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Diskussionspapier des Instituts für Kirche, Management und Spiritualität der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster (1/2014) Papst Franziskus seit einem Jahr im Amt Erneuern statt Ersetzen: Papst Franziskus und Franz von Assisi – ein erster Vergleich Am 13. März 2013 ist Jorge Mario Bergoglio als erster Lateinamerikaner zum Papst gewählt worden. Schon seine Namenswahl war aufsehenerregend: Papst Franziskus. Seitdem sorgt Franziskus für zahlreiche strukturelle und inhaltliche Veränderungsprozesse in der Kirche und wirbt so wie sein Namenspatron Franz von Assisi für eine Kirche der Armen. Vor diesem Hintergrund hat das IKMS aktuelle und traditionelle Themen wie die Entwicklung der Kirche, die Einbeziehung der Bedürftigen oder die Frage des Kapitalismus aus der Perspektive des aktuellen Papstes und des Heiligen aus Assisi vergleichend gegenübergestellt. Die Zeitlosigkeit und Aktualität „franziskanischer Themen“ ist enorm. Sie inspirieren und liefern Orientierung in einer komplexen und schnelllebigen Welt. Die Wahl sorgt für viele Überraschungen: mit 76 Jahren erschien der neue Pontifex als zu alt, um dieses Amt auszuführen – und doch weit gefehlt. Denn seither vergeht kaum eine Woche, in der nichts über seine Bescheidenheit, seine Menschlichkeit und seine klaren Worte zu lesen ist. Der ehemalige Erzbischof von Buenos Aires erweist sich als zupackend. Die katholische Kirche erlebt weltweit Aufwind. Seit mehr als 100 Jahren steht zudem wieder ein Ordensmann an der Spitze der katholischen Kirche, erstmals ein Jesuit. Und auch der Name ist neu: Franziskus. Ausdrücklich beruft sich der neu gewählte Bischof von Rom auf den heiligen Franz von Assisi. Diese Namenswahl gibt Anlass zum Vergleich zwischen Franziskus von Rom und Franz von Assisi. Die nachstehenden Erläuterungen sollen Hinweis darauf geben, inwieweit Franz von Assisi eine Inspirationsquelle für Papst Franziskus ist, um der Weltkirche und gleichsam der Gesellschaft eine Richtung zu weisen. Zudem liefern die hier ausgewählten Beispiele eine Grundorientierung für eine verantwortliche Führung, die die eigene Haltung und persönlichen Fähigkeiten in den Blick nimmt. Neben dem aktuellen Tagesgeschehen und den historischen Quellen zu Franz von Assisi bezieht sich das vorliegende Papier auf das apostolische Schreiben des Papstes (Evangelii Gaudium). 1
Franziskus von Assisi Franziskus von Rom Reformer der Kirche „Baue meine Kirche wieder auf!“ Durch Der Ruf „Baue meine Kirche wieder auf!“ dieses Wort des Gekreuzigten in San Damiano könnte auch zu unserer Zeit erklungen sein. entdeckt der junge Kaufmannssohn Denn auch wir erleben eine schwere Krise der Franziskus eine wesentliche Dimension seiner Institution Kirche, die durch die vielen persönlichen Berufung. Das Fresko von Giotto Skandale innerhalb ihrer selbst hervorgerufen di Bondone aus der Oberkirche in Assisi bringt wurde (der Missbrauchsskandal, der Skandal ins Bild, wie Franz die kippende Kirche auf um den Limburger Bischof Franz-Peter seiner Schulter stützt. Tebartz-van Elst o.ä.) Oberflächlich betrachtet, bietet Franziskus im Papst Franziskus sieht Reformbedarf: Vergleich zu anderen Erneuerungs- Zum einen bringt er eine Reform des bewegungen seiner Zeit nichts Neues: Auch Papsttums auf den Weg. Er richtet ein er will das Evangelium möglichst wörtlich in Kardinalsgremium ein, damit die Kardinäle die Tat umsetzen. Dazu lebt er ein Leben in den Papst ‚bei der Regierung der Kirche Armut und stellt sich damit gleichermaßen in beraten‘ und eine Reform der Kurien- den Gegensatz zur wohletablierten Kirche. Verfassung erarbeiten. Die Laieninvestitur bringt Verwicklungen und Zum anderen entwickelt Franziskus das Bild Missstände mit sich: Das Konkubinat ist im von einer Kirche, die hinaus geht auf die Klerus annähernd zu einer Selbst- Straße. „Mir ist eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verständlichkeit geworden, und die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die monastischen Klöster richten sich mit all Straßen hinausgegangen ist, lieber als eine ihrem Reichtum und ihrer Macht behaglich in Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit der Welt ein. Schamlose Ausbeutung der und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen armen Bevölkerung, um Reichtum und Sicherheiten zu klammern, krank ist“, schreibt Liquidität zu gewährleisten sowie Simonie, Franziskus Ende November in seinem garantieren die Aufrechterhaltung des hohen Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“. Lebensstandards der Kirchenfürsten, die ihre seelsorglichen Pflichten weitreichend Um die Kluft zwischen Lehre und vernachlässigen. Trotz der Bemühungen Lebenswirklichkeit zu überwinden regt er seitens der Ordensreformer (z. B. Bernhard Diskussionen innerhalb der katholischen von Clairvaux in der cluniazensischen Kirche an und strebt nach die Reformbewegung) bleiben die kirchlichen Neupositionierung hin zu einer Kirche an der Missstände erhalten. Seite der Menschen, besonders derer am Rande der Gesellschaft, an. Für Franziskus gilt das Motto „Erneuern statt Der Gedanke der Ehrfurcht scheint auch bei Ersetzen“: Er reißt die kleine Kirche San Papst Franziskus auf: „Viele meinen zum Damiano nicht bis auf die Grundmauern Beispiel, dass Veränderungen und Reformen nieder, sondern nimmt das an, was er kurzfristig erfolgen können. Ich glaube, dass vorfindet und renoviert und erneuert das man immer genügend Zeit braucht, um die baufällig gewordene Gotteshaus. Die Grundlagen für eine echte, wirksame Grundsubstanz die er vorfindet wahrt und Veränderung zu legen. Und das ist die Zeit der achtet er. Unterscheidung.“ (Stimmen der Zeit) 2
Aufbruch und Neuanfang „Wir müssen jeden Tag von neuem Jorge Mario Bergoglio steht für Aufbruch und anfangen“, so lautet ein in die heutige Neuanfang. In den ersten neun Monaten hat Sprachwelt angepasstes Zitat des der Papst viele Projekte angestoßen, deren Ordensstifters. Ausgang noch offen sind: die Reform der Kurie Dieser Grundsatz spiegelt sich in seiner Vita und der vatikanischen Finanzen inklusive der wider. Das Leben des Heiligen ist vielfach Vatikanbank, die inhaltlichen Diskussionen gekennzeichnet durch Aufbrüche, Um- und etwa um eine wichtigere Rolle der Frauen in Neuorientierungen. der Kirche oder die Frage nach der Dezentralisierung. „Kapitalismuskritik“ Der einstige Kaufmann sieht in der damalig Papst Franziskus hat zur Reform der globalen aufkommenden Geldwirtschaft eine enorme Finanzmärkte aufgerufen. „Geld muss uns Gefahr und lehnt den Gebrauch von Geld dienen, nicht über uns herrschen“, sagt kategorisch ab. Aufgrund seiner Erfahrungen Franziskus bei einem Besuch von Botschaftern in den Lehrjahren schärft er seinen Brüdern im Vatikan. Mit drastischen Worten prangert ein, dass Geld ungeheures Potenzial zu der Papst die weltweite Dominanz des trennen besitzt. In seiner Ordensregel bettet Kapitalismus und Ausbeutung der Menschen er daher das Geldverbot ein (BR 4). Bei durch profitorientierte Konzerne an. Franziskus steht das Geld für eine (Handelsblatt) Lebensweise, die angesichts des Ständewesens von Herrschaftsansprüchen und Unterdrückung gekennzeichnet sind. Geld wird zum Machtmittel und daher sollen Kot und Geld mit ein und demselben Gewicht der Geringschätzung gewogen werden. Einsatz für die Randständigen Die frühen Ideale, die Franziskus für den noch Der neue Papst hat die Katholiken in aller Welt nicht festgegründeten Orden hegt, bestehen aufgerufen, sich stärker für die Armen in einem Leben in Besitzlosigkeit und Armut. einzusetzen. „Ich möchte eine arme Kirche und Dazu gehören das Mindersein gegenüber eine Kirche für die Armen“ lautet ein allen anderen Geschöpfen Gottes sowie eine Statement des Papstes. (Zeit online) Solidarität mit den Marginalisierten der Die Wohlstandskultur bringe uns dazu, nur an Gesellschaft (1 C 23). uns selbst zu denken: „Wir haben uns an das Leiden des anderen gewöhnt“, eine „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ griffe um sich. (FAZ) 3
Zeichenhaftigkeit: Begegnung auf Augenhöhe Franziskus begegnet den Menschen auf Auch Papst Franziskus besticht durch seine Augenhöhe – das machen nachstehende Zugewandtheit zu den Menschen. Er ist ein Beispiele deutlich: Papst zum Anfassen; das zeigt sich jeden Mittwoch bei der Generalaudienz auf dem (1.) Im Aussätzigen sieht Franziskus seinen Petersplatz. Bruder und damit ein Abbild seiner Die vielen Zeichen der Demut und selbst. Er begegnet ihm auf Augenhöhe Bescheidenheit lassen den neuen Papst als und erkennt, dass man gerade an einem „einfachen Mann aus dem Volk“ erscheinen: Ort, an dem man Gott am Wenigsten Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach erwartet, von ihm in seiner ganzen der Wahl fehlt die Mozetta, der päpstliche Herzlichkeit umfangen wird. Dieses Schulterkragen, statt mit der Limousine fährt Erlebnis bewirkt ein Umdenken und Franziskus zusammen mit den anderen Umwerten in seinem Leben. (Gef 11) Kardinälen im Bus zurück zum Gästehaus in Rom, begleicht seine Hotelrechnung selbst (2.) Während des Kreuzzugs von Damiette und holt höchstpersönlich sein Gepäck ab. beweist Franziskus ein aufrichtiges Dieser Ersteindruck verfestigt sich im Laufe Interesse am Gespräch mit dem Sultan. des ersten Amtsjahres in vielen weiteren Obschon er dafür mancherlei riskiert, vorbildhaften Gesten: schafft er gleichsam die Grundlage für So besucht er als erstes Kirchenoberhaupt die einen fruchtbaren Austausch. Beide süditalienische Insel Lampedusa. Seiten erfahren voneinander und Am Abend des Gründonnerstags feiert profitieren alternierend. (LM IX,8) Franziskus eine Messe in einem Jugendgefängnis in Rom und wäscht dabei in (3.) Franziskus erhebt den geschwisterlichen einer symbolischen Geste auch die Füße von Umgang miteinander zum Lebens- zwölf Häftlingen, darunter zwei Frauen – programm. Dies impliziert sich ebenfalls ein Traditionsbruch. (FAZ) untereinander als ‚Hausgenossen‘ zu erweisen. (BR 6) „Leitungsstil“ Leitung wird wahrgenommen, indem Schon kurz nach seiner Wahl setzt er ein Franziskus selbst tut, was zu tun er andere Gremium von acht Kardinälen ein, das ihn bei bewegen will. Das Leben des Franziskus hat der Leitung der Kirche und der Reform der Menschen inspiriert. Römischen Kurie beraten soll. Es ist der erste Zugleich lebt Franziskus einen partizipativen Schritt hin zu einer synodaleren Leitung der und kommunikativen Führungsstil vor. Dies katholischen Kirche. Franziskus möchte die scheint am deutlichsten im über ein Ortskirchen stärker miteinbeziehen. Das heißt Jahrzehnt dauernden Prozess der allerdings nicht, dass Entscheidungen künftig Regelerarbeitung auf. Darin wird die demokratisch gefällt werden. Am Ende Bereitschaft, aber auch die Fähigkeit deutlich, entscheidet der Papst über die Zielrichtung aus gemeinsamen Erfahrungen zu lernen und der katholischen Kirche. Doch Franziskus will Gelungenes wie auch Negativerfahrungen im diese Entscheidung auf eine möglichst breite Dialog konstruktiv zu verarbeiten. Basis stellen. 4
Beispielhaft ist auch die Beschreibung der Durch persönliches Vorbild trägt er an der konkreten Vorgehensweise mit einem Reform und Erneuerung der Kirche bei. schuldig gewordenen Bruder (BR 7). An die Stelle eines hierarchischen Modells setzt er ein (basis)demokratisches, in dem jedes Amt als ein Dienstamt verstanden wird. Die hier skizzierten Parallelen machen deutlich, dass das Handeln des Papstes franziskanisch inspiriert ist und er sich am konsequenten Lebensstil seines Namenspatrons dem heiligen Franz von Assisi orientiert. Die Integrität und Demut der franziskanischen Tradition – auch im Unterschied zu anderen Orden – findet sich in dem Verhalten des aktuellen Papstes wieder und prägt seinen authentischen Führungsstil. Damit scheint er einen Nerv der heutigen Gesellschaft zu treffen. Denn es sind gerade die kleinen Gesten, die positiv wirken und die Menschen ansprechen: Der Verzicht auf Statussymbole (rote Schuhe) oder päpstliche Privilegien (fährt mit den anderen Kardinälen im Bus) zeigen, dass Franziskus seine Führungsaufgabe, unbeirrt in den Mittelpunkt seiner Handlungen stellt und sich von der Machtpotenzial seiner Funktion distanziert bzw. diese Macht nutzt, um gegen die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ anzugehen. Damit folgt er dem franziskanischen Ideal, wonach es gilt, das Bewusstsein für das eigene Wertefundament zu schärfen, diese konsequent umzusetzen und sich verantwortlich für notwendige Entwicklung und Erneuerung zum Wohle der Gemeinschaft einzusetzen. In diesem Punkt stehen der aktuelle Papst und sein Namenspatron aus Assisi gleichsam für eine starke Position. Berücksichtigt man dabei, dass Franz von Assisi auch noch heute noch als Persönlichkeit eine hohe Wertschätzung genießt, dann erscheinen die Handlungen des Papstes, als Gegenentwurf zu zahlreichen nur auf kurzfristige Effekte ausgerichtete Aktionen, genau richtig. Eine Orientierungsgröße, die nachhaltig wirkt, in dem sie die eigenen Quellen bewusst in den Vordergrund stellt, zum Innhalten einlädt und auf reflektierte Entwicklungen setzt, ist ein notwendiges Korrektiv für unsere heutige schnelle und rastlose Welt. 5
Quellen: Berg, Dieter; Lehmann, Leonhard (Hg.): Franziskus-Quellen. Die Schriften des heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seinen Orden, Kevelaer 2009. Apostolisches Schreiben - Evangelii Gaudium des Heiligen Vaters Papst Franziskus an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen geweihten Lebens und an die christgläubigen Laien über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute, 26. November 2013, auf Vatican.va. http://www.stimmen-der-zeit.de/zeitschrift/online_exklusiv/details_html?k_beitrag=3906412. http://www.handelsblatt.com/politik/international/finanzkrise-papst-geisselt-diktatur-der- wirtschaft/8221602.html. http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-03/papst-franziskus-kirche-arme-kardinal- lehmann-kritik http://www.faz.net/aktuell/politik/die-wahl-des-papstes/beginn-der-osterfeierlichkeiten-franziskus- waescht-haeftlingen-in-jugendgefaengnis-die-fuesse-12131414.html http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/papst-auf-lampedusa-franziskus-erschuettert-ueber- fluechtlingsschicksale-12275123.html 6
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