Interview mit Dr. Abdel-Hakim Ourghi vom 12.02.2018 - Partei der ...

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Interview mit Dr. Abdel-Hakim Ourghi vom 12.02.2018

Guten Tag Herr Dr. Ourghi, ich heiße Sie ganz herzlich willkommen und freue mich, Sie als
meinen Interviewpartner begrüßen zu dürfen.
[1.] Erzählen Sie den Lesern doch ein wenig über sich. Wer sind Sie? Was treibt Sie an? Wie
kamen Sie zu dem, was Sie heute tun? Warum ist Ihnen ihr kritisch-rationaler Standpunkt in
der Auseinandersetzung mit dem Islam so wichtig?
Mein Name ist Abdel-Hakim Ourghi. Ich unterrichte das Fach islamische Theologie und
Religionspädagogik an der pädagogischen Hochschule in Freiburg. Dabei vertrete ich den
sogenannten liberalen Islam, der für eine Aufklärung des Islams steht. Die kanonischen
Quellen, die Tradition des Propheten und die Geschichte des Islams werden in meinen
Vorlesungen und Seminaren mittels reflektierender Vernunft betrachtet. Für einen solchen
liberalen Islam setze ich mich jedoch nicht lediglich in Deutschland ein, sondern bereits seit
meiner Studienzeit auch in Algerien. Warum ich das mache lässt sich ganz einfach sagen: mir
liegt viel an dem Islam und an den Muslimen. Ich versuche nicht nur kosmetische Korrekturen
vorzunehmen und zu beschönigen, sondern es ist meiner Ansicht nach die Aufgabe von uns
Muslimen, eine reflektierende Debatte über den Islam voranzutreiben und besonders die hier
im Westen lebenden Muslime zum Nachdenken über sich selbst und die eigene Religion
anzuregen.
[2.] Sie sind ein vehementer Gegner des politischen Islams. Der Politologe Hamed Abdel-
Samad spricht in diesem Zusammenhang häufig von der Dualität einer „spirituellen Seite“ und
einer „politischen Seite“ des Islams. Die eine Komponente sei zu befürworten, die andere
abzulehnen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ich beschäftige mich mit den Quellen des Islams und eine der wichtigsten Quellen ist der Koran,
welcher eine zentrale Rolle und eine Art Schlüsselfigur im kollektiven Bewusstsein der
Muslime spielt. Hier plädiere ich für die Wiederbelebung des ethischen Korans. Im Koran sind
nämlich durchaus auch ethische Aspekte zu finden, die als Grundlage für ein friedliches
Zusammenleben fungieren können – sowohl für Menschen die gläubig sind als auch für solche,
die sich keiner Religion zugehörig fühlen.
Den politischen Koran – also all jene Passagen, in denen es um Gewalt geht, um die
Unterdrückung der Frauen und Muslime zu Überlegenheitsgefühlen aufgerufen werden –
betrachte ich als historisch-situativ. Diese Abschnitte sind eher für das 7. Jahrhundert gedacht.
Es ist sogar unsere Aufgabe als Muslime, dass wir uns mehr Gedanken über diesen politisch-
juristischen Koran mit all seinen Strafen machen und wir deutlich sagen, dass dieser auf seinen
theologischen Sinn reduziert werden muss und in unserem alltäglichen Leben keine zentrale
Rolle mehr spielen darf. Wir müssen den Mut haben, Abschied von diesen Versen zu nehmen.
Diese Unterscheidung führt mich auch dazu, dass ich ebenfalls zwischen dem ethisch-
spirituellen Islam und dem Islam in einer politisierten Form unterscheide. Ersterer besitzt eine
fundierte Grundlage für uns Muslime, um miteinander, aber auch mit Nicht- und
Andersgläubigen, in Frieden zu leben. Für mich persönlich spielt der private Glaube keine
Rolle. Letzterer ist jedoch nicht nur für Muslime eine Gefahr, sondern schlicht für alle
Menschen. Deshalb denke ich, dass der Islam dringend entpolitisiert werden muss. Dann kann
der Islam wieder zu seiner eigentlichen Aufgabe zurückkehren: nämlich die Bindung des
Menschen an seinen eigenen Gott.
Die Geschichte zeigt uns allerdings, dass wann immer der Islam für politische Zwecke genutzt
wurde, viel Blut vergossen wurde. Dies gilt es, in Zukunft zu verhindern.
[3.] Viele Islamkritiker, wie der in Saudi-Arabien inhaftierte Raif Badawi, fordern einen
staatlich konsequent umgesetzten Säkularismus (Trend zur Verweltlichung) und Laizismus
(Trennung von Staat und Religion). Halten Sie diese Forderungen für erstrebenswert oder sind
diese eher nicht zielführend?
Es ist wichtig, dass man zwischen dem Weltlichen und dem Religiösen trennt. Wenn die Kanzel
der Moschee eine politische Rolle übernimmt, besteht stets die Gefahr, dass es zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen kommt. Auch wir Muslime hier in Deutschland müssen zwischen der
Religion als eine individuelle, private Sache und einer weltlichen, einer politischen
unterscheiden. Der private Glauben sollte sich dabei nicht in die Politik einmischen.
[4.] Sie geraten mehr und mehr ins Kreuzfeuer konservativer Islamverbände, die versuchen
Sie mittels Diffamierungen mundtot zu machen. Diese Verbände behaupten, sie sprächen im
Namen aller hier lebender Muslime. Stimmt das? Und was könnte Ihrer Ansicht nach getan
werden, damit solche Diffamierungen nicht mehr vorkommen?
In Deutschland zeichnet sich eine Entwicklung ab, wonach die organisierten Dachverbände
eine immer größere Rolle bei der religiösen und politischen Erziehung spielen. Dabei vertreten
diese zumeist vom Ausland finanzierten Dachverbände gerade einmal 15 % der hier lebenden
Muslime. Wir haben auch Importimame z.B. aus der Türkei und diese fremde Einmischung in
die internen Angelegenheiten der Muslime in Deutschland finde ich sehr fatal. Es ist traurig,
wenn die Zukunft des Islams selbst bei uns in Deutschland vom Ausland entschieden wird.
Die Dachverbände behaupten zwar, dass sie alle Muslime hierzulande vertreten, aber das tun
sie gewiss nicht. Diesbezüglich habe ich immer dafür plädiert – und das ist eine der wichtigsten
Lösungen, um einen liberalen Islam hier zu etablieren –, dass der Staat den Mut haben möge,
einen Rat unter den Muslimen zu gründen, bei dem meinetwegen auch konservative Muslime
dabei sind, also auch Vertreter von den Dachverbänden, aber eben auch Vertreter der liberalen
Muslime. Es ist traurig, dass unsere Politiker ausschließlich mit den konservativen
Dachverbänden sprechen. Am 25.01 hat der Bundespräsident Vertreter aller Dachverbände zu
sich eingeladen. Keine einzige Frau war dabei und auch kein einziger Vertreter des liberalen
Islam. Und da frage ich mich, ob unsere Politiker gut beraten sind. Es ist selbstverständlich,
dass der Staat auch mit konservativen Dachverbänden spricht, aber er darf nicht selektieren und
die liberalen Muslime komplett außen vor lassen. Als Argument wird dabei häufig der Grad der
Organisiertheit vorgeschoben. Es geht dabei aber nicht um Zahlen und Organisiertheit, sondern
darum, welche Ideen vertreten werden. Und der friedliche Islam wird bei uns in Deutschland
von den liberalen Muslimen vertreten. Das muss deutlich betont werden. Es geht darum, welche
Ideen und Grundsätze vertreten werden und welchen Islam wir hier eigentlich brauchen.
Ein konservativer Islam konkurriert auch mit unseren hiesigen Erziehungsstrukturen. Schüler
werden dabei aus ihrem westlichen Kontext herausgerissen und letztendlich dazu getrieben,
eine doppelte Persönlichkeit zu entwickeln. Nämlich eine islamisch-konservative auf der einen
Seite und eine westlich-liberale Persönlichkeit auf der anderen. Die Leidtragende sind in diesem
Fall unsere Kinder. Deshalb muss der Staat den Schritt gehen, die Gründung eines Rats von
allen Muslimen zu unterstützen, sodass sich dieser etabliert und tatsächlich im Namen aller
Muslime sprechen kann. Daraus ist auch ersichtlich, dass die konservativen Dachverbände hier
in Deutschland – ich sage es ganz deutlich – ein Hindernis für die Integration sind. Dafür gibt
es leider viele Hinweise.
[5.] In einer gemeinsamen Erklärung äußern bekannte Islamkritiker, darunter Mina Ahadi,
Maryam Namazie, Nazanin Borumand, Arzu Toker, Ufuk Özbe, u.v.m., den Wunsch oder
vielmehr die Forderung, dass nicht nur der islamistische Terrorismus, sondern auch die
dahinterstehende Ideologie bekämpft werden müsse. Andernfalls werde vielen Menschen die
Chance verwehrt, in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft anzukommen. Was hat
diese Ihrer Meinung nach dazu gebracht, einen solchen Appell zu formulieren und ist dieser
gerechtfertigt?
Ich finde deren Ideen mutig und es ist unsere Aufgabe als liberale Muslime auch mit Ex-
Muslimen zu sprechen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich bin bereit, mit allen
zusammenzuarbeiten – auch mit den konservativen Muslimen. Es geht darum, einen offenen
Diskurs unter den Muslimen zu ermöglichen. Wir haben zu selten gelernt, miteinander zu reden.
Wenn wir nur über einander reden, dann gibt es nur Probleme und Missverständnisse und
Opferrolle und Täterrolle, etc. – es ist unsere Aufgabe, den Mut aufzubringen, die Kritik der
anderen nicht abzulehnen, sondern uns damit auseinanderzusetzen.
[6] Eine weitere Forderung in dieser Erklärung lautet, ein Kopftuchverbot für
Grundschullehrerinnen und religionsunmündige Schülerinnen an öffentlichen Schulen
einzuführen. Welchen Standpunkt vertreten Sie?
Viele behaupten ja, das Kopftuch sei eine islamische Vorschrift, was aber nicht stimmt. Das
Kopftuch ist ein historisches Produkt der männlichen Herrschaft, um Frauen zu kontrollieren.
Das beste Beispiel ist der Iran: Da revoltieren Frauen gegen das Kopftuch und vermitteln uns
auch hier im Westen, dass das Kopftuch ein Symbol der Unterdrückung der Frau ist. Leider
vermissen wir hier die Stimme der Frauen, der Feministinnen, der Muslimas, die ein
unreflektiertes Tragen des Kopftuchs kritisch sehen. Stattdessen behaupten sie, das Kopftuch
sei eine rein persönliche Entscheidung und schweigen zu den Zwängen, die auch existieren.
Für mich ist es geboten, dass ich als ein Vertreter der liberalen Muslime kein Kopftuchverbot
fordere, sondern dass ich auch andere dazu animiere, darüber aufzuklären, darüber zu schreiben
und offen darüber zu reden. Ein Verbot des Kopftuchs z.B. bei Schülerinnen würde nur zu
Gegenreaktionen führen – das kann keine Lösung sein.
Anders sieht es meiner Ansicht nach bei der Burka aus, welche ich als mobiles Gefängnis
betrachte. Diese hat nichts mit unseren Werten einer pluralistischen Gesellschaft gemein und
hat hier nichts zu suchen.
[7.] Wie sehen Sie allgemein den Konflikt zwischen der Freiheit zum religiösen Bekenntnis von
Mitarbeitern im öffentlichen Dienst und der weltanschaulichen Neutralität des Staates?
Das ist eine schwierige Frage. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: wenn eine Lehrerin beim
islamischen Religionsunterricht ein Kopftuch trägt, dann kann ich das nachvollziehen und
denke wir sollten das nicht verbieten, aber wenn Richterinnen ein Kopftuch tragen wollen, dann
habe ich damit ernste Schwierigkeiten. Allgemein haben religiöse Symbole meiner Ansicht
nach in einem Rechtssystem nichts zu suchen.
Ich kenne mich mit der Ausbildung von Lehrerinnen aus, wir bilden sie hier an der Hochschule
ja auch aus, und diese haben eine schwierige Aufgabe. Wenn sie in der Schule sind, haben sie
darunter zu leiden, von den Kolleg*innen nicht ernst genommen zu werden. Das ist wirklich
eine heikle Sache. Ich persönlich lehne zwar das Kopftuch ab, möchte aber gleichzeitig auch
jedem Menschen die Freiheit zugestehen, das Gewünschte zu tragen. Und diese Entscheidung
auch respektieren.
[8.] Welche inhaltlichen Schwierigkeiten sehen Sie als Pädagoge im islamischen
Religionsunterricht? Wie soll mit kritischen Suren und Versen umgegangen werden?
Wir müssen zunächst unterscheiden zwischen dem islamischen Religionsunterricht an Schulen
und dem Unterricht, der am Wochenende in den Moscheen stattfindet. Der Koranunterricht in
den Moscheen hat die Aufgabe, in den Gemeinden eine Pädagogik der Unterwerfung zu
vermitteln. Das ist eine Pädagogik, die nur Schwarz und Weiß kennt, mit einem strafenden
Gott, der nur darauf wartet, die Menschen, sobald sie sündigen, in die Hölle zu schicken.
Der islamische Religionsunterricht in den Schulen ist hingegen eher ein Unterricht, der
versucht, die Kinder in der eigenen Religion aufzuklären. Es geht darum, diese Kinder bei der
Reflexion der religiösen Identität zu unterstützen. Ebenso wichtig ist es, den muslimischen
Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, dass sie eine religiöse Identität haben und auch den
Mut entwickeln sollen, diese in Frage zu stellen – und das machen sie in den Schulen auch
hervorragend. Das geschieht allerdings nicht in der Moschee.
[9.] Bedarf es überhaupt eines Religionsunterrichts? Und könnten Sie sich auch einen
Unterricht vorstellen, bei dem Christen, Muslime, Juden, Atheisten und Agnostiker
zusammensitzen und zusammen über ihre Religion bzw. Nicht-Religion debattieren?
Das ist nicht leicht zu beantworten. Ich fürchte, die Kirchen würden da nicht mitmachen. [lacht]
Prinzipiell finde es aber nicht schlimm, wenn in einer säkularen Gesellschaft religiöse Inhalte
differenziert vermittelt werden und die Nachfrage ist ja auch da. Es ist dabei allerdings wichtig,
dass wir den interreligiösen Dialog in den Schulen befördern und auch die Schülerinnen und
Schüler dazu ermutigen, sich daran zu beteiligen.
Ein interreligiöser Dialog, der Erfolg haben könnte, muss auch über Konflikte debattieren. Z.B.
warum muslimische Schüler jüdische Schülerinnen und Schüler hänseln, schlecht behandeln
oder beleidigen. Das sind Konflikte, die es real gibt und diese müssen im Rahmen des
interreligiösen Dialogs behandelt und nicht ausgeklammert werden als gäbe es sie nicht.
[10.] Die Partei der Humanisten setzt sich nachdrücklich für die Abschaffung von konfessionell
gebundenem Religionsunterricht an staatlichen Schulen ein. Solange dennoch islamischer
Religionsunterricht stattfindet, plädieren wir unbedingt für die Mitgestaltung der Lehrpläne
durch liberale und moderate Muslime. Inwiefern stufen Sie die momentane Zusammenarbeit
mit konservativ-traditionalistischen Verbänden wie DITIP, ZMD, IGMG, etc. als problematisch
ein?
Also ich rate davon ab, dass die Dachverbände als ein Ansprechpartner bei der Gestaltung des
islamischen Religionsunterrichts herangezogen werden. Diese müssen sich zunächst einmal zu
unserem Grundgesetz bekennen, u.a. indem sie sich von dem fremden Einfluss befreien.
Stichwort: Ditib und Ankara. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht deren politischer Islam in
unseren Schulen vermittelt wird, damit wir nicht den gleichen Fehler wie in den Moscheen
machen. Wir dürfen den Islam nicht wie die Kirchen behandeln. Muslime haben keine mit der
Kirche vergleichbaren Strukturen. Es gibt bislang keine islamische Institution, die für alle
Muslime gleichermaßen sprechen könnte. Und deshalb rate ich davon ab, dass man den
islamischen Religionsunterricht zusammen mit diesen Verbänden gestaltet. Es gibt nämlich
genug Fachleute von Universitäten, die die Inhalte vermitteln und bei der Auslegung
mitbestimmen können. Darüber hinaus gibt es die sog. Vocatio / Missio wie bei Christen, also
die Lehrerlaubnis für die Vermittlung religiöser Inhalte, für muslimische Lehrer nicht. Einer
solchen Bedarf es aber auch nicht, auch wenn sie von den Dachverbänden noch so laut gefordert
wird. Es reicht, wenn Lehrer von Fachleuten ausgebildet wurden. Andernfalls, wenn nämlich
die Dachverbände das Privileg erhalten, eine solche Lehrerlaubnis zu erteilen, dann werden sie
sehr selektiv vorgehen und sie werden diese nur denjenigen erteilen, die ihre Interessen
vertreten – und das müssen wir verhindern. Deshalb sage ich: die Dachverbände mögen erst
einmal in ihren eigenen Gemeinden Aufklärung betreiben und danach schauen wir, wie es
weitergeht.
[12.] Wie stehen Sie zu der maßgeblich von Seyran Ateş gegründeten Moschee in Berlin, in
der Frauen und Männer gleichzeitig beten dürfen? Befürworten Sie die Gründung weiterer
liberaler Moscheen in Deutschland?
Als einer der Mitbegründer der ersten liberalen Moschee denke ich, dass wir davon noch mehr
gebrauchen könnten. Für die erste habe ich mich aus tiefer Überzeugung heraus eingesetzt, da
ich denke, dass das eine hervorragende Entwicklung ist. Die Vertreter der liberalen Muslime
haben bisher nur doziert, sie haben also nur die Intellektuellen erreicht. Es wäre jedoch
wichtiger, dass man „ganz unten“ und „breit angelegt“ anfängt zu arbeiten. Aber das Problem
ist, dass der Staat uns kein bisschen unterstützt. Dabei könnten wir jegliche Unterstützung sehr
gut gebrauchen – bislang lebt diese Moschee von Spenden.
Doch die Lösung der Sinnkrise, in der sich der Islam befindet, wird nicht durch die Gründung
von liberalen Moscheen herbeigebracht. Wir müssen uns stets verdeutlichen, dass nur ein
liberaler und friedlicher Islam mit den westlichen Werten und dem Grundgesetz kompatibel ist
und nur dieser ist hier in Deutschland überlebensfähig.
 [11.] Wie sieht für Sie eine sinnvollere Integrationspolitik in den kommenden Jahrzehnten
aus? Wie und mit welchen muslimischen Verbänden sollten Bund, Länder und Kommunen
zusammenarbeiten?
Es gibt neben dem MFD (Muslimisches Forum Deutschland) und dem LIB (Liberal Islamischer
Bund) auch noch die Säkularen Muslime, zu denen ich gehöre, die unter anderem die erste
liberale Moschee in Berlin gründeten.
Ich wäre gerne ein Prophet, um sagen zu können, wie die Zukunft aussieht [lacht], aber ich
kann es leider nicht wissen. Wir liberale Muslime haben mittlerweile ein regelrechtes
Feindbild. Wir kritisieren immer die Dachverbände – und das ist auch berechtigt –, aber ich
finde, das ist zu wenig. Es ist die Aufgabe, von uns liberalen Muslimen, uns auch selbst in Frage
zu stellen. Es gibt die säkularen Muslime, liberale Muslime vom LIB, die Muslime vom MFD
und nicht einmal wir sind uns einig und das obwohl wir die gleichen Interessen vertreten. Nicht
einmal wir schaffen es, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, indem wir uns etwa zu
einem großen Dachverband zusammenschließen. Ich denke es ist wichtig, dass wir uns auf
kurz oder lang vereinen, damit wir allen liberal eingestellten Muslimen eine Stimme verleihen
können.
Auf der anderen Seite ist wichtig festzuhalten, dass Integration kein Diktat „von oben“ ist,
sondern letztendlich eine persönliche, individuelle Entscheidung. Der Schlüssel für die
Integration ist die Sprache. Jeder, der nach Deutschland kommt, muss die deutsche Sprache
lernen. Man muss sich allerdings auch mit dem Staat, in dem man lebt, identifizieren können.
Das heißt, wir Muslime müssen endlich aufhören, uns zuallererst als Muslime zu definieren,
an zweiter Stelle über die Heimat der Eltern und zuletzt über den aktuellen Wohnort. Mir wäre
lieber, wenn wir das umdrehen, sodass zuerst gedacht und gesagt wird „ich bin ein Bürger
Deutschlands, ich gehöre dazu, ich identifiziere mich mit unserem Grundgesetz und ich
vertrete auch die Interessen Deutschlands“ – das ist für mich sehr wichtig und essentiell. Dann
die Heimat der Eltern, die lediglich als Erinnerungsort betrachtet werden sollte, an dem man
gerne Urlaub macht und zuletzt die Religion, die zu einer privaten Angelegenheit wird. Denn
diese ist eine Beziehung zwischen mir und meinem eigenen Gott.
[13.] Welche Herausforderungen kommen Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren auf
westliche Staaten und offene Gesellschaften zu? Besonders mit Blick auf die gewaltsamen
Auseinandersetzungen im arabischen Raum und den innerreligiösen Konflikt zwischen
Sunniten und Schiiten.
Diesen innerreligiösen Konflikt gibt es seit dem 7. Jahrhundert, also seitdem betrachten sich
viele Sunniten und Schiiten als verfeindet. Doch diese müssen endlich lernen, miteinander zu
sprechen, denn es geht ihnen um den selben Gott und es ist wichtiger, dass man sich gegenseitig
respektiert und nicht von vornherein ablehnt.
Aber ich glaube, dass Konflikte wie im Irak oder in Syrien dort vor Ort gelöst werden müssen,
– wenn nötig mit Unterstützung des Westens, welcher durch Dialog mit allen Beteiligten
versuchen kann, Frieden zu stiften. Wenn ich solch einen Satz sage, möchte ich aber deutlich
hinzufügen, dass ich kein AfD-Anhänger bin und kein Rassist. Ich finde es schlicht wichtig,
dass den Menschen in diesen Ländern vor Ort tatsächlich geholfen wird. Denn wenn alle
Intellektuellen das Land verlassen, wie soll es mit diesem Land dann weitergehen?
Wie das in der Zukunft aussehen wird und was auf uns zukommt, weiß ich nicht. Es ist schwer
absehbar. Keiner hätte z.B. gedacht, dass Saudi-Arabien für Reformen des Islams plädiert. Das
ist für viele ein kultureller Schock. Aber ob das stimmt, muss erst einmal unter Beweis gestellt
werden.

Ich bedanke mich für das Gespräch, auf Wiedersehen.

Das Interview führte für die Partei der Humanisten: Constantin Huber, stellv.
Bundesvorsitzender

Dr. Abdel-Hakim Ourghi ist Leiter der Fachbereiche Islamische Theologie und
Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg im Breisgau
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