UNGLEICHES NORDRHEIN-WESTFALEN - GLEICHWERTIGE LEBENSVERHÄLTNISSE FÜR MEHR CHANCENGERECHTIGKEIT UND STARKE ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN - Bibliothek der ...
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Stefan Fina, Martina Fromhold-Eisebith, Kati Volgmann UNGLEICHES NORDRHEIN-WESTFALEN GLEICHWERTIGE LEBENSVERHÄLTNISSE FÜR MEHR CHANCENGERECHTIGKEIT UND STARKE ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN Landesbüro NRW
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditionsreichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Ge- rechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerk- schaften verbunden. Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch: – politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft; – Politikberatung; – internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern; – Begabtenförderung; – das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek. Über die Autor_innen Stefan Fina ist im Rahmen einer gemeinsamen Berufung der RWTH Aachen University und des ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH Dortmund Professor für Analyse und Monitoring urbaner Räume und leitet den Bereich Geoinfor- mation und Monitoring am ILS. Martina Fromhold-Eisebith leitet als Professorin den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie am Geographischen Institut der RWTH Aachen University. Kati Volgmann forscht am ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH zu Trends der Raumentwicklung und Fragen der Vermessung von Metropol- funktionen in polyzentralen Räumen unter Verwendung (geo-)statistischer Methoden und Datenpotenzialen aus der Regionalstatistik. Unter Mitarbeit von: Katinka Gehrig-Fitting (Textbearbeitung), Christian Gerten (Web- GIS), Jutta Rönsch (Karten und Abbildungen), Benjamin Scholz (Datenrecherchen und Analysen). Für diese Publikation sind in der FES verantwortlich Petra Wilke, Leiterin des Landesbüros Nordrhein-Westfalen der Friedrich Ebert-Stiftung. Damian Jordan, Referent im Landesbüro Nordrhein-Westfalen der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Stefan Fina, Martina Fromhold-Eisebith, Kati Volgmann UNGLEICHES NORDRHEIN-WESTFALEN GLEICHWERTIGE LEBENSVERHÄLTNISSE FÜR MEHR CHANCENGERECHTIGKEIT UND STARKE ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN Vorwort 3 1 Ungleiche Voraussetzungen für 4 die Herausforderungen der Zukunft 1.1 Die Messung regionaler Ungleichgewichte 5 1.2 Raumtypen der Chancengerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit 6 1.3 Handlungsbedarfe zu den Raumtypen der Clusteranalyse 13 2 Dimensionen der Ungleichheit 15 2.1 Pandemie und Ungleichheit 15 2.2 Arbeitsmarkt und Beschäftigung 17 2.3 Lebens- und Bildungschancen 26 2.4 Wohlstand und Gesundheit 40 2.5 Staatliches Handeln und Partizipation 51 2.6 Wanderungen 62 3 Handlungsempfehlungen 68 3.1 Einführung 68 3.2 Relevanz klassischer Ansätze einer ausgleichsorientierten Regionalförderung 68 3.3 Strukturwandel mit Zielen der Nachhaltigkeit verknüpfen 69 3.4 Leitkonzepte als Orientierungsmarken nutzen 70 3.5 Krisenresilienz und Robustheit von Regionen stärken 71 3.6 Mehr Fokus auf Gemeinwohlorientierung und Gerechtigkeit in der Raumentwicklung 71 3.7 Empfehlungen zu Raumtypen der Chancengerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit 72 4 Zusammenfassung und Ausblick 76 Anhang A: Dokumentation der Indikatoren 78 Anhang B: Wertebereiche der Indikatoren 80 Anhang C: Methodische Erläuterungen zur Clusteranalyse 82 Anhang D: Lesehilfe 84 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 86 Literaturverzeichnis 88
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Landesbüro Nordrhein-Westfalen
UNGLEICHES NORDRHEIN-WESTFALEN 3 Vorwort Gleichwertige Lebensverhältnisse sind ein wichtiges Fun- 3. Klein- und Mittelstädte mit funktionalen Herausforderungen dament für eine funktionierende Demokratie und gesell- 4. Solide Mitte im geringer verdichteten Raum schaftlichen Zusammenhalt. Unabhängig vom Wohnort 5. Gemeinden mit Risiken der Peripherisierung sollen alle Bürger_innen in Deutschland die gleichen Ent- wicklungschancen und Teilhabemöglichkeiten bekommen. Dabei ist die Wahrnehmung von Lebensqualität natürlich Der hohe Stellenwert dieses politischen Ziels wird auch individuell. Je nach Prioritäten und Empfinden spielen bei- durch seine Verankerung in Art. 72 des Grundgesetzes spielsweise kurze oder lange Wege, die Verfügbarkeit und deutlich. Qualität kultureller Angebote, die Leistungsfähigkeit des ÖPNV, die Nähe zur Natur oder die Höhe der Lebenshal- Obwohl die Frage nach gleichwertigen Lebensverhältnissen tungskosten unterschiedlich große Rollen in der Beurteilung keine neue ist, hat sie in den vergangenen Jahren an Aktu- der eigenen Lebensqualität. Wichtig ist allerdings, dass Le- alität und Brisanz gewonnen. Vom wirtschaftlichen Auf- bens- und Teilhabechancen auch über regionale Unterschie- schwung der 2010er Jahre haben nicht alle Menschen glei- de hinweg gleichwertig sein sollten. Wenn Wirtschafts- chermaßen profitiert, räumliche Unterschiede im Hinblick wachstum oder Krisen unterschiedlich starke Auswirkungen auf Wohlstand, Beschäftigung, Armut oder Gesundheit auf bestimmte Regionen haben, dann beeinflusst dies wie- werden größer. Diese Unterschiede wurden insbesondere derum kommunale Haushalte, die wiederum weniger Mit- in der Corona-Pandemie deutlich sichtbar und wurden von tel für die Bereitstellung von Infrastruktur, Mobilität, Bildung dieser zudem noch verschärft. oder Daseinsvorsorge zur Verfügung haben. Politisch stabil können eine Demokratie und ihre Gesell- Die Studie gibt eine detaillierte Übersicht über die sozioöko- schaft aber nur dann bleiben, wenn sie den Anspruch, nomische Situation der Kommunen in Nordrhein-Westfalen. gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, nie aus den Die Autor_innen ordnen diese ein und präsentieren kon- Augen verlieren. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass das Aus- krete Handlungsempfehlungen für die politische Debatte. einanderdriften von Lebensrealitäten, gesellschaftlichen Unser Dank gilt Prof. Dr. Stefan Fina und Prof. Dr. Martina Gruppen oder auch städtischen und ländlichen Regionen Fromhold-Eisebith, Dr. Kati Volgmann sowie dem Team des zu zunehmenden Polarisierungen und zur Schwächung de- Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Dort- mokratischer Institutionen führen kann. mund für die gute Zusammenarbeit. Wir würden uns freu- en, wenn diese Studie dazu beiträgt, die Diskussion zur Die vorliegende Studie beschreibt sozioökonomische und Frage nach gleichwertigen Lebensverhältnissen in Nord- regionale Disparitäten in Nordrhein-Westfalen, sie benennt rhein-Westfalen argumentativ zu bereichern und voran- daraus resultierende Herausforderungen und zeigt mögliche zutreiben. Wir wünschen allen Leser_innen eine interessante Handlungsansätze auf. Auf der Grundlage von repräsenta- und aufschlussreiche Lektüre. tiven Indikatoren zu den Themen Arbeitsmarkt und Be- schäftigung, Lebens- und Bildungschancen, Wohlstand und Gesundheit, staatliches Handeln und Partizipation sowie PETRA WILKE Wanderungsverhalten der Bevölkerung zeichnet sie ein Leiterin des Landesbüros Nordrhein-Westfalen hochgradig differenziertes Bild vom bevölkerungsreichsten der Friedrich-Ebert-Stiftung Bundesland in Deutschland. Das überrascht nicht, betrach- tet man die regionale Heterogenität, durch die NRW sich DAMIAN JORDAN auszeichnet. Dementsprechend würde eine Einordnung in Referent im Landesbüro Nordrhein-Westfalen Städte und Kreise entlang eines Stadt-Land-Gefälles zu kurz der Friedrich-Ebert-Stiftung greifen. Die Autor_innen arbeiten fünf Cluster heraus, die besonders an den Kriterien Chancengerechtigkeit und Zu- kunftsfähigkeit ausgerichtet sind: 1. Dynamische Großstadtregionen mit Exklusionsgefahr 2. (Groß-)städte im andauernden Strukturwandel
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Landesbüro Nordrhein-Westfalen 4 1 UNGLEICHE VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE HERAUSFORDERUNGEN DER ZUKUNFT Nordrhein-Westfalen sieht sich nach aufreibenden Jahrzehnten ragend, in anderen Landesteilen dagegen problematisch. des Strukturwandels mit neuen Herausforderungen konfron- Zahlreiche Kommunen operieren bereits seit Jahrzehnten un- tiert. Das bevölkerungsreichste deutsche Bundesland ringt seit ter finanziellen Sparzwängen. Verschuldung und Investitions- vielen Jahren um Ideen und Konzepte, die den Bedeutungs- stau werden bei gleichzeitig steigenden Ausgaben für Sozial- verlust der einstigen Industriestärke kompensieren helfen und kosten zu einem Imageproblem, das lange anhaftet. Es folgt die von der Gesellschaft mitgetragen werden. Vielfältige struk- die Abwanderung junger Menschen auf der Suche nach Chan- turpolitische Ideen und Konzepte wurden in den vergangenen cen anderswo – zurück bleibt eine alternde Bevölkerung. Jahrzehnten bereits erprobt, um die wirtschaftlichen Prämissen einer modernen und wettbewerbsfähigen Dienstleistungs- In vielen Großstädten stabilisiert die kontinuierliche Zuwan- und Technologiegesellschaft des 21. Jahrhunderts aufzugrei- derung aus dem Ausland den demografischen Wandel. Nord- fen. Und trotz persistenter Problemlagen gelingt dies vielen rhein-westfälische Kommunen verweisen zu Recht auf die Unternehmen und ihren Beschäftigten zunehmend gut. So beachtlichen Integrationsleistungen einer über mehrere Ge- haben nicht nur Städte und Kommunen entlang der Rhein- nerationen gewachsenen multikulturellen Stadtgesellschaft. schiene eine nationale und internationale wirtschaftliche Strahl- Bei allen damit einhergehenden Problemlagen ist anzuerken- kraft entwickelt. Besonders eindrucksvoll ist auch die Entwick- nen, wie vielen Menschen mit Migrationshintergrund über die lung international renommierter Hochschulstandorte in vergangenen Jahrzehnte berufliche Perspektiven und eine Aachen, Bielefeld, Bonn, Münster, Essen-Duisburg, Düsseldorf, Heimat in Nordrhein-Westfalen geboten werden konnte. Über- Dortmund, Köln und Wuppertal. Hier gelingt es immer besser, wunden erscheint auch eine bundesweit bekannt gewordene lokal vorhandenes Wissen und Know-how in wettbewerbs- Form von Ruhrpottromantik, in der man noch im ausgehenden fähiges Unternehmertum zu überführen. 20. Jahrhundert stilprägend mit der Perspektivlosigkeit koket- tierte.1 Heute ist ein großer Anteil junger Menschen zu Recht Attraktive großstädtische Arbeitsmärkte und die sogenannte stolz auf Bildungserfolge und findet vor Ort passende Beschäf- Schwarmstadtdynamik führen allerdings durch anhaltenden tigungsangebote, viele Unternehmen sind global vernetzt und Wachstumsdruck zu neuen Problemlagen, die deutliche Über- wettbewerbsfähig. lastungserscheinungen von Infrastruktur und Wohnungsmärk- ten zur Folge haben. Wie in anderen Teilen Deutschlands fin- Unklar ist bislang allerdings, inwiefern die Disruptionen der den somit auch in Nordrhein-Westfalen Trends und Treiber Corona-Pandemie Rückschläge auslösen könnten. Im Coro- einer sozialräumlichen Polarisierung neuen Nährboden, die na-Jahr 2020 erfuhr der Anspruch an gleichwertige Lebens- dem sozialpolitischen Ideal gleichwertiger Lebensverhältnisse verhältnisse neue Bedeutungsdimensionen. Die Wertschät- entgegenwirken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zung sogenannter systemrelevanter Jobs und offene Fragen gefährden. Neue Risiken ergeben sich aus bundespolitischen ihrer fairen Vergütung, die Bedeutung von Nachbarschaftshil- Maßnahmen, z. B. mit dem Kohleausstieg im Rheinischen Re- fe und Ausstattungsfragen einer nun stärker beanspruchten vier. Einem möglichen Aufbäumen alter Beharrungskräfte soll Nahversorgung für Menschen während des Lockdowns und hier mit enorm hohen Investitionen für die Zukunft entgegen- im Homeoffice, das schwache sozialpolitische Sicherheitsnetz gewirkt und Konfliktpotenziale sollen vorauseilend befriedet für außertarifliche und selbstständige Beschäftigungsverhält- werden. Um Ideen und Fördermittel wird gerungen, neue Fra- nisse, nicht zuletzt die hohen Belastungen für Familien und gen räumlicher Gerechtigkeit schließen sich an (vgl. auch Mä- Bildungsrückstände für Kinder, Schüler_innen und Studieren- ding 2021). de – im Krisenmodus zeigt sich, wie stark und unmittelbar defizitäre Rahmenbedingungen auf den Lebensalltag von Für Strukturpolitik stellen sich diesbezüglich Fragen von Prio- Menschen wirken. Etwas Gutes lässt sich den teilweise auf ritäten und Schwerpunktsetzungen. Manche Entwicklungen dramatische Art und Weise sichtbar gewordenen Missständen einer sozial selektiv wirkenden Transformation sind dabei be- aber vielleicht doch abgewinnen: Beschwichtigungspolitiken sonders schmerzhaft. Städte im Ruhrgebiet weisen die bun- aus der Vergangenheit weichen einem Wettbewerb um Poli- desweit höchsten Raten an Kinderarmut auf, Bildungs- und Arbeitsmarktchancen sind stark orts- und milieuabhängig. Die Ausstattung mit Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvor- 1 Vgl. z. B. die Bücher des Schriftstellers und Kabarettisten Frank Goosen sorge ist in manchen nordrhein-westfälischen Städten hervor- zum Ruhrgebiet der 1980er Jahre.
UNGLEICHES NORDRHEIN-WESTFALEN 5 tikentwürfe, die im Einklang mit Zielsetzungen nachhaltiger Diese Indikatorik erlaubt in einer zusammenfassenden Entwicklung Fragen sozialer Gerechtigkeit und Zukunftspers- Raumtypologie („Clusterkarte zur Chancengerechtigkeit pektiven in den Blick nehmen. und Zukunftsfähigkeit“) einen einfach zu erfassenden Überblick über sozioökonomische Disparitäten und wird Auf dieser Grundlage erscheint es dringlich, die Chancen und durch Einzelkarten von Indikatoren mit Textinterpretation Perspektiven für die sozioökonomische Zukunft Nordrhein- ergänzt. Westfalens einer eingehenderen Analyse zu unterziehen. Die vorliegende Studie beschreibt die Herausforderungen und 2. Darauf aufbauend werden Handlungsbedarfe diskutiert mögliche Handlungsansätze für das Bundesland Nordrhein- und Empfehlungen abgeleitet. Die politischen Hand- Westfalen. lungsempfehlungen befassen sich mit den Chancen und Herausforderungen aktueller und künftig zu erwartender Transformationsimpulse. Sie sind eingebettet in ein um- 1.1 DIE MESSUNG REGIONALER fassendes, konzeptbasiertes Verständnis des wirtschafts- UNGLEICHGEWICHTE und sozialgeografischen Handlungsrahmens Nordrhein- Westfalens, adressieren aber auch die erstellte Raum Nordrhein-Westfalen lässt sich in die drei Landesteile Nord- typologie des Berichts mit ihren spezifischen Herausfor- rhein (nördliches Rheinland, meist aber nur als Rheinland derungen. bezeichnet), Westfalen und Lippe gliedern. Das viertgrößte Bundesland Deutschlands ist mit knapp 18 Millionen Einwoh- ner_innen der am dichtesten besiedelte Flächenstaat (526 Infobox 1 Einwohner_innen/km2) (Landesbetrieb IT.NRW 2021). Die Untersuchungsdesign zu sozioökonomischen Disparitäten in Nordrhein-Westfalen hohe Einwohnerdichte resultiert aus einer Verstädterungsdy- namik, die ihren Ursprung in der Industrialisierung und dem Ausgangspunkt für das Untersuchungsdesign ist die landespolitische Arbeitskräftebedarf entlang der Rohstoffabbauflächen für Zielsetzung, nach der „[l]ändliche Regionen und Ballungsräume […] gleichwertige Entwicklungschancen [erhalten]“ (LEP NRW 2017/2020: Kohle und Erze fand und sich bis heute zu einem eng verwo- 9). Weiter heißt es dazu im Landesentwicklungsplan: „Leitvorstellung benen Städtenetz weiterentwickelt hat. So sind von den 79 bei der Erfüllung dieser Aufgabe ist eine nachhaltige Raumentwick- Großstädten Deutschlands allein 29 in Nordrhein-Westfalen lung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer zu finden (BBSR 2017). Gleichzeitig finden sich in Nord- dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung mit gleichwertigen rhein-Westfalen weitflächig weniger verdichtete Landesteile, Lebensverhältnissen in den Teilräumen des Landes beiträgt“ (LEP NRW in denen moderne Landwirtschaft betrieben wird und eine 2017/2020: 12). Das politische Ziel gilt parteiübergreifend. So bekennt sich die aktuelle Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag zur För- klein- und mittelständische Unternehmenskultur zu Hause derung gleichwertiger Lebensverhältnisse, und auch auf bundespoliti- ist. Aus diesem Verständnis der Geografie lässt sich feststel- scher Ebene erfährt das grundgesetzlich verankerte Postulat der Gleich- len, dass die Rahmenbedingungen für Zukunftschancen und wertigkeit der Lebensverhältnisse neuen Rückenwind. Durch den im September 2019 von drei Bundesministerien vorgestellten Kommissi- Perspektiven in Nordrhein-Westfalen sehr kleinräumig variie- onsbericht „Unser Plan für Deutschland“ ist das Thema gleichwertiger ren. Hoch verschuldete Großstädte mit enormen sozialen Lebensverhältnisse wieder in den Fokus gerückt (BMI 2019). Problemlagen im Ruhrgebiet liegen unter Umständen nur Die Studie greift diese Zielsetzung mit Methoden der Raumbeob- wenige Kilometer von wohlhabenden Umlandkommunen achtung auf. Für eine zusammenfassende Darstellung von Kenngrö- der Rheinmetropolen entfernt. Klein- und Mittelstädte weisen ßen der Ungleichheit wurden die Themenbereiche Beschäftigung als Versorgungszentren für den umgebenden, weniger ver- und Arbeitsmarkt, Bildung und Lebenschancen, Wohlstand und Ge- sundheit, staatliches Handeln und Partizipation und Wanderungs- dichteten Raum andere Charakteristika auf als dörflich ge- geschehen mit ausgewählten Indikatoren zu einer Disparitätenkarte prägte Landgemeinden. (siehe Abbildung 2) verarbeitet. Gegenüber früheren deutschland- weiten Studien (siehe Infobox 2) konnte mit neuen Datengrundlagen aus einem umfangreicheren Satz an Indikatoren ausgewählt werden, Das politische Postulat der Gleichwertigkeit von Lebensver- die auf Ebene von kreisfreien Städten und Gemeinden analysiert hältnissen kann schon deshalb nicht gleichartige oder identi- und bewertet wurden (n = 396). Aufgrund der hohen Qualität der sche Lebensverhältnisse meinen. Raumfunktionen ergänzen Dateninfrastrukturen ist dieser Anspruch für das Bundesland Nord- rhein-Westfalen ohne einschneidende Abstriche an der Auswahl von sich, Lebensqualität wird in unterschiedlichen sozialräumlichen Kennziffern leistbar und verbessert die in anderen Studien meist ver- Settings unterschiedlich erlebt. Auf dieser Grundlage ist die wendete Betrachtungsebene der kreisfreien Städte und Landkreise Wahl einer möglichst umfassenden, aber kleinräumigen Be- (n = 54) um ein Vielfaches. trachtung sozioökonomischer Disparitäten eine wesentliche Die Auswahl orientiert sich an dem Leitmotiv der Chancengerech- methodische Innovation dieses Berichts. tigkeit und Zukunftsfähigkeit. Der Begriff der Chancengerechtigkeit beschreibt im Kontext dieser Studie die raumstrukturellen Rahmen- bedingungen im Zugang zu sozialen und ökonomischen Systemen. Forschungsleitend für die Untersuchung sind zwei Schwer- Konkrete Beispiele sind Bildungsmöglichkeiten oder Leistungen der punktsetzungen: Daseinsvorsorge, die sich an den Bedarfen der Bevölkerung in den 1. Die Erfassung und Beschreibung sozioökonomischer Dis Kommunen ausrichten. Zukunftsfähigkeit wiederum adressiert Vo- raussetzungen einer Region für nachhaltige Wertschöpfungsket- paritäten mit einer Indikatorik, die in der Zusammenschau ten der Zukunft. Beispielhaft hierfür steht eine Kommunalpolitik, maßgeblicher Themenbereiche den Ist-Zustand („Input“, die mit lokalen Stakeholder_innen endogene Entwicklungspoten- z. B. Investitionen in die Infrastruktur), ihre unmittelbare ziale in die Zukunft weiterdenkt und damit zusammenhängende Herausforderungen wie die (Weiter-)Bildung von Beschäftigten („Output“, z. B. Verbesserung von Erreichbarkeiten) und oder die Ausrichtung an Nachhaltigkeitszielen in den Blick nimmt. perspektivische Wirkung („Outcome“, z. B. positive Ent- wicklung der Beschäftigungsquote durch verbesserte Er- > reichbarkeiten von Arbeitsmärkten) in den Blick nimmt.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Landesbüro Nordrhein-Westfalen 6 > Abbildung 1 Disparitätenkarte Deutschland Hierfür erlaubt neben der thematischen Vielfalt auch die räumliche Auflösung der Bewertung präzise Einblicke und Deutungen der Mus- Flensburg ter an Ungleichheit für das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Auf die- Kiel ser Grundlage werden Defizite und Handlungsbedarfe herausgear- Rostock beitet und mögliche Politikentwürfe für die Herstellung gleichwertiger Lübeck Lebensverhältnisse im 21. Jahrhundert diskutiert. Deutlich gemacht Bremerhaven Hamburg Schwerin werden muss, dass die Messmethodik keine unumstößlichen Ergeb- nisse liefern kann. Sie ermöglicht vielmehr einen Erkenntnisgewinn, Oldenburg Bremen dessen Rahmenbedingungen einer veränderlichen Dynamik unter- liegen. Diese können nur im Kontext heute vorhandenen Wissens Berlin beschrieben und für die Herausforderungen der Zukunft interpre- Frankfurt Wolfsburg Potsdam (Oder) Hannover Osnabrück tiert werden. Umso wichtiger erscheint es, die Datengrundlagen und Bielefeld Hildesheim Braunschweig Magdeburg Münster Salzgitter die Methodik transparent zu beschreiben und einem gesellschaft- lichen Diskurs zuzuführen, der Struktur- und Sozialpolitik informiert. Duisburg Bottrop Hamm Paderborn Göttingen Halle (Saale) Dortmund Essen Kassel Leipzig Hagen Krefeld Wuppertal Vor diesem Hintergrund wurden die zugrundeliegenden Indikatoren und Düsseldorf Erfurt Dresden Jena Karten für eine Webanwendung unter https://fes.de/ungleiches-nrw.de Aachen Köln Siegen Siegen Chemnitz aufbereitet, in der die eingeflossenen Daten interaktiv für Gemeinden, Bonn Städte und Landkreise überprüft werden können. Koblenz Frankfurt Wiesbaden a.M. Mainz Darmstadt Trier Würzburg Erlangen Mannheim Fürth Das Umsetzungskonzept (siehe Infobox 1 und Anhang C) Saarbrücken Ludwigs- hafen Heidel- berg Heilbronn Nürnberg orientiert sich methodisch an der bundesweiten Studie „Un- Karlsruhe Regensburg Pforzheim Stuttgart Ingolstadt gleiches Deutschland 2019“ (Fina et al. 2019b, siehe auch Reutlingen Passau Ulm Infobox 2) sowie der parallel im März 2021 erschienenen Augsburg München Freiburg Studie „Ungleiches Hessen“ des ILS – Institut für Landes- und Konstanz Stadtentwicklungsforschung gGmbH (Fina/Heider 2021). Für diese Berichte wurden im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung dynamische Groß- und Mittelstädte mit Exklusionsgefahr (FES) Berlin und des Landesbüros Hessen zahlreiche Daten- starkes (Um-)Land grundlagen und Indikatoren für die Bewertung sozioökono- Deutschlands solide Mitte mischer Disparitäten aufgebaut und mit kartenbasierten in- ländlich geprägte Räume in der dauerhaften Strukturkrise teraktiven Webanwendungen visualisiert. Die vorliegende städtisch geprägte Regionen im andauernden Strukturwandel Stadtstaaten Berlin, Hamburg, Bremen (ohne Daten für kommunale Finanzen) Studie nutzt dieses Vorwissen und ergänzt den metho dischen Teil um spezifische Problemkomplexe in Nord- Quelle: eigene Darstellung (aus: Fina et al. 2019: 6). Datengrundlage: GeoBasis-DE/BKG 2017. rhein-Westfalen. Infobox 2 1.2 RAUMTYPEN DER CHANCENGERECH- Einordnung im deutschlandweiten Vergleich TIGKEIT UND ZUKUNFTSFÄHIGKEIT Sieben Großstädte (Bonn, Köln, Leverkusen, Düsseldorf, Krefeld, Müns- ter und Bielefeld) und die Städteregion Aachen gehören zum Raumtyp Räumliche Disparitäten haben mehrere Dimensionen, die sich der dynamischen Großstädte mit Exklusionsgefahr. Diese Städte bie- mit einzelnen Kennziffern aus unterschiedlichen Themenbe- ten einem großen Teil der Bevölkerung sehr gute Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie eine hohe Lebensqualität, die reichen veranschaulichen lassen. Die nachfolgend vorgestellten man sich allerdings leisten können muss. Hohe Armuts- und Arbeits- Kennziffern (Indikatoren) stehen repräsentativ für die genann- losigkeitsquoten in Kombination mit hohen Lebenshaltungskosten be- ten Themenbereiche. Sie wurden ausgewählt aus einem Port- hindern benachteiligte Haushalte in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe. Überdurchschnittlich ausgeprägt sind diese eher negativ konnotierten folio an Indikatorkandidaten. Mögliche selbstverstärkende Kenngrößen in den Ruhrgebietsstädten, in Mönchengladbach, Wupper- Effekte durch wechselseitige Abhängigkeiten, sogenannte tal und Remscheid, die sich folglich im Raumtyp der städtisch gepräg- Autokorrelationen, wurden mit statistischen Methoden aus- ten Regionen im andauernden Strukturwandel wiederfinden (zwölf Städte). Lediglich der Rheinisch-Bergische Kreis ist dem starken (Um-) geschlossen. Als Resultat einer Clusteranalyse (Methodik siehe Land zugeordnet, in dem Einwohner_innen seit langer Zeit von der Anhang C) werden die 396 nordrhein-westfälischen Städte räumlichen Nähe zu lukrativen Arbeitsmärkten profitieren. Hier sind und Gemeinden in fünf Raumtypen zur Chancengerechtigkeit Überlastungen der Infrastruktur ein negativer Folgeeffekt, zum Bei- spiel im Hinblick auf Stauzeiten im Pendelverkehr und den stetig ho- und Zukunftsfähigkeit mit jeweils ähnlichen Werteausprägun- hen Zuzugsraten durch Binnenmigration. 31 Landkreise und die kreis- gen eingeordnet, die im weiteren Verlauf dieses Abschnitts freie Stadt Bottrop entsprechen als solide Mitte dem bundesdeutschen detailliert vergleichend gegenübergestellt werden. Definitionen Durchschnitt. In diesem Raumtyp sind durchschnittlich viele Menschen hochqualifiziert, Armutsquoten sind ebenso durchschnittlich wie Wohl- für die einzelnen Indikatoren finden sich in Anhang A. standskennziffern (Einkommen, Gehälter) oder Belastungen wie Miet- preise. Durchschnittlich viele Bürger_innen in diesem Raumtyp gehen Arbeitsmarkt und Beschäftigung wählen und verfügen über eine durchschnittlich gute infrastrukturelle Ausstattung (Breitbandanschlüsse, Erreichbarkeit von Hausärzt_innen). (hochqualifizierte Beschäftigte, Pendelnde mit Ländlich geprägte Räume in der dauerhaften Strukturkrise dagegen einem Arbeitsweg von 50 km und länger) kommen in Nordrhein-Westfalen nicht vor. Hochqualifizierte Beschäftigte nehmen im nationalen und glo- balen Wettbewerb eine Schlüsselposition ein. Eine innovative Wirtschaft mit hochwertigen Aktivitäten stärkt die Zukunfts optionen Nordrhein-Westfalens. Bildung spielt dabei eine
UNGLEICHES NORDRHEIN-WESTFALEN 7 esentliche Zugangsvoraussetzung für den Arbeitsmarkt, w auf die regionalen Einkommensunterschiede vor allem zwi- insbesondere hinsichtlich lukrativer und zukunftsorientierter schen den Ballungsräumen und den weniger verdichteten Beschäftigungsverhältnisse. Der Anteil der Beschäftigten mit Regionen. Hier fallen die regionalen Unterschiede am deut- Hochschulabschluss an allen sozialversicherungspflichtig Be- lichsten aus. schäftigten am Arbeitsort zeigt, wie hochwertig und inno vationsfähig die Regionalwirtschaft ist und inwieweit die zu- Hohe Mieten sind eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung nehmende Nachfrage nach wissensintensiver Arbeit auf insbesondere für Familien und einkommensschwächere entsprechend hochqualifizierte Fachkräfte trifft. Je höher der Haushalte. Die durchschnittlichen Angebotsmieten (Kaltmie- Anteil, desto besser sind die Zukunftsperspektiven für Beschäf- ten) geben Aufschluss über die Höhe dieser Mehrbelastung. tigte und Unternehmen. Steigende Mietpreise können zudem zur Verdrängung ein- kommensschwacher Haushalte aus betroffenen Regionen Berufliche Mobilität und berufliche Flexibilität haben in den führen und sind somit ein treibender Faktor räumlicher Un- vergangenen Jahren zu einem erhöhten Pendelaufkommen gleichheit. geführt, nicht zuletzt auch aufgrund der Zunahme befristeter Arbeitsverhältnisse. Lange Wege zwischen Wohn- und Ar- Staatliches Handeln und Partizipation beitsort können zu einer erheblichen finanziellen und psychi- (Verschuldung der Gemeinden je Einwohner_in, schen Mehrbelastung für die betroffenen Personen führen. Breitbandversorgung mit 1 Gbit/s) Pendeln wird meist als Kompromiss angesehen, damit Haus- halte ihren Wohnort nicht verlagern müssen. Ein Großteil der Die finanzielle Situation vieler Kommunen hat sich in den Pendelnden, die einen längeren Arbeitsweg mit mehr als vergangenen 20 Jahren stark verschlechtert. Strukturwandel, 50 Kilometern in Kauf nehmen, sind hochqualifizierte Beschäf- Finanzkrise, Migration, demografischer Wandel, aber nicht tigte. Das ist ein Zeichen für ein räumliches Ungleichgewicht zuletzt auch die Corona-Krise betreffen die Gemeinden in zwischen dem Angebot an Arbeitsplätzen und entsprechend Nordrhein-Westfalen in einem ungleichen Ausmaß. Sie stel- qualifizierten Arbeitskräften, was die Chancengerechtigkeit len die Gemeinden vor die Entscheidung, Steuern oder Ver- und Zukunftsfähigkeit des dortigen Arbeitsmarkts gefährden schuldung zu erhöhen, was wiederum Einfluss auf die zu- könnte. Das wiederum deutet auf eine funktionale Abhängig- künftige Handlungsfähigkeit hat. Die aktuelle Lage der keit von den großen Arbeitsmarktzentren hin. kommunalen Haushalte wird mit dem Indikator der Pro-Kopf-Verschuldung gemessen, also die Verschuldung Lebens- und Bildungschancen einer Gemeinde, die auf einen einzelnen Einwohner/eine ein- (Kinderarmut) zelne Einwohnerin entfällt. Für Kinder und Jugendliche ist Armut eine schwerwiegende Die Digitalisierung der Gesellschaft und Wirtschaft (vor allem Belastung und Bürde für den weiteren Lebensweg zugleich. Erfordernisse von Industrie 4.0) wird ohne Breitbandnetz auf Sie ist oftmals ein Grund für geringere Zukunftschancen auf Glasfaserbasis nicht vorankommen. Die Breitbandverfügbarkeit dem Bildungs- und Berufsweg der Kinder. Als Kennziffer ge- über leitungsgebundene Technologien [in Prozent der Haus- hen die Leistungsempfänger_innen an den Personen unter halte] ≥ 1 Gbit/s beschreibt die theoretische Verfügbarkeit. Sie 18 Jahren in die Analyse ein. Sie geben das aktuelle Ausmaß gibt Auskunft darüber, wo die Voraussetzungen für digitale von Kinderarmut in einer Untersuchungsregion und die Ab- Geschäftsmodelle, z. B. für Smart Cities, autonomes Fahren hängigkeit von staatlichen Leistungen der Grundsicherung und Industrie 4.0, der Zukunft gegeben sind. wieder. Wanderungen Wohlstand und Gesundheit (Wanderungssaldo der 18- bis unter 30-Jährigen) (Beschäftigungsquote Frauen, Mediangehalt am Wohnort, Mietpreise) Bildungs- und Berufseinstiegswanderungen sind als demo- grafische Grundgröße ein Anzeiger regionaler Bildungs- und Nie waren das Ausbildungsniveau und die Erwerbsquoten von Arbeitsmarktpotenziale, die selbstverstärkende Effekte für die Frauen in Deutschland höher als heute. Damit bildet die Be- Zukunft erzeugen. Der Wanderungssaldo (Zuzüge minus Fort- schäftigungsquote von Frauen eine wesentliche Größe für die züge) der 18- bis unter 30-Jährigen eignet sich, um die At- Chancengerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit in den Regionen traktivität, aber auch mangelnde Anziehungskraft der Gemein- Nordrhein-Westfalens. Gut ausgebildete und hochqualifizier- den als Bildungs- und Arbeitsort sowie Wohnstandort te Frauen erhöhen Innovation, Wachstum und Fortschritt des abzubilden. Arbeitsmarkts. Abbildung 2 zeigt die resultierenden Raumtypen des oben Finanzieller Wohlstand lässt sich für viele Menschen auf das beschriebenen Untersuchungsdesigns in einer Karte der erzielte Arbeitseinkommen zurückführen. Der Median der mo- Chancengerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit für Nord- natlichen Bruttoarbeitsentgelte von sozialversicherungspflich- rhein-Westfalen. Die Namen für die einzelnen Raumtypen tig Vollzeitbeschäftigten (ohne Auszubildende) gibt Auskunft in der Kartenlegende sind abgeleitet von den Ausprägungen über das durchschnittliche Einkommen, das Beschäftigten am der einzelnen Indikatoren in Tabelle 1. Die dort aufgeführten Wohnort zur Verfügung steht. Eine Ungleichheit birgt die Ge- Mittelwerte über alle Städte und Gemeinden eines Raumtyps fahr eines wachsenden Ungerechtigkeitsempfindens bezüglich zeigen für jeden Indikator über- und unterdurchschnittliche des Verdienstes. Die Bruttoarbeitsgehälter geben Hinweise Ausprägungen im Landesvergleich. Als Lesehilfe werden die
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Landesbüro Nordrhein-Westfalen 8 Indikatorwerte in einer eigenen Spalte mit Symbolen2 und Farben3 bewertet. Diese helfen, um zwischen Wert und Be- deutung einer Indikatorausprägung unterscheiden zu können. Zwei Beispiele verdeutlichen dies: Ein im NRW-Vergleich über- durchschnittlicher Wert für den Anteil hochqualifizierter Be- schäftigter auf dem Arbeitsmarkt führt zu einem Pfeil nach schräg oben – der Wert ist positiv. Für die Region ist ein Ar- beitsmarkt mit einem hohen Anteil dieser Beschäftigten weg- weisend für die Zukunftsfähigkeit des Arbeitsmarktes – die Bewertung ist deshalb ebenfalls positiv, der Indikatorwert grün hinterlegt. Im Gegensatz dazu zeigt ein unterdurchschnittlicher Wert für Kinderarmut, gemessen am nordrhein-westfälischen Mittelwert, einen geringen Anteil an armutsgefährdeten Kin- dern an. Der Wert ist gering, der Pfeil zeigt nach unten. Die Bedeutung dagegen ist aber positiv, denn ein geringer Wert ist erstrebenswert. Deswegen ist hier der Wert ebenfalls mit einer grünen Farbe hinterlegt. Die Farblogik der Disparitätenkarte orientiert sich an der Zen- tralität bzw. dem Verstädterungsgrad des Raumtyps, von vor- nehmlich großstädtisch über mittel- und kleinstädtische Städ- te bis zu weniger verdichteten und peripher gelegenen Kommunen. Mit der Farbwahl ist, im Gegensatz zur gesamt- deutschen Disparitätenkarte in Abbildung 1, zunächst keine übergreifende Gesamtbewertung verbunden. Denn gerade zwischen den Kommunen Nordrhein-Westfalens sind Stand- ortvorteile und -nachteile sehr differenziert zu betrachten. Dieser Komplexität wird mit einer detaillierten Beschreibung der Disparitätenkarte mit weiteren Informationen zur Charak- terisierung der Raumtypen in Tabelle 2, Anhang B und den nachfolgenden Interpretationstexten Rechnung getragen. Die Angaben in Tabelle 2 zeigen die Minimal- und Maximal- werte der Indikatoren für jeden Raumtyp mit Angabe der betreffenden Gemeinde, die den angegebenen Wert aufweist. Auf diese Weise wird nicht nur die Bandbreite innerhalb der fünf Cluster deutlich. Es lassen sich so auch einzelne Gemein- den identifizieren, die durch auffällige Indikatorausprägungen die Ergebnisse beeinflussen. So zeigen z. B. Kommunen im Raumtyp der (Groß-)Städte im andauernden Strukturwandel eine sehr hohe Bandbreite an Verschuldungsquoten pro Kopf von 1.249 Euro in Minden bis 11.101 Euro in Siegburg. Der in der Clusterbeschreibung verwendete Mittelwert grenzt sich in diesem Fall zwar arithmetisch von den Indikatorwerten an- derer Raumtypen deutlich ab. Er unterliegt aber dennoch einer beträchtlichen Varianz. Weitere Beispiele für Indikatoren mit einer hohen Spannweite innerhalb der Cluster sind die Wan- derungssalden (Raumtyp dynamische Großstadtregionen mit Exklusionsgefahr und solide Mitte in geringer verdichteten Räumen) oder die Mietpreise (Raumtyp dynamische Groß- stadtregionen mit Exklusionsgefahr). 2 Stark überdurchschnittlich bzw. überdurchschnittlich: bzw. ; durchschnittlich: ; unterdurchschnittlich bzw. stark unterdurchschnitt- lich: bzw. . 3 Dunkelrot bzw. rot: sehr negativ bzw. negativ; grau: weder positiv noch negativ; grün bzw. dunkelgrün: positiv bzw. sehr positiv.
UNGLEICHES NORDRHEIN-WESTFALEN 9 Abbildung 2 Disparitätenkarte Nordrhein-Westfalen NOR DR H E I N-WE STFALE N Anteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Prozent NIEDERSACHSEN Kreis Minden-Lübbecke Kreis Steinfurt NIEDERLANDE Kreis Herford Bielefeld Kreis Lippe Kreis Coesfeld Münster Kreis Borken Kreis Gütersloh Kreis Warendorf Kreis Kleve Kreis Recklinghausen Kreis Paderborn Kreis Höxter Kreis Wesel Hamm Bottrop Gelsen- kirchen Kreis Unna Ober- Herne hausen Dortmund Kreis Soest Duisburg Bochum Essen Mülheim a.d.Ruhr Ennepe- Krefeld Ruhr-Kreis Kreis Viersen Hagen Mettmann Düsseldorf Wuppertal Hochsauerlandkreis Mönchen- Märkischer Kreis gladbach Remscheid Solingen Rhein-Kreis Neuss Kreis Olpe Kreis Heinsberg Leverkusen Rheinisch- Oberbergischer Bergischer Kreis HESSEN Rhein-Erft- Kreis Köln Kreis Kreis Siegen-Wittgenstein Städteregion Kreis Düren Rhein-Sieg-Kreis Aachen Bonn RHEINLAND-PFALZ Kreis Euskirchen BELGIEN 0 10 km Raumtypen der Chancengerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit dynamische Großstadtregionen mit Exklusionsgefahr (Groß-)Städte im andauernden Strukturwandel Klein- und Mittelstädte mit funktionalen Herausforderungen* solide Mitte in geringer verdichteten Räumen Gemeinden mit Risiken der Peripherisierung * Ausnahmen sind die Großstädte Hamm und Gütersloh, die im raumplanerischen System der Zentralen Orte als Mittelzentren definiert sind. Die Disparitätenkarte fasst Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen mit ähnlichen sozioökonomischen Profilen zu Raumtypen der Chancen- gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit zusammen. Die Farblogik orientiert sich an der Zentralität bzw. dem Verstädterungsgrad der dargestellten Raumtypen, von vornehmlich großstädtisch über mittel- und kleinstädtisch geprägten Städten bis zu ländlich und peripher gelegenen Kommunen. Quelle: eigene Darstellung. Datengrundlage: eigene Berechnung, GeoBasis-DE/BKG 2020.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Landesbüro Nordrhein-Westfalen 10 Tabelle 1 Charakterisierung der Raumtypen für Nordrhein-Westfalen aus Abbildung 2 Charakterisierung Indikatorwerte räumliche Ausdehnung Dynamische Großstadtregionen mit Exklusionsgefahr (50 Gemeinden; 4,53 Mio. Einw.) Ein sehr hoher Anteil an hochqualifizierten Be- HQ-Beschäftigte schäftigten, hohe Mediangehälter und ein zwar (20,2 %, NRW Ø 12,1 %) negativer, aber im NRW-Vergleich überdurch- Pendelnde (> 50 km) schnittlicher Wanderungssaldo sind kennzeich- (9,6 %, NRW Ø 9,9 %) nend für den Cluster der „Schwarmstädte“ und deren dynamisches Umland. Er setzt sich im Kinderarmut Wesentlichen aus den Metropolen des Rhein- (11,7 %, NRW Ø 11,2 %) lands und ihren Umlandgemeinden zusammen, Beschäftigungsquote Frauen ebenso wie aus Hochschulstandorten wie (56,0%, NRW Ø 55,9 %) Münster, Aachen mit Würselen und Roetgen, Mietpreise Herdecke und Jülich. Werte für den Wande- (8,72 EUR/qm, NRW Ø 6,8 EUR/qm) rungssaldo und die Breitbandversorgung liegen leicht über dem Durchschnitt. Trotz wirtschaft Mediangehalt Wohnort licher Stärke deuten die mittlere Kinderarmut, (3.786 EUR, NRW Ø 3.448 EUR) die hohen Mietpreise sowie die Pro-Kopf-Ver- Breitbandversorgung 1 Gbit/s schuldung auf eine erhöhte Exklusionsgefahr (35,7 %, NRW Ø 30,8 %) insbesondere für einkommensschwächere Verschuldung je Einw. Haushalte hin. (2.461 EUR, NRW Ø 2.108 EUR) Wanderungssaldo 18–30 Jahre (–36 Pers. je 1.000 Einw., NRW Ø –70) (Groß-)Städte im andauernden Strukturwandel (45 Gemeinden; 6,56 Mio. Einw.) Dieser Cluster enthält vornehmlich (groß-)städtisch HQ-Beschäftigte geprägte Kommunen. Enthalten sind die hoch ver- (13,3 %, NRW Ø 12,1 %) schuldeten Städte und Gemeinden des Ruhrgebiets Pendelnde (> 50 km) mit Leverkusen, Mönchengladbach, Bedburg und (9,3 %, NRW Ø 9,9 %) Düren, Siegen, Arnsberg, Soest sowie die westfäli- schen Städte Bielefeld, Herford, Bad Salzuflen, Min- Kinderarmut den, Detmold und Paderborn. Charakteristisch sind (22,6 %, NRW Ø 11,2 %) die extrem hohen Werte für die Kinderarmut. Im Beschäftigungsquote Frauen Durchschnitt lebt fast jedes vierte Kind in einem (52,3 %, NRW Ø 55,9 %) von Sozialtransfers abhängigen Haushalt. Die Ein- kommensmöglichkeiten sind zwar unterdurch- Mietpreise schnittlich und die Frauenbeschäftigungsquote re- (6,78 EUR/qm, NRW Ø 6,8 EUR/qm) lativ niedrig, es gibt aber durchaus einen hohen Mediangehalt Wohnort Anteil an hochqualifizierten Beschäftigungsverhält- (3.401 EUR, NRW Ø 3.448 EUR) nissen. Die relativ stabile demografische Entwick- lung (siehe Wanderungssaldo) dürfte in diesem Breitbandversorgung 1 Gbit/s Raumtyp durch hohe Anteile an Fluchtzuwande- (58,5 %, NRW Ø 30,8 %) rung begründet sein. Verschuldung je Einw. (4.583 EUR, NRW Ø 2.108 EUR) Wanderungssaldo 18–30 Jahre (29 Pers. je 1.000 Einw., NRW Ø –70) Klein- und Mittelstädte mit funktionalen Herausforderungen (72 Gemeinden; 2,84 Mio. Einw.) Dieser Cluster enthält überwiegend mittel- und HQ-Beschäftigte kleinstädtisch geprägte Gemeinden mit teilweise (10,0 %, NRW Ø 12,1 %) ländlichen Strukturen im Sieger- und Sauerland, im Pendelnde (> 50 km) Münsterland sowie Ostwestfalen abseits der wirt- (9,4 %, NRW Ø 9,9 %) schaftlichen Großstädte. Ausnahmen sind die Mit- telzentren Gütersloh (seit 2018 Großstadt) und Kinderarmut Hamm mit jeweils über 100.000 Einwohner_innen. (14,2 %, NRW Ø 11,2 %) Problematisch in diesem Cluster ist die Arbeits- Beschäftigungsquote Frauen marktstruktur mit einem sehr geringen Anteil an (52,3 %, NRW Ø 55,9 %) hochqualifizierten Beschäftigten, stark unterdurch- schnittlichen Einkommensmöglichkeiten, einer Mietpreise unterdurchschnittlichen Beschäftigungsquote für (6,65 EUR/qm, NRW Ø 6,8 EUR/qm) Frauen sowie Defiziten für Geschäftsfelder, die Mediangehalt Wohnort von einer zukunftsfähigen Breitbandversorgung (3.351 EUR, NRW Ø 3.448 EUR) abhängig sind. Folglich zeigen auch Sozialindika toren an, dass z. B. ein hoher Anteil an Kindern Breitbandversorgung 1 Gbit/s in sehr einkommensschwachen Haushalten auf- (24,7 %, NRW Ø 30,8 %) wächst. Zwar liegen Verschuldung und Lebenshal- Verschuldung je Einw. tungskosten im Mittelfeld der betrachteten Werte. (2.064 EUR, NRW Ø 2.108 EUR) Insgesamt müssen diese Gemeinden in Zukunft aber mit weiteren demografischen und ökonomi- Wanderungssaldo 18–30 Jahre schen Herausforderungen rechnen. (–36 Pers. je 1.000 Einw., NRW Ø –70)
UNGLEICHES NORDRHEIN-WESTFALEN 11 Charakterisierung Indikatorwerte räumliche Ausdehnung Solide Mitte in geringer verdichteten Räumen (179 Gemeinden; 3,22 Mio. Einw.) Dieser Raumtyp enthält eine Reihe positiver Aus- HQ-Beschäftigte prägungen, z. B. bei der geringen Anzahl an Fern- (10,6 %, NRW Ø 12,1 %) pendler_innen, der Kinderarmut und den Miet Pendelnde (> 50 km) preisen. Er hat aber ein wesentliches Problem: (8,6 %, NRW Ø 9,9 %) die hohen Abwanderungsraten von Menschen im Ausbildungs- und Berufseinstiegsalter. Die eher Kinderarmut durchschnittlichen Einkommensmöglichkeiten und (7,8 %, NRW Ø 11,2 %) der unterdurchschnittliche Anteil an hochqualifi- Beschäftigungsquote Frauen zierten Beschäftigten stützen die These, dass in (58,4 %, NRW Ø 55,9 %) den betroffenen Kommunen Arbeitsmarkt- und Er- reichbarkeitsprobleme wichtige Handlungsfelder Mietpreise der Zukunft sind. Der Ausbau der aktuell noch (6,37 EUR/qm, NRW Ø 6,8 EUR/qm) durchschnittlichen Breitbandversorgung lässt zum Mediangehalt Wohnort Beispiel auf Versorgungslücken der Infrastruktur (3.411 EUR, NRW Ø 3.448 EUR) schließen. In diesen eher dünn besiedelten Ge- meinden hängt viel davon ab, inwiefern es gelingt, Breitbandversorgung 1 Gbit/s jungen Menschen Rückkehr- und/oder Bleibepers- (28,2 %, NRW Ø 30,8 %) pektiven anzubieten. Verschuldung je Einw. (1.457 EUR, NRW Ø 2.108 EUR) Wanderungssaldo 18–30 Jahre (–106 Pers. je 1.000 Einw., NRW Ø –70) Gemeinden mit Risiken der Peripherisierung (50 Gemeinden; 0,77 Mio. Einw.) Dieser Raumtyp zeichnet sich auf der positiven HQ-Beschäftigte Seite zwar durch vergleichsweise geringe Lebens- (11,1 %, NRW Ø 12,1 %) haltungskosten (siehe Mietpreise), eine geringe Pendelnde (> 50 km) Kinderarmut oder eine geringe Pro-Kopf-Verschul- (15,9 %, NRW Ø 9,9 %) dung aus. Der Anteil an hochqualifizierten Beschäf- tigten sowie die Beschäftigungsquote für Frauen Kinderarmut sind durchschnittlich. Problematisch sind jedoch der (8,0 %, NRW Ø 11,2 %) negative Wanderungssaldo, der sehr hohe Anteil Beschäftigungsquote Frauen an Fernpendler_innen und die stark unterdurch (55,5 %, NRW Ø 55,9 %) schnittliche Breitbandversorgung, die einer Aus- breitung digitaler Geschäftsfelder im Wege steht. Mietpreise Die betroffenen Kommunen liegen auch geogra- (6,45 EUR/qm, NRW Ø 6,8 EUR/qm) fisch häufig in (groß-)stadtfernen Lagen (Eifel, Mediangehalt Wohnort N iederrhein, Ostwestfalen), die auf problematische (3.424 EUR, NRW Ø 3.448 EUR) Erreichbarkeiten zukunftsfähiger Arbeitsmärkte schließen lassen. Die dünne Besiedlung in klein- Breitbandversorgung 1 Gbit/s städtischen und ländlichen Sozialstrukturen dürfte (18,9 %, NRW Ø 30,8 %) der Grund dafür sein, dass Kinderarmut und Ver- Verschuldung je Einw. schuldung pro Kopf relativ gering sind. (1.918 EUR, NRW Ø 2.108 EUR) Wanderungssaldo 18–30 Jahre (–115 Pers. je 1.000 Einw., NRW Ø –70) Werte: stark überdurchschnittlich bzw. überdurchschnittlich: bzw. ; durchschnittlich: ; unterdurchschnittlich bzw. stark unterdurchschnittlich: bzw. . Bewertung: dunkelrot bzw. rot: sehr negativ bzw. negativ; grau: weder p ositiv noch negativ; grün bzw. dunkelgrün: positiv bzw. sehr positiv.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Landesbüro Nordrhein-Westfalen 12 Tabelle 2 Bandbreiten von Indikatorwerten in den Raumtypen Indikator Wert dynamische (Groß-)Städte Klein- und solide Mitte Gemeinden Großstadt- im andauernden Mittelstädte in geringer mit Risiken regionen mit Struktur- mit funktionalen verdichteten der Peripheri- Exklusions- wandel Heraus- Räumen sierung gefahr forderungen Minimum 13,3 6,77 5,61 6,18 7,32 hochqualifizierte (Wülfrath) (Bergkamen) (Augustdorf) (Versmold) (Hellenthal) Beschäftigte in Prozent Maximum 36,24 21,80 17,16 18,66 15,25 (Bonn) (Paderborn) (Meckenheim) (Havixbeck) (Möhnesee) Minimum 7 4,90 4,40 5,20 11,50 Pendelnde (Burscheid, Neuss) (Remscheid, Velbert) (Plettenberg) (Neuenrade) (Nümbrecht) ≥ 50 km je 100 SV-Beschäftigte Maximum 18,90 16,10 14,90 12,70 26,40 (Bad Honnef) (Oer-Erkenschwick) (Weeze) (Geldern) (Blankenheim) Minimum 3,33 10,55 4,93 2,29 3,49 (Roetgen) (Bedburg) (Selfkant) (Hallenberg) (Velen) Kinderarmut, in Prozent aller Kinder Maximum 21,92 39,95 27,73 16,69 15,94 (Monheim am (Gelsenkirchen) (Marl) (Bad Oeynhausen) (Eitorf) Rhein) Minimum 50,87 45,04 38,38 52,48 51,20 (Bonn) (Gelsenkirchen) (Selfkant) (Neuenrade) (Niederkrüchten) Beschäftigungs quote von Frauen Maximum 60,12 57,42 58,34 64,59 60,66 (Hilden) (Gevelsberg) (Gütersloh) (Rosendahl) (Borgentreich) Minimum 6,9 5,72 5,01 4,19 4,53 Mietpreise (Jülich) (Hagen) (Altena) (Marienmünster) (Borgentreich) in Euro pro Quadratmeter² Maximum 11,69 9,12 9,06 8 7,50 (Köln) (Siegburg) (Wesseling) (Weilerswist) (Heiden) Minimum 3.455,89 3.101,65 3.012,04 2.977,44 3.067,17 (Würselen) (Oer-Erkenschwick) (Weeze) (Versmold) (Beverungen) Medianentgelt am Wohnort in Euro Maximum 4.222,91 3.701,97 3.698,33 3.800,50 3.872,27 (Odenthal) (Bedburg) (Nachrodt- (Titz) (Alpen) Wiblingwerde) Minimum 0 10,40 0 0 0 (Rösrath, Roetgen) (Velbert) (Aldenhoven, (Schlangen, Much, (Höxter, Breitband Altena) Hövelhof, Morsbach, Ruppichteroth) verfügbarkeit Borchen, Monschau) ≥ 1 Gbit/s in % der Haushalte Maximum 92,5 93,50 94,70 99,30 97,90 (Düsseldorf) (Bochum) (Selfkant) (Metelen) (Raesfeld) Minimum 30,10 1.248,92 28,79 21,66 19,20 Verschuldung (Monheim am (Minden) (Gangelt) (Wenden) (Raesfeld) kommunaler Rhein) Haushalte in Euro je Einwohner_in Maximum 5.508,31 11.101,14 5.026,03 5.356,86 5.723,25 (Bonn) (Siegburg) (Waldbröl) (Engelskirchen) (Heimbach) Minimum –222,46 –58,69 –221,14 –386,31 –410,58 Wanderungssaldo (Odenthal) (Waltrop) (Selm) (Monschau) (Borgentreich) der 18- bis unter 30-Jährigen je 1.000 Einw. Maximum 241,92 184,58 210,79 21,08 13,37 (Düsseldorf) (Paderborn) (Kleve) (Straelen) (Langerwehe) Quelle: siehe Anhang A.
UNGLEICHES NORDRHEIN-WESTFALEN 13 1.3 HANDLUNGSBEDARFE ZU DEN und zukunftsfähigen Entwicklung der Regionen in NRW bieten. RAUMTYPEN DER CLUSTERANALYSE Den Interpretationen links in der Tabelle werden schlaglicht- artig die wichtigsten Erfordernisse in der rechten Spalte ge- Aus einer zusammenfassenden Interpretation der oben be- genübergestellt. Der Abschnitt „Handlungsempfehlungen“ schriebenen Raumtypen sind in nachfolgender tabellarischer dieses Berichts greift diese Punkte zur Ausformulierung kon- Gegenüberstellung Handlungsbedarfe abgleitet, die Orientie- kreter Vorschläge für Förderansätze, Instrumente und Maß- rung für die passgenaue Gestaltung einer chancengerechten nahmen auf. Tabelle 3 Kurzbeschreibung und Handlungsbedarfe in den Raumtypen Dynamische Großstadtregionen mit Exklusionsgefahr Die 4,53 Millionen Einwohner_innen in 50 Städten und Ge- – Erhalt der Attraktivität als Standort für hochwertige Arbeitsplätze trotz steigender meinden profitieren von ökonomischen Standortvorteilen lokaler Kosten für Gewerbeaktivitäten und qualifizierte Arbeitskräfte und ihrer Zentralität. Gute Verdienstmöglichkeiten, hohe – Erhalt der Attraktivität als Wohnort für Hochqualifizierte trotz steigender Qualifikationsniveaus und vergleichsweise niedrige Abwan- Wohnkosten und eventuell wachsender sozialer Konflikte sowie konzentrierter derungsraten stehen hohen Lebenshaltungskosten und Umweltbelastungen einer sozialen Exklusionsgefahr gegenüber, die eine neue – Integration bislang exkludierter, bei Bildung und Beschäftigung in wachsendem Welle der Suburbanisierung ins Umland und damit verbun- Maße „abgehängter“ sozialer Gruppen in die städtische Gesellschaft und den dene Infrastrukturengpässe auslöst. Arbeitsmarkt – Steigerung öffentlicher Einnahmen und Konsolidierung der städtischen Haushalte (Groß-)Städte im andauernden Strukturwandel Die überwiegend urbanen Räume mit 45 Städten und Ge- – Steigerung der Attraktivität als Standort für hochwertige, auf Innovationen und neue meinden und 6,56 Millionen Einwohner_innen sind gekenn- Technologien gestützte Arbeitsplätze, die den aktiven Strukturwandel hin zu zeichnet durch ökonomische und soziale Problemlagen. Ge- zukunftsfähigen Gewerbeaktivitäten antreiben ringe Verdienstmöglichkeiten, eine sehr hohe Kinderarmut, – gesteigerte Arbeitsplatzangebote für alle Qualifikationsgruppen und dabei speziell niedrige Frauenbeschäftigungsquoten und eine sehr hohe für Frauen im Zuge von lokalen Unternehmensgründungen und -erweiterungen Pro-Kopf-Verschuldung beeinträchtigen die Chancengerech- – Aufwertung der Wohn- und Aufenthaltsqualität für alle Bevölkerungsgruppen, um tigkeit und Zukunftsfähigkeit. Die Abwanderungsraten wer- weitere Zuzüge zu begünstigen und Abwanderungen zu verhindern den vermutlich durch Fluchtzuwanderung gedämpft. Das – verstärkte Integration zuziehender sozialer Gruppen in die städtische Gesellschaft, Arbeitsplatzangebot hält einen beträchtlichen Anteil hoch- vor allem bezogen auf Bildungsangebote und Arbeitsmarkt qualifizierter Jobs bereit, Qualifikationsniveaus sind hoch, – Steigerung öffentlicher Einnahmen und Konsolidierung der städtischen Haushalte der Anteil an Fernpendler_innen ist gering. Klein- und Mittelstädte mit funktionalen Herausforderungen Die 72 Gemeinden und 2,84 Millionen Einwohner_innen – Steigerung der Attraktivität als Standort für eine große Qualifikationsbreite an sind mit funktionalen Nachteilen konfrontiert, die sich in Arbeitsplatzangeboten, speziell auch für Frauen einem geringen Qualifikationsniveau, einem geringen Medi- – Steigerung hochwertiger, auf Innovationen und neue Technologien gestützte angehalt sowie in einer unterdurchschnittlichen Infrastruk Wirtschaftsaktivitäten und Unternehmensgründungen, gestützt auf verbesserte turausstattung, z. B. bei der Breitbandversorgung, ausdrücken. IT-Infrastruktur Diese Nachteile deuten auf ein geringes Arbeitsplatzange- – Sicherung einer guten Erreichbarkeit naheliegender Oberzentren mit öffentlichen bot insbesondere für hochqualifizierte Beschäftigte hin. Die Verkehrsmitteln ökonomischen und infrastrukturellen Nachteile stehen im – verstärkte Integration zuziehender sozialer Gruppen in die städtische Gesellschaft, Zusammenhang mit einem geringen Einkommen und einer vor allem bezogen auf Bildungsangebote und Arbeitsmarkt hohen Kinderarmut. – Sicherung und Steigerung öffentlicher Einnahmen zur Konsolidierung der Haushalte Solide Mitte in geringer verdichteten Räumen Dieser Cluster umfasst 179 überwiegend gering verdichtete – Erhalt der Attraktivität als Standort für eine große Qualifikationsbreite an und kleinstädtische Gemeinden mit 3,22 Millionen Einwoh- Arbeitsplatzangeboten trotz eventuell wachsender nationaler wie internationaler ner_innen abseits der wirtschaftlichen Zentren. Mit einer wirtschaftlicher Wettbewerbsnachteile hohen Frauenbeschäftigungsquote, einer geringen Kinder- – Steigerung hochwertiger, auf Innovationen und neue Technologien gestützte armut und einer geringen Pro-Kopf-Verschuldung weisen Wirtschaftsaktivitäten und Unternehmensgründungen, gestützt auf verbesserte sie für zukünftige Entwicklungen gute Lebenschancen auf. IT-Infrastruktur Allerdings deutet der negative Wanderungssaldo und der – Steigerung der Attraktivität für Zuzüge jüngerer, qualifizierter Bevölkerungsgruppen geringe Anteil von Hochqualifizierten auf ein geringes Ar- bzw. junger Familien beitsplatzangebot für Hochqualifizierte. Insbesondere die – Erhalt und Sicherung der relativ soliden Situation öffentlicher Finanzen demografische Entwicklung könnte sich im Wettbewerb der Regionen zu einem Standortnachteil mit Folgeeffekten auf Wirtschaft und soziale Entwicklung entwickeln.
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