Neue Köpfe für Wirtschaft, Finanzen und Agrar - profil.bayern

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Neue Köpfe für Wirtschaft, Finanzen und Agrar
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik führt ein Bündnis aus SPD, Grünen
und FDP die Geschicke des Landes. Welche Personen werden künftig die Wirtschaft-,
Finanz- und Agrarpolitik prägen? Wo zeichnet sich bereits ein Kurswechsel ab? Ein
Überblick – mit Exkurs über das Verhältnis des neuen Bundeskanzlers zu
Genossenschaften.

Gastautorin: Jana Wolf, Journalistin
Foto: IMAGO / Frank Ossenbrink

Profil – Das bayerische Genossenschaftsblatt – Ausgabe 01 2022
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        Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: „Große strukturelle Aufgabe,
      wahnsinnige Chance“

        Exkurs: Olaf Scholz und Genossenschaften

        Das Bundesministerium der Finanzen: Ein „Ermöglichungsministerium“

        Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: „Oberster Anwalt der
      Landwirtinnen und Landwirte“

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz:
„Große strukturelle Aufgabe, wahnsinnige Chance“

Die deutsche Wirtschaftspolitik wird ab jetzt grün. Zumindest was die personelle
Besetzung des neuen Superministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz angeht,
lässt sich das bereits mit Gewissheit sagen. Der zuständige Bundesminister heißt ab
jetzt Robert Habeck, derzeit zugleich noch Parteichef der Grünen. Der grüne „Realo“
Habeck hat sich eine Reihe an namhaften Parteikolleginnen und -kollegen, engen
Vertrauten und profilierten Fachleuten in sein Haus geholt, die gemeinsam mit ihm
dafür sorgen sollen, dass der wirtschaftspolitische Kurs eine ökologischere
Handschrift bekommt.

Dazu beitragen soll nicht nur das neue Personal, sondern auch der Neuzuschnitt des
Ressorts. Dem Wirtschaftsministerium wird die Zuständigkeit für Klimaschutz
einschließlich deren europäischer und internationaler Bezüge übertragen, die bisher
dem Umweltministerium oblag. Die internationale Klimapolitik wird dagegen an das
Auswärtige Amt angedockt. Neu hinzugekommen zum Wirtschaftsministerium ist
auch die Zuständigkeit für die Computerspielebranche. Erhalten bleibt dem Ressort
die Verantwortung für die Energiepolitik. Im Koalitionsvertrag hat die

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Ampelkoalition das ambitionierte Ziel bekräftigt, Deutschland bis spätestens 2045
klimaneutral zu machen. Bereits bis 2030 sollen 80 Prozent des Strombedarfs aus
erneuerbaren Energien kommen. Der Netzausbau soll beschleunigt werden, Gleiches
gilt für Planungs- und Genehmigungsverfahren. Solaranlagen sollen sich künftig auf
„allen geeigneten Dachflächen“ befinden – bei gewerblichen Neubauten wird dies
zur Pflicht, bei privaten soll es „die Regel“ werden.

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, legt vor Bundestagspräsidentin Bärbel
Bas den Amtseid ab. Foto: IMAGO / Jens Schicke

Daneben sollen zwei Prozent der Landesflächen für Windkraftanlagen ausgewiesen
werden. Damit haben sich die Grünen im Energiesektor mit ihren Forderungen
deutlich durchgesetzt. Bei der Amtsübergabe von Ex-Minister Peter Altmaier (CDU)
sprach Habeck von der „großen strukturellen Aufgabe“, die es zu bewältigen gelte,
in der er aber eine „wahnsinnige Chance“ sehe.

Habeck ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sich dieser neuen Aufgabe
nun voll verschrieben hat. Es ist kein Geheimnis mehr, dass der 52-Jährige
ursprünglich gerne Finanzminister geworden wäre, die Grünen dieses Ressort aber
an die FDP abtreten mussten. Für seine neue Wirkungsstätte bringt er jedenfalls
passende Exekutiverfahrung mit: In Schleswig-Holstein war Habeck bereits Minister

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für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Natur (2012 bis 2018, ab 2017 auch
für Digitalisierung) und Vizeministerpräsident. Der Beweis dafür, ob es der neuen
Habeck-Truppe auf Bundesebene gelingen wird, Wirtschafts- und Klimapolitik in den
kommenden vier Jahren miteinander zu verschränken und das Land auf den
notwendigen Transformationskurs zu bringen, steht freilich noch aus. Das
Personaltableau jedenfalls lässt aufhorchen.

Sieben Staatssekretärinnen und -sekretäre mit unterschiedlichen fachlichen
Schwerpunkten werden Habeck im Ministerium unterstützen, drei davon
Parlamentarische Staatssekretäre, vier verbeamtete. Die frühere Hamburger
Umweltsenatorin und Haushaltspolitikerin Anja Hajduk kommt als beamtete
Staatssekretärin, sie soll Amtschefin und Koordinatorin im neuen Habeck-
Ministerium werden. Europapolitische Expertise bringen Franziska Brantner
(Parlamentarische Staatssekretärin), Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis
Heidelberg, und Sven Giegold (beamteter Staatssekretär), Abgeordneter im
Europaparlament, mit.

Brantner saß von 2009 bis 2013 als Abgeordnete im Europaparlament, gehört seit
2013 dem Bundestag an und war zuletzt Europapolitische Sprecherin der Grünen-
Fraktion. Sie wolle den Blick auf den EU-Binnenmarkt richten, „um mit dem Green
Deal Schlüsseltechnologien für die Klimaneutralität zu stärken“, schreibt sie auf
ihrer Webseite zu ihrer neuen Aufgabe im Wirtschaftsministerium. Der studierte
Wirtschaftswissenschaftler Giegold machte sich als Mitbegründer des
globalisierungskritischen Bündnisses Attac in Deutschland (aktiv bis 2008) und des
internationalen Netzwerks Tax Justice Network einen Namen. In seinen zwölf Jahren
im Europaparlament setzte er sich unter anderem für Steuergerechtigkeit, die
Nachhaltigkeit des Finanzsystems und Lobbytransparenz ein. In den
Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien verhandelte er die Themen Finanzen
und Haushalt und war zudem Teil der Grünen-Hauptverhandlergruppe.

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Anja Hajduk soll Amtschefin und Koordinatorin im neuen Habeck-Ministerium werden. Foto: IMAGO /
Future Image

Als Klima- und Energieexperten holt Habeck den Bundestagsabgeordneten Oliver
Krischer und den Mitgründer der Denkfabrik Agora Energiewende, Patrick Graichen,
in sein Haus. Krischer wird Parlamentarischer, Graichen beamteter Staatssekretär.
Der gebürtige Rheinländer Krischer gilt als ausgewiesener Fachpolitiker für
Klimaschutz und Energiewirtschaft – genau in diesen Themenfeldern dürfte er den
neuen Minister auch gegenüber Bundestag, Bundesrat und in den Fraktionen
vertreten. Der 52-Jährige war bislang Vizevorsitzender der Grünen-
Bundestagsfraktion. Graichen arbeitete im Bundesumweltministerium (2001 bis
2012), bevor er zu Agora Energiewende kam, zuletzt als Referatsleiter für Klima-
und Energiepolitik.

Michael Kellner, bisher Politischer Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfmanager
der Grünen, kommt als Parlamentarischer Staatssekretär ins
Wirtschaftsministerium. Bei der großen Aufgabe der ökologischen Transformation
gehe es darum, „Stadt und Land und die strukturschwachen Regionen im Blick zu
behalten“, twitterte Kellner zu seiner neuen Aufgabe. Als weiterer beamteter
Staatssekretär kommt der bisherige Finanz-Staatssekretär in Schleswig-Holstein,
Udo Philipp, ins Ministerium. Der studierte Volkswirt hat Erfahrung in der
Privatwirtschaft, war in Managerfunktion bei verschiedenen Unternehmen tätig,

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unter anderem bei der Investitionsgruppe EQT. 2015 gründete er die
Bürgerbewegung Finanzwende mit. Von 1993 bis 1995 war er bereits im
Bundeswirtschaftsministerium tätig, als persönlicher Referent des damaligen
Ministers Günter Rexrodt (FDP).

Ganz so, als wolle er die Ministeriumsbelegschaft nicht mit der neuen Grünen-
Dominanz überrollen, schlug Habeck bei der Amtsübergabe ausgleichende Töne an:
Parteizugehörigkeiten würden keine Rolle spielen, zumindest keine negative. In
seiner Geschichte lag das Wirtschaftsministerium bereits in den Händen der CDU,
CSU, SPD, FDP und eines parteilosen Ministers. Aber ein Grüner an der Spitze, das
gab es bisher noch nie.

  Olaf Scholz und Genossenschaften

  Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz kennt sich mit der Rechtsform Genossenschaft
  bestens aus. Acht Jahre lang, von 1990 bis 1998, war er Rechtsanwalt und Syndikus
  des Zentralverbands deutscher Konsumgenossenschaften mit Sitz in Hamburg. Im
  Rahmen dieser Tätigkeit hat er der Zeitung „taz" geraten, sich in der Rechtsform
  Genossenschaft zu organisieren. „Für mich war offensichtlich, dass man am besten
  eine Genossenschaft begründet, um die Eigenkapitalprobleme der „taz" zu lösen –
  versehen mit einer juristischen Struktur samt eingebauter Wirtschaftsprüfung“, sagte
  Scholz 2012 im Interview mit der Tageszeitung. Zudem betonte er, dass die
  Rechtsform generell sehr interessant für verschiedene Wirtschaftsbereiche sei: „Im
  Wohnungsbau, in der Landwirtschaft, auch im Lebensmittelbereich – und im
  publizistischen Sektor, siehe die „taz". Ich hoffe, dass es weiter möglich sein wird,
  manches, was an selbst organisiertem Wirtschaften heute interessant wird, über die
  Rechtsform der Genossenschaft zu gestalten.“ Das Interview lässt sich auf der
  Webseite der „taz" nachlesen. Christof Dahlmann, Redaktion „Profil“

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Das Bundesministerium der Finanzen: Ein
„Ermöglichungsministerium“

Ähnlich integrativ gab sich auch der neue Bundesfinanzminister Christian Linder bei
der Amtsübergabe. In seinem Ministerium zähle nicht der parteipolitische
Hintergrund, sondern „Loyalität, persönliche Eignung und Hingabe an das Amt“,
sagte Lindner. Auch hier vollzieht sich ein Farbwechsel: FDP-Chef Lindner
übernimmt vom bisherigen SPD-Finanzminister und neuen Bundeskanzler Olaf
Scholz.

Christian Lindner ist neuer Bundesminister der Finanzen. Der FDP-Parteivorsitzende legte seine
Ambitionen für dieses Amt schon zu Beginn der Sondierungsphase der Ampelkoalition offen. Foto:
IMAGO / Jens Schicke

Lindner spielte mit seiner Aussage auch auf seine ersten Personalentscheidungen
an. Denn tatsächlich besetzt der 42-Jährige wichtige Posten im Finanzministerium
nicht mit Parteifreunden. Als beamtete Staatssekretärin für Steuerpolitik holt er die
50-jährige Luise Hölscher in sein Haus – sie ist CDU-Mitglied. Neu hinzu kommt
auch der europapolitisch erfahrene Volkswirt Carsten Pillath. Der 65-Jährige führte
seit 2008 die Generaldirektion „Wirtschaft und Soziales“ im Generalsekretariat des
Rats der Europäischen Union. Anders als geplant wechselt er nun nicht in den

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Ruhestand, sondern als Staatssekretär für Europa, Internationales und
Finanzmarktpolitik in das Bundesfinanzministerium. Auf diesem Posten folgt Pillath
auf Jörg Kukies, der nun die Abteilungsleitung Wirtschaft im Bundeskanzleramt
übernimmt. Pillath ist parteipolitisch ungebunden, gilt allerdings als konservativ
ausgerichtet.

Auf personelle Kontinuität setzt Lindner beim Amt des Haushalts-Staatssekretärs.
Wie auch seine Amtsvorgänger hält er an Werner Gatzer fest, dem eine tiefe
Kenntnis aller Haushaltsdetails nachgesagt wird. Als SPD-Mitglied steht Gatzer
seinem vorherigen Chef parteipolitisch näher als dem neuen Dienstherren. Doch
Lindner ist auf dessen Erfahrung und Expertise angewiesen: Gatzer hat maßgeblich
den Nachtragshaushalt vorbereitet, den Lindner als eine seiner ersten
Amtshandlungen auf den Weg gebracht hat. Der neue Minister holt sich aber auch
Parteifreunde als Staatssekretäre in sein Haus: Katja Hessel, frühere
Staatssekretärin im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur,
Verkehr und Technologie (2008 bis 2013) und zuletzt Vorsitzende des
Finanzausschusses im Bundestag; Steffen Saebisch, früherer Staatssekretär im
Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung (2009 bis
2014) und Hauptgeschäftsführer der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung; und
den Jurist Florian Toncar, zuletzt finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion sowie
deren Parlamentarischer Geschäftsführer.

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Neue Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium: Katja Hessel aus Bayern. Foto: IMAGO / Future
Image

Die 60 Milliarden Euro, die der Nachtragshaushalt für 2021 umfasst, sollen dem
neuen Klima- und Transformationsfonds zugeführt werden. Damit geht Lindner
bereits eines der Vorhaben der neuen Ampel-Koalition an: Bisherige
Kreditermächtigungen des Bundestags sollen nicht verfallen, sondern zur
Finanzierung wichtiger Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz und Digitalisierung
gesichert werden. Die 60 Milliarden sind Teil der insgesamt 240 Milliarden Euro, die
der Bundestag in der zurückliegenden Wahlperiode für Corona-Hilfsmaßnahmen
abgesegnet hatte. Die übriggebliebene Summe soll der Ampel nun für die
kommenden Jahre zur Verfügung stehen.

War die zweite Hälfte von Scholz‘ Amtszeit im Finanzministerium von der
Pandemiebekämpfung und der damit verbundenen Schuldenaufnahme geprägt,
dürfte Lindners erste Zeit im Amt vor allem der Rückkehr zu ausgeglichenen
Haushalten gewidmet sein. Es ist das erklärte Ampel-Ziel, ab 2023 die
Schuldenbremse wieder einzuhalten. Bei der Amtsübernahme beschrieb Linder sein
Verständnis des Ministeriums als ein „Ermöglichungsministerium“ – das also die
Vorhaben der neuen Bundesregierung ermöglichen solle – und dabei „zugleich die
Verfassung achtet, sparsam mit den Mitteln, die die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler uns zur Verfügung stellen, umgeht, und die fiskalische Stabilität nicht
nur dieser Volkswirtschaft sondern auch darüber hinaus Europas achtet“, so
Lindner. Er komme in dieses Haus mit „eigenen Vorstellungen und Ideen“, aber auch
mit „großer Demut und Respekt“.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft:

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„Oberster Anwalt der Landwirtinnen und Landwirte“

Mit einer eigenen Vorstellung der neuen Amtsausübung fiel auch der neue
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf. Am Tag der Vereidigung des
neuen Kabinetts war der Grünen-Politiker mit E-Bike, Fahrradhelm und
Outdoorjacke im Berliner Regierungsviertel unterwegs. So kreuzte er auch in
Schloss Bellevue bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf, während sich
alle Kabinettskolleginnen und -kollegen in schwarzen Limousinen vorfahren ließen.
Nach der Zeremonie klemmte Özdemir seine Ernennungsurkunde auf den
Gepäckträger und radelte wieder zurück zum Bundestag.

Dieser Auftritt darf durchaus als Vorgeschmack des politischen Selbstverständnisses
verstanden sein, mit dem der 55-Jährige das Landwirtschaftsministerium führen will.
Die Transformation zu mehr Umwelt- und Klimaschutz sowie einer Stärkung des
Tierwohls stehen bei Özdemir oben auf der Agenda. Er sehe sich als oberster
Tierschützer des Lands, sagte Özdemir nach seiner Amtsübernahme. Der grüne
„Realo“ ist sich aber wohl bewusst, dass sich auch dieses Haus nicht ohne einen
klugen Ausgleich der Interessen erfolgreich führen lässt. Das machte er deutlich,
indem er sich auch „als obersten Anwalt der Landwirtinnen und Landwirte“
verstanden wissen will – „von denjenigen, die für das Essen auf unserem Tisch
sorgen“, so Özdemir. Ihnen müsse man bei der Transformation hin zu mehr Tierwohl
sowie Umwelt- und Klimaschutz helfen.

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Amtsantritt mit Symbolkraft: Cem Özdemir kam zu seiner Ernennung als Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Fahrrad und Outdoorjacke.
Foto: IMAGO / Future Image

Damit macht der zweite grüne Landwirtschaftsminister nach Renate Künast (2001
bis 2005) einen Schritt auf die Landwirte zu. Wohl auch in dem Bewusstsein, dass
das Verhältnis zwischen Bundespolitik und Bauernschaft in den zurückliegenden
Jahren ein spannungsreiches war. Die Landwirte sehen sich unter Druck, etwa durch
die verschärfte Düngeverordnung, Vorlagen zum Insektenschutz und bürokratische
Pflichten. Immer wieder zogen Traktoren-Demonstrationen durchs Land, nicht selten
auch durch das Berliner Regierungsviertel.

Der Transformationsbedarf dürfte in diesem Bereich allerdings nicht geringer
werden. Denn die neue Ampel-Koalition hat sich einiges vorgenommen. Bis 2030
sollen 30 Prozent der deutschen Landwirte nach ökologischen Standards arbeiten.
Bisher sind es erst rund zehn Prozent. Zur Stärkung des Tierschutzes will die Ampel
ab 2022 ein verbindliches Tierhaltungslabel einführen. Im Kampf gegen das
Artensterben soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln „auf das notwendige Maß“
beschränkt werden. Zugleich sollen bäuerliche Betriebe beim Umbau der
Tierhaltung unterstützt werden. Dafür wollen SPD, Grüne und FDP ein „durch die
Marktteilnehmer getragenes finanzielles System“ einführen. Mit den daraus
gewonnenen Einnahmen soll der Umbau der Ställe hin zu einer artgerechten
Haltung finanziert werden.

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Özdemir steht vor keiner leichten Aufgabe. Unterstützen sollen ihn dabei drei
Staatssekretärinnen, allesamt Grüne: die Diplom-Agraringenieurin Silvia Bender, die
bisher Staatssekretärin im Brandenburger Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt
und Klimaschutz war; die gelernte Tierärztin Ophelia Nick, Geschäftsführerin der
Gesellschaft Lebendige Landwirtschaft und seit sechs Jahren Co-Sprecherin der
Bundesarbeitsgemeinschaft Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung der Grünen;
und die Juristin Manuela Rottmann, die unter anderem Hauptamtliche Dezernentin
für Umwelt und Gesundheit der Stadt Frankfurt am Main (2006 bis 2012) und
Bezirksvorsitzende der Grünen in Unterfranken (2017 bis 2019) war.

Damit holt der neue Agrarminister, der selbst facettenreiche politische Stationen
hinter sich hat, viel Sachverstand in sein Haus. Zehn Jahre lang war Özdemir
Grünen-Vorsitzender (2008 bis 2018), Abgeordneter im Bundestag (1994 bis 2002
und wieder seit 2013) und im Europaparlament (2004 bis 2009). In der
zurückliegenden Legislatur saß er dem Bundestagsausschuss für Verkehr und
digitale Infrastruktur vor. Dass ausgerechnet er und nicht der Agrarpolitiker und
promovierte Biologe Anton Hofreiter für die Grünen ins Landwirtschaftsministerium
einzieht, sorgte anfangs für Irritationen – und parteiintern auch für Verwerfungen.
In der Bauernschaft könnte ein Realo wie Özdemir aber auch auf weniger Skepsis
treffen als ein Parteilinker wie Hofreiter. Von Bauernpräsident Joachim Rukwied
jedenfalls waren bereits wohlwollende Töne zu hören. Für ihn sei es nicht wichtig,
„ob jemand Stallgeruch hat“, so Rukwied. Ein prominentes Gesicht im
Landwirtschaftsministerium helfe der Landwirtschaft. Das bringt Özdemir mit
Gewissheit mit.

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Auch Anton Hofreiter wurden Ambitionen für den Posten als Bundeslandwirtschaftsminister
nachgesagt, letztlich setzte sich jedoch Cem Özdemir durch. Foto: IMAGO / Chris Emil Janßen

Besondere Aufmerksamkeit zieht der gebürtige Baden-Württemberger auch durch
seinen biografischen Hintergrund auf sich: Özdemir ist der erste deutsche
Bundesminister, der aus einer türkischen Gastarbeiter-Familie stammt, und der
einzige im ersten Kabinett Scholz mit Migrationshintergrund. Dass die Entscheidung
der Grünen am Ende auf ihn und nicht auf Hofreiter fiel, hat allerdings ein anderes
Ergebnis zur Folge: Im neuen Bundeskabinett ist kein Bayer und keine Bayerin
vertreten. Auch auf Staatssekretärsebene der genannten Ministerien ist der
Freistaat nur schwach repräsentiert. Lediglich die Agrarstaatssekretärin Manuela
Rottmann und die Finanzstaatssekretärin Katja Hessel kommen aus Bayern. Nach
langen Jahren der CSU-bedingten Überrepräsentation Bayerns im Bundeskabinett
bricht nun also eine neue Zeit an. Einen Aufbruch jedenfalls hat die Ampel sich
selbst zum Ziel gesteckt.

Jana Wolf ist Korrespondentin der „Rheinischen Post" in der Parlamentsredaktion
Berlin und Vorstandsmitglied der Bundespressekonferenz.

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