"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant

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"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant
Magazin Swisstransplant
Nr. 45 | August 2021

«Ich lebe
jetzt.
ich entscheid
jetzt.»
Entscheid jetzt im Nationalen
Organspenderegister eintragen!

Systemwechsel
Die Wider­spruchs­lösung              Schneller zur
findet Anklang im Nationalrat    passenden Spendeniere
                                 dank Überkreuz-Nieren-
                                     Lebendspende

Interview
Dr. Sabine Camenisch,
Neue Leiterin «Organspende
Netzwerk Schweiz-Mitte»
"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant
Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 2                       Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 3

Inhalt                                                                             Liebe Leserin, lieber Leser

                                                                                                        Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Die Frage
                                                                                                        der Organ- und Gewebespende betrifft uns alle.
                                                                                                        Weil wir selber von einem medizinischen Notfall
                                 Widerspruchslösung:                                                    betroffen sein könnten oder weil dies unseren
                                 politische Debatte unter                                               Nächsten widerfährt. Vielleicht schon übermorgen,
                                 der Lupe                                                               vielleicht erst in ein paar fernen Jahrzehnten,
                                 Seite 4                                                                vielleicht nie.

                                                                                                        So oder so ist es beruhigender und selbstbestimm-
                                                                                                        ter, den eigenen Willen schon heute im Nationalen
                                                                                                        Organspenderegister einzutragen. Um sicher zu
                                                                                                        gehen, dass unsere Angehörigen im Notfall wissen,
                                     pony M.
       Kunterbuntes: Pony M.,
  EchoSOS App und Suchrätsel                                                                            was zu tun ist. Denn sie spielen auch bei einem
                       Seite 8
                                                                                                        Systemwechsel zur erweiterten Widerspruchslösung
                                                                                                        eine zentrale Rolle: Die Angehörigen müssen im
                                                                                                        Trauermoment den Willen der verstorbenen Person
                                                                                                        umsetzen – sei es ein Ja oder ein Nein. Der Ein-
                                                                                                        trag im Nationalen Organspenderegister entlastet,
                                                                                                        er schafft Klarheit und Sicherheit.
   Überkreuz-Nieren-
      Lebendspende:                                                                                     Ich erhoffe mir vom politisch heiss diskutierten
Besuch bei Lambinons                                                                                    Systemwechsel vor allem, dass das Thema stärker
                      Seite 10                                                                          in den Vordergrund rückt und Menschen ver-
                                                                                                        mehrt über ihren Willen sprechen. Getreu dem Motto:
                                                                                                        «Ich lebe jetzt. Ich entscheide jetzt.»

                                 Fakten und Zahlen:
                                 500. Herztransplantation am USZ
                                 Seite 14                                                               PD Dr. Franz Immer, Direktor Swisstransplant,

                                                                   500. Herz–                           Facharzt für Herzchirurgie FMH

                                                                 transplantation
                                                                     am USZ

                                 Netzwerkleiterin Dr. Sabine
                                                                                                                                   jetzt.
                                 Camenisch: Organ-                                                                      «Ich lebceheide jetzt.»
                                 spende enttabuisieren                                                                  ich ents
                                 Seite 16                                                                                       Titelbild
                                                                                                                                Gabriela Baumgartner hat ihren
                                                                                                                                Entscheid im Nationalen Organ­
                                                                                                                                spenderegister eingetragen.
"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant
Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 4                                                               Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 5

Die erweiterte Widerspruchslösung
findet Anklang im Nationalrat                                                                                     Flavia Wasserfallen, Nationalrätin SP/BE
Die Diskussion im Nationalrat Anfang Mai hat gezeigt: Das Thema Organ­spende                                      «Die Nationalratskommission möchte mit diesem
bewegt. Zahlreiche Mitglieder der grossen Kammer – quer durch alle Partei­                                        in­direkten Gegenvorschlag, der eine erweiterte Wider­
couleurs – sprachen sich in persönlichen Voten für oder gegen die Anpassung der
                                                                                                                  spruchslösung vorsieht, Menschenleben retten, die
bestehenden Regelung aus. Bei der Abstimmung zeichnete sich deutlich ab, dass
der Wechsel von der heute geltenden Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung                                      Spende­quote erhöhen und gleichzeitig auch erreichen,
ein gangbarer Weg sein könnte. Das Geschäft geht nun weiter an den Ständerat.                                     dass sich mehr Menschen der Schweizer Bevölkerung
                                                                                                                  zu ihrem Spendewillen äussern.»

Bedeutet ein Schweigen ein Ja? Darum geht es
im Grundsatz bei der Widerspruchslösung im Zu­
sammenhang mit Organ- und Gewebespende.
                                                             Spricht etwas gegen
Die Initiative «Organspende fördern – Leben ret­              die Organspende?
ten» verspricht sich mit dem Wechsel von der heu­                                                            nicht zu einem Ja durchringen. Mehr als die Hälfte
tigen erweiterten Zustimmungslösung zur Wider­                                                               der Angehörigen lehnen im Ernstfall eine Organ­
spruchslösung einen Anstieg an Organspenden.                                                                 spende ab und verfehlen so oft den Wunsch des
                                                                                                                                                                           Nationalrat sagt Ja zur erweiterten
Denn die Wartezeit auf ein passendes Spende­           über Angehörigen. Hektik, Alltag und Lebensfreu­      geliebten verstorbenen Menschen.
                                                                                                                                                                           Widerspruchslösung
organ ist lang. In der Schweiz wartet man heute        de verbannen die Dokumentation dieses wichtigen
im Mittel drei Jahre auf die Zuteilung einer Niere.    Entscheids auf die lange Bank. Und plötzlich tritt    Erweiterte Widerspruchslösung                                 Der Nationalrat hat am 5. Mai 2021 mit 150 zu 34 Stimmen bei
Letztes Jahr umfasste die Warteliste in der Schweiz    der unerwartete Schicksalsschlag ein …                bringt Systemwechsel                                          4 Enthaltungen der erweiterten Widerspruchslösung zugestimmt.
1457 Personen, jede Woche versterben ein bis zwei                                                            Die Widerspruchslösung der Initiative würde das               Die erweiterte Widerspruchslösung ist vom Bundesrat als indirek-
Menschen auf der Warteliste. Und dies obwohl laut      Angehörige entscheiden zurzeit                        ändern. Sie interpretiert die fehlende Willensäus­            ter Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Organspende fördern –
                                                                                                                                                                           Leben retten» konzipiert. Er hebt die Wichtigkeit des Vetorechts
Umfragen die grosse Mehrheit der Bevölkerung           häufig gegen Organspende                              serung als ein Ja zur Organ- und Gewebespende.
                                                                                                                                                                           der Angehörigen hervor, betrachtet den Willen der verstorbenen
der Organspende positiv gegenüber steht: Sie fin­      Wenn nicht bekannt ist, wie die verstorbene Per­      Wer nach seinem Tod seine Organe nicht spenden                Person als massgebend und legt die Führung eines Ja-/Nein-­
det es einen tröstlichen oder sogar selbstverständ­    son zur Organspende steht, müssen die Ange­           will, soll dies explizit in einem Register festhalten.        Registers fest – angesiedelt bei der nationalen Zuteilungsstelle.
lichen Gedanken, ihre Organe bei einem medizini­       hörigen am Spitalbett stellvertretend in ihrem Sinn   Der Bundesrat steht einem Systemwechsel offen                 Neben dem klaren Ja zum Gegenvorschlag fand auch die Initiative
schen Notfall, der unausweichlich zum Tod führt,       entscheiden. Da heute mit der Zustimmungs­            gegenüber, denn auch er möchte die Versorgung                 eine knappe Mehrheit mit 88 Ja, 87 Nein und 14 Enthaltungen.
                                                                                                                                                                           Diese Resultate bieten eine gute Ausgangslage für die Behand-
zur Verfügung zu stellen und so die Lebensqualität     lösung die fehlende Willensäusserung rechtlich        mit Spendeorganen und -geweben verbessern und
                                                                                                                                                                           lung im Ständerat, voraussichtlich im September 2021.
eines Mitmenschen zu erhöhen. Doch mehr als die        einem Nein gleichkommt, können sich viele             damit die Chancen für Menschen, die auf ein Or­
Hälfte der Bevölkerung hält ihren Entscheid weder      An­gehörige in der schwierigen Situation des          gan oder ein Gewebe warten. Doch die sogenannt
schriftlich fest noch kommuniziert sie ihn gegen­      Schocks, des Verlusts und der Trauer emotional        enge Variante der Widerspruchslösung, wie sie die
                                                                                                             Initiative verlangt, geht dem Bundesrat zu weit.
                                                                                                             Er bevorzugt, wie bisher die Angehörigen mitein­
                                                                                                             zubeziehen und schlägt deshalb mit dem indirek­
                                                                                                             ten Gegenvorschlag die erweiterte Widerspruchs­               Die Organspende ist nur bei Hirntod
                                                                                                             lösung vor: Ist der Wille einer verstorbenen Per­             im Spital möglich
                                                                                                             son nicht klar dokumentiert, werden weiterhin die
              Manuela Weichelt, Nationalrätin Grüne/ZG                                                       Angehörigen befragt. Die psychologisch weniger                Die Voraussetzungen für eine Spende bleiben auch mit einem
                                                                                                                                                                           Systemwechsel gleich wie heute: Organe spenden können nur
              «Der Tod gehört genauso wie die Geburt zu unserem                                              belastende Frage für sie lautet dann: Spricht etwas
                                                                                                                                                                           Personen, die im Spital einen Hirntod infolge Hirnschädigung
                                                                                                             gegen die Organ- und Gewebespende? Ist den
              Leben. Wir müssen uns damit anfreunden, dass wir                                               Angehörigen bekannt, dass die verstorbene Per­
                                                                                                                                                                           oder Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden. Verstirbt jemand ausser-
                                                                                                                                                                           halb des Spitals, ist eine Organspende nicht möglich.
              alle irgendwann sterben. Wir sind deshalb gut beraten,                                         son nicht hätte spenden wollen, oder vermuten sie
              zu Lebzeiten zu entscheiden, ob wir dann bereit sind,                                          dies schon nur, so können die Angehörigen eine
                                                                                                             Organ- und Gewebespende ablehnen.
              unsere Organe zu spenden – und zwar für Menschen,
              die damit noch einige Jahre leben können.»                                                     Vertiefte Diskussion und
                                                                                                             Registereintrag erwünscht
                                                                                                             Ein zentrales Argument für die Widerspruchs­
                                                                                                             lösung ist, dass der Druck auf die Gesellschaft
"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant
Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 6                                                               Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 7

          steigt, sich mit dem Thema Organspende ausein­
          anderzusetzen. Anträge im Nationalrat, wonach
                                                                  vor allem Gegner der Widerspruchslösung
                                                                  vehement die Klingen kreuzen, mitunter mit          Die verschiedenen Modelle
          eine Willens­äusserung zum Beispiel auf der Identi­
          tätskarte oder in der Steuererklärung obligatorisch
                                                                  einer scharfen Rhetorik, die selbst vor dem
                                                                  Begriff «Ersatz­teil­lager» nicht zurückschreckt.   im Überblick
          sein sollten, blieben vorerst chancenlos. Die Bevöl­    Bei der Schluss­abstimmung befürworten
                                                                                                                      In der Schweiz gilt seit Inkrafttreten des nationalen Transplantationsgesetzes im Jahr 2007 die erweiterte Zustim-
          kerung muss aber selbstverständlich im Fall einer       die Parlamentarierinnen und Parlamentarier klar
                                                                                                                      mungslösung. Zuvor war die Transplantationsmedizin auf kantonaler Ebene geregelt, wobei die Kantone beide
          neuen Widerspruchslösung umfassend informiert           die erweiterte Widerspruchslösung. PD Dr. Franz     Willensäusserungsmodelle anerkannten. Zurzeit wird in der Schweiz ein Systemwechsel hin zur erweiterten Wider-
          und zu einer Willensbekundung mittels Register­         Immer, Direktor Swisstransplant, Facharzt für       spruchslösung diskutiert. Die Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» wurde 2019 eingereicht und
          eintrag motiviert werden – sei es ein Ja oder ein       Herz­chirurgie FMH, zieht zu­versichtlich Bilanz:   möchte die Wider­spruchs­lösung in der Schweiz einführen. Der Bundesrat stellte der Initiative den indirekten Gegen-
          Nein. Seit mehr als zehn Jahren bereits appelliert      «Ein Systemwechsel wäre ein begrüssenswerter        vorschlag gegenüber. Dieser unterstützt ebenfalls die Einführung der Widerspruchslösung, jedoch in der erweiterten
                                                                                                                      Form mit Einbezug der Angehörigen.
          das Bundes­amt für Gesundheit regelmässig an            Schritt. Er würde vielen Menschen helfen, die
          die Bevölkerung, über die Organspende zu reden          auf ein Spendeorgan oder -gewebe angewiesen
          und den persönlichen Entscheid festzuhalten.            sind. Gleichzeitig würde die erweiterte Wider­      Übersicht über die Willensäusserungsmodelle bei der Organ- und Gewebespende

                                                                  spruchslösung die Ange­hörigen und das Spital­
          Nationalrat favorisiert erweiterte                      personal entlasten. Und sie würde den Willen        Enge             Zustimmungslösung                                       Widerspruchslösung
          Widerspruchslösung                                      der Verstorbenen besser berücksichtigen.»           Variante         Die Entnahme von Organen, Geweben                       Die Entnahme von Organen, Geweben
          Die engagierte Debatte im Nationalrat hat exem­                                                                              und Zellen ist nur zulässig, wenn die                   und Zellen ist zulässig, wenn sich die
                                                                                                                                       verstorbene Person zu Lebzeiten zuge-                   verstorbene Person zu Lebzeiten nicht
          plarisch veranschaulicht, dass Befürworter und          Text: Rahel Rohrer   Bilder: zVg
                                                                                                                                       stimmt hat (Opt-in).                                    dagegen ausgesprochen hat (Opt-out).
                                                                                                                                       Liegt keine Zustimmung vor, wird dies                   Das Fehlen eines Widerspruchs wird
                                                                                                                                       als Ablehnung gewertet.                                 wie ein Einverständnis in die Organ­ent­
                                                                                                                                                                                               nahme gewertet.
                                                                                                                                                                                                                     nde
                                                                                                                                                                                                           «Organspe
                                                                                                                                                                                                 Initiative eben retten»
                                                                                                                                                                                                 fördern – L

                        Franz Grüter, Nationalrat SVP/LU
                                                                                                                      Erweiterte       Ist der Wille der verstorbenen Person                   Den nächsten Angehörigen kommt
                        «Während wir heute hier sprechen, warten rund                                                 Variante         nicht bekannt, haben die nächsten                       ebenfalls ein Widerspruchsrecht zu.
                                                                                                                                       Angehörigen im mutmasslichen Willen                     Sie können eine Organentnahme stell-
                        1500 Patienten – Menschen – hier in der Schweiz auf                                                            der verstorbenen Person über eine                       vertretend für eine verstorbene Person
                        ein Organ. Das sind alles einzelne Schicksale.                                                                 Organ­ent­nahme zu entscheiden.                         ablehnen, wenn eine Spende mutmass-
                                                                                                                                       Diese Regelung gilt in Dänemark, Irland                 lich nicht dem Willen der verstorbenen
                        Das sind Leute – Patienten, aber auch Angehörige –,                                                            und Island.                                             Person entspricht.
                        die in einer riesigen Verzweiflung sind.»                                                                                                                              Diese Regelung gilt unter anderem
                                                                                                                                                                                               in Österreich, Belgien, der Niederlanden,
                                                                                                                                                                                               England, Finnland, Norwegen, Italien
                                                                                                                                                                                               sowie Spanien und Frankreich.

                                                                                                                                                    Geltende                                                    Gegen-
                                                                                                                                                                                                     Indirekterbundesrat
                                                                                                                                                     Lösung
                                                                                                                                                                                                    vorschlag

                                                                                                                      Zustimmungslösung belastet Angehörige
                                                                                                                      Die Zustimmungslösung hat zwar den Vorteil, dass sich Menschen bei einer Willensäusserung aktiv und bewusst für
                                                                                                                      oder gegen eine Organspende entscheiden. In der Praxis sieht die Realität jedoch leider so aus: 50 % der Bevölkerung
                                                                                                                      setzen sich nicht mit dem Thema Organspende auseinander oder kommunizieren ihren Willen zumindest nicht.
Regine Sauter, Nationalrätin FDP/ZH                                                                                   In über 5 von 10 Fällen ist der Wille der Verstorbenen daher unbekannt. Der Entscheid über eine Organspende wird da-
                                                                                                                      mit an die Angehörigen delegiert, die stellvertretend im mutmasslichen Sinn der verstorbenen Personen entscheiden
«Die Schweiz ist eines der Länder mit den tiefsten Organ­                                                             müssen. Kennen Angehörigen deren Willen nicht, lehnen sie eine Spende im Trauermoment mehrheitlich ab. Dies
spenderaten in Europa. Die Wartelisten mit Personen,                                                                  hat zur Folge, dass entgegen der hohen Spendebereitschaft der Schweizer Bevölkerung dem Organspendewunsch
                                                                                                                      der verstorbenen Person oftmals nicht Rechnung getragen wird.
die dringend auf ein lebensrettendes Organ angewiesen
sind, sind lang. Und immer wieder sterben Menschen,                                                                   Widerspruchslösung fördert Eigenverantwortung

weil innert nützlicher Frist kein passendes Spendeorgan                                                               Die Widerspruchslösung stärkt das Bewusstsein der Bevölkerung für die Organspende und appelliert stark an die
                                                                                                                      Eigen­verantwortung. Ein Wechsel zur Widerspruchslösung garantiert nicht per se mehr Organspenden – er birgt aber
gefunden werden konnte.»                                                                                              grosses Potenzial. Das Organspenderegister ist dabei ein zentrales Element: Um Klarheit über den Willen der ver­
                                                                                                                      storbenen Person zu erlangen und die Angehörigen und das Spitalpersonal zu entlasten, sollte das Organ­spende­register
                                                                                                                      auch nach einem Systemwechsel als Ja-/Nein-Register geführt werden. Der Vorteil der Widerspruchslösung ist,
                                                                                                                      dass der Organspendewunsch der verstorbenen Person öfter berücksichtigt wird. Es handelt sich keineswegs um
                                                                                                                      eine automatische Organspende, denn faktisch wird immer das Gespräch mit den Angehörigen geführt.
"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant
Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 8

Kunterbuntes
                                                                        EchoSOS – die lebensrettende
                                                                        Smartphone-App
                                                                                                 Mit der App EchoSOS
                                                                                                 können Sie – egal wo auf
                                                                                                 der Welt – Notfalldienste
                                                                                                 alarmieren und den
                                                                                                 eigenen Standort über­
                                                                                                 mitteln.

                                                                                                Mit dem integrierten
                                                                                                Notfallpass informieren
                                                                                                Sie die Rettungsdienste
                                                                                                und Ersthelfer über
                                                                        Ihre wichtigsten medizinischen Gegebenheiten:
                                                                        Medikamente, Allergien, private Notfallkontakte      TACKERS-Abenteuer geht weiter
                                                                        und neu Ihren Eintrag im Nationalen Organ­

   Drei
                                                                        spende­register.                                     Am 13. März 2021 übergab Swisstransplant               Video zur Übergabe und zum
                                                                                                                             TACKERS, das Abenteuercamp für transplantierte         20-jährigen Bestehen von TACKERS

   schüsse
                                                                        Die Informationen werden ausschliesslich lokal       Kinder, an die World Transplant Games
                                                                        auf dem Smartphone gespeichert. Rettungskräfte       Federation.
                                                                        können im Notfall auch im gesperrten Modus

                                                                                                                                                                                                         YEAHH!
                            für Pony M.                                 auf die Informationen zugreifen – Ihr Notfallpass    Aufgrund der Coronapandemie mussten
                                                                        vereinfacht so die Erste Hilfe.                      die TACKERS 2021 wie bereits 2020 leider
                                                                                                                             abgesagt werden.
  Welche Charaktereigenschaft würden                                    echosos.com
  Sie gerne gespendet erhalten?
  Ich hätte gerne etwas mehr Gelassenheit –                                              Lebens-
  auf der anderen Seite bin ich auch dankbar                                             rettende
  für meine Leidenschaft für gewisse Themen,                                                  App
  darunter die Organspende.

  Welchen Gegenstand werden Sie
  nie und nimmer weggeben?
  Den Diamantring, den ich von meinem geliebten                         Lieblingstweet
  Stiefvater geerbt habe, der im Dezember 2018
  gestorben ist.

  Welches Geschenk hat Sie am meisten
  gefreut?
  Das Geschenk, dass ich nach Studium, Reisen

                                                                                                                                                                                                             finden Sieler
  und Karriere die Liebe finden und meinen Sohn                                                                              Lösung auf Seite 19
  bekommen durfte. Letzteres ist nach wie

                                                                                                                                                                                                              die 7 Feh
  vor das Sinnstiftendste, was mir je passiert ist.
                                                                                                                             Medizinische Transporte rund um die Uhr
                                                                                                                                                                               wie Verlegungen mit Helikoptern­und Boden­
  Die Autorin und Bloggerin Yonni Moreno Meyer,
  a.k.a. Pony M. ist Botschafterin für den Nationalen Tag
                                                                                                                             Die Alpine Air Ambulance (AAA) ist spezialisiert
  der Organ- und Gewebespende am Samstag,
  11. September 2021. Sie unterstützt die Aktion und hat
                                                                                                                             auf Patiententransporte in der Luft und am Boden. ambulanzen für viele Schweizer Gesundheits­
  den Hashtag #ichschänkedirmis ins Leben gerufen.                                                                           Seit ihrer Gründung 2011 fokussiert sie auf            einrichtungen wie auch Swisstransplant.
                                                                                                                             nationale und internationale Patienten­trans­porte –
                                                                                                                             unter anderem Rettungen, Repatriierungen so­           Weitere Informationen: air-ambulance.ch
"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant
Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 11

                                                                                                                                            sege», sagt sie in nahezu akzentfreiem Thurgau­
                                                                                                                                            er Dialekt. «Aber man hat keine Wahl – entweder
                                                                                                                                            Dialyse, Spendeniere oder sterben.»

                                                                                                                                            Gemeinsam durchs Leben segeln
                                                                                                                                            Die Wahl hat sie 1982, als sie per Zufall zwei
                                                                                                                                            Schweizer Stelleninserate entdeckt: In Langenthal
                                                                                                                                            BE wird eine biomedizinische Analytikerin ge­
                                                                                                                                            sucht und im Spital Münsterlingen TG. Sie landet
                                                                                                                                            in der Ostschweiz und lernt beim neuen Arbeit­
                                                                                                                                            geber ihren zukünftigen Ehemann kennen, eben­
                                                                                                                                            falls ein Niederländer, obwohl das nicht das aus­
                                                                                                                                            schlaggebende Kriterium gewesen sei, sondern
                                                                                                                                            «dass der Typ ein Segelboot besass». Die beiden
                                                                                                                                            heiraten, haben einen Pflegesohn, lieben das Leben
                                                                                                                                            und leben mit der Nierenkrankheit.                           Lambinons sind froh, dass die Hämodialyse der Vergangen­
                                                                                                                                                                                                         heit angehört. Das Bild auf dem Computer zeigt einen Ferien-
                                                                                                                                                                                                         camper mit einem Dialysegerät.

Ineke und Fred Lambinon gefällts im Thurgau. Häufig schwingen sie sich auf ihre E-Bikes und geniessen die schöne Landschaft
am Bodenseeufer. Das ist nur so unbeschwert möglich, weil Fred seiner Frau eine Niere «über Kreuz» gespendet hat.
                                                                                                                                                    «Aber man hat
                                                                                                                                                                                                         meiner Frau keine Niere spenden, es passte
                                                                                                                                                keine Wahl – entweder                                    medizinisch nicht. Doch mit dem Programm
                                                                                                                                                 Dialyse, Spendeniere                                    haben sich neue Möglichkeiten eröffnet und für
                                                                                                                                                                                                         mich war sofort klar, dass ich das machen will»,
                                                                                                                                                    oder sterben.»                                       resümiert der heute 74-jährige pensionierte

                     Ein Herz und eine Seele – dank der                                                                                                                                                  Anästhesiepflegefachmann. Denn auch für ihn
                                                                                                                                                                                                         habe die Nierenkrankheit seiner Frau grosse

                     Überkreuz-Nieren-Lebendspende                                                                                          Spendeniere dank Überkreuz-Programm
                                                                                                                                                                                                         Einschränkungen mit sich gebracht. «Viele Frei­
                                                                                                                                                                                                         zeitaktivitäten waren nicht mehr möglich.»
                                                                                                                                            Als Fred vor ein paar Jahren vom Überkreuz-                  So kommt es, dass Fred eine Niere spendet und
                     Fred Lambinon hat seiner Frau Ineke eine Niere gespendet. Da dies auf direktem                                         Nieren-­Lebendspende-Programm hört, dreht sich               Ineke eine passende Niere erhält, einfach übers
                     Weg aus medizinischen Gründen ausgeschlossen war, fand die Spende mit einem                                            ihr gemeinsames Leben um 180 Grad: «Ich konnte               Kreuz mit einem anderen Paar.
                     anderen Paar übers Kreuz statt. Eine Win-win-Situation nicht nur für das Ehepaar,
                     sondern für alle, die einem nahen Menschen eine Niere spenden möchten, aber
                     in­kompatibel sind: Das Überkreuz-Nieren-Lebendspende-Programm erhöht die
                     Chance für nierenkranke Patientinnen und Patienten, möglichst bald ein passendes
                     Organ zu erhalten.
                                                                                                                                            Dr. med. Isabelle Binet
                                                                                                                                            Leiterin Klinik für Nephrologie und Transplantationsmedizin,
                                                                                                                                            Kantonsspital St. Gallen, Mitglied Stiftungsrat Swisstransplant
                     Warten passt ganz und gar nicht zur quirligen                    Stunden stillhalten. Müdigkeit. Schmerzen. War­
                     Wilhelmina Lambinon-Stemkens, genannt Ineke.                     ten auf eine Spendeniere ... Mit 22 Jahren wird       «Im 2020 warteten in der Schweiz 1435 Personen auf eine Niere. Die durchschnittliche
                                                                                                                                            Wartezeit beträgt rund 3 Jahre, sie kann aber nach immunologischer Konstellation
                     Ständig auf Achse, ohne Umwege direkt zum Ziel,                  ihr Nierenleiden entdeckt, die Dialyse kann man
                                                                                                                                            und Blutgruppe deutlich länger ausfallen. Letztes Jahr stammten etwa 25 % der Nieren­
                     das trifft die 60-jährige Niederländerin besser.                 die ersten 10 Jahre hinauszögern. Nach einem          transplantationen von Lebendspendern. Zudem besteht bei etwa 30 % der Lebend­
                     Etwas unternehmen, ausgedehnte Reisen, Tisch­                    Jahr Dialyse spendet Inekes Mutter im März            spende-Empfänger-Paaren eine immunologische Hürde. Wenn die direkt gerichtete
                     tennis und Klarinette spielen, Haus und Garten                   1993 eine Niere. «Das klappte nicht», so das un­      Lebendspende wegen der Immunologie nicht passt, kann die Überkreuz-Nieren-Lebend-
                     in Schuss halten und nebenbei 60 Prozent im Spital               verblümte Fazit von Ineke, «zwei Stunden später       spende die grosse Chance sein, eine passende Niere zu bekommen. Über dem ganzen
                                                                                                                                            Prozess steht die Freiwilligkeit der Spende an erster Stelle. Die Nierenentnahme findet
                     als biomedizinische Analytikerin arbeiten.                       hat mein Körper die Niere bereits abgestossen».
                                                                                                                                            im Transplantationszentrum statt, wo Spender und Empfänger betreut sind. Für die
                     Das gefällt ihr – und das kann sie heute wieder.                 Wieder Dialyse. Fünf Jahre später erhält sie eine     Transplan­tation reist die Niere ins «Über-Kreuz»-Empfängerzentrum. Das nationale Über-
                                                                                      Spendeniere von einer verstorbenen Person,            kreuz-Nieren-Lebendspende-Programm ist im Oktober 2019 gestartet: Bis jetzt konnten
                     Warten auf eine Niere                                            die ihr 14 Jahre gute Dienste leistet. Erneute Dia­   30 Paare teilnehmen und trotz Covid-19 fanden bereits 4 Transplantationen statt.»
                     Doch Ineke kennt das Warten. Mehrmals in ihrem                   lyse. Selbst in den Ferien, sofern der Gesundheits­
                     Leben ist die Nierenkranke auf die Hämo­dialyse                  zustand diese überhaupt erlaubt. Das ganze
                     angewiesen. Dreimal die Woche lange drei bis vier                «Pipapo» findet Ineke mühsam, «seb mueni scho
"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant
Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 12                                                                          Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 13

  i e b l i n gs t ier
l
Elch                                                                                                                                  Überkreuz-Nieren-Lebendspende
                                                                                                                                      Zwei inkompatible Paare                                       Drei oder mehr inkompatible Paare
                                                                                                                                      Tests zeigen, dass eine Überkreuzspende möglich ist.          Eine geschlossene Kette durch die Überkreuzspende kann entstehen.

                                                                                                                                      Inkompatibles Paar A               Inkompatibles Paar B
                                                                                                                                        Spender A                              Spenderin B          Spender A           Spenderin B          Spender C

                                                                                                                                      Empfängerin A                            Empfänger B
           Frohnatur Ineke liebt Elche. Sie stehen, liegen und hängen     Eingespieltes Team – beim Üben für den Musikverein oder
           in jeder Ritze und schmücken natürlich auch den Eingang        bei den World Transplant Games, wo sie mehrmals Medaillen
           des Einfamilienhauses in Langrickenbach.                       im Tischtennis holt und er als Teammanager fungiert.
                                                                                                                                                                                                  Empfängerin A        Empfänger B         Empfängerin C

                                                                          Für ihn bilden Ineke und er sowieso eine Einheit.             Spender A                              Spenderin B

           «Unsere Lebensqualität hat                                     «Ich profitiere ja ebenso, weil die Dialyse nicht
                                                                          mehr nötig ist. Wir geniessen unsere neuen Frei­
            sich durch die Überkreuz-                                     heiten. Ich würde es jederzeit wieder tun», sagt

              Nieren-Lebend­spende                                        der passionierte Hobbymodelleisenbähnler.
                                                                          «Unsere Lebensqualität hat sich durch die Über­
                                                                                                                                      Empfängerin A                            Empfänger B

             unglaublich verbessert.»                                     kreuz-Nieren-Lebendspende unglaublich verbes­
                                                                          sert.» Das Warten hat ein Ende. Jetzt sehnt sich
                                                                          das Ehepaar nur noch, möglichst bald nach Corona
                                                                          wieder in ihre Lieblingsferiendestination Kanada
           Endlich wieder quer durch Kanada                               zu reisen. Zu den Bären, Kojoten und Elchen.
                                                                                                                                      Problem                                                       Vorteile
           Fred geht es gut, er braucht keine Medikamen­
                                                                                                                                      Eine potenzielle Lebendspenderin oder ein potenzieller        – Lebendspendenieren funktionieren im Schnitt
           te, er hat keine Nachteile durch die Nierenspende.             Text und Bilder: Rahel Rohrer
                                                                                                                                      Lebendspender möchten einer bekannten oder verwand-             länger als solche von Verstorbenen
                                                                                                                                      ten Person eine Niere spenden. Die medizinischen Unter-       – Mögliche verkürzte Dialyse- und damit Wartezeit
                                                                                                                                      suchungen zeigen jedoch, dass sie nicht kompatibel sind.        auf eine Transplantation
                                                                                                                                                                                                    – Mögliche frühzeitige Transplantation schon
                                                                                                                                                                                                      vor Aufnahme der Dialysebehandlung
                                                                                                                                      Lösung
                                                                                                                                                                                                    – Mögliches rascheres Finden einer Spenderin oder
                                                                                                                                      Das Schweizer Überkreuz-Nieren-Lebendspende-
                                                                                                                                                                                                      eines Spenders sowie einer besser passenden Niere
                                                                                                                                      Programm erhöht die Chance, eine passende Person zu
                                                                                                                                      finden und dadurch eine kompatible Lebendspendeniere
                                                                                                                                      zu erhalten. Für einige hochimmunisierte Patientinnen
                                            Wolfgang Ender
                                                                                                                                      und Patienten kann das Programm die einzige Chance
                                            Teamleiter Transplantationskoordination und Qualitäts­                                    auf eine Transplantation sein.
                                            beauftragter Transplantationsmedizin, Kantonsspital St. Gallen
                                            «Es gibt Paare, von denen eine Person auf eine Nierentransplantation wartet und die
                                            andere Person ihr eine Niere spenden möchte. Möglicherweise kann jedoch aufgrund
                                                                                                                                                               Informationen
                                            einer ungünstigen immunologischen Situation die Niere nicht dem Kind, der Ehefrau,
                                                                                                                                                               Wenn Sie sich für die Teilnahme am Überkreuz-Nieren-
                                            dem Onkel oder dem Freund gespendet werden. Da hilft uns das Überkreuz-Nieren-
                                                                                                                                                               Lebendspende-Programm interessieren,
                                            Lebendspende-Programm, die Hürden zu überwinden: Damit versuchen wir schweizweit
                                                                                                                                                               wenden Sie sich bitte an Ihr Transplantationszentrum.
                                            bei Paaren mit ähnlichen immunologischen Barrieren doch eine Nierentransplantation
                                            zu ermöglichen. Die Suche nach passenden Überkreuz-Paaren ist wie die Suche nach
                                            der Nadel im Heuhaufen. Mit Hilfe von Berechnungen, die wir 3 bis 4 Mal pro Jahr durch-

                                                                                                                                                              Film zur -Nieren-
                                            führen, machen wir mögliche Überkreuz-Kombinationen sichtbar. Die gesetzliche
                                            Grundlage ist die Überkreuz-Lebendspende-Verordnung. Mögliche Lebendspende­rinnen

                                                                                                                                                              Überkreuznde
                                            und Lebendspender haben zu jedem Zeitpunkt bis unmittelbar vor Operations­beginn
                                            das Recht, Nein zu sagen und das Einverständnis zur Nierenspende zurückzuziehen.»

                                                                                                                                                              Lebend­spe
"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant
Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 14                                                                                                                                         Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 15

                     Fakten und Zahlen                                                                                                                                                                                           Entwicklung Transplantationen in den letzten 5 Jahren
                                                                                                                                                                                                                                 2020 wurden in der Schweiz 519 Personen eines oder mehrere Organe transplan­
                                                                                                                                                                                                                                 tiert – das sind 63 Personen weniger als 2019 (–11 %). Insbesondere wurden 2020
                                                                                                                                                                                                                                 weniger Lebern, Nieren und Pankreata transplantiert. Bei den vitalen Organen
                     Auf einen Blick                                                                                                                                                                                             Herz und Lunge hingegen gab es 2020 sogar mehr Transplantationen. Einen star­
                     Die Coronapandemie hat auch Einfluss auf die Organspende: Im 2020 waren                                                                                                                                     ken Rückgang gab es bei der Anzahl Transplantationen nach einer Lebendspende
                     in der Schweiz sowohl die Anzahl der Organspenden wie auch die Anzahl                                                                                                                                       (–25 %). Aufgrund coronabedingter fehlender Kapazitäten in den Spitälern muss­
                     Transplantationen rückläufig.                                                                                                                                                                               ten verschiedene Lebendspende-Programme zeitweilig eingestellt werden. Die
                                                                                                                                                                                                                                 bisherigen Zahlen im laufenden Jahr weisen in der Tendenz darauf hin, dass sich
                                                                                                                                                                                                                                 die Anzahl Transplantationen wieder auf den Stand von 2019 angleichen wird.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               nen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     –63 Perso

                                                                                                                                                                  Anzahl Transplantationen bzw. transplantierte Personen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                    599
                                                                                                                                                                                                                           600                                           577                                                      582

                 146                                                 83                                                         519                                                                                        500
                                                                                                                                                                                                                                            503                                                                                                                    519

             spendende                                          spendende                                                  Transplantationen
                                                                                                                                                                                                                           400
        verstorbene Personen                                 lebende Personen                                                                                                                                                                                                360                        352
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      332
                                                                                                                                                                                                                                                 305                                                                                                              296
                                                                                                                                                                                                                           300
                    – 11                                             – 27                                                            – 63
         Veränderung zum Vorjahr                           Veränderung zum Vorjahr                                        Veränderung zum Vorjahr                                                                          200
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   156                           168
                                                                                                                                                                                                                                                                        143 128                                                                              135
                                                                                                                                                                                                                                           108 120                                                       113                           108
                                                                                                                                                                                                                           100                                                                                                                                     79
                                                                                                                                                                                                                                   41 48                        40 32                      50 42                         39 39                       45 44
                                                                                                                                                                                                                                            12         21 19                       19 17                       17 18                         25 21                       21       23
                                                                                                                                                                                                                                                                         9                          7                             2                           4               1
                                                                                                                                                                                                                            0
                                                                                                                                                                                                                                            2016                         2017                       2018                         2019                             2020
                                                                         Bin ich zu alt für eine Organspende?
                                             keine
                                                                                                                                                                                                                                   Herz                 Leber       Lebendspende              Pankreas/Inselzellen                Multiorgantransplantation
                                                                         Die Frage ist falsch gestellt – denn es gibt keine grund­
                                                      e
                                                                                                                                                                                                                                   Lunge                Niere       Lebendspende              Dünndarm                            Total

                                          alterslimit                    sätzliche Alterslimite nach oben. Der älteste Spender in
                                                                         der Schweiz war 88 Jahre alt. Die Lunge kann bis zum
                                                                         80. und das Herz bis zum 75. Lebensjahr gespendet wer­                              Transplantierte Personen in der Schweiz nach Art der Transplantation und Anteil der Lebendspende. Eine Multiorgantransplantation
                                                                         den. Bei Leber und Niere gibt es keine Alterslimite.                                wird bei jedem entsprechenden Organ gezählt, für das Total zählt sie jedoch nur als eine Transplantation.
                                                                         Die richtige Frage lautet: Ist jemand zu jung für eine Organ­
                                                                         spende? Denn es gibt nur eine Alterslimite nach unten.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   in
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        eintragen uten
                                                                         Neugeborene, die jünger als 28 Tage bzw. 44 Wochen

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        nur 3  Min
                                                                         Gestationsalter sind, werden von einer Organspende                                  500. Herztransplantation am Universitätsspital Zürich
                                                                         aus­geschlossen. Der Eintrag im Nationalen Organspende­                             Zum 500. Mal transplantierte ein spezialisiertes Team
                                                                         register ist möglich für Jugendliche ab 16 Jahren.                                  am Herzzentrum des Universitätsspitals Zürich (USZ)
                                                                                                                                                             im Mai 2021 ein Spendeherz einem schwer herzkranken
                                                                                                                                                             Menschen. Nur wenige Tage später erfolgte bereits die
                                                                                                                                                             501. Herz­trans­plantation. Die Erfolgsquote des rettenden                                                                                                   Nationales Organspenderegister
10 Jahre DCD-Spende in der Schweiz                                                                                                                           Eingriffs ist heute sehr gut; die Mortalität der Patientinnen                                                                                     Verantwortungsvoll handeln und Entscheid festhalten –
Seit der Wiedereinführung der DCD-Spende* im Septem­                                             60                                              57          und Patienten kurz nach der Operation und langfristig                                                                                             tragen Sie sich ein im Nationalen Organspenderegister.
ber 2011 durch das Universitätsspital Zürich gab es schweiz­
                                                                                                 50               total  249                          50     ist drastisch gesunken: Die Überlebensrate ein Jahr nach
weit 249 DCD-Spenden. Heute sind DCD-Programme                                                                                                               der Transplantation liegt heute bei 85 %, die Zehn-Jahre-
                                                                            Anzahl DCD-Spenden

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Registrieren via Smartphone,
in allen sechs Schweizer Transplantationszentren sowie in                                        40                                   39                          Überlebensrate bei 75 %. Die meisten Patientinnen und                                                                                                                 Tablet oder Computer
den Kantonsspitälern Chur, Freiburg, Luzern und Sitten                                                                                      32                       Patienten können nach der Transplantation wieder                                                                                                                   organspenderegister.ch
                                                                                                 30
etabliert. Mehr als jede dritte Organspende 2020 war eine                                                                                                               ohne Einschränkungen leben. Das Universitäts­
DCD-Spende.                                                                                      20                  18
                                                                                                                           16                                            spital Zürich gehört nebst dem Centre hospitalier                                                                                            Bis 31. Juli 2021 haben 120 359 Personen
                                                                                                                                15
                                                                                                                12                                                        universitaire vaudois (CHUV) und dem Universi­                                                                                          ihren Entscheid zur Organ- und Gewebespende
*DCD-Spende = Spende im Hirntod nach Herz-Kreislauf-Stillstand.                                  10         7
Als spendende Person gilt jede verstorbene Person, bei der ein                                         3                                                                  tätsspital Bern (Inselspital) zu den drei Spitälern                                                                                            im Nationalen Organspenderegister
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      eingetragen.
chirurgischer Eingriff mit der Absicht zur Organentnahme zum Zweck                               0                                                                                       in der Schweiz, die Herztransplan­
einer Transplantation erfolgt ist.                                                                                                                                                          tationen durchführen.
                                                                                                      2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020
                                                                                                                                                             500. Herz–
                                                                                                                                                           transplantation
                                                                                                                                                               am USZ
"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant
Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 17

                                                              10 Fragen an Dr. Sabine Camenisch,
                                                              Netzwerkleiterin Organspende
                                                              Dr. Sabine Camenisch leitet seit Mai das «Organspende Netzwerk Schweiz-Mitte
                                                              (CHM)». Die Intensivmedizinerin stellt den Menschen ins Zentrum. Besonders wichtig
                                                              ist ihr, dass der Wille von sterbenden Menschen berücksichtigt und das Abschied­
                                                              nehmen für die Angehörigen stimmig begleitet wird. Sie setzt sich dafür ein, die Pro-
                                                              zesse rund um die Organspende würdevoll zu gestalten. Im hektischen Spitalalltag
                                                              helfen ihr dabei ihre breite Erfahrung, ihre besonnene Art und ihr Sinn für Teamarbeit.

                                                              Frau Dr. Camenisch, wollten Sie                       und Standort des Spendekoordinationsteams
                                                              immer schon Ärztin werden?                            spielen die beiden Universitätsspitäler Basel und
                                                              Nein, ursprünglich dachte ich an Biologie.            Bern eine zentrale Rolle im Prozess. Wichtig sind
                                                              Doch dann merkte ich, dass der Mensch für mich        dabei Strukturen und Prozesse, die im Spital­alltag
                                                              im Zentrum steht und so war das Studium               gut funktionieren und zu jeder Tageszeit anwend­
                                                              der Human­medizin die logische Konsequenz.            bar sind. Dies gilt auch für Spitäler, die wenig mit
                                                                                                                    dem Thema in Berührung kommen.
                                                              Schildern Sie uns bitte kurz Ihren Werdegang.
                                                              Während des Medizinstudiums in Basel absolvierte      Wann kommt es zum Angehörigengespräch?
                                                              ich Praktika in Südafrika, Norwegen und Ägypten.      Tritt eine Patientin oder ein Patient auf die Inten­
                                                              Das Arbeiten in fremden Gesundheitssystemen           sivstation ein, befindet sie oder er sich in einer
                                                              gefiel mir. Nach dem Studium begann ich mit Inne­     lebensbedrohlichen Situation. Unser oberstes Ziel
                                                              rer Medizin, dann kam ein Jahr HIV-Forschung          ist es dann, das Leben zu retten. Spätestens
                                                              in Durban in Südafrika. Danach entschied ich mich     wenn wir feststellen, dass wir das Leben nicht retten
                                                              für die Anästhesieausbildung, die ich in Liestal      können, bitten wir die Angehörigen zu einem
                                                              begann, auf der Kinderanästhesie in Lille in Nord­    ersten Gespräch. Wir bereiten sie darauf vor, dass
                                                              frankreich fortsetzte und 2018 am Inselspital in      ihr Familienmitglied versterben wird. Das sind
                                                              Bern abschloss. Dort folgte die Facharztausbildung    immer sehr schwierige Situationen und die
                                                              Intensivmedizin und weitere Jahre als Oberärztin      Betroffenen befinden sich in einem Aus­nahme­
                                                              Anästhesiologie. Seit Mai bin ich Netzwerkleiterin    zustand. Es liegt mir am Herzen, dass wir die
                                                              Schweiz-Mitte und seit Juli Oberärztin auf der In­    Angehörigen empathisch begleiten und sie unsere
                                                              tensivmedizin am Inselspital Bern.                    Beweggründe und Informationen verstehen.

                                                                                                                    Wie viele solche Gespräche führen Sie und
                                                                                                                    wer ist alles dabei?
                                                               «Es liegt mir am Herzen,                             Ich führe mehrere Gespräche pro Woche. Die Ge­
                                                                                                                    sprächsführung ist ein wichtiger Teil unserer
                                                               dass wir die Angehörigen                             Arbeit auf der Intensivstation und wird von allen
                                                                                                                    Ärztinnen und Ärzten gemacht. Kein Gespräch
                                                                empathisch begleiten.»                              ist gleich und oft bin ich nicht nur als Ärztin,
                                                                                                                    sondern auch als Person sehr gefordert. Wir legen
                                                                                                                    Wert darauf, dass das betreuende Team aus Ärzten,
                                                                                                                    Pflegenden, situationsabhängig Seel­sorge, Spende­
                                                              Welche Aufgaben haben Sie als Netzwerk-               koordination und nötigenfalls Dolmetscherin ein­
                                                              leiterin?                                             gebunden ist. Je nach Kulturenkreis sind die
                                                              Ich bin dafür zuständig, dass mögliche Organ­         Familien sehr gross. Zwingend ist, dass wir einen
Dr. med. Sabine Camenisch leitet seit Mai das «Organspende    spenderinnen und Organspender als solche              ruhigen Raum zur Verfügung haben und den
Netzwerk Schweiz-Mitte (CHM)». Zur Arbeit am Inselspital      erkannt werden und die weitere Behandlung,            Angehörigen die nötige Zeit und Aufmerksamkeit
ist die 40-Jährige bei jedem Wetter mit dem Velo unterwegs.   die Angehörigengespräche und Todesfeststellung        für das Gespräch und die Verarbeitung der In­
                                                              korrekt ablaufen. Als Transplantationszentrum         formation bieten können.
"Ich lebe jetzt. ich entscheid jetzt." - Swisstransplant
Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 18                                                                        Magazin Swisstransplant Nr. 45 | August 2021 – 19

Wann sind Sie mit einem Gespräch zufrieden?               in ihrer Extremsituation gefordert, einen Entscheid
Ich freue mich zu hören, wenn die Angehörigen             zu fällen. Oft haben sie Angst, etwas Falsches zu
trotz der äusserst schwierigen Situation sagen:           tun, sie möchten vielleicht möglichst rasch aus die­
Wir verstehen und akzeptieren, dass sie oder er           ser unangenehmen Situation herauskommen oder
verstirbt. Wir vertrauen, dass sie oder er bei            finden die Ruhe nicht, sich im Willen der Patientin
euch in guten Händen ist und in dieser Situation          oder des Patienten zu entscheiden. Dann entschei­
das Bestmögliche gemacht wird.                            den sie tendenziell Nein. Der Organspendeprozess
                                                          braucht Zeit, das ist vielen nicht bewusst. Umso
Kommen wir zur Frage nach der Organ­                      wichtiger ist es, den Angehörigen alles sorgfältig
spende, wann stellen Sie die?                             und in Ruhe zu erklären.
Das Thema wird in einem zweiten Gespräch be­
handelt. Meistens vergeht nach dem Erstgespräch           Wie stehen Sie zur erweiterten Wider-
etwas Zeit, in der sich die Angehörigen sammeln           spruchslösung?
und auf den baldigen Tod vorbereiten. Manchmal            Ich befürworte die Änderung von der heutigen
kommt die Frage der Organspende von den An­               Praxis zur erweiterten Widerspruchslösung
gehörigen schon früher: Was würde eine Organ­             und erhoffe mir dadurch eine Haltungsänderung
spende bedeuten? Wie wird der Hirntod fest­               in der Bevölkerung. Im spitalinternen Ablauf
gestellt? Wo wird mein Angehöriger operiert?              wird sich wenig ändern: Die Angehörigen werden
Wie sieht der Leichnam aus und wann können                weiter­hin stark miteinbezogen. Sie haben die
wir uns verabschieden? Für diese Fragen ziehen            gleichen Mitspracherechte wie bei der jetzigen
wir die Spendekoordination hinzu. Sie begleiten           Lösung. Etwas anderes ist ethisch und politisch
die Angehörigen während des ganzen Prozesses              nicht vertretbar.
vom Entscheid zur Organ­spende bis Monate
darüber hinaus. Die Angehörigen sowie das                 Welchen Wunsch haben Sie im Zusammen-
be­teiligte Pflege- und Ärzteteam soll jeden Schritt      hang mit der Organspende?
mittragen und gut abschliessen können.                    Wir müssen mehr darüber reden, um das Thema
                                                          zu enttabuisieren. Während der Coronapandemie

                                                                                                                                                                                                          Auflösung
Welches sind die grössten Herausforderungen?              geschah dies für die Patientenverfügung: Viele
Unsere Patientinnen und Patienten auf der Inten­          Menschen wollten für sich festhalten, dass sie
sivstation sind nicht mehr in der Lage, ihren Willen      nicht künstlich beatmet werden sollen. Darüber
zu äussern. Ist dieser nicht hinterlegt, werden die       zu sprechen, ist gesellschaftsfähig geworden.
                                                                                                                                                                                                          rätsel
                                                                                                                                                                                                          Seite 9
Angehörigen nach dem mutmasslichen Willen der             Dasselbe wünsche ich mir für die Organspende.
versterbenden Person gefragt. Ist das Thema vor­
her nie besprochen worden, sind die Angehörigen           Interview: Rahel Rohrer   Bilder: Alexandra Jäggi            Impressum

                                                                                                                       Herausgeberin/Redaktion                    Layout
                                                                                                                       Swisstransplant                            Latviaplan AG, Uetendorf
                                                                                                                       Schweizerische Nationale Stiftung
                                                                                                                       für Organspende und Transplantation        Titelbild
                                                                                                                                                                  Phil Wenger, Steffisburg
                            Dr. med. Sabine Camenisch                                                                  Effingerstrasse 1
                            leitet seit Mai 2021 das «Organspende Netzwerk Schweiz-Mitte (CHM)», eines der             Postfach                                   Druck
                            5 Organ­spendenetzwerke der Schweiz. Dem Netzwerk CHM sind 19 Spitäler aus                 CH-3011 Bern                               Vögeli AG, Langnau i. E.
                            den Kantonen Aargau, Bern, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Solothurn und dem Oberwallis
                            angeschlossen. Innerhalb dieses Netzwerks gibt es zwei Transplantationszentren,            Kontakt
                            die Universitätsspitäler Basel und Bern (Inselspital), und das Kantonsspital Aarau (KSA)   T +41 58 123 80 00
                            als Entnahmespital.                                                                        magazine@swisstransplant.org
                                                                                                                       swisstransplant.org
                            Die 40-jährige Zürcherin hat Medizin studiert und nach Anstellungen auf der Inneren
                            Medizin und in der HIV-Forschung die Facharztausbildung in Anästhesiologie begonnen.       Folgen Sie Swisstransplant
                            Seit 2019 ist sie zudem Fachärztin für Intensivmedizin.                                    in den sozialen Medien

                            Sabine Camenisch lebt mit ihrem Mann und ihren 4 Kindern in der Nähe von Bern.
                            Zur Arbeit fährt sie bei jedem Wetter per Velo – sogar im Winter – das durchlüfte
                                                                                                                                                                                                           Nationales Organspenderegister
                            den Kopf und schaffe Distanz zwischen Arbeitswelt und Familienalltag.
                                                                                                                                                                                                                  Tragen Sie sich ein:
                                                                                                                                                                                                                organspenderegister.ch
                                                                                                                       Möchten Sie das Magazin Swisstransplant lieber online statt gedruckt erhalten?
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             jetzt.
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