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History Faculty Publications                                                                               History

6-2021

Eis ein vergessenes Ladungsgut
Ingo Heidbrink
Old Dominion University, iheidbri@odu.edu

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Original Publication Citation
HeidbrinIk, I. (2021, June). Eis ein vergessenes Ladungsgut. Greifswalder Hafenbote, Nr. 31, 10-12.

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Nr. 31 Juni 2021 ISSN 1861-3667

      Greifswalder

   Hafenbote
      Das Magazin für die Freunde alter Schiffe

30 Jahre MHG

                       Bautage-
 Die Kleinen

                         buch
   Eiszeit

Schwedenzeit
                             Bjørnsund
 SSS Greiff
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Editorial
Die 30 Jahre Museumshafen Greifs-
wald e. V. haben den Hafen und damit
die Hansestadt Greifswald in diesen
Jahren markant geprägt.

Prof. Reinhard Bach erinnert an den privaten En-
thusiasmus und das ehrenamtliche Engagement
und warnt: „Man unterschätzt gemeinhin die
vielen Verwundbarkeiten, denen unsere Arbeit
unterliegt, man unterschätzt die Zerbrechlich-
keit dieser nun über Jahrzehnte andauernden
maritim-historischen Initiative.“ Wir werden uns
auf erreichtem Erfolg nicht ausruhen können.
Entscheidungen wie bauliche Veränderungen
im Hafenbereich können jederzeit das jähe Ende
des Vereins bedeuten.

„Warum sind so wenig kleine Boot in den Muse-
umshäfen zu sehen“, fragt der Kapitän Torsten Ro-
kicki, der auf ganz großen Pötten das Kommando
hat. Und erinnert uns schmerzlich daran, dass wir
seit Jahren vergeblich versuchen, Schwimmstege
für die Kleinen zu realisieren.
                                                         „BJØRNSUND ... nahezu Vollzeug und kein Land ... da wollen wir hin“
In diesem Winter ist der Hafen mal wieder nach
langer Zeit zu Eis erstarrt. Professor Ingo Heid-
brink berichtet aus vergangenen Zeiten vom Eis        Inhalt
als Ladungsgut für hölzerne Schiffe.                  3 30 Jahre Museumshafen Greifswald e. V.
                                                      7 Die vergessenen Kleinen
Der erklärende Text für eine der 7 von uns rea-       10 Eis - ein vergessenes Ladungsgut
lisierten Tafeln zur Geschichte des Greifswalder
Hafens - die Schwedenzeit - kommt von Uwe Kiel.       13 Die Greifswalder Schifffahrt in der Schweden-
                                                          zeit (1648 bis 1815)
                                                          Eine der 7 Ausstellungstafeln zum Greifswalder Hafen
Das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege MV
hat das Segelschulschiff Greif als Denkmal von        15 Aus dem Bjørnsund Bautagebuch
nationaler Bedeutung eingestuft. Oliver Schmidt       33 Kiellegung des Segelschulschiffes Greif vor 70
erinnert an den Bau vor 70 Jahren.                       Jahren

Greifswald als Kompetenzzentrum für Haikutter:
Hanne Marie, Nordwind, Phoenix, Rota (Iona),              Impressum
Victor Jara, Lene (†2021), und die Bjørnsund. Der
Museumshafen und die Museumswerft ziehen                  Herausgeber:
sie magisch an. Nun berichtet Jan Huerkamp                Museumshafen Greifswald e. V. und
über eine schon spektakuläre, liebevolle Restau-          Greifswalder Museumswerft e. V.
rierung in dem „BBTB“, dem BjørnsundBauTage-
Buch. Der Eigner Sebastian Hentschel beschreibt           Redaktion: Dr. Ulrich Laukamm-Josten, Peter Andrasch,
sein Ziel: „Wir wollen maritime Veranstaltungen           Annette Filitz
und Messen, aber auch Partnerstädte und Muse-             Satz: Annette Filitz, ULJ
umshäfen im In- und Ausland besuchen und neben
Beratung und Service in allen segelmacherischen           Titelbild: Robert Wandelt/Bjørnsund Überführung nach GW
Fragen auch Workshops und Möglichkeiten zum               Fotos ohne Namensangabe: jeweilige Autoren
Austausch von Erfahrungen im traditionellen Hand-         Druck: Druckhaus Panzig
werk bieten, ...im Jahr 2023 wollen wir segelfertig
sein.“                                                    Museumshafen Greifswald e. V.,
                                                          Hafenstraße 31, 17489 Greifswald
Diese Ausgabe des Hafenboten wird meine letz-             Web: www.museumshafen-greifswald.de
te als Vorsitzender und „Chefredakteur“ sein. Sie         E-Mail: gaffelrigg@museumshafen-greifswald.de
hat mir wieder viel Spaß gemacht. Wie immer
auch Euch / Ihnen viel Spaß beim Lesen!                   Der Greifswalder Hafenbote erscheint einmal im Jahr
                                                          und wird kostenlos verteilt.
ULJ                                                       ISSN 1861-3667 Auflage: 1500

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Eis – ein vergessenes Ladungsgut
Aus der Perspektive der Betreiber eines
Traditionsschiffes ist Eis heutzutage
zunächst ein Grund, um mit seinem
Schiff im sicheren Hafen zu verbleiben,
und Eissägen eine schweißtreibende
Tätigkeit, um den Rumpf des Schiffes
vor dem Druck des Eises zu schützen.
Kurz gesagt, Eis ist ein prinzipiell den
Einsatz von Traditionsschiffen extrem
störendes Phänomen. Dass Eis ein
Schifffahrtshindernis erster Güte war,
galt grundsätzlich natürlich auch im
19. Jahrhundert, jedoch war Eis in die-
ser Zeit auch etwas, das ein wirtschaft-
liches Überleben vieler kleinerer und
mittelgroßer Segelschiffe im Nord-
und Ostseeraum sicherte und zwar als
Ladungsgut.
                                           Verladung von Eis auf den Segler „Hvitsten“ an der Eisverladung Solbergstrand, Vestby. (ca.
Vor der Einführung von Kältemaschi-        1900) (Sammlung des Norsk Maritimt Museum, Oslo)
nen und Kühlschränken war Natureis
das zentrale Element der Kältewirt-        die Verschiffung des Natureises, und           insbesondere dann, wenn das Eis in
schaft und jede Industrie, die auf Kälte   zwar überwiegend auf kleineren und             den Sommermonaten verschifft wur-
angewiesen war, war zugleich nahe-         mittelgroßen Segelschiffen und damit           de. Hauptakteure der Eisfahrt waren
zu unvermeidbar auch auf die Nut-          genau auf den Schiffen, die heute den          die zahlreichen norwegischen Segel-
zung von Eis angewiesen. Während           Großteil der europäischen Traditions-          schiffseigner aus der Region um den
das Natureis zunächst lokal am Ort         schiffsflotte ausmachen. Grund für die         Oslofjord, für die der Transport von Eis
des Verbrauches aus natürlichen Ge-        stetig ansteigende Nachfrage nach Na-          eine durchaus ertragreiche Beschäf-
wässern oder speziell angelegten Eis-      tureis war einerseits die Konservierung        tigung neben der Holzfahrt wurde.
teichen gesägt, bzw. geerntet wurde,       von Lebensmitteln, aber vor allem die          Eine spezialisierte Ausrüstung oder
entwickelte sich seit der Mitte des        Umstellung der meisten Brauereien              Know-how der Besatzung war für die
19. Jahrhunderts ein blühender Eishan-     von obergärigen auf untergärige Brau-          Eisfahrt nicht erforderlich und so zeigt
del zwischen dem südlichen Norwe-          prozesse und damit auf ein Verfahren,          die Auswertung der archivalischen Un-
gen und dem übrigen Europa, da ins-        das genau kontrollierte Temperaturen           terlagen, dass zwar einige Schiffe sich
besondere in der Region um den Oslo-       im Bereich von 4 bis 9 Grad Celsius be-        mehr oder minder auf den Transport
fjord nahezu ideale naturräumliche         nötigte. Die typischen Biere dieses Ver-       dieses Ladungsgutes spezialisiert hat-
und klimatische Bedingungen für eine       fahrens waren Pils, Export, Märzen und         ten, es für viele Schiffe jedoch schlicht
groß angelegte Produktion von Natur-       Lager und damit genau die Sorten, die          eine Ladung war, die nur gelegentlich
eis hoher Qualität bestanden und ge-       in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-         auf einzelnen Reisen gefahren wurde.
rade in den Spätwintermonaten ent-         derts ihren Siegeszug durch Europa
sprechend günstige Bedingungen auf         antraten.                                      Die konkreten Reisen zwischen den
dem Arbeitsmarkt herrschten. Nach-                                                        Häfen des südlichen Norwegens und
dem es in den USA einen vergleich-         Prinzipiell war zunächst nahezu jedes          den Häfen in Großbritannien, den Nie-
baren, von den Neuenglandstaaten           segelnde Frachtschiff geeignet, um im          derlanden oder denen des deutschen
ausgehenden Handel bereits seit 1805       Transport von Natureis eingesetzt zu           Nord- und Ostseeraumes unterschie-
gab, entstand ein solcher Handel in        werden, da es sich bei den zu transpor-        den sich nur gering von Reisen mit an-
Europa wenige Jahrzehnte später von        tierenden Natureisblöcken um eine              deren Ladungsgütern. Das Eis wurde
den Ufern des Oslofjords ausgehend.        Ladung wie jede andere handelte. Ein           zumeist direkt an den Produktionsstät-
Norwegisches Natureis wurde nach           wesentlicher Unterschied zu anderen            ten des Natureises geladen und wurde
London und Paris ebenso wie nach           Ladungen bestand jedoch darin, dass            hier mittels teils kilometerlanger Gleit-
Hamburg oder Stettin exportiert und        es sich bei Natureis um eine Ladung            bahnen direkt von den zur Produkti-
bildete hier zumindest für einige Jahr-    handelte, die während der Reise zu-            on genutzten Gewässern oder einem
zehnte die Grundlage für eine aufblü-      mindest teilweise schmolz. Trotz einer         Eislagerhaus mittels Schwerkraft bis
hende Kältewirtschaft, bevor es all-       sorgfältigen Isolierung der Ladung mit         an Bord befördert. Hier wurde es im
mählich durch künstlich produziertes       Sägespänen waren die Schmelzver-               Laderaum des Schiffes als möglichst
Eis ersetzt wurde.                         luste während der Reise erheblich und          kompakter Block gestaut und anschlie-
                                           jedes in der Eisfahrt eingesetzte Schiff       ßend mit Sägespänen bestmöglich iso-
Grundlage für diesen Handel war ne-        musste zwingend über eine leistungs-           liert, wobei die hölzernen Rümpfe der
ben der Eisproduktion in Norwegen          starke Lenzanlage verfügen und zwar            Schiffe ebenfalls nicht unerheblich zur

10                                                                                                        Hafenbote 31 | Juni 2021
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Wärmeisolierung beitrugen. Während             aber boten Eisladungen in den letzten            stereinträge für die am Eistransport be-
der eigentlichen Reise wurden die sich         Jahrzehnten des 19. und in den ersten            teiligten Schiffe hat eindeutig gezeigt,
in der Bilge sammelnden Schmelzwäs-            des 20. Jahrhunderts weiterhin Be-               dass es keinesfalls nur minderwertige
ser regelmäßig gemeinsam mit dem               schäftigungsmöglichkeiten für kleine-            Tonnage war, die für den Eistransport
übrigen Bilgenwässern in die See ge-           re und mittlere hölzerne Segelschiffe            genutzt wurde. Der wahrscheinliche
pumpt und schließlich im Zielhafen             in einer Zeit als viel andere Ladungen           Hintergrund für die Entstehung dieses
das Eis wie reguläres Stückgut oder an-        bereits nahezu ausschließlich von                Gerüchtes dürfte schlicht und einfach
dere vergleichbare Ladungen, wie z. B.         maschinengetriebenen Fahrzeugen                  das mehr oder minder beständige
Steinblöcke, gelöscht.                         transportiert wurden. Zwar wurde                 Lenzen dieser Schiffe gewesen sein,
                                               vereinzelt auch Eis auf Dampfschiffen            das jedoch nicht dem Auspumpen von
                                               transportiert, doch waren eiserne bzw.           eingedrungenem Seewasser diente,
                                               stählerne Rümpfe bezüglich ihrer Iso-            sondern der Beseitigung der Schmelz-
                                               lationswirkung den Holzschiffen un-              wässer der langsam abschmelzenden
                                               terlegen und die vergleichsweise ho-             Ladung.
                                               hen Frachtraten dieser Schiffe passten
                                               nicht zum europäischen Eismarkt, der             Ebenso findet sich gelegentlich die
                                               sich insofern bereits nach wenigen               Behauptung, dass Eis nicht als Ladung,
                                               Jahrzehnten in einem allmählichen                sondern als Ballast gefahren wurde.
                                               generellen Niedergang befand, als die            Auch hierfür konnte im Rahmen des
Eisblöcke vor der Verladung in der Nähe von    künstliche Eis- und Kälteproduktion              Forschungsprojektes bislang kein Be-
Kragerø (ca. 1900). Der Transport der Blöcke   unmittelbar am Ort des Verbrauchs die            leg erbracht werden. Da die am Eis-
erfolgte mittels eines ausgeklügelten Sys-     Nutzung von Natureis insgesamt ab                handel beteiligten Schiffe jedoch zu-
tems von Gleitbahnen, so dass ein manuelles
Heben der Blöcke weitgehend vermieden          den 1880er Jahren langsam zu ihrem               meist nicht von den Eisproduzenten
wurde. Dennoch gab es spezialisierte Greif-    Ende brachte, auch wenn die allerletz-           selber betrieben wurden, sondern für
zangen und Eishaken, die sowohl für den        ten Eisladungen sich noch für die Zeit           einzelne Reisen mit dem Transport des
Transport an Land wie auch zum Stauen an       nach dem Zweiten Weltkrieg nachwei-              Eises beauftragt wurden, haben sie
Bord der Schiffe genutzt wurden. Sammlung      sen lassen.                                      regelmäßig bei der Rückreise andere
Berg-Kragerø Museum, Kragerø
                                                                                                Ladungen befördert und diese haben
                                                                                                häufig den finanziell bedeutenderen
Ob es aus Sicht der Besatzungen wün-                                                            Teil einer Rundreise gebildet. Das Eis
schenswert war eine Eisladung zu                                                                wurde dementsprechend zwar nicht
transportieren oder nicht, lässt sich                                                           als Ballast im eigentlichen Sinne des
nicht verlässlich rekonstruieren, aber es                                                       Wortes transportiert, trug aber dazu
ist davon auszugehen, dass es keinen                                                            bei, eine Reise in Ballast zu vermeiden
relevanten Einfluss auf den Arbeitsall-                                                         und konnte so zumindest gelegent-
tag der Crew oder die Bedingungen in                                                            lich zu extrem günstigen Frachtraten
den Quartieren hatte, ob Eis oder eine                                                          transportiert werden, da der haupt-
andere Ladung transportiert wurde.                                                              sächliche Verdienst der Reise aus der
Das immer mal wieder zu findende Ar-                                                            Rückreise erzielt wurde.
gument der niedrigen Temperaturen              Für den Transport der Eisblöcke errichtete
an Bord der Schiffe aufgrund der Eis-          Gleitbahn bei Stabbestad, Kragerø. Die Län-      Während es sich bei der Menge der
ladung lässt sich angesichts der guten         ge der Gleitbahn zeigt eindrucksvoll die teils   im Eistransport beschäftigten Schiffe
                                               aufwendige Infrastruktur, die für den Trans-
Isolierung und der in der Summe doch           port des Eises von den zur Eisproduktion         um kleinere und mittelgroße hölzerne
nur geringen Schmelzverluste kaum              genutzten Gewässern zu den Verladestellen        Segelschiffe handelte, soll an dieser
aufrecht erhalten, zumal Laderaum              unmittelbar am Fjord angelegt wurde (ca.         Stelle kurz erwähnt werden, dass min-
und Wohnquartiere bei den einge-               1900). Photo: John Lyng-Olsen, Lyng Olsen        destens zwei große Segler für einige
setzten Schiffstypen recht eindeutig           Sammlung Berg-Kragerø Museum, Kragerø
                                                                                                Jahre in dieser Fahrt beschäftigt wa-
voneinander getrennt waren. Viel-                                                               ren: die mit 1.543 Tonnen vermessene
mehr galt, dass eine Eisladung die aus-        In einzelnen Berichten über den Eis-             hölzerne Bark „Standard“ und das mit
schließlich im Laderaum des Schiffes           transport wird behauptet, dass für               1.148 Tonnen vermessene Vollschiff
gefahren wurde, im Vergleich zu einer          diesen vor allem Alttonnage genutzt              „Union“. Beide Schiffe waren für die
Holzladung, die teilweise als Decksla-         wurde, für die sich keine anderen La-            Nordsee Deutsche Hochseefischerei
dung gefahren wurde, eine unproble-            dungen mehr finden ließ, und dies                AG im Einsatz und stellten für einige
matische Ladung war, da sie weder zu           damit begründet, dass ein verstär-               Jahre die Versorgung des Fischerei-
einer möglichen kritischen Verringe-           ktes Wassermachen der Schiffe beim               betriebes mit norwegischem Natureis
rung der Stabilität beitrug, noch dem          Eistransport kein Problem war, da die            sicher. Die zwei Schiffe waren nicht nur
Risiko ausgesetzt war, über Bord zu            Schiffe quasi auf ihrer Ladung schwim-           aufgrund ihrer Größe eine Ausnahme,
gehen. Selbst kleinere Wassereinbrü-           men konnten und sowieso regelmäßig               sondern vor allem auch, weil sie di-
che blieben insofern bedeutungslos,            gelenzt werden mussten. Im Rahmen                rekt von einem großen Eisverbraucher
als das Ladungsgut an sich nicht durch         des derzeitigen Forschungsprojektes              betrieben wurden. Die Mehrheit der
den Kontakt mit dem Seewasser be-              „Die letzte Eiszeit“ konnte diese These          in der Eisfahrt eingesetzten Schiffe
schädigt wurde, sondern bestenfalls            jedoch nicht bestätigt werden, son-              wurde hingegen von reinen Schiff-
ein wenig schneller schmolz. Vor allem         dern eine Auswertung der Schiffsregi-            fahrtsbetrieben betrieben, die sich in-

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nerhalb eines komplexen Netzes von
Eisproduzenten, Eishändlern, Schiff-
fahrts- und Frachtagenten bewegten,
wie eindeutig aus den erhaltenen Ar-
chivalien und vor allem aus Frachtbrie-
fen hervorgeht. Anders als „Standard“
und „Union“, die nahezu ausschließ-
lich Eis auf eigene Rechnung und für
die Nutzung im Fischereibetrieb ihres
Eigners Natureis transportierten, war
für die überwiegende Mehrheit der
Schiffe Natureis nur eine Ladung un-
ter vielen und auf eine Reise in der
Eisfahrt konnte unmittelbar eine Reise
mit einer Holzladung und dann wieder
eine Ladung Natureis folgen.

Insgesamt handelt es sich beim Trans-
port von Natureis auf den europä-
ischen Gewässern um ein heute weit-
gehend vergessenes Ladungsgut, das
vielen traditionellen kleineren und
mittleren Segelschiffen eine Beschäf-
tigung in einer Zeit brachte, als ande-
re Güter bereits anfingen, modernere
Transportmöglichkeiten zu nutzen.
Das Ende des Transportes von Natur-
eis kam dementsprechend auch nicht
durch die Dampfschifffahrt oder die
Eisenbahn, d.h. den Ersatz durch mo-
dernere Verkehrsmittel, sondern durch
den Niedergang des europäischen Eis-
handels an sich. Sobald es mittels Käl-
temaschinen möglich geworden war,
Eis und Kälte unmittelbar am Ort des
Verbrauchs zu produzieren, kam der
Export von norwegischem Natureis
zu seinem Ende und damit selbstver-       Eisvertrag zwischen der Firma Baarsrud in Røken und dem Stralsunder Schiffsmakler M.
ständlich auch der Seetransport des-      Hintze vom 23. März 1925. Die für diesen Vertrag aus den letzten Jahren des Natureishandels
selben.                                   genutzte Vorlage stammt noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg (vermutlich 1904) wie
                                          sich aus der korrigierten Firmenbezeichnung folgern lässt. Interessant ist, dass einerseits
                                          explizit eine Lieferung unmittelbar vom See und damit von frisch gesägtem Eis vereinbart
Auch wenn der konkrete Nachweis bis       wurde, und andererseits, dass die vergleichsweise geringe Eismenge für einen Vertrag dieser
dato nicht erbracht werden konnte,        Zeit von 250 / 330 t als eine oder zwei Ladungen transportiert werden konnte. Ebenfalls zu
ist davon auszugehen, dass von den        beachten ist, dass die Wahl des Schiffes ausschließlich bei Baarsrud lag und alle Passagen des
heute in Europa erhaltenen Traditions-    Standardvertrages, die spezifische Vereinbarungen für den Einsatz von Seglern oder Damp-
                                          fern vorsahen, explizit gestrichen wurden.(Quelle: AS Søndre Nærsnes arkiv / Statsarkivet i
schiffen zumindest das ein oder ande-     Kongsberg (Norwegen), S.1359)
re gelegentlich in der Eisfahrt einge-
setzt und zumindest für diese Schiffe
Eis nicht nur ein Betriebshindernis in
den Wintermonaten gewesen sein            Text: Ingo Heidbrink
wird, sondern ein heute in Vergessen-
heit geratenes Ladungsgut und somit       Das vom Norwegischen Forschungsrat fi-           einer Ausstellung, die die Geschichte des
ein Bestandteil der regulären wirt-       nanzierte Forschungsprojekt „Die letzte Eis-     Natureises und der frühen Kältetechnologie
schaftlichen (Erfolgs-) Geschichte des    zeit“ wird federführend vom Norwegischen         thematisiert.
jeweiligen Schiffes. Wenn es in einem     Schifffahrtsmuseum in Oslo betreut. Weitere
der kommenden Winter mal wieder           Partner sind die Universität Südost-Norwe-       Ansprechpartner: Prof. Dr. Per Norseng (Per.
heißen mag, das Eis um sein Schiff zu     gen, die University of Hull in Großbritan-       Norseng@marmuseum.no), Prof. Dr. Ingo
sägen, ist dies vielleicht Grund genug    nien und die Old Dominion University in          Heidbrink (iheidbri@odu.edu)
dafür darüber nachzudenken, dass Eis      Norfolk, VA (USA). Ziel des Projektes ist die
vielleicht auch seinen Anteil daran ge-   Erforschung der Geschichte des europä-
habt haben mag, dass dieses oder ein      ischen Natureishandels als eine Übergangs-
vergleichbares Schiff noch heute exi-     industrie, sowie mittelfristig die Entwicklung   https://marmuseum.no/en/the-last-ice-age
stiert.

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