig mit einer Kopplung der Stromerzeu-
gung an andere Produkte und Dienstleistungen einhergehen.

Die Prognose negativer Preise zeigt für die kommenden Jahre eindeutig einen vorübergehenden
Trendwechsel. Bis 2023 sinkt in der fundamentalen Strommarktmodellierung ihr Auftreten, was
insbesondere auf den Kernkraftausstieg zurückzuführen ist. Unter Annahme einer nicht von
SARS-CoV-2 beeinflussten Stromnachfrage sind 2021 im Mittel 200 negative Strompreisstunden
zu erwarten, im Jahr 2023 nur noch 74. Diese mittlere Prognose ist stark von rein zufälligen
Wetter- und Kalendereffekten beeinflusst. Zum Beispiel sind im gleichen Prognose-Modell 282
Stunden mit negativen Preisen aufgetreten, als zufällig besonders viele sonnige Wochenenden
und windige Feiertage modelliert wurden. Fielen Einspeisespitzen häufig mit zufälligerweise
hohen Stromverbräuchen zusammen, reduzierte sich der Prognosewert auf 113. Dass zudem Kri-
sen Strompreise verändern können, hat das Jahr 2020 gezeigt. Negative Preise werden bei ei-
nem Rückgang der Stromnachfrage häufiger: Die mittlere Prognose der Anzahl von Stunden mit
negativen Strompreisen im Jahr 2021 erhöht sich bei einer Reduktion der Stromnachfrage um 5
% und nachfolgender schrittweiser Regenerierung im Mittel auf 269 (+ 35 %). Der Erzeugungs-
anteil erneuerbarer Energien in Zeiten negativer Preise reduziert sich von 2021 bis 2023 im Mit-
tel von 7,9 %, auf 3 % bei Wind Onshore und für Photovoltaik von 3 auf 1,3 %.

Die beschriebene Trendwende ist vorübergehend. Die weitere Modellierung von negativen
Strompreisen im Jahr 2030 zeigt einen Wiederanstieg, der im Zubau erneuerbarer Energien be-
gründet ist. In einem Referenzszenario, das entlang des Netzentwicklungsplans und anderen po-
litischen Planungen entwickelt wurde, zeigte das Jahr 2030 im Mittel 305 negative Preisstun-
den.
11,5 % der Onshore-Winderzeugung fällt hier in Zeiträume negativer Preise. In Wetterjahren mit
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                           1
ZUSAMMENFASSUNG

vielen Stunden mit negativen Preisen stieg dieser Wert auf bis zu 18 % an. Photovoltaikanlagen
waren deutlich weniger stark betroffen: Hier entfielen nur 4,5 % Erzeugungsanteil auf diese
Zeiträume. Der § 51 EEG deckt hohe Anteile dieser Mengen ab, insbesondere die neue 4-h-Regel
wird bei einem hohen Niveau negativer Strompreise in vielen Fällen greifen. Betreiber werden
dies in den Geboten in den Ausschreibungen für erneuerbare Energien berücksichtigen müssen.

Drei Sensitivitätsrechnungen zeigten, erstens, dass ohne die angenommene flexible Stromnach-
frage von Elektromobilität, Wärmepumpen oder Power-to-Gas sich die Anzahl negativer Preise
um 28 % erhöhte. Zweitens führte die Anhebung der EE-Ziele um 50 TWh bei Onshore-Anlagen
zu deutlich mehr Stunden mit negativen Preisen als bei einer bezogen auf Erzeugung gleichen
Anhebung der Menge von PV-Anlagen. Drittens hat eine Flexibilisierung aller Gaskraftwerke mit
Wärmeauskopplung modellseitig das Auftreten negativer Strompreise im Jahr 2030 um 66 % re-
duziert.

Negative Strompreise übernehmen in Zeiten niedriger Nachfrage und hoher inflexibler Erzeu-
gung eine Vermittlerrolle. Sie objektivieren den systemweiten Aushandlungsprozess, welche
Stromerzeuger bei niedriger Nachfrage die Stromerzeugung drosseln müssen. Solange thermi-
sche Kraftwerke mit negativen Geboten erneuerbaren Strom in den Spotmärkten verdrängen,
sichern negative Gebote die vorrangige erneuerbare Einspeisung ab. Das hat insofern auch ei-
nen volkswirtschaftlichen Mehrwert, als dass das Ziel eines bestimmten Anteils erneuerbaren
Stroms sonst nur mit zusätzlichen Anlagen erreicht werden könnte. Ganz praktisch heißt das:
Regelte eine Windkraftanlage an Land im Jahr 2030 11,5 % des produzierbaren Stroms ab, den
sie wie oben beschrieben während negativer Preise erzeugt, müssen rund 11,5 %1 mehr Wind-
kraftanlagen gebaut werden, um in Summe gleich viel Strom zu produzieren. Demgegenüber
können negative Strompreise allerdings auch zu einer geringeren Kosteneffizienz des Stromver-
sorgungssystems führen und ineffiziente Stromverbräuche anreizen.

Neben dem Ausscheiden von Altanlagen aus der finanziellen Förderung, sind besonders der
Kernkraft-, der Kohleausstieg und die Flexibilisierung aller verbleibenden thermischen Kraft-
werke (insbesondere Biomasse, Gas-KWK) ein Garant für das Vermeiden von nicht notwendigen
Überschusssituationen und negativer Preise.

1
    Da der Strommarkt ein nichtlineares System ist, weicht der genaue Wert ab.
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                            2
EINLEITUNG

2.      EINLEITUNG

Im Elektrizitätssystem muss jederzeit im gleichen Maße Strom eingespeist wie ausgespeist wer-
den. Nun können weder Stromverbraucher noch Stromerzeuger ungehindert flexibel dieses
Gleichgewicht aus Angebot und Nachfrage einstellen; sie haben dabei technische und wirt-
schaftliche Restriktionen zu beachten. Lagerbar ist das Handelsgut Strom nicht, technisch spei-
cherbar ebenfalls nur begrenzt. Was geschieht nun, wenn eine hohe inflexible Stromerzeugung
auf einen niedrigen inflexiblen Stromverbrauch trifft?

Der Strompreis sinkt soweit, bis ein Akteur bereit ist, trotz seiner individuellen wirtschaftlichen
oder technischen Restriktionen die Stromerzeugung zu drosseln oder die Stromnachfrage zu er-
höhen. Dabei sinkt dieser Strompreis immer häufiger und länger auch ins Negative und eine für
außenstehende oft befremdliche Situation entsteht: Der Verbrauch wertvoller Energie wird be-
zahlt, obwohl doch jede und jeder angehalten ist, damit sparsam und effizient umzugehen. Der
genaue Blick offenbart jedoch, dass in diesen Situationen voller Inflexibilität der Strompreis als
objektiver Mittler den notwendigen Aushandlungsprozess übernimmt, welcher Akteur zu den
geringsten Kosten bereit ist, doch noch Flexibilität bereitzustellen. Dies ist eine wichtige Funk-
tionalität von Strommärkten, gerade bei hohen Anteilen inflexibler thermischer Kraftwerke und
geförderter erneuerbarer Energien. Negative Strompreise dienen so auch als Investitionssignal
zur Flexibilisierung, sie bestrafen die Stromerzeugung zur falschen Zeit, lenken Investitionen in
flexible oder systemdienliche erneuerbare und konventionelle Kraftwerkskapazitäten bzw. de-
ren Ertüchtigung und Betriebsweise.

Negative Preise haben jedoch auch eine Kehrseite: Sie mindern die Kosteneffizienz der Stromer-
zeugung und -versorgung und können energieineffiziente Verbräuche anregen. Grundsätzlich
treten negative Strompreise besonders aufgrund der Frühphase des Fördersystems für erneuer-
bare Energien auf. Die Regelungen zur Förderung dieser Altanlagen verhindern, dass deren Be-
treiber und Vermarkter negative Preise finanziell berücksichtigen müssen.

Auch wenn negative Preise deshalb an sich keinen anzustrebenden Zielzustand an Strommärk-
ten darstellen, dienen sie als Barometer, inwiefern ausreichend Flexibilität aufseiten der Strom-
erzeugung und des -verbrauchs bereitstehen, um die Inflexibilität durch starre Stromverbräuche
und Stromerzeuger aufzufangen. Dieser Barometer der Inflexibilität wird in dieser Studie zu-
nächst historisch untersucht. Auf Basis dieser Erkenntnisse erfolgt eine Prognose negativer
Preise bis ins Jahr 2023 und für das Jahr 2030 Sensitivitätsanalysen, die eine Abschätzung der
weiteren Entwicklung negativen Preise ermöglicht.

Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                  3
HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

3.        HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

3.1.      ANALYSE VON HÄUFIGKEIT UND HÖHE

Seit 2015 bewegt sich die Anzahl negativer Strompreisstunden (Day-Ahead) zwischen 97 (2016)
und 298 (2020). Das sind zwischen 1,1 und 3,1 Prozent der Stunden eines Jahres. Häufig treten
sie gebündelt auf, wie sich bei der Zählung von Stunden mit vier bzw. sechs und mehr negati-
ven Preisen in Folge zeigt. Diese sind für Erneuerbare-Energien(EE)-Anlagen besonders relevant,
da der § 51 des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes für diese Zeiträume2 die Auszahlung der
Marktprämie aussetzt. Gerade in Jahren mit vielen negativen Preisen machen die 6-h-Zeiträume
deutlich mehr als die Hälfte der negativen Preise aus. Der Unterschied zwischen 4-h-Zeiträumen
und allen Zeiträumen mit negativen Preisen ist häufig nur noch gering.

Abbildung 1: Gesamtstundenzahl zu negativen Preisen gemäß Day-Ahead-Auktion der EPEX Spot sowie ≥
              4 oder ≥ 6 Stunden in Folge negativ gemäß §51, 2020 exklusive Dezember

Negative Strompreise können nicht nur im deutschen Strommarkt beobachtet werden. Da die
europäischen Strommärkte gekoppelt sind und auch in anderen Ländern Situationen mit hoher

2
 Sechs Stunden oder mehr in Folge für bestimmte Anlagen mit Inbetriebnahme ab 1. Januar 2016, vier
Stunden in Folge für bestimmte Anlagen mit Inbetriebnahme ab 2021.
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                 4
HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

Erzeuger- oder Verbraucherseitiger Inflexibilität auftreten, ist dieses Phänomen in Europa ver-
breitet. Die Entwicklung der Häufigkeit ist für ausgewählte Märkte und Handelsplätze in Abbil-
dung 2 dargestellt. In Dänemark, das über ein Stromsystem mit bekanntlich besonders hohem
Windenergieanteil bei der Stromerzeugung verfügt, hat es zwischen 2015 und 2019 ein stetes
Wachstum an Stunden mit negativen Strompreisen gegeben. Nach Aufteilung des deutsch-ös-
terreichischen Marktgebiets haben die dortigen Strompreise in ihrer Häufigkeit abgenommen.
Auch auf dem tschechischen Strommarkt hat mit der Marktaufteilung Deutschland-Österreich
eine Reduktion dieser Ereignisse eingesetzt, kann aber nicht zweifelsfrei darauf zurückgeführt
werden. In Belgien und Frankreich sind negative Strompreise noch ein junges Phänomen. In
Frankreich hat sich der Trend zu mehr negativen Preisen im Jahr 2020 verstetigt, wie weiterge-
hende Analysen zeigten.

 250
 200
 150
 100
   50
     0

                                                 2015         2017     2019

Abbildung 2: Anzahl stündlicher negativer Strompreise in Deutschland verglichen zu ausgewählten Nach-
barländern an den Day-Ahead-Märkten

Eine detaillierte Analyse des zeitlichen Auftretens negativer Strompreise lässt Schlüsse auf die
Abhängigkeit von Regelmäßigkeiten bezüglich der Jahres- und Tageszeit zu. In den beiden Dia-
grammen unter Abbildung 2 ist das Auftreten negativer Preise und entsprechender 4- bzw. 6-
Stunden-Blöcken nach diesen Größen aufgeschlüsselt (siehe Abbildung 3 und 4). Negative
Strompreise traten besonders häufig zwischen Dezember und Mai auf. Im Sommer und Herbst
sind sie deutlich seltener. Daneben entstehen sie besonders nachts bei geringer Stromnachfrage
und am späten Abend. Doch auch mittags werden sie häufiger, wo die Stromnachfrage zumin-

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HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

dest wochentags hoch ist. Historische Analysen zu beispielsweise der Abhängigkeit von Wo-
chentagen sind bereits an anderer Stelle erfolgt. Sie zeigten eine Abhängigkeit von Situationen
mit niedriger Stromnachfrage am Wochenende oder an Feiertagen (Bundesnetzagentur, 2019).

Abbildung 3: Schwerpunkte des Auftretens negativer Preise in der Day-Ahead-Auktion der EPEX Spot über
                        den Zeitraum 2015 bis einschließlich Dezember 2020

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HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

    Abbildung 4: kombinierte Heatmap der negativen Preisstunden in der Day-Ahead-Auktion der EPEX Spot
                                       von 2015 bis Dezember 2020

Eine kombinierte Analyse von Saisonalität und Tageszeit bringt weitere Erkenntnisse. In Abbil-
dung 4 zeigt sich, dass negative Strompreise im Winter verstärkt in der Nacht bzw. um die Nacht
herum auftreten, im Sommer und insbesondere im Frühling vermehrt mittags oder vormittags.
Im Sommer und Herbst sind eher wenige negative Preise zu erkennen, die tageszeitliche Vertei-
lung fällt nicht sehr deutlich ins Auge. Im Winter ist der Unterschied zwischen Nacht- und Ta-
gesstunden hingegen klar erkennbar.

3.2.      EINSPEISUNG VON THERMISCHEN KRAFTWERKEN WÄHREND NEGATI-
          VER STROMPREISE

Die Einspeisung von Gas-, Kernkraft-, Braun- & Steinkohlekraftwerken während negativer Preise
zeigt ihre Fähigkeit, flexibel mit Situationen niedriger Nachfrage und hoher Einspeisung Erneu-
erbarer umzugehen. Der Bericht über die Mindesterzeugung der Bundesnetzagentur 3 ermittelt

3
    (Bundesnetzagentur, 2019)
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HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

einen konventionellen Erzeugungssockel von rund 14 bis über 19 Gigawatt Leistung. Während
das diesbezügliche Verhalten von Gaskraftwerken von fortdauernder Relevanz für die Integra-
tion erneuerbarer Energien in das Stromsystem ist, reduziert der Ausstieg aus Kernkraft und
Kohle deren Relevanz. Die beiden Technologiegruppen werden im Folgenden getrennt behan-
delt; auch, weil bei Gaskraftwerken die Fahrweise wärmegeführter Kraft-Wärme-Kopplungsanla-
gen eine besondere Rolle für die Flexibilität spielt.
In den folgenden Abbildungen ist die normierte4 Netzeinspeisung gemäß ENTSO-E gegen den
jeweiligen stündlichen Strompreis für die Jahre 2015, 2017 und 2019 aufgetragen. Die Farbin-
tensität der Abbildungen beschreibt die Häufigkeit eines Betriebszustandes.

                           120 %                                          120 %                                           120 %
                           100 %                                          100 %                                           100 %
     Normierte Erzeugung

                                                    Normierte Erzeugung

                                                                                                    Normierte Erzeugung
                            80 %                                           80 %                                            80 %
                            60 %                                           60 %                                            60 %
                            40 %                                           40 %                                            40 %
                            20 %                                           20 %                                            20 %
                             0%                                             0%                                              0%
                               -100 0 100 200                                 -100 0 100 200                                  -100 0 100 200
                                   Preis in €/MWh                                 Preis in €/MWh]                                 Preis in €/MWh

    Abbildung 5 a) - c): normierte Braunkohleerzeugung in den Jahren 2015, 2017 und 2019 [Quelle: eigene
    Berechnung anhand Daten von ENTSO-E „Generation per production type“ und EEX „EPEX Spot DE-AT /
                                            DE – LU Day – Ahead“]

4
 Normierung der Kohlekraftwerke über maximale Einspeisung je Kalendermonat und der Kernkraft über
maximale Erzeugung binnen 24 Stunden
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HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

                         120 %                                             120 %                                               120 %

                         100 %                                             100 %                                               100 %

                                                     Normierte Erzeugung
   Normierte Erzeugung

                                                                                                         Normierte Erzeugung
                          80 %                                              80 %                                                80 %

                          60 %                                              60 %                                                60 %

                          40 %                                              40 %                                                40 %

                          20 %                                              20 %                                                20 %

                           0%                                                0%                                                  0%
                             -100 0     100 200                                -100 0     100 200                                  -100 0     100 200
                                 Preis in €/MWh                                    Preis in €/MWh                                      Preis in €/MWh

Abbildung 6 a) - c): normierte Steinkohleerzeugung in den Jahren 2015, 2017 und 2019 [Quelle: eigene Be-
rechnung anhand Daten von ENTSO-E „Generation per production type“ und EEX „EPEX Spot DE-AT/DE-LU
                                               Day-Ahead“]

                         120 %                                             120 %                                           120 %

                         100 %                                             100 %                                           100 %
   Normierte Erzeugung

                                                  Normierte Erzeugung

                          80 %                                              80 %                    Normierte Erzeugung        80 %

                          60 %                                              60 %                                               60 %

                          40 %                                              40 %                                               40 %

                          20 %                                              20 %                                               20 %

                           0%                                                0%                                                 0%
                             -100 0 100 200                                    -100 0 100 200                                     -100 0 100 200
                                 Preis in €/MWh                                    Preis in €/MWh                                      Preis in €/MWh

Abbildung 7 a) - c): normierte Kernenergieerzeugung in den Jahren 2015, 2017 und 2019 [Quelle: eigene
Berechnung anhand Daten von ENTSO-E „Generation per production type“ und EEX „EPEX Spot DE-AT /
                                          DE-LU Day-Ahead“]

Die normierte Erzeugung zu negativen Preisen ermöglicht eine verallgemeinerte Beschreibung
der technologiespezifischen Fähigkeiten, die eigene Leistung an die Stromnachfrage anzupas-
sen. Kernkraftwerke senkten ihre Leistung nur geringfügig ein. Steinkohlekraftwerke zeigten mit
im Jahresmittel stets über 86 % Lasteinsenkung eine hohe Flexibilität. Der sich verjüngende
Braunkohlekraftwerksbestand zeigte von 2015 bis 2019 eine sich erhöhende Flexibilität.

Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                                                                    9
HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

Tabelle 1 – Entwicklung der durchschnittlichen normierten Erzeugung je Technologie bei negativen Preisen von
2015 – 2019 [Quelle: eigene Berechnung anhand Daten von ENTSO-E „Generation per production type“ und EEX
„EPEX Spot DE-AT / DE-LU Day-Ahead“]

 JAHR                           BRAUNKOHLE                      STEINKOHLE            KERNKRAFT

           2015                            48 %                        13 %                     80 %
           2017                            39 %                        10 %                     72 %
           2019                            30 %                        14 %                     75 %

Wie sehr die Kraftwerksflotte die Leistung einsenkt, hängt unter anderem von der Dauer des
Niedrigpreisregimes unter dem darauffolgenden Hochpreisregimes ab. Start-Stopp-Kosten, ver-
miedene Kosten durch den Verkauf zu negativen Preisen und entgangene Erlöse beim nur kurz-
fristigen Hochfahren müssen gegeneinander abgewogen werden.
Die beiden Beispielzeiträume mit unterschiedlich langen negativen Preisen zeigen dies. In der
oberen Abbildung senkten Kernkraftwerke um bis zu 10 % ein, Braunkohlekraftwerke auf bis zu
40 % der maximalen Erzeugung. In der unteren Abbildung senkte die Kernkraft etwa vier Mal so
stark ein, Braunkohlekraftwerke auf bis unter 10 % der maximalen Erzeugung.

Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                           10
HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

                         1,20                                                                     25,00

                                                                                                          Day-Ahead DE EPEX [€/MWh]
                         1,00                                                                     20,00
   Normierte Erzeugung

                         0,80                                                                     15,00

                         0,60                                                                     10,00

                         0,40                                                                     5,00

                         0,20                                                                     0,00

                         0,00                                                                  -5,00
                             15:00    18:00   21:00    00:00     03:00    06:00   09:00   12:00

                                     Braunkohle       Steinkohle         Kernenergie      Preis

                         1,20                                                                 40,00

                                                                                                          Day-Ahead DE EPEX [€/MWh]
                         1,00                                                                 20,00
   Normierte Erzeugung

                         0,80                                                                 0,00

                         0,60                                                                 -20,00

                         0,40                                                                 -40,00

                         0,20                                                                 -60,00

                         0,00                                                                  -80,00
                             15:00    18:00   21:00    00:00    03:00    06:00    09:00   12:00

                                     Braunkohle       Steinkohle         Kernenergie      Preis

Abbildung 8: Entwicklung der Stromerzeugung bei vier Stunden (oben, 29.–30.01.2016) und elf Stunden
(unten, 23.–24.12.2017) negativen Preisen [Quelle: eigene Berechnung anhand Daten von ENTSO-E „Ge-
neration per production type“ und EEX „EPEX Spot DE-AT Day-Ahead“]

Gaskraftwerke sollen auch im künftigen Stromsystem eine tragende Säule darstellen. Ihr Verhal-
ten bei negativen Strompreisen ist besonders relevant. Vergleichen wir daher im Folgenden das
Verhalten von vier verschiedenen Gaskraftwerken bzw. Kraftwerksblöcken.

Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                                                  11
HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

                GuD Emsland, Block C                                    HKW Berlin Mitte
  12%                                                             60%
  10%                                                             50%
   8%                                                             40%
   6%                                                             30%
   4%                                                             20%
   2%                                                             10%
   0%                                                              0%

                     GKB (Bremen)                                       GuD Dormagen
  40%                                                             30%
                                                                  25%
  30%
                                                                  20%
  20%                                                             15%
                                                                  10%
  10%
                                                                   5%
    0%                                                             0%

Abbildung 9: normierte Einspeisung gemäß Höchstlast in Zeiten bestimmter EPEX-DA Preisintervalle [Da-
ten: ab 2015 (unterschiedlich, je nach Verfügbarkeit), ENTSO-E Generation und EPEX Spot DA]

Das GuD Emsland, Block C wies eine flexible Fahrweise auf und war in der Lage, keinen Strom
zu produzieren, wenn der Strompreis negativ wurde. Das GuD Emsland koppelt Prozessdampf
aus, die stromseitige Flexibilität ist dadurch jedoch nicht beeinträchtigt. Das HKW Mitte (Berlin)
versorgte hingegen ein Wärmenetz und die stromseitige Flexibilität war begrenzt, denn auch zu
negativen Preisen wurde 10 bis 30 % der elektrischen Leistung ins Stromnetz eingespeist. Ähn-
liches lässt sich auch für andere ins Wärmenetze einspeisende Kraftwerke zeigen. In deutlich
geringerem Umfang ist eine leicht erhöhte Inflexibilität auch beim GKB (Bremen) zu beobach-
ten. Es speist Strom in das Bahnnetz ein und unterliegt hierdurch technischen Restriktionen, so-
dass auch hier das Börsenstrompreissignal nicht in jeder Situation unmittelbar wirkt. Das GuD
Dormagen hingegen liefert Strom und Dampf für den Chempark Dormagen und bewegt sich da-
mit u. a. im Umfeld der industriellen Eigenerzeugung, sodass Fragen der Stromnebenkosten die
Wirkung des Strompreissignals verändern.

Zusammenfassend lässt sich eine hohe Heterogenität der Anwendungsfälle, eine insgesamt
hohe Lastsenkungs-Flexibilität und eine spürbare Behinderung dieser durch Wärmeauskopplung
konstatieren.
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                               12
HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

3.3.     MENGE ERNEUERBARER ENERGIEN WÄHREND NEGATIVER STROMPREISE

Während negative Strompreise seit 2015 jährlich zwischen 1,1 und 3,1 Prozent der Zeit aus-
machten, überstieg die erneuerbare Strommenge, die in diesen Zeiträumen eingespeist wurde,
diese Werte insbesondere in jüngerer Vergangenheit deutlich. Damit zeigt sich auch, dass in
Zeiten hoher EE-Erzeugung sehr häufig Stunden negativer Strompreise auftreten und diese Teil
der inflexiblen Erzeugungsleistung sind, die die negativen Strompreise bedingen.

 Abbildung 10: prozentuale Einspeisung zu negativen Preisstunden (von links: 2015 bis Dez. 2020, 2019,
                                         2020 exklusive Dez.)

In Abbildung 10 sticht hervor, dass Onshore-Windkraft in den ersten elf Monaten des Jahres
2020 8,35 % der Strommengen in Stunden mit negativen Preisen produzierte. Auch die Photo-
voltaik erreichte mit 6,51 % im Jahr 2020 einen hohen Anteil an Erzeugung während negativer
Strompreise. Wind- und Solaranlagen sind aus technischer Sicht einseitig flexibel, also abregel-
bar. Die finanzielle Förderung über das EEG führt jedoch dazu, dass auch während negativer
Strompreise die mehrheitliche wirtschaftliche Einspeisung erfolgt. Mehrheitlich deswegen, weil
derjenige wachsende Teil der EEG-Anlagen, für den der § 51-EEG Anwendung findet, ab vier o-
der sechs Stunden mit negativen Preisen keine Förderung erhält. Bei Windkraftanlagen machten
2020 die Mengen, die in den Zeitraum von § 51 (6 h) fallen, 71 % der Mengen zu negativen Prei-
sen aus. Bei Photovoltaikanlagen waren es bloß 51 %. Mit der Einführung des 4-h-Kriteriums im
§ 51 wären 2020 Solaranlagen mit 80 % deutlich häufiger betroffen gewesen, bei Wind an Land
wäre der Wert mit 84 % jedoch immer noch höher gewesen. Die Änderung hat demnach eine
größere Auswirkung auf Photovoltaikanlagen.

Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                 13
HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

3.4.      GEBOTSKURVENANALYSE DAY-AHEAD-MARKT BEI NEGATIVEN PREISEN

Der Angebotsüberhang5, der bei der Day-Ahead-Auktion der EPEX Spot mit negativem Resultat
entsteht, hat eine Aussagekraft darüber, wie viel Stromangebot oder -nachfrage in MW den
Marktpreis negativ hat werden lassen. Andersherum kann daraus auch abgeleitet werden, wie
viel zusätzliche (flexible) Nachfrage in dieser Stunde notwendig gewesen wäre, um einen nega-
tiven Preis zu verhindern. Abbildung 11 stellt diese exemplarisch dar. Bildet man die Differenz
aus den angebots- und nachfrageseitigen Geboten zu 0 EUR/MWh, so erhält man die oben be-
schriebene Kennzahl (Angebotsüberhang/fehlende Nachfrage). Verschiebt man die Angebots-
kurve um 1.000 MW nach links (bzw. die Nachfragekurve nach rechts), so bildet der neue
Schnittpunkt beider Gebotskurven einen Preis von 0 EUR/MWh. Folglich beträgt der Angebots-
überhang bzw. die fehlende Nachfrage in diesem Beispiel 1.000 MW.

Der praktische Nutzen dieser Kennzahl liegt in der Quantifizierung des Flexibilitätsbedarfs zur
Vermeidung negativer Preise. Da über den Day-Ahead-Markt nicht die gesamte Stromnachfrage
vermarktet wird, begrenzt sich die diesbezügliche Aussagekraft auf den dort gehandelten Anteil.

Der durchschnittliche Angebotsüberhang in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 lag bei
1845 MW, während er 2019 noch 2648 MW betrug. Zum Vergleich: In etwa die vierfache Leis-
tung an Kernkraftwerken war in diesem Zeitraum installiert. Der monatsdurchschnittlich größte
Angebotsüberhang trat im Juni 2019 auf und Betrug über sieben Gigawatt.

Dieser Vergleich ist sehr interessant bezüglich der Einschätzung, welchen Einfluss der Kern-
kraftausstieg auf die Bildung negativer Preise hat. Die Day-Ahead-Auktion hätte ohne die impli-
ziten oder expliziten Gebote, die der Mindesterzeugung der Kernkraftwerke zuzuordnen ist, ein
positives Ergebnis gefunden. Das ist ein Anzeichen dafür, dass negative Strompreise mit dem
Kernkraftausstieg zunächst seltener werden. Wie die Ergebnisse von Kapitel 4 zeigen, bestätigt
die fundamentale Strompreisanalyse diese Vermutung.

5
 Wir definieren den Angebotsüberhang hier als die Differenz der zu 0 EUR/MWh angebotenen oder nach-
gefragten Strommenge.
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                              14
HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

                          100

                              80

                              60

                              40
 EUR/MWh

                                                                                 Angebot - Nachfrage =
                              20
                                                                                 Angebotsüberhang, z.B. 1000 MW
                               0
                                                                                                                        MW
                              -20

                              -40

                              -60
                                                        fiktive Nachfragekurve          fiktive Angebotskurve

Abbildung 11: exemplarische Skizze der Gebotskurven in einer Handelsstunde der Day-Ahead-Auktion an
                                           der EPEX Spot

                               8.000
                                                                                 2019       2020
                               7.000
   MW (Angebot - Nachfrage)

                               6.000

                               5.000

                               4.000
                                                                 Ø 2019: 2648 MW                      Ø 2020: 1845 MW
                               3.000

                               2.000

                               1.000

                                    0
                                        Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep

                                                  Monatsdurchschnitt des Angebotsüberhangs / der fehlenden Nachfrage

Abbildung 12: monatlicher, durchschnittlicher Angebotsüberhang/fehlende Nachfrage während negativer
                    Preise in 2019 und 2020 [Eigene Darstellung nach EPEX Spot]

3.5.                            NEGATIVE MERIT-ORDER

Anhand einer Gebotskurvenanalyse des Day-Ahead-Markts der EPEX Spot können außerdem In-
formationen über Kauf- und Verkaufsgebote zu Zeiten negative Preise gewonnen werden. Dar-
aus lässt sich die stundenscharfe negative Merit-Order der deutschen Stromerzeuger ableiten.
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                                          15
HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

Aufgrund der Anonymität der Börsenhandelsteilnehmer ist zwar keine definitive Zuweisung der
Gebote zu Erzeugungstechnologien möglich. Basierend auf den öffentlich bekannten Fördersät-
zen erneuerbarer Energien je Zubaujahr sowie den Eigenheiten verschiedener Vermarktungsfor-
men und -strategien sind jedoch schematische Abschätzungen möglich. Abbildung 13 zeigt
diese exemplarisch für die Stunde 13 des Beispieltags 18.03.2019 – eine Stunde mit besonders
hoher Wind- (rd. 37 GW) und Solareinspeisung (rd. 15 GW) bei gleichzeitig vergleichsweise nied-
riger Tagesdurchschnittstemperatur in Deutschland (rd. 4,5 °C).

                                                         Verkaufsgebote        Mögliche Bieter im Bereich       Mögliche Bieter im Bereich
     Gebotspreise in der Day-Ahead-Auktion der

                                                         -500 EUR/MWh:         -499 bis -101 EUR/MWh: EE-       -100 bis 0 EUR/MWh: EE-Anlagen im
                                                         ÜNB-Vermarktung       Anlagen im Marktprämienmodell    Marktprämienmodell (v.a. Wind an Land, PV),
                                                         u. phys. Erfüllung    (v.a. Wind Offshore), Mindest-   Kaufgebote konv. Erzeugungssockel, KWK
                                                         EEX, ggf. Mindest-    erzeugung (Kaufgebote konv.
              EPEX Spot in EUR/MWh

                                                         erzeugung             Erzeugungssockel, KWK,
                                                                               Erbringer von SDL)                                ~12 GW
                                                   0
                                                                                         ~9 GW
                                                 -100

                                                 -200

                                                 -300

                                                 -400
                                                             ~24 GW
                                                 -500
                                                        20                    25               30                35                 40                  45
                                                                                                    Leistung in GW
                                                    Merit Order negativer Kauf- und Verkaufsgebote (kumuliert), Stunde 13 am 18.03.19

Abbildung 13: negative Merit-Order und schemenhafte Darstellung der zu negativen Preisen bietenden
Marktakteure, EPEX Day-Ahead-Auktion in der Stunde 13 des 18. März 2019 [Eigene Darstellung nach
EPEX Spot]

Anhand der Abstufung der negativen Kauf- und Verkaufsgebote in dieser Stunde können die
verschiedenen Stromerzeuger mit Negativgeboten mit Blick auf ihre Vermarktungssituation
schematisch beschrieben werden. Dabei fällt der Block der unlimitierten Verkaufsgebote zum
Preis von -500 EUR/MWh ins Auge. In der dargestellten Beispielstunde umfasst dieser rund
24 GW. Die durch die Übertragungsnetzbetreiber pflichtvermarkteten Anlagen in der Festvergü-
tung (größtenteils PV-Kleinanlagen, sehr kleiner Anteil Onshore-Wind und Biomasse) machen
den Großteil dieser Anlagen aus, gefolgt von physisch erfüllten EEX-Futuregeschäften6. Gebote
der Mindesterzeugung sind für diesen Bereich ebenfalls nicht auszuschließen. Deren exaktes

6
 Gemäß Monitoringbericht 2019 (Bundesnetzagentur, 2020) wurden 2019 durchschnittlich 2 GW/h der
EEX-Futures physisch erfüllt.
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                                                                          16
HISTORISCHE ANALYSE NEGATIVER STROMPREISE

Gebotsverhalten kann aber nicht abschließend nachvollzogen werden. Beispiele für die Min-
desterzeugung sind Anbieter negativer Regelleistung (Vorhaltung, Besicherung) oder anderer
Systemdienstleistungen sowie der konventionelle Erzeugungssockel (s. Kapitel 3.2) inklusive in-
flexibler KWK-Anlagen mit Wärmeauskopplung. Der Großteil der Gebote dieser Akteure wird im
Bereich -500 EUR/MWh bis -101 EUR/MWh vermutet.7

Die anzulegenden Werte für erneuerbare Energien im Marktprämienmodell bestimmen, ab wel-
chem negativen Börsenpreis sich die Vermarktung der Anlage nicht mehr lohnt. Diese Anlagen
können ihren Strom unterhalb eines negativen Preisniveaus, das dem Betrag ihres anzulegen-
den Wertes entspricht, nicht gewinnbringend in das Netz einspeisen. Insofern im Direktvermark-
tungsvertrag keine abweichenden Vereinbarungen zum Umgang mit negativen Preisen getrof-
fen wurden8, wird die Anlage abregelt bzw. der Strom möglichst anderweitig genutzt. Die nega-
tive Merit-Order spiegelt die Struktur dieser anzulegenden Werte daher zum Teil wider. Bei-
spielsweise fällt ein großer Teil negativer Verkaufsgebote in den Bereich -100 bis -40
EUR/MWh. Dies deckt sich mit den anzulegenden Werten vieler direktvermarkteter Solar- und
Windanlagen an Land.

7
 Laut der Marktbefragung im Bericht über die Mindesterzeugung (Bundesnetzagentur, 2019) würden
48 % der Betreiber von Anlagen mit Kraftwärmeauskopplung auch bei -100 €/MWh „nie“ herunterfahren,
41 % aller befragten Betreiber würden ihr Kraftwerk unabhängig vom Preisniveau „nie“ vollständig herun-
terfahren.
8
 Zum Beispiel kann eine Abregelung bereits bei betragsmäßig niedrigeren negativen Preisen als dem an-
zulegenden Wert vereinbart werden.
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                 17
PROGNOSE DER HÄUFIGKEIT VON NEGATIVEN
 STROMPREISEN BIS 2023

4.      PROGNOSE DER HÄUFIGKEIT VON NEGATIVEN STROMPREISEN BIS 2023

Über die liquide gehandelten Strommärkte für die nächsten drei Jahre sind vergleichsweise viele
Informationen für eine Prognose vorhanden– solange keine unerwarteten Krisen auftreten.
Durch lange Projektphasen für neue Kraftwerke, durch Anmeldungen und teils öffentliche Pla-
nungen um Kraftwerksschließungen sowie der kurzfristig gut vorhersehbaren Stromnachfrage,
lassen sich in diesem Zeitfenster auch Prognosen für das Vorkommen negativer Preise anstellen.
Entwicklungen mit einem längeren Zeithorizont werden hingegen szenarienbasiert untersucht,
um denkbare und wahrscheinliche Entwicklungen zu analysieren.

Natürlich verbleiben auch im Terminmarkthorizont eine ganze Reihe Unwägbarkeiten, von de-
nen für die Prognose negativer Strompreise sich der krisenbehaftete Einbruch der Stromnach-
frage und Wetter-Kalendereffekte als zentrale Größen herausgestellt haben. Für diese Prognose
werden die Wetterjahre 1985 bis 2016 ungewichtet in einer Schwarmmodellierung über das
fundamentale, europäische Strommarktmodell Power2Sim verwendet. So treffen 32 Wetterjahre
auf die insbesondere vom Kalender abhängige Stromnachfrage 2021 bis 2023. Hierbei sind zwei
Vorgehensweisen etabliert: die Annahme fester Vollbenutzungsstunden mit variierenden stünd-
lichen Profilen oder die gleichzeitige Variation der Vollbenutzungsstunden nach historischem
Ertragspotenzial des betreffenden Wetterjahres.

Das Wetter ändert einerseits die Menge sowie andererseits den Zeitpunkt der Einspeisung von
Wind- und Solaranlagen. Da das Zustandekommen von negativen Preisen in hohem Maße vom
Kalendertags-abhängigen Stromverbrauch abhängt, wirkt das Wetter als zufällige Variable bei
der Prognose doppelt. Vereinfacht gesagt ist sowohl die Frage wie viel Sonnenstrom im Früh-
ling eingespeist relevant als auch, ob das verbrauchsschwache Ostern sonnig ist - oder nur die
Werktage mit ihrem höheren Stromverbrauch.

4.1.     PROGNOSE IN ABHÄNGIGKEIT DES KALENDEREFFEKTS

Betrachtet man lediglich den Kalendereffekt bei konstanten Vollbenutzungsstunden, so redu-
ziert sich in den drei Jahren bis zum vollzogenen Kernkraftausstieg die Anzahl negativer Strom-
preise von 200 auf 74. Dies sind die mittleren Ergebnisse aus der Modellierung mit dem Profil
von 32 Wetterjahren (1985 bis 2016). Die Anzahl der Stunden, die von § 51 betroffen sind, fallen

Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                             18
PROGNOSE DER HÄUFIGKEIT VON NEGATIVEN
    STROMPREISEN BIS 2023

ebenfalls im gleichen Umfang. Dabei ist der relative Anteil negativer Preise innerhalb dieser
Zeitfenster deutlich größer als in der Historie und nimmt weiter zu9.

Der Kalendereffekt lässt sich auf eine Schwankungsbreite (P_25 bis P_75) von 60 negativen
Stunden im Jahr 2021 um den Mittelwert feststellen. Die weitere Schwankungsbreite liegt bei
256 bis 149. Das bedeutet, treten die Windfronten und hohen Solarerträge zufällig besonders
häufig an Wochenenden und Feiertagen auf, erhöht sich die Prognose von 200 auf 256. Fallen
sie hingegen vermehrt auf Werktage, reduziert sie sich auf 149.

    250                                                         300
    200         200
                                                                250
                185              151
    150                                                         200
                                 141
    100                                            74           150
                147                                      68
     50                          110                            100
                                                   58
       0                                                          50
               2021             2022             2023
                                                                       0
                   Negative Preise                                         2021       2022       2023
                   Stunden in 4h-Regel                                     P_25 bis P_75
                   Stunden in 6h-Regel                                     Mittelwert & P_05 bis P_95

Abbildung 14: Prognose negativer Strompreisstunden in Verbindung mit deren Vorkommen innerhalb von
4- bzw. 6-h-Zeitfenstern bis 2023 (links) und Abweichungen der mittleren Prognose in Abhängigkeit des
gewählten Wetterjahre (Kalendereffekt, rechts) [Quelle: eigene Berechnungen mit dem Fundamentalmo-
dell Power2Sim]

Was diese Prognose für EE-Anlagenbetreiber bedeutet, zeigt Abbildung 15. Der mittlere prog-
nostizierte Erzeugungsanteil der Onshore-Windkraft zu negativen Preisen reduziert sich von
7,9 % im Jahr 2021 auf 3 % im Jahr 2023. Bei der Offshore-Windkraft reduziert er sich von
5 auf 1,8 %, bei Photovoltaik von 1,8 auf 0,9 %.

9
  Im Backtesting hat sich die modellseitige Präferenz beobachten lassen, in und um Zeiträumen mit nega-
tiven Preisen keine Sprünge auf Preise gleich oder leicht über null abzubilden, obgleich sie real vorlagen.
Dies liegt an der methodischen Begrenztheit der fundamentalen Strompreismodellierung, von fundamen-
talen Geboten abweichendes Händlerverhalten langfristig abzubilden. Über stochastisch optimierte Preis-
aufschläge ließen sich im Backtesting einzelne vergangene Zeiträume gut nachmodellieren, doch sobald
sich das Händlerverhalten änderte, sank sich die Genauigkeit unter das nicht-optimierte Ursprungniveau.
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                     19
PROGNOSE DER HÄUFIGKEIT VON NEGATIVEN
 STROMPREISEN BIS 2023

                            12
                                                                                                                            2021
   Erzeugungsanteile in %
                            10

                            8           7,9
                                                   7,4
                            6                              6,0
                                                                       5,0         4,7
                            4                                                              3,8
                                                                                                       3,0            2,7
                            2                                                                                                      1,8
                            0
                                 P
PROGNOSE DER HÄUFIGKEIT VON NEGATIVEN
 STROMPREISEN BIS 2023

Abbildung 15: Prognose des Erzeugungsanteils erneuerbarer Energien während Stunden negativer Strom-
preise und § 51-Zeitfenstern

4.2.     PROGNOSE IN ABHÄNGIGKEIT DES WETTER- UND KALENDEREFFEKTS

Betrachtet man zusätzlich zum Kalendereffekt den Effekt der variierenden Vollbenutzungsstun-
den von Wind- und Solaranlagen je nach Wetterjahr, erhöht sich die Schwankungsbreite der
Prognose. Die Prognose der mittleren Anzahl negativer Strompreise ist nicht identisch mit der
Prognose im vorigen Kapitel. Der Grund hierfür ist, dass der Durchschnitt der letzten 32 Wetter-
jahre nicht genau den verwendeten Annahmen für ein Wetternormaljahr im Sinne der erwarte-
ten Volllaststunden entspricht.

 300
                      282
 250
                                        221
 200                  203
 150                                   154             152
                       113                              88
 100                                   84
   50                                                   40
     0
               2021            2022             2023

              Datenreihen3
              Mittelwert & P_05 bis P_95

Abbildung 16: volle Schwankungsbreite der Prognose negativer Strompreise bei Variation sowohl der
Vollbenutzungsstunden als auch der Einspeiseprofile erneuerbarer Energien

Die Schwankungsbreite im Jahr 2021 erhöht sich von 149 bis 256 Stunden mit negativen Strom-
preisen (nur Kalendereffekt gleiche EE-Strommenge) auf 113 bis 282 (Kalendereffekt und variie-
rende EE-Strommenge). Im Jahr 2023 liegt die Schwankungsbreite zwischen 40 und 152 Stun-
den.

4.3.     PROGNOSEEINFLUSS EINER KRISE

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat im Jahr 2020 gezeigt, wie stark die Stromnachfrage von der wirt-
schaftlichen Tätigkeit abhängt und ebenfalls, dass die Anzahl negativer Strompreise mit sinken-
der Stromnachfrage steigt. Zum Zeitpunkt dieser Prognose kann keine verlässliche Aussage über
den Fortgang der Pandemie und ihres Einflusses auf die Stromnachfrage und negative Preise

Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                21
PROGNOSE DER HÄUFIGKEIT VON NEGATIVEN
 STROMPREISEN BIS 2023

gemacht werden. Als Indikator wurde untersucht, welchen Einfluss eine Reduktion der Strom-
nachfrage um 5 % zu Beginn des Jahres 2021 mit schrittweiser Erholung bis zur Mitte des Jahres
2022 auf die Anzahl negativer Preisstunden im Jahr 2021 hat.

Durch die Nachfragereduktion erhöht sich die für 2021 prognostizierte Häufigkeit von Stunden
mit negativen Strompreisen auf 269. Innerhalb von 32 Wetterjahren spreizen sich die Prognosen
auf zwischen 132 und 446 auf.

Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                         22
SZENARIENBASIERTE UNTERSUCHUNG NEGATIVER
 STROMPREISE IM JAHR 2030

5.       SZENARIENBASIERTE UNTERSUCHUNG NEGATIVER STROMPREISE IM
         JAHR 2030

Als Referenzszenario dient ein Energiesystem im Jahr 2030. Dieses wurde in der Stromnach-
frage, der installierten Leistung erneuerbarer Energien und der installierten Leistung von Gas-
kraftwerken entlang des deutschen Netzentwicklungsplans und NECP eigenständig entwickelt.
Für das europäische Ausland sind zudem die aktuellsten Pläne zu künftigen Grenzkuppelkapazi-
täten sowie eine Reihe weiterer europäischer Energiemarktstudien berücksichtigt. Das darge-
stellte Szenario repräsentiert ausdrücklich nicht die Ziele des Auftraggebers und bildet einen in
sich geschlossenen, abgestimmten Untersuchungsrahmen für die vorliegende Studie. Änderun-
gen durch das EEG 2021 sind nicht berücksichtigt, da die Szenarioparameter vor dessen Be-
schluss festgelegt wurden.

Die wesentlichen Parameter des untersuchten Szenarios sind:

         Bruttostromverbrauch von 635 TWh, davon als teilweise flexibel angenommen
          13 TWh Wärmepumpen, 32 TWh Elektromobilität, 15 TWh Power-to-Gas
         Installierte Leistung Photovoltaik: 98 GW, Wind Onshore 71 GW/Offshore 20 GW
         Installierte Leistung Gaskraftwerke: 35 GW, davon 39 % mit Wärme- oder
          Dampfauskopplung
         Installierte Leistung Kohle- bzw. Braunkohle 9 bzw. 10 GW
         Grenzkuppelleistungen Nachbarländer gemäß ENTSO-E 10-Year-Development-Plan
         Commoditypreise: 20,8 EUR/MWh Gas, 71 $/t Kohle, 76 $/bbl Öl und 32 EUR/tCO2

5.1.     UNTERSUCHUNG DER WETTERABHÄNGIGKEIT

Für das Jahr 2030 ergeben sich im Referenzszenario 305 Stunden mit negativen Strompreisen.
Die wetterabhängige Schwankungsbreite begrenzt diese auf 514 bis 177 und berücksichtigt so-
wohl eine Veränderung der Anlagenauslastung als auch Kalendereffekte. Sehr häufig lagen
diese Stunden auch in Zeiträumen des § 51. Das bedeutet, nachdem mit dem Kernkraftausstieg
bis 2023 die Anzahl von Stunden mit negativen Strompreisen zunächst gefallen ist, hat sie das
heutige Niveau bis 2030 wieder überschritten. Der Zubau geförderter erneuerbarer Energien ist
die Ursache dafür. Bei der Modellierung wurde eine mögliche, künftige gegenseitige Abhängig-
keit des Gebotsverhaltens von der § 51-Regelung nicht antizipiert. Die Verhinderung von negati-
ven Preisen aufgrund der Zurückhaltung von Mengen durch die Vermarkter ist eine mögliche
Anpassungsstrategie.
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                              23
SZENARIENBASIERTE UNTERSUCHUNG NEGATIVER
 STROMPREISE IM JAHR 2030

 310                                          305                       600
 300                                                                    500                                       514
                                                                        400
 290
                                              290                       300                               305 361
 280
                                                                        200
                                                                                                                  231
 270                                          279                       100                                       177
 260                                                                      0
                                              2030                                              2030

                                 Negative Preise                                    P_25 bis P_75
                                 Stunden in 4h-Regel
                                 Stunden in 6h-Regel                                Mittelwert & P_05 bis P_95

Abbildung 17: szenariobasierte Untersuchung der Anzahl von Stunden negativer Preise 2030 und deren
Schwankungsbreite in Abhängigkeit vom Wetterjahr

Mit einem Erzeugungsanteil von 11,5 % unter Wetterjahr bedingten Schwankungen zwischen
7 und 18 % ist die Onshore-Windkraft immer stärker von den negativen Preisen betroffen. Pho-
tovoltaikanlagen sind hingegen mit unter 5 % Erzeugungsanteil zwar stärker als heute aber ins-
gesamt weniger stark betroffen.

                            20
                            18                                                                                      2030
   Erzeugungsanteile in %

                            16
                            14
                            12         11,5     11,2   10,8
                            10
                             8
                                                                  7,2         6,9       6,7
                             6
                             4                                                                      4,5       4,2       4,0
                             2
                             0
                                 P
SZENARIENBASIERTE UNTERSUCHUNG NEGATIVER
 STROMPREISE IM JAHR 2030

5.2.     EINFLUSS DER WINDENERGIE – EINFLUSS DER PHOTOVOLTAIK

Das politische Ziel der Reduktion der Treibhausgase erzeugt regelmäßig Debatten um einen
schnelleren Zubau erneuerbarer Energien. Bei sonst gleichen Parametern hätte eine Erhöhung
des Zubaus um entweder rund 54 GW Photovoltaik oder 24 GW Wind Onshore jeweils den Effekt
von 50 TWh zusätzlichem Strom aus EE. Gemessen an 635 TWh Bruttostromverbrauch wären
das ein knapp 8-%-Punkte höherer EE-Anteil im Jahr 2030.

Die genannte Erhöhung des Zubaus von Windkraftanlagen an Land führt im Szenario in etwa zu
einer Verdopplung der Anzahl negativer Strompreisstunden auf 718. Bei der Photovoltaik führt
die gleiche Menge zusätzlichen Stroms zu einer Erhöhung auf 607 negative Preisstunden. Dies
sind durchschnittliche Werte über die Modellierung von 32 Wetterjahre, die gesamte Schwan-
kungsbreite liegt zwischen 418 und 1122 (Maximierung Wind) und 357 bis 958 (Maximierung
Photovoltaik).

Die Interpretation dieser Zahlen muss berücksichtigen, dass Angebot und Nachfrage kommuni-
zierende Größen sind. In dieser Sensitivität bleibt die Nachfrage jedoch konstant. Es ist zu be-
rücksichtigen, dass niedrige und vermehrt negative Strompreise die Wirtschaftlichkeit von Sek-
torkopplungs-Technologien, Stromspeichern und flexiblem Stromverbrauch erhöhen. Das wirkt
der Bildung von negativen Strompreisen entgegen.

5.3.     EINFLUSS DER FLEXIBILITÄT AUS DER SEKTORENKOPPLUNG

Rund 60 TWh an Stromnachfrage wurden in der Modellierung als flexibel angenommen. Wär-
mepumpen, Power-to-Gas-Anlagen und Elektrofahrzeuge können grundsätzlich die Stromnach-
frage zeitlich verschieben. Elektrofahrzeuge sind über Tageszyklen der Fahrer:innen, Wärme-
pumpen in Abhängigkeit der Temperatur modelliert. In der genauen Stunde des Stromver-
brauchs ergibt sich jedoch ein Freiheitsgrad, der negativen Strompreisen vorbeugen kann.
Power-to-Gas-Anlagen wurden als noch flexibler angenommen. Sie können ihren Stromver-
brauch über noch größere Zeitskalen verschieben und die erzeugten Brennstoffe speichern.

Doch was, wenn die geplante Flexibilisierung nicht eintritt? In dieser Sensitivität gilt die fle-
xible Stromnachfrage der Sektorenkopplung als eine starre Stromnachfrage und bildet ein infle-
xibleres Gesamtsystem ab.

Im Mittel ergaben sich 390 Stunden mit negativen Strompreisen, was einem Anstieg von 28 %
entspricht.

Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                                25
SZENARIENBASIERTE UNTERSUCHUNG NEGATIVER
 STROMPREISE IM JAHR 2030

5.4.     EINFLUSS DER WÄRMEAUSKOPPLUNG VON GASKRAFTWERKEN

Die historische Analyse in Kapitel 3.1 hat gezeigt, in den Wintermonaten treten besonders häu-
fig negative Strompreise auf. In Kapitel 3.2 wurden einige Gaskraftwerke auf ihre Flexibilität hin
untersucht. Dabei hat sich bezüglich des Winters herausgestellt, dass Gaskraftwerke mit Wär-
meauskopplung auch zu negativen Strompreisen Strom produzieren. Dieses Verhalten kann sich
in Zukunft ändern: Power-to-Heat, Großwärmepumpen und große Wärmespeicher können diese
Kraftwerke weiter flexibilisieren. Welchen Effekt hätte es, wenn Gaskraftwerke mit Wärmeaus-
kopplung nicht mehr zu negativen Strompreisen bieten würden? Dieser Frage wurde in einem
weiteren Schwarmszenario nachgegangen, in dem Gaskraftwerke mit Wärmeauskopplung nicht
mehr zu negativen Preisen bieten10.

Die Anzahl negativer Preisstunden reduziert sich in diesem Modelldurchlauf auf 103. Dies ent-
spricht einer Reduktion um 66 %.

Eine Flexibilisierung von Kraftwerken mit Wärmeauskopplung stellt sich anhand der Modeller-
gebnisse als eine sehr weitreichende Möglichkeit der Flexibilisierung und der Verringerung von
negativen Strompreisen dar. Sobald keine thermischen Kraftwerke mit negativen Geboten er-
neuerbaren Strom aus dem Markt drängen können, ist es für Vermarkter erneuerbarer Energien
auch nicht mehr notwendig, in Strommärkten negativ zu bieten.

10
  Wie die zusätzliche Wärmenachfrage in den Wärmenetzen bedient wurde, ist für die vorliegende Ana-
lyse negativer Preise nicht berücksichtigt. Die zusätzliche Stromnachfrage aus Großwärmepumpen oder
Power-to-Heat-Anlagen würde die Anzahl negativer Preisstunden vermutlich weiter reduzieren, was den
Betrachtungshorizont dieser Studie jedoch übersteigt.
Negative Strompreise – historische Entwicklung und Ausblick bis 2030                              26
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