Non heart-beating donation aus medizinethischer Sicht - IERM-Tagung, 6.-7.11.2014
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Non heart-beating donation aus medizinethischer Sicht IERM-Tagung, 6.-7.11.2014 Ulrich H.J. Körtner Institut für Ethik und Recht in der Medizin
Lebendspende und Totenspende Bei der Organspende wird üblicherweise zwischen Lebendspende und Totenspende (postmortaler Spende; Spende post mortem) unterschieden. Unter der Voraussetzung, daß eine Tötung auf Verlangen – und sei es auch aus der Absicht, auf diese Weise fremdes Leben zu retten – rechtlich und ethisch abzulehnen ist, bedeutet die o.g. Unterscheidung, dass Personen, die noch am Leben sind, keine für sie lebenswichtigen Organe spenden dürfen. Die Spende oder Entnahme von lebenswichtigen Organen zu Transplantationszwecken ist nur nach Eintritt des Todes zulässig.
Voraussetzungen der Organentnahme post mortem Sofern man die Unterscheidung zwischen Lebend- und Totenspende rechtlich und ethisch für triftig hält, ist ein ethisch und rechtlich entscheidendes Kriterium die Irreversibilität des Todes. Dieses Kriterium gilt in jedem Fall, unabhängig davon, ob und in welcher Form die informierte Zustimmung des Verstorbenen als weitere Voraussetzung für eine Organentnahme angesehen wird (Zustimmungslösung, Widerspruchslösung, erweiterte Zustimmungslösung, Informationslösung).
Die Irreversibilität des Todes und seine Feststellbarkeit Nach herrschender medizinischer und juristischer Lehre wird der sog. Hirntod als hinreichendes Kriterium für die Feststellung des Todes angesehen. Der Zeitpunkt des Todes fällt nach diesem Konzept mit dem Nachweis der Irreversibilität des Hirntodes zusammen. Die Diagnose gilt als sicher. Der eingetretene Hirntod wird mit dem Tod des Menschen und seiner Person gleichgesetzt. Der state of the art diagnostizierte Hirntod gilt als hinreichendes Todeskriterium, da er irreversibel ist. Auch wo das – kontrovers diskutierte – Hirntodkriterium akzeptiert ist, gibt es daneben auch weitere Kriterien zur Feststellung des irreversibel eingetretenen Todes: Irreversibler Herz-Kreislauf-Stillstand, irreversibler, Atemstillstand, Totenflecken, Leichenstarre, Verwesungsprozesse.
Der Tod als Prozess und als Zustand Das medizinische, ethische und rechtliche Problem: Das Sterben ist ein Prozess. Der Tod wird dagegen üblicherweise als ein Zustand betrachtet, der das Ende des Sterbeprozesses markiert. Der Tod tritt aber nicht mit einem Mal ein, sondern sukzessive auf unterschiedlichen Ebenen. Die neue Kontroverse um den Hirntod zeigt, daß selbst bei diesem Zustand strittig ist, ob der Tod für die ganze Person bereits eingetreten ist oder nicht.
Wer auch den Hirntod noch nicht für das definitive Lebensende hält, sieht in ihm zwar einen irreversiblen Zustand, aus dem es kein Zurück in ein selbständiges und bewußtes Leben gibt, bezeichnet Hirntote aber vielleicht als „irreversibel Sterbende“ (Peter Dabrock). Bei einem solchen Konzept spielt zwar das Kriterium der Irreversibilität weiter eine Rolle, es wird aber nicht schon mit dem Tod gleichgesetzt.
Der irreversible Herz-Kreislauf-Stillstand als hinreichendes Todeskriterium Die Debatte um die ethische Zulässigkeit der Organentnahme bei „non heart-beating donors“ (NHBD bzw. DCD = donation after cardiac death) dreht sich zunächst um die Frage, a) ob der so definierte Zustand des Todes tatsächlich irreversibel ist b) wie sicher die Diagnose der Irreversibilität ist.
Ethische Probleme Michael Anderheiden: „Wenn jemand lebt, darf er nicht aus Gründen intensivmedizinischer Bedürfnisse getötet und ausgeweidet werden. Da stehen die Gebote des Lebensschutzes und der Menschenwürde vor.“ Wenn das Kriterium der Irreversibilität des Herz- Kreislauf-Stillstands in Frage gestellt oder ausgehöhlt wird, läuft die Akzeptanz der Organentnahme bei NHBD/DCD auf eine – zumindest eingeschränkte – Befürwortung der Tötung auf Verlangen hinaus. Im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes ist dann zu fragen, weshalb die Tötung auf Verlangen aus anderen Motiven als der Organspende ethisch und rechtlich unzulässig sein soll.
Non heart-beating donation und Patientenverfügungen Der Verzicht auf Reanimation kann in einer Patientenverfügung (PatV) festgelegt werden. Österreich: Unterscheidung zwischen verbindliche und beachtlichen Verfügungen Die Frage, ob eine Reanimation noch medizinisch möglich ist, so dass der Herz-Kreislauf-Stillstand keineswegs irreversibel sein muss, stellt sich nicht mehr, wenn die Reanimation durch PatV verbindlich abgelehnt wird. In diesem Fall ist nicht die Irreversibilität des eingetretenen Zustands, sondern seine Faktizität das medizinisch, rechtlich und ethisch entscheidende Kriterium.
Dieter Birnbacher: „Nicht nur besteht für eine Reanimation kein Anlass, sie wäre auch ethisch – als Eingriff wider den Patientenwillen – problematisch. Damit ist der Tod durch Herzstillstand auch zum Zeitpunkt der Explantation endgültig, obwohl er möglicherweise weit davon entfernt ist, irreversibel zu sein. Implizit scheint die für den Todeseintritt geltende Bedingung der Irreversibilität durch die Bedingung der Endgültigkeit ersetzt zu werden.“
Non heart-beating donation und Tötung auf Verlangen Verzicht auf Reanimation könnte ausdrücklich mit der Verfügung verbunden sein, postmortal seine Organe zu spenden. Wir bewegen uns dabei im Grenzbereich zur Tötung auf Verlangen. Nach österreichischem Recht sind Tötung auf Verlangen und Suizidbeihilfe strafbar. Verzicht auf Reanimation in Form einer PatV läßt sich aber auf der Grundlage von § 110 StGB nicht nur juristisch, sondern auch ethisch rechtfertigen: Verbot der eigenmächtigen Heilbehandlung. Unbedingtes Lebensrecht bedeutet keine Lebenspflicht.
Gefahr bei Koppelung von Organspende an durch PatV verfügte Nichtbehandlung bei Herz-Kreislauf-Stillstand: Es können Begehrlichkeiten geweckt werden, Organe von möglichst gesunden Menschen zu erhalten. Michael Anderheiden: „Unter dem Vorzeichen der Gleichbehandlung ergeben sich dann Probleme, solche Spenden zurückzuweisen.“ Anderheiden vertritt die Position, dass eine „non heart- beating donor“-Regelung zumindest in Deutschland aus verfasssungsrechtlichen Gründen auf absehbare Zeit verboten ist.
NHBD/DCD: Praxis Als Kriterium gilt ein Herz- und Kreislaufstillstand von 10 Minuten bei normaler Körpertemperatur (mind. 34,0° C. Das Konzept wurde aufgrund des zunehmenden Mangels an Spendern entwickelt und hat in den USA zu einer deutlichen Steigerung der Organspenden geführt. Weitere Länder, in denen NHBD/DCD zulässig ist: u.a. Kanada, Spanien, Niederlande, Österreich, Schweiz, Belgien, Frankreich, Großbritannien. Argument: Ohne Reanimationsbemühungen, die selbst bei Herzstillstand zu einer Durchblutung führen, kommt es durch den Herz- und Kreislaufstillstand zu einer Unterbrechung der Hirndurchblutung und dadurch zum Tod.
Kategorien von Non-Heart-Beating- Donors (Maastricht-Kriterien von 1995) I: Tod bei Ankunft im Krankenhaus II: Tod nach erfolgloser Reanimation III: Tod nach Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen IV: Kreislaufstillstand bei vorgängigem Tod infolge primärer Hirnschädigung
Kriterien zur Feststellung des Todes Österreich: Empfehlungen des ORS vom 16.11.2013; Leitfaden 7, DCD der Gesundheit Österreich GmbH (vgl. Richtlinien der SAMW vom 24.5.2011: mind. 10 Min. ohne Durchführung von Reanimationsmaßnahmen, danach kumulativ: Koma Keine Pupillenreaktion auf Lichtreiz bei mittel- bis maximalweiten Pupillen Schlaffe Tetraplegie Fehlender Kornealreflexe Fehlender Hustenreflex Fehlen des Husten- und Schluckreflexes Atemstillstand (Apnoe)
Österreichischer Konsensvorschlag für das klinische Vorgehen (1998) F. Mühlbacher et al.: Konsensvorschlag: Richtlinien zur Organentnahme von Non-Heart-Beating (NHB) – Donors (Imago Hominis 5, 1998, H. 1, S. 27-28) „Es wird eine korrekte kardiopulmonale Reanimation durch geführt […]. Bleiben diese Reanimationsmaßnahmen über einen bestimmten Zeitraum hindurch erfolglos (z.B. 30‘ wird die Frage nach dem Abbruch aufgeworfen.“ „Sind aber noch Reaktionen vorhanden, kann man sich unter gegebenen Umständen auch zu einem Behandlungsabbruch entscheiden und läßt dann den Patienten versterben, d.h. die Reanimationsmaßnahmen dürfen nicht mehr aufgenommen werden.“
„Um mögliche Mißbräuche zu vermeiden, schlagen wir vor, daß, will man den Sterbenden als NHB-Spender im Anschluß Organe entnehmen, vor Beendigung der RA ein zweiter unabhängiger Arzt mit Berechtigung zur Berufsausübung zugezogen werden sollte, um diese Entscheidung zum Abbruch zu objektivieren.“
NHBD/DCD: Kritik Das deutsche Recht und die Bundesärztekammer lehnen dieses Kriterium weiterhin mit der Begründung ab, dass die biologisch unmögliche Reanimation und damit der irreversible Herzstillstand bisher weder durch die Dauer noch durch andere Kriterien als sichere Todeszeichen nachgewiesen werden kann und darum kein sicheres Äquivalent zur Hirntoddiagnose ist. Gemeinsame Stellungnahme der DGN, DGNC und DGNI zur Feststellung des Hirntodes vor Organentnahmen (5.3.2014, ergänzt am 21.3.2014): „Das derzeit diskutierte Konzept des Non-Heart-Beating-Donors, das die geltende Hirntoddefinition als Voraussetzung für eine Organentnahme ergänzen soll, ist weiterhin strikt abzulehnen, da es ein höheres Risiko von Fehldiagnosen in sich birgt.“
Mehr noch: „Die DGN, die DGNC und DGNI lehnen das Konzept des Non-Heart-Beating-Donors als grundlegend falsch ab.“ Begründung: „Korrekt ist zwar, dass sich die klinischen Ausfallsymptome des Gehirns nach einem mindestens zehnminütigen Herz- und Kreislaufstillstand ohne Reanimationsbemühungen zwar nachweisen lassen, Es ist aber keineswegs erwiesen, dass zu diesem Zeitpunkt die Gesamtfunktion des Gehirns unwiederbringlich, das heißt: irreversibel, ausgefallen ist. Gerade dies ist aber die Voraussetzung für die Todesfeststellung mittels Hirntodnachweis.“
Weshalb gerade 10 Minuten Frist? Warum nicht nur 2, 3 oder 5 Minuten Herz- und Kreislaufstillstand? Soll man nach 9 Min. noch mit Reanimation beginnen, wenn diese vorher nicht versucht wurde?
Ethische Beurteilung Abgesehen von der Unsicherheit der Diagnose, die auch ethisch ein Problem darstellt, muss die medizinisch unmögliche Reanimation von einer aus guten Gründen (futility) abgebrochenen oder unterlassenen Reanimation unterschieden werden. Die angeführten Gründe für den Abbruch der Reanimation müssen ausschließlich im Interesse des Patientenwohls liegen (Instrumentalisierungsverbot), nicht im Interesse Dritter.
Der Verzicht auf Reanimation in Form einer Patientenverfügung ist rechtlich und ethisch zulässig. Er sollte aber nicht mit der Erklärung der Bereitschaft zur Organspende verknüpft werden, damit jede Fremdnützigkeit ausgeschlossen und die Grenze zur Tötung auf Verlangen gewahrt bleibt. Ethisch verwerflich wäre es, den Herz-Kreislauf-Stillstand bewusst durch Unterlassen von möglicherweise noch aussichtsreichen Reanimationsmaßnahmen herbeizuführen, ohne dass der Patient oder seine rechtlichen Vertreter dem Verzicht auf lebenserhaltene Maßnahmen zugestimmt hätten.
Dies hätte auch negative Rückwirkungen auf die Plausibilität, die Ausgestaltung (Ganzhirntod) und gesellschaftliche Akzeptanz des Hirntodkonzeptes. Bei aller Einsicht in den konstruktionalen Charakter jeder Todesdefinition und die Prozesshaftigkeit des Sterbens bleibt es ethisch ein fundamentaler Unterschied, ob das Sterbenlassen oder die gezielte Herbeiführung des Todes das ärztliche Tun und Unterlassen intentional bestimmt.
Auch die Unterscheidung von Lebendspende und Totenspende, die z.B. das österreichische Organtransplantationsgesetz (OTPG 2012, BGBl I Nr. 108/2012) macht (§§ 5 u. 8) ist ethisch wie rechtlich relevant, insbesondere bei der Entnahme lebenswichtiger Organe. Die Kriterien der NHBD/DCD sind daher so zu formulieren und ihre Praxis so zu gestalten, daß sichergestellt bleibt, daß der Tod infolge von Herz- und Kreislaufstillstand nicht zum Zwecke der Organentnahme herbeigeführt wird.
Die in Österreich geltenden Kriterien für DCD sollten keinesfalls aufgeweicht werden, wie es z.B. offenbar in den USA geschieht, weil so der berechtigte Eindruck entstehen würde, Todesdefinitionen aus utilitaristischen Zwecken willkürlich zu verändern, um das Aufkommen an Spenderorganen zu erhöhen. Um Missbrauch und unethisches Handeln auszuschließen, sollte das Protokoll zur Todesfeststellung nach anhaltendem Kreislaufstillstand ausführlicher sein als in den Empfehlungen des OSR vom 16.11.2013 vorgeschlagen. Bei Patienten der Maastricht-Kategorie III sollte eine den Vorschlägen von Mühlbacher et al. 1998 folgende Vorgangsweise protokolliert werden.
Literatur Anderheiden, M.: Die letzten Schritte des Dionys oder: Hat das Recht gute Gründe, vom Hirntodkonzept zu lassen?, in: W.U. Eckart/M. Anderheiden (Hg.), Handbuch Sterben und Menschenwürde, De Gruyter: Berlin/New York 2012, S. 175-197 Birnbacher, D.: Das Hirntodkriterium in der Krise – Welche Todesdefinition ist angemessen?, in: A.M. Esser/D. Kersting/Chr.G.W. Schäfer (Hg.), Welchen Tod stirbt der Mensch?, Campus: Frankfurt a.M. 2012, S. 19-40 Weiller, C./Rijntjes, M./Ferbert, A./Schackert, G.: Stellungnahme zur Feststellung des Hirntodes vor Organentnahmen. Gemeinsame Stellungnahme der DGN, DGNC und DGNI, 5.3.2014 (ergänzt am 21.3.2014) Siegmund-Schultze,N: Organe von Herztoten werden transplantiert – aber ohne Konsens über das Vorgehen, in: ÄrzteZeitung, 8.10.2009
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