Pakistan: Situation von Christ_innen - Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse - Bern, 8. Juni 2018

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Pakistan: Situation von Christ_innen - Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse - Bern, 8. Juni 2018
Pakistan: Situation von
Christ_innen
Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse

Bern, 8. Juni 2018
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© 2018 Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Bern
Kopieren und Abdruck unter Quellenangabe erlaubt.
1        Einleitung
Einer Anfrage an die SFH-Länderanalyse sind die folgenden Fragen entnommen:

1. Welche Informationen gibt es zur Situation von Christ_innen in Pakistan ?

2. Unter welchen Umständen werden Christ_innen in Pakistan verfolgt?

3. Welche Informationen gibt es zur wirtschaftlichen Situation von Christ_innen in Pakistan?

4. Wird die pakistanische Diaspora im Ausland überwacht?

Die Informationen beruhen auf einer zeitlic h begrenzten Recherche (Schnellrecherche) in
öffentlich zugänglichen Dokumenten, die der SFH derzeit zur Verfügung stehen, sowie auf
den Informationen von sachkundigen Kontaktpersonen .

2        Christ_innen in Pakistan
2.1      Zusammenfassung
Pakistan gehört zu den Ländern, in denen es am schwierigsten ist, seinen christlichen
Glauben zu praktizieren; gewalttätige Verfolgung von Christ_innen ist dort üblich;
Falschanklagen unter Blasphemiegesetzen ebenfalls. Laut dem Jahresbericht 2017 der
unabhängigen Human Rights Commission of Pakistan (HRCP) (März 2018) nahm Pakistan
auf der Watch List 2017 der christlichen Unterstützungsgruppe Open Doors unter 50
Ländern, in denen es am schwierigsten ist, seinen christlichen Glauben zu praktizieren , den
vierten Platz ein. Gewalttätige Verfolgung von Christ_innen sei in Pakistan üblich.
Christ_innen würden Ziel von Morden, Bombardierungen , Entführungen, Vergewaltigungen,
Zwangskonversionen und Vertreibung en aus ihren Wohnungen und von ihrem
Grundeigentum. Es gebe regelmässig Falschanklagen unter Blasphemiegesetzen mit dem
Ziel, Christ_innen zu terrorisieren.

Angriffe und Diskriminierungen gegen religiöse Minderheiten einschliesslich
Christ_innen durch extremistische Gruppen und die pakistanische Gesellscha ft,
Regierung bietet keinen angemessenen Schutz und verletzt selbst die
Religionsfreiheit, Medien verbreiten Intoleranz. Gemäss der US-amerikanischen
Commission on International Religious Freedom (USCIRF) (April 2018) waren religiöse
Minderheiten in Pakistan einschliesslich Christ_innen auch 2017 Angriffen und
Diskriminierung durch extremistische Gruppen und die pakistanische Gesellschaft
ausgesetzt. Die Regierung bot diesen Minderheiten keinen angemessenen Schutz und war
selbst    für  systematische,     andauernd e  und   ungeheuerliche     Verletzungen   der
Religionsfreiheit verantwortlich. Verschiedene Medien häuser verbreiteten Intoleranz gegen
religiöse Minderheiten.

Noch stärkere Bedrohung von religiösen Minderheiten durch neu gegründete
extremistische Parteien im Vorfeld der Wahlen im Juli 2018. Im Vorfeld der für Juli 2018

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geplanten nationalen Wahlen wurden gemäss USCIRF (April 2018) fundamentalistische und
oft extremistische Parteien gegründet. Dadurch verschlimmert sich die bereits prekäre Lage
für religiöse Minderheiten noch mehr.

2.2      Hintergrund
Unterschiedliche Angaben zur Zahl der Christ_innen in Pakistan, Grossteil der
Christ_innen in Pakistan lebt in Punjab. Laut UNHCR (Januar 2017) leben zwischen 2,05
und 2,09 Millionen Christ_innen in Pakistan. Die grosse Mehrheit (zwischen 82,5 und 90
Prozent) lebt in der Provinz Punjab. USDOS (29. Mai 2018) zitiert in den Medien erwähnte
Registrierungsdokumente aus dem Jahr 2014, gemäss denen es in Pakistan 1.3 Millionen
Christ_innen gibt. Laut UCA News (21. März 2017) sind weniger als zwei Prozent der 180
Millionen Einwohner_innen Pakistans Christ_innen, Hindus oder Angehörige anderer religi-
öser Minderheiten.

Christ_innen in Pakistan werden oft als «unrein» und «unberührbar» angesehen. Laut
UCA News (21. März 2017) sind Strassenkehrer_innen in Pakistan meist Christ_innen und
werden als «unberührbar» oder «von niedriger Geburt» bezeichnet. Asia Bibi, eine wegen
Blasphemievorwürfen zum Tode verurteilte Christin, habe gesagt, ihr einziges «Verbre-
chen» sei gewesen, ausschliesslich für Muslim_innen bestimmtes Wasser zu trinken, da sie
von den anderen Landarbeiter_innen als «unberührbar» angesehen wurde.

Laut Friday Times (23. Oktober 2015) haben die meisten Christ_innen in Pakistan einen
«unberührbaren» Hintergrund. Ursprünglich Hindus aus niedrigen Kasten, seien ihre Vorfah-
ren seit dem späten 19. Jahrhundert zum Christentum konvertiert, um sich von der Einord-
nung ins Kastensystem zu lösen. Sie waren landlose Bauern und abhängig von Sikhs, die
Land besassen. Nach der Teilung der britisch-indischen Kolonie 1948 in Indien und Pakis-
tan verliessen diese Sikhs ihr Land und gingen nach Indien. Die 300‘000 für sie arbeitenden
Christ_innen wurden von diesem Land vertrieben und zogen in die Städte, wo sie als Müll-
werker_innen und Reinigungskräfte arbeiteten. Sie siedelten sich illegal auf Land ohne In-
frastruktur an, das der Regierung gehört. So entstanden hunderte illegale Quartiere ein-
schliesslich France Colony in Islamabad und Joseph Colony in Lahore.

2.3      Wirtschaftliche Situation von Christ_innen
Christ_innen und andere benachteiligte Gruppen besonders von Zwangsarbeit und
Schuldknechtschaft betroffen. Laut USDOS (20. April 2018) ist Zwangsarbeit und Schuld-
knechtschaft in der Ziegel-, Kohle- und Teppichindustrie und in der Landwirtschaft ein-
schliesslich dem Baumwoll-, Rohrzucker- und Weizenanbau weiterhin verbreitet. Ein Gross-
teil der Opfer von Schuldknechtschaft, die gemäss Amnesty International (AI) (2017) seit
1992 verboten ist, sind laut USDOS (20. April 2018) Hindus aus niedrigen Kasten sowie
Christ_innen und Muslim_innen aus sozioökonomisch nachteiligen Verhältnissen. Betroffe-
ne Familien, besonders solche, die auf landwirtschaftlich genutztem Land in der Provinz
Sindh wohnen, leben laut USDOS (29. Mai 2018) ohne grundlegende Infrastruktur und kön-
nen dieses Land ohne Erlaubnis der bäuerlichen Grundbesitzer nicht verlassen.

Gemäss USDOS (20. April 2018) befinden sich laut Schätzungen von NGOs etwa zwei Milli-
onen Menschen in Pakistan in Schuldknechtschaft, vorwiegend in de n Provinzen Sindh und
Punjab, aber auch in Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa. Diese Personen könnten oft

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nicht feststellen, wann sie ihre Schulden vollständig beglichen haben, unter anderem des-
halb, weil es kaum Arbeitsverträge gebe und weil Arbeitgeber den Analphabetismus der
Arbeiter_innen ausnutzten, um Schuldbeträge oder die Preise, die diese für Saatgut und
Dünger zahlen müssen, zu manipulieren. In einigen Fällen beschränken Landbesitzer die
Bewegungsfreiheit von Arbeiter_innen durch bewaffnete Wäch ter oder verkaufen Arbei-
ter_innen für den Betrag ihrer Schulden an andere Arbeitgeber.

Arbeiter_innen haben gemäss AI (2017) nur beschränkten Zugang zu institutionellen Kredi-
ten und kaum andere Arbeitsmöglichkeiten und befinden sich daher in einem Kreislau f aus
Schuldknechtschaft und Armut. In vielen Fällen, in denen Arbeiter_innen durch Gerichte aus
der Schuldknechtschaft befreit werden, kehren sie zu ihren ehemaligen Arbeitgeber_innen
zurück, da sie keine andere Arbeit finden.

Diskriminierung von Christ_innen auf dem Arbeitsmarkt. Christ_innen werden laut UN-
HCR (Januar 2017) und USDOS (29. Mai 2018) auch auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert.
Viele Christ_innen hätten Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu finden, die keine «niede-
ren» oder gesellschaftlich geächteten Tätigkeiten beinhaltet. Laut USDOS (29. Mai 2018)
wird in einigen Stellenausschreibungen für «niedere» Tätigkeiten explizit angegeben, die
Stelle sei nur für christliche Bewerber_innen offen. UCA News berichtete im März 2017 von
Stellenausschreibungen für Stellen als Strassenkehrer, die sich explizit nur an Christ_innen,
Hindus und Schiit_innen richteten.

Christ_innen unter den Müllwerker_innen oft überrepräsentiert. Gemäss UCA News
(21. März 2017) sind Christ_innen unter den Müllwerker_innen oft überrepräsentiert. So
seien gemäss dem World Watch Monitor 824 von 935 Müllwerker_innen in Peschawar
Christ_innen. In Lahore seien ungefähr 6000 von 7894 Müllwerker_innen Christ_innen, in
Quetta 768 von 978. Laut Friday Times (23. Oktober 2015) sind alle 1500 Müllwerker_innen
in Islamabad Christ_innen. Auch in Gilgit und Karachi machten Christ_innen einen Grossteil
der Müllwerker_innen aus.

3        Blasphemie
3.1      «Anti-Blasphemie-Gesetze»
«Anti-Blasphemie-Gesetze», Bestrafung von Blasphemie mit der Todesstrafe . Laut den
UNHCR-Richtlinien zur Einschätzung des internationalen Schutzbedarfs von Mitgliedern
religiöser Minderheiten in Pakistan vom Januar 2017 wurden Pakistans sogenannte «Anti-
Blasphemie-Gesetze» (Gesetze gegen Gotteslästerung) – Abschnitte 295, 295A und 298
des pakistanischen Kriminalgesetzes – aus dem britischen Rechtssystem übernommen und
waren ursprünglich dazu vorgesehen, religiöser Gewalt vorzubeugen und sie einzuschrän-
ken. Während der 1980er Jahre wurden nach und nach weitere Abschnitte hinzugefügt. So
sieht Abschnitt 298A vor, dass herabwürdigende Bemerkungen «durch gesprochene oder
geschriebene Worte oder durch sichtbare Darstellung oder durch irgendeine direkte oder
indirekte Unterstellung, Anspielung oder Andeutung» bez üglich «heiliger Persönlichkeiten»
Straftaten sind und mit bis zu drei Jahren Gefängnis und/oder mit einer Geldstrafe geahndet
werden können. Abschnitt 295B definiert das Schänden des Korans als Straftat, die mit ei-
ner lebenslangen Gefängnisstrafe bestraft wird. Abschnitt 295C schliesslich sieht vor, dass
jede Person, die «durch gesprochene oder geschriebene W orte oder durch sichtbare Dar-

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stellung oder durch irgendeine direkte oder indirekte Unterstellung, Anspielung oder Andeu-
tung den heiligen Namen des Heiligen Propheten Mohammed» schändet, mit der Todesstra-
fe oder mit einer lebenslangen Gefängnisstrafe und einer Geldstrafe bestraft wird.

Im Jahr 1990 urteilte der Federal Shariat Court (FSC), dass Straftaten unter Abschnitt 295C
immer die Todesstrafe nach sich ziehen sollten, und ordnete an, die Regierung solle Ab-
schnitt 295C entsprechend anpassen. Zwar tat die Regierung dies nicht, jedoch urteilte der
oberste Gerichtshof auf der Basis des FSC-Urteils von 1990 und Artikel 203D(3) der pakis-
tanischen Verfassung, dass Blasphemiefälle zwangsläufig mit der Todesstrafe bestraft wer-
den. Das 2008 eingeführte Moratorium auf alle 28 Straftaten, die mit der Todesstrafe be-
straft werden, wurde 2015 aufgehoben. Mehrere UN -Sondergesandte für Religions- und
Glaubensfreiheit haben die Bestrafung von Blasphemie mit der Todesstrafe als unverhält-
nismässig bezeichnet.

Versuche einer Reform der «Anti-Blasphemie-Gesetze» 2010 und 2011 scheiterten we-
gen Protesten islamistischer Hardliner und religiöser politischer Parteien; Morde an
zwei hochrangigen Regierungsvertretern, die sich öffentlich gegen die «Anti-
Blasphemie-Gesetze» ausgesprochen hatten; Mord an Generalstaatsanwalt. Laut UN-
HCR (Januar 2017) versuchte die damals von der Pakistan People’s Party (PPP) geführte
pakistanische Regierung in den Jahren 2010 und 2011, die «Anti-Blasphemie-Gesetze» zu
reformieren, scheiterte jedoch am Druck von religiösen Hardliner -Gruppierungen, die grosse
Protestveranstaltungen gegen die Gesetzesänderungen organisierten. Im Januar und März
2011 wurden Salman Taseer, der Gouverneur der Provinz Punjab, und Shahbaz Bh atti, der
pakistanische Minister für Minderheitenangelegenheiten, ermordet. Beide waren offene
Gegner der «Anti-Blasphemie-Gesetze». Der Gesetzesentwurf zur Reform der «Anti-
Blasphemie-Gesetze» wurde daraufhin zurückgezogen. Im Mai 2013 wurde der General-
staatsanwalt der Federal Investigation Agency, der mit der Untersuchung des Mordes an
Shahbaz Bhatti befasst war, ermordet.

Aufrufe zur Reform der «Anti-Blasphemie-Gesetze» und Kritik an strafrechtlichen Re-
gelungen bezüglich Religion werden trotz Urteil des obersten Gerichtshofs unter Ab-
schnitt 295C verfolgt. Zwar urteilte der oberste Gerichtshof gemäss UNHCR (Januar 2017)
im Oktober 2015, dass es keine Blasphemie darstelle, eine Reform der Blasphemie -Gesetze
zu befürworten. Trotzdem werden Aufrufe zur Reform der «Anti-Blasphemie-Gesetze» und
Kritik an strafrechtlichen Regelungen bezüglich Religion laut UNHCR (Januar 2017) unter
Abschnitt 295C verfolgt.

3.2      Blasphemie und Justizsystem
Religiöse Minderheiten einschliesslich Christ_innen unverhältnismässig stark von
«Anti-Blasphemie-Gesetzen» betroffen, Christ_innen werden auch in Zukunft von
Blasphemieanschuldigungen betroffen sein. Obwohl die «Anti-Blasphemie-Gesetze» für
alle pakistanischen Staatsbürger_innen gelten, sind religiöse Minderheiten einschliesslich
Christ_innen gemäss UNHCR (Januar 2017), USDOS (29. Mai 2018) und Matthew Nelson,
einem von EASO (Februar 2018) zitierter Pakistan-Experte, der am SOAS-Institut der Uni-
versität London forscht, relativ zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung unverhältnismäs-
sig stark davon betroffen. Laut Matthew Nelson werden Blasphemieanschuldigungen auch
in Zukunft auf die christliche Gemeinschaft in Pakistan abzielen.

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Voreingenommenheit gegen der Blasphemie angeklagte Personen von Akteuren im
Justizsystem, «beunruhigend widersprüchliche und willkürliche» Entscheide in Blas-
phemiefällen. Akteure im Justizsystem, einschliesslich Vertreter_innen der Polizei, An-
wält_innen und Richter_innen, zeigen sich laut von UNHCR (Januar 2017) zitierten Berich-
ten häufig voreingenommen gegenüber Personen, die der Blasphemie angeklagt sind.

Gemäss UNHCR (Januar 2017) dürfen laut dem pakistanischen Strafprozessrecht nur mus-
limische Richter_innen einer erstinstanzlichen Anhörung bezüglich Abschnitt 295C des
Strafgesetzes vorsitzen. Die vage und subjektive Sprache von Abschnitt 295C erlaube es
einzelnen Richter_innen, auf der Basis ihres eigenen muslimischen Glaubens zu entschei-
den, ob eine Tat den heiligen Namen des Heiligen Propheten geschändet hat. Dies führe zu
«beunruhigend widersprüchlichen und willkürlichen» Entscheide in Blasphemiefällen. Insbe-
sondere fehlten in Abschnitt 295C eine klare Definition von Blasphemie; die Bedingung,
eine Absicht nachzuweisen; sowie Verfahrensgarantien. Untere Gerichte würden sich in
Blasphemiefällen oft nicht an grundlegenden beweisrechtlichen Richtlinien orientieren.

Die vagen Formulierungen in Abschnitt 295C haben gemäss UNHCR (Januar 2017) dazu
geführt, dass ein breites Spektrum von Handlungen auf der Grundlage dieses Abschnitts
strafrechtlich verfolgt werden, einschliesslich das Aufschalten von «anstössigen Bildern»
oder «blasphemischen Karikaturen» auf Facebook oder das «Herstellen von Feuerwerks-
körpern aus Seiten des Koran».

Bezichtigungen der Blasphemie zur Drangsalierung religiöser Minderheiten ein-
schliesslich Christ_innen und im Zusammenhang mit persönlichen Streitigkeiten, Kli-
ma der Straflosigkeit. Laut UNHCR (Januar 2017) und USDOS (29. Mai 2018) werden die
«Anti-Blasphemie-Gesetze» häufig benutzt, um Mitglieder religiöser Minderheiten ein-
schliesslich Christ_innen zu bedrohen und zu drangsalieren. Viele Anschuldigungen würden
im Zusammenhang mit persönlichen Streitigkeiten oder Fehden gemacht, wobei ein Klima
der Straflosigkeit herrsche. USDOS (29. Mai 2018) berichtet von Fällen, in denen Regie-
rungsbehörden wie die Polizei und Gerichte mitschuldig an solchen Anklagen seien.

Falschanklagen bezüglich Blasphemie werden bisher nicht angemessen bestraft , Poli-
zei ist bestechlich. Im Oktober 2015 urteilte der oberste Gerichtshof gemäss UNHCR (Ja-
nuar 2017), der Staat sei dafür verantwortlich, unschuldige Personen vor falschen Anschul-
digungen von Blasphemie zu schützen. Gemäss USDOS (29. Mai 2018) verfügte das Hohe
Gericht von Islamabad im August 2017, das Strafgesetz müsse angepasst werden, so dass
die Bestrafung von Falschanklagen für Blasphemie im rechten Verhältnis zu denen für Blas-
phemie stehe. Das Parlament habe bisher aber keine entsprechenden Massnahmen ergrif-
fen. Laut UNHCR (Januar 2017) ist die Polizei darüber hinaus bestechlich, wenn es darum
geht, Falschanklagen gegen Mitglieder religiöser Minderheiten aufzunehmen.

Mangelnder Personenschutz für mit Blasphemiefällen be auftragte Richter_innen und
Anwält_innen behindert ihre Arbeit, Drohungen seitens Mitgliedern extremistischer
Gruppen verlängern Verfahren und Untersuchungshaft. Laut UNHCR (Januar 2017) ver-
hindert der mangelnde Personenschutz für mit Blasphemiefällen befasste Richter_innen und
Anwält_innen, dass sie ihre Arbeit effizient ausführen können. Mitglieder extremistischer
Gruppierungen würden Richter_innen und andere Vertreter_innen von Gerichten laut Be-
richten häufig bedrohen und einschüchtern. Dies führe zu Aufschüben und Verlängerungen

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von Verfahren und damit auch der Untersuchungshaft von in Blasphemiefällen Angeklagten.
Selten gäbe es eine Kautionsregelung.

Mangelnder Zugang zu Anwält_innen für in Blasphemiefällen angeklagte Personen.
Gemäss UNHCR (Januar 2017) haben in Blasphemiefällen angeklagte Personen oft grosse
Schwierigkeiten, eine Anwältin oder einen Anwalt zu finden, die/der sie vertritt. Viele An-
wält_innen unterstützten die «Anti-Blasphemie-Gesetze», während andere Einschüchterung
und Angriffe durch Beschwerdeführende und andere Personen fürchtete n. Anwält_innen
würden in Blasphemiefällen darüber hinaus hohe Gebühren verlangen. Zudem drohten An-
wält_innen, die der Blasphemie angeklagte Personen vertreten, selbst der Blasphemie an-
geklagt zu werden. Daher unterliessen sie es oft, zu argumentieren, die der angeklagten
Person vorgeworfene Handlung sei keine Blasphemie gewesen.

Richter_innen und Zeug_innen der Verteidigung sind ebenfalls Einschüchterung und
Gewalt ausgesetzt. Laut UNHCR (Januar 2017) sind Richter_innen und Zeug_innen der
Verteidigung ebenfalls Einschüchterung, Drangsalierung und Gewaltakten ausgesetzt.

Starke Gefährdung von der Blasphemie angeklagten Personen einschliesslich Tötun-
gen, unabhängig vom Urteil und sogar nach einem Freispruch; Folter und Tötungen in
(Polizei)haft; Einzelhaft als «Schutzmassnahme». Der Blasphemie angeklagte Personen
können gemäss UNHCR (Januar 2017) einer starken Gefährdung ausgesetzt sein, unab-
hängig davon, welches Urteil in ihrem Fall ergeht. Der Blasphemie angeklagte Personen
seien Todesdrohungen, Angriffen einschliesslich Massenangriffen und Tötungen durch Ein-
zelpersonen oder Mitglieder der Sicherheitskräfte ausgesetzt, entweder vor ihrer Festnahme
und vor ihrem Verfahren vor Gericht oder sogar nach einem Freispruch. Dadurch sähen sich
einige gezwungen, unterzutauchen oder zu fliehen, da sie um ihr Leben fürchten.

Einige der Blasphemie angeklagte Personen werden laut von UNHCR (Januar 2017) zitier-
ten Berichten auch in Polizeihaft oder in Haft gefoltert oder getötet. Solche Personen seien
einem hohen Risiko ausgesetzt, von Mitinhaftierten oder Gefängnisangestellten angegriffen
zu werden. Als «Schutzmassnahme» würden einer solchen Bedrohung ausgesetzte Perso-
nen in Einzel- oder Isolationshaft genommen, manchmal für viele Jahre.

HRCP (März 2018) bestätigt, dass der Blasphemie angeklagte Personen vor dem Ende ih-
res Gerichtsverfahrens und manchmal sogar nach einem Freispruch ermordet wurden.
Blasphemiebezichtigungen seien ausreichend, um das Leben der betroffenen Person zu
gefährden.

Lange Dauer von Verfahren und Untersuchungshaft in Blasphemiefällen. Im Februar
2018 berichtete Human Rights Watch von einem Blasphemiefall, der im Januar 2018 zum
sechsten Mal an eine_n anderen Richter_in abgegeben wurde. Der Angeklagte, Universi-
tätsprofessor Junaid Hafeez, war im März 2 013 in Punjab aufgrund von angeblichen Kom-
mentaren auf Facebook festgenommen worden. Hafeez befindet sich seit fünf Jahren in
Isolationshaft.

3.3      Festnahmen und Verurteilungen wegen Blasphemie
Festnahmen und Verurteilungen wegen Blasphemie. USDOS (29. Mai 2018) beruft sich
auf Berichte von zivilgesellschaftlichen Organisationen, gemäss denen mindestens 50 Per-

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sonen wegen Blasphemieanschuldigungen inhaftiert waren. Mindestens 17 von ihnen wur-
den zum Tode verurteilt. Die Polizei nahm im Jahr 2017 mindestens zehn neue Blasphe-
mieanklagen gegen 17 Personen auf. Im Jahr 2016 waren es 18 neue Fälle. Gemäss der
US-amerikanischen Commission on International Religious Freedom (USCIRF, 26. April
2017) waren Ende 2016 mindestens 40 Personen zur Todesstrafe verurteilt oder befanden
sich in lebenslanger Haft. Seit 2011 wurden gemäss USCIRF (April 2018) etwa 100 Blas-
phemieanklagen registriert, und etwa genauso viele Personen sind im Zusammenhang mit
Blasphemievorwürfen inhaftiert. 40 von ihnen seien entweder zum Tode verurteilt worden
oder sässen lebenslange Haftstrafen ab.

Laut einem Bericht von HRW vom 5. Februar 2018 wurde bisher keine wegen Blasphemie
zum Tode verurteilte Person exekutiert. Zum Zeitpunkt der Publikati on hatten mindestens
18 Personen ein Todesurteil wegen Blasphemie erhalten. W eitere 20 befanden sich wegen
ähnlicher Vergehen in lebenslanger Haft. Gemäss RFE/RL (23. November 2016) wurden
zwischen 2010 und 2015 mindestens neun der Blasphemie angeklagte Pe rsonen zum Tode
verurteilt. Weitere drei wurden lebenslang inhaftiert.

Fälle von Festnahmen und Verurteilungen von Christ_innen aufgrund der «Anti-
Blasphemie-Gesetze», einschliesslich zur Todesstrafe. Im Januar 2018 wurde laut
BAMF (5. März 2018) ein Christ von der Polizei festgenommen, nachdem er wegen der an-
geblichen Veröffentlichung «gotteslästerlicher» Fotos auf Facebook der Blasphemie bezich-
tigt wurde. Er warf der Polizei schwere und erniedrigende Misshandlungen vor, nachdem er
sich nach einem Sprung aus dem Gebäude der Bundespolizei im Februar 2018 schwer ver-
letzt hatte. Zuvor hatten Hunderte Anhänger der islamistischen Partei Tehreek-i-Labaik Ya
Rasool Allah (TLYRA) seine Bestrafung gefordert. Nach Übergriffen durch Extremist_innen
verliessen Christ_innen, die im gleichen Viertel wie der Beschuldigte wohnten, die W ohnge-
gend.

Im September 2017 nahm die Polizei im Distrikt Kasur, Provinz Punjab laut USDOS (15.
August 2017) den sechzehnjährigen Nabeel (Masih) Amanat, einen Christen, wegen des
Vorwurfs der Blasphemie fest. Er hatte auf Facebook ein Bild der Kaaba in Mekka geteilt. Er
befand sich Ende 2017 weiter in Polizeihaft und kann, wenn er verurteilt wird, für bis zu
zehn Jahre inhaftiert werden.

Im August 2017 nahm die Polizei in der Nähe der Stadt Wa zirabad in Punjab gemäss
RFE/RL (21. August 2017) den achtzehnjährigen Asif Massih wegen Blasphemievorwürfen
fest. Er wurde des Verbrennens von Seiten des Korans bezichtigt.

Im Juli 2017 bezichtigte laut HRCP (März 2018) ein Mitglied einer islamistischen extremisti-
schen Partei Shahzad Masih, einen sechzehnjährigen Putzmann in einem Spital im Distrikt
Gujrat in der Provinz Punjab, der Blasphemie. Seit seiner Festnahme am 14. Juli 2017 hatte
seine Familie keinen Kontakt mehr mit ihm. Die Polizei stritt ab, ihn festzuhalten.

Ebenfalls im Juli 2017 reichte ein muslimischer Mann gemäss USDOS (15. August 2017)
Beschwerde gegen Nadeem James, einen Christen, ein, da dieser ihm auf WhatsApp ein
«herabwürdigendes Gedicht über islamische heilige Personen» geschickt ha be. James wur-
de der Blasphemie angeklagt, und seine Verwandten wurden in «Schutzhaft» genommen,
bis er sich selbst auslieferte. Nachdem sein Fall vor einem Gericht der ersten Instanz in

Pakistan: Situation von Christ_innen – 8. Juni 2018                             Seite 9 von 45
Gujrat hängig war, wurde er im September 2017 gemäss HRCP (März 2018) von einem Ge-
richt in Bahawalpur zum Tode verurteilt.

Gemäss USDOS (29. Mai 2018 und 20. April 2018) wurde die Anhörung vor dem obersten
Gericht bezüglich der Berufung durch Asia Bibi, eine Christin, die 2010 wegen Blasphemie
zum Tode verurteilt worden war, im Oktober 2017 auf unbestimmte Zeit verschoben.

Im Jahr 2015 wurden laut UNHCR (Januar 2017) vier Christ_innen der Blasphemie ange-
klagt. Im Jahr 2014 gab es fünf Blasphemiefälle gegen Christ_innen, und mindestens drei
Christ_innen wurden infolge eines Schuldspruchs wegen Blasphemie zum Tode verurteilt.

Druck der Organisation Sunni Tehreek führt zu Blasphemieanklage gegen Shaan Ta-
seer, Fatwa. Laut USDOS (20. April 2018) registrierte die Polizei von Punjab im Dezember
2017 auf Druck der Organisation Sunni Tehreek einen Blasphemiefall gegen Shaan Taseer,
den Sohn von Salman Taseer, des 2011 wegen seiner Kritik an den Blasphemiegesetzen
ermordeten Gouverneurs von Punjab. Shaan Taseer hatte ein Video veröffentlicht, in dem
er allen Pakistanis fröhliche W eihnachten wünschte und sie bat, für die Opfer der Blasphe-
miegesetze zu beten. Sunni Tehreek sprach darüber hinaus eine Fatwa aus, in der sie
Shaan Taseer als «mit dem Tod haftend» («liable to death») für die Videobotschaft be-
zeichnete.

4        Kultur der religiösen Intoleranz,
         Drangsalierungen, Gewalt und gezielte
         Tötungen
«Anti-Blasphemie-Gesetze» fördern Atmosphäre der religiösen Intoleranz, Institutio-
nalisierung der Diskriminierung religiöser Minderheiten, Förderung extremistischer
Gewalt und gezielter Angriffe auf Mitglieder religiöser Minderheiten. Gemäss UNHCR
(Januar 2017) hat die Einführung der «Anti-Blasphemie-Gesetze» eine Atmosphäre der reli-
giösen Intoleranz gefördert und zu einer Institutionalisierung der Diskriminierung religiöser
Minderheiten beigetragen. Diese Gesetze würden ausserdem stark dafür kritisiert, extremis-
tische Gewalt und gezielte Angriffe auf Mitglieder religiöser Minderheiten zu fördern.

Hassreden gegen religiöse Minderheiten weit verbreitet , einschliesslich seitens Be-
hördenvertreter_innen und politischer Parteien. Hassreden gegen religiöse Minderheiten
sind laut UNHCR (Januar 2017) weit verbreitet; sogar grosse Medienhäuser erlauben Hass-
reden und Anstachelung zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten ohne Zensur. UNHCR (Ja-
nuar 2017) zitiert einen Bericht des UN Committee on the Elimination of Racial Discriminati-
on von 2016, gemäss dem es Berichte über eine Zunahme von Hassreden gegen religiöse
Minderheiten in den Medien, in den sozialen Netzwerken und auf religiösen Versammlungen
gebe, einschliesslich durch Behördenvertreter_innen und politische Parteien.

Zunahme der Zahl von religiösen Organisationen, deren Daseinszweck sich gegen
religiöse Minderheiten richtet. Muhammad Amir Rana, Direktor des Pakistan Institute for
Peace Studies (PIPS) (zitiert in EASO, Februar 2018), berichtet von der starken Zunahme
an religiösen Organisationen in Pakistan. Von 247 aktuell tätigen Organisationen hätten 84
eine rein konfessionelle Agenda, das heisst, ihr Daseinszweck richte sich gegen religiöse

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Minderheiten einschliesslich Schiit_innen, Ahmadi, Hindus oder Christ_innen. Diese Grup-
pen beeinflussten zunehmend den politischen Mainstream.

Hassverbrechen gegen religiöse Minderheiten einschliesslich Tötungen sind weit ver-
breitet, Blasphemieanschuldigungen gegen Christ_innen führen oft zu Lynchjustiz
durch Gruppen und individuelle Personen bis hin zu Tötungen. Gewalt gegen Angehö-
rige religiöser Minderheiten einschliesslich Christ_innen dauerte laut der Human Rights
Commission of Pakistan (HRCP) (March 2018) weiter an. Gemäss dem UN Committee on
the Elimination of Racial Discrimination (zitiert von UNHCR, Januar 2017) sind Hassverbre-
chen wie Drangsalierung, Massengewalt und Tötungen von Mitgliedern religiöser Minderhei-
ten, besonders Hazara, christliche Dalits, hinduistis che Dalits und Ahmadis weit verbreitet.
Im ganzen Land gibt es laut UNHCR (Januar 2017) weiterhin Angriffe und Massengewalt,
die auf Christ_innen abzielen. Dies wird teilweise auf den wachsenden Einfluss der extre-
mistischen sunnitischen Ideologie zurückgef ührt. Auch individuelle Personen verüben laut
UNHCR (Januar 2017) gezielte Angriffe und Tötungen gegen Christ_innen.

Gemäss USDOS (20. April 2018) wurden mehrere der Blasphemie bezichtigte Personen im
Jahr 2017 getötet. Anschuldigungen von Blasphemie gege n Christ_innen haben laut UN-
HCR (Januar 2017) in einigen Fällen zu Tötungen und Massenangriffen geführt. Laut HRCP
(März 2018) wurden seit 1995 mindestens 65 Personen im Zusammenhang mit unbewiese-
nen Anschuldigungen von Blasphemie ermordet.

Beispiele von Hassverbrechen gegen Christ_innen in den letzten Jahren. Im November
2017 tauchten fünf christliche Familien aus dem Dorf Sukheki 200 Kilometer nördlich von
Lahore unter. Sie waren die einzigen Christ_innen in diesem Dorf. Sonu Arshad, ein acht-
zehnjähriges Mitglied einer der Familien, hatte Todesdrohungen wegen angeblicher Blas-
phemie erhalten. Die Familien flohen, nachdem auf einer Seite auf Facebook, die angeblich
zu einem lokalen Fernsehsender gehör te, ein Foto von Sonu Arshad veröffentlicht wurde
und darin Gemeindemitglieder dazu aufgefordert wurden, «seine Kirche zu verbrennen und
ihn mit der Todesstrafe zu bestrafen».

Im August 2017 wurde der siebzehnjährige christliche Schüler Sharoon Masih in Burewala,
Distrikt Vehari, Provinz Punjab von einem Mitschüler dafür gelyncht, aus demselben Glas
wie er getrunken zu haben.

Laut HRCP (März 2018) zündeten Vandalen im April 2017 kurz nach den Karfreitagsgebeten
eine improvisierte Kirche in Lahore an.

Ebenfalls im April 2017 wurden Christ_innen in Salik To wn in Faisalabad, Punjab nach
Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Konvertierung eines christlichen Mädchens zum
Islam dazu aufgefordert, das Viertel zu verlassen oder, wenn sie bleiben wollten, zum Islam
zu konvertieren.

In einem häufig zitierten Fall von Lynchjustiz aus dem Jahr 2014 verbrannte ein Lynchmob
gemäss RFE/RL (24. März 2018) ein christliches Paar in der Nähe der Stadt Kot Radha
Kishan in Punjab bei lebendigem Leib in einem Ziegelofen. Das Paar war fälschlicherweise
bezichtigt worden, Seiten des Korans in den Müll geworfen zu haben. Im November 2016
verurteilte laut RFE/RL ein Antiterrorismusgericht in Lahore fünf in den Mord verwickelte

Pakistan: Situation von Christ_innen – 8. Juni 2018                             Seite 11 von 45
Personen zum Tode, weitere acht zu Gefängnisstrafen von zwei Jahren und sprach 93 Per-
sonen frei.

Angriffe und Anschläge auf Mitglieder religiöser Minderheiten einschliesslich
Christ_innen durch bewaffnete Gruppierungen einschliesslich ISPK/Daesh. Gemäss
USDOS (29. Mai 2018) führten bewaffnete sektiererische Gruppen, die mit von der Regie-
rung als extremistisch eingestuften und verbotenen Organisationen in Verbindung stehen,
sowie von ausländischen Regierungen als terroristisch eingestufte Gruppen auch weiterhin
Angriffe durch, die auf Christ_innen, Ahmadi, Sufi und Schiiten einschliesslich Hazara ab-
zielten. Laut Matthew Nelson, ein von EASO (Februar 2018) zitierter Pakistan-Experte, der
am SOAS-Institut der Universität London forscht, verüben Gruppen wie die pakistanischen
Taliban (Tehrik-i-Taliban Pakistan) (TTP) und eine Splittergruppe namens Jamaat-ul-Ahrar
Anschläge auf Christ_innen. Die Bedrohung von Christ_innen durch solche «Terrorgruppen»
würde auch in Zukunft bestehen bleiben. Gemäss USCIRF (April 2018) bedrohen «terroristi-
sche» Gruppen wie die Lashkar-e-Taiba (LeT), Lashkar-e-Jhangvi (LeJ), der selbst erklärte
«Islamische Staat in der Provinz Khorasan» (ISPK)/Daesh und TTP sowohl Mitglieder religi-
öser Minderheiten als auch Personen, die sich für sie einzusetzen versuchen.

Beispiele von Anschlägen durch bewaffnete Gruppierungen in den letzten Jahren. Am
16. April 2018 berichtete RFE/RL von der Erschiessung zweier Christ_innen vor einer Kir-
che in der Stadt Quetta. Gemäss RFE/RL (3. April 2018) wurden bereits am 2. April 2018
vier Christ_innen in Quetta erschossen. Für beide Angriffe zeichnete ISPK/Daesh verant-
wortlich.

Am 17. Dezember 2017 verübten Selbstmordattentäter laut USDOS (29. Mai 2018) einen
Anschlag auf die Bethel Memorial Methodist Church in Quetta in der Provinz Belutschistan.
Neun Gemeindemitglieder wurden getötet und fast 60 verletzt. Dies w ar der erste Anschlag
auf eine Kirche in Pakistan, für den ISPK/Daesh die Verantwortung übernahm.

Am Ostersonntag im März 2016 tötete gemäss USDOS (15. August 2017) ein Selbstmordat-
tentäter im Gulshan-e-Iqbal-Park in Lahore 78 Personen einschliesslich 29 Kinder und ver-
letzte mehr als 350. Viele der Opfer waren Christ_innen, wobei die Mehrheit der Opfer Mus-
lim_innen waren. Laut USDOS (15. August 2017) erklärte sich Jamaat-ul-Ahrar, gemäss
UNHCR (Januar 2017) eine Splittergruppe der pakistanischen Taliban , für den Anschlag
verantwortlich. Gemäss UNHCR (Januar 2017) gab die Gruppe an, der Anschlag habe auf
Christ_innen abgezielt. Gemäss der Jamestown Foundation (26. Januar 2018) war
ISPK/Daesh für den Anschlag verantwortlich. Gemäss UNHCR (Januar 2017) setzte die
Regierung nationale paramilitärische Sicherheitskräfte (die Rangers) ein; ausserdem seien
laut Medienberichten im Zuge der Ermittlungen 5000 Personen befragt und mehr als 200
festgenommen worden.

Im März 2015 bombardierte gemäss UNHCR (Januar 2017) e ine militante Gruppe zwei
christliche Kirchen in Lahore während des Sonntagsgottesdienstes. 14 bis 16 Personen
wurden getötet und mindestens 70 verletzt. Am Tag darauf gab es Proteste von
Christ_innen; die Proteste wurden gewalttätig und zwei Muslim_innen wurden getötet. Die
Polizei habe mehr als 500 Christ_innen festgenommen.

Anschläge und Druck durch bewaffnete Gruppen führ en zu Anti-Minderheiten-Rhetorik
in der Öffentlichkeit. Da bewaffnete Gruppen laut USCIRF (April 2018) auch Personen

Pakistan: Situation von Christ_innen – 8. Juni 2018                          Seite 12 von 45
bedrohen, die sich für die Rechte religiöser Minderheiten einsetzen, vermeiden es Politi-
ker_innen und Richter_innen, sich für die Rechte religiöser Minderheiten auszusprechen.
Dies fördere eine zunehmend Uneinigkeit stiftende und gegen Minderheiten gerichtete Rhe-
torik in der Öffentlichkeit.

Illegale Besetzungen, Entweihungen und Angriffe auf Kultstätten, Friedhöfe und Ge-
schäfte. Christ_innen sind laut UNHCR (Januar 2017) weiterhin illegalen Besetzungen und
Entweihungen ihrer Kultstätten und Friedhöfe ausgesetzt. Auch i hre Läden und Geschäfte
werden manchmal illegal besetzt. USDOS (29. Mai 2018) erwähnt Berichte von Angriffen
auf heilige Stätten, Friedhöfe und religiöse Symbole religiöser Minderheiten, die die Polizei
nicht verhinderte. So warf ein Unbekannter am 7. Okto ber 2017 eine Handgranate in eine
Kirche in Quetta, Belutschistan. Niemand wurde verletzt. Bis Ende 2017 wurde niemand im
Zusammenhang mit diesem Angriff festgenommen.

Diskriminierung eines Christen beim Zugang zu medizinischer Versorgung. Im Juni
2017 berichtete Christian Solidarity Worldwide (CSW) über Irfan Masih, einen christlichen
Müllwerker in der Stadt Umerkot in der Provinz Sindh, der beim Reinigen eines Schachts
ohne Schutzausrüstung giftige Dämpfe einatmete und bewusstlos wurde. Als er ins Spital
eingeliefert wurde, teilten Ärzt_innen seinen Familienangehörigen mit, sie könnten ihn nicht
behandeln, da er «napaak» («unrein») sei. Vor der Behandlung müsste die Familie seinen
Körper reinigen. Nachdem dies erfolgt war, brachten Ärzt_innen eine Sauersto ffflasche, die
aber leer war. Bevor eine weitere Sauerstoffflasche geliefert wurde, verstarb der Patient.

Diskriminierung von religiösen Minderheiten einschliesslich Christ_innen in beim Zu-
gang zu Bildungseinrichtungen. Laut UNHCR (Januar 2017) sehen sich Christ_innen in
Bildungseinrichtungen Diskriminierungen ausgesetzt. Gemäss USDOS (29. Mai 2018) und
UNHCR (Januar 2017) lehren in öffentlichen Schulen verwendete Schulbücher religiöse
Intoleranz und enthalten abwertende Aussagen über religiöse Minderheiten einschliesslich
Ahmadi, Hindus, Juden und Jüdinnen sowie Christ_innen . Gemäss USCIRF (26. April 2017)
lehren pakistanische Schulbücher Vorurteile und Misstrauen gegenüber Nichtmuslim _innen
und stellen sie als minderwertig dar. Sie stellen Nichtmuslim _innen in Pakistan darüber hin-
aus als nicht-pakistanisch dar und bezichtigen sie, gegenüber Pakistans Feinden Verständ-
nis zu hegen: Pakistanische Christ_innen werden als westlich oder als britische koloniale
Unterdrücker_innen dargestellt, pakistanische Hindus als Inder_innen. Diese Darstellungen
verstärken existierende gesellschaftliche Spannungen und schaffen ein negatives Klima für
religiöse Minderheiten. Laut USDOS (20. April 2018) berichteten Vertreter religiöser Min-
derheiten über Diskriminierung gegen Christ_innen, Hindus, Sikhs und Ahmadi beim Zugang
zu höheren Bildungseinrichtungen einschliesslich Colleges und Universitäten.

Diskriminierung von Mitgliedern religiöser Minderheiten bei der Bewerbung um staat-
liche Arbeitsstellen und Parlamentskandidaturen. Laut USDOS (29. Mai 2018) berichte-
ten Vertreter_innen religiöser Minderheiten, sie würden bei der Bewerbung um staatliche
Arbeitsstellen diskriminiert. Zwar sind auf nationaler Ebene fünf Prozent der staatlichen
Stellen für Mitglieder religiöser Minderheiten vorgesehen. Diese Regelung würde aber nicht
umgesetzt. Auch die Provinzregierungen von Punjab, Sindh und Khyber Pakhtunkhwa wen-
deten entsprechende Quotenregelungen nicht an. Darüber hinaus erreichten Nichtmuslime
kaum höhere Regierungsposten. Dies gelte auch für höhere Positionen bei den staatlichen
Sicherheitskräften. Auch im Auswahlprozess für Parlamentskandidaturen seien Mitglieder
religiöser Minderheiten benachteiligt.

Pakistan: Situation von Christ_innen – 8. Juni 2018                             Seite 13 von 45
5        Staatlicher Schutz
Regierung versagt beim Schutz von religiösen Minderheiten; Gewalt, Diskriminierung
und Hassreden durch islamistische Extremist_innen bleiben straflos. Gemäss USCIRF
(April 2018) bleiben die Urheber gewalttätiger Verbrechen gegen religiöse Minderheiten oft
straflos. Eine grosse Zahl von Extremisten sei entweder freigelassen worden oder sei gar
nicht erst festgenommen und strafverfolgt worden.

Laut der unabhängigen Human Rights Commission of Pakistan (HRCP) (März 2018) versagt
die Regierung beim Schutz religiöser Minderheiten vor An griffen und Diskriminierung. Ext-
remistische Kräfte, die danach streben, Pakistan zu einem ausschliesslich islamischen Land
zu machen, hätten freie Hand. Im November 2017 hätten einige hundert Fanatiker die
Hauptstadt Islamabad und die Garnisonsstädte durch ihren Protest im Stadtteil Faizabad in
Islamabad während 23 Tagen blockiert, bis die Regierung ihre Forderungen akzeptierte.
Damit habe die Regierung Fundamentalismus und Militanz im Namen der Religion Tür und
Tor geöffnet. Gemäss USCIRF (April 2018) war Khadim Hussain Rizvi, der Anführer der
neuen Partei Tehreek-i-Labbaik Ya Rasool Allah (TLYR), für die Proteste verantwortlich.
Bereits 2011 hatte er die Ermordung von Salman Taseer, des Gouverneurs von Punjab,
wegen dessen Einsatzes gegen die Blasphemiegesetze befürwortet.

Mangelnder staatlicher Schutz von Mitgliedern religiöser Minderheiten einschliesslich
Christ_innen vor Diskriminierung und Gewalt, einschliesslich von der Blasphemie
angeklagten Christ_innen, Versagen der Polizei. USDOS (29. Mai 2018) zitiert Berichte
von zivilgesellschaftlichen Gruppen, gemäss denen die staatlichen Behörden in Fällen von
gesellschaftlicher Gewalt gegen religiöse Minderheiten oft nicht eingriffen und die Polizei
die für die Gewalt Verantwortlichen oft nicht festnahm. Laut UNHCR (Januar 2017) werden
staatliche Behörden einschliesslich der Polizei dafür kritisiert, nicht eingegriffen zu haben,
um Christ_innen vor gewalttätigen Angriffen zu schützen. Ausserdem hätten sie entspre-
chende Fälle von Diskriminierung und Gewalt n icht angemessen untersucht. Auch der Blas-
phemie angeklagte Christ_innen würden laut Berichten nicht angemessen durch Polizei und
Justiz geschützt. Laut von USDOS (29. Mai 2018) zitierten Mitgliedern religiöser Minderhei-
ten verhält sich die Regierung beim Schutz der Rechte religiöser Minderheiten inkonse-
quent, und die offizielle Diskriminierung von Christ_innen, Hindus, Sikhs und Ahmadi dauert
weiter an. Laut von UNHCR (Januar 2017) zitierten Berichten untersucht die Polizei Entwei-
hungen, Vandalismus und Zerstörung von Gotteshäusern und Kultstätten von Angehörigen
religiöser Minderheiten kaum und verhindert solche Angriffe nicht.

Laut HRCP (März 2018) prügelte die Polizei im Oktober 2017 einen vierzehnjährigen christ-
lichen Jungen zu Tode, nachdem er in einen Streit mit einem muslimischen Klassenkamera-
den geriet, der ihn dazu zwingen wollte, seinen Glauben zu verleugnen.

Gemäss BAMF (5. März 2018) forderte das Pakistan Christian Action Committee (PCAC) die
Regierung im März 2018 auf, gegen den Missbrauch des B lasphemiegesetzes vorzugehen.

Deutlich schlechtere Behandlung von Mitgliedern religiöser Minderheiten in Haft und
Polizeigewahrsam, Gewalt durch Mitinhaftierte und Mitglieder der staatlichen Sicher-
heitskräfte. Laut UNHCR (Januar 2017) werden Mitglieder religiöser Minderheiten in Haft
und Polizeigewahrsam gemäss Berichten deutlich schlechter behandelt als andere pakista-
nische Staatsbürger_innen. Besonders betroffen sind Inhaftierte, die der Blasphemie (Got-

Pakistan: Situation von Christ_innen – 8. Juni 2018                              Seite 14 von 45
teslästerung) beschuldigt werden: Sie sind oft nic ht nur Gewalt durch Mitinhaftierte ausge-
setzt, sondern auch durch Mitglieder der staatlichen Sicherheitskräfte. Auch würden ihnen
schlechter ausgestattete Einrichtungen zugeteilt als muslimische n Inhaftierten.

Straflosigkeit von Urhebern religiöser oder sektiererischer Gewalt. Gemäss UNHCR
(Januar 2017) herrscht ein Klima der Straflosigkeit gegenüber Urhebern religiöser oder sek-
tiererischer Gewalt. Zwar habe die Regierung mehrere religiöse Gruppierungen als «extre-
mistisch» oder «terroristisch» eingestuft u nd verboten, die hinter einigen Gewalttaten gegen
Mitglieder religiöser Minderheiten stecken. Jedoch änderten einige dieser Gruppierungen
ihren Namen und blieben aktiv. Laut dem von UNHCR (Januar 2017) zitierten UN Commit-
tee on the Elimination of Racial Discrimination werden Hassverbrechen gegen religiöse
Minderheiten oft nicht strafrechtlich untersucht und verfolgt.

Im Januar 2017 sprach ein Antiterrorismusgericht laut USCIRF (26. April 2017) mehr als
100 Verdächtige frei, die angeklagt waren, im Januar 20 13 am Angriff auf den überwiegend
christlichen Stadtteil Joseph Colony in Lahore, Punjab beteiligt gewesen zu sein. Der Angriff
wurde ausgelöst, als ein christlicher Einwohner der Blasphemie bezichtigt wurde. Ein Mob
von ungefähr 3000 Personen zerstörte mehr als 150 christliche W ohnungen, Geschäfte und
zwei Kirchen und zwang hunderte christlicher Familien zur Flucht.

Gemäss HRCP (März 2018) übernehmen extremistische religiöse Gruppen für gezielte Tö-
tungen und Massenangriffe gegen Ahmadi, Christ_innen und schiitische Hazara unter ande-
rem in Belutschistan aufgrund der Straflosigkeit selbstbewusst die Verantwortung. Die S traf-
losigkeit habe ein Umfeld geschaffen, das religiösen Eifer und Hassreden fördert.
Verbotene religiöse Organisationen seien offen auf Facebook präsent, verbreiteten dort ihre
sektierische Ideologie und hetzten gegen religiöse Minderheiten und muslimisch e Sekten.
Die Regierung erscheine gegen diese Hassreden in den sozialen Medien machtlos.

Kaum Fortschritte bei der Umsetzung des Urteils des obersten Gerichts von 2014 zum
Schutz religiöser Minderheiten. In einem Urteil von 2014 konstatierte das oberste G ericht
laut UNHCR (Januar 2017) eine «Abwesenheit von effizienten Massnahmen durch den
Staat» bezüglich des Schutzes religiöser Minderheiten. Staatliche Behörden und Vollstre-
ckungsorgane seien sich der Rechte religiöser Minderheiten nicht ausreichend bewus st
oder diesbezüglich nur ungenügend sensibilisiert, was den Schutz dieser Minderheiten be-
hindere. Das Gericht ordnete laut USDOS (29. Mai 2018) an, die Regierung müsse Mass-
nahmen zum Schutz von Mitgliedern religiöser Minderheiten ergreifen. Gemäss von USD OS
(29. Mai 2018) zitierten Menschenrechtsaktivist_innen gibt es bisher kaum Fortschritte sei-
tens der Nationalregierung und der Provinzregierungen bei der Umsetzung dieses Urteils.

Der National Commission for Minorities (NCM) fehlen Mittel und Unabhängigkeit. Ge-
mäss UNHCR (Januar 2017) rief die Regierung im November 2014 infolge des oben er-
wähnten Urteils des obersten Gerichtshofs die National Commission for Minorities (NCM)
ins Leben, in der Christ_innen, Hindus, Muslime und Sikhs vertreten sind. Die Kommi ssion
zielt darauf ab, Gesetze zu überprüfen und eine Inter-faith Harmony Policy zu erarbeiten.
Laut USDOS (29. Mai 2018) trat die NCM seit ihrer Gründung sporadisch zusammen. Laut
Aktivist_innen erhalte sie kein regelmässiges Budget und habe keine_n unabh ängige_n
Vorsitzende_n, was ihre Weiterentwicklung erschwere.

Pakistan: Situation von Christ_innen – 8. Juni 2018                             Seite 15 von 45
Mangelnder Schutz vor der illegalen Praxis der Schuldknechtschaft, Christ_innen be-
sonders betroffen, Straffreiheit für Arbeitgeber_innen. Gemäss UNHCR (Januar 2017)
und USDOS (29. Mai 2018) versäumen es die staatlichen Behörden weiterhin, Mitglieder
von Minderheiten vor der Schuldknechtschaft in der Ziegelindustrie und in der Landwirt-
schaft zu schützen. Diese illegale Praxis betrifft Christ_innen unverhältnismässig stark. Ob-
wohl Sklaverei und alle Formen von Zwangsarbeit verboten sind, setzen die Behörden die-
ses Verbot nicht durch. Laut AI (2017) werden Arbeitgeber_innen nur selten bestraft, wie es
das Gesetz zum Verbot der Schuldknechtschaft ( Bonded Labour Abolition Act) von 1992
verlangt. Richter_innen an unteren Gerichten seien sich der im Gesetz vorgesehenen Rege-
lungen oft nicht bewusst. Die Polizei nehme bisweilen Bestechungsgelder an und schütze
die Arbeitgeber_innen. Letztere hätten grosse wirtschaftliche und politische Macht und wür-
den daher selten zur Rechenschaft gezogen.

Mangelnder staatlicher Schutz für Personen, welche die Rechte religiöser Minderhei-
ten verteidigen. Laut UNHCR (Januar 2017) gewähren die staatlichen Behörden Mitglie-
dern der Justiz, Anwält_innen, Menschenrechtsverteid iger_innen und anderen Personen,
welche die Rechte religiöser Minderheiten verteidigen und die selbst bedroht, eingeschüch-
tert, drangsaliert und physisch angegriffen werden, keinen angemessenen Schutz.

Einzelne Äusserungen der Regierung zu religiöser Toler anz und einzelne positive
Massnahmen zum Schutz von Mitgliedern einiger religiöser Minderheiten, einschliess-
lich Christ_innen. Im Jahr 2017 schlug die Regierung der Provinz Sindh ein Projekt vor, im
Rahmen dessen hunderte Kultstätten von Christ_innen, Hind us, Parsis und Sikhs zu ihrer
Sicherheit videoüberwacht und ihre Infrastruktur beobachtet werden sollen. Bis Ende 2017
waren jedoch keine Fortschritte dieses Projekts sichtbar. Gemäss AI (2017) sagte der pakis-
tanische Premierminister im Januar 2017 anlässl ich der Einweihung eines restaurierten
Hindu-Tempels in der Provinz Punjab, aus seiner «persönlichen Sicht» seien «alle gleich –
Muslime, Hindus, Sikhs, Christ_innen – und Menschen, die anderen Glaubensrichtungen
angehören»; alle seien «eins».

UNHRC (Januar 2017) berichtet, dass sich im Jahr 2015 Berichten gemäss die Professiona-
lität der Polizei und von lokalen Behörden beim Schutz von Minderheiten vor Diskriminie-
rung und Gewalt verbessert habe. Nach der Verabschiedung des National Action Plan im
Dezember 2014 habe die Polizei Personen einschliesslich religiöser Führer und Kleriker für
Hassreden und Missbrauch von Lautsprechern festgenommen. Buchläden seien geschlos-
sen worden, da sie Hassliteratur verkauften, und in einigen Moscheen und Seminaren sei
religiöses Material beschlagnahmt worden. Die nationale und Provinzregierungen hätten im
Oktober 2015 angekündigt, die Bewegungsfreiheit von hunderten religiöser Kleriker einzu-
schränken, die bezichtigt wurden, sektiererischen Hass zu verbreiten. Allerdings habe es
auch Berichte gegeben, dass die Polizei unter dem Druck, den National Action Plan umzu-
setzen, Mitglieder religiöser Minderheiten ungerechtfertigt festgenommen habe.

Gemäss USCIRF (April 2018) habe die Kapazität bewaffneter Gruppen, Angriffe auf verletz-
liche Gruppen durchzuführen, infolge der 2014 begonnenen Militäroperation Zarb -e-Azb im
Nordwesten Pakistans abgenommen. Ausserdem sorge die Regierung besonders während
religiöser Festlichkeiten für zusätzliche Sicherheitsmassnahmen für religiöse Minderhei ten.

Im Februar 2016 wurde laut UNHCR (Januar 2017) die Todesstrafe an Mumtaz Qadri voll-
streckt, dem Mörder von Salmaan Taseer, des Gouverneurs von Punjab (letzterer hatte sich

Pakistan: Situation von Christ_innen – 8. Juni 2018                             Seite 16 von 45
gegen das Blasphemiegesetz und zugunsten von Asia Bibi geäussert, vgl. Kapitel 3.1 und
3.3).

Ebenfalls im Februar 2016 kündigte die Regierung laut USCIRF (26. April 2017) einen Hu-
man Rights Action Plan an, mittels dem unter anderem der Schutz religiöser Minderheiten
verbessert werden sollte. Gemäss USCIRF (April 2018) und USDOS (29. Mai 2018) wurden
viele Empfehlungen des Plans jedoch bisher nicht umgesetzt. Der Plan sieht laut USDOS
(29. Mai 2018) neun Regelungen zum Schutz der Rechte religiöser Minderheiten vor, ein-
schliesslich die Umsetzung von Gesetzen, laut denen die Anstif tung zu religiösem Hass
eine Straftat ist, sowie den Schutz von Kultstätten religiöser Minderheiten.

Weiter andauernde Angriffe, Anstiftungen zu Gewalt und sozio-politische Entmündi-
gung gegen religiöse Minderheiten einschliesslich Christ_innen trotz einzelner positi-
ver Massnahmen. Trotz einiger positiver Massnahmen sind religiöse Minderheiten ein-
schliesslich Christ_innen laut USCIRF (April 2018) weiterhin Angriffen, Anstiftungen zu
gegen sie gerichteter Gewalt und soziopolitischer Entmündigung ausgese tzt.

6        Überwachung der pakistanischen Diaspora
         im Ausland
Pakistanische Staatsbürger_innen im Ausland, die den pakistanischen Staat öffentlich
oder privat kritisieren, sind auf dem Radar der pakistanischen Regierung . Laut der E-
Mail-Auskunft einer Kontaktperson mit Expertenwissen zu Pakistan vom 8. Juni 2018 an die
SFH halten sich einige pakistanische Botschaften über die Aktivitäten von pakistanischen
Staatsbürger_innen einschliesslich Pakistanis im Exil auf dem Laufenden. Personen, die
den pakistanischen Staat öffentlich oder privat kritisieren, besonders auch in Foren, die zur
Beurteilung von Pakistans Menschenrechtssituation relevant sind, seien auf dem Radar der
pakistanischen Regierung.

Annulierung einer von pakistanischen Staatsbürger_innen im Ausland geplanten
Veranstaltung infolge von angedeuteten Drohungen. Eine weitere Kontaktperson mit
Expertenwissen zu Pakistan berichtete am 7. Juni 2018 gegenüber der SFH von einer
Veranstaltung, die im Ausland lebende pakistanische Staatsbürger_innen planten. Die
Veranstaltung sei abgesagt worden, nachdem die Organisator_innen von Vertreter_innen
der pakistanischen Vertretung in ihrem Wohnsitzland kontaktiert wurden und durch
angedeutete Drohungen, die auf ihre Verwand ten und Bekannten in Pakistan abzielten,
indirekt eingeschüchtert wurden (E-Mail-Auskunft vom 7. Juni 2018).

Überwachungssystem des pakistanischen Staates ermöglicht auch Überwachung von
Staatsbürger_innen im Ausland. Im Februar 2013 verabschiedete das pak istanische Par-
lament den Investigation for Fair Trial Act, ein Gesetz, das die Überwachung von pakistani-
schen Staatsbürger_innen regelt. Laut diesem Gesetz können auch pakistanische Staats-
bürger_innen im Ausland überwacht werden ( Pakistan National Assembly, 22. Februar
2013).

Pakistan: Situation von Christ_innen – 8. Juni 2018                             Seite 17 von 45
7        Quellen
Amnesty International, 2017:

        «(…) bonded labour continues to exist in Pakistan, particularly in agriculture and the
        brick kilns industry. The practice is rooted in unequal landownership patterns, and
        disproportionately affects certain caste and ethnic groups. In Sindh province, a majori-
        ty of agricultural and brick kiln workers who is in debt -bondage, are Hindus from so-
        called “lower” castes. Christians and Afghan migrants make up a sizeable proportion
        of those who work on brick kilns in Punjab and Khyber Pakhtunkhwa. Bonded labour
        was formally banned in Pakistan in 1992. The Bonded Labour Abolition Act, 1992 made
        forcing anyone to work in bondage a crime punishable with imprisonment for a term ex-
        tending up to five years. The Human Rights Commission of Pakistan and other NGOs have
        since successfully used the law to secure freedom for a number of bonded labourers. How-
        ever, the employers are rarely punished as required under the 1992 law. Judges in the
        lower courts are often unaware of the provisions of the Bonded Labour Abolition Act.
        At times, the police become complicit in protecting the employers in exchange for bri-
        bes. Since the employers are economically and politically powerful, they evade justice.

        In practice, limited access to institutional credit and absence of alternative livelihoods
        continue to push workers into a cycle of debt bondage and poverty. In many cases, the
        bonded labourers who are set free by the courts return to their former “employers”
        when they fail to find other work. (…)

        Amnesty International notes the recent efforts by the government to celebrate Pakistan’s reli-
        gious diversity. In January 2017, the Prime Minister inaugurated the restoration of the
        900-year-old Katas Raj Hindu temples in Punjab’s Chakwal Dis trict. On that occasion,
        the Prime Minister gave a strong message of tolerance and social harmony by saying
        that “in my personal view, we are all are equal – Muslims, Hindus, Sikhs, Christians –
        and people belonging to other religions; we are all one.” The Prime Minister reiterated
        this stance at a ceremony celebrating the Holi festival with the Hindu community in
        March 2017.» Quelle: Amnesty International (AI), Pakistan; Submission to the United Nations
        Committee on Economic, Social and Cultural Rights; 61 st Session, 29 May - 23 June 2017
        [ASA 33/6100/2017], 2017, S. 10, 15:
        www.ecoi.net/en/file/local/1402078/1930_1498115994_int -cescr-css-pak-27306-e.pdf.

BAMF, 5. März 2018:

        «Erneut Blasphemievorwürfe gegen Christen

        In Lahore sprang vergangene Woche ein 24 -jähriger [christlicher] Mann aus dem vier-
        ten Stock des Gebäudes der Bundespolizei und verletzte sich schwer. Er wirft der Poli-
        zei schwere und erniedrigende Misshandlungen vor. Der Mann war am 16.01.18 verhaf-
        tet worden, weil er angeblich gotteslästerliche Fotos auf Facebook veröffentlicht habe.
        Zuvor hatten Hunderte Anhänger der Islamistischen Partei Tehreek -i-Labaik Ya Rasool
        Allah (TLYRA) seine Bestrafung gefordert. Angehörige der christlichen Minderheit im
        Wohnviertel des Beschuldigten verließen die Gegend, nachdem es zu Übergriffen durch
        Extremisten gekommen war. Anlass der Anzeige gegen den Mann soll ein Streit mit

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