Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige Unkrautbekämpfung
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P f l a n z e n b a u Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige Unkrautbekämpfung Sandie Masson1, Bruno Chauvel2, Christophe Carlen1 und Judith Wirth1 1 Agroscope, Produktionssysteme Pflanzen, Herbologie Ackerbau, 1260 Nyon, Schweiz 2 INRAE, UMR Agroécologie, Pôle Gestion durable des adventices Agroécologie, F-21000 Dijon, Frankreich Auskünfte: Sandie Masson, E-Mail: sandie.masson@agroscope.admin.ch https://doi.org/10.34776/afs12-78g Publikationsdatum: 31. Mai 2021 Mechanische Unkrautbekämpfung einer Rapskultur auf einer Versuchsparzelle des Projekts PestiRed im September 2020. In Kombination mit anderen Unkrautbekämpfungsmassnahmen kann damit der Einsatz von Herbiziden reduziert werden (Foto: Carole Parodi, Agroscope). Zusammenfassung 2017 verabschiedete der Schweizer Bundesrat den lichkeit der Unkräuter entwickelt. Aktuell wird eine Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen An- einfache Methode, die auf der visuellen Schätzung wendung von Pflanzenschutzmitteln. Eine der Mass- des Volumenanteils der Unkräuter beruht, auf ihre nahmen dieses Plans ist der «Verzicht oder Teilverzicht Anwendbarkeit in der Praxis getestet. Ausserdem auf Herbizide». Diese Massnahme lässt sich jedoch werden Tools entwickelt, die auf der Modellierung nur im Rahmen einer ganzheitlichen, auf die jeweilige der Auswirkungen unterschiedlicher Anbausysteme Kultur und Fruchtfolge abgestimmten Strategie zur auf Unkrautflora und Ertrag unter verschiedenen Unkrautbekämpfung umsetzen. Unkräuter schädigen klimatischen Szenarien basieren. Dieser Artikel fasst nicht nur die jeweils vorhandenen Kulturpflanzen wichtige Aspekte der Forschung im Bereich des innerhalb eines Jahres, sondern können sich aufgrund Unkrautmanagements zusammen und stellt Entschei des Samenvorrats im Boden über mehrere Jahre als dungshilfe-Tools vor, die zu einer nachhaltigeren problematisch erweisen. Die Umsetzung präventiver Landwirtschaft beitragen könnten. und kurativer Massnahmen auf der Grundlage des integrierten Pflanzenschutzes erfordert die Entwick- Key words: weed thresholds, integrated weed lung neuer Entscheidungshilfe-Tools. Zusätzlich zur management, harmfulness of weeds, preventive Unkrautdichte, wurden weitere Indikatoren zur Schäd- and curative weed control. Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 78
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau Einleitung Ein reduzierter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist ei- field 2019). Die physikalische Bekämpfung beruht auf ner der wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zu einer mechanischen und thermischen Verfahren. Die biologi- nachhaltigen landwirtschaftlichen Produktion. Eine der sche Bekämpfung macht sich natürliche Feinde zunutze Massnahmen des Aktionsplans Pflanzenschutzmittel ist (Pilze, Laufkäfer usw.). Die ökologische Bekämpfung ba- deshalb der «Verzicht oder Teilverzicht auf Herbizide». siert auf Interaktionen zwischen Unkräutern und Kultur- Eine Reduzierung des Herbizid-Einsatzes ist besonders pflanzen (Konkurrenz, Wachstumsunterdrückung, usw.). schwierig, weil Herbizide sehr wirksam sind und die Dabei werden die Anbaupraktiken so optimiert, dass schnellste, einfachste und kostengünstigste Methode sich die Kulturpflanzen rasch und optimal entwickeln zur Unkrautbekämpfung darstellen. Um die Anforde- und möglichst tolerant gegenüber Unkräutern sind. Die rungen des Ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN) chemische Bekämpfung kann durch natürliche und syn- zu erfüllen, ist ihre Anwendung gegenwärtig an wirt- thetische Herbizide erfolgen. Aus diesen vier Bereiche schaftliche Bekämpfungsschwellen gebunden, d.h. eine werden vor allem präventive und kurative Massnahmen bestimmte Unkrautdichte, ab der davon ausgegangen angewandt. wird, dass die Kosten für die Herbizidanwendung ge- ringer sind als die zu erwartenden Einbussen durch Er- Präventive Massnahmen tragsausfälle. Die Reduzierung des Herbizid-Einsatzes Präventiv werden hauptsächlich ökologische und physi- ist allerdings nur im Rahmen einer angepassten Anbau- kalische Unkrautbekämpfungsmassnahmen eingesetzt. strategie möglich. Es müssen alle direkten und indirek- Der erste Schritt einer präventiven Unkrautbekämpfung ten Massnahmen umgesetzt werden, mit denen sich besteht darin, die Vielfalt der Pflanzen in den landwirt- die Etablierung, die Ausbreitung und die Entwicklung schaftlichen Systemen zu erhöhen (Gaba et al. 2017). Im einer Unkrautpopulation verhindern lassen. Ergänzend Rahmen einer Fruchtfolge ist es wichtig Anbauzeitpunk- zu den Bekämpfungsschwellen, erfordert dies den Ein- te (Frühling/Herbst) und Pflanzenfamilien zu variieren, satz neuer Tools, mit denen sich das Auftreten und die sowie Zwischenfrüchte anzubauen. Um eine natürliche Schädlichkeit von Unkräutern in einer Parzelle besser Unkrautregulation durch Nützlinge zu ermöglichen, vorhersagen lassen. muss diese Vielfalt auch auf Landschaftsebene, mittels Was ist eine nachhaltige Unkrautbekämpfung? Was sind Fruchtfolgen und verschiedenen Landschaftselementen, die Besonderheiten der Unkrautflora? Wie schädlich sind erhöht werden (Petit et al., 2008). Diese räumliche und Unkräuter für die landwirtschaftliche Produktion? Wel- zeitliche Diversifizierung verhindert auch eine Speziali- che Relevanz haben die aktuell verwendeten Methoden sierung der Unkrautflora, indem sehr konkurrenzfähige für die Einschätzung dieser Schädlichkeit? Welche neuen Arten weniger begünstigt werden, was zu geringeren Methoden für eine nachhaltige und optimale Unkraut- Ertragsverlusten führt (Storkey and Neve 2018, Adeux bekämpfung werden entwickelt? Diese Fragen versucht et al. 2019). der vorliegende Artikel zu beantworten und stützt sich dabei auf das Wissen aus 40 Jahren Unkrautforschung. Nachhaltige Unkrautbekämpfung physikalisch chemisch Grundsatz der integrierten Unkrautbekämpfung (mechanisch) Ziel der integrierten Unkrautbekämpfung (Abb. 1) ist es, den Ertrag und die Qualität der Kulturen zu ver- bessern und gleichzeitig die negativen Auswirkungen der Unkrautbekämpfung auf Umwelt und Gesundheit zu beschränken. Dazu gehört auch, die positiven Leis- ökologisch tungen zu bewahren, die Unkräuter für die Bestäu- biologisch bung, den Schutz des Bodens und die Bereitstellung von Nahrung für Nützlinge erbringen. Die integrierte Unkrautbekämpfung stützt sich auf vier Komponenten: physikalische (mechanische), biologische, ökologische Abb. 1 | Die vier Komponenten der integrierten Unkrautbekämpfung und – an letzter Stelle – chemische Massnahmen (Mer- (aus Merfield 2019). Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 79
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau Der zweite Schritt betrifft die Anbautechniken der je- Die mechanische/physikalische Unkrautentfernung er- weiligen Kulturpflanzen. Durch die Veränderung des lebt deshalb gerade einen neuen Aufschwung, was vor Saatzeitpunkts kann das Zeitfenster vermieden werden, allem auf den Einsatz von Robotern und die höhere während dessen das Unkraut bevorzugt aufläuft. Ein Präzision bei der mechanischen Unkrautbekämpfung «falsches» Saatbeet dient dazu, einen Teil der Unkräuter zurückzuführen ist. Der Einsatz dieser Methoden ist al- vor der Aussaat der Hauptkultur auflaufen zu lassen. Das lerdings stark von den Wetterbedingungen abhängig. Es anschliessende Blindstriegeln im Vorauflauf verschafft ist oft schwierig den richtigen Zeitpunkt zu finden, an der Kultur einen Entwicklungsvorsprung gegenüber dem dem sowohl die Wetterbedingungen als auch die Ent- Unkraut. Durch den Anbau von Sorten die rasch den Bo- wicklungsstadien der Unkräuter und der Kulturpflanzen den bedecken, die Beschleunigung der vegetativen Ent- für eine Unkrautbekämpfung geeignet sind. Diese Be- wicklung durch Düngung oder die Wahl einer frühreifen kämpfungsmethoden müssen also im richtigen Moment Sorte haben die Unkräuter weniger Licht zur Verfügung. und in Kombination mit anderen Bekämpfungsmassnah- Durch Bodenbearbeitung können Samen so tief vergra- men erfolgen. ben werden, dass ihre Keimfähigkeit stark eingeschränkt Die biologische Unkrautbekämpfung beruht auf dem ist. Bei der Direktsaat hingegen wird die Umwälzung des Einsatz natürlicher Feinde zur Regulation einer Un- Bodens, welche die Keimung begünstigt, soweit es geht krautpopulation. Zum Beispiel wurde eine Ambrosia vermieden. Untersaaten oder Mischkulturen konkurrie- (Ambrosia artemisiifolia L.) Population, nach der ver- ren mit den Unkräutern direkt um Ressourcen. Zusätz- sehentlichen Einschleppung des aus China stammenden liche Massnahmen um den Aufbau einer Unkrautsamen- Käfers Ophraella communa nach Italien, um 80 % ver- bank im Boden zu verhindern, sind das Auffangen der ringert (Schaffner et al. 2020). Aktuell wird in Frankreich Spreu mit den Unkrautsamen bei der Ernte oder das die Prädation von Unkrautsamen durch samenfressende Köpfen der Unkräuter vor der Samenreife Käfer untersucht, mit dem Ziel den Samenvorrat im Bo- Die Kombination dieser Massnahmen ist wichtig, da jede den zu reduzieren (Petit et al. 2014). Massnahme isoliert nicht ausreichend wirksam ist. Jede Massnahme kann sich für eine Gruppe von Unkrautar- ten (mit ähnlichen biologischen Merkmalen) eignen, Spezifität und Schädlichkeit für eine andere Gruppe aber unwirksam sein. Beispiels- der Unkrautflora weise ist Pflügen wirksam bei Flachkeimern, wie Acker- fuchsschwanz (Alopecurus myosuroides), aber weniger Die Unkrautflora, spezifisch für den Standort erfolgreich bei Flug-Hafer (Avena fatua), der aus tiefe- und das Anbausystem ren Schichten keimen kann. Die Massnahmen müssen Die Unkrautflora ist eine Pflanzengemeinschaft, die an ausserdem in einem ganzheitlichen Ansatz umgesetzt ein landwirtschaftliches Umfeld angepasst ist. In Frank- werden, wobei auch die Risiken durch andere Schädlin- reich und der Schweiz wurden mehr als 1000 Unkraut- ge zu berücksichtigen sind (Bertrand and Doré 2008). arten erfasst, was einem Fünftel der Gesamtzahl der vorkommenden Blütenpflanzenarten entspricht. Davon Kurative Massnahmen werden rund 200 Arten als schädlich für den Ackerbau Durch die Kombination präventiver Massnahmen lässt eingestuft (Jauzein 1995, Lauber et al. 2012). Die Eigen- sich die Entwicklung von Unkraut in den Kulturen nicht schaften vieler Unkrautarten sind noch weitgehend immer verhindern. Es ist deshalb wichtig, die vorhande- unbekannt: Dormanz der Samen, Überlebensdauer der nen Unkräuter zu identifizieren und ihre Schädlichkeit Samen im Boden, Tiefe der Durchwurzelung, Nährstoff- abzuschätzen. Wenn die vorhandenen Arten aufgrund bedarf usw. verschiedener Kriterien als schädlich für die betreffende Die landschaftliche Umgebung einer Parzelle bestimmt Kultur bzw. für das System eingestuft werden, kann eine ihre Unkrautgesellschaft (Alignier and Petit 2012). Das kurative Massnahme eingesetzt werden. Die häufigste mehrjährige Überleben der Unkräuter wird durch ihre kurative Massnahme zur Unkrautbekämpfung ist noch Reproduktionsart bestimmt: Samenunkräuter und Wur- immer eine Behandlung mit Herbiziden. Wegen der zelunkräuter (vegetative Vermehrung durch Wurzeln, negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesund- Knollen oder Rhizome). Das Anbausystem wirkt über heit und die Umwelt und weil die Zahl der verfügbaren die angewendeten Anbautechniken wie ein Filter und Wirkstoffe zurückgeht (Birch et al. 2011) besteht jedoch begünstigt ausgehend vom Samenvorrat im Boden die ein zunehmender Bedarf an nachhaltigeren kurativen Keimung und das Auflaufen bestimmter Arten gegen- Bekämpfungsmitteln. über anderen Arten (Abb. 2). Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 80
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau Bodensamenbank = Pool der Unkrautarten Aufgelaufene Flora Boden- Anbausystem A Anbausystem B bearbei- tung Pflügen Auflaufende Flora A Auflaufende Flora B Boden samenvorrat Abb. 2 | Das Anbausystem wirkt über die angewendeten Anbau techniken wie ein Filter und begünstigt ausgehend vom Samenvor rat im Boden die Keimung und das Auflaufen bestimmter Unkraut arten gegenüber anderen Arten. Abb. 3 | Die im Feld beobachtete aufgelaufene Flora ist nur die 2003 wurden dazu am Versuchsstandort von Agroscope Spitze des Eisbergs. Der Bodensamenvorrat umfasst die gesamte Unkrautflora, die bei günstigen Bedingungen auflaufen kann. in Changins (VD) verschiedene Anbausysteme mitei- nander verglichen. Die Samenvorräte in den obersten 25 Zentimetern des Bodens waren sehr gross und um- • die Verminderung der Qualität des Ernteguts durch die fassten zwischen 6000 bis 22 000 keimfähige Samen/m2 Verunreinigung mit Unkrautsamen (z.B. Weidelgras je nach Bodenbearbeitung. Es wurden 22 verschiedene (Lolium sp.) in Weizen), die mehr oder weniger hohe Unkrautarten identifiziert (Vullioud et al. 2006). Diese Kosten für die Reinigung verursachen Samenbanken stellen die Grundlage der Artenzusam- mensetzung der Ackervegetation dar aus denen sich Darüber hinaus schädigen Unkräuter längerfristig alle in der Zukunft Unkräuter entwickeln können, die sich Kulturen einer Fruchtfolge. Es handelt sich um eine indi- negativ auf die Kulturen der Fruchtfolge auswirken rekte potentielle Schädlichkeit, ausgehend vom Boden können. Jedes Jahr keimen je nach Unkrautart und den samenvorrat der Parzelle in Kombination mit dem jewei- klimatischen Bedingungen 6 % bis 28 % dieser Samen. ligen Anbausystem. Das Anbausystem kann die Zu- bzw. Die anderen Samen verbleiben im Zustand der Dormanz Abnahme bestimmter Unkrautarten im Bodensamen- im Boden (Dessaint et al. 1997, Chauvel et al. 2018). Die vorrat beeinflussen. aufgelaufenen Unkräuter, die auf der Bodenoberfläche sichtbar sind, stellen also nur die Spitze des Eisbergs dar (Abb. 3). Neue Samen Beeinträchtigung im Bodensamen- Aussaat der Keimung vorrat Verschiedene Abstufungen der Schädlichkeit Unkräuter schaden den Kulturpflanzen im jeweiligen Anbaujahr direkt oder indirekt indem sie unterschied- Ernte Auflaufen liche Schäden zu verschieden Zeitpunkten im Anbauzy- Beeinträchtigung klus verursachen (Abb. 4): bei der Ernte Konkurrenz um (Verunreinigung durch Ressourcen Unkrautsamen) Ähren- Bestockung • eine mechanische oder chemische (Allelopathie) Hem- bildung mung der Keimung oder des Auflaufens der Kultur • eine Wachstumsverzögerung der Kultur durch die Kon- Schäden an Ähren kurrenz um Ressourcen (Licht, Wasser, Nährstoffe) durch Schädlinge aus dem • die Übertragung von Krankheiten (z.B. der Mutter- Unkrautbestand kornpilz Claviceps purpurea) • die Beeinträchtigung der Ernte (z.B. Kletten-Lab- Abb. 4 | Die verschiedenen Formen der Schädlichkeit durch Unkräuter kraut – Galium aparine) im Anbauzyklus einer Getreidekultur. Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 81
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau Mehrere Schädlichkeitsfaktoren Die Schädlichkeit hängt von der Unkrautart ab. Einjähri- ge, nur wenige Zentimeter hochwachsende Arten (z.B. Einjähriges Rispengras – Poa annua, Acker-Gauchheil – Anagallis arvensis) sind nicht so konkurrenzstark wie mehrjährige hochwachsende Arten (Acker-Kratzdistel – Cirsium arvense, Acker-Winde – Convolvulus arvensis). Die Schädlichkeit hängt auch eng mit dem Zeitpunkt des Auftretens des Unkrauts während der Entwicklung der Kultur zusammen (Abb. 5 und 6). In mehreren in den 1990er-Jahren veröffentlichten Studien wurde gezeigt, dass je nach Zeitpunkt des Auftretens von Unkräutern ein sehr unterschiedlicher Einfluss auf den Ertrag be- stehen kann (Oliver 1988, Dieleman et al. 1996, Knezevic et al. 1997, Zwerger and Arlt 2002). So reduziert zum Beispiel eine Verzögerung des Auflaufens der Unkräuter von drei bis fünf Wochen gegenüber dem Auflaufen der Kultur die negativen Auswirkungen um einen Faktor von 2 bis 10 oder reicht sogar aus, um negative Auswirkun- gen auf Soja- und Maiserträge zu verhindern (Swanton et al. 1999). Ebenso hat das Auftreten von fünf Weisser Gänsefuss (Chenopodium album) Pflanzen pro m2 im 2- bis 5-Blatt-Stadium der Zuckerrübe Ertragseinbussen von 40% zur Folge, während die gleiche Anzahl Gänse- Abb. 5 | Dichter Bestand von spät aufgelaufenem Storchschnabel fuss-Pflanzen im 10- bis 13-Blatt-Stadium keine Ertrags- (Geranium sp.) in einer Weizenkultur. Diese hohe Unkrautdichte ver ausfälle verursacht (Abb. 6a). Wenn die Unkräuter sechs ursacht nicht zwingend einen direkten Schaden für die Kultur. Der Wochen nach dem Pflanzen von Zwiebeln auflaufen, Bodensamenvorrat wird sich aber erhöhen, wenn die Storchschnabel besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Bo- Pflanzen zur Samenreife kommen. (Foto: INRAE) Verlust im Rübenertrag (%) Zeitraum des Auftretens von C. album 50 2–5-Blattstadium 6–9-Blattstadium 10–13-Blattstadium 40 der Zuckerrübe b r2 n 30 8,7*** a 0,96 20 2,8*** b 0,96 20 0,2*** c 0,42 20 20 y = b*x 10 0 –10 0 5 10 15 20 25 30 35 Dichte C. album (Pflanzen/m2) Abb. 6a | Einfluss der Dichte und des Zeitraums des Auftretens des Weissen Gänsefusses (Chenopodium album) auf den Rübenertrag, aus Zwerger und Arlt (2002). Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 82
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau 120 120 100 100 Ertrag (% des Ertrags ohne Unkraut) Ertrag (% des Ertrags ohne Unkraut) 80 80 x 60 60 40 40 y = –0,49x + 100,1 y = 0,025x + 102,8 20 r2 = 0,5 (p = 0,0048) 20 r2 = 0,001 (p > 0,05) 0 0 0 20 40 60 80 100 0 5 10 15 20 25 30 Bodenbedeckung durch Unkraut (%) Bodenbedeckung durch Unkraut (%) Abb. 6b | Auswirkungen einer Verunkrautung in einem frühen Abb. 6c | Auswirkungen einer Verunkrautung in einem späten Stadium der Kultur auf den Ertrag von Zwiebeln (sechs Wochen nach Stadium der Kultur auf den Ertrag von Zwiebeln (drei Wochen vor der Aussaat), aus Zwerger und Arlt (2002). der Ernte), aus Zwerger und Arlt (2002). denbedeckung mit Unkräutern und dem Zwiebelertrag: In der Praxis wird davon ausgegangen, dass Unkraut, Je mehr Unkraut, desto geringer der Ertrag (Abb. 6b). unabhängig von der Unkrautbekämpfung, Ertragsaus- Wenn dagegen die Verunkrautung drei Wochen vor der fälle von 7 bis 13 % verursacht (Oerke 1994, Oerke 2006). Ernte auftritt, korreliert der prozentuale Bodenbede- In einer aktuellen Zusammenfassung von Versuchen zur ckungsgrad durch Unkraut nicht mit dem Ertrag: Der Unkrautbekämpfung, die in Frankreich zwischen 1993 Ertrag bleibt gleich, unabhängig davon wie dicht das und 2015 durchgeführt wurden, wurden Parzellen mit Unkraut wächst (Abb. 6c). chemischer Unkrautbekämpfung mit Kontrollparzellen Schliesslich ist die Schädlichkeit umso grösser, je stärker ohne Unkrautbekämpfung verglichen. In diesen Ver- die Ressourcen (Licht, Wasser, Nährstoffe) beschränkt suchen wurden bei 92 % der Weizenkontrollparzellen sind. Das in Abbildung 7 erwähnte Jahr 1983 war be- ohne Unkrautbekämpfung signifikante Ernteausfälle sonders trocken. Unter diesen Bedingungen verursachte (im Mittel über alle Versuche –26 dt/ha) festgestellt, eine Unkrautdichte von 200 Hühnerhirse-Pflanzen (Echi- aber nur in 51 % der Rapskulturen (im Mittel über alle nochloa crus-galli) pro m2 praktisch einen vollständigen Versuche –3,5 dt/ha) und in 61 % der Sonnenblumenkul- Ertragsausfall der Mais-Kultur. Dagegen war im Jahr turen (im Mittel über alle Versuche –4,1 dt/ha) (Cordeau 1982 die Verfügbarkeit von Wasser nicht beschränkend et al. 2016). und dieselbe Unkrautdichte hatte nur geringe Auswir- kungen auf den Ertrag (Abb. 7). Entscheidungshilfen bei der Unkrautbekämpfung 100 1982 Aktuelle Bekämpfungsschwellen relative Biomasse von Mais (%) hohe Wasser- Die wirtschaftlichen Schadschwellen für den Einsatz von verfügbarkeit Herbiziden sind gegenwärtig das wichtigste Werkzeug 50 zur Entscheidungshilfe in der Unkrautbekämpfung. Die ersten Arbeiten zur Festlegung dieser Schwellenwerte 1983 wurden Ende der 1970er-Jahre durchgeführt und in den eingeschränkte Wasser 80er-Jahren publiziert (Koch and Hurle 1978, Caussanel 0 verfügbarkeit 1989). Die Auswirkungen der Unkrautdichte auf den Er- 0 100 200 300 trag wurden ausgehend von Versuchsdaten modelliert. Hühnerhirse (Anzahl Pflanzen pro m –2) In Tabelle 1 sind die verschiedenen bestehenden Schwel- Abb. 7 | Relative Biomasse von Mais je nach Dichte der Hühnerhirse lenwerte für dieselben Unkräuter von Getreidekulturen in den Jahren 1982 und 1983 (Kropff and Lotz 1992). gemäss verschiedenen europäischen wissenschaftlichen Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 83
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau Tab. 1 | In der wissenschaftlichen Literatur publizierte Schadschwellen für Getreide (durchschnittliche Unkrautdichte, die einen Ertrags verlust von 5 % verursacht) Anzahl Pflanzen / m2 Gherekhloo, Noroozi et al. (2010) Swanton, Weaver et al. (1999) Cousens, Wilson et al. (1985) Gerowitt et Heitefuss (1990) Zanin, Berti et al. (1993) Unkrautarten Auld et Tisdell (1987) Wahmhoff (1986) Neururer (1975) Neururer (1976) Aarts (1985) Einkeimblättrige 10–40 Alopecurus myosuroides Huds. Ackerfuchsschwanz 30 25 30–50 25–35 20–30 Apera spica-venti L. Windhalm 19,2 20 15 Avena fatua L. Flughafer 10,8 8–12 3–7 Avena sterilis Tauber Hafer 7–12 5 Bromus sterilis Taube Trespe 40 Lolium multiflorum Italienisches Raigras 25–35 Zweikeimblättrige 40–50 Cirsium arvense L. Ackerkratzdistel 1,6 4,3 Convolvulus spp Winden 12 Vicia sativa Futterwicke 5–10 Fallopia convolvululs Windenknöterich 2,8 0,7 2 5 2 Galeopsis tetrahit L. Ackerhohlzahn 3,4 9,4 Galium aparine L. Klebern 4,3 0,7 0,5 0,5 2 0,1–0,5 Matricaria recutita L. Echte Kamille 4,2 5 Sinapis arvensis L. Ackersenf 2,7 6,1 Papaver rhoeas Klatschmohn 22 Stellaria media L. Vogelmiere 7,2 10,3 50 Veronica sp. Ehrenpreis 4,6 9,0 50 Viola arvensis Acker-Stiefmütterchen Alchemilla vulgaris Gemeiner Frauenmantel Lamium sp Taubnesseln Vicia villosa Roth Zottelwicke 2,1 0,8 2 Chenopodium album Weisser Gänsefuss 19 Salsola kali Kali-Salzkraut 13 Rapistrum rugosum Runzeliger Rapsdotter 27 Publikationen zusammengestellt. In der Schweiz wurden aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt. Erstens un- von Agroscope in Reckenholz Schwellenwerte ausgear- terscheiden sich die Werte für dasselbe Unkraut je nach beitet und analog zu den deutschen Arbeiten von Koch Publikation (Tab. 1). Die Ergebnisse von Feldversuchen und Hurle (1978) sowie Gerowitt and Heitefuss (1990) und von Simulationen über 60 Jahre zeigen ausserdem, veröffentlicht (Ammon and Irla 1996, Zwerger and Arlt dass die Anzahl der Herbizid Behandlungen in einem 2002). Diese Publikationen sind nicht mehr verfügbar, Anbauzyklus gleich war, unabhängig davon, ob die Be- sind aber die Grundlage für das Agridea Merkblatt über kämpfungsschwelle bei 1 oder 10 Unkrautpflanzen/m2 Bekämpfungsschwellen (Tab. 2). festgelegt war (Munier-Jolain et al. 2002). Zweitens beru- Die Anwendung dieser Schwellenwerte als einzige Ent- hen die Schwellenwerte auf Modellen, die eine Konkur- scheidungshilfe für die Unkrautbekämpfung wird heute renz zwischen jeweils nur zwei Arten (eine Unkrautart Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 84
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau Tab. 2 | Bekämpfungsschwellen für Unkräuter in der Schweiz gemäss Merkblatt im Ordner «Ackerbau» von Agridea. Kontrollperiode Unkräuter Kultur Bekämpfungsschwelle (Stad. BBCH) 0,1 Pflanze pro m2 Klebern alle Getreidearten 13−39 bzw. 1 Pflanze pro 10 m2 Windenknöterich alle Getreidearten 13−29 2 Pflanzen pro m2 Wicken alle Getreidearten 13−29 2 Pflanzen pro m2 Vogelmiere alle Getreidearten 13−29 25 Pflanzen pro m2 Ackerhohlzahn alle Getreidearten 13−29 3 bis 5 Pflanzen pro m2 Total 5 % Bodenbedeckung Diverse breitblättrige Unkräuter alle Getreidearten 13−29 oder 50 Pflanzen pro m2 Ungräser Winterweizen (Frühsaat) 13−29 10 Pflanzen / m2 Wintergerste, Winterweizen (Spätsaat), Windhalm 13−29 20 Pflanzen / m2 Sommergetreide Winterroggen 13−29 30 Pflanzen / m2 Winterweizen (Frühsaat) 13−29 15 Pflanzen / m2 Ackerfuchsschwanz Wintergerste, Winterweizen (Spätsaat) 13−29 20 Pflanzen / m2 Winterroggen, Sommergetreide 13−29 30 Pflanzen / m2 Ital. Raigras Wintergetreide 13−29 8 Pflanzen / m2 Einjähriges Rispengras Wintergetreide 13−29 50 Pflanzen / m2 Wintergetreide 13−29 10 Pflanzen / m2 Flughafer Sommergetreide 13−29 5 Pflanzen / m2 Saatgetreide − 0 Pflanzen / m2 Diverse Ungräser alle Getreidearten 13−29 Total 10 bis 50 Pflanzen pro m2 und eine Kulturpflanze) berücksichtigen (Carlson and Hill Schliesslich berücksichtigen die Schwellenwerte nicht, 1985). In der Praxis beherbergt eine Parzelle jedoch nicht dass ein grosser Unkrautbestand viele Samen produ- nur eine Unkrautart, sondern eine Pflanzengesellschaft ziert, welche in den Folgekulturen keimen können. mit unterschiedlichen Unkräutern. In einigen Modellen Beispielsweise wird eine Behandlung gegen den Acker- wurde versucht, die Schädlichkeit mehrerer gleichzeitig fuchsschwanz erst bei 20–30 Pflanzen pro m2 empfoh- auftretender Unkräuter abzuschätzen, indem die von len (Durchschnittswert der Publikationen in Tab. 1). Bei den einzelnen Unkräutern verursachten Ernteverluste einer niedrigeren Dichte (z.B. 15 Ackerfuchsschwanz- berücksichtigt wurden (Swanton et al. 1999). Allerdings Pflanzen pro m2) ist die Kultur des betreffenden Jahres ist die schädliche Wirkung beim gleichzeitigen Auftreten kaum beeinträchtigt, aber der Befall kann längerfristig verschiedener Unkrautarten nicht additiv. Die Konkur- wegen der Samenproduktion ausser Kontrolle geraten. renz zwischen den verschiedenen Unkrautarten redu- In der Praxis werden die Bekämpfungsschwellen bei Un- ziert den Konkurrenz Effekt der einzelnen Unkrautar- kräutern daher nur sehr bedingt angewendet (Ramseier ten. So überschätzte eines der ersten Modelle mit meh- et al. 2016). reren Arten zur Prognose von Ertragseinbussen bei Soja Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Be- den Schaden für die Kultur um etwa 7,5 % (Berti and kämpfungsschwellen eine Einschätzung der Unkrautar- Zanin 1994). Drittens wurden die Schwellenwerte seit ten nach ihrer individuellen Schädlichkeit ermöglichen, den 1990er-Jahren nicht mehr neu berechnet, obwohl aber alleine angewendet keine nachhaltige Unkrautbe- sich die Verkaufspreise und die Produktionskosten, die kämpfung sicherstellen. beide in die Berechnung einfliessen, seither erheblich verändert haben (Gerhards et al. 2012). Viertens ist die Neue Indikatoren für die Schädlichkeit Verteilung der Unkräuter in einer Parzelle oft sehr he- Die Unkrautdichte ist der Indikator der aktuell ver- terogen (Abb. 8). Der Schwellenwert kann in einzelnen wendet wird, um die Schädlichkeit von Unkräutern zu Bereichen der Parzelle überschritten werden, in anderen bestimmen und Bekämpfungsschwellen zu berechnen jedoch nicht. Das erschwert die Entscheidung, ob eine (Swanton et al. 1999). Nach vielen Jahren Unkrautfor- Bekämpfung vorgenommen werden soll. schung stellt die wissenschaftliche Gemeinschaft fest, Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 85
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau Für jede Kulturpflanze gibt es eine kritische Periode, in der das Auftreten von Unkräutern eine besonders ungünstige Wirkung auf den Ertrag hat (Tab. 3). Nach diesem Zeitraum können Unkräuter geduldet werden, unter der Bedingung, dass die Samenproduktion in be- stimmten Grenzen bleibt. Diese Indikatoren müssen noch in ein Entscheidungshil- fe-Tool für Landwirte integriert werden, mit dessen Hil- fe, basierend auf den Beobachtungen im Feld, entschie- den werden kann, ob kurative Massnahmen eingesetzt werden. Diese Massnahmen sollten falls möglich me- chanisch oder biologisch sein, und nicht nur chemisch. Aufgrund der Schwierigkeit, die Biomasse der Unkräuter und der Kulturpflanzen im Feld getrennt zu ernten und zu bestimmen, testet die Forschungsgruppe Herbologie Ackerbau von Agroscope gegenwärtig zusammen mit engagierten Landwirtschaftsbetrieben im Rahmen des Projekts Pestired (Wirth et al. 2020) und des Langzeit- Abb. 8 | Befall mit der Tauben Trespe (Anisantha sterilis) in einem versuchs Herbiscope eine neue Methode zur visuellen bestimmten Bereich. (Foto: INRAE) Schätzung des oberirdischen Volumens von Unkräutern und Kulturpflanzen (Abb. 9). dass die Unkrautdichte im Feld nur einen Teil der ver- Kamerasysteme mit Bildsensoren könnten diese Messun- ursachten Ertragsschwankungen erklärt. Es wurden gen vereinfachen. Diese Systeme wurden z.B. getestet deshalb weitere Indikatoren entwickelt, die in der For- um die Verteilung von Unkräutern in Versuchsparzel- schung verwendet werden: len abzuschätzen und so zuverlässigere Bekämpfungs- schwellen für Winterweizen festzulegen (Keller et al. • Der Bodenbedeckungsgrad aller Unkräuter oder pro 2014). Bei der Berechnung neuer Schadschwellen ist es Unkrautart im Verhältnis zum Bodenbedeckungsgrad besonders wichtig, die langfristige Schädlichkeit der Un- der Kulturpflanze. kräuter zu berücksichtigen. In einer kanadischen Studie (Simard, Panneton et al. 2009) wurde gezeigt, dass die Dieser Indikator erfasst die Kapazität einer Pflanzenge- Ertragseinbussen bei einer geringen Bodenbedeckung meinschaft oder einzelner Pflanzen, Licht zu absorbie- durch Unkräuter (< 0,4 %) vernachlässigbar waren, auch ren und den Boden zu bedecken (Kropff and Lotz 1992, wenn die Herbizidanwendungen um 85 % reduziert Florez et al. 1999). Im Falle der Zuckerrübe erklärt diese wurden. Dies traf allerdings nur im ersten Versuchs- Variable den Ertrag am besten, obwohl die Wirkung jahr zu. Nach drei Jahren Fruchtfolge mit Mais und Soja bestimmter Unkräuter mit aufrechtem Wuchs wie Hüh- konnten nur noch 10 % Herbizide eingespart werden, nerhirse (Echinochloa crus-galli) oder Weisser Gänsefuss (Chenopodium album) dabei unterschätzt werden (Ger- Tab. 3 | Allgemein geltende kritische Zeiträume für die Unkraut hards et al. 2017). bekämpfung, nach Scavo and Mauromicale (2020) und Martin et al. (2001). • Die Biomasse aller Unkräuter oder pro Unkrautart im Kritischer Zeitraum mit hoher Empfindlichkeit Verhältnis zur Biomasse der Kulturpflanzen. Kultur gegenüber Unkraut GT: Gradtagsumme (Tmax + Tmin)/2 – TBasis) von 506 bis 1023 GT, d.h. vom Stadium Bestockung Das Verhältnis zwischen der Biomasse der Unkräuter Winterweizen bis zu Ähren 1 cm und der Biomasse der Kulturpflanzen allein erklärt 31 % 17 bis 38 Tage nach dem Auflaufen, der Schwankungen der Ertragsausfälle bei Getreide (Mil- Raps d.h. bis zum 4–6 Blatt-Stadium berg and Hallgren 2004). Die Biomasse pro Unkrautart Mais vom 3 bis zum 10-Blatt-Stadium korreliert eng mit dem Kornertrag. Kartoffeln 19–24 und 43–51 Tage nach dem Auflaufen Sonnenblume 14–26 Tage nach dem Auflaufen • Der für die jeweilige Kulturpflanze kritische Zeitraum, Soja bis 30 Tage nach dem Auflaufen in dem sie gegenüber Unkräutern empfindlich ist. Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 86
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau weil die Unkräuter früher und in grösserer Zahl auf- Modelle zur Prüfung präventiver Massnahmen traten. Als Ergebnis dieser Studie wurde der Schwellen- Die Modellierung ist der am besten geeignete Ansatz wert für die relative Bodenbedeckung durch Unkräuter für die richtige Anwendung präventiver Massnahmen. auf 0,077 % korrigiert um sie langfristig kontrollieren Das vom INRAE entwickelte Modell FLORSYS ermöglicht zu können. Da die Bildanalyse in diesem Bereich nicht es Wissenschaftlern schon heute, den Effekt verschie- mehr ausreichend präzise für die Messung der Boden- dener Anbausysteme auf die Unkrautdynamik und den bedeckung durch Unkraut war, besteht hier noch Bedarf Ertrag in einer virtuellen Parzelle über mehrere Jahre für die Verbesserung der Technologie. zu evaluieren (Colbach et al. 2008). Es wurden funktio- Beispiel: Rahmen 1 1. Prozentualen Anteil der Bodenbedeckung durch trockene 2. Anteil Unkraut/Kultur schätzen Pflanzenrückstände schätzen Unkraut: Kultur: Rahmen 50 × 50 cm 5% des Volumens 40% des Volumens Rahmen 50 × 50 cm max. höhe der Kultur: 15 cm 3. Vegetation über der Kulturhöhe schätzen Trockene Unkraut Kultur Pflanzenrück- Unkraut über der Kultur: 0% stände: 10% der Fläche Beispiel: Rahmen 2 1. Prozentualen Anteil der Bodenbedeckung durch trockene 2. Anteil Unkraut/Kultur schätzen Pflanzenrückstände schätzen Unkraut: Kultur: Rahmen 50 × 50 cm 50% des Volumens 40% des Volumens max. Höhe Rahmen 50 × 50 cm der Pflanzendecke: 30 cm max. höhe der Kultur: 15 cm Trockene Unkraut Kultur Pflanzenrück- 3. Vegetation über der Kulturhöhe schätzen stände: 40% der Fläche Unkraut über der Kulturhöhe: 50% Abb. 9 | Beispiel für die visuelle Schätzung des oberirdischen Volumens von Unkräutern und Kulturpflanzen. Diese Methode wird im Rahmen des Projekts PestiRed und des Langzeitversuchs Herbiscope am Versuchsstandort von Agroscope in Changins entwickelt und getestet. Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 87
Neue Entscheidungshilfen für eine nachhaltige U nkrautbekämpfung | Pflanzenbau nelle Merkmale von 26 häufig auftretenden Unkraut- tenreaktion) könnte in Zukunft eine Methode sein, mit arten (die für die wichtigsten Gruppen von Unkräutern der sich der Samenvorrat schneller quantifizieren lässt repräsentativ sind) und von 33 Kulturpflanzen und Zwi- (Riley et al. 2010). Allerdings müsste für jede zu erwar- schenfrüchten parametriert. Die Eingabedaten sind die tende Unkrautart ein separater PCR-Ansatz erfolgen. Kulturmassnahmen des getesteten Systems, die Boden- Deshalb könnte sich diese Methode zwar dazu eignen, eigenschaften der Parzelle und die meteorologischen eine spezifische Unkrautart im Samenvorrat zu unter- Daten für einen bestimmten Ort. Auf der Basis dieser suchen, aber gegenwärtig noch nicht, um alle im Vorrat Daten sowie der detaillierten Parametrierung der funk- vorhandenen Unkräuter zu quantifizieren. tionalen Merkmale der Unkräuter repräsentiert das Modell den Lebenszyklus der Unkräuter und Kultur- pflanzen. Drei Schlüsselregeln steuern das Modell: 1. Schlussfolgerungen Die Pflanze, die zuerst aufläuft, hat die grösste Chan- und Perspektiven ce, die Oberhand zu gewinnen; 2. die Pflanze, die die verfügbaren Ressourcen am besten nutzen kann, wird • Die Unkrautforschung der vergangenen 40 Jahre hat sich am besten entwickeln; und 3. die Pflanze, die die gezeigt, wie schwierig es ist, effiziente und praktisch widerstandsfähigsten Samen bildet, wird am längsten anwendbare Indikatoren für die Unkrautbekämpfung überleben (Colbach et al. 2021). Die Ausgangsdaten für zu finden. jede Unkrautart sind: Dichte, Biomasse, Entwicklungs- • In allen landwirtschaftlichen Parzellen kommen na- stadium und lebensfähige Samen im Bodenvorrat. Da- türlicherweise Unkrautgesellschaften vor. Die Interak- mit die Ergebnisse der Simulationen von FLORSYS für tionen der Unkräuter innerhalb landwirtschaftlicher Berater und Landwirte nützlich und brauchbar sind, Systeme sind vielschichtig. Die Unkrautbekämpfung werden die Daten in Wirkungsindikatoren konvertiert, muss immer auf die jeweilige Kultur und Fruchtfolge die positiv (z.B. erhöhte Biodiversität) oder negativ (z.B. abgestimmt sein, mehrere Bekämpfungsmassnahmen Ernteverlust) sein können (Mézière et al. 2015). Mit Hil- kombinieren und verschiedene Entscheidungshilfe fe von Entscheidungsregeln kann ausserdem der Effekt Tools zum jeweils richtigen Zeitpunkt einsetzen. verschiedener Kombinationen von Anbautechniken auf • Ein Entscheidungshilfe-Tool, das neben der visuell oder die Wirkungsindikatoren getestet werden (Colas et al. mit Kameras geschätzten Unkrautdichte neue Indika- 2016). Dies sind die ersten Schritte zur Entwicklung eines toren zur Schädlichkeit (Bodenbedeckung, Biomasse Entscheidungshilfe-Tools für Landwirte basierend auf usw.) berücksichtigt, könnte abschätzen, wie bedroh- dem Model FLORSYS. lich die Unkrautsituation ist und ob kurative Massnah- men mechanischer oder biologischer oder – als letztes Samenvorrat noch schwierig zu quantifizieren Mittel – chemischer Art erforderlich sind. Um die langfristige Wirksamkeit präventiver und ku- • Zusätzlich ermöglicht ein Tool, basierend auf dem Mo- rativer Massnahmen beurteilen zu können, wäre es dell FLORSYS, mit dem sich die Unkrautentwicklung in nützlich, die Entwicklung des Samenvorrats im Boden einer gegebenen Situation prognostizieren lässt, das zu kennen. Dieser Vorrat ist der beste Indikator für die bestehende Anbausystem gegebenenfalls anzupassen potentielle Zusammensetzung von Unkrautgesellschaf- und präventive Massnahmen je nach Risikoabschät- ten. Der Bodensamenvorrat lässt sich aber nur schwer zung rechtzeitig zu planen. bestimmen, weil die verwendeten Methoden sehr auf- • Für eine nachhaltigere Unkrautbekämpfung mit einem wendig und wenig verlässlich sind: Es müssen sehr viele Verzicht oder Teilverzicht auf Herbizide muss einerseits Bodenproben pro Parzelle entnommen werden, die Sa- das Wissen über die einzelnen Unkrautarten und ihre men müssen aufwändig aus der Bodenprobe isoliert und Interaktionen untereinander und mit den Kulturpflan- unter dem Binokular gezählt oder unter kontrollierten zen vertieft und die Forschung zu präventiven und ku- Bedingungen (die nicht genau den Bedingungen im Feld rativen Bekämpfungsstrategien intensiviert werden. entsprechen) zur Keimung gebracht werden. Auch fehlt Andererseits sollten Modelle und Bilderkennungsver- bisher noch ein automatisierter Ansatz zur Identifikati- fahren weiterentwickelt werden, mit denen die Identi- on und Auszählung der Samen, trotz der sich neu entwi- fizierung von Unkräutern und die Einschätzung ihrer ckelnden Bild- und Robotertechnologien (Brenchley and Schädlichkeit verbessert werden. An diesen Themen Warington 1930, Mahé et al. 2020). Die DNA-Analyse arbeiten aktuell die Arbeitsgruppen im Bereich der Un- der Samen mit Hilfe der Real time PCR (Polymerase-Ket- krautforschung in der Schweiz und in Europa. n Agrarforschung Schweiz 12: 78–89, 2021 88
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