Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft - sui ...
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sui generis Charlotte Sieber-Gasser Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft Details des neuen Präferenzmechanismus, Informationslage zum Zeitpunkt des Referendums und Gewährleistung der Abstimmungsfreiheit Den EFTA-Staaten ist in den Verhandlungen über eine Wirtschaftspartnerschaft mit Indonesien scheinbar Bahnbrechendes gelungen: Zum ersten Mal weltweit macht ein Handelsabkommen präferenzielle Zölle ab- hängig von der Art und Weise, wie ein Rohstoff produ- ziert worden ist. Der — theoretische — ökonomische An- reiz zur nachhaltigen Produktion überwindet damit das Verbot in den WTO-Abkommen, zwischen nachhaltig und konventionell produzierten Waren zu unterscheiden. Al- lerdings zeigt ein näherer Blick, dass die gewährten Prä- ferenzen keinen nennenswerten ökonomischen Wert be- sitzen. Dass diese Tatsache im Abstimmungskampf nicht offengelegt wurde, wirft Fragen auf: Was ist der Wert der Palmöl-Vereinbarung in der EFTA-Indonesien Wirt- schaftspartnerschaft? Hat der Bundesrat seine Pflichten verletzt, indem er unvollständig über den Umfang des ökonomischen Anreizes zur nachhaltigen Palmölproduk- tion informiert hat? Dieser Beitrag verortet Handlungs- bedarf in Bezug auf die Überwindung des Informations- vorsprungs der Bundesverwaltung gegenüber der Legis- lative im Meinungsbildungsprozess über internationale Handelsabkommen. I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 II. Rechtsinnovation zur Förderung nachhaltiger Produktion durch Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 III. CEPA-Zollpräferenzen für Palmöl im Detail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 IV. Einordnung des CEPA-Präferenzmechanismus .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 V. Informationslage zum Zeitpunkt des Referendums und Gewährleistung der Abstimmungsfreiheit 277 VI. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Zitiervorschlag: Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indo- nesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021, S. 271 Dr. iur. Charlotte Sieber-Gasser ist Lehrbeauftragte im öffentlichen Recht an den Universitäten Luzern und Zürich und habilitiert an der Universität Bern zur Verfassung der politischen Rechte in der globali- sierten Schweiz (charlotte.sieber@gmail.com). Ein herzlicher Dank gebührt Ilona Gremminger vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO für die ausführlichen Diskussionen über den CEPA-Präferenzmecha- nismus, sowie den beiden anonymen Reviewern für die sorgfältige Durchsicht und wertvollen Inputs. URL: sui-generis.ch/191 DOI: https://doi.org/10.21257/sg.191 Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namens nennung — Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz. 271
welche zuletzt von verschiedener Seite teils heftig kriti- I. Einleitung siert worden ist.3 1 Faktenkenntnis ist für das Funktionieren einer Demo- kratie unabdingbar. Sie bildet die Grundlage für den po litischen Meinungsbildungsprozess und wird im Rah- II. Rechtsinnovation zur Förderung men von Abstimmungsvorlagen unabdingbar. Und genau nachhaltiger Produktion durch hier verfügen Behörden oft über einen Informationsvor- Handel sprung. Dieser ist grundsätzlich geeignet, Misstrauen in behördliche Informationstätigkeit zu fördern. Deshalb Die Wirtschaftspartnerschaft zwischen den EFTA-Staa- 5 gelten erhöhte Sorgfaltspflichten für behördliche Infor- ten und Indonesien (Comprehensive Economic Partner- mationstätigkeit über Abstimmungsvorlagen. ship Agreement, CEPA)4, führt über Kapitel 8 «Trade and Sustainable Development» weltweit erstmalig Präferenz- 2 Dass die Behörden bisweilen eine anspruchsvolle Grat- zölle ein, welche auf nachhaltige Produktion beschränkt wanderung zwischen korrekter, umfassender und ein- sind. Der CEPA-Präferenzmechanismus gilt ausschliess- fach verständlicher Information vollbringen müssen, lich für Palmöl. Theoretisch könnte derselbe Mechanis- leuchtet ein. Unvollständige oder vereinfachende be- mus in Zukunft auch auf andere Rohstoffe und Produkte hördliche Information kann denn auch im Rahmen eines angewendet werden. Damit besteht das Potential, dass engagierten Abstimmungskampfes von Medien, Interes- dem CEPA-Präferenzmechanismus Pioniercharakter zu- sensvertretungen und Wissenschaft ergänzt werden — kommt und dieser weltweit als Vorbild für weitere Han- vorausgesetzt, die der behördlichen Information zugrun- delspartnerschaften dient. deliegende Komplexität wird erkannt. Dass es nicht im- mer gelingt, den behördlichen Informationsvorsprung 1. Artikel 8.10 CEPA im Rahmen eines Abstimmungskampfes aufzuholen, hat sich beispielsweise im Juni 2019 gezeigt in der nachträg- Massgebend für den erwähnten Präferenzmechanismus 6 lichen Aufhebung der Volksabstimmung «Für Ehe und ist Art. 8.10 CEPA «Sustainable Management of the Vege- Familie — gegen die Heiratsstrafe»: Das Bundesgericht table Oils Sector and Associated Trade». In Art. 8.10 Abs. 2 stellte insbesondere Mängel fest in Bezug auf die Verläss- lit. e verpflichten sich die Parteien dazu, sicherzustellen, lichkeit der von der Bundesverwaltung genannten Zah- dass nur nach in CEPA festgelegten Nachhaltigkeitszielen len.1 Mangels Nachforschungen durch Medien, Interes- (Art. 8.10 Abs. 2 lit. a) produzierte pflanzliche Öle (inkl. sensvertretungen und Wissenschaft zu den von der Bun- Palmöl) sowie deren Derivate gehandelt werden. desverwaltung zur Verfügung gestellten Zahlen blieb unerkannt, dass diese eine blosse Schätzung darstellten, Zusammen mit dem Rest des Kapitels 8 ist Art. 8.10 CEPA 7 lose basierend auf einer Erhebung im Jahr 2001.2 von der Streitbeilegung ausgenommen.5 Das heisst, dass die Verpflichtungen aus Kapitel 8 nicht über den Rechts- 3 Der vorliegende Artikel befasst sich mit einer ähnlichen weg durchsetzbar sind und deren Missachtung auch nicht Thematik: Wie sich im Nachgang zum Referendum über sanktioniert werden kann. Allfällige Uneinigkeiten bei die EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft aufgrund der Umsetzung des Kapitels können im gemischten Aus- der vorliegenden unabhängigen rechtswissenschaftli- schuss beraten werden.6 chen Fallstudie zeigt, mangelte es der Stimmbevölkerung an für den Meinungsbildungsprozess zentralen Informa- Bis hierhin unterscheidet sich das Nachhaltigkeitskapitel 8 tionen über die Abstimmungsvorlage. in CEPA noch nicht grundlegend von den Nachhaltigkeits- kapiteln in modernen Handelspartnerschaften der EU 4 Der Artikel erläutert zunächst den Inhalt des genannten oder auch der USA. Im Gegenteil sehen diese grösstenteils Präferenzmechanismus für nachhaltig produziertes griffigere Durchsetzungsmechanismen vor in Bezug auf Palmöl und geht anschliessend der Frage nach, wer zu ge- die in den Abkommen festgelegten Nachhaltigkeitsziele.7 währleisten hat, dass alle Fakten bekannt bzw. zugänglich sind in der Vorbereitungsphase einer Volksabstimmung. 3 Siehe z.B. Michael Bolzli, Rechtsprofessor Markus Schefer kri Die Problematik bleibt relevant insbesondere im Hin- tisiert Karin Keller-Sutter scharf, nau.ch vom 22. November 2020; Vanessa Hann, Beschwerdeserie gegen das Antiterror-Gesetz — was blick auf ähnliche Präferenzmechanismen in weiteren dahinter steckt in 4 Punkten, watson.ch vom 28. Mai 2021. Freihandelsabkommen der Schweiz, aber auch ganz all- 4 Comprehensive Economic Partnership Agreement between the Re- gemein in Bezug auf behördliche Informationstätigkeit, public of Indonesia and the EFTA States, Jakarta, 16. Dezember 2018 (CEPA). 1 BGE 145 I 207 E. 3.2. Ähnlich auch BGE 138 I 61 E. 5.2 (Eidg. Volksab- 5 Siehe Art. 8.12 Abs. 3 CEPA. stimmung über die Unternehmenssteuerreform). 6 Art. 8.12 Abs. 2 CEPA. 2 Siehe auch Giovanni Biaggini, Eine Premiere mit begrenzter prä- 7 Streitbeilegung über ein Schiedsgericht in EU-Abkommen, aber ohne judizieller Tragweite, ZBI 120 2019, S. 531 ff. Sanktionsmöglichkeit; Streitbeilegung über ein Schiedsgericht mit Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021 272
9 Die eigentliche Rechtsinnovation in CEPA folgt in An- delsrestriktionen für den Hauptteil des gegenseitigen nex V, der Verpflichtungsliste der Schweiz über den Im- Aussenhandels («substantially all the trade») beseitigen port von Rohstoffen und Produkten aus Indonesien,8 in (Art. XXIV Abs. 8 lit. b GATT). Es reicht im Güterhandel Verbindung mit der Verordnung über die Einfuhr von grundsätzlich, dass eine Wirtschaftspartnerschaft Zölle nachhaltig produziertem Palmöl aus Indonesien zum beseitigt bzw. reduziert. Davon abgesehen enthalten die Präferenz-Zollansatz (Palmöl-Verordnung).9 In Annex V WTO-Abkommen keine weiteren einschränkenden Be- beschränkt die Schweiz den präferenziellen Zugang von dingungen für die Ausgestaltung von Wirtschaftspart- Palmöl aus Indonesien teilweise auf nachhaltige Produk- nerschaften. tion und auf Jahresquoten.10 In der Palmöl-Verordnung regelt die Schweiz, wann nachweislich nachhaltig pro- Dies ist wesentlich, weil das WTO-Recht grundsätzlich 12 duziertes indonesisches Palmöl von der Zollreduktion die Einführung unterschiedlicher Zölle allein basierend erfasst ist.11 Über ein Lieferketten-Zertifizierungssystem auf nicht-produktbezogenen Verfahren und Produkti- wird sichergestellt, dass bei der Einfuhr in die Schweiz onsmethoden (z.B. Unterscheidung zwischen «fair» und zwischen Palmöl mit und ohne Nachhaltigkeitsnachweis konventionell hergestellter Baumwolle) untersagt. Palm- unterschieden wird.12 öl aus nachhaltiger auf der einen und aus konventionel- ler Produktion auf der anderen Seite muss unter WTO- 10 Dieser Regelungsmechanismus macht einerseits die in Recht als «gleichwertig» (like products gemäss Art. III Art. 8.10 CEPA festgelegten Nachhaltigkeitsziele durch- GATT) angesehen werden. Demnach stehen die CEPA- setzbar, und macht anderseits zum weltweit ersten Mal Präferenzzölle für nachhaltig produziertes Palmöl grund- einen Präferenzzoll abhängig von der Erfüllung bestimm- sätzlich im Widerspruch mit WTO-Recht.15 Weil die Prä- ter nicht-produktbezogener Produktionsmethoden. In- ferenzzölle aber allein zwischen den Vertragsparteien donesisches Palmöl kann somit weiterhin auch ohne der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft gelten, Nachhaltigkeitsnachweis in die Schweiz importiert wer- ist die ansonsten WTO-rechtswidrige Unterscheidung den.13 Es profitiert dann einfach nicht von den CEPA- zwischen nachhaltigem und anderem Palmöl dennoch Präferenzen. mit den WTO-Verpflichtungen vereinbar. 2. Verhältnis zum WTO-Recht 3. Signalwirkung für den globalen Markt 11 Um vom Meistbegünstigtenprinzip im vorliegend an- Negative Auswirkungen des globalen Handels auf das 13 wendbaren Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen Klima, die Umwelt und Arbeitnehmende sind gut doku- der WTO (General Agreement on Tariffs and Trade, mentiert und fester Bestandteil des politischen Diskur- GATT14) ausgenommen zu sein, müssen Freihandelsab ses weltweit.16 Insbesondere die Regulierung von Ver- kommen die Voraussetzungen in Art. XXIV GATT erfül- fahren und Produktionsmethoden steht dabei im Fokus. len, das heisst im Wesentlichen Zölle und andere Han- Während die Durchsetzung von strengeren Auflagen zum Schutz des Klimas, der Artenvielfalt und Umwelt, sowie der Menschenrechte und Arbeitnehmenden unabding- Sanktionsmöglichkeit in Abkommen der USA; siehe z.B. Marco bar erscheinen mag, ist es nicht ausgeschlossen, dass Bronckers / Giovanni Gruni, Retooling the Sustainability Stan- dards in EU Free Trade Agreements, JIEL 2021, Vol. 24, No. 1, S. 25 ff. hinter solchen an und für sich legitimen Forderungen 8 Annex V, Referred to in Article 2.2, Schedule on Tariff Commitments auch eine protektionistische Motivation steckt. on Goods, Commitments of Switzerland on Goods Originating in Indonesia. Letzteres ist denn auch — unter anderem — Grund dafür, 14 9 Vernehmlassung 2020/73, Verordnung über die Einfuhr von nach- dass das WTO-Recht grundsätzlich die unterschiedliche haltig produziertem Palmöl aus Indonesien zum Präferenz-Zollan- satz (Palmöl-Verordnung), Frist: 1. April 2021. Behandlung von Rohstoffen und Produkten basierend 10 CEPA, Annex V, (c)-(h), sowie S. 47 ff. Der Meistbegünstigtenzoll ist auf nicht-produktbezogenen Verfahren und Produktions- der normale Zolltarif, welcher auf alle Einfuhren von WTO-Mitglied- staaten Anwendung findet, wenn diese keinen Anspruch auf einen reduzierten Zolltarif haben. 11 Art. 1 Palmöl-Verordnung. 15 Siehe auch Thomas Cottier, The Role of PPMs in Extractive Indus- 12 Art. 3–5 Palmöl-Verordnung. tries, Think Piece, ICTSD und World Economic Forum, Genf 2016, 13 Diesbezüglich besteht in Verbindung mit Art. 8.10 Abs. 2 lit. e CEPA, S. 5; Ronald B. Davies / Krishna Chaitanya Vadlamannati, A race welcher den Handel mit Palmöl zwischen den CEPA Vertragspartei- to the bottom in labour standards? An empirical investigation, UCD en auf nachhaltige Produktion beschränkt, ein Widerspruch: Um Centre for Economic Research Working Paper Series, No. WP11/23, sicherzustellen, dass ausschliesslich nachhaltig produziertes Palm- Dublin 2011. öl gehandelt wird, hätte die Schweiz ein Importverbot auf Palmöl 16 Siehe z.B. Dani Rodrik, The Globalization Paradox, New York 2011; ohne Nachhaltigkeitsnachweis aussprechen müssen. Ali Burak Güven, Whither the post-Washington Consensus? Inter- 14 Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, abgeschlossen in Genf national financial institutions and development policy before and am 30. Oktober 1947, für die Schweiz in Kraft getreten am 1. August after the crisis, Review of International Political Economy 2018, 1966 (GATT, SR 0.632.21) Vol. 25, No. 3, S. 392 ff. Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021 273
methoden untersagt.17 Den WTO-Mitgliedstaaten ist es Länder19 fällt, sind Einfuhren von Palmöl bereits heute freigestellt, auf ihrem Staatsgebiet strenge Auflagen zu teilweise zollbefreit.20 Zudem finden abhängig vom je- erlassen. Es ist ihnen allerdings untersagt, diese Aufla- weiligen Verwendungszweck Zollbegünstigungscodes21 gen so auszugestalten, dass sie sich extra-territorial — also Anwendung — auch ohne Abkommen. auf das Staatsgebiet anderer WTO-Mitgliedstaaten — aus- wirken.18 Damit wird ungewollt auch die Erlangung von 1. CEPA Annex V Wettbewerbsvorteilen über eine Unterschreitung der generell geltenden Auflagen zum Schutz des Klimas, der In CEPA Annex V finden sich die genannten Zollreduk- 18 Umwelt und der Arbeitnehmenden in Verfahren und Pro- tionen auf nachweislich nachhaltig produziertes Palmöl. duktionsmethoden geschützt. Sie sind als fixer Betrag in CHF angegeben, welcher vom jeweils aktuell angewendeten Meistbegünstigtentarif 15 Die Durchsetzung extra-territorialer Auflagen für nicht- abgezogen wird.22 Weil sich der angewendete Meistbe- produktbezogene Verfahren und Produktionsmetho- günstigtentarif ändern kann, verändert sich damit auch den erfüllt somit gleich zwei Anliegen der Industriena- der Prozentsatz der gewährten Zollreduktion. Aktuell tionen: 1) Die eigenen Produzentinnen und Produzenten bewegen sich die gewährten Zollreduktionen im Rah- werden davor geschützt, dass sie Wettbewerbsnachteile men von 20–40 %. erleiden aufgrund strengerer Auflagen im Vergleich mit dem Ausland, und 2) der eigene Konsum führt nicht zu Die gewährten Zollreduktionen sind über Quoten auf ein 19 einer Verschlechterung der Lebensumstände im Aus- Jahrestotal an Einfuhren gebunden.23 Überschreiten die land. Auf den ersten Blick ist es den EFTA-Staaten gelun- Einfuhren in einem Jahr die in Annex V festgelegten Quo- gen, ebendiese beiden Anliegen in Bezug auf den Handel ten, wird die Zollreduktion für den verbleibenden Rest mit Palmöl durchzusetzen, ohne dabei auf die Möglich- des Jahres aufgehoben. keit zum Erlass von Handelssanktionen zurückgreifen zu müssen. Schliesslich hält Annex V fest, dass allfällig gewährte zu- 20 sätzliche Präferenzen gegenüber einem anderen Palmöl- 16 Es ist zu erwarten, dass sich die Einigung auf diesen Prä- produzierenden Staat auch auf Indonesien Anwendung ferenzmechanismus einerseits auf weitere EFTA-Han- finden.24 Dies ist aktuell insbesondere mit Blick auf die delspartnerschaften auswirken wird (z.B. mit Malaysia), laufenden Verhandlungen mit Malaysia von Bedeutung: anderseits ein ähnlicher Präferenzmechanismus auch Sollte die Schweiz Malaysia einen besseren Marktzugang in anderen Handelspartnerschaften und in Bezug auf an- für Palmöl gewähren, müsste sie die entsprechenden Prä- dere Rohstoffe und Produkte diskutiert werden wird. Ins- ferenzen auch auf Indonesien ausdehnen. besondere in Bezug auf Palmöl dürfte die Einigung der EFTA-Staaten mit Indonesien dazu beigetragen haben, 2. Tatsächliche Zollpräferenzen dass sich längerfristig der Nachhaltigkeitsnachweis in der Palmölproduktion als Standard im globalen Markt Im Detail ergeben sich folgende Bestimmungen über Zoll- 21 durchsetzen wird. präferenzen gegenüber Einfuhren von Palmöl aus Indo- nesien (aufgeführt als Meistbegünstigtentarif (MFN Zoll), Begünstigungscode (MFN Code), CEPA Zoll, Quote falls III. CEPA-Zollpräferenzen für Palmöl anwendbar und tatsächliche Menge an Import im Durch- schnitt 2017–2020):25 im Detail 17 Beim genaueren Hinsehen entpuppen sich die gewähr- 19 Generalised System of Preferences (GSP). Siehe Eidg. Zollverwaltung, Entwicklungsländer APS/GSP (Generalised System of Preferences), ten CEPA-Präferenzen allerdings als geringfügig. Weil Länder und Zollpräferenzen. Nach Ratifikation des CEPA ersetzt Indonesien als Entwicklungsland in die Gruppe der GSP- CEPA die GSP-Präferenzen für Indonesien. 20 Einsehbar unter Eidg. Zollverwaltung, Schweizerischer Gebrauchs- tarif, Zollveranlagung: www.tares.ch. 17 Siehe z.B. Bernard Hoekman, Proposals for WTO Reform: A Syn- 21 Waren, die auf Grund ihrer Verwendung zu einem reduzierten Zoll- thesis and Assessment, Policy Research Working Paper 5525, 2011; ansatz ins Zollgebiet verbracht werden, siehe Art. 14 Zollgesetz vom Christiane R. Conrad, Processes and Production Methods (PPMs) 18. März 2005 (ZG; SR 631.0); Art. 50 ff. Zollverordnung vom 1. No- in WTO Law, Cambridge 2011; Steven Bernstein / Erin Hannah, vember 2006 (ZV; SR 631.01); Verordnung des EFD über Zollerleich- Non-State Global Standard Setting and the WTO: Legitimacy and terungen für Waren je nach Verwendungszweck vom 4. April 2007 the Need for Regulatory Space, JIEL 2008, Vol. 11, No. 3, S. 590 ff. (Zollerleichterungsverordnung; SR 631.012). 18 Ausser eine solche Auflage liesse sich über eine der allgemeinen 22 Litera (b) Annex V CEPA. Ausnahmen in den WTO-Abkommen rechtfertigen. Siehe dazu auch 23 Literae (c)–(h) Annex V CEPA. Charlotte Sieber-Gasser / Smriti Kalras / Aditi Vishwas-Sheth, Sustainable Development Goals vs Non-Discrimination in WTO Law: 24 Litera (j) Annex V CEPA. Does the End Justify the Means?, Indian Journal of International 25 Angaben in CHF/100 kg, Stand April 2021. Quellen: Annex V CEPA, Economic Law, Mai/Juni 2021. Eidg. Zollverwaltung (www.tares.ch). Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021 274
Zolllinie Verwendungszweck MFN Zoll MFN Code CEPA Zoll CEPA Quote Import/Jahr26 crude palm oil: 0 1511.101 for animal feeding 0 - 0 6.2 1511.109 for technical purposes 116.05 1 79.35/0 A/D for the manufacture of soups 116.05 0.1 - for the manufacture of spreads 116.05 6 - for the industrial manufacture of condiments 116.05 1 0 fusion point higher than that of palm oil: 1511.9011 for animal feeding 0 - 0 157 1511.9018 refined oil in tanks or metal drums: 0 for further refining 157.25 132.7 91.45/124.35 B1/B2 for the manufacture of edible fats/oils 157.25 137.65 91.45/124.35 B1/B2 for technical purposes 157.25 1 0 for the industrial manufacture of soups 157.25 10 0 for further refining of soups 157.25 0.1 - for the industrial manufacture of condiments 157.25 1 0 1511.9019 refined oil other: 1.6 for the manufacture of edible fats/oils 168.1 138.3 115.3/0 A/D for technical purposes 168.1 1 0 for the industrial manufacture of soups 168.1 10 - for the industrial manufacture of condiments 168.1 1 0 1511.9091 for animal feeding 0 - 0 3 1511.9098 refined oil other in tanks or metal drums: 6 for the manufacture of edible fats/oils 138.25 133.15 94.55/0 A/D for technical purposes 138.25 1 0 for the industrial manufacture of soups 138.25 10 0 for further refining of soups 138.25 0.1 - for the industrial manufacture of condiments 138.25 1 0 1511.9099 refined oil other other: 0.3 for technical purposes 149.1 1 0 for the industrial manufacture of soups 149.1 10 102/0 A/D for the industrial manufacture of condiments 149.1 1 0 1513.219 crude palm kernel oil: 0 1513.211 for animal feeding 0 - 0 0 for technical purposes 121.6 1 0 for the manufacture of spreads 121.6 6 70.3/96 C1/C2 for the industrial manufacture of condiments 121.6 1 0 1513.2918 fusion point higher than that of palm kernel oil in tanks: 0 for the manufacture of edible fats/oils 157.25 147.35 91.45/124.35 C1/C2 for technical purposes 157.25 1 0 for the industrial manufacture of condiments 157.25 1 0 1513.2919 fusion point higher than that of palm kernel oil other: 0 for technical purposes 168.1 1 0 for the industrial manufacture of condiments 168.1 1 0 unidentified 168.1 - 97.7/132.9 C1/C2 1513.2998 refined palm kernel oil in tanks or metal drums: 0 for the manufacture of edible fats/oils 145.25 140.5 84.25/114.75 C1/C2 for technical purposes 145.25 1 0 for the industrial manufacture of condiments 145.25 1 0 1513.2999 refined palm kernel oil other: 0 for technical purposes 156.1 1 0 for the industrial manufacture of condiments 156.1 1 0 unidentified 156.1 - 90.5/123.3 C1/C2 26 Angaben in Tonnen/Jahr, im Durchschnitt, 2017–2020. Aussenhandelsstatistik, Swiss-Impex Datenbank der Eidg. Zollverwaltung EZV. Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021 275
22 Mit wenigen Ausnahmen rangieren folglich die CEPA- 1. Indonesien erhält die Zusicherung, dass unabhängig Nachhaltigkeitspräferenzen im Rahmen von CHF 1/100 kg von den Entwicklungen in der GSP-Ländergruppe (in hellgrau). Gegeben, dass 100 kg Palmöl in der Schweiz und in den Zollbegünstigungscodes auf jeden Fall ca. CHF 100 kosten27 und dass zum heutigen Zeitpunkt die CEPA-Zollreduktionen Anwendung finden (fall- ungewiss ist, inwiefern der Nachhaltigkeitsnachweis zu back option). zusätzlichen Kosten (inkl. Zeitaufwand) führen wird, er- 2. Indonesien erhält zudem die Zusicherung, dass scheint die potentielle Ersparnis von CHF 1/100 kg ver- sämtliche zukünftigen weiterreichenden Präferen- nachlässigbar. zen der Schweiz auch auf indonesische Einfuhren ausgedehnt werden (Meistbegünstigtenprinzip). 23 Hinzu kommt, dass Indonesien bisher grossmehrheit- 3. Die Schweiz erhält das Recht, den Nachhaltigkeits- lich Palmöl für die Produktion von Futtermittel in die nachweis über Einfuhrkontrollen durchzusetzen. Schweiz importiert hat und diese Einfuhren generell 4. Der CEPA-Präferenzmechanismus erhöht den politi- zollbefreit sind.28 Die Schweiz konnte deshalb in Bezug schen Druck auf Palmöl-Produzentinnen und -Pro- auf Palmöl-Importe für Futtermittel keine zusätzlichen duzenten, von der konventionellen zur nachhaltigen Präferenzen im Gegenzug zum Nachhaltigkeitsnach- Produktion zu wechseln. weis anbieten. Basierend auf der bisherigen, relativ kon- stanten Zusammensetzung der Palmöl-Importe aus In- Zudem ist der CEPA-Präferenzmechanismus geeignet, 27 donesien ist somit davon auszugehen, dass bis deutlich den politischen Druck auf andere WTO-Mitgliedstaaten über 90 % des indonesischen Palmöls vom CEPA-Nach- zu erhöhen, ähnliche Präferenzmechanismen in ihre haltigkeitsnachweis gar nicht erfasst ist (dunkelgrau in Handelspartnerschaften aufzunehmen. Je mehr WTO- der Kolonne «MFN Zoll»). Mitgliedstaaten ähnliche Vereinbarungen treffen, desto eher entsteht ein globaler Konsens über nicht zu unter- 24 Schliesslich liegt teilweise der Begünstigungscode unter schreitende Mindestauflagen.30 Insbesondere, weil sich der CEPA-Nachhaltigkeitspräferenz. Dies legt nahe, dass die ökonomischen Anreize des CEPA-Präferenzmecha- in Bezug auf die entsprechenden Zolllinien dem Begüns- nismus bei näherem Hinsehen als geringfügig herausstel- tigungscode Vorrang gegeben wird und damit der Nach- len, liegt es durchaus im Rahmen des Möglichen, dass ein haltigkeitsnachweis nach CEPA, wie auch die Bestim- solcher «regulatory spill-over effect» eintritt: Während mungen über die Behältnisse und die Quoten, hinfällig politisch ein Zeichen gesetzt wird, wird dieses ökono- werden (dunkelgrau in der Kolonne «MFN Code»). misch nur über einen «nudge» durchgesetzt. 25 Damit beschränken sich die eigentlichen CEPA-Nachhal- Der CEPA-Präferenzmechanismus liesse sich im Grund- 28 tigkeitspräferenzen auf einzelne Zolllinien (dunkelgrau satz auch auf andere Produkte und Rohstoffe übertragen, in der Kolonne «CEPA Zoll»), wobei Indonesien über diese sofern die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Zolllinien in der Vergangenheit kaum oder gar kein Palm- 1. Es handelt sich um ein klar eingrenzbares, spezifi- öl in die Schweiz importiert hat. sches Anliegen, welches ein spezifisches Produkt oder einen spezifischen Rohstoff betrifft (hier: kei- ne weitere Abholzung durch bilateralen Handel mit IV. Einordnung des Palmöl). 2. Ein passender Standard, welcher dem Anliegen ge- CEPA-Präferenzmechanismus recht wird, ist bereits etabliert (hier: z.B. Roundtable 26 Gegeben, dass damit die CEPA-Zollreduktionen kaum on Sustainable Palm Oil, RSPO)31. oder gar nicht Anwendung finden werden, bleibt die Fra- 3. Strukturen und Verfahren zur Überprüfung der Ein- ge, wie der Wert des CEPA-Präferenzmechanismus ins- haltung des bestehenden Standards sind bereits gesamt einzuordnen ist. Dieser Wert ergibt sich nicht etabliert (hier: Verfahren zur RSPO-Zertifizierung). direkt und allein aus dem Abkommenstext:29 4. Der bestehende Meistbegünstigtentarif ist nicht 0. 27 Aussenhandelsstatistik, Swiss-Impex Datenbank der Eidg. Zollver- waltung EZV. 28 Siehe Handelsstatistik Jahre 2017–2020: Zwischen 73.5 % und 99 % der Importe aus Indonesien waren zollbefreit und für die Produktion 30 Thomas Cottier / Charlotte Sieber-Gasser / Gabriela Werme- von Futtermittel bestimmt. Aussenhandelsstatistik, Swiss-Impex linger, The Dialectical Relationship of Preferential and Multilate- Datenbank der Eidg. Zollverwaltung EZV. ral Trade Agreements, in: Dür/Elsig (Hrsg.), Trade Cooperation: 29 Ähnlich auch Elisabeth Bürgi Bonanomi, Die Nachhaltigkeit im The Purpose, Design and Effects of Preferential Trade Agreements, Handelsabkommen mit Indonesien mit besonderem Fokus auf die Cambridge 2015, S. 465 ff. Regulierung des Palmöl-Imports, Rechtsgutachten im Auftrag der 31 Globaler Standard für nachhaltig produziertes Palmöl, siehe Round Agrarallianz Schweiz, 15. März 2019. table on Sustainable Palm Oil, RSPO Certification. Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021 276
29 Ohne einen passenden Standard und die entsprechen- Präferenzmechanismus entspricht somit dem sich im Be- den Strukturen und Verfahren, welche die Einhaltung reich der globalen Nachhaltigkeitspolitik durchsetzen- des Standards zuverlässig garantieren, funktioniert der den «bottom-up» Ansatz, kann aber nicht eigenständig CEPA-Präferenzmechanismus nicht. Entsprechend baut als eigentlicher Treiber des Wandels zu nachhaltigerem der CEPA-Präferenzmechanismus faktisch auf die beste- Handel bezeichnet werden.35 hende Nachfrage nach einem etablierten privaten Stan- dard auf und integriert diesen formell in ein Handels- abkommen. V. Informationslage zum Zeitpunkt 30 Damit der ökonomische Anreiz mehr als nur einen «nud- des Referendums und Gewährleis- ge» darstellt, muss der Import des betreffenden Produkts tung der Abstimmungsfreiheit oder Rohstoffs in substantiellem Umfang verzollt sein. Während der de jure zahnlose CEPA-Präferenzmecha- 33 Ist der Import — wie bei Palmöl für die Produktion von nismus für die Ausgewogenheit der EFTA-Indonesien Futtermitteln — bereits zollfrei oder nur in geringfügigem Wirtschaftspartnerschaft insgesamt unproblematisch er- Mass zollpflichtig, fällt die Möglichkeit zur Gewährung scheint, wirft die offizielle Darstellung davon grundsätzli einer Zollpräferenz entweder ganz weg oder mindert sich che Fragen auf in Bezug auf die allgemeine Informations- zu einem «nudge». Damit kommen nur die vergleichswei- lage zum Zeitpunkt der Abstimmung. Gegen die EFTA- se wenigen verbleibenden Produkte und Rohstoffe für Indonesien Wirtschaftspartnerschaft wurde im Januar einen griffigen CEPA-Präferenzmechanismus in Frage, 2020 das Referendum ergriffen, welches im Juli 2020 auch welche weiterhin stark zollpflichtig sind. Diese umfassen zustande kam.36 Es ist dies das erste Referendum über in der Schweiz primär Landwirtschaftsgüter, denn der ein Freihandelsabkommen seit der Abkehr von der sog. Import von Industriegütern ist typischerweise (quasi) Standardabkommen-Praxis und überhaupt erst die zwei- zollfrei.32 te Volksabstimmung über ein Freihandelsabkommen in der Geschichte der Schweiz.37 Vier der fünf zentralen 31 Der CEPA-Präferenzmechanismus birgt aber selbstver- vom Referendumskomitee aufgeführten Gründe gegen ständlich auch die Gefahr, dass er unter dem Deckmantel die EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft betrafen der Nachhaltigkeit primär dem Protektionismus dient: den Handel mit Palmöl. Auf der entsprechenden Websei- Augenscheinlich dient er auch dem Schutz der heimi- te wird das Referendum als «Referendum Stop Palmöl» schen Produktion von Pflanzenöl.33 Ist aber die Nachfra- bezeichnet.38 In der Folge fokussierte sich der Abstim- ge unabhängig von staatlicher Intervention bereits klar mungskampf zum Referendum vom 7. März 2021 auf die positioniert — in der Schweiz besteht in der Nahrungs- Bestimmungen rund um die Einfuhr von indonesischem mittelindustrie so gut wie keine Nachfrage nach nicht Palmöl in die Schweiz. Dabei wurde der Komplexität des RSPO-zertifiziertem Palmöl34 — entschärft dies bis zu ei- CEPA-Präferenzmechanismus kaum Rechnung getragen. nem gewissen Grad den protektionistischen Ansatz des CEPA-Präferenzmechanismus: Er bindet dann, was be- Möglicherweise war es nicht im Interesse der verschiede- 34 reits marktüblich ist (sozusagen nach dem Vorbild einer nen Interessengruppen, sich im Abstimmungskampf all- «ratchet-clause»). zu sehr in die Details des Präferenzmechanismus zu ver- tiefen: 1) Das Referendumskomitee hätte aufgrund der 32 Damit ist der CEPA-Präferenzmechanismus Beweis da- hier aufgeführten Sachlage eingestehen müssen, dass für, dass das private Konsumverhalten die Struktur inter- der Grossteil der Palmöl-Importe aus Indonesien für die nationaler Handelsbeziehungen prägt, und dass private Futtermittelproduktion bestimmt ist, was bisher die Kon- Standards — wenn einmal etabliert — zum neuen allgemein sumentinnen und Konsumenten in der Schweiz nicht gültigen Standard erhoben werden können. Der CEPA- gestört hat. Der zollfreie Import von Palmöl zu Futtermit- telzwecken liegt zudem im direkten Interesse der schwei- 32 Siehe Koen Berden / Anirudh Shingal / Charlotte Sieber-Gas- zerischen Landwirtschaft: Über den zollfreien Import ser, Freihandelsabkommen: Verhandlungsposition nur leicht be- troffen, Die Volkswirtschaft 4/2018, S. 14 ff. 35 Siehe z.B. Frank Biermann / Norichika Kanie / Rakhyun E. Kim, 33 Economiesuisse, Warum das Ausklammern von Palmöl in Freihan- Global Governance by Goal-setting: The Novel Approach of the UN delsverhandlungen nicht zielführend ist, Faktenblatt: Palmöl; Sustainable Development Goals, Current Opinion in Environmental Christian Felber, Freihandelsabkommen mit Malaysia. Konse- Sustainability 2017, S. 26 ff. quenzen für den Schweizer Agrar- und Lebensmittelsektor, Bache- lor-Thesis, Olten 2016; Schweizer Bauer vom 25. Januar 2021 (Palmöl: 36 Bundeskanzlei, Referendum gegen das Wirtschaftspartnerschafts- Bauernverband für Freihandelsabkommen). abkommen mit Indonesien zustande gekommen, 2. Juli 2020. 34 Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Umfassendes Wirtschafts- 37 Siehe z.B. Louis Gebistorf, Ist die Standardabkommen-Praxis Ge- partnerschaftsabkommen (CEPA) EFTA-Indonesien: «Bereits heute schichte?, sui generis 2020. ist fast das gesamte für die Schweizer Lebensmittelindustrie be- 38 Referendumskomitee gegen CEPA, Stop Palmöl, 5 Gründe gegen das stimmte Palmöl gemäss Nachhaltigkeitsstandards zertifiziert.» schädliche Freihandelsabkommen. Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021 277
sind Futtermittel günstiger. 2) Auch die Gegenseite hatte Private sind im Gegensatz zu den Behörden im Abstim- 37 kein Interesse daran offenzulegen, dass der Präferenz- mungskampf nicht an die Grundsätze der Sachlichkeit, mechanismus letztlich nur max. 10 % der ohnehin bereits Transparenz und Verhältnismässigkeit gebunden. Bei geringfügigen Palmöl-Importe aus Indonesien erfasst, Abstimmungen obliegt daher den Behörden auch eine denn damit hätte das Argument, es sei Bahnbrechendes Schutzpflicht, offensichtlich falsche Informationen rich- gelungen, an Bedeutung verloren. tigzustellen.46 Private Falschinformationen können die Abstimmungsfreiheit verletzen, wenn es «dem Bürger 35 Die behördliche Informationstätigkeit allerdings muss nach den Umständen unmöglich ist, sich aus anderen den Grundsätzen der Sachlichkeit, Transparenz und Ver- Quellen ein zuverlässiges Bild von den tatsächlichen Ver- hältnismässigkeit genügen. Sie erfüllt damit die wichtige hältnissen zu machen».47 Aufgabe, die Faktenlage zu klären, wenn sich politische Akteure ansonsten im Sinne ihrer jeweiligen Zielsetzun- Mangelhafte Abstimmungen sind dann allenfalls aufzu- 38 gen nicht unbedingt nur an Fakten orientieren. Im vor- heben, wenn die gerügten Mängel einen erheblichen Ein- liegenden Beispiel wäre somit der behördlichen Infor- fluss auf die Stimmberechtigten und das Ergebnis hat- mationstätigkeit die Aufgabe zugekommen, die Fakten ten. Es genügt grundsätzlich der Nachweis, dass eine zum Präferenzmechanismus neutral und transparent derartige Beeinträchtigung möglich ist.48 Das Bundes- zu klären. gericht führt dazu aus, dass in quantitativer und qualita- tiver Hinsicht zu beurteilen sei, inwiefern die Schwere des festgestellten Mangels das Abstimmungsresultat be- 1. Abstimmungsfreiheit einflusst hätte. Relevant sind hier die Rolle des Mangels 36 Art. 34 Abs. 2 BV39 garantiert, dass kein Abstimmungs- im Abstimmungskampf und die Grösse des Stimmun- resultat anerkannt wird, welches nicht den freien Willen terschieds. Es dürfen keine Zweifel an der Legitimität der Stimmberechtigten zum Ausdruck bringt. Dies setzt des Abstimmungsresultates entstanden sein und das einen umfassenden und unbehinderten Meinungsbil- Vertrauen in den demokratischen Prozess darf nicht ver- dungsprozess voraus.40 Abstimmungsinformationen letzt sein.49 Kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass müssen objektiv sein und die wesentlichen Gesichts- eine Abstimmung ohne den Mangel anders ausgefallen punkte enthalten,41 und den Grundsätzen der Sachlich- wäre, kann die Abstimmung aufgehoben werden.50 keit, Transparenz und Verhältnismässigkeit genügen.42 Verletzt ist die Pflicht zur Sachlichkeit, wenn Behörden In der abwägenden Gesamtbetrachtung beim Entscheid 39 über Zweck und Tragweite einer Vorlage falsch orientie- über die Aufhebung der Volksabstimmung über die Hei- ren oder sie wesentliche, für die Meinungsbildung be- ratsstrafe spielte insbesondere eine Rolle, dass die Ab- deutsame Umstände nicht thematisieren.43 Die Pflicht stimmung mit 50.8 % Nein-Stimmen äusserst knapp aus- zur Transparenz ist verletzt, wenn behördliche Informa- gefallen war, und dass eine Mehrheit der Kantone die tion nicht als solche erkennbar ist.44 Das Gebot der Ver- Vorlage angenommen hatte.51 Zudem erklärte das Bun- hältnismässigkeit schliesslich ist verletzt, wenn die be- desgericht die allgemeine Informationslage im Vorfeld hördliche Informationstätigkeit den Abstimmungskampf einer Volksabstimmung als justiziablen Gegenstand ei- dominiert.45 nes Verfahrens, womit indirekt auch die ansonsten vom zulässigen Anfechtungsobjekt ausgeschlossenen Abstim- mungserläuterungen des Bundesrats erfasst sind.52 39 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101). 2. Abstimmungserläuterungen im — 40 Giovanni Biaggini et al., Staatsrecht, 2. Aufl., St. Gallen et al. 2015, S. 601; René Rhinow / Markus Schefer / Peter Uebersax, Schwei- nachträglichen — Faktencheck zerisches Verfassungsrecht, 3. Aufl., Basel 2016, para. 2063; Ulrich Häfelin / Walter Haller / Helen Keller / Daniela Thurnherr, In den Abstimmungserläuterungen zum Referendum 40 Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 9. Aufl., Zürich et al. 2016, pa- über die EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft wird ra. 1387; BGE 125 I 441; BGE 124 I 55; BGE 145 I 282 E. 4.1. 41 BGE 132 I 104 E. 4; Pascal Mahon, Les droits politiques, in: Diggel- 46 Rhinow et al. (Fn. 40), para. 2084; BGE 113 Ia 291; BSK BV-Tschan- mann/Hertig Randall/Schindler (Hrsg.), Verfassungsrecht der nen, Art. 34, N 34. Schweiz, Band II, Zürich 2020, S. 1531 ff. 47 BGE 119 Ia 271 E. 3c. 42 Art. 10a Bundesgesetz über die politischen Rechte vom 17. Dezember 1976 (BPR; SR 161.1); Rhinow et al. (Fn. 40), para. 2079; BGE 140 I 338; 48 BGE 145 I 282 E. 4.2. Pierre Tschannen, in: Waldmann/Belser/Epiney (Hrsg.), Bundes- 49 BGE 119 Ia 271 E. 3b. verfassung, Basler Kommentar, Basel 2015, Art. 34 BV, para. 33 (zit. 50 BGE 145 I 207 E. 4.1. BSK BV-Tschannen). 51 BGE 145 I 207 E. 4.3. 43 Rhinow et al. (Fn. 40), para. 2079b. 52 Kastriot Lubishtani / Maxime Flattet, La démocratie directe 44 Rhinow et al. (Fn. 40), para. 2081a; BGE 114 Ia 427; BGE 132 I 104. face à la manipulation de l’information par des parcticuliers, AJP 45 Rhinow et al. (Fn. 40), para. 2082. 2019, S. 722; Biaggini (Fn. 2), S. 535. Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021 278
konkret Bezug genommen auf den CEPA-Präferenzme- erfasst. Der Verweis auf «beschränkte Mengen» erscheint chanismus für nachhaltig produziertes Palmöl. Während demnach fragwürdig. die Angaben dazu per se korrekt sind, wird darauf ver- zichtet, diese Angaben in einen Kontext zu stellen und 3. Materielle Prüfung der Abstimmungsfreiheit beispielsweise zu erläutern, dass die gewährten Präfe- im Referendum über die EFTA-Indonesien renzen nur max. 10 % der zu erwartenden Importe aus Wirtschaftspartnerschaft Indonesien erfassen. Folgende Angaben sind in den Ab- stimmungserläuterungen gemacht worden: Der umfassende und unbehinderte Meinungsbildungs- 43 — Für den Import von indonesischem Palmöl sieht das prozess setzt, wie oben erwähnt, voraus, dass die behörd- Abkommen für eine beschränkte Menge gewisse liche Informationstätigkeit den Grundsätzen der Trans- Zollreduktionen vor. Wer Palmöl zu diesen Bedin- parenz, Verhältnismässigkeit und Sachlichkeit genügt. gungen importieren will, muss nachweisen, dass es Die behördliche Informationstätigkeit im Abstimmungs- unter Einhaltung der vereinbarten Umwelt- und So- kampf des Referendums über die EFTA-Indonesien Wirt- zialauflagen produziert wurde.53 schaftspartnerschaft scheint grundsätzlich vereinbar mit — Das Abkommen mit Indonesien enthält […] spezi- dem Grundsatz der Transparenz: Es bestehen keinerlei fische Anforderungen an eine nachhaltige Palmöl- Hinweise, dass die Behörden versucht hätten, die behörd- produktion. So verpflichtet sich Indonesien, die liche Herkunft von Informationen zu verschleiern. Vorschriften zum Schutz der Urwälder und anderer Ökosysteme wirksam umzusetzen.54 Zu prüfen ist sodann die Frage, ob ein Verstoss gegen die 44 — Die Zölle werden nicht aufgehoben, sondern nur Verhältnismässigkeit vorliegt, bzw. ob die behördliche gesenkt, und dies um rund 20 bis 40 Prozent. Diese Informationstätigkeit den Abstimmungskampf dominier- Zollrabatte werden pro Jahr für höchstens 12’500 te: Basierend auf den zur Verfügung stehenden Informa- Tonnen gewährt. […] Ein Importeur darf indonesi- tionen war es den Stimmberechtigten zum Zeitpunkt der sches Palmöl nur zu den tieferen Zöllen einführen, Abstimmung unmöglich, den CEPA-Präferenzmechanis- wenn es gemäss den vereinbarten Anforderungen mus im Detail zu verstehen. Sowohl Pro- wie auch Contra- an die Nachhaltigkeit produziert worden ist.55 Argumente bezogen sich ausschliesslich auf die vom Bun- desrat zur Verfügung gestellten Informationen in Bezug 41 Es ist zutreffend, dass die CEPA-Präferenzen nur gegen auf die 20–40 % Zollrabatt und die «beschränkte Menge» den Nachweis der Nachhaltigkeit gewährt werden. Ver- von 12’500 Tonnen pro Jahr. Während die Details auf- schwiegen wird allerdings, dass voraussichtlich rund grund der allgemein zur Verfügung stehenden Informa- 90 % der Importe aus Indonesien gar nicht vom CEPA- tionen hätten erarbeitet werden können, verlangt eine Präferenzmechanismus erfasst werden (Futtermittel). solche Kontextualisierung — wie die vorliegende rechts- Verschwiegen wird zudem, dass die 20–40 % Zollrabatt wissenschaftliche Fallstudie zeigt — Detailverständnis, auf Zolllinien Anwendung finden, welche bisher kaum welches nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann. eine Rolle gespielt haben bei der Einfuhr von Palmöl aus Ein Rechtsgutachten, welches sich explizit mit dem Prä- Indonesien. Zudem fehlt der Hinweis, dass wegen den ferenzmechanismus in der EFTA-Indonesien Wirtschafts- betreffenden Zollbegünstigungscodes der Meistbegüns- partnerschaft befasste, klammerte die detaillierte Ana- tigtentarif im Hinblick auf die allermeisten Verwendungs- lyse des tatsächlichen ökonomischen Anreizes jedenfalls zwecke gar keine Anwendung findet und entsprechend aus.56 Somit entsteht durchaus der Eindruck, dass über gar nicht massgeblich ist. den Informationsvorsprung in dieser sehr spezifischen und komplexen Frage letztlich die behördliche Informa- 42 Schliesslich fehlt auch der Hinweis, dass die maximal tionstätigkeit den Abstimmungskampf dominiert hat. 12’500 Tonnen bis über 50 % der jährlichen Gesamtein- fuhren an Palmöl ausmachen und einem x-Fachen der Bezüglich der Pflicht zur Sachlichkeit stellt sich die Fra- 45 bisherigen Einfuhren an Palmöl aus Indonesien entsprä- ge, ob die Behörden im Abstimmungskampf über die chen. Hinzu kommt die Tatsache, dass nicht alle Einfuh- EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft über Zweck ren von Palmöl aus Indonesien von dieser Quote erfasst und Tragweite der Vorlage falsch orientiert haben oder sind: Wie vorgängig erläutert, sind beispielsweise Einfuh- wesentliche, für die Meinungsbildung bedeutsame Um- ren für Futtermittel nicht von den Mengenbeschränkun- stände nicht thematisiert haben.57 Die Erläuterungen in gen in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft 56 Siehe Bonanomi (Fn. 29), S. 10. 57 Laut Bundesgericht ist Sachlichkeit auch dann noch gegeben, wenn 53 Bundeskanzlei, Volksabstimmung 7. März 2021, Erläuterungen des Informationen trotz einer gewissen Überspitzung nicht unwahr Bundesrates, 25. November 2020 (Abstimmungsunterlagen), S. 8. und unsachlich bzw. lediglich ungenau und unvollständig sind 54 Bundeskanzlei (Fn. 53), S. 46. (BGE 130 I 290 E. 3.2); Giovanni Biaggini, BV Kommentar, 2. Aufl., 55 Bundeskanzlei (Fn. 53), S. 47. Zürich 2017, Art. 34, S. 411. Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021 279
den Abstimmungsunterlagen sind korrekt und es beste- Umwelt (Umweltstandards im Abkommen; nachweis- hen auch keine Hinweise, dass die Behörden über den lich nachhaltiges Palmöl importieren; ohne Abkommen Zweck und die Tragweite der Vorlage insgesamt falsch wird der Umwelt noch mehr geschadet) ausschlagge- orientiert hätten. Fraglich — auch in Anbetracht der Er- bend.60 Umweltanliegen haben zudem am stärksten po- gebnisse aus der Nachbefragung der Stimmberechtig- larisiert. Dem Argument, das Freihandelsabkommen sei ten — bleibt, ob über den Verzicht der Kontextualisierung fortschrittlich, da es zur nachhaltigen Entwicklung der der «beschränkten Mengen», der 20–40 % Zollrabatte und Umwelt und von Indonesien beiträgt, stimmten 80 % der des tatsächlichen Anwendungsbereichs des CEPA-Prä- Ja-Stimmenden zu, während 74 % der Nein-Stimmenden ferenzmechanismus für die Meinungsbildung bedeutsa- das Argument verwarfen.61 Die oben festgestellten Män- me Umstände nicht thematisiert worden sind. Die Recht- gel in Bezug auf die allgemeine Informationslage über sprechung hat sich bisher noch nicht abschliessend zu den CEPA-Präferenzmechanismus für nachhaltig produ- einer vergleichbaren Rechtsfrage geäussert.58 Jedenfalls ziertes Palmöl haben somit potentiell das Abstimmungs- liegen keine offensichtlichen Gründe vor, die gegen eine ergebnis tangiert. differenziertere Darstellung des Zwecks und der Tragwei- te des CEPA-Präferenzmechanismus sprechen: Wie im Die hier aufgeführten Erläuterungen zu den Details des 48 ersten Teil dieses Artikels ausführlich beschrieben, ver- CEPA-Präferenzmechanismus waren zur Zeit der Abstim- mag die Tatsache, dass der CEPA-Präferenzmechanismus mung in dieser Form nicht bekannt. Sie stellen somit den Charakter eines «nudges» trägt, zu überzeugen. Es grundsätzlich Fakten dar, die bereits vorhanden, aber leuchtet deshalb nicht ein, dass der Bundesrat darauf ver- noch unbekannt waren (sog. unechte Noven).62 Im Rah- zichtet hat, die regulatorische Errungenschaft des CEPA- men eines nachträglich, wiedererwägungsweise geltend Präferenzmechanismus detailgetreu auszuführen. Es gemachten Rechtsschutzes basierend auf einer Verlet- liegt gerade in der Natur der direkt-demokratischen Mit- zung von Art. 34 Abs. 2 BV müsste allerdings nachgewie- sprache, dass der Stimmbevölkerung auch komplexe sen werden, dass die Informationen über die Details des Sachverhalte zugemutet werden. Eine Bevormundung CEPA-Präferenzmechanismus nicht ohne Weiteres in die der Stimmbevölkerung über allzu sehr vereinfachende öffentliche Diskussion hätten eingebracht werden kön- Abstimmungserläuterungen fördert das Misstrauen in nen, und dass die allgemeine Informationslage ungenü- die behördliche Informationstätigkeit und gefährdet so- gend war.63 mit die faktenbasierte Grundlage des politischen Mei- nungsbildungsprozesses. Die Sorgfaltspflicht in Bezug Die Frage danach, wieviel indonesisches Palmöl pro Jahr, 49 auf Sachlichkeit behördlicher Informationstätigkeit muss für welchen Verwendungszweck und mit welchem kon- daher hoch angesetzt werden. kreten Präferenzzoll in Zukunft in die Schweiz würde im- portiert werden können, liegt auf der Hand, wurde aber 46 Entsprechend liegen Mängel vor in Bezug auf die Verhält- scheinbar im Abstimmungskampf nicht aufgeworfen. Ob nismässigkeit und die Sachlichkeit der behördlichen In- dies daran liegt, dass der Thematik des CEPA-Präferenz- formationstätigkeit im Rahmen des Referendums über mechanismus im Abstimmungskampf sowieso mehr die EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, insbe- symbolischer Charakter zukam — in der Form einer Stell- sondere in Bezug auf den CEPA-Präferenzmechanismus. vertreter-Diskussion an Stelle der grundlegenderen Frage Bezüglich dieses Teilaspekts der Vorlage erscheint dem- nach Sinn und Zweck von Freihandelsabkommen —, oder nach eine Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV gegeben. daran, dass die behördlichen Informationen fälschli- cherweise als vollständig erachtet wurden, ist unklar. Die Vorlage befasste sich allerdings mit der Ratifikation der 4. Stimmrechtsbeschwerde gegen das EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft als Gesam- Referendum über die EFTA-Indonesien tes. Allein aufgrund mangelnder Detailkenntnisse des Wirtschaftspartnerschaft? CEPA-Präferenzmechanismus kann die Informationsla- 47 Die EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft wurde ge folglich nicht unbedingt als ungenügend erachtet wer- am 7. März 2021 mit 51.65 % der Stimmen und einer kla- den. Hier unterscheidet sich der vorliegende Fall von der ren Mehrheit der Kantone angenommen. Der Stimm- Ausgangslage in der Rechtsprechung betreffend die Volks- rechtsunterschied beträgt knapp 90’000 Stimmen.59 Ge- abstimmungen über die Unternehmenssteuerreform64 mäss der VOX-Analyse zum Referendum vom 7. März 2021 waren für 12% der Ja-Stimmenden Überlegungen zur 60 VOX-Analyse März 2021, Nachbefragung und Analyse zur eidgenössi- schen Volksabstimmung vom 7. März 2021, gfs.bern, April 2021, S. 37. 61 VOX-Analyse (Fn. 60), S. 39. 58 Siehe auch Bundeskanzlei (Fn. 53), S. 413. 62 Vergleiche dazu BGE 138 I 61 E. 4.5. 59 Bundeskanzlei, Vorlage Nr. 640, Provisorisches amtliches Ergebnis, Bundesbeschluss über die Genehmigung des Umfassenden Wirt- 63 Siehe auch Urteil des Bundesgerichts 1C_713/2020, 1C_715/2020 vom schaftspartnerschaftsabkommens zwischen den EFTA-Staaten und 23. März 2021 E. 4.1.3 f. Indonesien. 64 BGE 138 I 61. Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021 280
und gegen die Heiratsstrafe65: Die mangelhafte behörd- Insbesondere weil die Volksabstimmung über die EFTA- 52 liche Informationstätigkeit bezieht sich hier auf einen be- Indonesien Wirtschaftspartnerschaft auch die erste der- stimmten Teilaspekt der Vorlage, während es sich dort artige Abstimmung war seit der Volksabstimmung über um Informationen handelte, welche den Zweck und die das Freihandelsabkommen mit der heutigen EU 197268, Tragweite der Vorlage wesentlich veränderten. konnte nicht auf ein allgemeines Vorwissen der Stimm- berechtigten über den Aufbau und Inhalt von internatio- 50 Es ist folglich möglich bis wahrscheinlich, dass die pro- nalen Handelsabkommen aufgebaut werden. Umso zessuale Durchsetzung der Verletzung von Art. 34 Abs. 2 wichtiger erscheint es daher für die Gewährleistung der BV daran scheitert, dass in Bezug auf Zweck und Trag- Abstimmungsfreiheit, dass angesichts der Abkehr von weite der Abstimmungsvorlage die allgemeine Informa- der sog. Standardabkommen-Praxis69 umfassender, tionslage nicht als ungenügend erachtet werden kann. pro-aktiver und vorzeitiger über internationale Handels- Daran vermag auch die Tatsache, dass Nachhaltigkeits- abkommen informiert wird. überlegungen betreffend den Import von Palmöl we- sentlich waren für geschätzte 12 % der Ja-Stimmenden, So verbleiben beispielsweise die öffentlich zugänglichen 53 nichts zu ändern: Es war zum Zeitpunkt der Abstimmung Informationen über laufende und abgeschlossene Ver- allgemein bekannt, dass es ungewiss bleibt, ob der Prä- handlungen über Freihandelsabkommen der Schweiz ferenzmechanismus tatsächlich zu einer nachhaltige- dürftig. Auf Nachfrage und im Rahmen institutionali- ren Palmölproduktion in Indonesien führt.66 Zweck und sierter Treffen sind die wesentlichen Informationen Tragweite des Nachhaltigkeitskapitels in der EFTA-Indo- sehr wohl zugänglich, jedoch werden diese selten pro- nesien Wirtschaftspartnerschaft waren somit grundsätz- aktiv geteilt. Es überrascht, dass beispielsweise die EU- lich bekannt. Kommission70, Neuseeland71 und Kanada72 pro-aktiver und umfassender informieren über geplante und laufen- de Verhandlungen als die Schweiz.73 Was im Vergleich 5. Vermeidung künftiger Verletzungen mit den Genannten in der Schweiz fehlt, sind insbeson- der Abstimmungsfreiheit dere die Offenlegung des Verhandlungsmandats (we- 51 Nichtsdestotrotz gilt es insbesondere im Hinblick auf nigstens in groben Zügen), der Entwürfe für Abkom- künftige Volksabstimmungen über Freihandelsabkom- menstexte, der exploratorischen Gespräche und der men, die behördliche Informationspraxis zu verbessern, Inhalte und Fortschritte laufender Verhandlungen. So um Verletzungen der Abstimmungsfreiheit zu vermei- wird gegenwärtig mit Malaysia unter anderem über den den. Relevant ist in dieser Hinsicht, dass die Rechtspre- präferenziellen Marktzugang von nachhaltig produzier- chung unterscheidet zwischen der Vorbereitungsphase tem Palmöl verhandelt. Während auf der schweizeri- auf eine Abstimmung und dem eigentlichen Abstim- schen Seite nicht über den Fortschritt der Verhandlun- mungskampf. Das Bundesgericht geht grundsätzlich gen berichtet wird, findet sich auf der Website der EFTA davon aus, dass bereits in der Vorbereitungsphase alle eine Zusammenfassung der 10. Verhandlungsrunde vom wesentlichen, für die Meinungsbildung bedeutsamen Mai 2021, worin allerdings der Stand der Verhandlungen Informationen zur Verfügung gestellt worden sind. Den in Bezug auf nachhaltig produziertes Palmöl unerwähnt Behörden ist daher während dem Abstimmungskampf bleibt.74 Ein Umdenken im Hinblick auf pro-aktive, früh- Zurückhaltung in der Informationstätigkeit geboten, zeitige und umfassende behördliche Information über weil eine solche auch leicht in einer unzulässigen «Ein- Freihandelsabkommen drängt sich nur allein schon des- mischung» in den Meinungsbildungsprozess resultie- wegen auf, weil seit der Abkehr von der sog. Standard- ren kann.67 Umso wichtiger wäre es daher gewesen, dass abkommen-Praxis die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass die spezifischen Details des CEPA-Präferenzmechanis- in einer Volksabstimmung über das Verhandlungsresul- mus bereits in den vorbereitenden Beratungen in den tat entschieden werden wird. zuständigen Kommissionen der Bundesversammlung 68 Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und bekannt gemacht worden wären. Ein allzu grosser Infor- der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, abgeschlossen am mationsvorsprung der Bundesverwaltung gegenüber der 22. Juli 1972 (SR 0.632.401). Legislative lässt sich nicht innerhalb eines Abstimmungs- 69 Siehe z.B. Gebistorf (Fn. 37), S. 463. kampfes überwinden und stört somit unvermeidlich den 70 Siehe Portal der EU-Kommission zum internationalen Handel. Meinungsbildungsprozess. 71 Siehe Portal des neuseeländischen Ministeriums für Foreign Affairs & Trade zur neuseeländischen Handelspolitik. 72 Siehe Portal der kanadischen Regierung zu Trade and Investment Agreements. 73 Siehe Portal zur Aussenwirtschaft & Wirtschaftlichen Zusammen- arbeit des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO. 65 BGE 145 I 207. 74 EFTA, Negotiations between the EFTA States and Malaysia on an 66 Siehe auch Bonanomi (Fn. 29). Economic Partnership Agreement, 10th Round of Negotiations, 25., 67 BGE 121 I 252, Regeste 2. Leitsatz. 27. und 28. Mai 2021. Charlotte Sieber-Gasser, Palmöl in der EFTA-Indonesien Wirtschaftspartnerschaft, sui generis 2021 281
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