OBRIGKEIT VON DER PREUSSISCHEN - Landkreistag NRW
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VON DER PREUSSISCHEN OBRIGKEIT ZUR BÜRGERLICHEN SELBSTVERWALTUNG 2 0 0 J A H R E R H E I N I S C H E U N D W E S T FÄ L I S C H E K R E I S E
Die Karte wurde vom Katasteramt des Rhein-Kreises Neuss erstellt. Sie dokumentiert – bezogen auf das Territorium des heutigen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen – die Einteilung der rheinischen und westfälischen Kreise in den Jahren 1816/17. Nicht berücksichtigt wurden die heute überwiegend in Belgien liegenden Kreise Eupen, Malmedy und St. Vith sowie alle anderen Kreise der Provinzen Großherzogtum Niederrhein und Jülich-Kleve-Berg, deren Territorium heute außerhalb Nordrhein-Westfalens liegt. Die im lippischen Landesteil von Nordrhein-Westfalen gelegenen Städte Bad Salzuflen, Lemgo und Detmold sind lediglich zu Orientierungszwecken in die Karte aufgenommen worden. Sie gehörten nach dem Wiener Kongress nicht zu Preußen, sondern zum Fürstentum Lippe. Als Quelle für die Kreisgrenzen fungierte: Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte, Reihe A, Bd. 7 und 8, Entwurf: W. Hubatsch, Kartographie: E. Fell, Druck: Institut für Angewandte Geodäsie (Frankfurt a. M.), Marburg 1977 und 1980.
INHALTSVERZEICHNIS 6-7 Hannelore Kraft Grußwort 8-9 Thomas Hendele Geleitwort 10-11 Tillmann Lonnes Einleitung 12-23 Wilhelm Grabe „Mit der sorgfältigsten Schonung der VON DER PREUSSISCHEN bestehenden Verhältnisse“ – Die Einrichtung der Kreise in Rheinland-Westfalen 1816 OBRIGKEIT 24-33 Gabriele Mohr ZUR BÜRGERLICHEN Wesen, Struktur und Aufgaben der Kreise Mitte des 19. Jahrhunderts SELBSTVERWALTUNG 34-43 Stephen Schröder Die Kreisordnungen von 1886/87 und die Entwicklung der Kreise bis 1933 44-53 Claudia Maria Arndt Die Kreise während der Zeit des Nationalsozialismus 54-63 Hansjörg Riechert Die Kreisverwaltungen im neuen Bundesland Nordrhein-Westfalen 64-73 Beatrix Pusch Gebietsreformen 74-83 Martin Klein / Kai Friedrich Zentara Kreise und Landräte behaupten die kommunale Handlungsfreiheit – Jüngste Geschichte der nordrhein-westfälischen Kreise 1990-2016 84-88 Endnoten 96 Impressum
GRUSSWORT Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen 200 Jahre rheinische und westfälische Kreise – zu diesem Nordrhein-Westfalens vor der Aufgabe, Hunderttausen- Die rheinischen und westfälischen Kreise haben sich stolzen Jubiläum gratuliere ich herzlich! Was für uns heute den Flüchtlingen in kürzester Zeit eine Zuflucht und im glänzend bewährt. Das Land Nordrhein-Westfalen wird selbstverständlich ist, ist ein Ergebnis des Wiener Kongres- besten Fall ein neues Zuhause zu bieten. Und auch bei der nach Kräften dafür sorgen, dass dies so bleiben kann. ses, in dem nichts weniger als die Neuordnung Europas Bewältigung dieser Aufgabe, die noch lange nicht abge- nach den Jahren der napoleonischen Herrschaft geregelt schlossen sein wird, zeigen die Kreise ihre Stärken und die wurde. Kurz danach wurden die Kreise im heutigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kreisverwaltungen Nordrhein-Westfalen gegründet. Und natürlich veränder- nicht allein ihre Fähigkeit, sondern eine Einsatzbereitschaft, ten sich über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg ein Organisationstalent und eine Empathie, die weit über ihre Gestalt und Größe, ihre Aufgaben und Zuständigkei- das Erwartbare hinausgeht. Dafür sage ich ihnen auch an ten. Geblieben ist den Kreisen über den Lauf der Zeit die dieser Stelle meinen herzlichen Dank und Respekt. Aufgabe, als eine leistungsstarke Verwaltungseinheit für Danken möchte ich ihnen ausdrücklich auch für das, was möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse zwischen Stadt sie oft ganz unbemerkt tun und was für die meisten Bürge- Hannelore Kraft und Land zu sorgen. rinnen und Bürger selbstverständlich geworden ist. Ob es um die Organisation und die Finanzierung des öffentlichen In den fast 70 Jahren seit der Gründung unseres Lan- Personennahverkehrs geht, um die Abfallbeseitigung oder des Nordrhein-Westfalen im August 1946 haben wir an den Betrieb von Kindertagesstätten: Wir alle profitieren vielen Stellen erfahren und erlebt, dass das eine überaus von der Leistungskraft der Kreise. Für die Landesregierung anspruchsvolle Aufgabe ist, schließlich mussten das Land und besonders für die kreisangehörigen Städte und und damit auch die Kreise tiefgreifende wirtschaftliche und Gemeinden sind sie starke Partner, die gemeinsam mit gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen ihnen das kommunale Leistungsspektrum ergänzen und bewältigen. Heute stehen wir erstmals in der Geschichte ausbauen. 6 7
GELEITWORT Der in dieser Festschrift betrachtete Zeitraum ist von ext- allem ein ausführendes Organ des preußischen Königs remen Umbrüchen und Verwerfungen geprägt: Die Folgen in Berlin, versteht er sich heute als Verteidiger und Präsident des Landkreistages Nordrhein-Westfalen der napoleonischen Besetzung waren nach der Übernahme Vorkämpfer der kommunalen Selbstverwaltungsfreiheit. Landrat des Kreises Mettmann der Gebiete der Rheinlande und Westfalens durch Preußen Das vorliegende Werk zeichnet diesen Weg von der infolge des Wiener Kongresses noch gut zu spüren. Erst preußischen Obrigkeit zur bürgerlichen Selbstverwaltung „Wenn es die Landkreise nicht gäbe, müsste man sie im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die dem König- nach. Die Geschichte diverser Verwaltungsreformen auch erfinden! Nur wenige Schöpfungen der Verwaltungskunst reich Preußen angehörenden Gebiete mentalitätsmäßig anderer Bundesländer belegt, dass die Kreisebene im haben sich so glänzend bewährt.“ und staatsrechtlich auch Teil eines Deutschen Reichs. Der Staatsaufbau schlicht unverzichtbar ist. Erste und Zweite Weltkrieg sowie die Zeit des National- Diese Worte sprach Bundespräsident Johannes Rau – der sozialismus brachten gewaltiges Leid, Elend und massive Ich wünsche den Leserinnen und Lesern dieser Festschrift langjährige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen – Veränderungen für die Menschen und das Staatswesen mit eine spannende Zeitreise durch 200 Jahre höchst lebendi- bei der Landkreisversammlung des Deutschen Landkreis- sich. Erst seit 1946 sind die Landesteile Rheinland – ohne ge Kreisgeschichte. tages am 9. November 2001 in Berlin. Bundespräsident seinen südlichen Teil, der Rheinland-Pfalz und dem Saar- Joachim Gauck machte sie sich in seiner Ansprache zur land zugeordnet wurde – und Westfalen in einem Bundes- 13. Landkreisversammlung des Deutschen Landkreistages land vereint. Die Kreise haben in all diesen Jahren existiert am 11. Januar 2013 zu eigen. und ihre Funktion als überörtliche Aufgabenträger effektiv wahrgenommen. War der Aufgabenkreis in den Jahren Ein Blick zurück in die Geschichte der Kreise, deren Grün- unmittelbar nach 1816 noch so überschaubar, dass Frei- dung sich im Rheinland und in Westfalen im Jahr 2016 herr vom Stein es hinreichend erschien, wenn dem Landrat zum 200. Mal jährt, bestätigt, dass die Bundespräsidenten lediglich wenige weitere Kräfte zur Seite standen, ist der mit ihrer Einschätzung absolut richtig liegen. Die auf den Kanon der zu erledigenden Tätigkeiten, die Größe der zu Thomas Hendele Freiherrn vom Stein zurückgehende Absteckung einer Ver- verwaltenden Gebiete und die Zahl der zu versorgenden waltungsebene zwischen den ländlichen Gemeinden und Bürger so stark angewachsen, dass Landräte in unseren dem Regierungsbezirk, die er selbst als Kreise bezeichnete, Tagen zum Teil tausend und mehr Mitarbeiterinnen und hat sich in den letzten 200 Jahren stets als erforderlich, Mitarbeiter zu führen haben. War der Landrat in den sinnvoll, effektiv und effizient erwiesen. Gründungsjahren und bis ins 20. Jahrhundert hinein vor 8 9
EINLEITUNG Tillmann Lonnes, Rhein-Kreis Neuss „Ich wurde am 26. Oktober 1757 von sehr achtungswerten setzte er sich unter dem Eindruck der französischen Besat- (AKKA) beim Landkreistag Nordrhein-Westfalen bereit, dem Zweiten Weltkrieg berichtet. Des Weiteren analysiert Eltern geboren, unter dem Einfluss ihres religiösen, echt zung und einer verkrusteten und ineffizienten preußischen der Ausstellung und Publikation „200 Jahre rheinische und Beatrix Pusch, Archivarin des Kreises Soest, die kommuna- deutsch-ritterlichen Beispiels auf dem Lande erzogen: Verwaltung sowie einem drohenden Staatsbankrott für den westfälische Kreise“ Gestalt zu geben. len Gebiets- und Verwaltungsreformen vor allem der Jahre Die Ideen von Frömmigkeit, Vaterlandsliebe, Standes- und Zusammenschluss von Städten und Dörfern zu Kreisen 1929 und 1967 bis 1975. Abschließend befassen sich Familienehre, Pflicht, das Leben zu gemeinnützigen Zwe- ein, in denen die Bürgerschaft, organisiert in den Stän- Wilhelm Grabe, Archivar des Kreises Paderborn, erinnert in Dr. Martin Klein, Hauptgeschäftsführer, und Dr. Kai Zentara, cken zu verwenden und die hierzu erforderliche Tüchtigkeit den, selbst die Verantwortung für die Aufgabenerledigung seinem Aufsatz an die Gründungsphase der Kreise und die Hauptreferent des Landkreistages Nordrhein-Westfalen, durch Fleiß und Anstrengung zu erwerben, wurde durch ihr übernimmt. Die Kreise sollten über eine schlanke, an den preußischen Reformen unter Berücksichtigung des mit dem heutigen Selbstverständnis der Kreise und Land- Beispiel und ihre Lehre tief in meinem jungen Gemüte ein- Bedürfnissen der Bürger orientierte Verwaltung verfügen, Freiherrn vom Stein. Gabriele Mohr, Archivarin des Rhein- räte als Garanten kommunaler Handlungsfreiheit. geprägt“. So beginnt Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr die von einem von den Ständen gewählten Landrat geleitet Erft-Kreises, befasst sich im Anschluss mit dem Wesen und vom und zum Stein seine selbst verfassten Lebens- wird. Die Verwaltung sollte einerseits Selbstverwaltungs- der Struktur der Kreise im frühen 19. Jahrhundert, einer Dem aufmerksamen Leser dieser Publikation wird nicht erinnerungen. Er ist der Mann, der im Jahr 2016 „200 aufgaben insbesondere in den Bereichen Schule, Soziales, Zeit, in der der Landrat stellvertretend für den preußischen entgehen, wie sehr die übergeordneten historischen Er- Jahre rheinische und westfälische Kreise“ symbolisiert und Polizei und Gesundheitswesen wahrnehmen, andererseits König hoheitlich tätig wurde. Dr. Stephen Schröder, Archi- eignisse die Entwicklung der Kreise im Rheinland und in damit an die Geschichte von 31 kommunalen Gebietskör- als untere staatliche Verwaltungsbehörde Staatsaufgaben var des Rhein-Kreises Neuss, stellt in seiner Abhandlung Westfalen geprägt haben, wie sehr aber auch umgekehrt perschaften erinnert, in denen heute mehr als zehn Millio- umsetzen. die Zunahme der Selbstverwaltungsaufgaben und den Weg die kommunale Selbstverwaltung den Verlauf der deut- nen Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen leben. der Demokratisierung des Kreiswesens beginnend mit den schen Geschichte in den letzten 200 Jahren beeinflusst Diese von ihm empfohlene Grundordnung einer kom- Kreisordnungen von 1886/87 bis zum Beginn des „Dritten hat. Aus den vor 200 Jahren geschaffenen preußischen Auch wenn der erste Satz seiner Lebenserinnerungen nicht munalen Kreisverwaltung hat sich in der wechselhaften Reiches“ dar. Dr. Claudia Maria Arndt, Archivarin des Rhein- Verwaltungseinheiten entwickelten sich die heutigen Kreise auf eine tiefe demokratische Gesinnung hindeuten mag, Geschichte des Rheinlands und Westfalens über die Jahr- Sieg-Kreises, beschreibt sodann die schwierige Entwick- zu leistungsstarken, bürgernahen Gebietskörperschaften, wird dennoch die Erinnerung an die Entstehung der Kreise zehnte erst entwickeln müssen. Um diesen langwierigen lung der Kreise unter der nationalsozialistischen Diktatur, die selbstbewusst und eigenverantwortlich die ihnen zu- zu Recht auf das Wirken des Freiherrn vom und zum Stein und windungsreichen Prozess darzustellen, erklärte sich ehe Dr. Hansjörg Riechert, Archivar des Kreises Lippe, über gewiesenen Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge, zurückgeführt. In seiner Nassauer Denkschrift von 1807 der Arbeitskreis der nordrhein-westfälischen Kreisarchive den mühevollen Neubeginn der Kreisentwicklung nach aber auch die staatlichen Verwaltungsaufgaben erfüllen. 10 11
„MIT DER SORGFÄLTIGSTEN SCHONUNG DER BE- STEHENDEN VERHÄLTNISSE“ – DIE EINRICHTUNG DER KREISE IN RHEINLAND-WESTFALEN 1816 Wilhelm Grabe, Kreis Paderborn Die Kreise in Nordrhein-Westfalen werden 2016 zweihun- Der einköpfige schwarze Adler als Symbol dert Jahre alt. Zweifellos ein Grund zum Feiern. Aber: Ein preußischer Herrschaft. (Abb.: Preußenmuseum Blick in die Literatur lässt stutzig werden. So hat der Kreis Minden) Unna – als Rechtsnachfolger des Kreises Hamm – schon 2003 seinen zweihundertfünfzigsten Geburtstag began- gen. Im gleichen Jahr blickte man in Warendorf auf eine zweihundertjährige Kreisgeschichte zurück. 1966 feierten viele nordrhein-westfälische Kreise den hundertfünfzigsten Jahrestag ihrer Gründung, nicht allerdings der Kreis Soest, der dafür 1992 sein einhundertfünfundsiebzigstes Wiegen- Im 18. Jahrhundert verschob der absolutistische Militär- fest bejubelte. Wie passt das zusammen? Wie erklären sich staat die Gewichtungen zu seinen Gunsten. Auch wenn die die unterschiedlichen Geburtsjahre 1753, 1803, 1816 und Institution des Landrats – dieser Titel wurde per Reskript 1817? Und warum kann man 2016 mit guten Gründen auf 1702 für ganz Preußen eingeführt – adligen Interessen zwei Jahrhunderte Kreisgeschichte in NRW schauen? Rechnung tragen sollte, wurde aus ihm nach und nach ein landesherrlicher Beamter, der den 1723 neu geschaffenen Eine preußische Erfindung – Die Vorgeschichte Provinzialbehörden, den Kriegs- und Domänenkammern, unterstellt wurde. In altpreußischer Zeit unterlagen Städte Kreise und Landräte sind eine „besondere preußische und „plattes Land“ getrennten Verwaltungen; die Städte Schöpfung“,1 die sich allerdings weder planmäßig noch bildeten „Kreise“ mit Kriegs- oder Steuerräten an der Spit- gradlinig vollzog. Die Ursprünge in der Mark Brandenburg ze, das flache Land dagegen war in hiervon unabhängige reichen mindestens bis ins 14. Jahrhundert, wahrscheinlich Kreise eingeteilt. Den hier zuständigen Landräten oblag die Preußen erhielt 1815 das Rheinland und Westfalen zugesprochen. (Abb.: Kreisarchiv Paderborn) sogar in slawisch-wendische Zeiten zurück. Die auf alte Handhabung der Polizei und die Aufsicht über die Gemein- Teillandschaften zurückgehenden Kreise bildeten die unte- den und Gutsbezirke. Obwohl die Landräte zunehmend ren ständischen Wahl- und Verwaltungsbezirke, an deren Aufgaben staatlicher Natur zugewiesen bekamen, blieb Spitze ein Kreisdirektor, Land- oder Kreiskommissar, später ein Rest ständischer Selbstbestimmung erhalten, denn ge- ein Landrat stand, und zwar sowohl als gewählter Sprecher wählt wurden sie nach wie vor von den Kreisständen. Aller- der Kreisstände wie als ernannter Vollzugsbeamter des dings kam lediglich der Adel aktiv und passiv in Betracht, Landesherrn. Wenn man so will, reicht also die Doppelei- denn die Mitgliedschaft bei den Kreisständen war auf genschaft des späteren preußischen Landrats zwischen Rittergutsbesitzer beschränkt und die bürgerlichen Ritter- kommunaler Selbstverwaltung und staatlicher Herrschafts- gutsbesitzer waren bereits 1769 von den Landratswahlen ausübung weit in die Vergangenheit zurück. ausgeschlossen worden. 12 13
Auch in den 1802 hinzugewonnenen westfälischen Ge- zusammen, dem auch die beiden neugeschaffenen Modell- bieten begann man umgehend mit der Etablierung preußi- staaten Großherzogtum Berg und Königreich Westphalen scher Verwaltungsstrukturen. Die Eingliederung der Fürst- angehörten. Hier wurde relativ rasch ein dreistufiges Ver- bistümer Münster und Paderborn leitete Karl vom und zum waltungssystem nach französischem Vorbild aus Depar- Stein, der sogleich eine umfassende Bestandsaufnahme tements, Arrondissements (Distrikte) und Munizipalitäten veranlasste und bei der „Bildung der Landes Collegien“ mit Präfekten, Unterpräfekten und Maires installiert, im eigene Akzente setzte. Die Landräte blieben zwar staatli- Königreich Westphalen durch Verordnung vom 11. Januar che Vollzugsbeamte, sie sollten aber „durch Besitzer adli- 1808, im Großherzogtum Berg per Dekret am 14. Novem- cher Güther aus dem angesessenen Adel oder in Erman- ber 1808. In den von Frankreich annektierten linksrheini- gelung aus fähigen, im Lande angesessenen Subjecten schen Gebieten hatte man das zentralistisch-bürokratische gewählt“4 werden. Die Organisation der vier neu gebildeten Präfektursystem bereits 1798 installiert. Mit der Expansion Kreise im Münsterland trat mit Wirkung vom1. Januar 1804 des napoleonischen Kaiserreichs erhielt schließlich ganz in Kraft. Hinsichtlich der Stellenbesetzungen wurden die Nordwestdeutschland nördlich einer Linie von Wesel nach „einländischen Beamten“, so Stein, „wenn sie irgend taug- Lübeck Ende 1810 einen Behördenaufbau nach französi- lich, beibehalten“.5 Allerdings hatte man ihnen als Kreis- schem Muster. Karl vom und zum Stein (1757-1831) und Karl August von Hardenberg (1750-1822). schreiber erfahrene Beamte aus der Grafschaft Mark zur Die preußischen Reformer wollten auf Provinzial-, Kreis- und Gemeindeebene staatliche Seite gestellt. In Paderborn vollzog sich die Neuordnung Die Katastrophe von 1806 hatte die strukturellen Un- Bürokratie und kommunale Selbstverwaltung kombinieren. (Abb.: Kreisarchiv Paderborn) ähnlich. Am 10. April 1803 wurde die Einteilung in die drei zulänglichkeiten von Staat und Verwaltung in Preußen Kreise Paderborn, Brakel und Warburg bekannt gegeben. offengelegt. Im Augenblick der Niederlage öffnete sich Die Landräte wurden jedoch nicht ernannt, sondern am gewissermaßen ein Zeitfenster und für einen kurzen Mo- Die ursprünglich auf die Mark Brandenburg beschränkte entsprechend“2 offiziell abgesondert, gehörte faktisch aber 19. April 1803 durch die alten Landstände gewählt. Die ment gewannen die Reformer in Bürokratie und Militär die Einrichtung der Kreise und Landräte wurde nach und zum Kreis Hamm. In einer „Instruction“ vom 6. Februar 1753 drei Kandidaten hatten außerdem Probearbeiten vorzu- Oberhand über die konservativ-restaurativen Kräfte. Der nach auf die übrigen preußisch-brandenburgischen wurden die Aufgaben und Kompetenzen für die „Clev- legen, der Paderborner Landrat Maximilian von Elverfeldt Zwang zu Veränderungen ergab sich nicht zuletzt auch von Provinzen ausgedehnt. Auch in den preußischen Westterri- Märkischen Land Räthe“ festgelegt. Der Landrat wurde beispielsweise musste sich mit der – heute überaus aktuell daher, dass in den Rheinbundstaaten zahlreiche Neuerun- torien ging die Einführung des Landratsamtes schrittweise außerdem mit Unterbeamten ausgestattet, dem „Kreis- klingenden – Frage „Wie ist die Bevölkerung im Erbfürsten- gen nach französischem Vorbild umgesetzt wurden. Die vonstatten. In Minden gab es bereits vor der Inbesitznahme calculator“ bzw. Kreisschreiber sowie dem „Kreisausreuter“ tum Paderborn zu befördern und die Entvölkerung zu ver- Reformen in Preußen sind unauslöschlich mit den Namen durch Brandenburg Landräte, die aber mit der preußischen als polizeilichem Exekutivorgan. Das neugeschaffene hindern?“6 auseinandersetzen. Die Tätigkeit der Landräte Hardenberg und Stein verbunden. Karl vom und zum Stein Institution lediglich den Namen gemein hatten, da es sich Institut der Landräte entwickelte sich jedoch im „wilden im Paderborner Land begann mit dem 1. Dezember 1803. leitete vom Oktober 1807 bis zum November 1808 nur um ein landständisches Organ handelte. Hier – wie auch Westen“ Preußens keineswegs zu einem Erfolgsmodell. Die dienstlichen Obliegenheiten waren in Münster wie etwas mehr als ein Jahr die preußische Politik. In dieser in den Grafschaften Ravensberg, Tecklenburg und Lingen Zwar stellten die angesessenen Rittergutsbesitzer in der Paderborn durch separate Instruktionen geregelt. kurzen Zeit wurden einige bedeutende Reformvorhaben – wurden zwar 1734 bei der Neuorganisation und Straf- Hauptsache die Funktionsträger, gleichwohl entfaltete das auf den Weg gebracht, darunter die gleichsam als „Magna fung der unteren Verwaltungsstrukturen die alten Ämter Amt für den einheimischen Adel kaum Anziehungskraft. Der Zeit zu weit voraus – Die preußischen Reformen Charta“ deutscher Kommunalpolitik geltende Städteord- ernannten Landräten unterstellt, landrätliche Kreise im Zu sehr wurde die Einrichtung als Eingriff in alte ständi- nung. Karl August von Hardenberg wirkte zwar ab 1810 eigentlichen Sinne sind daraus jedoch nicht entstanden. sche Gewohnheiten und Herrschaftsrechte angesehen. Große Wirksamkeit konnte die neugeschaffene Behör- länger als ein Jahrzehnt als Staatskanzler, konnte aber das Nach ersten Anläufen unter Friedrich Wilhelm I. kam es Zumeist überließen die Landräte die täglichen Verwal- denstruktur jedoch nicht entfalten, da sich Preußen nach Reformwerk nur teilweise fortführen. Spätestens mit sei- in Kleve-Mark – allerdings ohne Moers und Geldern – erst tungsgeschäfte ihren Kreisschreibern, die sich einem zeit- der katastrophalen Niederlage gegen Frankreich in der nem Tod 1822 war die Reformära beendet. Ihren „Nimbus 1753 zur Installation von Kreisen und Landräten. genössischen Bericht zufolge wie „kleine Landesregenten Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober der Einzigartigkeit“7 haben die mit Stein und Hardenberg Der preußische Besitz am Niederrhein wurde in die Kreise über den müheseligen Bauern“3 aufführten. Mit einer 1806 und dem demütigenden Frieden von Tilsit am 9. Juli verbundenen Umgestaltungen inzwischen allerdings in dem Kleve, Emmerich und Wesel, die alte Grafschaft Mark in erneuerten Instruktion suchte die Regierung 1764 die 1807 vollständig aus dem Westen Deutschlands zurück- Maße eingebüßt, in welchem die Bedeutung der rheinbün- die Kreise Hamm, Hörde, Altena und Wetter gegliedert. Landräte zu energischerer Tätigkeit anzuhalten. ziehen musste. Unter dem Druck Napoleons schlossen dischen Reformen erkannt worden ist. Das Gebiet der Stadt Soest blieb „altem Herkommen sich die süd- und westdeutschen Fürsten zum Rheinbund 14 15
Gemessen an den Zielen waren die Erfolge der Refor- Dass eine umfassende Reorganisation von Kreisverfas- Hardenbergs spätere Vorstöße verfielen der Ablehnung.11 mer eher bescheiden, und zwar sowohl in Preußen wie im sung und -verwaltung ein zentraler Bestandteil des gesam- Die große Chance der Reformzeit, durch Einführung der Rheinbund. Aber auch wenn hier wie dort vieles in Ansät- ten Reformwerks war, darin waren sich Stein und seine Selbstverwaltung in Provinzen, Kreisen und Kommunen die zen stecken und manches angesichts großer Widerstände Mitstreiter einig. Die umfangreichen Vorarbeiten mündeten Bürger einzubeziehen, verstrich ungenutzt. und Gegenkräfte ganz auf der Strecke blieb, war doch das in einen auf Staatsminister Leopold von Schroetter zurück- Tor zur Modernisierung von Staat, Wirtschaft und Gesell- gehenden, nicht weniger als 158 „Nummern“ umfassen- Stadt, Land, Fluss – Die Einteilung der Kreise 1816 schaft aufgestoßen und der Weg in eine bürgerlich-moder- den Entwurf einer Kreisordnung vom 13. Oktober 1808. ne Gesellschaftsordnung bereitet. Die bleibende Bedeu- Demnach stand an der Spitze eines Kreises ein königlicher Nach der Niederlage Frankreichs in der Völkerschlacht bei tung der preußischen Reformer manifestiert sich vor allem Verwaltungsbeamter. Dieser Landrat sollte die Kreisverwal- Leipzig im Oktober 1813 brach das napoleonische Herr- in zwei Bereichen: Zum einen in der Reform der obersten tung führen, teils selbständig, teils im Zusammenwirken mit schaftssystem wie ein Kartenhaus zusammen. Die nachrü- Staatsverwaltungsorgane, indem an die Stelle der unüber- Kreisdeputierten. Die Kreise selbst sollten in Distrikte mit ckenden Preußen richteten zunächst Übergangsbehörden sichtlichen, teils sach-, teils provinzbezogenen Behörden je 8000 Einwohnern unterteilt werden, an deren Spitze die ein, da über das weitere Schicksal der besetzten Länder ein nach dem Ressortprinzip gegliedertes Staatsministe- Kreisdeputierten – eingesessene Grundbesitzer – standen, noch nicht entschieden war. Allerdings wurden per Feder- rium trat, zum anderen sollte vor allem die Idee der land- die vom Kreistag den obersten Landesbehörden zur Bestä- strich die französischen Amtsbezeichnungen ins Deutsche schaftlichen und kommunalen Selbstverwaltung langfristige tigung präsentiert werden sollten. Der Kreistag setzte sich übertragen und somit die Maires zu Bürgermeistern, die Wirksamkeit entfalten. aus gewählten Mitgliedern zusammen. Den Vorsitz über die Unterpräfekten zu Landräten oder Kreisdirektoren umde- Kreisversammlung und die Ausführung seiner Beschlüsse klariert. Europa wurde nach dem Sturz Napoleons auf dem Die Veränderung von Verwaltungs- und Staatsstruktur hat- übernahm ein Kreisdirektor, der aus den Reihen des Kreis- Wiener Kongress neu geordnet. Durch die Schlussakte te für die Reformkräfte besondere Bedeutung. Stein, der tags zu wählen war. Der Landrat sollte dem Kreistag nicht vom 8. Juni 1815 erhielt Preußen nun definitiv das Rhein- sein Programm im Juni 1807 in der berühmten „Nassauer angehören, ihm als königlicher Kommissar allerdings land und Westfalen zugesprochen. Dabei war die West- Denkschrift“ artikulierte, wollte auf Provinzial-, Kreis- und beiwohnen und die Kreistagsbeschlüsse genehmigen. erweiterung keineswegs Ergebnis zielorientierter Politik, Gemeindeebene staatliche Bürokratie und Selbstverwal- vielmehr betrachtete Berlin die westlichen Territorien zeit- tung kombinieren. Er bezog sich dabei – seine langjährigen Steins Rücktritt beendete die Diskussion um eine Kreisre- weilig als Kompensationsmasse für anderweitige Gebiets- rheinisch-westfälischen Erfahrungen übertragend – in form keineswegs. Am 30. Juli 1812 brachte Hardenberg arrondierungen. Allerdings konnte man sich im Konzert der erster Linie auf Vorbilder der älteren Ständeverfassung. In das „Edikt wegen Einrichtung der Kreisdirektorien und der Großmächte nicht durchsetzen, die in einem starken der ständischen Mitwirkung erblickte er ein stabilisierendes Gendarmerie“ auf den Weg, ausgearbeitet von seinem Ver- Hohenzollernstaat ein stabilisierendes Element inner- und belebendes Element des Staatswesens. Sein zentrales trauten Christian Friedrich Scharnweber. Das sogenannte halb einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur Anliegen mündete in das politisch-pädagogische Credo von Gendarmerie-Edikt sah – neben der Errichtung einer Land- erblickten. Die Grundlage für den späteren Aufstieg zur der „Belebung des Gemeingeistes und des Bürgersinns“ gendarmerie nach französischem Vorbild – eine Aufteilung Das sogenannte „Gendarmerie-Edikt“ vom 30. Juli 1812 sah eine Aufteilung Preußens in Kreise Großmacht entstand also eher zufällig, denn dass sich vor, die teils Kommunalverbände, teils staatliche Verwaltungsbezirke waren. Der Landadel lief durch die „Teilnahme der Eigentümer an der Provinzial-Ver- des gesamten Königreichs in „geographisch abgerundete Sturm gegen die neue Kreisordnung, deren Vollzug dann tatsächlich ausgesetzt wurde. Rheinland-Westfalen schon bald zur ökonomisch bedeu- waltung“.8 Alle drei Stände – Adel, Bürger und Bauern – möglichst gleiche“ Kreise vor, die sich auf Stadt und Land tendsten Region Preußens entwickeln würde, konnte zu sollten in den Selbstverwaltungskörperschaften von den erstreckten und lediglich die größeren Städte als eigene diesem Zeitpunkt schließlich niemand ahnen. Gemeinden über die Kreise bis hin zur Provinz vertreten Kreise ausnahmen. Die Kreise waren teils Kommunalver- sein. Hardenberg wollte zwar ebenfalls Nation und Selbst- bände, teils staatliche Verwaltungsbezirke. Als Kommu- Praktisch gleichzeitig mit der Inbesitznahme wurden mit verwaltung zusammenbringen, er verfolgte aber in seiner nalverbände sollten sie überall da eintreten, „wo die Be- Rechte der Gutsherren wurden eingeschränkt. Der Land- der „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der „Rigaer Denkschrift“ vom September 1807 einen anderen, friedigung der Bedürfnisse der öffentlichen Sozietät über adel lief Sturm gegen die neue Kreisordnung, die ja in Provinzialbehörden“ die Grundlagen für eine einheitliche einen moderneren Ansatz, indem er für eine „Revolution die Kräfte der Gemeinden hinausgeht, oder ein höheres der Tat einen tiefgreifenden Angriff auf seine Privilegien Neuorganisation der Verwaltung gelegt. Der preußische im guten Sinne“ plädierte und die Umsetzung „demokra- mehr in das Staatsverhältnis eingreifendes Interesse zu bedeutete. Selbst Stein mochte sich mit den neuen Be- Staat wurde in zehn Provinzen eingeteilt, diese wiederum tische[r] Grundsätze in einer monarchischen Regierung“ gewahren ist“.10 An der Kreisspitze stand nicht mehr der stimmungen nicht anfreunden. Obwohl Hardenberg scharf in Regierungsbezirke. Die von Friedrich Wilhelm III. am einforderte. Nach seiner Vorstellung „würden die Kommu- adlige Landrat, sondern ein ernannter Kreisdirektor mit gegen die Wortführer der Opposition vorging, wuchs der 30. April 1815 in Wien unterzeichnete, allerdings erst am nitätsverwaltungen und Obrigkeiten bloß aus Gewählten weitreichenden Vollmachten. Als Vertreter der Bevölkerung Widerstand. Zugleich schwand der Einfluss der Reform- 8. Juli publizierte Verordnung gilt als „Geburtsurkunde“ bestehen; den Kreisvorstehern, den Verwaltungskammern, kamen sechs gewählte Kreisdeputierte hinzu, je zwei aus kräfte in Preußen nach dem Sieg über Napoleon zuse- der zunächst drei preußischen Westprovinzen. Die Provinz dem Ministerium neben dem König selbst würden Reprä- den Städten, den Landgemeinden und den Rittergutsbe- hends. Und tatsächlich ordnete Friedrich Wilhelm III. per Großherzogtum Niederrhein umfasste die Regierungsbe- sentanten beigegeben.“ Die Vorsteher der Kreise sollten sitzern, die die Kommunalangelegenheiten unter Aufsicht Kabinettsorder am 19. Mai 1814 eine nochmalige Prüfung zirke Koblenz, Trier und Aachen, die Provinz Jülich-Kleve- künftig nicht mehr aus dem Adel gewählt, sondern vom und unmittelbarer Leitung der Staatsbehörden erledigten. des Edikts an. Damit war die Kreisreform praktisch ge- Berg die Regierungsbezirke Köln, Düsseldorf und Kleve; König ernannt werden, und zwar „ohne Rücksicht auf den Überdies wurden die Patrimonialgerichte des Adels durch scheitert, lediglich die auf die Errichtung der Gendarmerie beide Provinzen wurden durch Kabinettsorder vom 27. Juni Stand“.9 die staatliche Gerichtsbarkeit ersetzt, auch die polizeilichen bezüglichen Teile des Edikts wurden umgesetzt. Auch 1822 zur Rheinprovinz vereinigt. 16 17
Stein wie Hardenberg vorgesehene neuartige Form der ab und legte den Entwurf anschließend den Ministerien Kreise, die sich gleichmäßig über Stadt- und Landgemein- des Innern und der Finanzen vor. Mit der Veröffentlichung den erstreckten, wurde auf den Gesamtstaat übertragen. im Amtsblatt am 10. August 1816 erlangte dann die neue An der Spitze eines jeden Kreises sollte ein Landrat als Einteilung in zehn landrätliche Kreise ihre Wirksamkeit. Der Organ zur Vollziehung der Regierungsverfügungen stehen. Bekanntmachung schloss sich eine weitere an, in der „die Der Gesetzgeber behielt sich aber die Organisation der zur Wahrnehmung der Landraths-Stellen angeordneten Landratsämter und eine Instruktion für die Landräte aus- landräthlichen Commissarien, ingleichen die Kreis-Secre- drücklich vor. taire und Kreis-Copisten“ der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht wurden. Die Regierung Minden gab zum 18. Ok- Am 3. Juli 1815 erließ Staatskanzler Hardenberg eine Aus- tober 1816 die Einteilung ihres Sprengels in zwölf Kreise führungsverordnung mit konkreten Vorgaben zur Kreis- bekannt, die Namen der kommissarischen Landräte waren Die im Juli 1815 publizierte „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung einteilung, die „mit der sorgfältigsten Schonung bestehen- bereits eine Woche zuvor publiziert worden. Beide, Kreise der Provinzialbehörden“ regelte nicht nur die Neuordnung der Provinzen und Regierungsbezirke, sondern auch die der unteren Verwaltungsbezirke. der Verhältnisse“ vorrangig unter Berücksichtigung alter wie Landräte, nahmen zum 1. November ihre Tätigkeit auf. Die Einteilung der Kreise sollte nach einer Vorgabe von Staatskanzler Hardenberg vorrangig unter Berücksichtigung alter Territorialgrenzen Territorialgrenzen und unter Beachtung wirtschaftlicher und Am 6. Oktober 1816 legte auch die Regierung in Arns- und unter Beachtung wirtschaftlicher und kulturräumlicher Zusammen- kulturräumlicher Zusammenhänge gebildet werden sollten: berg einen Plan zur Einteilung in zwölf Kreise vor, der von hänge erfolgen. „Es ist sehr zu wünschen, daß die Kreise, was Flächen- Friedrich Wilhelm III. genehmigt wurde und zum 1. Januar raum und geographische Lage betriff, so gebildet werden, 1817 in Wirksamkeit trat. Mit der Zuordnung der beiden daß Niemand leicht weiter als zwei bis drei Meilen“, also Kreise Siegen und Wittgenstein am 1. Juni gleichen Jahres 15 bis 20 Kilometer, „zum Sitz der Kreisbehörde hat, und war die Kreiseinteilung auch im Regierungsbezirk Arnsberg also, ohne auswärts zu übernachten, seine Geschäfte bei abgeschlossen. derselben abmachen kann. Eben so ist sehr zu wünschen, daß in Rücksicht der Bevölkerung die Kreise, auch in sehr In den drei preußischen Westprovinzen sind 1816 insge- bevölkerten Gegenden, nicht leicht über 36000 Einwohner samt 101 landrätliche Kreise entstanden, umgerechnet auf enthalten, in unbevölkerten, aber doch auch nicht leicht das heutige Nordrhein-Westfalen 74. Vor allem im Rhein- unter 20000 Menschen umfassen.“14 Mit der praktischen land sind diese Verwaltungsräume in der Folge mehrfach Umsetzung der territorialen Aufteilung wie auch der Aus- verändert worden. Hier hatten die mangelnden Ortskennt- wahl des Personals wurden Organisationskommissare der nisse der Organisationskommissare, vor allem aber die Eile, neuen Bezirksregierungen beauftragt. mit der diese ihre Vorschläge ausarbeiten und einreichen mussten, „Unvollkommenheiten zur unvermeidlichen Fol- Die Provinz Westfalen erhielt drei Regierungsbezirke, der einzelnen Landesteile erst nach und nach erfolgen In beiden Rheinprovinzen kam die Kreiseinteilung ver- ge“.16 Und so wurden in den Provinzen Großherzogtum Nie- und zwar Münster, Minden und Hamm bzw. Arnsberg; ih- konnte, war es überhaupt nicht möglich, die preußische Be- gleichsweise rasch zum Abschluss. Durch königliche derrhein und Jülich-Kleve-Berg schon in den allernächsten ren endgültigen Zuschnitt erhielt die Provinz, nachdem hördenverfassung sofort und gleichmäßig einzuführen. So Verfügung vom 20. April 1816 entstanden – einschließlich Jahren nicht weniger als 22 Kreise zusammengelegt. In das Herzogtum Westfalen und die beiden Grafschaften endete die Übergangsverwaltung erst mehr als zwei Jahre der Stadtkreise – im Regierungsbezirk Köln zwölf, im Re- Westfalen waren dagegen weniger Nachbesserungen not- Wittgenstein am 15. Juli 1816 vom Großherzogtum Hes- nach dem Abzug der Franzosen. Im Rheinland nahmen die gierungsbezirk Düsseldorf elf, im Regierungsbezirk Kleve wendig. Lediglich im Regierungsbezirk Arnsberg kam es sen-Darmstadt an Preußen abgetreten worden waren. Oberpräsidenten und Regierungen am 22. April 1816 ihre sechs, im Regierungsbezirk Aachen zwölf, im Regierungs- 1819 zu größeren Umgestaltungen, da man, insbesondere Beide Provinzen, das Rheinland ebenso wie Westfalen, Tätigkeit auf, die Westfalen folgten am 1. August. bezirk Koblenz 15 und im Regierungsbezirk Trier elf Kreise. im Sauerland, die topographischen Gegebenheiten und waren „Kunstgebilde“ und vereinigten zahlreiche ehemals Bereits zwei Tage später nahmen die Kreisverwaltungen – die damaligen Verkehrsverbindungen nur unzureichend eigenständige Territorien mit höchst unterschiedlichen poli- Die „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Pro- zeitgleich mit den beiden Oberpräsidenten und den sechs berücksichtigt hatte. Den Zusammenlegungen und Grenz- tischen, wirtschaftlichen und konfessionellen Verhältnissen. vinzialbehörden“ vom 30. April 1815 regelte aber nicht nur Bezirksregierungen – ihre Tätigkeit auf. In der Provinz korrekturen sind dann erst in der zweiten Jahrhunderthälfte Die Integration der Westprovinzen stellte eine schwierige die Neuordnung der Provinzen und Regierungsbezirke, Westfalen wurden zunächst 34 Kreise eingerichtet. Hier aufgrund von Urbanisierung und Industrialisierung zahlrei- Aufgabe dar, war doch der Staat Preußen „grundverschie- sondern auch die der unteren Verwaltungsbehörden: „Je- ließ man sich mehr Zeit. Die Regierung Münster beispiels- che Teilungen gefolgt. den von den Ländern am Rhein.“12 Da die Inbesitznahme der Regierungsbezirk wird in Kreise eingetheilt.“13 Die von weise schloss erst Anfang August 1816 ihre Vorarbeiten 18 19
Über Aktivitäten und Leistungen der ersten rheinisch-westfälischen Landräte ist wenig bekannt. Georg von dem Bussche-Münch (1791-1874) war 26 Jahre alt, als er 1817 sein Georg Bärsch (1778-1866) hatte in den „Befreiungskriegen“ im Freikorps Schill gekämpft. Nach Joseph von Hartmann (1780-1859) war erster Landrat des Kreises Büren. Er entstammte einer Zu den herausragenden Persönlichkeiten zählt zweifellos der erste Landrat des Kreises Coesfeld, Amt im Kreis Rahden (Lübbecke) antrat. Die Dienstgeschäfte erledigte er von 1816 war er als Landrat in den Kreisen Lechenich, Solingen und Prüm tätig. 1856 veröffentlichte alten, 1803 in den Adelsstand erhobenen Paderborner Beamtenfamilie. (Abb.: Kreisarchiv Pader- Clemens von Bönninghausen (1785-1864), der allerdings weniger als Verwaltungsbeamter denn seinem Gut Benkhausen aus. (Abb.: Kommunalarchiv Minden) er „Erinnerungen aus meinem vielbewegten Leben“. (Abb.: M. Rolef) born) als Botaniker und Arzt Bekanntheit erlangte. (Abb.: Kreisarchiv Coesfeld) Diener des Königs – Der preußische Landrat Da über Bildung und Befugnisse der Kreisstände aber noch nicht entschieden war, kam deren Mitwirkung an den Wahl und Anstellung der Landräte waren in der „Verord- Stellenbesetzungen im Westen der Monarchie zunächst Die definitiven Ernennungen erfolgten in der Regel nach der Landräte hatten durch eine Laufbahn beim Militär oder nung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehör- nicht zum Tragen. Bei der Erstanstellung 1816 galten kürzerer Bewährungszeit, mit wenigen Ausnahmen: Die bei der Gendarmerie an höherer Stelle auf sich aufmerk- den“ ausdrücklich offengeblieben. Durch Kabinettsorder somit noch andere Bedingungen, da, wie es in besagter Landräte im Westmünsterland erhielten teils erst 1827 ihre sam gemacht. Zu diesen zum Landrat umfunktionierten vom 11. Juni 1816 bestimmte Friedrich Wilhelm III. Kabinettsorder hieß, „bei der jetzigen ersten Organisation endgültige Bestallung – nach der endgültigen Feststellung Offizieren gehörte beispielsweise auch der erste Landrat anknüpfend an die altpreußische Praxis, dass der Landrat der Kreisbehörden in den alten und neuen Provinzen nicht der Sonderrechte der in den Kreisen ansässigen mediati- des Kreises Jülich, Carl von Bülow, ein stockpreußischer als staatlicher Beamter künftig durch die Kreisstände überall ein zum Landrat völlig qualifizierter, mit der Ver- sierten Standesherren. Protestant, dem „das Rheinland lebenslang fremd bleiben aus der Mitte der Rittergutsbesitzer zu wählen sei. fassung genau bekannter Gutsbesitzer anzutreffen sein sollte.“21 Der Anteil der Landräte bürgerlicher Abkunft Zu diesem Zweck sollten die Kreisstände der Regierung dürfte“.18 Deshalb gestattete der König, dass für den Über- Die 1816 ernannten Landräte waren im Durchschnitt – oftmals Abkommen alter Beamten- und Juristenfami- drei geeignete Bewerber vorschlagen; auf den Bericht gang auch versorgungsberechtigte Militärpersonen oder knapp über vierzig Jahre alt, der älteste war Clemens lien – betrug ziemlich genau ein Drittel, wobei regionale der Ministerien des Innern und der Finanzen ernannte der bewährte Verwaltungsbeamte ohne förmliches Verfahren August von Syberg, der als 62-jähriger sein Amt im Kreis Unterschiede ins Auge fallen: Im Regierungsbezirk Arns- König schließlich einen der Vorgeschlagenen zum Landrat. zu Landräten bestellt werden konnten. In der ersten Deka- Gemünd antrat, mit 26 Jahren war Georg von dem Bus- berg war das Verhältnis zwischen Adligen und Bürgerlichen Die preußische Landaristokratie hatte sich also mit ihren de wurden von der Staatsregierung überwiegend Beamte sche-Münch im Kreis Rahden der jüngste.20 Schaut man sogar fast ausgeglichen. Nur etwa die Hälfte der ersten rückwärtsgewandten Vorstellungen durchsetzen können, berufen, die in den Kreisen beheimatet waren und sich mit sich die Biografien der zwischen 1816 und 1826 im Rhein- Landräte-Generation war katholisch, was dem Anteil der war es ihr mit dieser Regelung doch tatsächlich gelungen, den lokalen Verhältnissen gut auskannten. Alle Anstellun- land und in Westfalen wirkenden Landräte – insgesamt 98 katholischen Bevölkerung im Rheinland und in Westfalen „zwischen den staatlichen Behörden und den sozialen gen geschahen zunächst provisorisch. Ein „Anspruch auf Personen – näher an, so wird deutlich, dass etwa zwei Drit- nicht annähernd entsprach. Die evangelischen Landräte Alltag der städtischen und ländlichen Gesellschaft … einen die künftige Beibehaltung als Landrat“19 könne daraus tel auf langjährige Erfahrungen in Justiz und Verwaltung wurden in katholischen Regionen nicht mit offenen Armen quasiständischen Schirm einzuziehen“.17 nicht abgeleitet werden, wie dem kommissarischen Landrat zurückblicken konnten. Mehr als die Hälfte der Landräte aufgenommen. des Kreises Halle, Maximilian von Korff-Schmising-Kerßen- hatte sogar studiert, in den allermeisten Fällen Rechts-, brock, unmissverständlich mitgeteilt wurde. Kameral- oder Staatswissenschaften. Gut 15 Prozent 20 21
David Wiethaus (1768-1854) war – wie mancher seiner Amtskollegen – Diener mehrerer Herren: Er wurde 1804 zum Kriegs- und Domänenrat in Hamm ernannt, avancierte 1809 zum Unterpräfekt des Arrondissements Hamm und fungierte anschließend von 1816 bis 1836 als preußischer Landrat in Hamm. (Abb.: Kreisarchiv Unna) Bärsch sein gut einjähriges Zwischenspiel im Kreis Zucht wirken und sich um das Schulwesen kümmern. Sie beklagte vor allem die dürftige Personalausstattung der Lechenich mit den Worten: „Die Stelle des Landraths ist sollten sich ferner um Gewerbe und Landwirtschaft sorgen, Landratsämter, auch wollte er aus allen Steuerangelegen- gewiß die angenehmste in der Verwaltung.“23 Von den übri- die Infrastruktur verbessern und Wirtschaftsförderung be- heiten möglichst herausgehalten werden, da es ihm sonst gen Bediensteten in den Landratsämtern sind bestenfalls treiben. Zu ihrem Aufgabenbereich gehörte das Geschäft unmöglich sei, „das Vertrauen der Kreis-Einwohner zu ge- die Namen bekannt. Gelegentlich sind aber auch bei den der Rekrutenaushebung ebenso wie die Mitwirkung bei winnen und dadurch wohltätig auf das Ganze zu wirken.“29 Kreissekretären Karrieren zu beobachten: Alexander der Feststellung der Steuern und Erledigung von Steuerre- Obwohl die Instruktion vom Dezember 1816 niemals die Brandis, über viele Jahre zweiter Mann im Paderborner klamationen. Der vorläufige Charakter der Dienstvorschrift königliche Bestätigung erhalten hat, sollte sie sich in Er- Landratsamt, erhielt 1820 seine Ernennung zum Stadt- kam in Paragraf 14 zum Ausdruck, in welchem die Bildung mangelung einer endgültigen Bestimmung zum „Leitbild für direktor der Kreisstadt. von Kreisständen und die Bestellung von Kreisdeputierten die Handhabung der Verwaltungskunst“30 entwickeln, und besonderer Bestimmung vorbehalten blieb. Der Landrat zwar mindestens bis zum Erlass der provinziellen Kreisord- Zu dem Zeitpunkt, als die Kreise eingerichtet wurden konnte seine Dienstgeschäfte von seinem Gut aus erledi- nungen nach 1872. An einer bürokratischen Ausgestaltung und die landrätlichen Kommissare ihr Amt antraten, war gen, musste dann aber in der Kreisstadt ein Büro unterhal- des Landratsamtes war ohnedies niemandem gelegen. überhaupt nicht klar, nach welchen Ordnungen die Kreis- ten und dort regelmäßig Sprechstunden abhalten. Die vor- „Die beste Instruktion für die Landräte“, so der langjährige verwaltung vonstattengehen sollte. Den Landräten wur- gesehene Ausstattung des landrätlichen Geschäftslokals Landrat und nachmalige preußische Finanzminister Fried- Über Aktivitäten und Leistungen der rheinisch- de lediglich mitgeteilt, dass man „zu seiner Zeit“24 eine war ausgesprochen bescheiden.27 Die Instruktion bestimm- rich von Motz 1823 in einer Denkschrift, „bleibt immer die, westfälischen Landräte der „Pionierzeit“ weiß man Dienstanweisung erteilen werde. Darüber hinaus empfahl te als weitere Kreisbeamte die Bestellung eines Kreisse- recht viele gute Dinge mit so wenigen Akten als möglich zu insgesamt recht wenig. Es gibt einige wenige herausra- man „fleißiges Studium der Gesetzgebung, welches bei den kretärs, eines Kreisboten, eines Kreiskassenrendanten, bei tun, die Sache ins Leben zu führen und nicht im Papier zu gende Persönlichkeiten wie etwa Clemens von Bönning- ausführlichsten Instructionen immer ein wesentliches und größeren Kreisen auch die eines Kassenkontrolleurs; als begraben.“31 hausen, der allerdings weniger als Verwaltungsbeamter hauptsächliches Erfordernis bleibt“.25 Gesundheitsbeamte sollten ein Kreisphysikus und ein im Kreis Coesfeld denn als Arzt und Botaniker von sich Kreischirurgus für jeden Kreis bestellt werden. Der allum- Auch wenn sich ein konkretes „Gründungsdatum“ nicht reden machte, oder Ernst von Bodelschwingh, der nach Am 31. Dezember 1816 wurde den Bezirksregierungen fassenden Zuständigkeit der Landräte entsprach die dürfti- festmachen lässt, ist zumindest die Kreiseinteilung in seiner Station als Landrat in Tecklenburg von 1822 bis dann auf dem Dienstweg der Entwurf einer „Instruktion für ge personelle und technische Ausstattung in keiner Weise. Rheinland-Westfalen Ende 1816 abgeschlossen. 1831 zum Finanz- und Innenminister aufstieg.22 Karrieren die Landräte und die ihnen untergeordneten Kreisoffizi- Die damals geschaffenen gebietlichen Strukturen entwi- dieser Art blieben aber die Ausnahme. Bemerkenswert anten“ zugeleitet. Dieser insgesamt 56 Paragrafen umfas- Die Dienstinstruktion vom 31. Dezember 1816 wurde an ckelten vor allen Dingen in den eher ländlich geprägten sind die nicht selten langen Dienstzeiten, teilweise über alle sende Entwurf regelte die Ausbildungsanforderungen, den die Bezirksregierungen versandt mit der Maßgabe, sie den Regionen eine bemerkenswerte Beständigkeit und reich- politischen Zäsuren hinweg. Heinrich Wilhelm von Holtz- Rang, die Aufsichtsbefugnisse und die Amtsausstattung Landräten als vorläufige Anweisung vorzugeben. Nach ten als Identitätsraum nicht selten über die kommunale brinck beispielsweise übernahm 1790 die Verwaltung des des Landrats, er enthielt eine allgemeine Dienstordnung Ablauf eines halben Jahres sollten Landräte und Regie- Neugliederung der 1970er-Jahre hinaus. Die Kreise waren märkischen Landratsamts Altena, avancierte 1809 zum und Vorschriften über die besonderen Dienstverpflich- rungen zum Entwurf Stellung nehmen. Es gab von Beginn aber zunächst rein staatliche Verwaltungsbezirke, der Land- Unterpräfekten des Arrondissements Hagen und erhielt tungen. Demnach war der Landrat Organ der staatlichen an starke Bedenken. Die Oberpräsidenten sprachen sich rat war Staatsbeamter. Es gab keine Kreisverfassung und im Januar 1817 seine neuerliche Ernennung zum Altenaer Verwaltung. „Die Landräte“, so heißt es weiter, „haben auf einer Zusammenkunft in Berlin am 18. April 1817 ent- auch keinerlei Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung Landrat. Maximilian von Elverfeldt war zunächst Domherr in gegen die Kreiseingesessenen Glimpf, Bescheidenheit und schieden gegen die Instruktion aus, sie vermissten Klarheit bei der Verwaltung des Kreises. Von einem kommunalen Paderborn, dann von 1803 bis 1806 preußischer Landrat, Geduld, aber auch – wo die Pflicht es erheischt – Ernst und Bestimmtheit, man erhalte im Westen, wo Landräte Leben im Kreis, ganz zu schweigen von einer kommunalen von 1807 bis 1813 westphälischer Unterpräfekt und von zu beweisen, sich überall rechtschaffen zu benehmen, unbekannt seien, keinen Begriff von deren Wirkungskrei- Selbstverwaltung, konnte bei seiner Einrichtung nicht 1816 bis 1830 erneut Landrat in Paderborn. Dass Landrä- tätig und überlegt zu handeln, auf alles, was in ihrem Kreis sen.28 Auch die Regierung in Minden äußerte Vorbehalte gesprochen werden. Die reformorientierten Kräfte hatten te mehr als zwanzig oder dreißig Jahre an einem Ort tätig vorgeht, acht zu haben, sich von allem und jedem Notiz zu gegen den Entwurf, den sie den Landräten gar nicht erst sich mit ihren zukunftweisenden Vorstellungen nicht durch- waren, war keineswegs die Ausnahme; die 41 Dienstjahre verschaffen, dazu die ohnehin nach der Natur der Geschäf- zur Begutachtung weitergereicht hatte. Auf Anweisung setzen können. Ganz umsonst waren die Bemühungen von Emil August von Bernuth aus dem Kreis Lennep ragen te vorkommenden Reisen im Kreise fleißig zu nutzen und des Innenministers musste die Dienstanweisung aber An- freilich nicht: Viele ihrer Denkanstöße wurden Jahrzehnte allerdings deutlich heraus. Mit Peter Eberhard Müllensiefen sich dadurch des in sie gesetzten vorzüglichen Vertrauens fang 1818 dann doch einigen ausgewählten, besonders später aufgegriffen und fanden Eingang in die Kreisord- und Georg Bärsch haben immerhin zwei Landräte autobio- wert zu erhalten.“26 Die Landräte sollten bei den unteren erfahrenen Landräten zur Stellungnahme zugesandt wer- nung von 1872. grafische Aufzeichnungen hinterlassen. So resümierte Bevölkerungsklassen für sittliche Besserung und kirchliche den. Der Paderborner Landrat Maximilian von Elverfeldt 22 23
Der Kreistag: werden, damit der Großgrundbesitz einschließlich der Rit- Organisation, Zusammensetzung und Tätigkeit tergutbesitzer fünf Vertreter erhielt.“12 Der Kreistag Soest hatte beispielsweise 1829 insgesamt Das neue Organ „Kreistag“ hatte den Zweck, die „Kreis- 19 Abgeordnete. Davon stammten aus dem ersten Stand verwaltung des Landrates in Kommunal-Angelegenheiten zehn Abgeordnete,13 aus dem zweiten Stand drei Abgeord- zu begleiten und zu unterstützen“.4 Damit konnten die nete und aus dem dritten Stand sechs Abgeordnete. Die Landratsämter erstmals offiziell die den Kreis betreffenden ständische Besetzung war nicht unumstritten, da die Be- Kommunalangelegenheiten wahrnehmen.5 Gleichzeitig fähigung für das Amt an Grundeigentum gebunden war.14 sollte der Kreistag bei der Umsetzung der Staatsaufgaben Im Kreis Höxter wurde deshalb in den 1840er-Jahren von behilflich sein.6 Der Kreisversammlung wurde ebenfalls das den Kandidaten das Ehrenwort verlangt, dass ihr Besitz Recht auf Mitwirkung bei der Besetzung der Landratsstelle im Kreis kein „Scheinbesitz“ sei, um sich den Abgeordne- zugestanden. Sie konnte drei Kandidaten benennen. tenstatus zu erschleichen.15 Die Rheinländer lehnten den Die Kreistage waren ständisch besetzt. „Jeder Kreistag durch Adel und Grundbesitz begünstigten Stand ab,16 da setzte sich aus drei Ständen, welche die Besitzmassen dies dem Rheinischen Recht widersprach, das als wichtig- Großgrundbesitz, Kleingrundbesitz und Kapitalbesitz re- stes Prinzip die staatsbürgerliche Gleichheit vor dem präsentierten“7 zusammen. Der erste Stand bestand in Gesetz zu Grunde legte. Obwohl auch Preußen durch Westfalen und im Rheinland aus den Besitzern „der im neue Steuer-, Agrar- und Gewerbegesetzgebungen Kreis gelegenen ehemals reichsunmittelbaren Landesteile, Rahmenbedingungen für eine moderne Gesellschaft auf welche auf die nach der Verordnung vom 30. Mai 1820 den Weg gebracht hatte, wurde – trotz der Angreifbarkeit ihnen zustehenden Regierungsrechte verzichtet hatten, dieses Systems – auf die alten Strukturen der Stände und auf dem Provinziallandtage im Stande der Fürsten und gebaut. Herren mit einer Virilstimme Beliehenen, sowie aus den Die Wahl der Kandidaten zum Kreistag erfolgte auf sechs Rittergutbesitzern“.8 In den Rheinprovinzen9 und in West- Jahre. Nach drei Jahren wurden per Losverfahren die Kan- falen konnten Deputierte dieses Standes durch Familien- didaten der Gemeinden ausgetauscht.17 Die Kandidaten mitglieder oder durch eine Person, die zur Ritterschaft des des Kreistages sollten zudem einer christlichen Kirche preußischen Staates gehörte, vertreten werden. Den zwei- angehören, das 24. Lebensjahr vollendet haben und einen ten Stand bildeten die städtischen Abgeordneten. Je Stadt unbescholtenen Ruf besitzen.18 WESEN, STRUKTUR UND AUFGABEN DER KREISE Im Zusammenhang mit der Verfassungsberatung im Jahr wurde ein Mitglied für den Kreistag von dem Gemeindevor- MITTE DES 19. JAHRHUNDERTS 1820 wurde dem preußischen Staatsrat ein Kreisord- stand und Gemeinderat gewählt. Die Gewählten mussten Die Stände verhandelten auf dem Kreistag gemeinschaft- nungsentwurf für ganz Preußen vorgelegt. Die Umsetzung zudem Mitglied des jeweiligen Gemeindevorstandes oder lich. Beschlüsse wurden nach einfacher Mehrheit gefasst. Gabriele Mohr, Rhein-Erft-Kreis dieses Entwurfes scheiterte aber an den politischen Ver- der Gemeindevertretung sein.10 Es war möglich, dass grö- Der Landrat hatte kein Stimmrecht, sondern nur, wenn er hältnissen der damaligen Zeit. So wurden erst ab 1824 ßere Städte auf Antrag mehrere Abgeordnete zum Kreistag zugleich Kreisstand war. Bei Stimmengleichheit zählte die Die Kreisordnung vom 13. Juli 1827 Kreisordnungen für die preußischen Provinzen erlassen.3 entsenden konnten. Der dritte Stand waren Vertreter der Stimme des Vorsitzenden und, wenn dieser nicht stimmfä- Für das Rheinland und Westfalen brachte die Kodifizie- Landgemeinden, die sich aus den Bürgermeistern und Ver- hig war, die Stimme des ältesten Kreisdeputierten.19 Eben- Bis 1827 wurden die Besetzungen der rheinischen und der rung des Kreisverfassungsrechts die Kreisordnung für die tretern der Samtgemeinden zusammensetzten. Für jeden falls konnte ein Stand, wenn er sich in einem Beschluss westfälischen Landratsämter ausschließlich nach der „Vor- Rheinprovinzen und Westfalen vom 13. Juli 1827. Vertreter der Städte und Landgemeinden war ein Stellver- nicht entsprechend vertreten sah, dagegen Einspruch läufigen Instruktion für die Landräte und Kreisoffizianten“ Die Kreisordnung von 1827 diente in erster Linie der Ein- treter zu wählen. 1836 wurde ergänzend bestimmt, dass einlegen. vom 31. Dezember 1816 vorgenommen.1 Die Kreise zähl- richtung von Kreistagen. Dies war gegenüber der vorläu- „in der Rheinprovinz für die Stadtgemeinden nur solche ten damals im Durchschnitt 20.000 bis 36.000 Einwohner Personen zu den Kreistagen abgeordnet werden sollen, die Der Kreistag tagte mindestens einmal im Jahr auf Einla- figen Dienstinstruktion von 1816 ein erster Fortschritt, da dung des Landrats. Bei Bedarf waren mehrere Tagungen und hatten an ihrer Spitze einen vom preußischen König nun ein neues Kreisorgan neben dem Landrat eingeführt in der Stadt ein Haus besitzen“.11 Durch die Novelle vom ernannten Landrat.2 Dieser kam meist aus der ansässigen 26. März 1839 wurden zudem für die Rheinprovinz die Re- möglich. Die Sitzungen der Kreisverwaltungen fanden bei- wurde. Die bisherigen landrätlichen Kreise blieben beste- spielsweise in Gaststätten wie im Kreis Bergheim zwischen Gutsbesitzerschicht. Er sollte besonders angesehen sein hen und bildeten gleichzeitig die Bezirke der Kreisstände, gularien für den ersten Stand dahingehend geändert, dass, und das öffentliche Vertrauen besitzen. Ihren Dienst leiste- sollten auf dem Kreistag nicht wenigstens fünf stimmfähi- 1839 und 1842 in den Räumlichkeiten „der Witwe Nelles die in den Kreistagen vertreten waren. in Bergheim“20 statt. ten die Landräte vom eigenen Grundbesitz aus. Sie hatten ge Rittergutbesitzer vorhanden sein, „nach dem Reglement für die Unterbringung des Kreisbüros zu sorgen und die vom 17. März 1828 zum Landratsamte qualifizierte Vertre- Geschäftszeiten zu regeln. ter des meistbegüterten ländlichen Grundbesitzes gewählt 24 25
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