Passionsandacht 2. April 2020

 
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Passionsandacht

Passionsandacht 2. April 2020
Lied
Eg 88,1-2.6

Eröffnung
Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen
Geistes sei mit euch allen.

Lasst uns aufsehen zu Jesus. Er hat Verletzlichkeit erlebt – bis zum Äußersten. Wir sind verletzlich.
Wir spüren das in diesen Tagen mehr als sonst.

Psalm
Psalm 130
Ich harre des Herrn, denn bei ihm ist die Gnade
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Herr, höre meine Stimme!
Lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens!
     Wenn du, Herr, Sünden anrechnen willst -
     Herr, wer wird bestehen?
Denn bei dir ist die Vergebung,
dass man dich fürchte.
     Ich harre des Herrn, meine Seele harret;
     und ich hoffe auf sein Wort.
Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen;
mehr als die Wächter auf den Morgen hoffe Israel auf den Herrn!
     Denn bei dem Herrn ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm.
     Und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.
Ps 130

Gebet
Heiliger, ewiger Gott. Gott voller Güte und Erbarmen, dein Sohn ist gekommen, um sich ganz für
andere einzusetzen. Tritt vor unsere Seele.
Öffne unsere Augen, dass wir sehen, wer du bist.
Öffne unsere Ohren, dass deine Worte eindringen.
Rufe unser Herz, dass es erwache und dir folge. Amen.

Verkündigung
Lied
Eg 92 Christe, du Schöpfer aller Welt

Evangelienlesung Markus 15,6-19
Markus 15,6-19

Die Verurteilung Jesu

6 Nun war es so, dass Pilatus an jedem Passafest einen Gefangenen freiließ, den die Juden selbst bestimmen
durften. 7 Damals saß ein gewisser Barabbas zusammen mit einigen anderen Aufrührern im Gefängnis; sie
hatten bei einem Aufstand einen Mord begangen. 8 Als jetzt eine große Menschenmenge zu Pilatus hinaufzog
und ihn bat, wie üblich jemand zu begnadigen, 9 fragte er sie: »Wollt ihr, dass ich euch den König der Juden

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freigebe?« 10 Denn es war ihm klar geworden, dass die führenden Priester Jesus nur aus Neid an ihn
ausgeliefert hatten.

11 Doch die führenden Priester wiegelten das Volk dazu auf, stattdessen die Freilassung des Barabbas zu
fordern. 12 Da wandte sich Pilatus von neuem an die Menge. »Und was soll ich mit dem tun, den ihr den
König der Juden nennt?«, wollte er wissen. 13 »Lass ihn kreuzigen!«, schrien sie zurück. 14 »Was für ein
Verbrechen hat er denn begangen?«, fragte Pilatus. Doch sie schrien nur noch lauter: »Lass ihn kreuzigen!«
15 Pilatus wollte die Menge zufrieden stellen. Darum gab er ihnen Barabbas frei; Jesus hingegen ließ er
auspeitschen und übergab ihn ´den Soldaten` zur Kreuzigung.

Die Verspottung Jesu

16 Die Soldaten führten Jesus in den Palast, in das so genannte Prätorium, und riefen die ganze Mannschaft
zusammen. 17 Sie hängten ihm ein purpurfarbenes Gewand um, flochten eine Krone aus Dornenzweigen
und setzten sie ihm auf. 18 Dann riefen sie ihm zu: »Es lebe der König der Juden!« 19 Sie schlugen ihm mit
einem Stock auf den Kopf, spuckten ihn an und warfen sich vor ihm auf die Knie, um ihm zu huldigen.

Auslegung
Der sechste Tag ist angebrochen. Freitag. Später wird man ihn Karfreitag nennen. In anderen Ländern nennt
man ihn „Good Friday“ – Guten Freitag. Oder „Vendredi Saint“ – Heiligen Freitag. Aber danach sieht es an
jenem Freitag überhaupt nicht aus.

Morgens wird Jesus gefesselt und von den Leuten der Tempelobrigkeit an den Statthalter Pilatus ausgeliefert.
Nur der Vertreter des römischen Staats ist bevollmächtigt, Todesurteile rechtskräftig zu fällen und ausführen
zu lassen.

Pontius Pilatus. Welch eine Ironie: Täglich geht der Name dieses weltgeschichtlich eigentlich unwichtigen
Gouverneurs einer entlegenen Provinz des römischen Reiches unzählige Male über die Lippen, und zwar in
Kirchen auf der ganzen Welt. Nicht, weil er so wichtig gewesen wäre. Aber es ist von dem noch die Rede,
der unter ihm gelitten hat. Nach allem, was man über den echten Pontius Pilatus weiß, war er ein recht
gefühlloser Funktionär. In der Schilderung des Markus kommt er aber relativ gut weg: Immerhin wird die
Begnadigung eines Gefangenen erzählt, der anstelle Jesu freigelassen und an dessen Stelle Jesus
hingerichtet wurde. Vielleicht hat sich Markus beim Schreiben der Geschichte gedacht: Wenn schon damals
an jenem Freitag der römische Beamte an Jesus nichts Gefährliches entdecken konnte, dann könne die
römische Macht auch die Nachfolger dieses Mannes ungeschoren lassen. Und dabei dachte er an die Leute
aus seiner Gemeinde, die in Zeiten lebten, wo es durchaus lebensgefährlich sein konnte, wenn man sich zu
Christus bekannte.

       An dieser Stelle kann man der Geschichte nicht guten Gewissens einfach weiter folgen, ohne die
       schreckliche Wirkung dieser Episode anzusprechen. Denn man bekommt von Markus ja folgenden
       Eindruck vermittelt: „Die Juden“ wollen den Wanderprediger Jesus hängen sehen. Dass dafür ein
       Mörder freikommt, interessiert sie nach dieser Darstellung nicht. Letztlich seien also „die Juden“
       verantwortlich. Was sich hier wiederspiegelt, ist die Abgrenzung der entstehenden Kirche vom frühen
       Judentum in der Synagoge zu Markus‘ Zeiten. Markus spitzt diese Abgrenzung scharf zu, andere
       Evangelisten sogar noch schärfer. Die Wirkung war verheerend und reichte weit über die Kirche
       hinaus. Denn diese Geschichte fütterte den Hass von Nichtjuden auf Juden über Jahrhunderte.

       Nach Auschwitz kann man das nicht lesen, ohne zu sagen: Es war ein römisches Tordesurteil. Nicht
       „die Juden“ steckten dahinter, sondern jüdische Gegner. Jesus war selbst jüdischer Lehrer, seine
       Konflikte waren innerjüdische Angelegenheiten. Markus in seiner Polemik gegen „die Juden“ zu
       folgen, ist unangemessen und gehört in die Mottenkiste überholter Überzeugungen. Aber es steht
       nun einmal in der Geschichte so, also muss man sich auch ausdrücklich distanzieren. Das ist hiermit
       geschehen. Zurück in die geschilderte Szene!

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Passionsandacht

Pilatus will Ruhe in seiner – bis heute – unruhigen Ecke der Welt. Und Jesus, den sie ihm da gebracht haben?
Kann der so gefährlich sein? Nun ja. Er vielleicht nicht. Aber diese Leute, die sich in den Hass hineingesteigert
haben. Die könnten es schon sein. Politisch wäre es unklug, sich gegen „das Volk“ zu stellen, die sich da am
Palast lautstark in Rage gebracht haben und skandieren. So überlässt er Jesus dem normalen Gang der
Dinge. Er selbst hat ja vielleicht auch noch was Anderes, was Wichtigeres zu tun. Folter durch Geißelung,
Austoben der Launen grobschlächtiger Kriegsknechte und dann halt Hinrichtung in Gottes Namen – nein, im
Namen des römischen Kaisers. Was soll’s?

Aber dann kommt es doch auf die kleinen Zwischentöne und Winkel der Geschichte an: Jesus schwieg. Das
wundert Pilatus, weil er das von Gerichtsverfahren nicht kannte. Es hätten sich auch die Tempeloberen
wundern können. Solch eine Szene wird in der Bibel nämlich schon einmal beschrieben. Der Prophet Jesaja
hatte vom Messias geträumt, der am Ende Frieden auf die Erde bringen wird: Als er gemartert ward, litt er
doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. (Jesaja 53,7)

Oder der Name des begnadigten Mörders: Bar-Abbas heißt er. Das bedeutet: Sohn des Vaters. Besser hätte
Markus sich das nicht ausdenken können. Es geht hier zweimal um den Sohn des Vaters. Einmal um einen,
der mit Gewalt zur Erlösung seines Volkes kommen will und zum anderen um den, der die Herzen der
Menschen befreien will. „Das Volk“ trifft eine fatale Wahl.

Und dann die Soldaten: Mit einem falschen Unterton, den man vielleicht am besten mal laut nachmacht,
spotten sie: Gegrüßet seist du, der Juden König! … und sprechen damit aber unwillentlich und unwissentlich
die Wahrheit aus.

Sie flechten eine Dornenkrone.

Der Christusdorn trägt seiner wehrhaften Stacheln wegen diesen Namen. Er wehrt sich aber nur dagegen,
Futter hungriger Pflanzenfresser zu sein. Die Dornenkrone soll wehtun, weil Menschen wehtun wollen.

Schauen Sie mal das Bild an! Stacheldraht.

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Passionsandacht

Stacheldraht zeigt nicht nur an: Hier ist Schluss. Das macht jeder Zaun. Stacheldraht droht mit Schmerz
und Verletzung. Deine Bewegungsfreiheit ist hier definitiv am Ende. Läufst Du weiter, bekommst Du gemeine
Wunden. Und richtig zupacken kann man nicht, weil die Drähte zu dicht sitzen. Wer schon einmal auf eine
Weide musste, die so eingezäunt war, kennt die mühsamen Verrenkungen, zu denen der Draht einen zwingt.
Heute gibt es sogar noch fiesere Zäune: Mit Nato-Draht, der rasiermesserscharf ist.

Und wozu? Stopp hier! Lagerzaun. Gefängnishof, Staatsgrenze, feindliches Gebiet, verbotenes Grundstück
und nicht zuletzt Folterwerkzeug.

Auf dem Bild greift einer nach der Freiheit – und greift in den Stacheldraht. Da steht nicht einmal jemand,
der sagt: „Du bist hier unwillkommen.“ Nein. Stumm wehrt der Stacheldraht ab. Frieden und Verständigung?
Nein danke. Kein Interesse. Bleib uns vom Leib!

Ich stelle mir vor, dass Gott immer wieder entsetzt den Kopf schüttelt: Was Menschen nicht alles tun, um
einander vom Leib zu halten? Die Dornenkrone krönt Jesus, hebt ihn aber nicht aus der Menge der
Normalsterblichen heraus. Eine Königskrone tut das. Die Dornenkrone aber verbindet ihn mit allen, denen
Gewalt angetan wird, die beschränkt werden. Sie ist Zeichen dieser Welt, die keine heile Welt ist.

Zu den schier unerträglichen Aspekten dieser Leidensgeschichte gehört für mich: Die Gewalt, die Jesus
erlebt, ist nicht erledigt. Wir, alle Menschen haben das Zeug dazu, Gewalt auszuüben. Nicht nur rohe
Kriegsknechte der Antike!

Als wir uns im Ethikausschuss des Diakonissenhauses mit der Frage nach Gewalt beschäftigt haben, da
einigten wir uns auf folgende Definition: „Gewalt schränkt Mitmenschen gegen ihren Willen ein. Bei Gewalt
geht es um die Durchsetzung eines Willens gegen den Willen eines Anderen. Befinden oder
Selbstbestimmung werden beeinträchtigt.“

Insofern handelt diese alte Gewaltgeschichte auch von der Gegenwart. Und sie macht es uns nicht leicht.
Leicht wäre es, wenn wir mit dem Finger auf die Bösen, auf Gewalttäter, auf Terroristen, auf Diktatoren, auf
Misshandler in Familien, auf Stacheldraht um Flüchtlingslager, auf Menschenrechtsverletzungen zeigen
könnten: Da! Da ist Gewalt! Furchtbar. Unerträglich. Nein, dass es das noch gibt!

So leicht ist es aber nicht. Denn Gewalt fängt früh an. Fruchtbaren Boden findet sie bei jedem Menschen.
Verächtliche Gedanken, die Durchsetzung des eigenen Willens – angeblich im Dienst einer guten Sache –,
Ausnutzen ungerechter Handelsverhältnisse, Grenzen ziehen, weil wir es nun mal können … . Je genauer
man hinschaut, desto mehr findet man und merkt dummerweise: Sie ist nicht nur ein Problem der immer
anderen.

Diese Geschichte ist also leider nicht so weit weg, wie es uns angenehm wäre. Der Stacheldraht und die
Dornenkrone, sie sind Symbole und Stachel im Fleisch! Sie tun weh, wenn man an sich heranlässt, wie es
dem anderen geht!

Ein letzter Gedanke noch: Die vielen unsichtbaren Zäune, die zur Zügelung des Corona-Virus gerade gezogen
werden, sind nicht Ausdruck bösen Willens. Sie schränken ein, aber sie sollen Menschenleben schützen
helfen. Trotzdem sind doch auch mahnende Symbole: Wenn wir einander auf dem Gang begegnen, uns nicht
die Hand geben, einen Bogen umeinander machen, dann sollten wir uns daran nicht gewöhnen! Es sollte
uns wehtun. Wenn wir hinnehmen, dass Freiheitsrechte beschnitten werden, vom Versammlungsrecht über
das Recht der Freizügigkeit, dann sollten wir uns daran nicht gewöhnen. Wenn wir sehen, dass Menschen
ihre Kontakte beschnitten werden, die sie doch dringend brauchten, dann sollten wir uns nicht daran
gewöhnen: Kinder in Gewaltfamilien, alte Menschen in der Einsamkeit, arme Menschen in der Armut.

Der sechste Tag. Es war kein guter Tag. Aber er öffnet die Augen für die Dornen.

Er stellt freilich nicht den Schlusspunkt dar. Wir sehen weiter als die damals Beteiligten. Der sechste Tag
blieb nicht der letzte Tag. Es folgte am dritten Tag ein neuer Anfang. Ostern ist schon in Sicht und stellt alles
in ein neues Licht. Ostern kommt noch. Amen.

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Passionsandacht

Fürbitte und Sendung
Gütiger Gott,
dein Sohn hat sich mit uns verbunden, wie es inniger nicht geht.
Durch ihn bitten wir dich: Erfülle uns mit seinem Geist,
damit wir einander dienen in geschwisterlicher Liebe.
Gib denen mit Einfluss den Willen und die Kraft, gegen Gewalt und Ungerechtigkeit vorzugehen.
Gib allen Verantwortlichen Weisheit und Umsicht in der Krise – auch uns, denn verantwortlich
sind ja nicht nur andere.
Stärke alle in den Krankenhäusern, Altenheimen, Behinderteneinrichtungen, in den Supermärkten
und in den Transportunternehmen.
Erlöse uns von dem Bedürfnis, immer die Oberhand behalten zu müssen; bewahre uns vor
Schuldzuweisungen; mache uns aufmerksam dafür, wo andere bedrückt werden – auch durch
uns.
Hilf uns zu einem Miteinander, in dem einer die Last des anderen trägt.
Gütiger Gott, du erlöst uns durch die Macht der Liebe. Ihr vertrauen wir durch deinen Sohn Jesus
Christus, der mit dir in der Einheit des Heiligen Geistes lebt und regiert in Ewigkeit.

Stilles Gebet

Vater Unser
        Vater unser im Himmel,
        geheiligt werde dein Name,
        dein Reich komme,
        dein Wille geschehe
        wie im Himmel so auf Erden.
        Unser tägliches Brot gib uns heute,
        und vergib uns unsere Schuld,
        wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
        Und führe uns nicht in Versuchung,
        sondern erlöse uns von dem Bösen,
        denn dein ist das Reich und die Kraft
        und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
        Amen.

Lied
Eg369

7. Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

Segen
Gott segne dich und behüte dich. Gott lasse sein Antlitz leuchten über dir und sei dir gnädig. Gott erhebe
sein Antlitz auf Dich und gebe dir Frieden.

Alle: Amen.

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