Nonverbale Kommunikation kompetenzorientiert digital unterrichten?
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23 Nonverbale Kommunikation kompetenzorientiert digital unterrichten? https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1861-6186/a000657 - Astrid Steinmetz - Thursday, January 27, 2022 6:50:55 AM - IP Address:79.151.185.226 Entwicklung eines Online-Kurses mit Lern-Tandems für die Pflegeausbildung Astrid Steinmetz Lässt sich nonverbale Kommunikation kompetenz- teragieren. Eine Beziehungsebene aufzubauen ist dann Lehren und Lernen orientiert digital unterrichten? Welches sind die ungleich schwieriger. Wenn es nicht gelingt, kann dies un- willkürlich zu einer Versachlichung der Person führen Hauptkomponenten nonverbaler Kompetenz? Was (Schwerdt, 1998), diese wird dann als „die schwierige Pa bedeuten sie für die pflegerische Interaktion mit tientin“ oder „der Verwirrte“ oder „der, der nichts mehr kommunikativ eingeschränkten Menschen? Wel- mitbekommt“ angesehen (Steinmetz, 2019). Fehlt verste- hende Resonanz im Kontakt, erfährt der eingeschränkte che Lehrmethoden sind effektiv und digital um- Mensch die psychologischen Effekte von emotionaler setzbar? Isolation, zudem kommt es zu einer massiven Hochregula- tion der Stress-Gene (Bauer, 2006). Spätestens jetzt tritt die Bedeutung der nonverbalen Kommunikationsmög Komponenten von lichkeiten in den Vordergrund, denn diese sind entschei- Kommunikationskompetenz dend dafür, ob ein Vertrauensverhältnis entstehen kann (Ambady & Skowronski, 2008) Kommunikationskompetenz ist eine hochkomplexe Fä- higkeit, welche verschiedene Komponenten und deren sinnvolles Zusammenwirken beinhaltet. Für die Situa- Nonverbale Kommunikation: tions- und Patienteneinschätzung ist es erforderlich, In- Beziehungserfahrungen formationen, darunter auch nonverbale Mikroverhaltens- weisen, zu dekodieren, also zu erkennen und zutreffend Interaktionsmuster sind als Beziehungserfahrungen früh einzuschätzen (Riggio, 2006). Um Informationen so dar- erworben (Fuchs, 2003) und dadurch sensorisch, moto- zubieten, dass sie verstanden werden können, ist neben risch und emotional gespeichert. Sie sind somit weitge- der Sprache auch unerlässlich, die Körpersprache zu enko- hend unbewusst wirksam (Stern, 1998), tief in Gewohn- dieren, also stimmig zu verwenden. Sich auf die Situation heiten verwurzelt und automatisiert (Schore & Schore, und das Gegenüber einzustellen bedeutet, auch die eige- 2008). Des Weiteren sind sie nicht durch Berufserfahrung nen nonverbalen Reaktionen zu regulieren und abzustim- allein entwickelbar (Healy & Noonan Walsh, 2007), ob- men (Riggio, 2006). All dies mündet bestenfalls im Dia- wohl dies oft angenommen wird (Alsawy et al., 2017). Die log. Dieser findet dann statt, wenn die ausgesprochenen für nonverbale Interaktionen mit einem kommunikativ oder auch unausgesprochenen Äußerungen des angewie- und kognitiv veränderten Menschen erforderlichen Fer- senen Menschen aufgenommen werden und in den Ge- tigkeiten sind außerdem sehr komplex (Steinmetz, 2016) sprächs- bzw. Interaktionsprozess einfließen (Steinmetz, und unterscheiden sich von den im Alltag erworbenen, 2018). da sie primär expressions- und erlebnisorientiert sind (Gutknecht, 2010). Krankheitsbedingte Einschränkungen von Kommunikationsfähigkeit Effektive Lehrmethoden für kompetenz orientieres Kommunikationslernen Diverse Krankheitsbilder können Kommunikationsfähig- keiten stark verändern und einschränken. Der erkrankte Die Veränderung und Erweiterung von kommunikativen Mensch kann dann weniger aktiv kommunizieren oder in- Fertigkeiten gilt als permanenter Prozess mit komplexen ©2022 HogrefePADUA (2022), 17 (1), 23–29 https://doi.org/10.1024/1861-6186/a000657
24 Lehren und Lernen Lernvorgängen (Merckaert et al., 2005), in welchen habi- ezüglich verschiedener Kommunikationskanäle: Stimm- b tualisierte Routinen umstrukturiert werden. klang oder Gestik sind vor dem Bildschirm gut zu vermit- In diversen Metaanalysen wurde der Frage nachgegan- teln und zu üben. Dagegen wirkt der Bildschirm begren- gen, welche Methoden zu Kompetenzzuwachs geführt ha- zend auf alle nonverbalen Kanäle, welche mit Blick, Raum ben. Grundsätzlich als effektiv haben sich die Kombina oder nur taktil ausgedrückt werden können. tion von theoretischem Wissen mit praktischem Üben und https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1861-6186/a000657 - Astrid Steinmetz - Thursday, January 27, 2022 6:50:55 AM - IP Address:79.151.185.226 konstruktivem Feedback erwiesen. Erst die Verhaltens- komponenten führen zu Veränderungen in der klinischen Praxis (Merckaert et al., 2005). Daher müssen die Lehr- methoden neben Wissensaneignung Selbsterfahrung, Methodische Überlegungen zur Erfahrungslernen auch Erwerb von Fertigkeiten beinhal- Entwicklung des Online-Kurses ten (Lepschy, 2002). Experimentelle Methoden wie das Rollenspiel haben positive Ergebnisse erzielt (Stiefel et Aufgrund dieser Überlegungen wurde eine Kombination al., 2010). Die Kombination von kognitiven, erfahrungs- aus virtuellem und nicht-virtuellem Lernsetting gewählt. bzw. verhaltensorientierten und emotionsbezogenen Ele- Beiden Settings werden hinsichtlich der effektiven Ele- menten (Barnes et al., 2012; Moore et al., 2018; Schofield mente von Kommunikationslernen (kognitive, erfahrungs- et al., 2008) kann erst zu nachhaltigen Veränderungen bzw. verhaltensorientierte und emotionsbezogene) und führen. der verwendeten Lernmethoden dargestellt. Virtuelles Setting Das Trainingsprogramm für Im virtuellen Selbstlernen werden die kognitiven Lernele- Kommunikation ohne Worte mente methodisch über Videopräsentationen und Skripte vermittelt. Dort können Situationen im Patientenkontakt Da nonverbale Fertigkeiten nach wie vor nur in äußerst visuell oder verbal veranschaulicht werden. Dadurch kann wenigen Programmen fokussiert werden, wurde über der Effekt von verschiedenen Herangehensweisen in der 12 Jahre mit > 2000 Teilnehmern ein Konzept praxisorien- Kontaktaufnahme aufgezeigt, deren Hintergründe erläu- tiert entwickelt und in seiner Wirksamkeit überprüft tert sowie die Auswirkungen auf Patienten und Fachperso- (Steinmetz, 2016). Dessen Ziel ist, nonverbale dialogische nal deutlich gemacht werden. So wird eine evidenzbasier- Interaktionen im Kontakt mit dem verbal schwer erreich- te Grundlage für die Vermittlung der kommunikativen baren Menschen zu fördern. Die genannten Kommunika- Fertigkeiten gelegt. Beispiele für förderliches Verhalten tionskompetenzen wurden integriert. Die Orientierung können gezeigt und über Beobachtungsaufgaben analy- liegt auf der Gegenseitigkeit in Dialog und Interaktion. siert werden, so dass auch Modelling als Lehrmethode Daher werden keine festgelegten Kommunikationsweisen Eingang findet (Merckaert et al., 2005). vermittelt, sondern vielmehr Prinzipien, die situativ anzu- In den verhaltensorientierten Lernelemente werden neu wenden sind. Es handelt sich dabei um grundlegende erworbene Kommunikationsfertigkeiten ausprobiert und Kompetenzen für eine person-zentrierte und beziehungs- geübt. Im Format des virtuellen Selbstlernen kann das De- gestaltende Pflege und integriert somit verschiedene kodieren von Patientenverhalten, selbst von Mikro-Aus- Altersgruppen und Krankheitsbilder. Die dargelegten druck, methodisch über Videomaterial mit Beobachtungs- effektiven Trainingsmethoden finden Anwendung. Die aufgaben vermittelt und damit eine wichtige pflegerische Wirksamkeit des Trainingsprogramms wurde in einer Stu- Kommunikationskompetenz trainiert werden. Des Weite- die überprüft und hinsichtlich der Zunahme relevanter ren können einige Elemente des Enkodierens nonverbaler Kommunikationskompetenzen für die Interaktion mit der Kommunikation über Videomaterial geübt w erden, so z. B. kommunikativ eingeschränkten Person bestätigt (ebd.). relevante Gesten für die visualisierende Begleitung von sprachlichen Informationen in Pflegeprozessen. Die affektiven Lernelemente haben zum Ziel, die Empa- Ist die Vermittlung nonverbaler thie der Teilnehmenden (Ratka, 2018) und ihre Fertig Kompetenzen digital möglich? keiten zur Beziehungsgestaltung zu fördern. Im Selbst- lern-Format des virtuellen Settings kann dies durch Bei den Überlegungen zur Entwicklung eines Online-Kur- Aufgabenstellungen zur Erfahrungs- und Selbstreflektion ses wurden die Möglichkeiten sowie Grenzen digitalen Leh- gefördert werden. rens und Lernens hinsichtlich der vier Kompetenzbereiche sehr bald deutlich: Dekodieren von nonverbalem Ausdruck ist anhand von Videomaterial und Demos leicht vermittel- Nicht-Virtuelles Setting bar, sogar durch Pausen und Slow-Motion-Einstellungen nochmals effektiver als in der reinen Life-Demo. Beim Aufgrund der dargelegten Begrenzungen für die kompe- Enkodieren zeigen sich bereits gravierende U nterschiede tenzorientierte Vermittlung nonverbaler Kommunikation PADUA (2022), 17 (1), 23–29 ©2022 Hogrefe
Lehren und Lernen 25 wurde der Online-Kurs um ein nicht-virtuelles Lern-Set- Seiten Überforderung zu reduzieren. Signale der nonverba- ting ergänzt. Dafür arbeiten die Auszubildenden in Prä- len Zuwendung als Handlungsbestätigungen zu erkennen, senz-Tandems zusammen. gibt Orientierung im Tun. Der dialogischen und damit pa In den kognitiven Lernelementen wird das erworbene tientenorientierten Haltung liegt präzises Dekodieren zu- Wissen anhand von Übungs- und Diskussionsaufgaben im grunde (Steinmetz, 2018). Durch genaue Beobachtung von Tandem angewendet und abgeleitet bzw. vertieft. Patientenverhalten und -reaktionen kann das kommunika- https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1861-6186/a000657 - Astrid Steinmetz - Thursday, January 27, 2022 6:50:55 AM - IP Address:79.151.185.226 Die verhaltensorientierten Lernelemente haben im tive Kompetenzniveau eingeschätzt werden. Dies ist Vor- nicht-virtuellen Lernsetting des Tandems einen hohen aussetzung dafür, kommunikative Strategien situativ anzu- Stellenwert. Die Kompetenzen werden anhand von vorge- passen, also sinnvoll zu enkodieren. Wird darüber hinaus gebenen Situationen trainiert und basieren auf Sequenzen auch der emotionale Zustand erkannt, kann auf diesen ein- aus realen Interaktionen mit Patient_innen. Da es sich als gegangen werden, und er blockiert nicht den Kontakt. ineffektiv erwiesen hat, komplexe Kommunikationsfertig- keiten in zu kurzer Zeit zu trainieren (Haberstroh et al., Praxisbeispiel A: Die Patientin sitzt mit geweiteten 2009), werden diese in ihre Komponenten aufgegliedert Augen und ängstlichem Gesicht auf der Bettkannte. und als Mikro-Fertigkeiten geübt (Wilkinson et al., 1999), Wenn dies nicht erkannt und berücksichtigt wird, wird als Teilaspekte des kommunikativen Geschehens. Da- sie sich möglicherweise gegen Angebote oder Auffor- durch können die Teilnehmer_innen schnell Teilerfolge derungen wehren. erzielen, die sich motivierend auf das Lernen auswirken. Praxisbeispiel B: Der demenziell veränderte Patient Die Mikro-Fertigkeiten werden dann schrittweise in kom- sitzt im Bett, ist in sich zusammengesunken, schaut plexeren, praxisnahen Aufgaben zusammengefügt. Refle- ins Leere. Er wird gut hörbar und aus 1 – 2 Metern Ent- xionsfragen unterstützen das Erfahrungslernen, struktu- fernung angesprochen, um ihn zum Transfer in den rieren das Verhaltensfeedback und helfen, die erlernten Sessel zu motivieren, zeigt jedoch keine Reaktion. Strategien in die täglichen Aktivitäten einzubetten (Vasse Das Erkennen der Patientenreaktionen kann Auf- et al., 2010). Die Auszubildenden lernen dadurch, das kommunikative Kompetenzniveau eines Patienten bzw. schluss darüber geben, wie die kommunikative Kom- einer Patientin zutreffend einzuschätzen und ihre kommu- petenzebene des Patienten gestaltet ist: In diesem nikativen Strategien darauf abstimmen. Falle scheinen die gewählten Strategien von Abstand, Im sog. Persönlichen Entwicklungsplan (Alke, 2008) Körperhaltung, Erklärungen und Lautstärke diese formulieren die Teilnehmenden ihre selbstgesetzten Ent- nicht erreicht zu haben. wicklungsaufgaben, wodurch der Transfer in die Praxis- Praxisbeispiel C: Das 8-jährige Kind ist schwerhörig phase gefördert wird. und liegt eingerollt und zur Wand gedreht in seinem Mit den affektiven Lernelemente werden die Anliegen Bett. Bei der Kontaktaufnahme berührt die Pflegefach- der Teilnehmenden berücksichtigt, ihre Erfahrungen kraft es vorsichtig am Rücken. Daraufhin zieht sich das fließen in die Auswertungen ein. Indem sie in den Übungen Kind noch mehr zusammen: Hätte diese Reaktion im die Perspektive der Patienten einzunehmen (Merckaert et Kontaktaufbau vermieden werden können? Ein Signal al., 2005), gewinnen sie auch einen affektiven Zugang an- der Distanzierung zutreffend einzuschätzen, ist die Vo- deren Lebenswelten. Dieser wird durch Reflexionsfragen raussetzung, beziehungserhaltend damit umzugehen. zu Selbst- und Übungserfahrungen vertieft. 2. Enkodieren: eindeutig kommunizieren Welche nonverbalen und für das Gegenüber verständlich sein Kommunikationskompetenzen Erst wenn nonverbale Signale eindeutig sind, können viele werden vermittelt? der genannten Patient_innen erkennen, dass sie angespro- chen werden und Informationen verarbeiten. Im Alltags- 1. Dekodieren: Körpersprache wahrnehmen verhalten nonverbaler Kommunikation ist diese Ein und Bedeutungen erkennen deutigkeit nicht erforderlich und demzufolge nicht ohne Training abrufbar. Es sind die scheinbar kleinen Aspekte, Die subtilen körpersprachlichen Signale eines erkrankten die darüber entscheiden, ob eine Begegnung gelingen kann: Menschen sollen wahrgenommen und zutreffend ein- Wann wird in der Kontaktaufnahme gesprochen? Aus wel- schätzt werden können. Zu erkennen, wo dieser gerade mit cher Richtung erfolgt die Annäherung? Wie kann man da- seiner Aufmerksamkeit ist und dort anzuknüpfen, ist Vor- mit umgehen, wenn der Patient den Blick auf Ansprache aussetzung für eine gelingende Kontaktaufnahme. Verän- nicht zuwendet? In welchem Moment ist es sinnvoll, Infor- derte Wahrnehmung einschätzen zu können gibt Hinweise mationen zu vermitteln? An welcher Stelle ist eine Berüh- darauf, welche Sinneskanäle im Kontakt Vorrang haben. rung unterstützend, wann kann sie stressauslösend sein? Stresssignale als Reaktionen auf ein Kontaktangebot oder Erst, wenn präzise dekodiert wurde, können die erlern- eine Pflegehandlung zu berücksichtigen hilft, auf beiden ten Strategien des Enkodierens situativ passend Einsatz ©2022 HogrefePADUA (2022), 17 (1), 23–29
26 Lehren und Lernen finden. Denn es geht nicht um genormte Kommunikation, Veränderung (Pappas & Pappas, 2015) und Verhaltens sondern spezifische, am Gegenüber orientierte. Ziel ist, gewohnheiten können reguliert werden (Steinmetz, 2019). diesen zu befähigen, an Dialog und Handlung weitestge- hend teilzuhaben. Kompetenzorientiert zu kommunizie- ren meint daher, sowohl Einschränkungen zu berücksich- 4. Dialogisieren: wechselseitige Momente tigen als auch Ressourcen zu nutzen. eröffnen durch nonverbales Antworten https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1861-6186/a000657 - Astrid Steinmetz - Thursday, January 27, 2022 6:50:55 AM - IP Address:79.151.185.226 Praxisbeispiel A: Die auf der Bettkante sitzende Pa Die bisher genannten Fertigkeiten sind Grundlage für tientin ist wahrscheinlich durch ihre Angst in der Auf- Wechselseitigkeit im Miteinander. Indem auf die nonver- merksamkeit eingeschränkt. Sie könnte visuell er- balen Signale des kommunikativ eingeschränkten Men- reicht werden, indem die Pflegende sich in ihr Blickfeld schen geantwortet wird, öffnet sich ein Zwischenraum, den beide Seiten gestalten. So lässt sich zum einen das begibt. Die Pflegende würde wenig sprechen, da ein Kompetenzniveau leicht herausfinden, zum anderen eröff- emotional angespannter Mensch Sprachinhalte nur net der Umgang mit Zuwendungs- bzw. Abwendungs erschwert erfassen kann. Mit einer eventuellen Berüh- signalen einen gemeinsamen Handlungsraum. rung könnte sie, wenn sie ruhend und haltgebend ist, schnell das Gefühl von Sicherheit vermitteln. Praxisbeispiel B: Der Patient scheint aus der Entfer- Praxisbeispiel A: Der Dialograum mit der ängstlichen nung die Ansprache nicht wahrzunehmen, Lautstärke Patientin entsteht bereits dadurch, dass ihre Blick- ändert daran nichts. Er benötigt höchstwahrscheinlich richtung erwidert wird. Wenn der eigene Gesichtsaus- eine Kontaktaufnahme in seinem Blickfeld. Sinnvoll druck die Ernsthaftigkeit der Situation der Patienten wäre es, in der Hinbewegung begleitend zu sprechen, aufgreift (natürlich ohne zusätzlich zu verängstigen), damit es nicht zu einer Schreckreaktion kommt. Eine erlebt sie, dass jemand sie wahrnimmt und auf sie ein- Zuwendungsreaktion kann als positive Antwort gewer- geht. Die Körperspannung der Patientin könnte bei- tet werden. Erst dann kann sprachlich das Anliegen spielsweise mit einem haltenden Druck der Hände er- formuliert werden. Wenn der Patient hierauf keine Re- widert werden. Dies würde die Möglichkeit in sich aktion zeigt, können die Inhalte gestisch unterlegt wer- bergen, ihr darüber Sicherheit zu spenden, allerdings den, beispielsweise mit einem Zeigen auf den Sessel. nur, wenn sie es positiv aufnimmt. Praxisbeispiel C: Das Kind liegt abgewandt, hat also Praxisbeispiel B: Wenn der demenziell veränderte Pa- nicht die Möglichkeit, aus der Entfernung die Annähe- tient erkennt, dass er angesprochen wird, wird er dies rung der Pflegefachkraft wahrzunehmen. Die unver- durch Zuwendungssignale deutlich machen, das könn- mittelte Berührung am Rücken scheint zu einer weite- te bereits ein erwiderter Blick sein. Jetzt erst kann pro- ren Abwendung zu führen. Wie hätte dies vermieden zesshaft deutlich werden, wie sein Willensausdruck ist: werden können? Grundsätzlich spricht ein fester Reagiert er beispielsweise bei dem sprachlichen Vor- Schritt das Vibrationsempfinden des höreinge- schlag eines Transfers nicht, kann dies ein Hinweis da- schränkten Kindes an. Sind die Augen geschlossen, rauf sein, dass er den Vorschlag noch nicht verstanden könnte auf der taktilen Ebene dennoch eine graduelle hat. Reagiert er auf ein gestisches Zeigen zum Sessel Kontaktaufnahme vorgenommen werden: zuerst das mit einem der Hand folgenden Blick, erkennt er dann Bett, dann die Decke, dann der Arm oder die Hand, da den Sessel und schüttelt daraufhin den Kopf, wird das Kind darüber handlungsfähig ist. deutlich, dass er zu etwas Nein sagt. Möglicherweise fühlt er sich nur überfordert von dem weiten Weg. Wer- den ihm nun zur Unterstützung die Hände hingehalten 3. Regulieren: sich selbst wahrnehmen und er steht mit dieser Hilfe auf, signalisiert er die Be- und abstimmen reitschaft zur gemeinsamen Bewegung. Praxisbeispiel C: Der Moment der körperlichen Abwen- Die Selbstwahrnehmung des eigenen körpersprachlichen dung des Kindes muss nicht bedeuten, dass der Kon- Ausdrucks ist Voraussetzung dafür, ein erlebtes Gefühl takt misslungen ist und abgebrochen werden muss. nicht unbeabsichtigt nonverbal zum Ausdruck zu bringen Denn das Signal der Distanzierung kann zuallererst si- (Riggio, 2006). Manche Gewohnheiten im nonverbalen tuativ als Antwort auf die Berührung am Rücken ver- Umgang mit dem kranken Menschen resultieren weniger standen werden. Darauf dialogisch zu antworten würde aus bewussten Wertvorstellungen als dem Habitus einer bedeuten, das Verhalten nicht zu wiederholen, sondern Berufsgruppe (Sahmel, 2018). Durch die Interaktions- nach Alternativen zu suchen, z. B. ans Fußende treten übungen wird erfahrbar gemacht, wie eine Verhaltens oder sich so über das Bett beugen, dass das Kind die weise wirkt, dadurch kann diese bewusstwerden. In der Pflegefachkraft leicht erkennen könnte. Treffen sich die Reflexion des eigenen Verhaltens hinsichtlich seiner Wir- Augen, kann dies wiederum als nonverbale Zustim- kung und seiner Absichten können Diskrepanzen deutlich mung für die Kontaktaufnahme gewertet werden. werden. Dadurch entsteht eine wichtige Motivation für PADUA (2022), 17 (1), 23–29 ©2022 Hogrefe
Lehren und Lernen 27 Struktur und Materialien des Online- personen kann mehr oder weniger aktiv präsent für Fra- Kurses mit Präsenz-Tandems gen und Reflektionen sein, benötigt dafür einen entspre- chenden Online-Dienst. In den ersten vier Lektionen Selbstlernkurs für 8 Unterrichtsstunden können die Teilnehmenden in virtuellen Tandems arbei- für die generalistische Pflegeausbildung ten. 2. Selbstlerneinheiten im Präsenz-Unterricht mit frei ge- https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1861-6186/a000657 - Astrid Steinmetz - Thursday, January 27, 2022 6:50:55 AM - IP Address:79.151.185.226 wählter Intensität der Präsenz der Lehrperson: Die • Lektion 1: Kommunikationsbarrieren erkennen Lerngruppe wird in Tandems aufgegliedert, welche von • Lektion 2: Nonverbale Möglichkeiten nutzen und ent der Lehrperson betreut werden können. Reflexions wickeln einheiten aus dem Online-Kurs können in angeleitete • Lektion 3: Körpersprachliche Patientenreaktionen er- Gruppenreflexionen münden oder im Tandem verblei- kennen und einschätzen ben. Das Maß von Selbstlernen und Gruppenarbeit • Lektion 4: Schlüsselprinzipien gelingender nonverbaler bleibt der Lehrpersonen überlassen. Kommunikation 3. Präsenz-Unterricht unter Verwendung der Online- • Lektion 5: Die Sinne bei der Kontaktaufnahme 1: Tore Materialien: Die Lehrpersonen wählt für den Präsenz- zum Gegenüber unterricht aus den angebotenen Inhalten und Metho- • Lektion 6: Die Sinne bei der Kontaktaufnahme 2: Tore den aus, um diesen selbstverantwortlich zu gestalten. zum Gegenüber • Lektion 7: Die Stimme im Dialogaufbau • Lektion 8: Kompetenzebene anpassen: Inhaltliche Ver- mittlung durch Gestik Kritische Bewertung Materialien Die Wirksamkeit des Präsenz-Trainings auf den Kompe- • Videos: Lernsituationen, Demos für die praktische An- tenzerwerb wurde wissenschaftlich bestätigt, ebenso die wendung, Präsentationen Relevanz der Kompetenzen für die angemessene Interak- • Foliensatz und Text zum Video tion mit verbal eingeschränkten Menschen (Steinmetz, • Arbeitsblätter 2016). Neu ist die Anwendung in Ausbildungseinrichtun- • Übungsaufgaben gen für Pflegeberufe im digitalen Misch-Format. • Reflexions- und Diskussionsfragen Bei der Adaption wurde großen Wert auf die Integration • Persönlicher Entwicklungsplan effektiver Trainingsmethoden gelegt, da diese als wichtige • Weiterführende Texte Komponente für den Kompetenzerwerb gelten. Allerdings • Transferaufgaben für den Praxiseinsatz waren für das vorliegende Format Abstriche zu machen: • Multiple-Choice-Prüfungsaufgaben mit Zertifikat So können die Übungen nicht unmittelbar durch direktes Feedback der Seminarleitungen begleitet werden, einem Voraussetzung für die Durchführung ist eine technische wichtigen Aspekt für den Kompetenzerwerb. Dies wurde Infrastruktur mit Computern oder anderen Endgeräten versucht zu kompensieren, indem die Aufgabenstellungen sowie Kopfhörern. Des Weiteren sind ein stabiles W-LAN für die praktischen Übungen sich auf Mikro-Fertigkeiten und Software zum Lesen eines PDF erforderlich. begrenzen, die Vorgaben dafür sehr klar sind und für das Feedback im Tandem Regeln zur präzisen Verhaltens Zeitliche Struktur beschreibung geübt werden. In Varianten 2 und 3 der flexi • Der Kurs kann am Stück durchgeführt oder in 90 min.- blen Nutzung ließe sich das Feedback von der Lehrperson Einheiten à 2 Lektionen gegliedert werden. anleiten und durchführen. • Die Teilnehmenden erhalten den Zugang zum Kurs für Neben den strukturell bedingten Einschränkungen des ein ganzes Jahr. So können sie beliebig oft Präsenta Selbstlern-Kurses hinsichtlich Feedbacks und Fragen be- tionen und Demos anschauen. steht eine weitere darin, dass die Seminarleitung nicht di- • Die Empfehlung zur zeitlichen Verordnung im Curri rekt mit potentiellen blockierenden Verhaltensweisen um- culum ist nach dem ersten Praxiseinsatz der Auszubil- gehen kann. denden Insgesamt ist in der Variante 1 eine höhere Selbständig- keit und Motivation der Lernenden notwendig, zudem sie in ihren Übungen auch keiner sozialen Kontrolle unterlie- gen. Flexible Nutzung des Online-Kurses Die Entscheidung für ein Mischsetting von virtuellen und nicht–virtuellen Komponenten hat Folgen für die Ein- Drei Varianten der Nutzung des Online-Kurses mit Prä- satzmöglichkeiten des Kurses. Es muss daher die Möglich- senz-Tandems sind denkbar. keit gegeben sein, dass sich die Teilnehmenden zum Ler- 1. Selbstlernen mit frei gewählter Intensität der Online- nen im Tandem finden können. Dieses Setting ist den Präsenz der Lehrperson: Die Auszubildenden arbeiten dargelegten einschränkenden Bedingungen digitaler Me- in Tandems unabhängig von der Lerngruppe. Die Lehr- dien für das Erlernen nonverbaler Kompetenzen geschul- ©2022 HogrefePADUA (2022), 17 (1), 23–29
28 Lehren und Lernen det. Das Lernsetting in Tandems begünstigt jedoch ande- Bauer, J. (2006). Warum ich fühle, was du fühlst: Intuitive Kommuni rerseits kooperatives Lernen. kation und das Geheimnis der Spiegelneurone. München: Heyne Verlag. Ein Vorteil der Variante 1 als Selbstlernkurs liegt darin, Fuchs, T. (2003). Non-verbale Kommunikation: Phänomenolog unabhängig zu sein von der Präsenz einer Lehrperson. Die ische, entwicklungspsychologische und therapeutische Aspek- Teilnehmenden können ihn selbstorganisiert durchfüh- te. Zeitschrift für Klinische Psychologie, Psychiatrie und Psycho ren, haben dadurch auch mehr Zeitautonomie. Da die In- therapie, 51 (4), 333 – 345. https://econtent.hogrefe.com/doi/pdf/10.1024/1861-6186/a000657 - Astrid Steinmetz - Thursday, January 27, 2022 6:50:55 AM - IP Address:79.151.185.226 Gutknecht, D. (2010). Professionelle Responsivität: Ein hochschul halte für ein Jahr zugängig sind, können sie Inhalte und bezogenes Ausbildungskonzept für den frühpädagogischen Ar Übungen bei Bedarf wiederholen. Wird der Kurs in den beitskontext U3: Kinder unter drei Jahren und ihre Familien (Dis- Präsenz-Unterricht integriert, öffnen sich viele Möglich- sertation). Pädagogische Hochschule Heidelberg. Verfügbar keiten des individuellen Einsatzes durch die Lehrperson. unter http://d-nb.info/1008380415/34 Haberstroh, J., Neumeyer, K., Schmitz, B. & Pantel, J. (2009). Evalua- Die Lektionen können zudem am Stück oder partiell in das tion eines Kommunikationstrainings für Altenpfleger in der stati- Curriculum integriert werden. onären Betreuung demenzkranker Menschen (Tandem im Pfle- Hinsichtlich der Lernerfolgsbewertung ist anzumerken, geheim). Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 42, 108 – 116. dass eine Wissensüberprüfung den Kompetenzerwerb Healy, D. & Noonan Walsh, P. (2007). Communication among nurses and adults with severe and profound intellectual disabilities: nicht erkennbar machen kann. Dafür wären Aufgabenstel- Predicted and observed strategies. Journal of Intellectual Disa lungen notwendig, in denen Situationen simuliert werden, bilities, 11 (2), 127 – 141. möglicherweise durch Auszubildende in der Patienten Lepschy, A. (2002). Lehr- und Lernmethoden zur Entwicklung von rolle. Diese Aufgaben praktisch zu lösen und die eigene Gesprächsfähigkeit. In G. Brünner, R. Fiehler & W. Kindt (Hrsg.), Angewandte Diskursforschung: Bd. 2. Methoden und Anwend Handlung zu reflektieren, könnte ein sinnvoller Weg für ungsbereiche (50 – 71). Radolfzell: Verlag für Gesprächs die Leistungsüberprüfung sein. Bisher bleibt diese der Ini- forschung. tiative der Lehrpersonen überlassen. Merckaert, I., Liberta, Y. & Razavia, D. (2005). Communication skills Weiterhin stellt sich die Frage nach dem Transfer der er- training in cancer care: Where are we and where are we going? Current Opinion in Oncology, 17, 319 – 330. lernten Kompetenzen in die Praxis. Um diesen zu begünsti- Moore, P. M., Rivera, S., Bravo-Soto, G. A., Olivares, C., & Lawrie, T. A. gen, wurde der persönliche Entwicklungsplan gewählt, mit (2018). Communication skills training for healthcare profes- welchem die individuellen Verhaltensabsichten in die Praxis sionals working with people who have cancer. The Cochrane projiziert werden und diese dann in der Praxisphase kompri- database of systematic reviews, 7 (7), CD003751. https://doi. org/10.1002/14651858.CD003751.pub4 miert vor Augen stehen. Hier wird es die Initiative von Lehr- Pappas, J. B. & Pappas, E. C. (2015). The Sustainable Personality: personen beziehungsweise Praxisan leitenden erfordern, Values and Behaviors in Individual Sustainability. International um die Anwendung der Kompetenzen zu reflektieren. Journal of Higher Education, 4 (1), 12 – 21. Sehr interessant wäre, über eine begleitende Unter Ratka, A. (2018). Empathy and the Development of Affective Skills. American Journal of Pharmaceutical Education, 82 (10), suchung mit einem Prä-Post-Design herauszuarbeiten, ob 1140 – 43. und inwieweit auch durch den Online-Kurs praxisrele Riggio, R. E. (2006). Nonverbal Skills and Abilities. In: M. L. Patter- vante Kompetenzen beziehungsorientierter nonverbaler son & V. L. Manusov (Hrsg.), The SAGE Handbook of Nonverbal Kommunikation vermittelt werden. Communication (79 – 95). Thousand Oaks, California: Sage Pub- Abschließend kann trotz der dargelegten Einschrän- lications. Sahmel, K.-H. (2018). Was ist die richtige Haltung? / Dürfen wir kungen bemerkt werden, dass der Online-Kurs einen gut Haltungen formen? Pflegepädagogische Überlegungen. NOVA begründeten Ansatz darstellt, um eine sehr spezifische Ex- cura, 49 (4), 45 – 47. pertise einer breiten Zahl von Auszubildenden und Leh- Schofield, N. G., Green, C. & Creed, F. (2008). Communication skills renden zugänglich zu machen. Ziel des Kurses ist, Fertig- of health care professionals working in oncology – Can they be improved? European Journal of Oncology Nursing, 12, 4 – 13. keiten zu vermitteln, mit denen gezielt und leicht auch mit Schore, J. R., & Schore, A. N. (2008). Modern attachment theory: dem verbal schwer zu erreichenden Menschen ein gelin- The central role of affect regulation in development and treat- gender Kontakt aufgebaut werden kann. ment. Clinical Social Work Journal, 36 (1), 9 – 20. https://doi. org/10.1007/s10615-007-0111-7 Schwerdt, R. (1998). Eine Ethik für die Altenpflege: Ein transdiszip linärer Versuch aus der Auseinandersetzung mit Peter Singer, Hans Jonas und Martin Buber. Bern: Huber. Literatur Steinmetz, A. (2016). Nonverbale Interaktion mit demenzkranken und palliativen Patienten. Kommunikation ohne Worte-KoW®. Alke, M. (2008). Praxistransfer inklusive! Vom Schwachpunkt zum Wiesbaden: Springer VS. Erfolgsfaktor: Transferphasen gezielt zum Aufbau sozialer Kom Steinmetz, A. 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