Not the girl you're looking for - Melusina rediscovered Objekt + Subjekt Frau in der Kultur Luxemburgs
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Buchbesprechung April 2011 51 Not the girl you’re looking for Melusina rediscovered Objekt + Subjekt Frau in der Kultur Luxemburgs Schon allein der Titel und das Cover laden zum Eine andere Assoziation einer Freundin aus dem Be- Christel trefflichen Debattieren ein. Fischig kommt der reich der Sozialwissenschaften und Übersetzungen, Baltes-Löhr Band daher – schuppig – grün – wellig – schwarz der „Melusina“ bis dato kein Begriff gewesen ist, auf weiß – weiß auf grün – scharfkantig unterteilt bezog sich auf den englischen Teil des Titels. Sie in- – auf den ersten Blick fischschwänzig. Das Grüne terpretierte spontan: „Der Mann findet nicht mehr – das Fischige – das Meerjungfrauenhafte. Es geht das Mädchen, das der Mann dann zur Frau macht, um: MELUSINA sondern Männer finden schon eigenständige, eigene Frauen vor.“ In grünen Buchstaben gehalten soll sie, wie in leuch- tend weißen Lettern verkündet, wiederentdeckt Noch eine andere Lesart: „Ich bin nicht das Mäd- werden. Es geht um: Objekt + Subjekt Frau in der chen, nach dem Du schaust, nach dem Du suchst“ Kultur Luxemburgs. Ein zweisprachiges, deutsch- – es sind immer noch die Frauen, die Mädchen, französisches Werk mit englischen Einwürfen. nach denen gesucht wird, die man sucht, die man Herausgegeben im Dezember 2010 vom Centre aussucht, die ausgewählt werden. Frauen, die von d’information et de documentation des femmes, Lu- Männern gesucht, ausgesucht, aufgesucht werden. xembourg (Cid-femmes), basierend auf einer Idee von Danielle Roster, Musikwissenschaftlerin und Sind es nicht klassische, traditionelle Geschlechter- Kulturbeauftragte von Cid-femmes. verhältnisse, die hier durchscheinen? Frauen, Mäd- chen: ausgewählt, auserwählt, zum Tanzen aufgefor- Verweilen wir ein wenig beim Titel dieses vielver- dert. In Märchen wurden schon ganze Füße passend sprechenden Bandes: „Nicht das Mädchen, nach geschnitten, um dem Märchenprinzen als die „Rich- Not the girl you’re looking dem Du schaust, das Du suchst, das Du Dir vor- tige“ zu erscheinen. Und wäre bei Aschenputtel das for – Melusina rediscovered, hrsg. von Cid-femmes, stellst, das Du erwartest“, so wird der Lesende ange- Vögelchen nicht aufmerksamer gewesen als der eine Luxemburg: Schortgen, sprochen. Auf einer Bahnreise habe ich das Buch ei- Frau suchende Prinz, dann hätte Aschenputtel sich 2010, 29 €, erhältlich ner ehemaligen Kollegin, die ich zufällig traf, gezeigt wohl niemals als die „Passende“ erweisen können. beim Cid-femmes (14, rue und sie um ihren Eindruck gebeten. Die promovierte Beck, Luxembourg, Kunsthistorikerin kommentierte das Cover: „Da er- Lässt nicht Cat Stevens den Vater in dem Song „Fa- www.cid-femmes.lu) wartet mich etwas, wenn ich jetzt den Buchdeckel ther and Son“ seinem Sohn das Leben so erklären: aufschlage, auf das ich gespannt und neugierig sein kann. Das Buch, die Lektüre des Bandes verspricht “It’s not time to make a change, spannend zu werden. Es ist vielleicht nicht das, was Just relax, take it easy. ich erwarte.“ You’re still young, that’s your fault, There’s so much you have to know. Find a girl, settle down, Die Sozialwissenschaftlerin Dr. Christel Baltes-Löhr ist Frauen- und If you want you can marry. Genderbeauftragte der Universität Luxemburg. Look at me, I am old, but I’m happy.”
52 forum 306 Buchbesprechung Portrait mit Spiegel, Véronique Kolber (© Cid-femmes) Es sind die Frauen, die geheiratet werden, um deren Stelle bemerkt – allerdings teilweise in einer dualisti- Hand angehalten wird, die mittlerweile im Fernse- schen Geschlechterordnung verhaftet bleibt und die hen von Bauern und nun auch von ausgewanderten im 21. Jahrhundert auch im europäischen Kontext Männern gesucht werden. immer stärker enttabuisierten dritten, vierten Ge- schlechter und auch alle Transgenderformen außen Wie ist das Sich-Entziehen, das in der Titelsentenz vor lässt. aufscheint: „Ich bin nicht das, was Du suchst“ zu verstehen? Erwartet die Leserin bzw. den Leser hinter 23 Autorinnen und Autoren, der Namensliste nach dem immer geheimnisvoller werdenden, vielschich- zu vermuten 22 Frauen und 1 Mann, haben ihre tigen Cover auch Traditionelles? Ist die Verschrän- Beiträge aus Kunst und Wissenschaft in diesem kung „Objekt + Subjekt“ dualistisch zu betrachten? Werk zusammengebracht. Die Ideegebende Danielle Geht es um die klassische Perspektive der Frau als Roster wurde in der Redaktion von Renée Wagener Gegenstand, als Projektionsfläche oder als eigene, und im Lektorat außerdem von Simone Beck, Laure eigenständige, eigensinnige Akteurin? Faber, Colette Kutten und Antoinette Lorang unter- stützt; Maryse Muller übersetzte die Zitate, Patrick Es wird Zeit, das Buch umzudrehen und sich dem Hallé layoutete den Band, der vom Fonds culturel Klappentext zu widmen: hier findet sich die zentrale national und den Ministerien für Kultur sowie für Fragestellung des Buches. Es geht darum, „ob und in Chancengleichheit finanziell gefördert wurde. welcher Form Weiblichkeit und Feminismus heute Eine Freundin in der zeitgenössischen Kultur Themen sind. Wie Auf geht’s durch die 23 Beiträge auf 250 – in vieler- interpretierte wurden und werden Frauen in der Luxemburgischen lei Hinsicht – bunten Seiten! Danielle Roster stellt spontan: „Der Kunst und im Luxemburgischen Film dargestellt? in der Einleitung die schillernde „Melusina“ vor: Mann findet Wie äußern sich Künstlerinnen und Schriftstellerin- die Nixe, die Fischfrau, die „geheimnisvolle Mit- nicht mehr das nen aus Luxemburg in ihren Werken zu ihrer eige- begründerin der Stadt Luxemburg“ (9), die brave, Mädchen, das nen Weiblichkeit? Wie steht es schließlich mit den die sanfte, die mütterlich beschützende, die anders der Mann dann luxemburgischen Feministinnen? Ist ihre Mission als ihr kulturhistorisches Vorbild, Mélusine aus zur Frau macht, erfüllt, da ja die Frauen zu Beginn des 21. Jahrhun- Lusignan, nach dem Verrat durch ihren Mann sondern Männer derts in unserer Gesellschaft angeblich die gleichen Siegfried nicht einen „Cri terrible“ ausstößt. In finden schon Rechte wie die Männer haben.“ der luxemburgischen Legende ist es der Mann, der eigenständige, schreit – vor Entsetzen, als er ihrer Verwandlung eigene Frauen vor.“ Jede Menge Fragen, ein Rundumschlag, ein großer und der damit vermeintlich verbundenen Kraft des Wurf ist zu vermuten, der – soviel sei schon an dieser wellenpeitschenden Fischschwanzes wahrhaftig wird
Buchbesprechung April 2011 53 (9). Der sich hier schon andeutende „andere“ Blick dem es lieber ist, seine Frau mit Fischschwanz zu auf die Figur der Melusina soll in dem Werk ver- sehen, denn sich als betrogener Ehemann begreifen Melusina als tieft werden: eine neue Lesart der luxemburgischen zu müssen, obwohl er sie schlussendlich dann doch mentale Vision ist Melusina soll sich nicht auf die Frau als verratenes als falsche Schlange beschimpft, bevor sie durch kein universelles, Opfer des Mannes fokussieren, sondern auf die der das Fenster entschwindet. Im Gründungsmythos a-historisches Figur möglicherweise inne liegenden verdeckten, der Stadt Luxemburg schreit Siegfried angesichts Bild, sondern versteckten, verschwiegenen Stärken – eine feminis- der fischschwänzigen Gefährtin auf. Bei Irmtraud ist vielmehr als tische Lesart also? In der Einleitung betont Danielle Morgner bringt Melusina im 20. Jahrhundert Projektionsfläche Roster, dass dem feministischen Diskurs auf jeden das einengende gesellschaftliche Korsett, sei es zu verstehen, in Fall Raum gegeben werden soll und die im kollek- nun mittelalterlich oder modern geschnürt, zum der sich aktuelle tiven Gedächtnis verhaftete Figur der Melusina mit Explodieren. gesellschaftliche denen in Schwesterlichkeit verbindenden Tönen ih- Fragen res wundervollen Gesanges (10) unter dem Gender- Schillernd wie Fischschuppen sind somit die Verän- widerspiegeln. Aspekt betrachtet werden soll. derungen des Mythos „Melusina“ von der Dämoni- sierung der Fee im 16. und 17. Jahrhundert, über Hier zeigt sich schon deutlich eine erste Spannung, Romantisierung der feenhaften Liebe im 19. und die sich in den einzelnen Beiträgen des Bandes im- schlussendlich der Heroisierung der Fee als Symbol mer wieder mehr oder weniger stark spüren lässt: der Weiblichkeit im 20. Jahrhundert. Der Blick, den worum geht es? Um eine feministische Analyse oder Sonja Kmec auf das Verhältnis Melusinas im Spiegel um die Beschreibung und Analyse der Verhältnisse der Wissenschaften wirft, lässt sie nach der Diskus- zwischen den Geschlechtern anhand der Figur der sion psychoanalytischer, philosophischer, ethnologi- Melusina oder um beides? Geht beides gleichberech- scher und historischer Betrachtungsweisen zu dem tigt nebeneinander? Schluss kommen, dass Melusina als mentale Vision kein universelles, a-historisches Bild ist, sondern Findet nicht doch eine Homogenisierung des Sub- vielmehr als Projektionsfläche zu verstehen ist, in der jektes „Frau“ statt, und warum wird die Subjektwer- sich aktuelle gesellschaftliche Fragen widerspiegeln. dung der Frau am Beispiel der Undine bei Ingeborg Die Figur der Melusina unterliegt somit beständigen Bachmann aufgerufen? Dort ist die weibliche Sub- Veränderungsprozessen. Ausgehend von dieser chan- jektwerdung dadurch markiert, dass die Frau zur gierenden Perspektive könnte Melusina dann dem- „Herrin ihres eigenen Diskurses“ (11) wird und in nächst laut Sonja Kmec als Symbol für Migration Umkehrung der Geschlechterrollen der männliche mit allen impliziten Facetten der Hybridität und Protagonist Hans sprachlos bleibt. Liminalität betrachtet werden. Läge nicht eine theoretische sowie eine politische In einem literarischen Beitrag von Margret Steckel Genderperspektive darin, dass nicht entweder die findet sich das Bild der Frau, die weg geht, die ver- Frau oder der Mann spricht, sondern beide oder bes- lässt, die im Traum abtaucht, die sich mit einem ser gesagt alle Geschlechter ihre Stimme entfalten kraftvollen Schuppenschwanz dem Sog zurück in die würden und sich auch gegenseitig hören würden? Heimat entzieht, die im offenen Meer landet und Sozusagen im polyphonen Geschlechterchor. befreit in der Brandung jubelt, in einer Brandung, die den lauten Schrei jedoch verschlingt; der Schrei In der Einleitung wird eine Vielfalt der Standpunkte bleibt – außer für den Leser oder die Leserin des angekündigt, die – auch soviel sei schon vorwegge- Textes – ungehört. nommen – in der Summe dann auch in den folgen- den Beiträgen eingelöst wird. In ihren „Porträts mit Spiegel“ zeigt Véronique Kolber Frauen, Wannen, grünes, rotes, gelbes Was- Sonja Kmec nimmt die Lesenden mit auf den Weg ser. Drei Einblicke in das Zimmer der Sirenen ge- durch den sich ab dem 14. Jahrhundert ständig währt Elvire Bastendorff. Brautkleider als Zaumzeug verändernden Mythos „Melusina“ bis hin zur op- finden sich in vier Bildern unter dem Titel „Bride“ timistisch gestimmten Wiederentdeckung im Werk von Jeanine Unsen, Trixi Weis zeigt aktuelle Me- Irmtraud Morgners. Scheinen immer wieder Wasser, lusinen mal als sportive, nährende, Nixen-Wäsche Luft und Erde als die drei bestimmenden Elemente aufhängende und zuletzt als sich die Fischflosse der Figur der Melusina auf und liegt des Mythos’ lackierende Frau. Kern in der Überschreitung des Verbotenen (18), dem verstohlenen Blick Raymondins auf die Ehe- Die Akte von Tessy Bauer lassen Symbolisierungen frau, die sich jeden Samstag verwandelt, dann ist in des Fischschwanzes erkennen. Stina Fisch beschreibt der mittelalterlichen Version die Erleichterung des Melusina mit einem in sich selbst fließenden Kör- verstohlen blickenden Ehemanns Raymondin groß, per und inspirierenden, hellblauen Wasserbildern.
54 forum 306 Buchbesprechung Zwischen diesen kurz umrissenen künstlerischen Einwürfen wird immer wieder ein wissenschaft- lich analytischer Blick auf die Figur der Melusina geworfen. Und ist es ein Zufall, dass Laura Kozlik ihren kriti- schen Beitrag zur Ikonographie der Melusina in Lu- xemburg mit „Entre Vierge et pute nationale“ titelt, wobei auffällt, dass „Vierge“ tatsächlich mit einem Großbuchstaben anfängt. Auch in diesem Beitrag werden die vieldeutigen, hybriden, komplexen und unbestimmten Züge dieses geheimnisvollen Wesens verdeutlicht, wobei nach Laura Kozlik Melusina den- noch immer eher Opfer von klischeehaften, nationalis- tischen, moralisierenden, konservativen, sexistischen oder phallokratischen Blickregimes bleibt (54). Bei Sarah Lippert findet sich ein Blick auf die li- terarischen Verarbeitungen des Melusinenstoffes. Und auch hier wird als das maßgeblichste literari- sche Leitmotiv für die Interpretation einer ganzen Reihe von Melusinenfigurationen das Moment der Andersartigkeit genannt (63), aber auch immer wieder: Melusina als Opfer männlicher Macht und Mordgier (65). Jeanine Unsen (© Cid-femmes) Françoise Poos kommt in ihrem Beitrag „L’âge de l’innocence“ zu dem Schluss, dass nach 30 oder 40 Jahren der Frauenbewegung im Zeitalter der Un- schuld oder im Alter der Unschuld alles erreicht zu Danielle Hoffelt beschreibt in sieben Strophen leicht, sein scheint. Das, sagt sie, ist das, was die jungen fließend, schwebend fast die befreienden Schicksale Frauen heutzutage meinen. Schaut Melusine dem von Frauen in „sor(t)s des femmes“. durch das Schlüsselloch lunzenden Beobachter di- rekt in das versteckte Auge, dann kommt Françoise Immer wieder scheint in den künstlerischen Bei- Poos dennoch zu dem Schluss, dass die Sirenen trägen das Bild der sich befreienden Frau durch. So schon zu lange vor sich hingedämmert haben und auch im Text von Michèle Thoma: „Ich bin nicht dass es Zeit wird, dass sie wieder erwachen. mehr da.“ Hier wird dem Lesenden ein Telefon- gespräch vor Augen geführt, das mit Trennung, Dass die Sirenen gar nicht so stumm sind, wird durch Nachlaufen, Weglaufen und Aufbruch konnotiert den Beitrag von Bettina Heldenstein evoziert, die, ist. Carine Krecké verlagert Melusina auf die thera- Bezug nehmend auf einige künstlerische Darstellun- peutische Couch. Der aus der Hypnose erwachende gen in dem Band, die weibliche Repräsentation an- Patient bringt Spiegel mit einem Stuhl zum Bersten hand der Figur „Melsuine“ in der zeitgenössischen und – unklar bleibend, ob befreiend oder tollwütig – Kunst nachzeichnet. Sie spricht von Feuchtgebieten, schreit. Als letzten künstlerischen Beitrag findet sich von Weiblichkeit und Feminismus, von sich in Ver- „Ljubavi“ von Albena Petrovic-Vratchanska in dem änderung befindlichen Metamorphosen von Frauen Band, eine Komposition für Violine und Schlag- im Hier und Jetzt, von der Eroberung des Raumes zeug mit Texteinwürfen: eine Liebeserklärung an durch Frauen. Hat aber Melusina sich nicht gerade die Liebe und den geliebten Menschen sowie die durch das Einsperren einen Freiraum geschaffen? Hymne an die ägyptische Göttin Isis, in der die sich Diese Auflösung scheinbarer Widersprüche, wie z.B. scheinbar widersprechenden Facetten des Frau-Seins „Einsperren – Freiraum schaffen“ scheint in der in aufgeführt werden: dem Band dargestellten und von Bettina Heldenstein diskutierten zeitgenössischen Kunst in Luxemburg «… aufgehoben zu sein. Je suis la prostituée et la sainte Je suis l’épouse et la vierge Auf 22 Seiten entwickelt dann Didier Damiani ei- … » (208) nen Beitrag zum Thema: Frauen-Objekte in der
Buchbesprechung April 2011 55 luxemburgischen Kunst. Eine Betrachtung aus fe- eine andere Position deutlich, dass nämlich Kunst ministischer Perspektive. Er startet historisch: Aus- sozusagen Ausdruck von Menschen sei. Martine gehend von Funden aus der jüngeren Altsteinzeit, Schneider-Speller lehnt Kategorisierungen entlang wie sie – anders als bei Didier Damiani konnotiert – der Geschlechterschiene eindeutig ab und geht von bislang nicht in Luxemburg, sondern in Grotten der Ebenbürtigkeit von Frauen und Männern aus. Südwestfrankreichs und auf mobilen Steinplatten im Sie weist dem Feminismus einen klaren Platz in der Mittelrheingebiet gefunden worden sind, kann ledig- Politik zu. Kunst kann laut ihrem Dafürhalten auf lich vermutet werden, dass derartige Repräsentatio- gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen, nen auch auf dem Gebiet des heutigen Luxemburg diese aber nicht ändern (122, 128). sicherlich vorhanden waren, da Belege für die An- wesenheit des Homo sapiens, dem modernen Men- Diese Kontrastierung von Feminismus als Ort in der schen, dem Cro-Magnon zum Beispiel in Altwies Politik findet sich dann auch im Abschlussbeitrag nachgewiesen wurden. Die vorliegenden Funde las- von Renée Wagener, in dem sie Siegfried wieder auf sen jedoch, wie auch Didier Damiani schlussfolgert, englisch „bye bye“ sagt und den langen Abschied der keinen Rückschluss auf das Bild der Frau zur damali- Luxemburger Frauen vom Patriarchat nachzeichnet. gen Zeit zu. Die gallo-romanischen Funde aus Vich- Vom 19. Jahrhundert an, dem stillen Jahrhundert ten zeigen Homer und die neun Musen und Graf der Frauen, gelangen wir mit Renée Wagener über Siegfried schafft die Legende der Melusina. Aus dem die Beschreibung der politischen Stimmen zu Be- Jahr 1688 liegt laut Didier Damiani das erste Frau- ginn des 20. Jahrhunderts an Station zwei weiter zur enporträt der Marie de Zorn vor. Der Autor führt dritten Station, die einem Hoch auf die Hausfrau dann weiter durch die Jahrhunderte und Epochen. gewidmet ist. Mit dem Jahr 1963 markiert Renée Abschließend plädiert er dafür – etwas unklar in Be- Wagener die Station 4, der Beginn der Selbstbe- zug auf die theoretische Orientierung bleibend –, stimmung, und widmet sich dann abschließend, bei die immer noch bestehenden Ungleichheiten zwi- der 5. und letzten Station der Frage, wo das Patri- schen Frauen und Männern abzuschaffen. archat geblieben ist, seit 1972 und 2006 wichtige Meilensteine in Bezug auf die legale Gleichstellung In einem Beitrag zur Rolle von Schriftstellerinnen von Frauen und Männern in Luxemburg erreicht in Luxemburg als intertextuelle Gefährtinnen Me- lusinas beschreibt Ulrike Bail die bislang bekannten Schriftstellerinnen ab dem 19. Jahrhundert und illu- striert sehr nachhaltig, dass die von ihr diskutierten Tessy Bauer (© Cid-femmes) Texte als Beispiel für das „Anderswo“ gelten kön- nen, das sich in Texten wiederfindet, in Texten von „Frauen, die uns erzählend und dichtend Freiräume eröffnen, in denen Neues denkbar und lebbar wird“ (179). Ebenso eingängig beschreibt Viviane Thill in ihrem Beitrag „Le Cinéma luxembourgeois au féminin“, dass dies noch ein neues, bislang kaum beachtetes Feld im luxemburgischen Gefüge darstellt. Nach ih- rer Einschätzung bleiben die Figur der Mutter und die der Geliebten die dominierenden Repräsentatio- nen der Weiblichkeit auf den luxemburgischen Bild- schirmen. Fortsetzung folgt – aber wie? Dies bleibt bislang ungeklärt. Zwei von Ines Kurschat geführte Interviews zeigen einmal die Positionen von Danielle Igniti und zum anderen von Martine Schneider-Speller, beide als Galeristinnen in Luxemburg tätig. Danielle Igniti geht davon aus, dass allein schon der künstlerische Akt, die künstlerische Handlung, das künstlerische Tun einer Frau als feministische Handlung zu ver- stehen ist. Allerdings verabschiedet sie sich von der traditionellen Vorstellung von Frauen als Opfern. Im Interview mit Martine Schneider-Speller wird
56 forum 306 Buchbesprechung trag von Renée Wagener macht deutlich, wie wich- tig die Auseinandersetzung mit dem Feminismus als theoretisches Konzept einerseits und als politisches Programm andererseits bleibt, was m. E. einen wich- tigen Teil der Genderforschung darstellt. Melusina – eine facettenreiche, abwechselnde, inspi- rierende, oftmals unterwartete, wohl komponierte Lektüre – nur zu empfehlen und als Grundlage wei- terer Debatten zu nutzen. Ich selbst habe zum ers- ten Mal in den 1970er Jahren von Melusina gehört, als ich in Trier studierte und zusammen mit einer weiteren Studentin und einigen männlichen Kom- militonen nach Luxemburg ins Melusina fuhr, um einen Vortrag von Ernest Mandel über marxistische Wirtschaftstheorie zu hören. Mandel hatte damals in Deutschland Einreiseverbot, so dass er 1972 sei- nem Ruf als Professor für Politische Ökonomie an die Freie Universität Berlin nicht folgen konnte. An der deutsch-luxemburgischen Grenze wurden wir streng kontrolliert, die Freunde mussten sich einer Leibesvisitation unterziehen. Bei meiner Freundin und mir wurden lediglich die Ausweise kontrolliert. Wir wurden nicht abgetastet, da keine weiblichen Grenzbeamtinnen anwesend waren. Eine frühe Erfahrung einer in der Situation als positiv emp- fundenen, aber letztendlich dennoch ungerechten Trixi Weis (© Cid-femmes) Diskriminierung auf Grund der Geschlechterzuge- hörigkeit. Der weibliche Körper als unantastbar für männliche Grenzbeamten – wir mussten uns noch worden sind. Renée Wagener schlussfolgert, dass die nicht einmal in Nixen verwandeln. Den Weg zum Nachwehen des „alten“ Systems immer noch zu be- Veranstaltungsort „Melusina“ im Stadtteil Clausen legen sind und die Ungleichheiten weiter vorherr- fanden wir damals nur schwer und bis heute, wenn schen, auch wenn der „Feind sich verflüchtigt hat“ hier mittlerweile z. B. die Weihnachtsfeier der neu- (235). Das Beharren auf der Existenz des Patriar- gegründeten Universität stattfindet, habe ich immer chats und die nachhaltige Betonung, dass die Welt wieder Schwierigkeiten, diesen Ort zu finden. In der – entgegen anderer Einschätzungen – immer noch Regel lande ich immer erst in einem falschen Tal, bis in die Kategorien Männer und Frauen aufzuteilen ich dann endlich ankomme. sei, wird im Grunde genommen abgerundet durch ein abschließendes Zitat von Simone de Beauvoir, in Melusina – nicht unbedingt leicht zugänglich, aber dem Frauen als Opfer betrachtet werden. Dieser Bei- das Suchen lohnt sich in jedem Fall. u Jeden Monat auf Sendung forum stellt jeden Monat das aktuelle Heft im Bistro moderiert von Anne Kayser auf Radio ARA (103,3 und 105,2 FM) vor, oft auch mit Gästen, die am Heft oder Dossier mitgewirkt haben. Diesmal mit dabei: die Sozialanthropologin Katy Fox Termin: Mittwoch, 13. April ab 17 Uhr
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