Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige Unkrautbekämpfung

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Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige Unkrautbekämpfung
P f l a n z e n b a u

     Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige
     ­Unkrautbekämpfung
     Sandie Masson1, Bruno Chauvel2, Christophe Carlen1 und Judith Wirth1
     1
      Agroscope, Produktionssysteme Pflanzen, Herbologie Ackerbau, 1260 Nyon, Schweiz
     2
       INRAE, UMR Agroécologie, Pôle Gestion durable des adventices Agroécologie, F-21000 Dijon, Frankreich
     Auskünfte: Sandie Masson, E-Mail: sandie.masson@agroscope.admin.ch

     https://doi.org/10.34776/afs12-78g Publikationsdatum: 31. Mai 2021

     Mechanische Unkrautbekämpfung einer Rapskultur auf einer Versuchsparzelle des Projekts
     PestiRed im September 2020. In Kombination mit anderen Unkrautbekämpfungsmassnahmen
     kann damit der Einsatz von Herbiziden reduziert werden (Foto: Carole Parodi, Agroscope).

     Zusammenfassung

     2017 verabschiedete der Schweizer Bundesrat den                      lichkeit der Unkräuter entwickelt. Aktuell wird eine
     Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen An-                 einfache Methode, die auf der visuellen Schätzung
     wendung von Pflanzenschutzmitteln. Eine der Mass-                    des Volumenanteils der Unkräuter beruht, auf ihre
     nahmen dieses Plans ist der «Verzicht oder Teilverzicht              Anwendbarkeit in der Praxis getestet. Ausserdem
     auf Herbizide». Diese Massnahme lässt sich jedoch                    werden Tools entwickelt, die auf der Modellierung
     nur im Rahmen einer ganzheitlichen, auf die jeweilige                der Auswirkungen unterschiedlicher Anbausysteme
     Kultur und Fruchtfolge abgestimmten Strategie zur                    auf Unkrautflora und Ertrag unter verschiedenen
     Unkrautbekämpfung umsetzen. Unkräuter schädigen                      klimatischen Szenarien basieren. Dieser Artikel fasst
     nicht nur die jeweils vorhandenen Kulturpflanzen                     wichtige Aspekte der Forschung im Bereich des
     innerhalb eines Jahres, sondern können sich aufgrund                 Unkraut­managements zusammen und stellt Entschei­
     des Samenvorrats im Boden über mehrere Jahre als                     dungshilfe-Tools vor, die zu einer nachhaltigeren
     problematisch erweisen. Die Umsetzung präventiver                    Landwirtschaft beitragen könnten.
     und kurativer Massnahmen auf der Grundlage des
     integrierten Pflanzenschutzes erfordert die Entwick-                 Key words: weed thresholds, integrated weed
     lung neuer Entscheidungshilfe-Tools. Zusätzlich zur                  ­management, harmfulness of weeds, preventive
     Unkrautdichte, wurden weitere Indikatoren zur Schäd-                  and curative weed control.

                                                                                                Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021   78
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige Unkrautbekämpfung
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige ­U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau

Einleitung

Ein reduzierter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist ei-   field 2019). Die physikalische Bekämpfung beruht auf
ner der wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zu einer       mechanischen und thermischen Verfahren. Die biologi-
nachhaltigen landwirtschaftlichen Produktion. Eine der      sche Bekäm­pfung macht sich natürliche Feinde zunutze
Massnahmen des Aktionsplans Pflanzenschutzmittel ist        (Pilze, Laufkäfer usw.). Die ökologische Bekämpfung ba-
deshalb der «Verzicht oder Teilverzicht auf Herbizide».     siert auf Interaktionen zwischen Unkräutern und Kultur-
Eine Reduzierung des Herbizid-Einsatzes ist besonders       pflanzen (Konkurrenz, Wachstumsunterdrückung, usw.).
schwierig, weil Herbizide sehr wirksam sind und die         Dabei werden die Anbaupraktiken so optimiert, dass
schnellste, einfachste und kostengünstigste Methode         sich die Kulturpflanzen rasch und optimal entwickeln
zur Unkrautbekämpfung darstellen. Um die Anforde-           und möglichst tolerant gegenüber Unkräutern sind. Die
rungen des Ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN)           chemische Bekämpfung kann durch natürliche und syn-
zu erfüllen, ist ihre Anwendung gegenwärtig an wirt-        thetische Herbizide erfolgen. Aus diesen vier Bereiche
schaftliche Bekämpfungsschwellen gebunden, d.h. eine        werden vor allem präventive und kurative Massnahmen
bestimmte Unkrautdichte, ab der davon ausgegangen           angewandt.
wird, dass die Kosten für die Herbizidanwendung ge-
ringer sind als die zu erwartenden Einbussen durch Er-      Präventive Massnahmen
tragsausfälle. Die Reduzierung des Herbizid-Ein­satzes      Präventiv werden hauptsächlich ökologische und physi-
ist allerdings nur im Rahmen einer angepassten Anbau-       kalische Unkrautbekämpfungsmassnahmen eingesetzt.
strategie möglich. Es müssen alle direkten und indirek-     Der erste Schritt einer präventiven Unkrautbekämpfung
ten Massnahmen umgesetzt werden, mit denen sich             besteht darin, die Vielfalt der Pflanzen in den landwirt-
die Etablierung, die Ausbreitung und die Entwicklung        schaftlichen Systemen zu erhöhen (Gaba et al. 2017). Im
einer Unkrautpopulation verhindern lassen. Ergänzend        Rahmen einer Fruchtfolge ist es wichtig Anbauzeitpunk-
zu den Bekämpfungsschwellen, erfordert dies den Ein-        te (Frühling/Herbst) und Pflanzenfamilien zu variieren,
satz neuer Tools, mit denen sich das Auftreten und die      sowie Zwischenfrüchte anzubauen. Um eine natürliche
Schädlichkeit von Unkräutern in einer Parzelle besser       Unkrautregulation durch Nützlinge zu ermöglichen,
vorhersagen lassen.                                         muss diese Vielfalt auch auf Landschaftsebene, mittels
Was ist eine nachhaltige Unkrautbekämpfung? Was sind        Fruchtfolgen und verschiedenen Landschaftselementen,
die Besonderheiten der Unkrautflora? Wie schädlich sind     erhöht werden (Petit et al., 2008). Diese räumliche und
Unkräuter für die landwirtschaftliche Produktion? Wel-      zeitliche Diversifizierung verhindert auch eine Speziali-
che Relevanz haben die aktuell verwendeten Methoden         sierung der Unkrautflora, indem sehr konkurrenzfähige
für die Einschätzung dieser Schädlichkeit? Welche neuen     Arten weniger begünstigt werden, was zu geringeren
Methoden für eine nachhaltige und optimale Unkraut-         Ertragsverlusten führt (Storkey and Neve 2018, Adeux
bekämpfung werden entwickelt? Diese Fragen versucht         et al. 2019).
der vorliegende Artikel zu beantworten und stützt sich
dabei auf das Wissen aus 40 Jahren Unkrautforschung.

Nachhaltige Unkrautbekämpfung
                                                                   physikalisch               chemisch
Grundsatz der integrierten Unkrautbekämpfung
                                                                  (mechanisch)
Ziel der integrierten Unkrautbekämpfung (Abb. 1) ist
es, den Ertrag und die Qualität der Kulturen zu ver-
bessern und gleichzeitig die negativen Auswirkungen
der Unkrautbekämpfung auf Umwelt und Gesundheit
zu beschränken. Dazu gehört auch, die positiven Leis-                                        ökologisch
tungen zu bewahren, die Unkräuter für die Bestäu-                  biologisch
bung, den Schutz des Bodens und die Bereitstellung
von Nahrung für Nützlinge erbringen. Die integrierte
Unkrautbekämpfung stützt sich auf vier Komponenten:
physikalische (mechanische), biologische, ökologische       Abb. 1 | Die vier Komponenten der integrierten Unkrautbekämpfung
und – an letzter Stelle – chemische Massnahmen (Mer-        (aus Merfield 2019).

                                                                                   Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021      79
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Der zweite Schritt betrifft die Anbautechniken der je-      Die mechanische/physikalische Unkrautentfernung er-
weiligen Kulturpflanzen. Durch die Veränderung des          lebt deshalb gerade einen neuen Aufschwung, was vor
Saatzeitpunkts kann das Zeitfenster vermieden werden,       allem auf den Einsatz von Robotern und die höhere
während dessen das Unkraut bevorzugt aufläuft. Ein          Präzision bei der mechanischen Unkrautbekämpfung
«falsches» Saatbeet dient dazu, einen Teil der Unkräuter    zurückzuführen ist. Der Einsatz dieser Methoden ist al-
vor der Aussaat der Hauptkultur auflaufen zu lassen. Das    lerdings stark von den Wetterbedingungen abhängig. Es
anschliessende Blindstriegeln im Vorauflauf verschafft      ist oft schwierig den richtigen Zeitpunkt zu finden, an
der Kultur einen Entwicklungsvorsprung gegenüber dem        dem sowohl die Wetterbedingungen als auch die Ent-
Unkraut. Durch den Anbau von Sorten die rasch den Bo-       wicklungsstadien der Unkräuter und der Kulturpflanzen
den bedecken, die Beschleunigung der vegetativen Ent-       für eine Unkrautbekämpfung geeignet sind. Diese Be-
wicklung durch Düngung oder die Wahl einer frühreifen       kämpfungsmethoden müssen also im richtigen Moment
Sorte haben die Unkräuter weniger Licht zur Verfügung.      und in Kombination mit anderen Bekämpfungsmassnah-
Durch Bodenbearbeitung können Samen so tief vergra-         men erfolgen.
ben werden, dass ihre Keimfähigkeit stark eingeschränkt     Die biologische Unkrautbekämpfung beruht auf dem
ist. Bei der Direktsaat hingegen wird die Umwälzung des     Einsatz natürlicher Feinde zur Regulation einer Un-
Bodens, welche die Keimung begünstigt, soweit es geht       krautpopulation. Zum Beispiel wurde eine Ambrosia
vermieden. Untersaaten oder Mischkulturen konkurrie-        (­Ambrosia artemisiifolia L.) Population, nach der ver-
ren mit den Unkräutern direkt um Ressourcen. Zusätz-        sehentlichen Einschleppung des aus China stammenden
liche Massnahmen um den Aufbau einer Unkrautsamen-          Käfers Ophraella communa nach Italien, um 80 % ver-
bank im Boden zu verhindern, sind das Auffangen der         ringert (Schaffner et al. 2020). Aktuell wird in Frankreich
Spreu mit den Unkrautsamen bei der Ernte oder das           die Prädation von Unkrautsamen durch samenfressende
Köpfen der Unkräuter vor der Samenreife                     Käfer untersucht, mit dem Ziel den Samenvorrat im Bo-
Die Kombination dieser Massnahmen ist wichtig, da jede      den zu reduzieren (Petit et al. 2014).
Massnahme isoliert nicht ausreichend wirksam ist. Jede
Massnahme kann sich für eine Gruppe von Unkrautar-
ten (mit ähnlichen biologischen Merkmalen) eignen,          Spezifität und Schädlichkeit
für eine andere Gruppe aber unwirksam sein. Beispiels-      der Unkrautflora
weise ist Pflügen wirksam bei Flachkeimern, wie Acker-
fuchsschwanz (Alopecurus myosuroides), aber weniger         Die Unkrautflora, spezifisch für den Standort
erfolgreich bei Flug-Hafer (Avena fatua), der aus tiefe-    und das Anbausystem
ren Schichten keimen kann. Die Massnahmen müssen            Die Unkrautflora ist eine Pflanzengemeinschaft, die an
ausserdem in einem ganzheitlichen Ansatz umgesetzt          ein landwirtschaftliches Umfeld angepasst ist. In Frank-
werden, wobei auch die Risiken durch andere Schädlin-       reich und der Schweiz wurden mehr als 1000 Unkraut-
ge zu berücksichtigen sind (Bertrand and Doré 2008).        arten erfasst, was einem Fünftel der Gesamtzahl der
                                                            vorkommenden Blütenpflanzenarten entspricht. Davon
Kurative Massnahmen                                         werden rund 200 Arten als schädlich für den Ackerbau
Durch die Kombination präventiver Massnahmen lässt          eingestuft (Jauzein 1995, Lauber et al. 2012). Die Eigen-
sich die Entwicklung von Unkraut in den Kulturen nicht      schaften vieler Unkrautarten sind noch weitgehend
immer verhindern. Es ist deshalb wichtig, die vorhande-     unbekannt: Dormanz der Samen, Überlebensdauer der
nen Unkräuter zu identifizieren und ihre Schädlichkeit      Samen im Boden, Tiefe der Durchwurzelung, Nährstoff-
abzuschätzen. Wenn die vorhandenen Arten aufgrund           bedarf usw.
verschiedener Kriterien als schädlich für die betreffende   Die landschaftliche Umgebung einer Parzelle bestimmt
Kultur bzw. für das System eingestuft werden, kann eine     ihre Unkrautgesellschaft (Alignier and Petit 2012). Das
kurative Massnahme eingesetzt werden. Die häufigste         mehrjährige Überleben der Unkräuter wird durch ihre
kurative Massnahme zur Unkrautbekämpfung ist noch           Reproduktionsart bestimmt: Samenunkräuter und Wur-
immer eine Behandlung mit Herbiziden. Wegen der             zelunkräuter (vegetative Vermehrung durch Wurzeln,
negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesund-          Knollen oder Rhizome). Das Anbausystem wirkt über
heit und die Umwelt und weil die Zahl der verfügbaren       die angewendeten Anbautechniken wie ein Filter und
Wirkstoffe zurückgeht (Birch et al. 2011) besteht jedoch    begünstigt ausgehend vom Samenvorrat im Boden die
ein zunehmender Bedarf an nachhaltigeren kurativen          Keimung und das Auflaufen bestimmter Arten gegen-
Bekämpfungsmitteln.                                         über anderen Arten (Abb. 2).

                                                                                  Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021   80
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               Bodensamenbank = Pool der Unkrautarten                          Aufgelaufene
                                                                               Flora

                                                                                                                                           Boden-
      Anbausystem A                         Anbausystem B                                                                                  bearbei-
                                                                                                                                           tung       Pflügen

    Auflaufende Flora A                    Auflaufende Flora B

                                                                              Boden­
                                                                              samenvorrat

Abb. 2 | Das Anbausystem wirkt über die angewendeten Anbau­
techniken wie ein Filter und begünstigt ausgehend vom Samenvor­
rat im Boden die Keimung und das Auflaufen bestimmter Unkraut­
arten gegenüber anderen Arten.

                                                                            Abb. 3 | Die im Feld beobachtete aufgelaufene Flora ist nur die
2003 wurden dazu am Versuchsstandort von Agroscope                          Spitze des Eisbergs. Der Bodensamenvorrat umfasst die gesamte
                                                                            Unkrautflora, die bei günstigen Bedingungen auflaufen kann.
in Changins (VD) verschiedene Anbausysteme mitei-
nander verglichen. Die Samenvorräte in den obersten
25 Zentimetern des Bodens waren sehr gross und um-                          • die Verminderung der Qualität des Ernteguts durch die
fassten zwischen 6000 bis 22 000 keimfähige Samen/m2                          Verunreinigung mit Unkrautsamen (z.B. Weidelgras
je nach Bodenbearbeitung. Es wurden 22 verschiedene                           (Lolium sp.) in Weizen), die mehr oder weniger hohe
Unkrautarten identifiziert (Vullioud et al. 2006). Diese                      Kosten für die Reinigung verursachen
Samenbanken stellen die Grundlage der Artenzusam-
mensetzung der Ackervegetation dar aus denen sich                           Darüber hinaus schädigen Unkräuter längerfristig alle
in der Zukunft Unkräuter entwickeln können, die sich                        Kulturen einer Fruchtfolge. Es handelt sich um eine indi-
negativ auf die Kulturen der Fruchtfolge auswirken                          rekte potentielle Schädlichkeit, ausgehend vom Boden­
können. Jedes Jahr keimen je nach Unkrautart und den                        samenvorrat der Parzelle in Kombination mit dem jewei-
klimatischen Bedingungen 6 % bis 28 % dieser Samen.                         ligen Anbausystem. Das Anbausystem kann die Zu- bzw.
Die anderen Samen verbleiben im Zustand der Dormanz                         Abnahme bestimmter Unkrautarten im Bodensamen-
im Boden (Dessaint et al. 1997, Chauvel et al. 2018). Die                   vorrat beeinflussen.
aufgelaufenen Unkräuter, die auf der Bodenoberfläche
sichtbar sind, stellen also nur die Spitze des Eisbergs dar
(Abb. 3).                                                                              Neue Samen
                                                                                                                                   Beeinträchtigung
                                                                                     im Bodensamen-
                                                                                                                 Aussaat             der Keimung
                                                                                          vorrat
Verschiedene Abstufungen der Schädlichkeit
Unkräuter schaden den Kulturpflanzen im jeweiligen
Anbaujahr direkt oder indirekt indem sie unterschied-                                               Ernte                     Auflaufen
liche Schäden zu verschieden Zeitpunkten im Anbauzy-
                                                                              Beeinträchtigung
klus verursachen (Abb. 4):                                                      bei der Ernte                                             Konkurrenz um
                                                                            (Verunreinigung durch                                          Ressourcen
                                                                               Unkrautsamen)           Ähren-              Bestockung
• eine mechanische oder chemische (Allelopathie) Hem-                                                  bildung
  mung der Keimung oder des Auflaufens der Kultur
• eine Wachstumsverzögerung der Kultur durch die Kon-
                                                                                                           Schäden an Ähren
  kurrenz um Ressourcen (Licht, Wasser, Nährstoffe)
                                                                                                       durch Schädlinge aus dem
• die Übertragung von Krankheiten (z.B. der Mutter-                                                         Unkrautbestand
  kornpilz Claviceps purpurea)
• die Beeinträchtigung der Ernte (z.B. Kletten-Lab-                         Abb. 4 | Die verschiedenen Formen der Schädlichkeit durch Unkräuter
  kraut – Galium aparine)                                                   im Anbauzyklus einer Getreidekultur.

                                                                                                      Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021                    81
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige ­U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau

Mehrere Schädlichkeitsfaktoren
Die Schädlichkeit hängt von der Unkrautart ab. Einjähri-
ge, nur wenige Zentimeter hochwachsende Arten (z.B.
Einjähriges Rispengras – Poa annua, Acker-Gauchheil –
Anagallis arvensis) sind nicht so konkurrenzstark wie
mehrjährige hochwachsende Arten (Acker-Kratzdistel –
Cirsium arvense, Acker-Winde – Convolvulus arvensis).
Die Schädlichkeit hängt auch eng mit dem Zeitpunkt des
Auftretens des Unkrauts während der Entwicklung der
Kultur zusammen (Abb. 5 und 6). In mehreren in den
1990er-Jahren veröffentlichten Studien wurde gezeigt,
dass je nach Zeitpunkt des Auftretens von Unkräutern
ein sehr unterschiedlicher Einfluss auf den Ertrag be-
stehen kann (Oliver 1988, Dieleman et al. 1996, Knezevic
et al. 1997, Zwerger and Arlt 2002). So reduziert zum
Beispiel eine Verzögerung des Auflaufens der Unkräuter
von drei bis fünf Wochen gegenüber dem Auflaufen der
Kultur die negativen Auswirkungen um einen Faktor von
2 bis 10 oder reicht sogar aus, um negative Auswirkun-
gen auf Soja- und Maiserträge zu verhindern (Swanton
et al. 1999). Ebenso hat das Auftreten von fünf Weisser
Gänsefuss (Chenopodium album) Pflanzen pro m2 im
2- bis 5-Blatt-Stadium der Zuckerrübe Ertragseinbussen
von 40% zur Folge, während die gleiche Anzahl Gänse-
                                                                     Abb. 5 | Dichter Bestand von spät aufgelaufenem Storchschnabel
fuss-Pflanzen im 10- bis 13-Blatt-Stadium keine Ertrags-
                                                                     (Geranium sp.) in einer Weizenkultur. Diese hohe Unkrautdichte ver­
ausfälle verursacht (Abb. 6a). Wenn die Unkräuter sechs              ursacht nicht zwingend einen direkten Schaden für die Kultur. Der
Wochen nach dem Pflanzen von Zwiebeln auflaufen,                     Bodensamenvorrat wird sich aber erhöhen, wenn die Storchschnabel
besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Bo-                   Pflanzen zur Samenreife kommen. (Foto: INRAE)

Verlust im Rübenertrag (%)                                              Zeitraum des Auftretens von C. album

 50                                                                       2–5-Blattstadium
                                                                          6–9-Blattstadium
                                                                        10–13-Blattstadium
 40                                                                           der Zuckerrübe

                                                                               b       r2      n
 30                                                                        8,7*** a   0,96     20
                                                                           2,8*** b   0,96     20
                                                                           0,2*** c   0,42     20
 20                                 y = b*x

 10

  0

–10
        0             5        10             15       20          25           30             35

                                                                    Dichte C. album (Pflanzen/m2)

Abb. 6a | Einfluss der Dichte und des Zeitraums des Auftretens des Weissen Gänsefusses (Chenopodium album)
auf den Rübenertrag, aus Zwerger und Arlt (2002).

                                                                                                    Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021   82
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                                            120
                                                                                                                                                       120

                                            100
                                                                                                                                                       100
Ertrag (% des Ertrags ohne Unkraut)

                                                                                                                 Ertrag (% des Ertrags ohne Unkraut)
                                            80                                                                                                         80

                                      x
                                            60                                                                                                         60

                                            40                                                                                                         40

                                                      y = –0,49x + 100,1                                                                                         y = 0,025x + 102,8
                                             20       r2 = 0,5 (p = 0,0048)                                                                             20       r2 = 0,001 (p > 0,05)

                                              0                                                                                                          0
                                                  0         20          40       60         80           100                                                 0        5          10       15        20         25   30

                                                             Bodenbedeckung durch Unkraut (%)                                                                               Bodenbedeckung durch Unkraut (%)

     Abb. 6b | Auswirkungen einer Verunkrautung in einem frühen                                                  Abb. 6c | Auswirkungen einer Verunkrautung in einem späten
     ­Stadium der Kultur auf den Ertrag von Zwiebeln (sechs Wochen nach                                          ­Stadium der Kultur auf den Ertrag von Zwiebeln (drei Wochen vor
      der Aussaat), aus Zwerger und Arlt (2002).                                                                  der Ernte), aus Zwerger und Arlt (2002).

     denbedeckung mit Unkräutern und dem Zwiebelertrag:                                                          In der Praxis wird davon ausgegangen, dass Unkraut,
     Je mehr Unkraut, desto geringer der Ertrag (Abb. 6b).                                                       unabhängig von der Unkrautbekämpfung, Ertragsaus-
     Wenn dagegen die Verunkrautung drei Wochen vor der                                                          fälle von 7 bis 13 % verursacht (Oerke 1994, Oerke 2006).
     Ernte auftritt, korreliert der prozentuale Bodenbede-                                                       In einer aktuellen Zusammenfassung von Versuchen zur
     ckungsgrad durch Unkraut nicht mit dem Ertrag: Der                                                          Unkrautbekämpfung, die in Frankreich zwischen 1993
     Ertrag bleibt gleich, unabhängig davon wie dicht das                                                        und 2015 durchgeführt wurden, wurden Parzellen mit
     Unkraut wächst (Abb. 6c).                                                                                   chemischer Unkrautbekämpfung mit Kontrollparzellen
     Schliesslich ist die Schädlichkeit umso grösser, je stärker                                                 ohne Unkrautbekämpfung verglichen. In diesen Ver-
     die Ressourcen (Licht, Wasser, Nährstoffe) beschränkt                                                       suchen wurden bei 92 % der Weizenkontrollparzellen
     sind. Das in Abbildung 7 erwähnte Jahr 1983 war be-                                                         ohne Unkrautbekämpfung signifikante Ernteausfälle
     sonders trocken. Unter diesen Bedingungen verursachte                                                       (im Mittel über alle Versuche –26 dt/ha) festgestellt,
     eine Unkrautdichte von 200 Hühnerhirse-Pflanzen (Echi-                                                      aber nur in 51 % der Rapskulturen (im Mittel über alle
     nochloa crus-galli) pro m2 praktisch einen vollständigen                                                    Versuche –3,5 dt/ha) und in 61 % der Sonnenblumenkul-
     Ertragsausfall der Mais-Kultur. Dagegen war im Jahr                                                         turen (im Mittel über alle Versuche –4,1 dt/ha) (Cordeau
     1982 die Verfügbarkeit von Wasser nicht beschränkend                                                        et al. 2016).
     und dieselbe Unkrautdichte hatte nur geringe Auswir-
     kungen auf den Ertrag (Abb. 7).                                                                             Entscheidungshilfen
                                                                                                                 bei der Unkrautbekämpfung
                                      100
                                                                                                 1982
                                                                              Aktuelle Bekämpfungsschwellen
   relative Biomasse von Mais (%)

                                                                                                 hohe Wasser-
                                                                              Die wirtschaftlichen Schadschwellen für den Einsatz von
                                                                                                 verfügbarkeit
                                                                              Herbiziden sind gegenwärtig das wichtigste Werkzeug
         50                                                                   zur Entscheidungshilfe in der Unkrautbekämpfung. Die
                                                                              ersten Arbeiten zur Festlegung dieser Schwellenwerte
                                                               1983           wurden Ende der 1970er-Jahre durchgeführt und in den
                                                               eingeschränkte
                                                               Wasser­        80er-Jahren publiziert (Koch and Hurle 1978, Caussanel
          0                                                    verfügbarkeit
                                                                              1989). Die Auswirkungen der Unkrautdichte auf den Er-
             0             100               200           300
                                                                              trag wurden ausgehend von Versuchsdaten modelliert.
                    Hühnerhirse (Anzahl Pflanzen pro m –2)
                                                                              In Tabelle 1 sind die verschiedenen bestehenden Schwel-
     Abb. 7 | Relative Biomasse von Mais je nach Dichte der Hühnerhirse       lenwerte für dieselben Unkräuter von Getreidekulturen
     in den Jahren 1982 und 1983 (Kropff and Lotz 1992).                      gemäss verschiedenen europäischen wissenschaftlichen

                                                                                                                                                                                Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021   83
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Tab. 1 | In der wissenschaftlichen Literatur publizierte Schadschwellen für Getreide (durchschnittliche Unkrautdichte, die einen Ertrags­
verlust von 5 % verursacht)

                                                                                                                                  Anzahl Pflanzen / m2

                                                                                                                                                                                                                             Gherekhloo, Noroozi et al. (2010)

                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Swanton, Weaver et al. (1999)
                                                                                                                                     Cousens, Wilson et al. (1985)

                                                                                                                                                                                                                                                                   Gerowitt et Heitefuss (1990)
                                                                                                                                                                                                Zanin, Berti et al. (1993)
 Unkrautarten

                                                                                                                                                                      Auld et Tisdell (1987)
                                                                                                 Wahmhoff (1986)
                                                        Neururer (1975)

                                                                              Neururer (1976)

                                                                                                                   Aarts (1985)
 Einkeimblättrige                                                                                                                                                                                                                                                                                 10–40
 Alopecurus myosuroides Huds.   Ackerfuchsschwanz                                                30                25               30–50                                                      25–35                                                             20–30
 Apera spica-venti L.           Windhalm                19,2                                      20                15
 Avena fatua L.                 Flughafer               10,8                                                                        8–12                              3–7
 Avena sterilis                 Tauber Hafer                                                                                                                                                   7–12                                   5
 Bromus sterilis                Taube Trespe                                                                                                                                                     40
 Lolium multiflorum             Italienisches Raigras                                                                                                                                          25–35
 Zweikeimblättrige                                                                                                                                                                                                                                               40–50
 Cirsium arvense L.             Ackerkratzdistel        1,6                   4,3
 Convolvulus spp                Winden                                                                                                                                                                                         12
 Vicia sativa                   Futterwicke                                                                                                                                                    5–10
 Fallopia convolvululs          Windenknöterich         2,8                   0,7                    2                5                                                                                                                                                   2
 Galeopsis tetrahit L.          Ackerhohlzahn           3,4                   9,4
 Galium aparine L.              Klebern                 4,3                   0,7               0,5                0,5                                                                                 2                                                         0,1–0,5
 Matricaria recutita L.         Echte Kamille           4,2                                                           5
 Sinapis arvensis L.            Ackersenf               2,7                   6,1
 Papaver rhoeas                 Klatschmohn             22
 Stellaria media L.             Vogelmiere              7,2                   10,3                                 50
 Veronica sp.                   Ehrenpreis              4,6                   9,0                                  50
 Viola arvensis                 Acker-Stiefmütterchen
 Alchemilla vulgaris            Gemeiner Frauenmantel
 Lamium sp                      Taubnesseln
 Vicia villosa Roth             Zottelwicke             2,1                   0,8                    2
 Chenopodium album              Weisser Gänsefuss                                                                                                                                                                              19
 Salsola kali                   Kali-Salzkraut                                                                                                                                                                                 13
 Rapistrum rugosum              Runzeliger Rapsdotter                                                                                                                                                                          27

Publikationen zusammengestellt. In der Schweiz wurden                                           aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt. Erstens un-
von Agroscope in Reckenholz Schwellenwerte ausgear-                                             terscheiden sich die Werte für dasselbe Unkraut je nach
beitet und analog zu den deutschen Arbeiten von Koch                                            Publikation (Tab. 1). Die Ergebnisse von Feldversuchen
und Hurle (1978) sowie Gerowitt and Heitefuss (1990)                                            und von Simulationen über 60 Jahre zeigen ausserdem,
veröffentlicht (Ammon and Irla 1996, Zwerger and Arlt                                           dass die Anzahl der Herbizid Behandlungen in einem
2002). Diese Publikationen sind nicht mehr verfügbar,                                           Anbauzyklus gleich war, unabhängig davon, ob die Be-
sind aber die Grundlage für das Agridea Merkblatt über                                          kämpfungsschwelle bei 1 oder 10 Unkrautpflanzen/m2
Bekämpfungsschwellen (Tab. 2).                                                                  festgelegt war (Munier-Jolain et al. 2002). Zweitens beru-
Die Anwendung dieser Schwellenwerte als einzige Ent-                                            hen die Schwellenwerte auf Modellen, die eine Konkur-
scheidungshilfe für die Unkrautbekämpfung wird heute                                            renz zwischen jeweils nur zwei Arten (eine Unkrautart

                                                                                                                                                                     Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021                                                                                                                        84
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige ­U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau

Tab. 2 | Bekämpfungsschwellen für Unkräuter in der Schweiz gemäss Merkblatt im Ordner «Ackerbau» von Agridea.

                                                                                      Kontrollperiode
 Unkräuter                                          Kultur                                                           Bekämpfungsschwelle
                                                                                       (Stad. BBCH)
                                                                                                                       0,1 Pflanze pro m2
 Klebern                                       alle Getreidearten                         13−39
                                                                                                                     bzw. 1 Pflanze pro 10 m2
 Windenknöterich                               alle Getreidearten                         13−29                         2 Pflanzen pro m2
 Wicken                                        alle Getreidearten                         13−29                         2 Pflanzen pro m2
 Vogelmiere                                    alle Getreidearten                         13−29                         25 Pflanzen pro m2
 Ackerhohlzahn                                 alle Getreidearten                         13−29                       3 bis 5 Pflanzen pro m2
                                                                                                                   Total 5 % Bodenbedeckung
 Diverse breitblättrige Unkräuter              alle Getreidearten                         13−29
                                                                                                                    oder 50 Pflanzen pro m2
 Ungräser
                                            Winterweizen (Frühsaat)                       13−29                          10 Pflanzen / m2
                                     Wintergerste, Winterweizen (Spätsaat),
 Windhalm                                                                                 13−29                          20 Pflanzen / m2
                                                Sommergetreide
                                                 Winterroggen                             13−29                          30 Pflanzen / m2
                                            Winterweizen (Frühsaat)                       13−29                          15 Pflanzen / m2
 Ackerfuchsschwanz                   Wintergerste, Winterweizen (Spätsaat)                13−29                          20 Pflanzen / m2
                                        Winterroggen, Sommergetreide                      13−29                          30 Pflanzen / m2
 Ital. Raigras                                  Wintergetreide                            13−29                           8 Pflanzen / m2
 Einjähriges Rispengras                         Wintergetreide                            13−29                          50 Pflanzen / m2
                                                Wintergetreide                            13−29                          10 Pflanzen / m2
 Flughafer                                      Sommergetreide                            13−29                           5 Pflanzen / m2
                                                 Saatgetreide                               −                             0 Pflanzen / m2
 Diverse Ungräser                              alle Getreidearten                         13−29                   Total 10 bis 50 Pflanzen pro m2

und eine Kulturpflanze) berücksichtigen (Carlson and Hill                     Schliesslich berücksichtigen die Schwellenwerte nicht,
1985). In der Praxis beherbergt eine Parzelle jedoch nicht                    dass ein grosser Unkrautbestand viele Samen produ-
nur eine Unkrautart, sondern eine Pflanzengesellschaft                        ziert, welche in den Folgekulturen keimen können.
mit unterschiedlichen Unkräutern. In einigen Modellen                         Beispielsweise wird eine Behandlung gegen den Acker-
wurde versucht, die Schädlichkeit mehrerer gleichzeitig                       fuchsschwanz erst bei 20–30 Pflanzen pro m2 empfoh-
auftretender Unkräuter abzuschätzen, indem die von                            len (Durchschnittswert der Publikationen in Tab. 1). Bei
den einzelnen Unkräutern verursachten Ernteverluste                           einer niedrigeren Dichte (z.B. 15 Ackerfuchsschwanz-
berücksichtigt wurden (Swanton et al. 1999). Allerdings                       Pflanzen pro m2) ist die Kultur des betreffenden Jahres
ist die schädliche Wirkung beim gleichzeitigen Auftreten                      kaum beeinträchtigt, aber der Befall kann längerfristig
verschiedener Unkrautarten nicht additiv. Die Konkur-                         wegen der Samenproduktion ausser Kontrolle geraten.
renz zwischen den verschiedenen Unkrautarten redu-                            In der Praxis werden die Bekämpfungsschwellen bei Un-
ziert den Konkurrenz Effekt der einzelnen Unkrautar-                          kräutern daher nur sehr bedingt angewendet (Ramseier
ten. So überschätzte eines der ersten Modelle mit meh-                        et al. 2016).
reren Arten zur Prognose von Ertragseinbussen bei Soja                        Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Be-
den Schaden für die Kultur um etwa 7,5 % (Berti and                           kämpfungsschwellen eine Einschätzung der Unkrautar-
Zanin 1994). Drittens wurden die Schwellenwerte seit                          ten nach ihrer individuellen Schädlichkeit ermöglichen,
den 1990er-Jahren nicht mehr neu berechnet, obwohl                            aber alleine angewendet keine nachhaltige Unkrautbe-
sich die Verkaufspreise und die Produktionskosten, die                        kämpfung sicherstellen.
beide in die Berechnung einfliessen, seither erheblich
verändert haben (Gerhards et al. 2012). Viertens ist die                      Neue Indikatoren für die Schädlichkeit
Verteilung der Unkräuter in einer Parzelle oft sehr he-                       Die Unkrautdichte ist der Indikator der aktuell ver-
terogen (Abb. 8). Der Schwellenwert kann in einzelnen                         wendet wird, um die Schädlichkeit von Unkräutern zu
Bereichen der Parzelle überschritten werden, in anderen                       bestimmen und Bekämpfungsschwellen zu berechnen
jedoch nicht. Das erschwert die Entscheidung, ob eine                         (Swanton et al. 1999). Nach vielen Jahren Unkrautfor-
Bekämpfung vorgenommen werden soll.                                           schung stellt die wissenschaftliche Gemeinschaft fest,

                                                                                                        Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021      85
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige ­U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau

                                                                       Für jede Kulturpflanze gibt es eine kritische Periode,
                                                                       in der das Auftreten von Unkräutern eine besonders
                                                                       ungünstige Wirkung auf den Ertrag hat (Tab. 3). Nach
                                                                       diesem Zeitraum können Unkräuter geduldet werden,
                                                                       unter der Bedingung, dass die Samenproduktion in be-
                                                                       stimmten Grenzen bleibt.
                                                                       Diese Indikatoren müssen noch in ein Entscheidungshil-
                                                                       fe-Tool für Landwirte integriert werden, mit dessen Hil-
                                                                       fe, basierend auf den Beobachtungen im Feld, entschie-
                                                                       den werden kann, ob kurative Massnahmen eingesetzt
                                                                       werden. Diese Massnahmen sollten falls möglich me-
                                                                       chanisch oder biologisch sein, und nicht nur chemisch.
                                                                       Aufgrund der Schwierigkeit, die Biomasse der Unkräuter
                                                                       und der Kulturpflanzen im Feld getrennt zu ernten und
                                                                       zu bestimmen, testet die Forschungsgruppe Herbologie
                                                                       Ackerbau von Agroscope gegenwärtig zusammen mit
                                                                       engagierten Landwirtschaftsbetrieben im Rahmen des
                                                                       Projekts Pestired (Wirth et al. 2020) und des Langzeit-
Abb. 8 | Befall mit der Tauben Trespe (Anisantha sterilis) in einem    versuchs Herbiscope eine neue Methode zur visuellen
bestimmten Bereich. (Foto: INRAE)                                      Schätzung des oberirdischen Volumens von Unkräutern
                                                                       und Kulturpflanzen (Abb. 9).
dass die Unkrautdichte im Feld nur einen Teil der ver-                 Kamerasysteme mit Bildsensoren könnten diese Messun-
ursachten Ertragsschwankungen erklärt. Es wurden                       gen vereinfachen. Diese Systeme wurden z.B. getestet
deshalb weitere Indikatoren entwickelt, die in der For-                um die Verteilung von Unkräutern in Versuchsparzel-
schung verwendet werden:                                               len abzuschätzen und so zuverlässigere Bekämpfungs-
                                                                       schwellen für Winterweizen festzulegen (Keller et al.
• Der Bodenbedeckungsgrad aller Unkräuter oder pro                     2014). Bei der Berechnung neuer Schadschwellen ist es
  Unkrautart im Verhältnis zum Bodenbedeckungsgrad                     besonders wichtig, die langfristige Schädlichkeit der Un-
  der Kulturpflanze.                                                   kräuter zu berücksichtigen. In einer kanadischen Studie
                                                                       (Simard, Panneton et al. 2009) wurde gezeigt, dass die
Dieser Indikator erfasst die Kapazität einer Pflanzenge-               Ertragseinbussen bei einer geringen Bodenbedeckung
meinschaft oder einzelner Pflanzen, Licht zu absorbie-                 durch Unkräuter (< 0,4 %) vernachlässigbar waren, auch
ren und den Boden zu bedecken (Kropff and Lotz 1992,                   wenn die Herbizidanwendungen um 85 % reduziert
Florez et al. 1999). Im Falle der Zuckerrübe erklärt diese             wurden. Dies traf allerdings nur im ersten Versuchs-
Variable den Ertrag am besten, obwohl die Wirkung                      jahr zu. Nach drei Jahren Fruchtfolge mit Mais und Soja
bestimmter Unkräuter mit aufrechtem Wuchs wie Hüh-                     konnten nur noch 10 % Herbizide eingespart werden,
nerhirse (Echinochloa crus-galli) oder Weisser Gänse­fuss
(Chenopodium album) dabei unterschätzt werden (Ger-                    Tab. 3 | Allgemein geltende kritische Zeiträume für die Unkraut­
hards et al. 2017).                                                    bekämpfung, nach Scavo and Mauromicale (2020) und Martin et al.
                                                                       (2001).

• Die Biomasse aller Unkräuter oder pro Unkrautart im                                        Kritischer Zeitraum mit hoher Empfindlichkeit
  Verhältnis zur Biomasse der Kulturpflanzen.                           Kultur               gegenüber Unkraut
                                                                                             GT: Gradtagsumme (Tmax + Tmin)/2 – TBasis)

                                                                                             von 506 bis 1023 GT, d.h. vom Stadium Bestockung
Das Verhältnis zwischen der Biomasse der Unkräuter                      Winterweizen
                                                                                             bis zu Ähren 1 cm
und der Biomasse der Kulturpflanzen allein erklärt 31 %
                                                                                             17 bis 38 Tage nach dem Auflaufen,
der Schwankungen der Ertragsausfälle bei Getreide (Mil-                 Raps
                                                                                             d.h. bis zum 4–6 Blatt-Stadium
berg and Hallgren 2004). Die Biomasse pro Unkrautart                    Mais                 vom 3 bis zum 10-Blatt-Stadium
korreliert eng mit dem Kornertrag.
                                                                        Kartoffeln           19–24 und 43–51 Tage nach dem Auflaufen

                                                                        Sonnenblume          14–26 Tage nach dem Auflaufen
• Der für die jeweilige Kulturpflanze kritische Zeitraum,
                                                                        Soja                 bis 30 Tage nach dem Auflaufen
  in dem sie gegenüber Unkräutern empfindlich ist.

                                                                                                Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021          86
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige ­U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau

weil die Unkräuter früher und in grösserer Zahl auf-                   Modelle zur Prüfung präventiver Massnahmen
traten. Als Ergebnis dieser Studie wurde der Schwellen-                Die Modellierung ist der am besten geeignete Ansatz
wert für die relative Bodenbedeckung durch Unkräuter                   für die richtige Anwendung präventiver Massnahmen.
auf 0,077 % korrigiert um sie langfristig kontrollieren                Das vom INRAE entwickelte Modell FLORSYS ermöglicht
zu können. Da die Bildanalyse in diesem Bereich nicht                  es Wissenschaftlern schon heute, den Effekt verschie-
mehr ausreichend präzise für die Messung der Boden-                    dener Anbausysteme auf die Unkrautdynamik und den
bedeckung durch Unkraut war, besteht hier noch Bedarf                  Ertrag in einer virtuellen Parzelle über mehrere Jahre
für die Verbesserung der Technologie.                                  zu evaluieren (Colbach et al. 2008). Es wurden funktio-

                                                Beispiel: Rahmen 1

            1. Prozentualen Anteil
    der Bodenbedeckung durch trockene                                                 2. Anteil Unkraut/Kultur schätzen
        Pflanzenrückstände schätzen
                                                                                Unkraut:                             Kultur:
                          Rahmen 50 × 50 cm                                  5% des Volumens                    40% des Volumens

                                                                                                                    Rahmen 50 × 50 cm

                                                      max. höhe
                                                      der Kultur:
                                                        15 cm

                                                                                  3. Vegetation über der Kulturhöhe schätzen
Trockene          Unkraut         Kultur
Pflanzenrück-                                                                        Unkraut über der Kultur: 0%
stände: 10%
der Fläche
                                                Beispiel: Rahmen 2

            1. Prozentualen Anteil
    der Bodenbedeckung durch trockene                                                 2. Anteil Unkraut/Kultur schätzen
        Pflanzenrückstände schätzen
                                                                                Unkraut:                             Kultur:
                         Rahmen 50 × 50 cm                                  50% des Volumens                    40% des Volumens

                                                      max. Höhe                                                     Rahmen 50 × 50 cm
                                                  der Pflanzendecke:
                                                         30 cm

                                                      max. höhe
                                                      der Kultur:
                                                        15 cm
Trockene          Unkraut         Kultur
Pflanzenrück-
                                                                                  3. Vegetation über der Kulturhöhe schätzen
stände: 40%
der Fläche
                                                                                  Unkraut über der Kulturhöhe: 50%
Abb. 9 | Beispiel für die visuelle Schätzung des oberirdischen Volumens von Unkräutern und Kulturpflanzen. Diese Methode wird im Rahmen
des Projekts PestiRed und des Langzeitversuchs Herbiscope am Versuchsstandort von Agroscope in Changins entwickelt und getestet.

                                                                                               Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021     87
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige ­U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau

nelle Merkmale von 26 häufig auftretenden Unkraut-            tenreaktion) könnte in Zukunft eine Methode sein, mit
arten (die für die wichtigsten Gruppen von Unkräutern         der sich der Samenvorrat schneller quantifizieren lässt
repräsentativ sind) und von 33 Kulturpflanzen und Zwi-        (Riley et al. 2010). Allerdings müsste für jede zu erwar-
schenfrüchten parametriert. Die Eingabedaten sind die         tende Unkrautart ein separater PCR-Ansatz erfolgen.
Kulturmassnahmen des getesteten Systems, die Boden-           Deshalb könnte sich diese Methode zwar dazu eignen,
eigenschaften der Parzelle und die meteorologischen           eine spezifische Unkrautart im Samenvorrat zu unter-
Daten für einen bestimmten Ort. Auf der Basis dieser          suchen, aber gegenwärtig noch nicht, um alle im Vorrat
Daten sowie der detaillierten Parametrierung der funk-        vorhandenen Unkräuter zu quantifizieren.
tionalen Merkmale der Unkräuter repräsentiert das
Modell den Lebenszyklus der Unkräuter und Kultur-
pflanzen. Drei Schlüsselregeln steuern das Modell: 1.         Schlussfolgerungen
Die Pflanze, die zuerst aufläuft, hat die grösste Chan-       und Perspektiven
ce, die Oberhand zu gewinnen; 2. die Pflanze, die die
verfügbaren Ressourcen am besten nutzen kann, wird            • Die Unkrautforschung der vergangenen 40 Jahre hat
sich am besten entwickeln; und 3. die Pflanze, die die          gezeigt, wie schwierig es ist, effiziente und praktisch
widerstandsfähigsten Samen bildet, wird am längsten             anwendbare Indikatoren für die Unkrautbekämpfung
überleben (Colbach et al. 2021). Die Ausgangsdaten für          zu finden.
jede Unkrautart sind: Dichte, Biomasse, Entwicklungs-         • In allen landwirtschaftlichen Parzellen kommen na-
stadium und lebensfähige Samen im Bodenvorrat. Da-              türlicherweise Unkrautgesellschaften vor. Die Interak-
mit die Ergebnisse der Simulationen von FLORSYS für             tionen der Unkräuter innerhalb landwirtschaftlicher
Berater und Landwirte nützlich und brauchbar sind,              Systeme sind vielschichtig. Die Unkrautbekämpfung
werden die Daten in Wirkungsindikatoren konvertiert,            muss immer auf die jeweilige Kultur und Fruchtfolge
die positiv (z.B. erhöhte Biodiversität) oder negativ (z.B.     abgestimmt sein, mehrere Bekämpfungsmassnahmen
Ernteverlust) sein können (Mézière et al. 2015). Mit Hil-       kombinieren und verschiedene Entscheidungshilfe
fe von Entscheidungsregeln kann ausserdem der Effekt            Tools zum jeweils richtigen Zeitpunkt einsetzen.
verschiedener Kombinationen von Anbautechniken auf            • Ein Entscheidungshilfe-Tool, das neben der visuell oder
die Wirkungsindikatoren getestet werden (Colas et al.           mit Kameras geschätzten Unkrautdichte neue Indika-
2016). Dies sind die ersten Schritte zur Entwicklung eines      toren zur Schädlichkeit (Bodenbedeckung, Biomasse
Entscheidungshilfe-Tools für Landwirte basierend auf            usw.) berücksichtigt, könnte abschätzen, wie bedroh-
dem Model FLORSYS.                                              lich die Unkrautsituation ist und ob kurative Massnah-
                                                                men mechanischer oder biologischer oder – als letztes
Samenvorrat noch schwierig zu quantifizieren                    Mittel – chemischer Art erforderlich sind.
Um die langfristige Wirksamkeit präventiver und ku-           • Zusätzlich ermöglicht ein Tool, basierend auf dem Mo-
rativer Massnahmen beurteilen zu können, wäre es                dell FLORSYS, mit dem sich die Unkrautentwicklung in
nützlich, die Entwicklung des Samenvorrats im Boden             einer gegebenen Situation prognostizieren lässt, das
zu kennen. Dieser Vorrat ist der beste Indikator für die        bestehende Anbausystem gegebenenfalls anzupassen
potentielle Zusammensetzung von Unkrautgesellschaf-             und präventive Massnahmen je nach Risikoabschät-
ten. Der Bodensamenvorrat lässt sich aber nur schwer            zung rechtzeitig zu planen.
bestimmen, weil die verwendeten Methoden sehr auf-            • Für eine nachhaltigere Unkrautbekämpfung mit einem
wendig und wenig verlässlich sind: Es müssen sehr viele         Verzicht oder Teilverzicht auf Herbizide muss einerseits
Bodenproben pro Parzelle entnommen werden, die Sa-              das Wissen über die einzelnen Unkrautarten und ihre
men müssen aufwändig aus der Bodenprobe isoliert und            Interaktionen untereinander und mit den Kulturpflan-
unter dem Binokular gezählt oder unter kontrollierten           zen vertieft und die Forschung zu präventiven und ku-
Bedingungen (die nicht genau den Bedingungen im Feld            rativen Bekämpfungsstrategien intensiviert werden.
entsprechen) zur Keimung gebracht werden. Auch fehlt            Andererseits sollten Modelle und Bilderkennungsver-
bisher noch ein automatisierter Ansatz zur Identifikati-        fahren weiterentwickelt werden, mit denen die Identi-
on und Auszählung der Samen, trotz der sich neu entwi-          fizierung von Unkräutern und die Einschätzung ihrer
ckelnden Bild- und Robotertechnologien (Brenchley and           Schädlichkeit verbessert werden. An diesen Themen
Warington 1930, Mahé et al. 2020). Die DNA-Analyse              arbeiten aktuell die Arbeitsgruppen im Bereich der Un-
der Samen mit Hilfe der Real time PCR (Polymerase-Ket-          krautforschung in der Schweiz und in Europa.          n

                                                                                   Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021    88
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