Optimierung der reaktiven Ereignisbewältigung anhand geographischer Analysen und Produkte - gis.Point

 
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Short Paper 67

Optimierung der reaktiven Ereignisbewältigung
anhand geographischer Analysen und Produkte
Optimizing the Reactive Event Management
based on Geographical Analyses and Products
Clemens Strauß1, Peter Hofer2, Gerhard Herda1
1Institut für Militärisches Geowesen, Österreichisches Bundesheer · clemens.strauss@bmlv.gv.at
2Theresianische Militärakademie, Österreichisches Bundesheer

Zusammenfassung: Ziel der reaktiven Ereignisbewältigung ist es, der Wirkung eines eingetretenen
Ereignisses zu begegnen, die Handlungsinitiative zu erlangen und die Situation im Sinne einer Lösung
zu beeinflussen. Aus den Erfahrungen des Instituts für Militärisches Geowesen ein Verlaufsmodell der
Ereignisbewältigung vorgestellt, einzelne Phasen darin beschrieben und deren Optimierungsmöglich-
keiten aufgezeigt. Begleitet werden diese Optimierungsmöglichkeiten durch Beispiele des militärischen
Geowesens im nationalen und internationalen Kontext.
Schlüsselwörter: Reaktive Ereignisbewältigung, Optimierung, Militärisches Geowesen

Abstract: The aim of reactive event management is to counter the effect of an event that has occurred,
to influence the situation in terms of a solution. Based on the experience of the Institute of Military
Geography, a process model of event management is presented, individual phases are described and
their optimization options are shown. These optimization possibilities are accompanied by examples of
military geography in a national and international context.
Keywords: Reactive event management, optimization, military geography

1 Einleitung
Das Institut für Militärisches Geowesen (IMG) des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH)
war in der Vergangenheit wiederkehrend in Vorhaben eingebunden, die ein sehr rasches Er-
stellen von Geo-Produkten verlangte (Strauß & Teichmann, 2019). Darunter fallen die Be-
wältigung der Migrationskrise 2015, der Ratsvorsitz der Europäischen Union 2018 und das
Thema des Schutzes kritischer Infrastruktur; aber auch Fähigkeitserweiterungen zählen dazu,
z. B. jene im Rahmen des Projektes NIKE 1. Die Forschungsgruppe NIKE arbeitet in einem
interdisziplinären Ansatz an der Fähigkeit zur Bewältigung komplexer untertägiger Einsätze 2
und implementiert diese in die Weiterbildung der Offiziere.
Betrachtet man den Verlauf der Bewältigung solcher Ereignisse, so lässt sich ein typischer
Verlauf abstrahieren, der hier als reaktives Bewältigungsmodell vorgestellt wird. In diesem
lassen sich Optimierungspotenziale identifizieren, und durch Vorbereitung geowissenschaft-
licher Produkte und Kompetenzen aktiv ausschöpfen – vorausgesetzt, man ist sich dieser
Chance bewusst.

1
 Nachhaltige Interdisziplinarität bei Komplexen Einsätzen unter Tage.
2 https://www.milak.at/forschung/subops

AGIT ‒ Journal für Angewandte Geoinformatik, 7-2021, S. 67-72. © Wichmann Verlag, VDE VERLAG GMBH ·
Berlin · Offenbach. ISBN 978-3-87907-707-6, ISSN 2364-9283, eISSN 2509-713X, doi:10.14627/537707008.
Dieser Beitrag ist ein Open-Access-Beitrag, der unter den Bedingungen und unter den Auflagen der
Creative Commons Attribution Lizenz verbreitet wird (http://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/).
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2 Das reaktive Bewältigungsmodell
Das reaktive Bewältigungsmodell beschreibt zum einen den Verlauf des Wirkungsniveaus
eines plötzlich eintretenden Ereignisses und zum anderen das Wirkungsniveau eines darauf
reagierenden Verhaltens, um dieses Ereignis zu bewältigen. In Abbildung 1 sind Ereignis
und Bewältigung in ihrem zeitlichen Verlauf vom Zeitpunkt TA bis TE und dem jeweiligen
Wirkungsniveau von niedrig bis hoch diagrammetrisch dargestellt.

Abb. 1: Das Reaktive Bewältigungsmodell

Die einzelnen Phasen, die im Rahmen der Bewältigung durchlaufen werden, sind nachfol-
gend beschrieben:
 Die Reaktionsphase (TA bis TB): Zu einem Zeitpunkt TA beginnt ein Ereignis plötzlich
 zu wirken und auf die Gesellschaft Einfluss zu nehmen; Sprunghafter Anstieg der Wir-
 kung von niedrig auf hoch. In der Reaktionsphase, die bis TB andauert, wird die Situation
 erkannt und an deren Ende der Entschluss gefasst, sich diesem Ereignis zu stellen um
 dieses zu bewältigen.

 Die Reaktivitätsphase (TB bis TC): Sobald erste Handlungen zur Bewältigung des Ge-
 schehenen gesetzt werden (TB), befindet man sich in der reaktiven Phase. Dabei begegnet
 man bereits der Situation, beherrscht diese jedoch noch nicht.

 Die Aktivitätsphase (TC bis TE): Ab jenem Zeitpunkt TC, ab dem man die Situation be-
 herrscht und sie im Sinne der erfolgreichen Bewältigung gestalten kann, ist die reaktive
 Phase überwunden und man befindet sich in der Aktivitätsphase. Der Zeitpunkt des Er-
 eignisendes wird durch TD markiert. Die restliche Zeitspanne bis TE, an dem jegliche
 Aktivität der Ereignisbewältigung eingestellt ist, kann situationsabhängig auch mit dem
 Ereignisende zusammenfallen: = .
C. Strauß et al.: Optimierung der reaktiven Ereignisbewältigung 69

3 Verlaufsoptimierung des reaktiven Bewältigungsmodells
Ist man sich des Bewältigungsmodells bewusst, so sind Bereiche identifizierbar, in denen
eine Optimierung im Sinne einer rascheren Bewältigung stattfinden können. Anschließend
sind drei Optimierungsoptionen beschrieben, die anhand konkreter Beispiele mit dem Lei-
stungsspektrum und dem Produktportfolio des IMG in Verbindung gebracht werden.

3.1 Optimierung der Reaktionsphase
Diese Phase findet in einer Zeitspanne gemäß Formel 1 statt, wobei deren zeitliche Verkür-
zung als Ziel einer Optimierung zu sehen ist.
 = − (1)
Wie bringt man nun TB näher an TA heran, so wie es durch Pfeil A in Abbildung 2 dargestellt
wird? Die generelle Herausforderung liegt darin, das Ereignis überhaupt als solches wahrzu-
nehmen und dessen Erscheinung auch als Ereignis richtig zu deuten. Dabei spielen Datener-
hebung, Analyse und Interpretation eine ebenso wesentliche Rolle, wie die Präsentation von
Interpretationsergebnisse an eine entscheidungsbefugte Instanz, die den Beginn der reaktiven
Bewältigungsphase auslöst. Hier führt Systematik und nicht der Zufall zum Erfolg führt.

Abb. 2: Optimierung der Reaktionsphase. Optimierung A verlagert den Ursprünglichen
 Startpunkt der Reaktivität von TB nach TB‘; ebenso TC‘, TD‘ und TE‘.

Im Herbst 2020 kam es zur Öffnung von Varosha, eines bis dato für die Öffentlichkeit ge-
schlossenen Teils der Stadt Famagusta in Zypern (Cyprus News Agency, 2020). Im Vorfeld
der Öffnung wurde die militärische Führung von UNFICYP 3 regelmäßig mit Analysen durch
den Militärgeographen auf Basis von Sentinel-2-Daten versorgt, um auf bauliche Aktivitäten
innerhalb Varoshas reagieren zu können. Dazu wurde alle 10 Tage der normierte differen-
zierte Vegetationsindex (NDVI) nach Rouse et al. (1974) gebildet und mit der Vorperiode
verglichen. Eine Abnahme des NDVI zusammen mit der räumlichen Ausdehnung und Form
ließ u. a. auf Rodung und Durchführung von Baumaßnahmen schließen. Durch eine Verbes-
serung der geographischen Ausdehnung sowie zeitlicher Auflösung kann die Reaktionsphase
im Vergleich zur bisherigen Methode der Fahrzeugpatrouille auf 10 Tage minimiert werden.

3 United Nations Peacekeeping Forces In CYPrus basierend auf der UN-Resolution 186
 (4. März 1964).
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3.2 Optimierung der Reaktivitätsphase
In Formel 2 wird die Reaktivität beschrieben. Hierbei handelt es sich um die Fläche zwischen
dem Ereignis- und dem Bewältigungsverlauf zwischen den Zeitpunkten TB und TC.
 
 ä = ∫ − ∫ ä (2)
 
Die Verkleinerung dieser Restfläche ist als Ziel der Optimierung zu sehen und kann entweder
durch eine Verkürzung der Zeitspanne (TB bis TC), oder durch ein höheres Ausgangsniveau
des Bewältigungsverlaufes erreicht werden; eine Kombination aus beide Varianten ist durch-
aus zweckmäßig und dient ebenfalls der Optimierung.

Abb. 3: Optimierung der Reaktivitätsphase; Links: Effizientes Handeln (Optimierung B),
 Rechts: Gezielte Vorbereitung (Optimierung C). In beiden Fällen wird der Beginn
 der situationsbeherrschenden Phase von TC nach TC‘ vorverlegt; ebenso TD‘, TE‘.

 Verkürzung der Zeitspanne durch effizienteres Handeln (Abb. 3, Links):
 Ein effizienteres Handeln ist erfahrungsgemäß dann erreichbar, wenn die Prozesse bzw.
 Verfahren erprobt sowie im Sinne einer Standard Operating Procedure (SOP) standar-
 disiert sind und so weit wie möglich auch automatisiert ablaufen können. Indirekt be-
 deutet es auch, dass der Handlungserfolg von den Fähigkeiten und der Verfügbarkeit
 einzelner Personen entkoppelt werden kann.

 Erhöhen des Ausgangsniveaus durch gezielte Vorbereitung (Abb. 3, Rechts):
 Unter diesen Punkt fallen alle Vorleistungen, die bereits im Sinne der zu erwartenden
 Aufgaben durchgeführt sind und im Anlassfall sofort genutzt und abgerufen werden kön-
 nen (Anm.: Tätigkeiten, die unter die Begriffe „Training“ oder „Übung“ fallen, fördern
 ein effizienteres Handeln im Anlassfall und sind somit dem vorherigen Punkt zuzuord-
 nen – eine konkrete Vorleistung wird nicht erbracht).
Greift man das zuvor beschriebene Beispiel thematisch nochmals auf, so ist die Konzeption
einer automatisierte Differenzbildung zweier NDVI-Raster z. B. mit dem Graphical Modeler
in der Software QGIS 4 als „gezielte Vorbereitung“ und das Anwenden dieses Modells im
Anlassfall als „effizienteres Handeln“ zu werten. Im Vergleich zu einer manuellen Bearbei-
tung, liegt das Ergebnis für eine davon abhängige Entscheidung oder Handlungsanweisung
rascher und robuster gegenüber Flüchtigkeitsfehlern vor.

4 https://www.qgis.org/
C. Strauß et al.: Optimierung der reaktiven Ereignisbewältigung 71

3.3 Kombination der Optimierungsvarianten
Wendet man die drei Optimierungsvarianten kombiniert zur Ereignisbewältigung an, ergän-
zen sich diese und stehen in keinem Widerspruch zueinander. In Abbildung 4 sind deren
Einflüsse als Pfeile A, B und C gekennzeichnet. Ergänzend dazu ist der ursprüngliche und
nicht optimierte Verlauf der Bewältigung als Anhalt in der Abbildung inkludiert.

Abb. 4: Kombination der Optimierungsvarianten aus Reaktion (A) und Reaktivität (B, C) in
 Gegenüberstellung eines nicht optimierten Bewältigungsverlaufes

Diese kombinierte Verlaufsoptimierung kommt u. a. bei NIKE zur Anwendung, wo für die
Vorbereitung und Durchführung untertägiger Einsätze Informationsaustausch zwischen Be-
treiber, Behörden und Einsatzorganisationen etabliert (Pfeil A), Experten mit relevantem
Know-how in einer Einsatz-Beratungszelle zusammengezogen (Pfeil B) und ein Informations-
plattform auf Basis eines Tunnel-Informationsmodells (Pfeil C) erstellt werden. Dieses Zu-
sammenwirken wird u. a. bei Hofer (2020) als S6 Modell – Safety and Security Strategies
for SubSuface Service Structures beschrieben.

4 Konsequenzen der Optimierung
Um dieses Optimierungspotenzial auszuschöpfen wurde das Element für mobile Geo-Ope-
rationen (mobGeoOps), u. a. beschrieben bei Köstinger (2020), bzw. das daran anknüpfende
mobile Geo-Element (mobGeoEt) am IMG konzipiert. Auch die Sub-Surface Operations Cell
(SSOC) als wesentlicher Ausfluss aus dem Projekt NIKE (Hofer et al., 2020) ist als organi-
satorisches Element aufgestellt, das im Anlassfall Geo-Kompetenz für eine optimierte Ereig-
nisbewältigung den eingesetzten Kräften zur Verfügung stellt. Dabei stützen sich diese Ele-
mente nicht nur auf das hauptberufliche Personal des ÖBH, sondern können auch auf das
Fachwissen und die Berufserfahrung von Milizsoldaten der Expertenstäbe zugreifen. Damit
spannt sich der Bogen an Wissen und Fähigkeiten beispielhaft vom geotechnischen Prozess-
verständnis (Reaktionsoptimierung) über Vorhalten von 3D-Geländedarstellungen zur Ge-
ländebeurteilung (gezielte Vorbereitung) bis hin zu Präsentationsmethoden von Analyseer-
gebnissen mittels Virtual Reality (effizienteres Handeln).
Aber warum definiert man nicht von Grund auf bereits einen optimalen Prozess zur reaktiven
Ereignisbewältigung? Das Ziel ist dabei sehr wohl der optimale Prozess, jedoch lässt die
Weiterentwicklung von Wissen und Technik neue Optimierungspotenziale erkennen. Diese
werden entweder durch Neudefinition oder Optimierung der bestehenden Prozesse genutzt.
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Ebenfalls dient das Verständnis über die Verlaufsoptimierung der reaktiven Bewältigung der
Argumentation im Rahmen von Investitionsvorhaben in Wissen, Hard- und Software, usw.
gegenüber der finanzierenden Stelle.

5 Ausblick
Will man das beschriebene Potenzial der Verlaufsoptimierung ausschöpfen, ist es mit dem
Zusammenziehen heller Köpfe in einem Organisationselement alleine nicht getan – es ist
aber eine erfolgsversprechende Voraussetzung. Es ist viel mehr das Zusammenspiel von Wis-
sen und Fähigkeiten der Personen, die Verfügbarkeit von leistungsgerechter Hard- und Soft-
ware, medienbruchfreier und standardisierter Informationsaustausch, und eine gemeinsame
Sprache bzw. ein gemeinsames Fachvokabular zwischen Bedarfsträger und Bedarfsdecker,
dass dieses Potenzial ausschöpfen lässt.
Abschließend wird auf die Abstraktheit der hier angeführten Möglichkeiten zur Optimierung
angewandter Prozesse hingewiesen. Diese Optimierung kann nicht nur in den skizzierten
Aufgaben, sondern auch in weiteren Anwendungsfeldern abseits sicherheitskritischer Szena-
rien konkretisiert werden. Die Abstraktion bietet dabei eine wertvolle ergänzende Perspek-
tive und lässt Möglichkeiten zur Weiterentwicklung erkennbar werden, die bei alleiniger Be-
trachtung auf der angewandten Problemebene verborgen bleiben.

Literatur
Cyprus News Agency (2020). UN monitoring Varosha developments. Cyprus Mail, Re-
 trieved Jan 04, 2021, from https://cyprus-mail.com/2020/11/10/un-monitoring-varosha-
 developments/.
Hofer, P. (2020). Safety and Security Strategies for Subsurface Structures. Preparing Security
 Forces for Complex Subsurface Operations. In: P. Sturm (Ed.), Virtual Conference „Tun-
 nel Safety and Ventilation 2020”. Retrieved Jan 08, 2021 from https://www.tunnel-
 graz.at/assets/files/tagungsbaende/2020/07_Peter_Hofer_Tunnel2020_V_neu.pdf.
Hofer, P., Strauß, C., Wenighofer, R., Eder, J., & Hager, L. (2020). Die Rolle von Virtual
 Reality in der Bewältigung militärischer Einsätze unter Tage. AGIT – Journal für Ange-
 wandte Geoinformatik, 6-2020, 126–131.
Köstinger, M. (2020): Gegenwärtige und zukunftsorientierte Entwicklungstrends von militä-
 rischen Führungsmitteln für Anwendungen in der Einsatzart „Schutz“ für kritische Inf-
 rastruktur in Österreich. Masterarbeit, Universität Salzburg.
Rouse, J. W., Haas, R. H., Scheel, J. A., & Deering, D. W. (1974). Monitoring Vegetation
 Systems in the Great Plains with ERTS. In: S. C. Freden, E. P. Mercanti & M. A. Becker
 (Eds.), Third Earth Resource Technology Satellite-1 Symposium (pp. 48–62).
 Retrieved Jan 4, 2021, from https://ntrs.nasa.gov/api/citations/19740022592/downloads/
 19740022592.pdf.
Strauß, C., & Teichmann, F. (2019). Bedarf und Einsatz von 3D-Modellen in der Sicherheits-
 domäne. In: K. Hanke & T. Weinold (Eds.), 20. Internationale Geodätische Woche Ober-
 gurgl 2019 (pp. 203–208). Berlin/Offenbach: Wichmann.
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